Über Cameron Crowe

BILLY WILDER, geboren 1906 in einer österreichisch-ungarischen Kleinstadt im heutigen Polen, gilt als einer der talentiertesten und einflussreichsten Filmemacher überhaupt. Seine Karriere als Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent umfasst fünf Jahrzehnte und über sechzig Filme, darunter zahlreiche stilbildende Hollywood-Klassiker des Film noir, des dramatischen und vor allem des komischen Films, die von zeitloser Relevanz sind. Mit insgesamt einundzwanzig Oscar-Nominierungen und sechs Auszeichnungen gilt Wilder auch als einer der meistgeehrten Künstler des 20. Jahrhunderts.

 

CAMERON CROWE, 1957 in Palm Springs, Kalifornien geboren, ist ein amerikanischer Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler, der seine Karriere als Musikjournalist beim Rolling Stone begann und als Regisseur mit Filmen wie Jerry Maguire (1996), Almost Famous (2000) und Vanilla Sky (2001) berühmt wurde.

»Haben Sie ein gutes Ende für dieses Ding?«, fragt Billy Wilder, der größte lebende Filmautor und -regisseur.

Im Frühjahr 1998 macht man viel Aufhebens über den heftigen Regen, den El Niño mit sich bringt, also brauchen wir nicht über den sintflutartigen Wolkenbruch zu sprechen, der an diesem nassen Nachmittag über Kalifornien niedergeht. Wir haben uns gerade vor seinem Büro getroffen, das versteckt in einer Seitenstraße in Beverly Hills liegt, und sind zu dem Raum hinaufgegangen, der ihm als ruhiges Arbeitszimmer dient. Er klappert mit den Schlüsseln, findet den richtigen und blickt hinunter auf seinen linken Schuh, dessen Schnürsenkel sich gelöst hat. Ein weiterer Schritt könnte zu einem Sturz führen, also bleibt er wie angewurzelt im Flur stehen. Er ist 91 Jahre alt, und sich im Stehen hinunterzubeugen ist ihm schon seit Jahren physisch nicht mehr möglich. Er schaut nicht zu mir herüber, und ich nicht zu ihm. Die Situation ist uns beiden ein wenig peinlich, daher bücke ich mich schnell, um den Schnürsenkel zu binden. Wir betreten sein Büro und setzen uns hin zu unserem letzten Gespräch. Die Serie von Interviews hat sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt.

 

Stellen Sie sich einen Moment lang eine Party vor, eine einigermaßen elegante Veranstaltung, bei der nur Figuren aus Billy-Wilder-Filmen anwesend sind.

Dort drüben am Piano, mit einem Drink in der Hand, steht der dem Untergang geweihte Walter Neff aus Frau . Er versucht, nicht dauernd zu der aufbrausenden Sugar aus Manche mögen’s heiß hinüberzublicken. Fran Kubelik und C.C. Baxter aus Das Appartement tanzen zu einem postmodernen Jazzstück eng umschlungen in einem anderen Zimmer, während Norma Desmond aus Boulevard der Dämmerung die große Freitreppe herunterschreitet, um sich zu dem hartherzigen und ambitionierten Chuck Tatum aus Reporter des Satans zu gesellen. Und draußen in dieser Vollmondnacht, in einem Baum versteckt, hockt die liebeskranke Sabrina und beobachtet jede Bewegung in diesem Haus voller illustrer Charaktere in der Hoffnung, einen Blick auf David Larrabee zu erhaschen.

Was für ein Abend würde das sein! Und doch wäre die Chance gering, dass der Gastgeber sich blicken ließe, um Huldigungen entgegenzunehmen. Billy Wilder, der Meister der Leinwandgeschichten, gehört nicht zu denen, die gern Komplimente entgegennehmen. In den letzten zehn Jahren seines Lebens hatte er viel damit zu tun, pflichtbewusst Preise und Anerkennungen entgegenzunehmen, doch die Wahrheit ist noch viel »wilderesker«. All die Größen der Filmindustrie, die ihn ehrten, hätten ihre Zeit lieber dazu verwenden sollen, den großen Wilder für die Inszenierung neuer Filme zu engagieren. Was seine körperliche Kondition anbetrifft, so bewegt sich Wilder heute zwar vorsichtig, und manchmal nimmt er einen Stock zu Hilfe; dennoch erscheint er fast täglich in seinem Büro in Beverly Hills, liest, hält seine Kontakte zur Welt der Kunst aufrecht und informiert sich über die manchmal aufgeblasene zeitgenössische Filmware, der es traurigerweise oft an ausgeprägten Charakteren mangelt.

Billy Wilders Werk ist wie eine Schatztruhe voller Individuen aus Fleisch und Blut, die alle wunderbar lebendig sind. Sein Werk besteht aus einem bunten Kaleidoskop von Komödien, bei denen man vor Lachen vom Sitz fallen kann,

 

Hier einige Details aus einem erfüllten, kosmopolitischen Leben: Wilder wurde am 22. Juni 1906 in der polnischen Stadt Sucha geboren, die damals zu Österreich gehörte. Sein Name war Samuel, aber seine Mutter nannte ihn nur Billie. Sein älterer Bruder Wilhelm, genannt Willie, war 1904 geboren worden. Einige Jahre später zogen die Wilders nach Wien. Was danach geschah, wurde oft übertrieben oder beschönigt, erklärt sich aber am besten mit dem, was Wilder selbst in den Gesprächen dazu sagt. »Vieles, was da geschrieben wurde, ist falsch«, sagt er heute. »Damals haben sie [die Presse- und Public-Relations-Abteilungen der Studios; Anm. d. Ü.] solche Sachen erfunden.«

Unbestritten aber ist, dass Wilders kreatives Leben begann, als er in Wien als Zeitungsreporter arbeitete. Er ging auf in dieser Rolle und bekam schnell den Ruf, seine Ziele hartnäckig anzugehen. Im Juni 1926 reiste Wilder nach

Wilders Talent, die dunklen Seiten der Menschen mit Humor zu betrachten, entwickelte sich frühzeitig. »Zu Hause wurde ich geschlagen«, verkündet er nüchtern und charakteristischerweise ohne Larmoyanz. Aber sonstige Details aus seiner Kindheit bleiben in den Interviews Randbemerkungen. Bei gezielten Fragen konnte Wilder zurückhaltend und wortkarg sein. Er war dann schnell mit einem Scherz oder einem anderen Thema zur Hand.

1928 starb Wilders Vater in Berlin, wo er Billy bei einem Zwischenstopp nach einer Amerikareise besuchte. Wilders Mutter starb im Konzentrationslager Auschwitz. Er bekämpfte diese furchtbare Erinnerung, indem er seine Karriere mit beispielloser Intelligenz und Zielstrebigkeit verfolgte. Wilder blühte auf in Hollywood, dieser Weltmetropole eines erbarmungslosen Geschäfts, machte Filme und genoss alsbald den Ruf eines kreativen Genies, eines meisterhaften Regisseurs und eines Weltklassehumoristen, an dem andere immer gemessen werden. Er hat ein

 

1995 hatte ich gerade zwei Filme hinter mich gebracht und lange Jahre der Inspiration durch Billy Wilders Werk. Wie viele andere aufstrebende Regisseure unternahm auch ich die Pilgertour zu seinem Büro. Er kannte meine Arbeiten nicht und ich erwartete dies auch nicht von ihm. Ich brachte ein Plakat von Das Appartement mit und den Kopf voller Fragen. Ich hatte um ein Treffen mit ihm hart kämpfen müssen, das von meinem Agenten, Robert Bookman von CAA, der Wilder flüchtig kannte, arrangiert worden war. Ich kam einige Minuten zu früh vor dem Büro an, das in einem unscheinbaren Gebäude über einem Geschenkeladen auf dem Brighton Way in Beverly Hills lag. Drinnen rührte sich nichts. Ich blickte durch den Postschlitz und sah zwei dunkle Räume, die nicht mit Memorabilien vollgestopft waren, in denen nur einige Bücher standen und ein Schreibtisch voller Papiere.

Um die Zeit totzuschlagen, spazierte ich die nächsten zwei Stunden um den Block. Zwischendurch rief ich von

Ich erwähnte, dass wir für elf Uhr verabredet waren, und Wilder war überrascht. Er entschuldigte sich sofort. Er wisse nichts von einer Verabredung, sagte er und bat mich die Treppe hinauf. »Kommen Sie mit, und ich signiere das Ding.«

Während wir die Stufen hinaufstiegen, ging er im Kopf die Termine der Woche durch. Nein, kein geplantes Treffen mit einem Cameron Crowe. Er schloss das Büro auf und bat mich hinein. Ein Foto von Marlene Dietrich hing an einem Pinboard, an der Wand eine Fotocollage von David Hockney, die Wilder und seine Frau Audrey zeigte. Ein Eisenstein-Porträt; ein gerahmtes Foto mit Wilder neben Akira Kurosawa und Federico Fellini. Und über der Tür das berühmte Schild, von dem ich gelesen hatte, das von Saul Steinberg stammte: WIE HÄTTE LUBITSCH ES GEMACHT?

Er hörte sich die Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter an, während ich mich ihm gegenüber hinsetzte. Er war noch nicht bis zu meinen Botschaften vorgedrungen. Er hörte gerade dem Anruf eines Redakteurs der Los zu, der mit schneller und tonloser Stimme erklärte, er hätte eine Frage zum Thema Oscar und seine Deadline sei jetzt. Dann ratterte der Anrufer seine Telefonnummer herunter, die Wilder zunächst brav aufzuschreiben versuchte. Nach drei Ziffern gab er auf und legte den Federhalter hin. »Dich werde ich nicht zurückrufen«, erklärte er dem Anrufbeantworter. Dann wandte er sich mir zu. »Was kann ich für Sie tun?«

Wilder hörte geduldig zu, als ich ihm von meiner Wertschätzung für sein Werk erzählte. Zuerst beantwortete er meine Fragen routiniert, dann brüsk, dann etwas munterer und schließlich vergnügt. Er erzählte Geschichten, die wie Geheimnisse klangen, auch wenn sie keine waren, und verbrachte fast eine Stunde damit, über seine Regie- und Besetzungsmethoden zu sprechen. Wilder betonte, wie wichtig die Besetzung ist, und führte als Beispiel Cary Grant an – sein Lieblingsfall einer verpassten Gelegenheit. Er hatte Grant in Sabrina und später in Ariane – Liebe am Nachmittag besetzen wollen, aber es war ihm nicht gelungen, ihn zu verpflichten. Schließlich nahm Wilder den Federhalter, um mein Plakat zu signieren. Wilder betrachtete es wie einen alten Freund. »Das Appartement«, sagte er. »Guter Film.«

»Mein Lieblingsfilm«, sagte ich.

»Meiner auch«, sagte er, und es klang, als sei die Entscheidung jetzt endgültig. »Wir hatten die richtigen Schauspieler. Es funktionierte.« Er machte eine Pause. »Mir fällt nichts Lustiges ein, was ich auf Ihr Plakat schreiben könnte.« Er signierte mit seinem Namen und dem Datum. Als er mich zur Tür brachte, erklärte ich ihm, es würde mich freuen, wenn er in meinem dritten Film, Jerry Maguire, dessen Drehbuch gerade fertig geworden war, eine kleine Rolle übernehmen würde. Er schlug vor, ich solle ihn kurz vor Drehbeginn anrufen, und erinnerte daran, dass er kein Schauspieler sei. »Es ist nur eine kleine Rolle«, sagte ich,

»Nur eine kleine Rolle?«, wiederholte er. »Dann mache ich es keinesfalls

Er ging zur Toilette am Ende des Flurs, und als ich aufbrach, erwähnte er noch einmal, ich sollte ihn wegen der Rolle anrufen. Als er in der Tür zur Toilette stand, sagte er: »Cameron. Das ist ein guter Name. In Deutschland gibt’s nur zwei Namen. Hans … und Helmut. Guten Tag.« Ein amüsanter Scherz, stilvoll angebracht. Er verschwand in der Toilette. Ich ging – und hing jetzt fest an einer kreativen Rakete.

Monatelang erzählte ich Freunden, ich hätte mit Billy Wilder Verhandlungen über eine Rolle in meinem Film aufgenommen. Ich hatte ihn sogar für die erste Szene am ersten Drehtag eingeplant. Wilder sollte mir Glück bringen.

Es gab nur ein Problem – ich konnte ihn nicht erreichen. Ich rief seinen Agenten an, der sich tatsächlich daran zu erinnern schien, dass Wilder das Rollenangebot erwähnt hatte. Aber ansonsten hatte er von Wilder nichts mehr darüber gehört. Als der Drehbeginn näher rückte, postierte ich einen Assistenten vor dem Gebäude, in dem sein Büro lag. Er sollte sofort anrufen, wenn er den Meister erspähte.

Gegen Ende 1995 begannen die Proben mit Tom Cruise, Cuba Gooding jr. und Bonnie Hunt, die jetzt alle für Jerry Maguire besetzt waren. Der Anruf kam. Wilder war in seinem Büro. Ich rief an und er nahm gleich den Hörer ab.

»Mr. Wilder, hier ist Cameron Crowe. Wir haben darüber gesprochen, dass Sie in meinem Film eine Rolle übernehmen.«

»Lassen Sie mich in Ruhe!«, schnauzte er. »Ich bin ein alter Mann. Ich bin kein Schauspieler, und ich werde nicht in Ihrem Film auftreten.« Der große Billy Wilder hängte ein.

Nur Minuten später tapste ich mit Tom Cruise über die

Wilder öffnete die Tür zu seinem Büro und äußerte seine Bestürzung darüber, dass wir unverabredet gekommen waren. Dennoch bat er uns herein. Nach fast einer Stunde, in der wir unseren Fall vorgetragen und über den Film gesprochen hatten, sagte er immer noch Nein. (»Ich weiß, was ich kann, und ich weiß, was ich nicht kann … Ich würde Ihren Film bloß ruinieren. Es würde ganz einfach schlecht sein. Suchen Sie jemand anderen. Ich wäre linkisch, ich wäre nicht ich selbst.«) Cruise beugte sich vor, ließ seinen Charme spielen und erklärte Wilder, seine Mitwirkung sei essenziell. Er sagte immer noch Nein. Ich erinnerte ihn an seine eigene Enttäuschung mit Cary Grant und erklärte, ich könne meinen Traum von der Idealbesetzung dieser Rolle nicht aufgeben. Wilder sah mich an – genauer gesagt, durch mich hindurch. Ich fühlte mich wie ein Heuchler und Schmeichler. Das Traurige daran war, dass ich jedes Wort ernst meinte.

Er plauderte mit Cruise über Sabrina, Ninotschka und Boulevard der Dämmerung, nahm mit mathematischer Präzision die Handlung unseres Films auseinander und wandte sich schließlich an mich, um mir eine persönliche Frage zu stellen.

»Ist dies Ihr erster Film?«

»Der dritte.«

»Haben Sie je daran gedacht, aufzugeben?«

»Ja«, sagte ich, zutiefst aufrichtig angesichts der persönlichen Frage.

Er nickte. Ich hatte falsch geantwortet, natürlich, und ich wusste es sofort. Ich war beim Ein-Fragen-Test für Regisseure durchgefallen. Vielleicht war es auch eine

Schließlich standen wir auf, um zu gehen.

»Es war eine Freude, Sie kennenzulernen, und Sie auch«, sagte er mit förmlicher Höflichkeit. Sein Blick wanderte über mich hinweg zu Tom Cruise. »Besonders Sie.«

Ich verließ das Büro und setzte mich mit Cruise ins Auto. Ich hatte gerade einen der größten Stars der Welt mit etwas bekannt gemacht, mit dem er nicht sonderlich vertraut war: Misserfolg. Das war ganz und gar nicht das, was ich mir für den ersten Probentag vorgestellt hatte. Wir fuhren schweigend zurück, setzten die Proben fort, drehten den Film und erwähnten Wilder alle zwei Wochen einmal. Seine Ablehnung hing noch Monate später in der Luft, als bitterer Scherz zwischen Cruise und mir. Hin und wieder zitierte ich den bissig-witzigen, wilderesken Abschied nach dem gescheiterten Treffen. »Es war eine Freude, Sie kennenzulernen, und Sie auch. Besonders Sie.« Wir lachten jedes Mal. Gequält.

Im Februar 1997 lief Jerry Maguire schon seit einigen Monaten in den Kinos. Rolling Stone hatte ein Tagebuch über die Entstehung des Films veröffentlicht, das auch die Episode mit Wilder enthielt. Dann landete ein Fax von Karen Lerner in meinem Büro. Sie war eine langjährige Freundin von Billy und Audrey Wilder. Karen war den Wilders zum ersten Mal in den frühen Sechzigerjahren

Lerner gab so schnell nicht auf, erzählte mir, dass Wilder das Tagebuch auch gelesen und es ihm Spaß gemacht hatte. Wilder bot an, ein Zeitschrifteninterview mit mir zu machen – er gab zu dieser Zeit kaum Interviews –, und Karen schlug vor auszuprobieren, ob es mit der Chemie klappte. Wenn ja, dann könnte man die Interviews in Buchform herausbringen. Ich sollte mit ihm am Ort meines ersten Misserfolgs zusammentreffen, und wir könnten damit anfangen, über zwei Filme zu sprechen, an die Wilder sich gern erinnerte – Frau ohne Gewissen und Das Appartement. Alles sah nach einer Übung in Sachen Masochismus aus. Ich musste mit einem neuen Drehbuch beginnen. Ich hatte keine Zeit. Es wäre wohl das Beste, ich würde dies unter der Rubrik »seltsame Ereignisse« ablegen und als einen ironischen Dreh verbuchen, als eine Laune des Meisters, auf die ich klugerweise nicht eingehen sollte.

Ich unternahm sofort alles, um mich mit ihm zu verabreden.

Ich fummelte an meinem Aufnahmegerät herum, testete das Mikrofon, aber Wilder war schon munter bei der Sache. Er war neunzig damals, und ich hatte Mühe, mit seinem Tempo mitzuhalten. Und doch gab es, wie in Wilders besten Werken, gleich am Anfang des ersten Akts ein Hindernis. Wie ich bald feststellen sollte, war der Weg zu diesem Interviewbuch mit den Opfern gepflastert, die es vor mir versucht hatten.

Wilder wollte kein weiteres Buch über sich veröffentlicht sehen. Mit früheren Büchern war er unzufrieden – er hielt sie für ungenau und, was noch schlimmer war, für langweilig. Kürzlich hatte ein Versuch mit einem deutschen Autor damit geendet, dass das Buch nur in Deutschland herauskam. Wilder betrachtete es als uninteressant für amerikanische Leser. Frühere Anfragen zu einem Frage-und-Antwort-Buch waren jahrelang abgelehnt worden, und überhaupt war es nur wenigen Journalisten gelungen, seine Worte gedruckt zu veröffentlichen – diese komplexe Mischung aus mitteleuropäischem Ausdruck, amerikanischem Slang und einem tödlich trockenen Humor. Es gibt kaum etwas Lustigeres als Wilders Pokerface. Er selbst lacht selten über seine eigenen Scherze, aber er beobachtet dein Lachen mit

Kolumne? Ich schrieb keine Kolumne.

Er griff in eine Schublade, setzte eine andere Brille auf. Vorsichtig, mit langen eleganten Fingern, von denen einer sich wegen seiner Arthritis zur Seite bog, rückte er eine durchsichtige Dose Tic Tac vor sich zurecht. Der Schreibtisch war voller Papier – Briefe aus aller Welt, Einladungen zu Filmfestivals, Telefonnummern – und an der Seite der Anrufbeantworter sowie ein Telefon, das er benutzte, wenn er im Büro war.

Bei unserem ersten Interview hatte ich nach einer halben Stunde ein Déjà-vu-Erlebnis. Ich hatte alle Bücher über Wilder gelesen und auch viele Interviews. Aber bei diesem Gespräch gab es einen schönen Unterton, schimmerte eine Lebensperspektive durch, die seinen ohnehin genauen und witzigen Beobachtungen eine neue Dimension hinzufügte. Die geschätzte Anwesenheit von Karen Lerner bei unserer ersten Runde von Interviews trug dazu bei, die Atmosphäre aufzulockern. Am Anfang unserer Gespräche standen viele Anekdoten, von denen mir einige bekannt waren, aber mein journalistischer Ehrgeiz hielt mich dazu an, tiefer zu graben, weiter zu gehen – das Interview zu bekommen, das Wilder nie gegeben hatte. Das war der wildereske Aspekt dieses Nachmittags. Während ich zu Hause sein sollte, um mein neues Drehbuch zu schreiben, hatte ich mir jetzt zum Ziel gesetzt, Wilder zu einem Projekt zu überreden, das er hartnäckig ablehnte.

Ich saß an diesem sonnigen Nachmittag Billy Wilder gegenüber, und wir sprachen über einige der größten

Von seinen Zeitgenossen aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts ist Billy Wilder der einzige, der noch lebt. Sein Gedächtnis ist einwandfrei, und nur selten benutzte er in unseren Gesprächen die Entschuldigung, sich nicht erinnern zu können. Er denkt immer noch über seine Filme nach, trauert immer noch über vermasselte Dialoge und verpasste Gelegenheiten. Das ist bemerkenswert, und es macht klar, was dieser Job wirklich bedeutet. Werde Regisseur, und auch du wirst – im besten Fall – dich noch nach sechzig Jahren über Kleinigkeiten aufregen. Er ist obendrein ein nüchterner Betrachter von Filmen und des Filmgeschäfts – obwohl er selten das Wort film oder cinema benutzt. Er schaut sich viele der neuen Filme an, meist im privaten Vorführraum seiner Freunde Richard und Barbara Cohen. Pictures lautet das Wort, das Wilder gewählt hat für die Erzählungen auf Zelluloid, mit denen er sich die meiste Zeit seines Berufslebens befasst hat. Dass Wilder sich selbst nicht wichtig nimmt, kommt so gut wie gar nicht vor in diesen Multimedia-/Event-/Hier-komme-ich-Zeiten.

Ich sah zu, wie er die weißen Tic Tac aß und höflich und manchmal behutsam auf meine vielen detaillierten Fragen reagierte. Ich wusste, es würde nicht einfach werden. Er gestattet sich keinerlei Gefühlsduselei. Nicht immer verstand er meinen Slang, und ich verlor manchmal den Faden, weil er von einer Ära zur anderen sprang, fast durch ein ganzes Jahrhundert Arbeit. Schließlich war er ja einmal Tänzer gewesen. Und dann neigte er immer wieder dazu, sich in die berühmten Anekdoten zu flüchten, die über Jahre hinweg zurechtgeschliffen worden waren, während er sie seinen Dinnergästen erzählte und sie damit bezauberte. Einige Fragen mussten mehrmals wiederholt werden; es

 

26. Mai 1998

Cameron Crowe