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Titel der amerikanischen Originalausgabe:
Money, Spirituality, Consciousness

Ebook_Ausgabe 2016
Übersetzung: Thekla Clemens
Titelgestaltung: Silke Bunda Watermeier, www.watermeier.net
Coverfoto: © Jürgen Fälchle - Fotolia.com
Copyright© 2014, Innenwelt Verlag GmbH, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe, auch auszugsweise,
nur mit Genehmigung des Verlags
www.innenwelt-verlag.de

ISBN 978-3-942502-76-4

MAYURI ONERHEIM

GELD&

BEWUSSTSEIN

Unser subjektives Verhältnis
zu Geld verstehen

Eine Einladung zur Selbsterforschung

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Kap. 1Warum Selbsterforschung?

Kap. 2Was ist eigentlich Geld?

Einstellungen und Glaubenssätze über Geld

Kap. 3Geist und Materie

Kap. 4Wo stehe ich?

Wie man sein Geld gut verwaltet

Kap. 5Schulden

Kap. 6Genug haben

Kap. 7Die Regeln des Investierens

Kap. 8Hindernisse beim verantwortungsvollen Investieren

Kap. 9Spirituelle Finanzplanung

Kap. 10Geld und das Herz

Anhang: Die Autorität des inneren Kritikers infrage stellen

Danke

Über die Autorin

Meinem geliebten Meister Osho gewidmet,
der mir gezeigt hat, wohin ich gehe

und

meinem Lehrer A.H. Almaas (Hamid Ali),
der mir zeigte, wie ich dahin komme.

Vorwort

ES HAT LANGE GEDAUERT, BIS MIR DIE MACHTVOLLE VERBINdung zwischen Geld und dem spirituellen Weg bewusst wurde, Jahrzehnte. Am Anfang konnte ich mir gar nichts Widersprüchlicheres vorstellen.

Im Januar 1985 verließ ich einen gut dotierten Job bei einer der größten Wirtschaftsberatungsfirmen in den USA, um mitten in der Wüste Oregons in der Kommune von Osho zu leben. In jenen Tagen war es nicht leicht, einen lebendigen spirituellen Meister in seiner Nähe zu finden. Es bedeutete, seine Familie, Freunde, das Zuhause und seine Arbeit hinter sich zu lassen. Osho lehrte den „neuen Menschen“, der wie Zorba der Grieche durch die Welt tanzen, aber gleichzeitig auch ein Meditierender, ein Buddha sein konnte. Mir kam es allerdings so vor, als hätte ich nur zwei Möglichkeiten: entweder in der Welt sein und Geld verdienen oder mit meinem Meister zu sein. Für eine Weile pendelte ich also zwischen diesen Welten hin und her. Ich arbeitete, bis ich genug Geld zusammenhatte, verbrachte dann so viel Zeit wie möglich in Oshos Gegenwart, um dann wieder zu arbeiten, wenn das Geld alle war.

Irgendwann wurde mir klar, was ich eigentlich wollte: dieser „neue Mensch“ werden, von dem Osho sprach! Ich wollte mich als ganzheitliches Wesen erleben, nicht als jemand, dessen Körper und Seele getrennt voneinander sind. Ich wollte kein Mensch mehr sein, der entweder in dieser oder in jener Welt lebte. Ich wollte in dieser Welt leben, die gleichzeitig jene beinhaltete und nur eine Religion hat – Bewusstheit – ohne jegliche Spaltung. Oshos Worte riefen etwas Tiefes in mir wach: „Zorba, der Buddha, ist die Lösung. Er ist die Synthese von Geist und Materie. Es gibt keinen Konflikt zwischen Materie und Bewusstsein – wir können reich in beidem sein. Wir können alles haben, was die Welt uns zur Verfügung stellt, was Wissen schaft und Technik erreicht haben, und wir können auch all das haben, was ein Buddha, ein Kabir, ein Nanak in ihrem Inneren gefunden haben – die Blumen der Ekstase, den Duft von Göttlichkeit, die Flügel der absoluten Freiheit. (1)

Etliche Jahre später sagte Osho seinen Anhängern, es sei besser, in der Welt zu leben, aber von Zeit zu Zeit zu ihm nach Indien zurückzukehren, wohin er nach Jahren in den USA zurückgegangen war. Hier sei es uns möglich, tief aus der Quelle zu trinken, und Unterstützung für den „neuen Menschen“ zu finden. Ich wollte damals nicht nach Kanada, aber als Osho 1990 seinen Körper verließ, wurde ich in die Welt zurückge worfen. Diesmal ging ich mit meinem Mann Allen, den ich in Indien kennengelernt hatte, nach Marin County in Kalifornien. Damit konfrontiert, meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, arbeitete ich wieder als Steuer- und Wirtschaftsberaterin. Da Osho immer wieder die Wichtigkeit betonte, von lebenden Meistern zu lernen, fing ich an, mich nach einem neuen spirituellen Lehrer umzuschauen. Während der nächsten sechs Monate gab mir jemand ein Buch von A. H. Almaas. Was er schrieb, berührte mich und ich sah das obige Zitat als göttliche Fügung, meinen neuen Meister gefunden zu haben. So wurde ich Schülerin in der Ridhwan-Schule von Almaas in Berkeley. (2)

Meine Erfahrung mit Geld und Spiritualität waren jetzt Teil meiner persönlichen Lebensgeschichte. Dennoch ging ich noch immer davon aus, dass das Geldverdienen nur dazu da war, um meine eigentliche innere Reise, meine Wochenendgruppen und Zusammenkünfte der Ridhwan-Schule, zu finanzieren.

Aber die Arbeit der Ridhwan-Schule, auch Diamond Approach genannt, stellte diese Trennung infrage. Ihr Ansatz ist es, Themen des alltäglichen Lebens als Ausgangspunkt für die Selbst erforschung zu nutzen. Es geht darum, die Wahrheit über unsere uns innewohnende Spiritualität – unsere wahre Natur – zu erkennen, um sie in der Welt auszudrücken und zu leben.

Nach Jahren der Selbsterforschung wurde mir die Trennung, die mein Kopf zwischen diesen Welten machte, immer mehr bewusst. Ich gab irgendwann meine Tätigkeit als Steuerberaterin ganz auf, um Lehrerin der Ridhwan-Schule zu werden. Hier arbeitete ich mit Einzelnen und mit Gruppen, um Menschen in ihren Be wusst heitsprozessen zu unterstützen.

Ab und zu packten mich Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung, vor allem, wenn alte Kunden mich anriefen und mir sagten, wie sehr sie vermissten, jemanden an ihrer Seite zu haben, der etwas von Geld versteht. Als ich über ihre Worte nachdachte, wurde mir klar, wie dankbar ich war, dass ich ihnen den Zusammenhang zwischen Geld und ihrem Privat- und Berufs leben sichtbar machen konnte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich 25 Jahre Berufserfahrung in einem Bereich, der den meisten Menschen Schwierigkeiten bereitet und den sie oft als verwirrend oder als sehr schmerz besetzt erleben. In unserer Gesellschaft bekommen wir beim Heranwachsen wenig oder kaum Gelegenheit, ein Bewusstsein über Geldange legenheiten zu entwickeln, weder in der Aus bil dung noch im Alltag. Wenn wir also nicht gerade Wirt schafts wissenschaften studieren, lernen wir an der Uni oder an der Schule nicht viel darüber. Dabei spielt Geld eine so wichtige Rolle im Leben. Aus diesem Grund wuchs in mir die Idee, dass ich dazu beitragen könnte, Menschen mehr über Geld zu lehren, mehr noch: Über Geld und Spiritualität Kenntnisse zu vermitteln war Teil meiner eigenen Reise – ein natürlicher Ausdruck dessen, was ich über diese scheinbar getrennten Welten gelernt hatte. So begann ich im Rahmen der Ridhwan-Schule, Gruppen anzubieten, die sich mit den spirituellen und praktischen Aspek ten von Geld beschäftigten.

Das Ziel dabei war, die finanzielle Welt zu entmystifizieren, um sie verständlicher und zu gänglicher zu machen, Vor stellun gen und Glaubens sätze über Geld neu zu definieren, damit der Umgang mit Geld als Unterstützung im Leben erfahren wird und nicht als Stolperstein oder eine Quelle ständiger Frustration. Ich hoffte, den Umgang mit Geld zu mehr als einem nützlichen Werkzeug zu machen. Er sollte Teil des kreativen Ausdrucks unseres Selbst sein, unserer Einzig artigkeit in dieser Welt.

Es dauerte nicht lange und ich war mit dem gesamten Spek trum konfrontiert, das Menschen um das Thema Geld herum haben. In den Workshops und Einzel sitzungen kristallisierte sich schnell heraus, dass fast alle damit Probleme haben – unabhängig vom Alter oder von ihrer finanziellen Situation. Alle mög lichen Glaubenssätze, Einstellungen und Gefühle kamen zum Vor schein und die verhinderten, dass Menschen sich den Stellen wert des Geldes in ihrem Leben oder den Nutzen oder auch den Missbrauch damit objektiv anschauen konnten.

Diese Erkenntnis bestärkte mich darin, dass meine Seminare fundamentale Fragen über Geld behandeln sollten. Fragen, die auch du dir vielleicht schon gestellt hast:

Wie kann ich objektiver, klarer mit Geld umgehen?

Wie kann ich in der Welt sein und dennoch den spirituellen Weg beschreiten?

Wie kann ich die Kluft zwischen diesen Welten überbrücken und die Gespaltenheit in mir heilen?

Wie halte ich die Waage zwischen meinen weltlichen und spirituellen Bedürf nissen?

Anstatt also über Finanzen als etwas vom spirituellen Leben Getrenntes zu unterrichten, entdeckte ich viele Wege, die beiden zu verknüpfen und die Grundlage dafür zu legen, dass Menschen eine direkte Erfahrung damit machen konnten. Die Methode der Selbsterforschung, die im Mittelpunkt des Diamond Approaches steht, spielt dabei eine wesentliche Rolle. In Verbindung mit praktischen lebensnahen Übungen geht es darum, die Trennung in unseren Köpfen aufzulösen und wieder zu einem Ganzen zu werden. Wenn wir mithilfe dieses Buches unsere Einstellungen und Hemmnisse in Bezug auf Geld durcharbeiten, werden wir feststellen, dass Geld eine einigende Kraft zwischen diesen Welten sein kann.

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum es mir gefällt, Menschen ein besseres Verständnis über den Umgang mit Geld zu vermitteln und ihre eingefahrenen Vorstellungen und Glaubens sätze zu hinterfragen: Wenn wir unsere spirituelle Natur wieder entdecken, werden auch wir zu bewussteren, verantwortungsvolleren Wesen, die niemandem Schaden zufügen wollen . Wir werden dankbar sein, zu einer gerechteren, ökologisch nachhaltigeren Welt beizu tragen. Wir können die Welt nicht verändern, wenn wir nicht unser Bewusstsein ändern. Wie so vielen anderen ist auch mir klar geworden, dass die Weiterent wicklung des Bewusstseins auf unserer Erde in eine neue Phase eingetreten ist. Es ist Zeit, unsere eigene Göttlichkeit zu erkennen – als Ausdruck dieses Absoluten, das wir alle sind.

Dieses neue Bewusstsein willkommen zu heißen bedeutet, Verant wortung für unser Leben zu übernehmen, uns nach innen zu wenden und in tieferen Kontakt mit unserem wahren Selbst zu kommen – der Liebe in uns, mit dem, was wir wirklich sind – ein Spiegelbild Gottes.

In unserer Einstellung zum Geld tragen wir diese veränderte Sichtweise in die Welt hinein. So wie innen, so auch außen. Auf diese Weise verändern wir das Bewusstsein über Geld auf dieser Welt und führen es wieder seinem eigentlichen Stellenwert zu. Um es in den Worten von Sri Aurobindo zu sagen, führen wir Geld wieder seiner göttlichen Bestimmung zu. Osho beschreibt es als den „neuen Menschen“.

Anmerkungen:

(1) Osho, Der Rebell

(2) Diamond Approach, Ridhwan Diamond Approach und Ridhwan sind eingetragene Handelsmarken der Ridhwan Foundation.

Einleitung

ICH KÖNNTE DIESES BUCH EINFACH DAMIT BEGINNEN, DIE VIElen Gründe aufzuzählen, warum Geld zu diesem Zeitpunkt in der menschlichen Geschichte wichtiger ist denn je. Geld spielt nämlich in fast allem, was wir tun, eine Rolle und es berührt so alle Bereiche unseres Lebens. Ich könnte anhand von Statistiken und Beispielen aufzeigen, wie Schulden die privaten Haushalte kaputtmachen und wie Staatsschulden unser persönliches und staatliches Vermögen aushöhlen. Es stimmt auch, dass die Ölreserven beinah ausgeschöpft und dass viele Reichtumsträume geplatzt sind. (1)

Meiner Meinung nach ist jedoch die größere Herausforderung für all jene, die sich mit Geld, Liebe und Bewusstsein beschäf tigen, die, dass wir uns im Allgemeinen gar nicht damit auskennen, obwohl es eine so wichtige Rolle spielt. Deswegen beeinflusst diese Unbe wusst heit auf vielfältige Art und Weise unser Leben und bestimmt es sogar.

Manche von uns denken bestimmt, dass bis auf das Geld in ihrem Leben doch alles gut läuft. Aber genau diese Fehlein schätzung macht den Unterschied zwischen einem selbstbestimmten und einem fremdbestimmten Leben aus. Wenn wir keine Ver an t wortung in Geldangelegenheiten übernehmen, können wir nicht wirklich frei sein. Wir müssen Wahrheit und Integrität auch in diesen Bereich des Lebens bringen.

Bevor wir in die Themen einsteigen, möchte ich ein paar Fragen stellen:

Wie viel Prozent deines Tages verbringst du direkt oder indirekt mit Geldangelegenheiten?

Ist dir bewusst, wie dein Umgang mit Geld von deinen Erfahrungen in der Kindheit beeinflusst wird?

Glaubst du, dass Geld Wertschätzung, Sicherheit und Glück bringt?

Herrscht in deinem finanziellen Leben vielleicht Angst, Mangel oder Knappheit?

Hat Liebe etwas mit Geld zu tun? Und warum ist das wichtig?

Wie informiert (aufgeklärt) bist du im Allgemeinen über deine Finanzen und wie managst du dein eigenes Geld?

Wenn du die letzte Frage so beantwortet hast: „Nicht so sehr, wie ich es gerne hätte, ich könnte Hilfe gebrauchen“, dann bist du damit nicht allein. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit eine Studie entdeckt, die zeigte, dass die Mehrzahl der Menschen nicht wissen , was Zinseszins ist, und ihnen auch nicht klar war, dass Zins einkommen aus Geldanlagen versteuert werden müssen.

Dieser Tage werfen Banken, Investoren und die Medien mit Worten wie „Hedgefonds“ und „Derivate“ um sich, Begriffe, die schwer zu verstehen sind, selbst von denen, die täglich damit zu tun haben. Wie soll dann der Durchschnittsmensch sie verstehen? Wenn du dies also liest und dir sagst, dass diese höheren Ebenen der Finanzen für dich nicht wichtig sind, da du eh kein Geld zum Investieren hast oder du finanziell gerade so über die Runden kommst, dann hältst du dich damit be grenzt.

Ohne dein Wissen über die Dynamik des Geldes zu erweitern, kannst du die lokale, nationale oder globale Welt wirt schaft, die um dich herum herrscht, nicht verstehen. Wie könntest du herausfinden, wer die Wahrheit sagt?

Wenn du dich aus der Ver ant wortung stiehlst, über deine Finanzen im Bilde zu sein, entziehst du dich und nimmst deinen Beitrag in dieser Welt nicht ernst. Du musst dich für dein mangelndes Interesse oder mangelnde Kenntnisse darüber nicht verurteilen. Es gibt gute Gründe, und es geht vielen so. Denn den meisten wurde nicht beigebracht, wie sie mit Geld umgehen sollen . Und keiner hat uns gesagt, dass wir durch unseren Umgang mit Geld etwas über uns selbst lernen können.

Das Buch kann dir also im täglichen Umgang mit Geld eine Hilfe sein und du wirst sehen, wie sich in Geld angelegenheiten andere Themen deines Lebens widerspiegeln. Es soll dir auch zeigen, dass Geld eine Hilfe auf der spirituellen Reise zu dir selbst sein kann. Je bewusster wir mit unseren Geld ange legen heiten umgehen und unser Sein in diese Welt einbringen, desto freier können wir werden. Diese Freiheit macht den Unter schied aus! Wenn wir nämlich verantwortlich mit Geld umgehen, dann kann Geld wieder seiner wahren Be stimmung zugeführt werden: eine Unterstützung dessen zu sein, was wir wirklich sind, und ein Vermächtnis, das jeder von uns dieser Erde hinterlassen kann.

An diesem Punkt in unserer Menschheitsgeschichte wird auch klar, wie wichtig es ist, die Dynamiken des Geldflusses zu ver stehen: Wir sind inmitten einer der größten politischen und finanziellen Krisen unserer Zeit, vielleicht einer der größten Krisen der letzten hundert Jahre. Die Bewegung geht hin zur Globalisierung, aber diese geschieht ohne politisches Bewusst sein, ohne unsere Beteiligung daran, was auf wirtschaftlicher Ebene entschieden wird. Stattdessen gibt es eine Geld-Oligarchie, d. h., die wirtschaft liche Macht liegt in den Händen weniger, die nicht unsere Interessen im Herzen haben.

Es scheint so, als ob wir immer mehr auf uns selbst gestellt sind. Wir sind am Anfang eines großen Paradigmenwechsels und dementsprechend am Beginn einer neuen Lebensreise, sowohl wir persönlich als auch die gesamte Menschheit. Schon aus diesem Grund macht es Sinn, dass wir über die Rolle des Geldes in unserem Leben Klarheit bekommen und dafür Verantwortung übernehmen. Unser Bewusstsein oder unser mangelndes Bewusstsein wird einen Einfluss darauf haben, wie die neue Ära des Geldes aussehen kann.

Wie man von diesem Buch profitieren kann

Unsere menschliche Suche gilt der Freiheit. Ohne frei zu sein, können wir nicht wirklich zufrieden sein. Wir können so viel Geld haben, wie wir wollen, und sind dennoch nicht frei. Deshalb ist es wichtig, die Barrieren zwischen finanzieller und spiritueller Freiheit abzubauen. Ob du nun zwanzig bist und das erste Mal mit Geldangelegenheiten kämpfst oder es schon dein ganzes Leben lang tust, spielt dabei keine Rolle. Ein guter Um gang mit Geld wird sich auf alle Bereiche deines Lebens auswirken.

Die Themen, die wir erforschen werden, sind: unsere persönliche Geschichte, unsere Einstellungen, Glau bens sätze und unser Verhältnis zu Geld; der Einfluss der west lichen Geschichte und Kultur; praktische Aspekte von finan zieller Verantwortlichkeit. Die Beziehung zwischen Liebe und Geld – ein Thema, das normalerweise in Büchern über die persön liche Finanzsituation oder die Gesamtwirtschaft un b e handelt bleibt. Jedes Kapitel gibt eine kurze Erklärung des Themas, oft mit Beispielen oder persönlichen Geschichten, und beinhaltet eine Reihe von Übungen, die das Thema verdeut lichen und erfahrbar machen.

Du und ich werden den Kapitalismus oder die Weltwirtschaft nicht reformieren, aber durch unsere Einsichten können wir einen Beitrag leisten und zu etwas mehr Vernunft und Klarheit beitragen. Ich behaupte mal, dass sich am Ende dieser Reise viele Nebel lichten werden und du klare finan zielle Entscheidungen treffen kannst. Und du wirst wissen, was zu tun ist, um noch mehr Freiheit zu gewinnen. Ich lade dich dazu ein, dich auf diesen Prozess wirklich einzulassen. Du wirst eine Unter suchungs methode des Diamond Approach kennenlernen, die A.H. Almaas „Selbst er for schung“ – Inquiry – nennt. (2).

Diese spiri tuelle Heran gehensweise kann unser innerstes Wesen er schließen und unser Leben transformieren, sodass wir in der Welt zum wahren Ausdruck unserer selbst finden. Da die Me tho de der Selbsterforschung so wesentlich für alle Übungen in diesem Buch ist, fangen wir im ersten Kapitel damit an. Es bildet die Grundlage für alle weiteren Kapitel.

Die Übungen, die ich ausgewählt habe, können starke Ge fühle und Reaktionen hervorrufen oder hinterfragen, wie du dich selbst siehst und wer du wirklich bist. Es ist beabsichtigt, deine unbewuss ten Gefühle, Emotionen, Einstellungen und Muster über Geld zu erkennen und in eine fruchtbare Ausein an der setzung damit zu gehen, die dein Leben verändern kann. Wenn du dich darauf einlässt, wirst du größere Klarheit über deine Geldan gelegen heiten gewinnen und wie du in der Welt agierst. Die Übungen und Fragebögen, bei denen es um deine persönliche Finanzplanung oder Inves ti tio nen geht, sind ebenso wichtig. Wir können die Rolle, die das Geld in unserer Welt spielt, nicht wirklich verstehen, wenn wir nicht begreifen, was Geld eigentlich ist, wie es funktioniert und wie es benutzt wird.

Mein Vorschlag ist, das Buch zu lesen, die Übungen aber mit Partner, Freunden oder Kollegen zu machen. Du könntest die Übungen auch mit einer Gruppe machen. Der Vorteil liegt einmal in der Unterstützung, die man bekommt, wenn man feststeckt, und im Austausch mit anderen, die das gleiche Ziel haben.

Du kannst dieses Buch aber auch allein durchar beiten. Benutze dann einfach ein Heft, um deine Antworten und Ein sichten aufzuschreiben. Wenn du in einer Beziehung bist, dann ist es wichtig, diese Reise über das Thema Geld gemeinsam zu unternehmen. Denn jede Beziehung ist auch ein kleines Wirtschafts unternehmen. Selbst wenn einer der Partner für die täglichen Geldangelegenheiten zuständig ist oder einer mehr verdient, so ist es doch wichtig, dass beide sich über Ziele und wie das Geld ausgegeben werden soll, einig sind. Hier am gleichen Strang zu ziehen, kann viele Konflikte verhindern, nicht nur, wenn du die Übungen des Buches machst, sondern auch im Alltag.

Unabhängig vom Inhalt der Kapitel oder in welchem Tempo du vorgehen möchtest: Finde deinen eigenen Rhythmus und mache auch dann weiter, wenn es schwerfällt.

Die Beispiele in diesem Buch sind aus den USA, das hat damit zu tun, dass ich dort lebe und arbeite. Ein weiterer Grund dafür ist, dass die USA wegen ihrer Größe und militärischen Präsenz in der Welt einen großen Einfluss auf das Welt wirtschaftssystem haben. Wo auch immer du lebst, werden die Politik, die Kultur und die Wirtschaft der USA auch dich tangieren.

Einige der Informationen und Übungen in diesem Buch basieren auf der Arbeit von Menschen, die ich bewundere und respektiere. Wo das der Fall ist, habe ich sie direkt erwähnt, damit du sie im Originaltext lesen kannst, wenn du dich tiefer mit den Themen auseinandersetzen möchtest. Da ich mich mit diesem Thema viele Jahre beschäftigt habe und viele Dinge, die ich gelesen oder gehört habe, in mich einge flossen sind, ist es manchmal nicht möglich, alles und jeden zu er wäh nen, von dem ich gelernt habe. Wenn euch so etwas auffällt , bitte sagt es mir, damit ich in der nächsten Auflage eine entsprechende Korrektur vornehmen kann.

Geld als spiritueller Reiseführer

Ein Freund, der einen frühen Entwurf dieses Manuskriptes ge lesen hat, fragte mich, ob es in dem Buch um die spirituelle Selbsterforschung geht oder darum, Geld zum Thema der Selbst er forschung zu machen. Beides ist der Fall.

Was über das Geld wahr ist, ist auch über das Leben wahr. Meine Hoffnung für diese gemeinsame Reise ist folgende: Wenn wir unsere Beziehung zum Geld verändern, erweitern wir unser Wirklichkeitsverständnis. Je bewusster wir werden, desto präsenter sind wir, authentischer in dem, was wir wirklich sind. So können wir Geld als Transportmittel für die spirituelle Reise nutzen.

Egal, ob du dich gerade auf dem spirituellen Weg befindest, egal wie viel Lebenserfahrung du hast: Ich verspreche dir, dass diese Selbsterforschungen dich dahin führen werden, dein Leben und dich selbst wert zuschätzen. Deine Ausgaben und die Ent scheidung, wohin dein Geld fließt, werden sich besser mit dem decken, was du wirklich bist. Gleichzeitig wirst du feststellen, dass du mehr agierst und weniger reagierst und besse r mit dem, was das Leben dir gibt, umgehen kannst. Die Bewusstheit, die du durch diese Arbeit gewinnst, wird somit ein Geschenk, das du der Welt gibst.

Ich sage oft zu meinen Teilnehmern: „Stellt euch vor, wie es wäre, wenn alle eure finanziellen Transaktionen wirklich das wider spiegeln, was ihr in der Tiefe eurer Seele seid.“ Das wäre dann wirklich „right action“ – richtiges Handeln. Da sollten wir hinkommen. Ich hoffe, dass dies euch dazu anregt, die Reise mit mir zu unternehmen.

Anmerkungen:

(1) Laut Wikipedia bedeutet der Ausdruck „peak oil“, dass der Höhepunkt der Ölförderung erreicht ist, das Limit bereits überschritten wurde und die Produktionsrate jetzt stetig fällt.

(2) Wenn du mehr über den „Diamond Approach“ erfahren möchtest, besuche die Website der Ridhwan Foundation www.ridhwan.org bzw. Almaas’ Buch „The pearl beyond price, Luminous Night’s Journey, Spacecruiser Inquiry“, deutsche Ausgabe: „Forschungsreise ins innere Universum“ und „The Unfolding Now“, deutsche Ausgabe: „In die Tiefe des Seins“.

Kapitel 1

Warum Selbsterforschung?

WIR ALLE KOMMEN MIT EINER UNENDLICHEN NEUGIER AUF diese Welt. Wir sind Neugier. Begierig und freudig dabei, das unglaubliche Geheimnis unserer Existenz zu entdecken. Wir wollen alles anfassen, schmecken, am liebsten in den Mund nehmen. In dem Maße, wie wir wachsen, wird auch unsere Welt größer; das heißt, unser Wachstum geht einher mit der Entdeckung der Welt. Mit der Zeit wird dann aus: „Wie fühlt sich das an, wenn ich es in den Mund stecke?“, zu „Wie kann ich mich zu diesem Tisch hochziehen?“, zu „Was passiert, wenn ich alleine zu stehen versuche?“.

Natürlich ist unser Verstand noch nicht reif genug, über diese Abenteuer nachzudenken, denn unsere Fähigkeiten, sich in der Welt zurechtzufinden, bilden sich erst nach und nach aus. Unsere frühesten Erlebnisse sind präverbal; ein Säugling hat keine Meinung darüber, was ihm geschieht, er ist offen für alles, was mit ihm in Kontakt kommt, deshalb ist er auch so lebendig und aufgeregt über alles. Das Schöne daran ist, dass wir als Erwach sene, obwohl wir in festgefahrenen Gedankenmustern stecken, immer noch diese Fähigkeit haben, unserem Umfeld mit derselben Offenheit und Neugier zu begegnen.

In diesem unschuldigen Nichtwissen, wenn wir einfach dem Impuls folgen, etwas zu erfahren und zu verstehen, können wir der Welt mit Aufrichtigkeit und in Wahrheit begegnen – wir haben nur vergessen, wie das geht.

Wenn wir kleine Kinder beobachten, erkennen wir, wie elementar Erforschen für uns Menschen ist. Und ebenso wichtig wie für das Kleinkind ist es auch für uns, dass diese Ent deckungs reisen mit unserem Leben in Verbindung stehen. Was auch immer im Außen passiert, spiegelt sich in unserem Innern wider, das heißt, „im Einklang mit unseren Erfahrungen zu sein“.

Selbsterforschung bedeutet in diesem Kontext: eine ergebnis offene Unter suchung unserer Erfahrungen, die helfen soll, uns selbst zu verstehen. Eigentlich etwas Natürliches und Selbst verständ liches. Selbst erforschung heißt auch zu verstehen, dass alle Reak tionen und negativen Gefühle aus vergangenen Er fahrungen ent stehen. Sie färben und vernebeln unsere Wahr neh mung und verhindern, dass wir die Welt erleben, wie sie wirklich ist.

Bis wir diese negativen Erfahrungen durch Selbsterforschung auflösen, ist es uns nicht möglich, ein freier Mensch zu sein, also jemand, der angemessen agieren kann, anstatt lediglich zu reagieren. Das Ziel unserer Reise ist, die Neugier und Offenheit, die wir als Kinder hatten, zu nutzen und selbst klarer sehen zu können, was wir wirklich machen und wie wir leben. Wo Klarheit herrscht, verändert sich das Bewusstsein. Nach und nach, durch das Erfahren vieler solcher Momente von Klarheit, verändern wir uns und können mehr wir selbst sein. Ziel ist es, Zugang zu unserem ureigensten Potenzial zu haben und das Wesen, das, was wir selbst wirklich sind, zu erkennen.

Anfangen hinzuschauen

Die meisten Menschen verbinden mit Selbsterforschung automatisch „Erkenntnisse durch den Verstand“ bzw. die mentale Suche nach Erinnerungen, Einschätzungen, Antworten auf Fragen, Problemlösungen. Aber für diese Art der Reise muss die Funktion des Verstandes anders genutzt werden: Anstatt die Führungsrolle zu übernehmen, muss er sich in den Dienst unserer Selbsterforschung stellen. Was bedeutet das für den Verstand? Anstatt alles verstehen zu wollen, muss er lernen, Augenblick für Augenblick wahrzunehmen und zu erforschen, was gerade ge schieht. Unsere Selbster forschung schließt Gefühle und körperliche Empfindungen mit ein. Ohne diese hätten wir nur ein abstraktes Verständnis der Situation. Und das allein kann uns nicht transformieren und uns in der Tiefe berühren.

Schauen wir jetzt einmal die Selbsterforschungsreise einer Frau an, die ihre Partnerschaft in Bezug auf Geldangele gen heiten anschauen möchte. Wir werden sehen, wie Trans for ma tion gelingt, wenn wir gewillt sind, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel anzuschauen.

Ich bin eine verheiratete Frau, die sich in unserer Beziehung um die Finanzen kümmert, da ich glaube, dass mein Mann dazu nicht fähig ist. Ich bin oft verärgert und wünsche mir einen verantwortungsbewussteren Partner. Das führt dazu, dass ich ihm vorwerfe, nicht genug in dem Bereich zu übernehmen: d. h. Rechnungen zahlen, die Buchhaltung machen, die Steuer sachen regeln. Das führt dann zu Stress und Entfremdung in unserer Ehe.

Jetzt richte ich meine Aufmerksamkeit auf mich, statt ihn anzuklagen. Ich schaue die Situation mit dem Ziel an zu verstehen, was wirklich vorgeht.

Ich spüre in meine Verärgerung hinein und sie erinnert mich an die Verärgerung meiner Mutter. Ich sehe eine Verbindung und frage mich, ob die Erfahrungen, die ich bei meinen Eltern ge macht habe, mit dem Glauben an die Unfähigkeit meines Mannes zusammenhängen könnten. Ich lasse die Erinnerung an meine Mutter und ihren alkoholsüch tigen Ehemann, meinen Vater, hochkommen und erinnere mich an die Angst, das unbehagliche Gefühl im Bauch und wie es war, in dieser chaotischen Umgebung groß zu werden.

Mein Vater hat das Haushaltsgeld in der Kneipe durchgebracht und uns hängen lassen. Es gab manchmal nicht genug zu essen, der Strom, weil unbezahlt, wurde abgestellt. Durch diese Erin ne rungen wird mir bewusst, dass mein Körper immer noch die gleichen Gefühle wie damals hat.

Ich hätte schwören können, sie hätten nur mit meinem Mann zu tun, aber eigentlich kommen sie aus meiner eigenen familiären Geschichte. Indem ich meinen Gefühlen Raum gebe, verstehe ich, dass meine Vor stellung, die Finanzen in unserer Beziehung kontrollieren zu müssen, mit meiner Kindheitsangst zu sam men hängen, nicht überleben zu können.

Ich erlaube mir, dieses verheerende Gefühl in meinem Bauch zu spüren, und etwas beginnt sich zu weiten, zu öffnen. Ich kann das Muster erkennen, muss mich dafür nicht verurteilen und verstehe, dass ich meine Kindheitserfahrungen auf meinen Mann projiziert habe. Bei meinem Bedürfnis, die Kontrolle über unsere Finanzen zu haben, geht es also um „Sichsicherfühlen“. Jetzt wird eine andere Sichtweise möglich, ich bin weniger angespannt. Vielleicht kann ich jetzt auf ihn und Geldange le genheiten anders reagieren, obwohl mir noch nicht klar ist, wie das aussehen könnte.

Diese Selbsterforschung verdeutlicht, was geschehen kann, wenn wir die Verantwortung über unser Leben, unsere Beziehungen übernehmen. Wenn uns bewusst wird, dass unsere Einstellungen Reaktionen auf vergangene Erfahrungen sind, können wir aufhören, die Schuld bei anderen zu suchen und unseren Blick nach innen richten. Dies ist eine 180-Grad-Wende: den Mut zu haben, sich selbst zu erforschen, unter die Oberfläche zu schauen, um zu erkennen, dass emotionale Reaktionen oft nichts anderes sind als alte Kindheitsgefühle und Glaubenssätze.

Das bedeutet nicht, dass deine Einschätzung des anderen unbedingt falsch ist. Es kann durchaus sein, dass dein Partner chaotisch, unachtsam oder sogar waghalsig in Bezug auf Geld ist. In der Selbsterforschung geht es aber nicht um den anderen, es geht um deine Reaktionen, damit du einen tieferen Einblick in die Muster, die dich festhalten, gewinnst und dich von ihnen befreien kannst.

Dieses Buch wird dich Schritt für Schritt begleiten, damit du dir den Stoff in deinem eigenen Rhythmus erarbeiten kannst. Wie bereits gesagt ist Selbsterforschung etwas Natürliches und du wirst dir dabei selbst begegnen. Es geht nicht darum, das hier Gesagte als die Wahrheit anzunehmen. Die Welt braucht keine ausgeborgten Wahrheiten mehr. Es geht darum herausfinden, was für dich stimmt, nur dann macht diese Reise Sinn. Gib nicht zu schnell auf, wenn du auf Schwie rigkeiten stößt. Das wird so oder so passieren und es geht jedem so. Wenn du dranbleibst, kannst du Perlen der Einsicht und Weis heit finden, die dir die Kraft zum Weitermachen geben.

Hindernisse auf dem Weg

Jedes Mal wenn wir eine ehrliche Selbsterforschung unserer Ein stellungen, Glaubenssätzen und Reaktionen anstreben, machen wir uns auf den Weg, Geldangelegenheiten auf spiritueller Ebene anzuschauen – leicht ist das nicht.

Selbsterforschung ist deshalb nicht so einfach, weil es Teil der menschlichen Natur ist, die Wahrheit nicht wertzuschätzen. Das könnte damit zusammenhängen, dass nur etwas, was man besitzen kann, als wertvoll erachtet wird. Aber nur weil wir uns unserer Innenwelt zuwenden, heißt das nicht, dass wir begehrenswerte Dinge in der Außenwelt verlieren werden. Mit dem wahren Wesen in Kontakt zu kommen nimmt uns nie etwas von unserem wirklichen Wert. Mit den Worten von A. H. Almaas:

„Du kannst berühmt sein, reich, sexy, eine Familie haben, Karriere machen, all das und du kannst es aus der Fülle des Seins erleben, anstatt ständig mehr davon zu wollen, aus der Furcht heraus zu verlieren, was du hast. Es gibt keinen Widerspruch zwischen einem seinserfüllten Leben und dem, was du von der Welt möchtest. Erst wenn wir aus unserer innersten Natur he raus leben, ist es möglich, unser Leben und die Dinge unseres Lebens zu lieben.“ (1)

Dabei geht es um mehr als Verlustangst, die für diese Ein stellung verantwortlich ist. Es scheint, als ob die Wahrheit selbst bedrohlich ist. Wenn wir an unseren Einstellungen festhalten, dann ist jede Infragestellung eine Bedrohung. Das Ego verteidigt sie, da es der festen Meinung ist, sie diene seinem Schutz. Alle möglichen Konditionierungen, Muster, Selbstbilder, Verteidi gungs strate gien, Ge wohn heiten aus der Vergangenheit bilden die Struktur unseres Ichs und wir treffen auf heftigen Wider stand, wenn wir diese Schichten antasten, obwohl sie es gerade sind, die unsere wahre Natur verdecken.

Widerstand ist oft das Erste, dem wir begegnen. Der Kopf zweifelt und lenkt ab, das Herz will jemand anderes verantwortlich machen, der Körper wird taub oder fühlt sich eingeengt an oder wir spüren einfach Trotz: „Lass mich in Ruhe.“ Manchmal katapultiert es uns auch aus der Selbst erforschung heraus. Die Verteidigungsstrategien unserer Psyche sind schwer zu durchschauen. Wir sollten uns davon aber nicht bremsen lassen, es gibt immer einen Weg. Wir müssen dann einfach die Selbst erfor schung auf das ausrichten, was wir jetzt spüren: auf die Gefühle oder den Widerstand. Es mag sich so anfühlen, als steckten wir in einer zähen Gummimasse fest, in einer Zwangsjacke. Aber mit der einfachen Frage: „Was ist los?“ kann die Selbster for schung weiter gehen.

Mit den emotionalen Schichten und körperlichen Empfin dungen in Kontakt zu kommen ist ein wichtiger Teil der Selbst erforschung, aber das Schmerzlichste an diesem Prozess ist unser Widerstand, um den Schmerz nicht zu fühlen. Sich einmal vorbehaltlos dem Schmerz zu stellen ist nie so schlimm, wie wir es uns vorgestellt haben.

Das ganze Thema des Nach-innen-Gehens scheint dem Ego gegen den Strich zu gehen; hat es uns doch unser Leben lang dazu gebracht, uns dem Vergnügen zuzuwenden und dem Schmerz auszuweichen. Freud nennt es „das Lustprinzip“. Er glaubte, wir besäßen einen instinktiven Drang, uns zu ver gnügen, um Schmerz zu vermeiden. Das Ego denkt, dies sei der einzige Weg, um glücklich zu sein. Dementsprechend verbringen wir viel Zeit mit Aktivitäten, die uns glücklich machen sollen . Oft geht es dabei um Geldausgeben und/oder Geldan häufen, da die meisten von uns glauben, dass mehr Geld oder mehr Besitz uns glücklicher macht.

Warum also den Schmerz aus der Vergangenheit aufrühren? Weil nicht aufgelöster Schmerz nie wirklich weggeht. Unser Ich lernt eine Menge Strategien, um ihn zu vermeiden oder so zu tun, als sei er nicht wirklich da. Aber der Schmerz kommt immer wieder und zeigt sich in sich wiederholenden, schwierigen Lebens situationen, die wir irgendwann einmal nicht mehr ignorieren können. Können wir diese dann nicht mehr beiseiteschieben, versuchen wir es mit anderen Mitteln. Wir verändern etwas im Außen, um uns besser zu fühlen: unsere Lebens um stände oder wechseln den Partner (oder versuchen, ihn zu erziehen) oder versuchen, die Welt zu verbessern. Was wir dabei außer Acht lassen ist, dass die Vergangenheit buchstäblich in unseren Knochen steckt und die Welt weiterhin unseren Schmerz zurückspiegeln wird, bis wir das verstehen. Der Schmerz steckt in unseren Zellen, unserem Inneren fest, bis wir ihm Beachtung schenken.

Um unser volles menschliche Potenzial zu erreichen, müssen wir Bewusstsein in diesen Prozess bringen, unsere Beziehung zum Schmerz verändern und ihn nicht mehr als Feind oder Bedrohung sehen, sondern als Freund und Wegweiser auf der spirituellen Reise zum Erwachen.

Ein weiteres Hindernis ist unsere Tendenz zu „machen“.

Wir werden dazu erzogen, hart zu arbeiten und unsere Existenz durch persönlichen Einsatz zu sichern. „Jeder ist seines Glückes Schmied“ – wem das nicht gelingt, der wird verurteilt. Diese Art zu denken deckt sich perfekt mit der Eigenschaft des Egos, immer irgendetwas tun zu wollen. Es mag uns daher schwer fallen, einfach mit unseren Erfahrungen zu sein und sie zu untersuchen. Tatsache ist, die Selbsterforschung ist kein Tun und die spirituelle Reise keine Aktivität. Der Tuende ist ein großer Teil des Problems und muss außen vor bleiben. Selbster for schung ist etwas, was geschieht, wenn wir mit unserem inneren Wesen in Kontakt kommen, mit unserer wahren Natur.

Die spirituelle Reise ist eine Entfaltung unseres Wesens in der Wirklichkeit. Es gibt also nichts zu tun, wir müssen es nur sein. Dies mag der schwierigste Punkt sein, den es zu verstehen gilt: „Wie kann ich erforschen, ohne zu tun?“

Wenn wir uns unserer wahren Natur zuwenden, unserem Wesen begegnen, stellt sich uns auch der Hauptwidersacher entgegen – der innere Kritiker, das Superego. Wir besitzen viele Verteidigungsstrategien und unterdrückte Teile in uns, aber das Superego wird uns am meisten behindern.

Der Irreführer

Der innere Kritiker (manche nennen das Superego auch den Richter) schreibt uns vor, wie wir uns zu verhalten haben, wie wir denken und fühlen sollen. Er kritisiert uns, macht uns nieder, verurteilt und beschämt uns, er droht, erniedrigt und entwertet uns. Er hat Antwort auf alles und weiß genau, wie alles laufen soll. Byron Brown nennt das Superego in seinem Buch „Soul without Shame“, „die Gerichtsverhandlung des Lebens, in dem du der Angeklagte bist“.(2) Seine Stimme leitet und begleitet dein inneres und äußeres Leben mit seinen Meinungen, Ermahnun gen, Ratschlägen, Vorschlägen, wie du dich zu verhalten hast. Wenn uns einmal bewusst wird, wie der innere Kritiker funktioniert, dann sehen wir auch, wie viel Zeit wir damit verbringen, uns selbst zu verurteilen. Tatsache ist: die größte Zeit unseres inneren Dialogs verbringen wir in der Auseinander setzung mit dem inneren Kritiker. Wir werden seinen Standards nie genügen und selbst wenn seine Urteile uns verletzen, glauben wir sie meist dennoch.

Schlimmer noch, wir sind der Meinung, diesen Teil unserer Per sönlichkeit beherrschen zu wollen, dementsprechend versuchen wir, das Superego zu verändern bzw. dazu zu bewegen, seine Urteile über uns aufzuheben. Damit geraten wir nur noch tiefer in den inneren Konflikt hinein und behindern unser Erleben und unsere Gefühle.

Das Superego hält uns davon ab, selbstbewusst zu werden. Im Kampf mit ihm verlieren wir viel Energie, an der wir uns ansons ten auf unserer inneren Reise erfreuen könnten. Es ist wirklich wichtig, diesen inneren Kritiker zu erkennen, damit wir uns gegen ihn schützen können. Aber bevor dies gelingt, müssen wir erst verstehen, was er wirklich ist und wo er herkommt.

Wie sind wir in dieser konfliktbeladenen Beziehung mit dem Superego gelandet?

Im Alter zwischen zwei und fünf haben wir Benimmregeln gelernt. Es gab Dinge, die wir durften, und andere nicht. Vielleicht durften wir der Mutter nicht böse sein, vielleicht hat sie dich dann geschlagen oder, schlimmer noch, dir ihre Liebe entzogen. Weil du versucht hast, diese bedingungslose Liebe von deinen Eltern zu bekommen, wolltest du nie irgendwas tun, um sie zu verärgern oder ihre Liebe zu verlieren.

Der Schmerz und die Angst dieser Kindheitsgefühle mussten bezwungen werden, damit wir uns sicher und geborgen fühlen konnten. Also ist es die Hauptaufgabe des inneren Kritikers, uns zu beschützen. Indem wir die Regeln der Eltern verinnerlichen, glauben wir, dass wir so sein sollen. Zusätzlich haben wir die kulturellen Standards und die Religion unserer Ursprungsfamilie angenommen. Das Superego ist meisterlich darin, etwas Wahres in diesen Verhaltensregeln zu finden, um sie dann gegen uns zu verwenden. Es versucht unablässig, uns innerhalb der Regeln zu halten, und attackiert uns, wenn wir uns davon entfernen wollen. So kann es leicht passieren, dass wir nicht mehr zwischen unserem angeborenen Gewissen – einem authentischen und lebensbejahenden Gefühl – und dem rigiden moralischen Kodex des Super egos unterscheiden können.

Was für uns aber als Kinder wichtig war, ist nicht länger nützlich, ist eher ein Zeichen stagnierender Entwicklung. Wenn wir den Regeln des Über-Ichs folgen, bleiben wir in der Vergangen heit stecken. Und der Versuch, allen Schmerz von uns fernzuhalten, hält uns darin fest. Das Über-Ich blockiert unsere natürliche Entfaltung, deshalb ist es wichtig, sich gegen seine Angriffe zu wappnen. Solange wir noch auf unbewusste Art dem Über-Ich folgen, verpassen wir die Chance, dem tiefsten, wahrsten Teil unseres Selbst zu begegnen. Sich gegen die Angriffe des inneren Kritikers zu wappnen ist der Beginn der Tren nung davon (siehe Anhang: Die Autorität des inneren Kritikers infrage stellen).

Je stärker du wirst und je mehr Vertrauen du in dich selbst gewinnst, desto besser kannst du dem inneren Kritiker ent gegen treten, desto mehr wirst du offen sein für die Wahrheit und ein inneres Leitsystem entdecken, das in der Wirk lichkeit verankert und Teil deines Selbst ist. Dieses authentische Selbst agiert aus dem Sein, anstatt sich von veralteten verletzenden Einflüssen leiten zu lassen. Die gute Nachricht ist: Dieses authen tische Selbst musst du nicht mühselig zusammensetzen, es ergibt sich einfach, du wirst es erkennen, es ist nichts Ge trenntes von dir, es ist das, was du wirklich bist.

Mit der Zeit entwickeln wir bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten, die eine Selbsterforschung unterstützen. Wir werden noch mehr entdecken, je tiefer wir uns auf die Erforschung einlassen. Hier die wichtigsten:

Offenheit

Neugier

Die Fähigkeit, im Nichtwissen auszuharren

Wertschätzung der Wahrheit

Präsent sein

Leichtigkeit

Freundlichkeit und Mitgefühl

Durchhaltevermögen und Beharrlichkeit

Vertrauen

Stärke und Mut