Holländische Liebhabereien
(Erzählung)

(1826)

Inhaltsverzeichnis

Leise trat der Professor Hemkengriper in seidnem japanischem Schlafrocke aus der Bibliothek in das Eßzimmer und schaute verdrießlich einem jungen Manne über die Achsel, der auf dem großen Eßtische die Scheiben des eingeworfenen breiten Straßenfensters zusammenlegte. «Wer bist du?» fragte ihn Hemkengriper mit einer kalten Verachtung. – «Jan Vos aus Amsterdam», antwortete der junge Glaser, ohne sich in der Arbeit stören zu lassen. – «Warum kommt der Glasermeister Glateis nicht selbst?» fuhr der gelehrte Herr fort zu fragen: «Hat Bathseba nicht bestellt, daß es eine schwierige Arbeit sei, die zerbrochenen Scheiben zusammenzusuchen und in Blei zu setzen? Und warum hat man nicht gewartet, bis ich gekommen, um die griechischen Inschriften zusammenzulegen, die auf mehreren Scheiben mit dem Diamant eingeschnitten sind? Da wird man sich viele unnütze Arbeit gemacht haben!» – «Herr, sehet alles durch», antwortete Jan mit behaglichem Lächeln, «werdet alles beisammen finden. Frau Bathseba kannte mich schon und wußte von meiner Gelehrsamkeit, als sie mich zur Arbeit auswählte, und da hat sie Euch gewiß überraschen wollen.» – Hemkengriper sah jetzt verwundert die Inschriften vollkommen richtig wieder vereinigt und dann den Lehrburschen an, dessen kräftige gewandte Glieder, dessen volle Wangen und dunkle Hautfarbe eher einem Matrosen als einem überstudierten Jünglinge zukamen, während die hohe Stirn von dichten hellen Haaren umgrenzt, die zusammengewachsenen dunklen Augenbraunen über den blauen blitzenden Augen, der freie, zierlich geschnittene Mund eher ein seltsames Talent anzudeuten schienen, das selbsttätig seinen Weg sich gesprengt hatte. «Aber bei wem hast du Griechisch gelernt – bei mir oder bei – Zahnebreker?» fuhr er mit besorglicher Neugierde zu fragen fort. – «Bei dem flüchtigen Griechen aus Morea, bei Moschus, in den Feierstunden; es kostete nichts, der Mann freute sich an der Leichtigkeit, mit der ich lernte, und als Dank mußte ich ihm Abschriften machen von griechischen Dokumenten.» – «Wie kamst du aber darauf, diese gelehrte Sprache der Vorzeit zu lernen, von der dir doch kein Gewinn für dein Handwerk zu versprechen war? Obgleich die Griechen auch in der Glaserei allen heutigen Völkern überlegen waren, wie ich dies nächstens zu beweisen denke.» – «Das ist mir lieb von Euch zu hören, denn der Grieche sprach nur immer von geöltem Papier, womit sie ihre Fenster beklebt hätten. Kein Gewinn war der Grund meines Fleißes – ich kann Euch das jetzt noch nicht sagen, denn ich kenne Euch zu wenig, ich wollte es nun einmal wissen, dieses Griechische.» – «Hör, Bursche, du gefällst mir, ich könnte dich als Schreiber und Famulus brauchen und zugleich als Glaser, um mein ganzes Haus mit neuen Fenstern einzurichten, da diese alten trüben Scheiben mir eigentlich so wenig gefallen wie den Studenten, die leider nur eine kleine Zahl eingeworfen haben. Außer dem Hause dürftest du freilich mit niemand Umgang haben, denn das verdarb meinen Famulus, den ich gestern verabschiedete, so gänzlich, daß er andern meine Entdeckungen mitteilte, die dann der elende Schreier, der Zahnebreker, für die seinen ausgab.» – «Wenn ich nur jederzeit Bücher von Euch erhalte», rief Jan vergnügt, «so gehe ich gewiß zu keinem einzigen Marktschreier, die Zähne ausbrechen, als ob es niemand wehe tut. Oh, ich verstehe Euch, meine Zähne sind gut, und des Umgangs bin ich bei meinem Meister ganz entwöhnt, der allein lebt und dem ich wie Frau oder Magd sein ganzes Hauswesen führte.»

Diese Unterredung wurde von dem Bürgermeister der Stadt unterbrochen, der ebenfalls Sitz im akademischen Gerichte hatte und seine Studien durch elegante lateinische Reden kundzugeben pflegte. «Wer zu Leyden geboren», sprach er, «weiß von den Leiden dieser Stadt zu erzählen, aber auch von ihrer mutigen Ausdauer bei alten Rechten und neuen Glaubenslehren, und wie diese in langwieriger spanischer Belagerung (J. 1574) hart geprüft und treu bewährt wurden. Der Adel und die Städte der Provinz wünschten diese Aufopferung zu lohnen und ließen den Bürgern die Wahl zwischen Zollfreiheit und der Errichtung einer Universität, die dem Lande zum Bedürfnis wurde, weil der Krieg und die Glaubensverschiedenheit den Besuch vieler ausländischer Universitäten hinderte. Die Stadt blieb eingedenk des höheren Daseins, dem so viele Bürger geopfert worden, sie wählte die Errichtung einer Universität. So wurde diese jetzt mit großem Ruhme bestehende hohe Schule zu einer Zeit begründet, wo das Dasein Hollands und seines Staatenbundes so ungewiß bei jedem Wurfe der Kriegswürfel schwankte wie sein Boden bei dem Andrange hoher Flut und Flußströmung. Dem höheren gesellte sich bald der niedere Gewinn, so wenig er in voraus berechnet war, denn die Universität zog reiche Schüler des Inlands und Auslands herbei. Neben diesem Ruhme erscholl aber auch der Streit gelehrter Theologen, ergriff die Menge und verbreitete auch auf diesem Wege Einsicht in Geistestiefe, wo sonst die Gewöhnlichkeit den Blick gestumpft hatte, wogegen nicht zu leugnen ist, daß dieser Kampf zwischen Herrmann und Gomar viele ausgezeichnete Männer ins Verderben gestürzt hat. Wir stehen jetzt bei der Gegenwart, ehrenwerter Herr, bei diesem 1635 Jahre nach der Geburt des göttlichen Versöhners, wo Euer Kampf mit dem Kollegen Zahnebreker über griechische Lesarten nicht minder wie jene theologischen Wahrheiten sich aller Köpfe bemächtigt und unsre Universitäten gespalten hat. Dieses Übel zu mehren, hat der Krieg in Deutschland uns eine große Zahl hochdeutscher Studenten zugeführt, die sich nach dem Vorbilde der rauhen nordischen Krieger zu einer Art halber Kriegsknechte ausgebildet haben, welche die wilden Gewohnheiten ihres Landes in unsre wohlgeordnete Stadt übertragen. Diese waren es nun, wie die Untersuchung ergibt, welche Eure Fenster, ehrwürdiger Herr, mit aufgerissenen Pflastersteinen wie mit Belagerungsgeschütz angriffen und zerschmetterten, ja sie schämen sich dessen nicht, sondern rühmen sich, dadurch in geziemender Art die Störung bestraft zu haben, welche Eure Anhänger durch Pfeifen und Trommeln der Aufführung des 'Gysbert' zufügten, welche der große Dichter Vondel unter dem Schutze Zahnebrekers in der großen Dule veranstaltet hatte. Über diese Angabe Eure Aussage zu hören, ist der Gegenstand meines Besuches und meiner Rede, ja ich zweifle nicht, daß Ihr Euch wegen dieses Vorwurfs einer beabsichtigten Störung des öffentlichen Vergnügens am Schauspiele vollkommen rechtfertigen werdet.»

Mit Mühe hatte Hemkengriper dieses Wort abgewartet, jetzt strömte er aus in Vorwürfen, wie dieser Kölnische Ignorant und Anabaptist Vondel ein großer Dichter genannt werden könne, er habe nicht nur für Pflicht gehalten, den guten Geschmack aufrechtzuerhalten und seine Schüler auf die Fehler des Stücks aufmerksam gemacht, sondern er habe sie aufgemuntert, diese ihre Einsichten geltend zu machen. Wären sie diesmal auch die geringere Zahl gewesen und hätten unterlegen und wären zur Dule hinausgeworfen worden, so hoffe er doch, daß sie sich verstärken und in den nächsten Abenden glücklicher sein würden. Verlegen schwieg hier der Bürgermeister, stammelte in einzelnen Worten, daß er ihm bei diesem Bekenntnis für die zerschlagenen Fenster keinen Ersatz, sondern nur durch Bannung der fremden Studenten ihm eine öffentliche Genugtuung schaffen könne. Hemkengriper entgegnete einige scharfe Worte über den Schutz, welchen er dem ignoranten Vondel angedeihen lasse, bloß weil er ihm zu schmeicheln wisse. Der Bürgermeister erschrak und schwieg. Endlich erholte er sich und suchte Vondel damit zu verteidigen, daß doch kein besserer dramatischer Dichter in Holland zu finden sei. «Hier sitzt einer», rief Hemkengriper stolz und wies auf Jan, «wenn ich den ein halbes Jahr abrichte, macht er bessere Tragödien als Euer miserabler Anabaptist.» Jan war äußerst verwundert, aber nicht wenig geschmeichelt von diesem Ausrufe, und als sich der Bürgermeister beurlaubt hatte, bat er Hemkengriper, ihm ja die versprochene Abrichtung zum Schauspieldichter zu geben. Hemkengriper warf ihm einen Band des Euripides hin und ging zurück in sein Bibliothekzimmer, weil er schon allzuviel Zeit verloren zu haben meinte.

Die alte Frau Bathseba leistete unterdessen dem Glaser Gesellschaft, versicherte ihm mit gerührter Stimme, daß er Gott für die gefundene Aufnahme nicht genug danken könne, da der Herr, sonst gar mißtrauisch gegen Fremde, selbst seinen Famulus nicht ins Haus genommen habe. Sie gab ihm dann Regeln wie eine gute Mutter, und Jan äußerte, es sei ihm so zumute, als ob er sie schon in früheren Jahren bei seinen Pflegeeltern gesehen. Sie meinte, daß er sich darin irren möge, fragte nach seinen Eltern, hörte, daß er nichts von ihnen wisse und daß seine Pflegeeltern ihm bei einem Deichbruche entrissen worden, der auch ihn verschlungen hätte, wenn er sich nicht an einen zahmen Schwan angeklammert, der mit ihm bis zu einem höheren Landstriche geschwommen, wo viele Menschen sich seiner angenommen hätten. «Und wieder meine ich, Frau Bathseba», sagte er, «ich hätte Euch bei denen gesehen, die mich nach Amsterdam ins Waisenhaus brachten, von wo der hiesige Glasermeister mich ohne Vergütung abholte, um mich in seinem Handwerk zu unterrichten. Nun, seitdem weiß ich wohl, hab ich Euch oft gesehen, Frau Bathseba, und ich danke Euch manche milde Gabe, und ich werde Euch dafür mein Lebelang dankbar sein.» – «Gut, gut», sagte Bathseba, «aber sprecht davon mit niemand, denn der Herr ist gar mißtrauisch und würde denken, wir hätten gegen ihn einen geheimen Bund geschlossen.»