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John Lloyd Stephens

Die Entdeckung der
alten Mayastätten

Ein Urwald gibt seine Geheimnisse preis

1839 – 1840

Bearbeitet
von Ernst Bartsch

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John Lloyd Stephens

»In Ägypten stehen die gigantischen Tempelskelette in dem wasserlosen Sandmeer, in der ganzen nackten Wüstenöde. Hier dagegen hüllte die Ruinen eine ungeheure Waldung ein und verbarg sie vor den Blicken der Menschen, wodurch der Eindruck und die moralische Wirkung erhöht und ihnen ein mächtiges und fast wildromantisches Interesse gegeben wird.«

John Llloyd Stephens

INHALT

ERSTES KAPITEL

Von New York nach Belize

AbfahrtAnkunft in BelizeOberst M’DonaldBelizes UrsprungEhrenbezeigungenAbreise von Belize

ZWEITES KAPITEL

Durch den Urwald und über das Micogebirge

Jeder sorgt für sich selbstPunta GordaEin Besuch bei den karibischen IndianernEine TaufeDer Río DulceIzabalGefährliche Bergpassage

DRITTES KAPITEL

Im Kanu über den reißenden Motagua

Wie man ein Huhn brätSchusterei aus dem StegreifDer Fluß MotaguaÜberquerung des FlussesDer Luxus des WassersUrzuständliche SittenGualánZacapa

VIERTES KAPITEL

Gefangennahme

Eine Schule und ihre ReglementsChiquimulaEin Veteran des französischen KaiserreichesEin GebirgslandEine verödete StadtEin roher AngriffVerhaftungEinsperrungFreilassung

FÜNFTES KAPITEL

Die Hacienda des Don Gregorio

Ein indianisches LeichenbegängnisDer Fluß CopánDie Hacienda San AntonioDas Dorf CopánEin ungnädiger WirtErster Anblick der RuinenSuchen nach einer WohnstätteEine unbehagliche SituationEin GewitterGedanken an einen Ankauf Copáns

SECHSTES KAPITEL

Was kostet eine Ruinenstadt?

Wo beginnen?Beginn der NachforschungenEin ärgerlicher VerdachtBrief von General CascaraKauf einer Stadt

SIEBTES KAPITEL

Seltsame vom Urwald überwucherte Skulpturen

Messung der RuinenIhre Lage und ihre AusdehnungPyramidenförmige BautenEin merkwürdiges Porträt»Götzen« und »Altäre«Eine vergrabene Statue

ACHTES KAPITEL

In diplomatischer Mission

TrennungAnkunft in Guatemala-StadtAusflug nach MixcoJagd nach einer RegierungSan JoséSan SalvadorAnmarsch von Carreras TruppenGeneral MorazánKriegsspuren in Guatemala

NEUNTES KAPITEL

Aufbruch nach Palenque

Vorbereitungen zur Reise nach PalenqueLetzte Zusammenkunft mit CarreraAbreise aus Guatemala-StadtEin Don QuichoteEine Mühle

ZEHNTES KAPITEL

Tecpán Guatemala, eine Indianerstadt

Fortsetzung der ReiseBarrancosTecpán GuatemalaEine prachtvolle KircheEin geheiligter SteinDie alte StadtEin ErdbebenPrachtvolle LandschaftDer See Atitlán

ELFTES KAPITEL

Ein von Vulkanen umgebener See

Der See AtitlánFahrt auf dem SeeEine gefährliche LageEine hohe GebirgsketteWeite AussichtSololáSanto TomásDie Ruinen von Quiché und deren GeschichteEin lustiger Pfarrer

ZWÖLFTES KAPITEL

Der Padre berichtet über unbekannte Indianer

Das Innere eines KlostersDer Königsvogel von QuichéIndianischer AberglaubeTierra de GuerraEine mysteriöse StadtAbreiseSan PedroWirksamkeit eines PassesTotonicapánEin prächtiges DinerDer Blutfluß

DREIZEHNTES KAPITEL

Ostern in Quezaltenango

QuezaltenangoDas Äußere der StadtDie KircheKarfreitagGroße ProzessionDie warmen Quellen von Almolonga

VIERZEHNTES KAPITEL

Über die Sierra Madre

Eine HochebeneVerlorene FührerAguas CalientesEine prachtvolle AussichtHuehuetenangoErsteigung der Sierra MadreBuena VistaTodos SantosSan MartínEin WaldbrandDie Leiden der Maultiere unter FliegenschwärmenSan Antonio de Huista

FÜNFZEHNTES KAPITEL

In Mexiko

Behagliche WohnungEine HängebrückeDer Fluß LagerteroAbgekühlter EnthusiasmusEintritt in MexikoEin BadComitánWieder ein LandsmannWeitere VerlegenheitenSchmuggel

SECHZEHNTES KAPITEL

An den Ufern des Río Grande

AbreiseOcosingoBeginn der RegenzeitEine FührerinAnkunft bei den RuinenEine merkwürdige HöhleDer Río GrandeEine Reihe von OrtschaftenIndianische TrägerSan Pedro

SIEBZEHNTES KAPITEL

Über hohe Berge, durch tiefe Schluchten

Aufstieg ins GebirgeReise in einer SillaEine kitzlige SituationDer AbstiegDer Rancho NopaAngriffe von MoskitosEin mürrischer BeamterMangel an LebensmittelnDie Ruinen von Palenque

ACHTZEHNTES KAPITEL

Quartier im Urwald

Vorbereitungen zum Besuch der RuinenUnser AbmarschAnkunft bei den RuinenDer PalastUnsere Quartiere im PalastErstes Mittagsmahl in den RuinenKolossale FeuerfliegenUnsere SchlafgemächerHindernisse bei der Erforschung der RuinenLeiden durch Moskitos

NEUNZEHNTES KAPITEL

Gefährliche Insekten

Vorkehrungen gegen die Angriffe der MoskitosSchilderung des PalastesPfeilerHieroglyphenEingängeFigurenKorridoreWirkung der InsektensticheRückkehr zu der Stadt Palenque

ZWANZIGSTES KAPITEL

In fröhlicher Gesellschaft

Ankunft der PadresDer Pfarrer von PalenqueKartenspielEine TischgesellschaftRückkehr zu den RuinenAuffallende Veränderungen hier

EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Rätselhafte Urwaldruinen

Ein GebäudeStuckornamenteMenschliche FigurenTafelnMerkwürdige HieroglyphenEine SteinstatueDas OratorioNoch andere pyramidenförmige Bauten und GebäudeDiese Ruinen sind die Überbleibsel eines zivilisierten und ureigenen VolkesPalenques Alter

ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Heirat mit einer »Tochter des Landes«?

Abschied von den RuinenEin UnfallAnkunft in der StadtUnterhandlungen wegen Palenques AnkaufAbreise von PalenqueLas PlayasEin KaufmännleinAlligatoren

DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Eine stürmische Flußfahrt

EinschiffungEine überschwemmte EbeneDer Río ChicoDer UsumacintaDer Río PalizadaYucatánEinschiffung nach La LagunaSchießen auf AlligatorenFurchtbares UnwetterDer See TérminosAnkunft in La Laguna

VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL

In Yucatán

La LagunaReise nach MéridaSisalDer Ort HunucmáAnkunft in MéridaReise nach UxmalEine sonderbare KutscheBesuch der RuinenHerrn Catherwoods Krankheit

FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Fast wie die Ruinen von Theben

Die Ruinen von UxmalDas Haus der ZwergeDas Haus der NonnenDas Haus der SchildkrötenDas Haus der TaubenMangel an WasserDas Haus des GouverneursTüreingänge und Korridore

SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Heimfahrt mit Hindernissen

Reise nach MéridaEinschiffung nach HavannaErlebnisse auf der ÜberfahrtEin HaifischmahlWir wissen weder aus noch einDie Brigg Helena Maria unsere ErlöserinFahrt nach New York

NACHWORT

ANHANG

Begriffserklärungen

Maße und Gewichte

Bildnachweis

ERSTES KAPITEL

Von New York nach Belize

Abfahrt – Ankunft in BelizeOberst M’DonaldBelizes UrsprungEhrenbezeigungen – Abreise von Belize

Vom Präsidenten mit einer besonderen, vertraulichen Sendung nach Zentralamerika betraut, schiffte ich mich am Mittwoch, dem 3. Oktober 1839, an Bord der britischen Brigg Mary Ann, Kapitän Hampton, von New York nach der Hondurasbai ein. Um 7 Uhr morgens waren die Straßen und Werften noch still. Die Stadt kam mir in diesem Augenblick, als ich für eine Reise von ungewisser Dauer von ihr Abschied nahm, schöner vor, als ich sie je zuvor gesehen.

Als die Dämmerung niedersank, waren die dunklen Umrisse des Hochlands von Neversink nur noch schwach sichtbar, und am nächsten Morgen befanden wir uns auf offener See. Mein einziger Reisegefährte war Herr Catherwood, ein erfahrener Reisender und ein Freund von mir, der mehr als zehn Jahre seines Lebens beim Studium der Denkmäler der alten Welt verbracht hatte.

Am 9. Oktober kamen wir in die Region der Passatwinde, und am 11. Oktober segelten wir mit einer leichten Brise zwischen Kuba und Santo Domingo hindurch. Was den Rest der Reise betrifft, so hatten wir achtzehn Tage stürmisches Wetter mit tropischen Regenfällen. Am 29. Oktober erreichten wir um Mitternacht die St. Georgsbai, die etwa zwanzig Meilen von Belize entfernt ist. Hier lag eine große, mit Mahagoni befrachtete Brigg vor Anker und hatte einen Lotsen an Bord, der auf günstiges Wetter wartete, um in See zu stechen. Der Lotse hatte seinen Sohn bei sich, einen Burschen von ungefähr sechzehn Jahren, den Kapitän Hampton kannte und an Bord zu nehmen beschloß.

Es war heller Vollmondschein, als der Junge aufs Deck stieg und uns den Lotsengruß zurief. Am nächsten Morgen um 7 Uhr erblickten wir Belize, das wie Venedig und Alexandria aus dem Wasser aufzusteigen schien. Im Hafen lagen drei Briggs, verschiedene Schoner, Bongos, Kanus und ein Dampfboot vor Anker. Neben ihnen lagen Mahagoniflöße; auch die Regierungsbarke, die zu uns herüberkam, war aus dem Stamm eines Mahagonibaums gemacht.

Die schweren Regenfälle, unter denen wir auf See so viel gelitten hatten, hatten auch Belize erreicht. In den Straßen strömte das Wasser, und hier und da standen große Tümpel, die man nur mit Mühe überschreiten konnte. Auf dem Marktplatz, auf den Straßen und in den Magazinen wimmelte es von Negern. Es waren lauter gutaussehende, schlanke, gutgewachsene und athletische Menschen, mit schwarzer, glatter, samtartig glänzender Haut und wohlgekleidet. Die Männer trugen weiße, baumwollene Hemden, weite Beinkleider und Strohhüte, die Frauen weiße lange Überröcke mit kurzen Ärmeln und breiten roten Besätzen, dazu große rote Ohrringe und Halsketten.

Das uns angebotene Haus lag auf der anderen Seite des Flusses, und der Weg, der zu ihm führte, war von Schlamm bedeckt, so daß man bis zum Knöchel einsank. Vor der Tür stand eine große Pfütze, über die wir mit einem Satz sprangen. Das Haus ruhte auf Pfosten von etwa zwei Fuß Höhe, unter ihnen stand das Wasser fast einen Fuß tief. Über eine Bohle gelangten wir zur Türschwelle und betraten einen großen Raum, der das ganze untere Stockwerk einnahm und völlig leer war. Der obere Stock wurde von einer Negerfamilie bewohnt. Im Hof stand ein Haus, das gedrängt voll war, und überall, im Hof wie vor dem Haus, zeigten sich malerische Gruppen von Negerkindern beiderlei Geschlechts und nackt wie sie aus dem Mutterleib gekommen.

Während wir uns nach der Bequemlichkeit eines guten Hotels sehnten, empfingen wir eine Einladung von Seiten des Gouverneurs Oberst M’Donald in das Regierungsgebäude. Da dies das erste Amt war, das ich je von der Regierung erhalten hatte, und ich nicht gewiß war, ob ich jemals ein anderes bekommen würde, beschloß ich, es aufs allerbeste zu nützen, und nahm die Einladung an.

Am nächsten Tag hatten wir uns mit den Vorbereitungen zu unserer Reise ins Innere zu beschäftigen und fanden auch noch nebenbei Gelegenheit, ein wenig von Belize zu sehen, das gegenwärtig eine Bevölkerung von 6000 Seelen zählt. Der Hondurasalmanach, der sich als Chronist dieser Niederlassung ausgibt, umhüllt ihre frühe Geschichte mit einem romantischen Schimmer, indem er ihren Ursprung einem schottischen Seeräuber, namens Wallace, zuschreibt. Die Fama von den Reichtümern der Neuen Welt und die Rückkehr der mit den Schätzen Mexikos und Perus beladenen spanischen Galeonen lockte ganze Horden von Abenteurern – um sie mit keinem härteren Namen zu bezeichnen – von England und Frankreich an Amerikas Küste. Unter ihnen war Wallace einer der Kühnsten, der hinter den Sandbänken und Riffen, die den Hafen von Belize schützen, Zuflucht und Sicherheit fand. Der Ort, wo er seine Blockhütten und seine Schanze baute, wird noch heute gezeigt. Verstärkt durch ein enges Bündnis mit den Indianern der Mosquitoküste und durch zahlreiche britische Abenteurer, die an der Küste von Honduras landeten, um Mahagoni zu fällen, forderte er die Spanier trotzig heraus.

Im Hafen lag ein Dampfboot, das nach Izabal, dem Hafen von Guatemala, bestimmt war. Ich sprach deshalb bei dem Agenten Señor Comyano vor, der mir sagte, daß es am nächsten Tag abfahren sollte.

Um rechtzeitig an Bord des Schiffes sein zu können, hatte Oberst M’Donald das Mittagessen um zwei Uhr befohlen und mit uns eine kleine Gesellschaft eingeladen. Oberst M’Donald ist ein Soldat aus dem »zwanzigjährigen Krieg«, der Bruder von Sir John M’Donald, dem Generaladjutanten Englands, und Vetter vom Marschall Macdonald von Frankreich. Mit 18 Jahren zog er als Fähnrich in Spanien ein, mit jener Armee von zehntausend Mann, von denen in weniger als sechs Monaten nur noch viertausend übrig waren. Bei Waterloo kommandierte er ein Regiment und empfing auf dem Schlachtfeld vom König von England den militärischen Bath-Orden, vom Kaiser von Rußland den St. Annen-Orden. Bei seinen reichen Erinnerungen war seine Unterhaltung so gut, als lese man ein Stück Geschichte. Er gehörte einer Generation an, die schnell dahinschwindet und auf die ein Amerikaner selten trifft.

Ich öffnete das zum Hafen gelegene Fenster. Das Dampfboot lag vor dem Regierungsgebäude, und die aus seiner Esse aufsteigenden schwarzen Rauchsäulen mahnten uns, daß es zum Einschiffen Zeit war.

Mit den wärmsten Gefühlen der Dankbarkeit nahm ich Abschied und stieg in die Barke. In diesem Augenblick wurde die Flagge auf dem Regierungsflaggenstock aufgezogen und vom Fort eine Kanone abgefeuert. Bei der Vorüberfahrt am Fort präsentierten die Soldaten das Gewehr.

Der Leser wird vielleicht fragen, wie ich mich bei allen diesen Ehrenbezeigungen fühlte. Um es offen zu sagen, es klopfte mir das Herz dabei, und ich fühlte mich von Stolz gehoben, denn diese Ehren galten ja nicht mir, sondern meinem Vaterland.

Um dem Glanze der Abschiedsszene die Krone aufzusetzen, hatte mein guter Freund, der Kapitän Hampton, seine zwei Vierpfünder geladen, und als wir vorbeifuhren, feuerte er den einen ab, während der andere versagte. Der Kapitän unseres Dampfbootes hatte zwar ein Kanönchen an Bord, mit dem er alle diese Höflichkeiten gern erwidert hätte, aber zu seinem großen Leidwesen hatte er, wie er mir sagte, kein Pulver bei sich. Er war ein kleiner, befahrener, vertrockneter Alt-Spanier, höflich wie ein Don aus guter alter Zeit. Der Ingenieur war ein Engländer, und die Mannschaft bestand aus Spaniern, Mestizen und Mulatten, die in der Handhabung eines Dampfbootes nicht besonders zu Hause waren.

Unser einziger Reisegefährte war ein römisch-katholischer Priester, ein junger Ire, der acht Monate in Belize gewesen war und jetzt nach Guatemala wollte infolge einer Einladung des dortigen Bistumsverwesers. Der Abend war so mild, daß wir unseren Tee auf dem Deck einnahmen.

ZWEITES KAPITEL

Durch den Urwald und über das Micogebirge

Jeder sorgt für sich selbstPunta GordaEin Besuch bei den karibischen IndianernEine TaufeDer Río DulceIzabal – Gefährliche Bergpassage

Wir hatten einen Diener gemietet, einen jungen französischen Spanier, in Santo Domingo geboren und in Omoa erzogen, mit Namen Augustin. Früh am Morgen fragte er uns, was wir zum Frühstück wünschten. Wir gaben ihm unsere Weisungen und setzten uns, als aufgetragen war, zum Frühstück nieder. Während des Essens erfuhren wir rein zufällig, daß alles, was auf dem Tisch stand, mit Ausnahme des Tees und Kaffees, dem Padre gehörte. Ohne uns danach erkundigt zu haben, hatten wir angenommen, daß das Dampfboot für die nötige Verpflegung Sorge tragen würde, erfuhren aber jetzt zu unserem Erstaunen, daß das Boot sich nicht darum kümmere und die Passagiere für sich selbst sorgen müßten. Der Padre hatte ebensowenig davon gewußt; aber einige gute katholische Freunde, die er getraut oder deren Kinder er getauft hatte, hatten Vorräte verschiedener Art zusammengepackt und an Bord gesandt, unter anderem, ein seltsames Gepäck für einen Reisenden, einen ganzen Korb voll Hühner.

Es war ein schöner Tag. Unser Kurs ging fast geradewegs nach Süden, immer an der Küste von Honduras entlang. Kolumbus entdeckte diesen Teil des amerikanischen Kontinents auf seiner letzten Reise, aber seine smaragdenen Reize vermochten ihn nicht zu gewinnen, den Fuß ans Ufer zu setzen. Ohne zu landen, fuhr er nach dem Isthmus von Darien weiter, um jene Durchfahrt nach Indien zu finden, die das Ziel all seiner Hoffnungen war, die er aber niemals erblicken sollte.

Wir setzten uns unter ein leinenes Schirmdach, wo wir Schutz vor der glühend heißen Sonne fanden. Die Küste nahm jetzt den Charakter des Großartigen an und machte meine Vorstellungen von tropischen Gegenden zur Wahrheit. Dichter Wald trat bis ans Ufer heran. Dahinter erhoben sich hohe Berge, bis zu ihren Scheiteln mit ewigem Grün bekleidet. Höher und höher türmten sich die Berge, bis sie sich endlich in den Wolken verloren.

Um 11 Uhr kam Punta Gorda, eine Ansiedlung karibischer Indianer, in Sicht. Als wir näher kamen, sahen wir eine Lichtung hart am Ufer mit einer Reihe niedriger Häuser. Es war nur ein Flecklein auf der großen Küstenlinie, und zu beiden Seiten stand der Urwald. Dahinter ragte ein höchst merkwürdiger Berg empor, der wie entzweigebrochen aussah, gleich dem Rücken eines doppelhöckrigen Kamels. Als unser Dampfboot zum Dörfchen einbog, wo nie zuvor ein Dampfboot erschienen war, geriet alles hier in Bewegung. Frauen und Kinder kamen ans Ufer gelaufen, und vier Männer eilten zum Wasser hinab und fuhren uns in einem Kanu entgegen. Der Padre fragte uns, ob wir etwas einzuwenden hätten, wenn er die Gelegenheit zu Taufen und Trauungen benutzte, und da wir nichts dagegen hatten, erschien er im Augenblick der Landung auf dem Deck mit einem großen Waschbecken in der einen Hand und in der anderen mit einem vollgepfropften Tuch, das seine priesterliche Kleidung enthielt.

In geringer Entfernung vom Strand warfen wir Anker und ruderten mit dem kleinen Boot ans Ufer. Sofort sahen wir uns unter einer brennenden Sonne mitten in den ganzen Reichtum einer tropischen Vegetation versetzt. Baumwolle, Reis, Cahoon, Kakao, Ananas, Orangen, Limonen, Pisangs und viele andere Früchte, die wir nicht einmal dem Namen nach kannten, alles wuchs hier in solcher Fülle und Üppigkeit, daß im ersten Augenblick ihr bloßer Duft uns berauschte. Die meisten Einwohner saßen im Schatten der Bäume beisammen, und der Padre verkündete ihnen, daß er gekommen sei, um sie zu trauen und zu taufen. Nach einer kurzen Besprechung wurde ein Haus zur Vollziehung der Zeremonien bestimmt, während Herr Catherwood und ich, von einem Kariben geführt, der in Belize einige Brocken Englisch aufgeschnappt hatte, die Ansiedlung durchwanderten.

Die Häuser waren aus etwa zolldicken Pfählen erbaut, die aufrecht im Boden steckten, mit Baumrinde zusammengebunden und mit Blättern überdeckt. In jedem Haus befand sich eine Hängematte aus Gras.

Als wir zurückkehrten, fanden wir unseren Freund, den Padre, in den Inhalt seines Tuches gekleidet, worin er sich ganz respektabel ausnahm. Neben ihm stand unser Waschbecken vom Dampfboot, mit heiligem Wasser gefüllt. In seiner Hand hielt er ein Gebetbuch. Augustin stand dabei und hielt den Stummel eines Talglichts.

Die Kariben haben wie die meisten Indianer Zentralamerikas die Lehren des Christentums so empfangen, wie sie ihnen von den spanischen Priestern und Mönchen dargereicht wurden, und sie halten sich streng an die vorgeschriebenen Formen. Der Besuch eines Padre war in dieser Niederlassung ein seltenes, aber willkommenes Ereignis. Anfangs schienen sie Verdacht zu hegen, daß unser Freund kein Rechtgläubiger sei, weil er nicht spanisch sprach. Als sie ihn aber in seinem Priesterrock und der Stola und mit dem brennenden Weihrauch sahen, war alles Mißtrauen verschwunden.

Es gab nur wenig Trauungen, da die meisten Männer zum Fischfang und bei der Feldarbeit waren. Dagegen erschien ein langer Zug von Frauen, jede mit einem Kind auf dem Arm, zum Taufen.

Der Padre verstand nur wenig Spanisch. Sein Buch war lateinisch geschrieben, und da er nicht imstande war, es so rasch zu übersetzen, hatte er die Zeit unserer Abwesenheit dazu verwendet, den formellen Teil des Taufdienstes aus einem spanischen protestantischen Gebetbuch auf einen Streifen Papier abzuschreiben. In der Verwirrung war dieses Papierchen verlorengegangen, und der Padre war nun wieder auf sein Latein angewiesen, um es, sooft es nötig war, ins Spanische zu übertragen. Nachdem er sich eine Weile mühselig damit fortgeholfen hatte, wandte er sich an Augustin und sagte ihm die den Frauen vorzulegenden Fragen auf englisch vor. Augustin war ein guter Katholik und lieh ihm sein Ohr mit derselben Ehrerbietung, als ob er der Papst selbst gewesen wäre, verstand aber von allem, was er sagte, nicht ein Wort. Ich erklärte Augustin alles auf französisch, dieser erklärte es einem der Männer auf spanisch, und dieser verdolmetschte es nun wieder den Frauen. Natürlich entstand daraus ein wahrer Wirrwarr. Trotzdem aber waren alle so andächtig und ehrerbietig, daß das Feierliche der Handlung nicht darunter litt.

Wir kehrten zu unserem Dampfboot zurück und waren wenige Minuten später wieder unterwegs. Nach einigen Meilen tat sich eine schmale Öffnung in einem Gebirgswall vor uns auf, und nach wenigen Augenblicken fuhren wir in den Río Dulce ein. Auf beiden Seiten umschloß uns eine Mauer von lebendigem Grün. Zu beiden Seiten fielen von den Wipfeln der höchsten Bäume lange Ranken ins Wasser herab, als wollten sie trinken und den Stämmen, die sie trugen, Leben zuführen. Nach wenigen Minuten hatten wir nach einer Flußkrümmung das Meer aus dem Gesicht verloren und sahen uns von allen Seiten von einer Waldesmauer eingeschlossen. War es möglich, daß dies das Tor zu einem Land der Vulkane und Erdbeben, zu einem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land war?

Manchmal schien es uns, als müsse das Boot mitten unter die Bäume hineinfahren. Gelegentlich ging die grüne Mauer auseinander, und die Sonne schoß ihre versengenden Strahlen hernieder, aber schon im nächsten Augenblick waren wir wieder im tiefsten Schatten. Nach den phantastischen Erzählungen, die wir gehört hatten, erwarteten wir, Affen in den Bäumen ihre lustigen Sprünge machen, Papageien über unseren Köpfen hinfliegen zu sehen; aber es herrschte eine Lautlosigkeit, als wäre nie zuvor ein lebendes Wesen hierher gekommen. Das einzige aus dem Reich des Lebendigen, was wir sahen, war der Pelikan, der stillste unter den Vögeln, und der einzige Ton, den wir hörten, war das unaufhörliche Brausen und Lärmen unserer Dampfmaschine.

Neun Meilen weit währte dieses einzigartige Naturgemälde, als plötzlich der schmale Fluß sich zu einem großen See ausweitete, von Gebirgen eingerahmt und mit zahlreichen Inseln. Wir weilten bis zur späten Stunde auf dem Verdeck und erwachten am nächsten Morgen im Hafen von Izabal. Es war 7 Uhr früh und schon heiß.

Die Ankunft des Padre rief eine gewaltige Bewegung im Städtchen hervor und wurde durch ein freudiges Läuten der Glocken verkündet. Eine Stunde danach erschien er schon in der Stola und las die Messe. Die Kirche war ebenso wie die Häuser aus Pfählen erbaut und mit Blättern überdeckt. Den Fußboden bildete die bloße Erde, aber er war rein gefegt und mit Fichtennadeln überstreut. Die Wände waren mit Blumengirlanden und Zweigen geputzt und der Altar mit Bildern der Jungfrau und der Heiligen und mit Blumenkränzen geschmückt. Da es eine lange Zeit her war, seit die Leute Gelegenheit hatten, die Messe zu hören, war die ganze Bevölkerung dem unerwarteten, aber willkommenen Ruf der Morgenglocke gefolgt. Der Boden war mit knienden Frauen bedeckt, die weiße über den Kopf geworfene Schals trugen, während hinter ihnen die Männer sich an die Pfeiler lehnten. Der Ernst und die fromme Demut, der bloße Erdboden und das Blätterdach, sie erzeugten tiefere Rührung als der gottesdienstliche Pomp in den reichen Kathedralen Europas oder im St. Petersdom.

Ich begab mich nun zunächst mit meinem Paß zum Kommandanten. Sein Haus lag auf der entgegengesetzten Seite des Platzes. Ein Soldat von etwa vierzehn Jahren, mit einem Strohhut, der ihm ins Gesicht fiel, stand an der Tür Wache. Die Truppe, die aus etwa dreißig Männern und Knaben bestand, war vor dem Hause aufgestellt und wurde von einem Sergeanten mit einer dampfenden Zigarre im Mund eingewiesen. Die Uniform sollte aus einem Strohhut, weiten baumwollenen Hosen und einem Hemd darüber sowie einer Machete und einer Patronentasche bestehen. Aber die Uniformität wurde nur in einem einzigen Punkt streng eingehalten, nämlich in der Barfüßigkeit.

Der Kommandant dieser hoffnungsvollen Truppe war Don Juan Piñol, der erst seit zwanzig Tagen im Amt war. Er vermittelte uns ein trauriges Bild vom Zustand des Landes. Drei große Parteien zerfleischten Zentralamerika: die Partei Morazáns, des früheren Präsidenten der Republik, in San Salvador, die Partei Ferreras in Honduras und die Partei Carreras in Guatemala. Ferrera war Mulatte und Carrera Indianer, die, obwohl nicht für ein gemeinsames Ziel kämpfend, doch in ihrem Widerstand gegen Morazán übereinstimmten. Zu unserem großen Bedauern veranlaßte die Kunde über die gefährliche politische Lage unseren Freund, den Padre, seine Absicht, nach Guatemala zu gehen, aufzugeben.

Bei Tagesanbruch begannen die Maultiertreiber aufzuladen, und um 7 Uhr war die ganze Karawane, aus beinahe hundert Maultieren und zwanzig bis dreißig Treibern bestehend, schon auf dem Marsch. Was uns anbelangt, so hatten wir fünf Maultiere, zwei für Herrn Catherwood und mich, eins für Augustin und zwei für das Gepäck. Außerdem begleiteten uns noch vier indianische Träger. Die Indianer waren nackt, mit Ausnahme eines kleinen Baumwollstreifens um die Lenden. Die Lasten waren so gepackt, daß sie auf der einen Seite eine glatte Fläche hatten. Die Indianer setzten sich auf den Erdboden mit dem Rücken gegen die flache Seite, legten über die Stirn einen Riemen, der die Last trug, rückten sie auf ihren Schultern zurecht und standen mit Hilfe eines Stockes oder der Hand eines Dabeistehenden auf. Es nahm sich grausam aus; allein ehe wir noch unsere Teilnahme auf sie richten konnten, hatten wir sie bereits aus den Augen verloren.

Um 8 Uhr saßen Herr Catherwood und ich auf, jeder mit einem Paar Pistolen und einem großen Jagdmesser bewaffnet, die wir in einem Gürtel stecken hatten. Außerdem trug ich noch ein Barometer um die Schulter geschlungen. Augustin hatte außer Pistolen noch ein Schwert. Unser Hauptmaultiertreiber, der beritten war, trug eine Machete und ein Paar mörderische Sporen mit zwei Zoll langen Rädchen an seinen nackten Fersen. Zwei weitere Maultiertreiber begleiteten uns zu Fuß, jeder mit einer Flinte bewaffnet.

Nachdem wir an zerstreut stehenden Häusern, die die Vorstadt bildeten, vorübergekommen waren, betraten wir eine morastige Ebene, die hier und da mit Sträuchern und kleinen Bäumen bewachsen war, und befanden uns nach wenigen Minuten in einem dichten Wald. Bei jedem Schritt versanken die Maultiere bis zu den Fesseln im Schlamm. Ich gab das Barometer dem Maultiertreiber, da ich zu tun hatte, mich im Sattel zu halten.

Die Karawane, die vor uns aufgebrochen war, war nur eine kurze Strecke voraus, und nach einer Weile hörten wir das laute, lustige Geschrei der Maultiertreiber und den scharfen Knall der Peitsche durch den Wald schallen. Wir holten sie am Ufer eines Gewässers ein, das über ein steiniges Bett hinwegschoß. Die ganze Karawane bewegte sich im Bett dieses Flusses stromaufwärts, dessen Wasser durch den Schatten der Bäume schwarz gefärbt war. Das Flußbett war derart zerrissen und steinig, daß die Tiere ständig strauchelten und fielen. Am Fuße des Berges begann der Weg steil anzusteigen. Die enge Bergstromschlucht war teils von den Maultieren ausgetreten, teils vom Wildwasser so tief ausgewaschen, daß die Wände höher als unsere Köpfe waren, und dabei so eng, daß wir sie nur notdürftig passieren konnten. Mann hinter Mann zog die Karawane durch diesen schlammigen Hohlweg. Es war das Ende der Regenzeit. Die schweren Regengüsse, unter denen wir auf See gelitten hatten, hatten den Berg überschwemmt und nahezu unpassierbar gemacht. Während der letzten paar Tage ging kein Regen hernieder, aber kaum hatten wir uns dazu Glück gewünscht, als der Wald sich verdunkelte und der Regen in Strömen niedergoß.

So schleppten wir uns fünf lange Stunden mühselig durch Schlammlöcher hindurch, quetschten uns zwischen Schluchtwänden hindurch, rannten gegen Bäume oder stolperten über Wurzeln. Jeder Schritt verlangte sorgfältige Prüfung und große körperliche Anstrengung. Einige Maultiere stürzten. Was unsere unmittelbare Reisegesellschaft betraf, so stürzte mein Maultier zuerst. Als ich merkte, daß ihm mit dem Zügel nicht zu helfen war, hob ich mich mit einer Anstrengung, die jeden Nerv straffte, von seinem Rücken empor, wodurch ich mich von den Wurzeln und Bäumen, aber freilich nicht vom Schlamm freimachte. Herr Catherwood wurde mit solcher Gewalt abgeworfen, daß mich ein Schaudern ergriff.

Um 1 Uhr erreichten wir zu unserer unaussprechlichen Freude den Scheitel des Berges. Wir stiegen ab und würden gern einen Imbiß eingenommen haben, wenn wir Wasser zum Trinken gehabt hätten. So aber traten wir nach einer kurzen Rast den Weitermarsch an. Der Abstieg war so schlimm wie der Aufstieg. Es hatte den Anschein, als wären die Maultiertreiber begierig auszumachen, in wie kurzer Zeit sie den Berg hinabkollern könnten. Einmal, in einem der schlammigsten Hohlwege, wurden wir durch den Sturz eines Maultieres vor uns und das Andrängen aller hinter uns kommenden Tiere vollständig eingeschlossen, bis wir an dem ersten passenden Platz anhielten und die Karawane vorüberließen. Ich beobachtete eine Stunde lang die Bewegungen des vor mir gehenden Maultieres. Manchmal setzte es einen seiner Vorderfüße auf eine Wurzel oder einen Stein und prüfte ihn so, wie es ein Mensch tun würde.

Bald erreichten wir ein schönes Tafelland, wo sich ein großer Trupp Maultiertreiber, die nach Izabal wollten, für die Nacht gelagert hatten. Indigoballen, die ihre Ladung bildeten, waren gleich einer Mauer übereinander aufgeschichtet. Ihre Maultiere grasten ruhig neben ihnen, und Feuer brannten zum Kochen ihrer Mahlzeit. Es war uns eine große Freude, wieder einmal in offenem Land zu sein und den Berg mit seinem dichten Wald, von der Sonne beleuchtet, großartig und düster hinter uns zu sehen.

Als wir von diesem Tafelland uns weiter bergab bewegten, betraten wir eine dichtbewaldete Ebene und erreichten nach wenigen Minuten einen Hain von wilden Palmen. Aus ihrem hohen schlanken Stamm wuchsen Zweige von zwanzig bis dreißig Fuß Länge heraus und bogen sich, ungeheuren Federn gleichend, anmutig niederwärts. Während wir unter ihnen hinritten, herrschte eine feierliche Stille und eine Verlassenheit, die an die Säulen eines ägyptischen Tempels erinnerte.

Bei Einbruch der Dämmerung erreichten wir den Rancho Mico. Er bestand aus einem kleinen Haus, von Pfählen erbaut und mit Lehm beworfen. Nahe dabei und durch einen mit Zweigen überdachten Schuppen mit ihm verbunden, lag ein größeres Haus, das für Reisende bestimmt war. Als wir jedoch unsere Kleidung wechseln wollten, vermochten wir unsere Leute nicht aufzufinden und mußten uns, so wie wir waren, niederlegen. Mit dem befriedigenden Gedanken, daß wir »den Berg« passiert hatten, verfielen wir jedoch bald in Schlaf.

DRITTES KAPITEL

Im Kanu über den reißenden Motagua

Wie man ein Huhn brätSchusterei aus dem StegreifDer Fluß MotaguaÜberquerung des FlussesDer Luxus des WassersUrzuständliche SittenGualánZacapa

Noch vor Tagesanbruch war ich draußen. Zwanzig bis dreißig Maultiertreiber schliefen auf dem Erdboden, jeder auf dem Rücken, seine schwarze Chamarra um sich geschlungen, die Kopf und Füße bedeckte. Als der Tag anbrach, erhoben sie sich.

Noch immer ließ sich keiner von unseren eigenen Leuten sehen. Um 8 Uhr erschienen zwei Männer, die in einem Rancho in der Nähe geschlafen hatten, während die anderen mit dem Gepäck weitergezogen waren. Wir waren außerordentlich ärgerlich darüber, ertrugen aber das Unbehagliche unserer schlammsteifen Kleider so gut es gehen mochte und brachen auf.

Unser Weg führte über ein gebirgiges, aber im wesentlichen waldfreies Land, und ungefähr nach zwei Stunden erreichten wir eine Anzahl von Ranchos, El Pozo genannt. Hier, gleich zu Beginn unserer Reise, begegneten wir einer Knappheit an Lebensmitteln, die größer war, als sie uns je zuvor in irgendeinem bewohnten Land vorgekommen war. Die Leute leben hier ausschließlich von Tortillas, das sind dünne Kuchen aus zermahlenem Mais, die auf einer irdenen Pfanne gebacken werden, und Frijoles, den schwarzen Bohnen. Augustin kaufte einige Kilo dieser schwarzen Bohnen, aber sie bedurften eines mehrstündigen Einweichens, ehe sie gegessen werden konnten. Es gelang ihm schließlich, ein Huhn zu kaufen, das er an einen Stock steckte und über einem Feuer dämpfte und das in Verbindung mit Tortillas ein bescheidenes Mahl abgab.

In dem Augenblick, als wir aufbrechen wollten, sagte uns unser Begleiter, er könnte nicht eher mit uns fort, als bis er sich ein Paar Schuhe gemacht habe. So sahen wir uns denn genötigt zu warten; jedoch dauerte die Sache nicht lange. Auf einer ungegerbten Kuhhaut stehend zeichnete er mit einem Stück Kohle den Umfang seiner Füße, schnitt mit seiner Machete die Stücke heraus, machte die entsprechenden Löcher hinein, führte einen Lederstreifen über den Spann, um die Ferse herum, zwischen der großen und der nächsten Zehe hindurch und war beschuht.

Wiederum ging es über einen hohen Gebirgsrücken. Um 2 Uhr begann es zu regnen, aber nach einer Stunde klarte es wieder auf, und wir erblickten von dem hohen Bergrücken den Motagua, einen der größten Flüsse Zentralamerikas, der sich majestätisch durch das Tal zu unserer Linken wälzte. Auf einem steil abfallenden Pfad erreichten wir um 4 Uhr das Flußufer. Das Landschaftsbild, das uns umgab, war eines der schönsten, die ich je gesehen. Ringsum erhoben sich riesige Berge, und zwischen ihnen wälzte sich mit der Gewalt eines wilden Wassers der breite und tiefe Fluß dahin.

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Durchquerung der Berglandschaft Guatemalas

Am anderen Ufer standen ein paar Häuser, und zwei bis drei Kanus lagen im Wasser, aber kein Mensch war zu sehen. Durch lautes Rufen lockten wir einen Mann ans Ufer, der in eines der Kanus stieg und abfuhr. Im Nu wurde er von dem reißenden Strom weit hinabgetrieben, bis es ihm unter Ausnutzung eines Stromwirbels gelang, sein Fahrzeug zu der Stelle, wo wir standen, herüberzubringen. Nachdem wir unser Gepäck, die Sättel, das Zaumzeug und anderes Mauleselgeschirr an Bord geschafft hatten, schifften wir uns selbst ein. Augustin saß am Stern und hielt eines der Maultiere am Strang, um als Lockente zu dienen; aber die anderen Tiere hatten keine Lust zu folgen. Der Maultiertreiber jagte sie bis an den Hals ins Wasser, aber sie eilten wieder ans Ufer zurück. Er versuchte mehrmals sie hineinzutreiben, indem er Stöcke und Steine nach ihnen warf. Vergebens. Schließlich entkleidete er sich, watete bis zur Brust ins Wasser hinein und brachte sie nun mit Hilfe eines zehn bis zwölf Fuß langen Stocks alle glücklich zum Schwimmen, und zwar in einer Reihe, so daß er sie alle mit seinem Stock erreichen konnte. Jedes Tier, das sich dem Ufer zu wandte, empfing einen Schlag auf die Nase, bis sie endlich allesamt ihre Gesichter nach dem gegenüberliegenden Ufer richteten. Obwohl sie in gerader Richtung hinüberzukommen suchten, wurden sie doch von der Strömung abwärts getrieben, und eines, das weiter als die anderen fortgerissen wurde, erhob, als es seine Brüder landen sah, ein entsetzliches Geschrei und wäre bei seiner heftigen Anstrengung ihnen nachzufolgen, beinahe ertrunken.

Während dieser ganzen Zeit saßen wir in dem Kanu, und die heiße Sonne brannte uns heftig auf die Köpfe. Überhaupt hatten wir in den letzten zwei Stunden entsetzlich unter der Hitze gelitten. Unsere Kleider trieften von Schweiß und starrten von Schlamm, und wir gedachten mit Entzücken des Augenblicks, wo wir ein Bad im Motagua nehmen und unsere Wäsche wechseln könnten. Wir landeten und gingen zu dem Haus, wo wir die Nacht verbringen sollten. Dieses war mit Mörtel beworfen, weiß angestrichen und mit roten Streifen in Gestalt von Blumengehängen verziert. Vorn hatte es eine Einfriedung aus sechs Zoll dickem, gespaltenem Rohr und bot so einen recht günstigen Anblick. Zu unserem großen Ärger war unser Gepäck nach einem drei Leguas entfernten Rancho transportiert worden, und unser Maultiertreiber weigerte sich, nur einen Schritt weiterzugehen. Hinzu kam noch, daß unser Wirt, obwohl er sein ganzes Haus und alles, was er hatte, uns zur Verfügung stellte, uns leider nichts zu essen geben konnte. So unbehaglich daher unsere Situation war, hatten wir doch keine Lust, so ohne weiteres vom Motagua fortzuziehen.

Nachdem wir Augustin die Weisung gegeben hatten, das ganze Dorf nach Lebensmitteln zu durchstöbern, kehrten wir zum Fluß zurück. Überall war die Strömung viel zu reißend, um ein ruhiges Bad nehmen zu können, so daß wir unseren Mann mit dem Kanu herbeiriefen und auf die gegenüberliegende Seite hinüberfuhren. Hier endlich ward uns nach wenigen Minuten der Hochgenuß eines Bades zuteil, dessen Wollustgefühl nur von denen begriffen werden kann, die gleich uns ohne Kleiderwechsel das Micogebirge überquert haben.

Es war der Augenblick eines goldenen Sonnenuntergangs. Wir standen bis an den Hals im Wasser, das hell war wie Kristall und ruhig wie das Wasser eines Seeleins, am Rande eines Fahrwassers, in dem der Strom mit pfeilschneller Eile dahinschoß. Auf allen Seiten erhoben sich Berge mehrere tausend Fuß hoch, deren Scheitel im Glanze der sinkenden Sonne lagen. Papageien mit glänzendem Gefieder flogen zu Tausenden über unsere Köpfe hinweg, schnappten unsere Worte auf und erfüllten die Luft mit ihrem kreischenden Spottgeschrei. Es war eines jener entzückenden Schauspiele, die uns so selten im menschlichen Leben begegnen, und von einer Schönheit, daß es fast Traumgebilde verwirklichte.

Als wir wieder zu unseren Kleidern traten, hatten wir einen bitteren Augenblick. Sie lagen am Ufer ausgebreitet wie Embleme von Menschen, die bessere Tage gesehen. Die Abendsonne, die über alles einen sanften, weichen Glanz ausgoß, machte ihren Schlamm und Schmutz erst recht sichtbar und abstoßend. Es blieb uns nur eine Alternative, nämlich: ohne sie zu gehen. Da uns dies aber ein arger Verstoß gegen die Schicklichkeiten des Lebens zu sein schien, hoben wir sie auf und legten sie mit Widerstreben wieder an. Ich bin indes nicht gewiß, ob wir nicht hiermit ein unnötiges Opfer brachten. Unser Wirt war ein Don, trotzdem aber empfing er uns mit großer Würde in einem einzigen, weitabstehenden, weißen, nicht ganz bis an die Knie reichenden Kleidungsstück. Nicht minder ungezwungen war die Bekleidung seiner Gemahlin, im Stile der altmodischen kurzen Röcke und Unterröcke, nur daß der Spenzer und alles, was man gewöhnlich darunter trug, fehlten und ihre Stelle durch eine Perlenschnur mit einem großen Kreuz daran ersetzt ward. Ein Dutzend Männer und junge Burschen, völlig nackt mit Ausnahme einer kleinen Bedeckung, trieben sich um das Haus herum, und die Frauen und Mädchen zeigten sich in solchem äußersten Negligé, daß eine Perlenschnur ihrer Sittsamkeit als vollständig genügende Hülle erschien.

Wegen der Nacht waren Herr Catherwood und ich in ziemlich fataler Verlegenheit. Im Zimmer standen drei Betten, die aus geflochtenen Kuhhautstreifen bestanden. Das eine nahm der Don ein, der mit Auskleiden nicht viel zu schaffen hatte, da er bloß sein einziges Bekleidungsstück, das Hemd, abwarf. Am Fuße meiner Hängematte stand ein anderes Bett. Ich war ein wenig eingeschlummert, als ich die Augen aufschlug und ein Mädchen von etwa siebzehn Jahren seitwärts darauf sitzen und eine Zigarre rauchen sah. Sie hatte um den Unterleib ein Stück gestreiftes Baumwollzeug gebunden, das ihr bis unter die Knie fiel. Ihre sonstige Kleidung war ganz die gleiche, mit der Mutter Natur die Schöne der vornehmen Welt wie das ärmste Mädchen ausstattet; mit anderen Worten, es war dieselbe wie von Dons Gemahlin, mit Ausnahme der Perlenschnur. Im ersten Augenblick dachte ich, es wäre ein Gesicht, das ich im Traum heraufbeschworen hätte. Ich mochte vielleicht im Aufwachen meinen Kopf erhoben haben, denn nach einigen raschen Zügen an ihrer Zigarre zog sie ein baumwollenes Bettuch über Kopf und Schultern und legte sich zum Schlafen nieder. Ich versuchte das gleiche zu tun und dachte dabei an das Sprichwort: »Reisen bringt seltsame Bettgenossen.«

Uns als Gästen war es angenehm, daß die Familie uns nicht wie Fremde behandelte. Mehrmals in der Nacht wurden wir durch das Feueranschlagen mit Stahl und Stein aufgeweckt und sahen, wie unsere Nachbarn sich eine Zigarre anzündeten. Bei Tagesanbruch genoß Dons Gemahlin ihr Morgenschläfchen. Während ich mich ankleidete, wünschte sie mir einen guten Morgen, entfernte die baumwollene Decke von ihren Schultern und stand in vollem Tagesstaate auf.

Wir brachen frühzeitig auf, und unser Weg führte eine Weile am Ufer des Motagua entlang, das im Morgenlicht fast ebenso schön war wie im Glanz der sinkenden Sonne. Der Charakter der Landschaft war großartig, aber das Land war wild und unbebaut, ohne Hecken, Zäune und Wohnungen. Wir begegneten nur einigen Indianern, die, ihre Macheten in der Hand, zu ihrer Morgenarbeit gingen, und einem Reiter auf einem Maulesel mit einer Frau vor sich, um deren Leib er seinen Arm schlang.

Ich ritt meinen Reisegefährten voraus. Ein wenig seitwärts von der Straße sah ich ein kleines weißes, vollkommen nacktes Mädchen vor einem Rancho spielen. Ich ritt auf die Hütte zu. Der Besitzer schaukelte sich unter dem Vorbau in einer Hängematte und rauchte eine Zigarre. Nicht weit davon stand ein Schuppen, der mit Maisstengeln und Maisblättern überdeckt war. Es war die cocina, die Küche. Wie gewöhnlich waren, während der Don in seiner Hängematte eine behagliche, faule Ruhe genoß, die Frauen bei der Arbeit.