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Nr. 1457

 

Bomben für Topsid

 

Treffpunkt Orion-Delta – ein Mann stirbt zweimal

 

von Robert Feldhoff

 

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In der heimatlichen Galaxis, die Perry Rhodan und die übrigen Rückkehrer aus dem Universum Tarkan mit einer Verspätung von fast 700 Jahren erreichten, hat sich Erschreckendes getan. Jetzt, im Spätsommer 1144 NGZ, ist es jedenfalls nicht mehr möglich, der negativen Entwicklung noch Einhalt zu gebieten, obwohl es Rhodan und seinen Gefährten inzwischen gelungen ist, die Barrieren zu überwinden, die die Milchstraße vom Rest des Universums abschotten.

Die Zustände in der Galaxis sind geprägt von subtiler Diktatur, allgemeiner Verdummung, interstellarer Isolation, offenem Zwang, wirtschaftlicher Unterdrückung und mannigfachen anderen Dingen, die dazu geeignet sind, ganze Sternenreiche mit Billionen von intelligenten Wesen erfolgreich im Griff zu halten.

Die Drahtzieher dieser Politik scheinen die Cantaro zu sein, so glaubt Perry Rhodan bald zu wissen; und der Terraner erkennt auch, dass die Kräfte der Opposition, zusammengefasst in der Untergrundorganisation WIDDER, zu schwach sind, die neuen Machthaber zu stürzen. Auch wenn er erst unlängst dem Ende nahe war, Perry Rhodan bleibt weiterhin aktiv. Er nimmt die Einladung eines »alten Freundes« zu einem Treffen bei Orion-Delta wahr.

Für andere geht es dabei um den Transport von BOMBEN FÜR TOPSID ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner hat eine Verabredung.

Galbraith Deighton – Ein alter Freund meldet sich.

Shrukmes – Ein Schriftgelehrter.

Garkmarn-Pit – Ein Spion wird Kanzler.

Keisha – Garkmarn-Pits Sekretär.

1.

Prolog

 

Ihn schickt das System.

Es schickt ihn nicht als Mörder – noch nicht.

Eher als Parlamentär, als Boten.

Der Cyborg lächelt; wenn es denn das ist, was ein Mensch als Lächeln bezeichnen würde. Er fragt sich, ob es wahr ist, was die Menschen sagen: In jedem Lächeln steckt auch ein Schmerz.

Es ist wahr, behauptet ein Teil seiner selbst. Es ist gleichgültig, behauptet der andere.

Und jener Teil, der sich zuerst gemeldet hat, verstummt. Sein Schmerz wächst. Wie ihm all dies die Kräfte raubt ... Das Lächeln gräbt sich tiefer ins künstliche Gesicht ein.

Der Cyborg beginnt zu lachen.

Er will nicht lachen, doch sein innerer Zwiespalt treibt ihn dazu. Im Grunde, so erkennt er, ist er, Galbraith Deighton, eine Fehlkonstruktion.

Oder ist alles nur ein Traum?

Träumen ist Hoffnung.

Wachen ist endlose Qual.

2.

Das Amulett Stern

 

Hoch oben fuhr kalter, feuchter Wind durch das Gebälk des Turmes von Ahk. Immer wieder knirschte morsches Holz – und ab und zu krachte es, als müsse im nächsten Augenblick das halbe Dach zusammenstürzen.

Nein, dachte Shrukmes, das war noch nie geschehen. Jedenfalls nicht, soweit die Geschichtsschreibung des Enshgerd-Ahk-Bundes zurückreichte, über vierhundert Jahre ... Seitdem bestand der Turm. Seither wurden hier die alljährlichen Rituale abgehalten.

Niemand war je im Turm gestorben.

Und trotzdem lugte er immer wieder angstvoll nach oben, ob sich eine der Bohlen vielleicht doch gelockert habe.

Ausgerechnet ihn hatten die Dorfvertreter wählen müssen. Jetzt befand er sich in der engeren Wahl; er und die neunzig anderen Ahker. Ringsum waren die vielen breitgedrückten Echsenköpfe, die haarlosen Schädel mit den niedergeschlagenen Augen, der penetrante Gestank.

»Höret den Hohepriester!«, rief einer der Lakaien.

Shrukmes hielt den Atem an. Der Priester trat wortlos vor, streckte eine Hand aus, die zur hohlen Faust geballt war, und reckte den anderen Arm in die Höhe.

»Jetzt!«, schrien die Lakaien zugleich.

Aus der hohlen Hand flatterte ein blauer Trinkmank. Das Vogelwesen hielt sich mit nervösen Bewegungen über allen Köpfen, kurz unter dem Dachstuhl. Mit entfalteten Schwingen war es so groß wie ein Kopf. Auf wem würde es sich niederlassen? Wen würde es nach alter Tradition zum Bewahrer des Amuletts Stern bestimmen?

Nicht ihn, dachte Shrukmes, nur nicht ihn! Er war ein kleiner Schriftgelehrter, kein Abenteurer. Wie hätte er sich gegen die Schergen des Trukrek-Hun-Reichs verteidigen sollen? Oder gegen die Leute der Guragkor-Gmen-Allianz? Das konnte nur ein Ahker, der fähiger war als er.

Der Trinkmank war gut dressiert. Er verlor seine Angst bereits, das zeigten die ruhigeren Bewegungen an. Mitten im Flug spritzte er eine Wolke Kot ab. Shrukmes verzog angewidert den Mund. Dann jedoch unterdrückte er mühevoll ein Kichern; der Kot hatte zwei der Lakaien getroffen.

Ein paar Sekunden lang ließ sich das Vogelwesen noch in den Windböen treiben, dann stieß es herab.

Shrukmes duckte sich.

»Es ist soweit!«, rief der Hohepriester. »Auch im vierhundertsten Jahr erfüllt sich das Ritual! Seid bereit! Draußen wartet das Abenteuer ... Es wartet auf einen von euch!«

»Bedenkt die Ehre!«, schrien die Lakaien.

Aber von ihnen würde es keinen treffen, dachte Shrukmes grimmig. Der Priester und seine Gefolgschaft spannten über ihren Köpfen stachlige Schirme auf. Welch eine Ironie. So blieben dem Trinkmank nur die demütig gesenkten Häupter der einfachen Ahker. Auf einen dieser braunen oder schwarzen Schuppenpanzer würde sich der Vogel niederlassen.

Shrukmes sah wütend auf.

Er war ein Schriftgelehrter, nicht mehr! Wer gab den Priestern das Recht? Schließlich waren die Urzeiten ohne Ordnung vorüber – sie hatten stählerne Schienenwege, tödliche Waffen und strenge Gesetze ... Und trotzdem reichte das alles nicht. Die wahren Regenten im Enshgerd-Ahk-Bund waren die Hohepriester, nicht das Triumvirat.

Er stieß einen Fluch aus.

Und es war, als habe eben dieses Geräusch den Trinkmank angelockt. Der Vogel begann, über seinem Kopf enge Kreise zu ziehen. Shrukmes sah reglos zu. Zwischen all den gesenkten Häuptern ragte er heraus. Es war zu spät.

Aus ihrer fast gebückten Haltung sahen die anderen teils neidisch, teils schadenfroh auf.

»Es ist soweit!« Der Hohepriester senkte seinen Stachelschirm und warf ihn hinter sich auf den Altar. »Der Vogel hat gewählt!«

»Er hat gewählt!«, schallte es von den Lakaien zurück.

In diesem Augenblick landete der Trinkmank. Shrukmes spürte den Zug der Krallen direkt zwischen seinen Kugelaugen. Nun war es wirklich zu spät.

 

*

 

Der Hohepriester führte ihn in den Verschlag, der im hinteren Bereich des Turmes als Vorbereitungszimmer für kultische Handlungen diente. Überall lagen Gegenstände ohne praktischen Wert herum. Der Priester wischte kurzerhand zwei kleine Kommoden frei und stützte sich auf eine davon.

Shrukmes nahm den Platz gegenüber ein.

Plötzlich machte der Hohepriester eine deutliche Veränderung durch. Es schien, als wandle er sich innerhalb einer Sekunde vom religiösen Eiferer zum elterlichen Freund.

»Du kennst die Lage«, begann der andere. »Der Sternenglaube ist weit verbreitet im Volk. Noch mehr: Er hält den Enshgerd-Ahk-Bund im Grunde zusammen ...«

»Ich weiß all das!«, gab Shrukmes grantig zurück. »Ich bin Schriftgelehrter!«

»Natürlich«, besänftigte der Hohepriester. »Doch du bist ein verkappter Ungläubiger, leugne es nicht! Wäre mir das nicht klar, ich würde dieses Gespräch mit dir gar nicht führen. Ich will dir nur erläutern, was zu tun ist. Seit Jahrhunderten geht derjenige, den der Trinkmank erwählt, zehn Wochen mit dem Amulett Stern auf die Reise. Das ist die Überlieferung. Wir können nichts dagegen tun. Und wenn die Zeit gekommen ist, wird sich das Amulett seinem Träger mitteilen.«

»Wie das?« Shrukmes hörte mit einem Mal gespannt zu. Der Priester verriet Dinge, die nicht einmal er als Schriftgelehrter wusste. »Kann das Amulett sprechen?«

Der andere trat mit bedauernder Geste ans Fenster und starrte hinaus in den Sturm. »Ich kann es dir nicht sagen. Aber es könnte sein. Haben wir nicht alle schon von sprechenden Gegenständen gehört? Von den Relikten aus grauer Vorzeit, aus der Zeit vor dem Schleier ... Aber um ehrlich zu sein, bisher hat sich das Amulett noch nie gemeldet.«

»Also werde ich nur wegen dieser Überlieferung losgeschickt?«

»Richtig. Wir müssen an alten Werten festhalten.«

»Ich will nicht.«

»Du kannst dich nicht wehren. Die Lakaien zerreißen dich sonst bei lebendigem Leib. Und wenn sie dich nicht erwischen, erwischt dich der Pöbel. Sie sind alle gläubiger als du.«

»Und gläubiger als du selbst.«

»Wieder richtig!«, gab der Hohepriester lachend zu. »Aber das tut nichts zur Sache. Wir müssen die politische Stabilität des Enshgerd-Ahk-Bundes garantieren. Und gerade die steht auf dem Spiel, wie du dir vielleicht denken kannst ...«

»Ich habe meine Vermutungen«, bestätigte Shrukmes.

»Das Trukrek-Hun-Reich und die Guragkor-Gmen-Allianz stehen kurz vor dem Krieg. Der Bund will sich heraushalten und weiterhin seinen eigenen Weg gehen. Aber wenn es eine von beiden Mächten schafft, das Amulett Stern an sich zu bringen, dann wird man uns erpressen.«

Shrukmes konnte über so viel Unvernunft nur den Kopf schütteln.

»Was soll dann das alles?«, wollte er wissen. »Weshalb dann das Risiko? Ich will zurück in mein Dorf.«

»Es ist Tradition«, antwortete der Hohepriester unerbittlich.

»Ist denn unsere Unabhängigkeit weniger wert als eine alte Tradition?«

»So ist es«, lautete die trockene Antwort. »Du musst deine zehn Wochen Wanderschaft ableisten. Und kein gläubiger Ahker wird es wagen, dir zu helfen. Sie fürchten den Zorn der Götter, wenn man deren Wege stört.«

Shrukmes fluchte.

Der Hohepriester presste schockiert seine Hände auf die Ohren und rannte hinaus.

War es nicht zum Lachen?, fragte sich Shrukmes böse; der einzige, der die Lage vielleicht hätte ändern können, war trotz aller Verlogenheit zu empfindsam für ein offenes Wort.

Schicksalsergeben trat er hinaus.

Die Lakaien hängten ihm das Amulett Stern um und befestigten es mit einem Knoten, den nur sie allein jemals wieder lösen konnten. Die Schnur war unzerreißbar. »Trage das Amulett immer stolz und offen!«, mahnte der Hohepriester. »So dass alle wissen: Er ist der Träger des Sterns!« Einer aus der Mitte der Lakaien öffnete die Tür. Von draußen peitschte ein nasser, eisiger Windstoß herein.

Shrukmes machte sich auf den Weg.

Ein Aufschrei von hinten hielt ihn zurück.

»Halt! Dir fehlt noch etwas!« Es war die Stimme des Hohepriesters.

Und noch im selben Augenblick hörte er das Geräusch der Schwingen. Auf seinem Kopf landete der Trinkmank.

3.

Gejagt

 

Rings um den Turm standen die Einwohner der Dörfer aus weitem Umkreis. Sie alle bestaunten ihn wie einen Heiligen – doch in manchen Blicken sah Shrukmes auch das Mitleid. Ihn hatte es getroffen, dachte er missmutig. Nicht genug, dass die Oberen seines Dorfes ihn gewählt hatten, auch im Kreis der Neunzig war die Wahl noch auf ihn gefallen.

Drohte ihm Lebensgefahr?

Plötzlich hing das Amulett wie ein tonnenschwerer Felsblock am Hals. Man musste es sehen können, das verlangte das alte Gesetz. Unwillkürlich schritt er geduckt durch die Reihen der Leute. Wohin jetzt? Zunächst einmal wollte er möglichst weit weg. Früher einmal hatte der Erwählte seine zehn Wochen Wanderschaft leicht hinter sich gebracht. Aber hinter ihm waren die Leute von Trukrek-Anur her, die Agenten des Imperators. Außerdem vielleicht Soldaten der Guragkor-Gmen-Allianz ...

Shrukmes schlug den Weg zum nächsten Marktplatz ein. Hier erregte er kaum noch Aufsehen. Inzwischen sammelten sich im näheren Umkreis die Leute des ganzen Dorfes. Erregte Stimmen kamen aus allen Richtungen. Er nahm von jedem Stand an Speisen, was er haben wollte, und verpackte es in einen geräumigen Beutel. Niemand hinderte ihn daran. Kein Ahker hätte vom Erwählten Bezahlung verlangt. Nur aktive Hilfe durften sie nicht gewähren.

»He! Du!«

Erschrocken sah er auf.

Zwischen den Hütten traten fünf fremdländisch gekleidete Gestalten hervor. Sie waren keine Ahker, sondern Topsider aus einem anderen Teil des Planeten. Unter ihren Umhängen trugen sie Gürtel mit Schusswaffen und Patronenhülsen.

Einer der fünf hob ein sonderbares Gerät.

Keine Waffe, erkannte Shrukmes, sondern etwas anderes. Er begriff, dass es sich um eine Kamera handelte. Einer der Fremden hatte von ihm eine Fotografie angefertigt.

Shrukmes reagierte sofort.

Er fuhr herum und warf sich ins Gedränge. Über ihm kreiste der Trinkmank – der Vogel würde ihn nicht verlieren. Konnte er aber so einfach entkommen? Nein ... Gewiss nicht, jedenfalls nicht in diesem Gedränge. Shrukmes ließ sich auf die Knie sinken. Er änderte seine Richtung und kroch gerade in die Richtung, aus der er die fünf Gestalten erwartete.

Sekunden später waren sie an ihm vorbei.

Vorsichtig erhob er sich und verließ den Marktplatz.

Nur weg von hier, überlegte er, am besten über einen der Pässe in Richtung Süden.

 

*

 

Die nächstgelegene Stadt hieß Gambkasst.

Von der Kuppe eines Berges starrte Shrukmes hinunter und wartete ab. Von hier aus übersah er zwei der vier Ausgänge und einen guten Teil der Stadtmauer. An einer Stelle durchbrachen Eisenbahnschienen den fünf Meter hohen Wall. Die zweite Streckenöffnung lag auf der anderen Seite.

Gedankenverloren kramte er einen Laib Streckbackling aus dem Beutel und begann zu kauen. Weshalb diese zehn Gestalten, die jedes der Tore bewachten? Natürlich herrschte an den Toren immer Gedränge. Das war in jeder Stadt so, also auch in Gambkasst. Aber diese jeweils zehn Ahker gaben ihm zu denken. Ahker ... Nein, Ahker waren es gewiss nicht. Vielleicht verkleidete Soldaten des Imperators Trukrek-Anur.

Erst jetzt begriff er vollends den Ernst der Lage.

Es stimmte – zumindest das Trukrek-Hun-Reich wollte sich in den Besitz des Amuletts Stern bringen. Und was, überlegte Shrukmes, wenn er ihnen den Gegenstand einfach übergab? Wenn sich der Knoten lösen ließe? Doch er kannte seine Ahker nur zu genau. Sie würden ihn ein Leben lang suchen. Und finden, und spätestens dann würde er bereuen.

Doch wenn der Imperator Trukrek-Anur das Amulett wirklich wollte, würde man bald die ganze Gegend durchkämmen. Er musste fort von hier.

Zu Fuß ging es nicht schnell genug.

Vielleicht konnte er eines dieser Flugungetüme benutzen. Eine der knatternden Höllenmaschinen, die so oft vom Himmel stürzten. Shrukmes stellte sich vor, er säße fest verschnürt über dem silbernen Flügel, vor sich den Piloten, hinten das Leitwerk, und er würde unter den Wolken schweben ...

So wie der Trinkmank!

Nein, es war unmöglich. Die Flugmaschinen würden sie am schärfsten überwachen. Außerdem gewährte kein Ahker ihm während der zehnwöchigen Wanderschaft Hilfe.

Shrukmes beschloss, zumindest in einer Hinsicht die Vorschriften zu übertreten. Er würde das Amulett verbergen. Kurz entschlossen zupfte er den Umhang so zurecht, dass er die Halsgegend komplett bedeckte. Im Grunde schämte er sich, weil er es nicht sofort getan hatte. Ein Rest dieses Aberglaubens war auch in ihm.

»Verdammt ...«, murmelte er.

Über seinem Kopf flatterte der Trinkmank. Der Vogel stieg auf hundert Meter Höhe und ging von dort in gemächlichen Gleitflug über. Shrukmes hätte ihn erwürgen mögen.

Das Amulett ließ sich verstecken. Der Vogel dagegen nicht.

Aber es war ein dressierter Trinkmank. Er war berechenbar. Shrukmes richtete sich auf und beugte sein Haupt; so, wie es im Turm von Ahk fast alle getan hatten. Tatsächlich, er wartete kaum zwei Minuten. Der Trinkmank segelte herunter und landete zwischen seinen Augen.

Ruhig jetzt, dachte er, keine hastigen Bewegungen.