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Über dieses Buch

»Rosa« beschreibt in zwei Erzählungen den Weg einer kubanischen Familie zur Zeit der Revolution.

In der ersten schildert Reinaldo Arenas die turbulente Entwicklung der einzelnen Familienmitglieder, ihre persönliche Geschichte, die eng mit der Kubas verwoben ist. Am Anfang steht die Katastrophe: Ein alles verschlingendes Feuer vernichtet eine Finca, inmitten dieser apokalyptischen Szenerie eine alte Frau – »La vieja Rosa«, die kurz vor ihrem selbst gewählten Flammentod ihr Leben an sich vorbeiziehen zieht. Es ist die Geschichte eines schleichenden Verlustes. Nach und nach verliert Rosa alles: ihren Mann durch Selbstmord; Armando, ihren ältesten Sohn, an die kubanische Revolution; ihre Tochter Rosa, die gegen ihren Willen einen Schwarzen heiratet; ihre Farm an die Kooperative; und zu guter Letzt ihren Lieblingssohn Arturo an einen anderen Mann, mit dem sie ihn nackt im Bett findet.

Rosas traditioneller Lebensraum bricht zusammen, es gibt kein Zurück mehr in die »heile« Welt. Der Kreis schließt sich: Am Ende steht der Feuertod. Obsession und Angst, Erfüllung und Verlust bestimmen dieses scheinbar unausweichliche Schicksal in einer Mischung aus Entwicklungsroman und spannungsreicher Abenteuerstory.

Die zweite Erzählung »Arturo, der hellste Stern« knüpft an dieses Schicksal an. Nach der Beerdigung seiner Mutter treibt sich Arturo an den einschlägigen Plätzen Havannas herum. Er wird festgenommen und in ein Gefangenenlager verbracht. Um zu überleben, um sich »ein Fenster zur Freiheit zu öffnen«, schreibt er seine poetisch-mythologischen Fantasien nieder, die sein eigenes Leben spiegeln wie auch die Realität des Lagerlebens im kommunistischen Kuba.

»Ein Roman, wie er sensibler und poetischer nicht sein könnte.« (Handelsblatt)

Der Autor

Reinaldo Arenas, »einer der ergreifendsten kubanischen Romanschriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Jesús Díaz), 1943 im Osten Kubas geboren. Kind der Revolution, von ihr verfemt und verstoßen. 1980 Flucht in die USA, 1990 in New York gestorben. Seine furiosen Memoiren »Bevor es Nacht wird« – Schelmenroman, éducation sexuelle und politisches Manifest zugleich – wurden zu einem weltweiten Bestseller, der von Julian Schnabel mit Javier Bardem in der Hauptrolle 2000 verfilmt wurde. Sie gehören zu den großen Konfessionen unserer Zeit: eine hymnische Schamlosigkeit.

Der Übersetzer

Klaus Laabs, geboren 1953, lebt als Übersetzer und Herausgeber in Berlin. Vorrangig übersetzt er Werke hispanoamerikanischer, französischer sowie frankophoner Autoren aus der Karibik und Afrika (u. a. César Aira, Reinaldo Arenas, Aimé Césaire und José Lezama Lima).

 

Reinaldo Arenas
Rosa

Roman in zwei Erzählungen

Aus dem kubanischen Spanisch von Klaus Laabs

Edition diá

Inhalt

Die alte Rosa
Arturo, der hellste Stern

Nachbemerkung des Autors

Impressum

Die alte Rosa

Ganz zuletzt ging sie, von den Flammen fast völlig umhüllt, auf den Hof hinaus, lehnte sich an den Tamarindenbaum, der nicht mehr blühte, und begann zu weinen, so als ob die Klage nie einen Anfang gehabt hätte, sondern immer schon da gewesen wäre und ihre Augen in Tränen getaucht und dieses Ächzen erzeugt hätte wie das des Hauses in dem Augenblick, da die Flammen die stärksten Stämme wanken ließen und, begleitet von einem riesigen, wie ein Feuerwerk die Nacht erhellenden Funkenregen, dieses flimmernde Gerüst zum Einsturz brachten. Sie hörte nicht auf zu weinen, und ihr von rötlichem Licht umkränztes Gesicht schien für Momente das eines Mädchens zu sein, das sich inmitten eines jener Unwetter verirrt hatte, wie man sie nur von den berückenden Illustrationen der Geschichten von Hexen und anderen Phantasmen her kennt, Geschichten, die sie nie gelesen hatte. Manchmal aber, wenn ihr die Flammen fast bis an die Augen loderten und die Wimpern versengten, schien ihr Gesicht auf mit all den Spuren, die die Zeit darin eingegraben hatte. Dann sah man deutlich, dass es eine alte Frau war, die da stand. Und wäre jemand aus der Nachbarschaft vorbeigekommen, so hätte er bestätigen können, dass es niemand anders sein konnte als die alte Rosa. Die Holzscheite flogen, noch brennend, durch die Luft und fielen ins hohe Gras, das auf dem Hof wucherte. Das Feuer wurde stärker, lohte plötzlich überall und drohte, die Frau, die immer mühevoller nach Luft rang, zu verschlingen. Sie war von den Flammen umschlossen, und hätte sie geschrien, so hätte vielleicht niemand ihren Ruf gehört, er wäre untergegangen im Prasseln des Grases und Bersten der Bäume, die im Augenblick als kurze Aschewirbel in der Luft zerstoben. Sie war vom Feuer eingeschlossen, und zu anderen Zeiten hätte sie erschrocken gesagt oder zumindest gedacht: O mein Gott, das ist die Hölle. Und auch wenn sie sich verloren gefühlt hätte, so hätte sie doch zu beten angefangen. Jetzt aber betete sie nicht, rief auch nicht, sah nicht einmal das Feuer, das ruhelos schon an ihrem Rocksaum emporzüngelte. Was sie aber sah, waren Wirklichkeiten, die für sie um vieles wichtiger waren. Neben ihr gab es da keine Flammen, kein Gras, kein Krachen, nicht einmal die schwelenden Reste des Hauses; und sie war einfach nur Rosa, weil niemand auf die Idee gekommen wäre, diese so junge Frau (mit den wundervollen Beinen, von denen sich niemand erklären konnte, wie es ihr gelungen war, sie vor jeder Schramme zu bewahren) die alte Rosa zu nennen. Sie war einfach nur Rosa. Rosa, die Tochter von Tano; Rosa, die Jüngste der Familie; Rosa, die schon mal Kofferradio gehört hatte; Rosa mit den Beinen ohne Schrunden. Die Rosa von Pablo. Und Pablo kam, wie jeden Sonntag, ging pfeifend, mit klirrenden Sporen zu dem Haus, lief in der Gangart eines jungen Fohlens, die anmutiger war als die des Pferdes, auf dem er, wenn es schon dunkel wurde, fortritt, nachdem er eine Weile mit ihrem Vater gesprochen hatte, nachdem er ihre Hand ergriffen und sie gebeten hatte, sich zu ihr aufs Sofa setzen zu dürfen, schließlich wäre schon bald die Hochzeit. Sie aber, wie stets, verbot ihm nicht nur, sich zu ihr zu setzen, sondern zog auch die Hand zurück und sagte etwas von Ehre, Familie, Respekt. Und Pablo rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her, und wenn die Zeit heran war, sich zu verabschieden, erhob er sich bedrückt, mit den Händen in den Hosentaschen. Jetzt verschmolz das Ächzen der letzten Stützpfosten des Hauses mit dem Krachen der zerberstenden Hühnerställe und des Honigbeerbaums, und vor ihren Augen, die nichts sahen, stürzten versengt ein paar Vögel herab. Der Tamarindenbaum schimmerte rötlich, seine untersten Äste knisterten leise, als die ersten Flammen sie berührten. Es war der Tag der Hochzeit, und sie gab, wie stets, den Hühnern ihren Mais, tastete die ab, die bald legen würden. Mit einem Stein, den sie warf, erschlug sie eine Ratte, die die frisch geschlüpften Küken fraß; dann ging sie zum Brunnen, füllte einen Zuber mit kühlem Wasser und badete auf dem Abort, hinter der Quetsche für die Kürbisse und den Mais. Nach und nach trafen die Gäste ein, sie begrüßte sie alle und bot jedem Kokosturrón und einen Punsch mit viel Wasser an, fast schon eine Limonade. Und das Haus füllte sich mit Menschen, sogar die Töchter der Pupos waren da. Die Dreckschlampen, dachte sie. Sie wurde wütend. Sie sagte zur Mutter, sie solle sie aus dem Haus werfen oder es gäbe keine Hochzeit. Doch in diesem Moment kam Pablo aus dem Mangohain; er hatte das Pferd angebunden und war schon auf der Veranda des Hauses. Der Bräutigam trat ein, und unter den Gästen hob ein lautes Gemurmel an; die jüngsten gingen ihn begrüßen und klopften ihm auf die Schultern und sagten ihm lächelnd etwas ins Ohr. Was du für ein Glück hast, wagte eine der Pupos im giftigen Ton zu ihr zu sagen und warf dabei einen Blick auf Pablo. Doch sie antwortete nicht; sie wandte die Augen ab, drehte ihr den Rücken zu und ging in die Küche, wo die Mutter und andere alte Frauen aus der Nachbarschaft das Essen und die Süßigkeiten bereiteten. Der Kokosturrón wird nicht reichen, sagte sie. Kurz darauf sah man ein Auto die Savanne herabfahren, und alle Kinder stürzten auf die Veranda. Da kommt der Priester, riefen sie. Sie liefen bis an das Zauntor und sahen ehrfurchtsvoll zu, wie dieser füllige Mann, der eine schwarze Kutte und Sandalen trug, aus dem Auto stieg, sie grüßte und sich dann ins Haus bemühte. Er betrat das Wohnzimmer, und alle Anwesenden standen auf; einige Männer bekreuzigten sich, und die Frauen brachten ihm auf den Armen ihre Kinder, damit er sie segne. Er zählte die vielen ungetauften Kinder und schlug für die darauffolgende Woche eine kollektive Taufe vor. Dann begann die Hochzeit. Rosa sah sich umgeben von den Lichtern der hohen Kerzen zwischen den Arekapalmen, die die Mutter auf den behelfsmäßigen Altar gestellt hatte; sie sah Pablo an, der jetzt sehr ernst zuschaute, wie der Priester die Hand hob und ringsum seinen Segen erteilte, dahinter bemerkte sie die gesenkten Köpfe der Gäste, die sich in den Fenstern übereinanderschiebenden Kinder, die mit den Tränen ringenden, sich in den Zimmerecken die Nase putzenden Alten und die Töchter der Pupos, die Rosa traurig von der Mitte des Raumes her ansahen. Durch die Tür fiel die Nachmittagssonne, sie tauchte die Pupos in grelles Licht und verlieh ihnen den Anschein völliger Verzweiflung. Rosa sah die Pupos unverwandt an, als fordere sie sie heraus, und lächelte. Um Mitternacht verließen Rosa und Pablo das Haus; er vorn im Sattel des Pferdes, sie dahinter, auf der Kruppe, sich an der Hüfte des Mannes festhaltend. Das Pferd bäumte sich auf, Pablo gab ihm die Sporen, und die drei verloren sich in der Savanne. Sie kamen auf die Landstraße. Als sie an eine Baumgruppe am Ufer eines Bachs gelangten, hielt Pablo das Pferd an; mit einem Satz sprang er hinunter, fasste sie bei der Hüfte und setzte sie ins hohe Gras. Ich halte es nicht aus bis nach Hause, sagte er. Lass uns hier eine Weile bleiben, danach reiten wir weiter. Rosa, wir sind doch jetzt verheiratet, fuhr er fort. Und atmete schwer. Seine Stimme war sehr rau und leise. Sie, noch betäubt vom Reiten, wusste nicht, was sie sagen sollte. Es ist noch sehr weit, sagte er und legte einen Arm um sie. Und sie spürte, wie ein anderer mächtiger Arm ihre Schenkel streifte. Da riss sie sich plötzlich von dem Mann los, sah ihn voll Entsetzen an, gab ihm eine Ohrfeige und rannte zum Pferd, das gleichmütig die Margeriten am Bach fraß. Niedergedrückt ritten sie weiter, und es wurde schon Morgen, als sie das Haus erreichten. Er machte sich daran, den Kaffee zu kochen, und sie hörte beim Ausziehen der Schuhe das Zirpen der Grillen und dachte voller Freude, dass bald Tag sein würde. Dann gingen sie ins Schlafzimmer. Eine Feuerzunge brach sich Bahn durch die Pantoffelsträucher, verkohlte das auf dem Beet mit den gelben Lilien liegende tote Pferd und rollte als Glutwelle über das Guineagras hinweg, das in Sekundenschnelle zwischen den tänzelnden, erschrocken umherflatternden Hühnern aufloderte; die Flammen breiteten sich weiter aus, übersprangen den Drahtzaun und erreichten die alte Umfriedung aus Mäuseananas, die wie eine gut mit Petroleum getränkte lange Zündschnur augenblicklich zu brennen anfing. Das Feuer fraß sich bis an die Saatfelder vor, und durch das schon gelb werdende Maisfeld raste ein Beben, bevor es mit dunklem Glanz erlosch. Ein paar Schleiereulen flogen, geblendet, ziellos umher und stürzten ab, wo der Feuerkreis am mächtigsten war. Die alte Rosa weinte weiter in gemessenem Rhythmus, ohne ihr Weinen stärker oder schwächer werden zu lassen und ohne dem Feuer Aufmerksamkeit zu schenken, das manchmal überzuspringen schien auf ihre Hände. In der ersten Nacht geschah nichts. Pablo zog sich das Hemd aus, legte sich zu ihr und legte ihr die Arme um die Hüften. Sie blieb bekleidet, und als er sich die Hosen auszuziehen begann, stieß sie einen Schrei aus. Ich bin müde, sagte sie dann, ruhiger; morgen wird es anders sein. Er knöpfte sich die Hose nicht zu Ende auf; er setzte sich aufs Bett, ergriff ihre Hände, legte sich, sie umarmend, von Neuem zu ihr. Rosa lag weiter mit offenen Augen da und starrte mit leerem Blick zur Decke. Sie dachte, ob es nicht trotz allem Sünde war, auch wenn sie verheiratet war und der Priester sie gesegnet hatte. Heilige Jungfrau Maria, dachte sie, vielleicht bin ich für diese Dinge nicht geschaffen. So schlief sie ein. Am Morgen brachte ihr Pablo eine Tasse Kaffee ans Bett und weckte sie. Mit dem zerknitterten Kleid stand sie auf, trank den Kaffee und trat auf den Hof hinaus. Pablo folgte ihr nach, näherte sich ganz langsam von hinten und fuhr mit der Hand über ihre Brüste. Du hast keinen einzigen Heiligen im Schlafzimmer, sagte sie, ohne sich umzudrehen. Morgen werden wir meine holen. Sobald es Nacht wurde, gingen sie zu Bett. Rosa legte sich mit dem Kleid nieder, das sie den Tag über getragen hatte, Pablo aber zog sich, bevor sie etwas dagegen einwenden konnte, alle Sachen aus und legte sich nackt zu ihr. Lange sagte keiner von ihnen ein Wort. Nach und nach konnte sie seine Gesichtszüge unterscheiden, das zerwühlte Haar, das ihm über die Augen fiel; dann ließ sie mit großer Vorsicht ihren Blick hinunterwandern und betrachtete die dicht behaarte Brust, die Taille; zuletzt glitt ihr Blick hinunter zu den Schenkeln, und sie starrte angsterfüllt auf das hervorspringende Fleisch, das glänzend zwischen den Beinen des Mannes aufragte. Pablo sprach nicht; die Hände unter den Kopf geschoben, lag er weiter da auf dem Rücken und schaute hoch ins Leere; und obwohl er ein paarmal den Drang verspürte, Rosa das Kleid herunterzureißen, blieb er ruhig; das pralle Geschlecht zeugte vom fast schon schmerzenden Verlangen, in sie einzudringen. So verbrachten sie die Nacht. Bei Tagesanbruch aber hielt er es nicht länger aus, beinahe weinend näherte er sein Gesicht dem Gesicht Rosas und fing an, sie mit einer solchen Raserei zu küssen, dass sie plötzlich außer sich geriet. Vieh, stieß sie hervor. Er aber tastete wie rasend mit den Lippen den Körper der Frau ab, presste ihre Hüften; schließlich gelangte er bis an die Knie, er küsste ihre Schenkel und Füße. Vieh, wiederholte sie, während sie ihn auf ihrem Körper keuchen hörte. Und obwohl es sie große Anstrengungen kostete, nicht loszuschreien, hielt sie still aus. Dann sagte sie wieder Vieh, Vieh, doch diesmal klangen die Worte wie von fern und in resigniertem Ton. Am nächsten Tag standen sie nicht auf; als es dunkel wurde, hörte Pablo, in den Zuckungen einer Lust, deren Wiederholungen er schon nicht mehr zu zählen vermochte, wie die Frau zu ihm sagte: Morgen holen wir aber die Heiligen. Das hat er getan, um mir den Heiligabend zu verderben. Nur darum. die alte Rosadie Ländereien der alten RosaDafür ist er ein Mann; zwingen wird er keine Frau, dass sie die Beine für ihn breit macht …schön wie ein junges FohlenWenn er es heil übersteht. Die Veränderung wird mit Armando beginnen.Wohlstand, Ausbeutung, ProduktionRevolutionSchlussfolgerungdieser verfluchten Stelle