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Band 2

 

Alexander Knörr

 

Eiskaltes Erwachen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Twilight-Line Medien GbR
Obertor 4
D-98634 Wasungen

 

www.twilightline.com
www.chroniken-von-tilmun.de
 

1. Auflage, Oktober 2018
eBook-Edition
ISBN: 978-3-944315-74-4
 

© 2018 Twilight-Line Medien
Alle Rechte vorbehalten.

 

Eiskaltes Erwachen

 

 

Irgendwo im Weltraum

Seitdem Petra Richter Gast auf Enkidus Schiff war, hatte sie schon viel erlebt. Es waren jetzt sicher schon mehr als zwei Monate, die sie auf dem riesigen Raumschiff lebte. Hier oben existierte die Zeit nicht so, wie sie auf der Erde wahrgenommen wurde. Es war immer Tag. Die Zeiten, wann die Leute schliefen, richteten sich nach deren Dienstplan und wie Petra mitbekommen hatte, hatten die Götter auch eine andere Zeitrechnung. Wie sagte schon Albert Einstein? Zeit ist relativ. Und es war ihr relativ egal. Sie hatte ein tolles Leben an Bord. In Gesprächen mit ihr fand Enkidu heraus, dass die junge Frau auf der Erde katholische Theologie studiert hatte. Das faszinierte ihn. Er wollte wissen, wie sich die Religionen auf der Erde entwickelt hatten, wie die Götter darin vorkamen und wie deren Macht und Einfluss im Laufe der Jahrtausende sich gewandelt hatten. Und so trafen sich die beiden regelmäßig zu einer Art Religionsunterricht. Petra lehrte Enkidu alles um die Religionen der Erde. Und Enkidu nutzte die Zeit und machte ihr schöne Augen.

Petra war eine aufgeweckte junge Frau und hatte schon auf der Erde während des Appells, bei dem sie Enkidu das erste Mal persönlich traf und kennenlernte, gemerkt dass er auf sie stand. Eine Frau merkt das. Und Petra spielte damit. Sie wusste um ihre sexuellen Reize und kokettierte gekonnt mit ihren Rundungen während der Lehrstunden und jedes Mal, wenn sie sich begegneten. Enkidu machte immer wieder Anstalten sich ihr zu nähern und sie zog sich ebenso oft elegant aus der Affäre heraus. Das machte Enkidu rasend, sie aber für ihn noch begehrenswerter. Und Petra liebte das Spiel mit ihrem Gott.

Wenn sie in ihrem Bett lag dachte sie immer wieder über sich und Enkidu nach. Wie schön es wäre, wenn beide ein Paar wären. Doch dann behielt die Vernunft die Oberhand. Sie war nur ein kleines Menschlein, Enkidu hingegen ein Gott. Ihr Gott! Der Gott, den sie schon ihr Leben lang geliebt hatte – auf eine andere Art wie sich dies momentan entwickelte. Sie konnte doch keine Affäre mit einem Gott anfangen! War das nicht pervers? Und war es überhaupt eines Gottes würdig, sich sexuellen Gelüsten hinzugeben? Gerade mit einem unbedeutenden Menschenkind? Und manchmal – aber nur ganz selten – dachte sie auch an ihren Freund Markus, der jetzt dort unten auf der Erde auf sie wartete. Was er wohl machte? Ob er eine neue Freundin hatte? Sie war ja von einer auf die andere Minute verschwunden und hatte sich nie mehr gemeldet. Anders als bei ihren Eltern. Denen konnte sie noch Bescheid sagen, dass sie einige Monate auf Enkidus Raumschiff leben würde. Und auch sie waren gespalten. Eine Seite war begeistert von der Möglichkeit, mit einem Gott zusammen zu sein. Die andere – Petras Mama Inge – war überhaupt nicht begeistert, denn für sie waren das alles falsche Götter. Sie glaubte noch an ihren Gott der Bibel, der aber nicht aus Fleisch und Blut, sondern als feinstoffliches Wesen existent war. Theo hingegen freundete sich immer mehr mit dem Gedanken an, dass Gott wirklich Enkidu sei und es nicht nur einen Gott, sondern mehrere Götter gibt, die unsere Geschicke seit Jahrtausenden lenkten. Mit dieser Einstellung hatte er immer heiße Diskussionen mit Inge, die von ihrer Meinung keinen Zentimeter abrückte. Aus diesem Grund ließen sich auch beide nicht mit Implantaten versehen. Der Streit war zu groß in Sachen Gott und die Götter, als dass sie sich darauf hätten einigen können. Und einen Alleingang wollte Theo auf keinen Fall machen, denn das hätte bedeutet, dass er, wenn es soweit war, von der Erde wegging. Aber ohne seine geliebte Frau Inge würde er das nie tun.

Seitdem Petra sich von ihren Eltern vor Monaten verabschiedet hatte, gab es keine Gelegenheit zur Kommunikation. Sie war immer beschäftigt, erkundete das Raumschiff und nahm an den vielen Empfängen teil, die Enkidu veranstaltete und für die sie immer eingeladen wurde. Für diese Empfänge und andere Gelegenheiten bekam Petra massenweise feinste Gewänder. Anders konnte man diese Kleidung nicht bezeichnen. Diese Kleider waren wunderschön und aus Stoffen wie edelster Seide und Materialien, die sie nicht kannte, gefertigt. Es gab sie in schillernden Farben und sie waren alle sehr reizvoll geschnitten. So dass man, oder besser Frau, viel Haut zeigte. Bei diesen Festen war Petra immer unter anderen Frauen, die sie mittlerweile auch besser kennenlernen durfte und mit denen sie schon fast eine Art Freundschaft pflegte. Sie waren alle wunderschön und wenigstens zweien konnte man ansehen, dass sie nicht von der Erde stammten. Die eine, Ela, hatte einen kahlen und nach oben hin gewölbten Kopf. Durch ihr wunderschönes Gesicht sah dies jedoch nicht abschreckend aus. Und Ela erzählte, dass bei dem Volk der Sankuari, dem sie entstammte, alle diese Schädelform hatten. Ela war Petra ein wenig ans Herz gewachsen. Sie erzählte ihr ihre Geschichte und dass sie als junges Mädchen den Göttern geopfert werden sollte, und sie dann auf Irrwegen zu Enkidu kam, der sie in seine Obhut nahm. Zwar war die Beziehung zu Enkidu für Ela so vertraut, wie die eines Vaters zu seiner Tochter, doch mit einem einschneidenden Unterschied. Die Beziehung war auch sexuell. Ela war eine von Enkidus Frauen, eine seiner Konkubinen. So bezeichneten sich die insgesamt sieben Frauen im besten Alter selbst. Die Vielweiberei war auf der Erde verpönt und auch die katholische Kirche hatte ihre Einstellung zur Vielehe, die nicht zu tolerieren war. Auch dies machte Petra zu schaffen. Wieso gab es diese ungemeinen Unterschiede zwischen der heiligen Schrift und der realen Welt? Dem realen Gott! Dass die Götter immer mehrere Frauen gleichzeitig hatten – meistens acht, weil die 8 die Unendlichkeit symbolisiert und Glück bringt – hatte Petra schon erfahren. Auch von Enkidu höchstpersönlich, der ihr schon offene Avancen gemacht hatte und sie bald als Nummer 8 seines Harems sah. Petra hatte bisher noch nicht eingewilligt. Ihr war das alles zu absurd. Sie liebte Enkidu. Nicht nur das, was er verkörperte, sondern auch ihn als … Mensch? Na, ein Mensch war er ja nicht wirklich. Sie liebte ihn als Geschöpf und fühlte sich zu ihm auch hingezogen. Sicher würde sie gerne seine Frau werden und ihn mit ihren Reizen verwöhnen. Doch den Mann mit anderen Frauen teilen? Und dann gleich mit sieben weiteren? Das war ihr doch etwas zu absurd und passte nicht in ihr Leben.

Bei dem Gedanken daran, einen Mann mit anderen Frauen zu teilen, wurde ihr übel. Und sie war sich sicher, wenn sie mit Enkidu einmal im Bett war und ihn richtig verwöhnen würde, dann würde er ganz bestimmt keine andere Frau mehr ansehen.

Die anderen Frauen aus seinem Harem berichteten auch, dass ihr Gott nicht immer nur fürsorglich und nett, sondern auch immer wieder sehr herablassend zu ihnen ist. Petra konnte das nicht glauben. So wie sie Enkidu kennengelernt hatte, wie er sich ihr gegenüber gab, das passte überhaupt nicht in die Beschreibung, die die anderen Frauen für ihn hatten. Dass Enkidu nicht so war, wie er sich ihr gegenüber gab, das musste Petra auch bald erfahren. Doch momentan wusste sie nur, dass sie in ihn verliebt war und sie kämpfte innerlich mit sich selbst, ob sie dies zulassen sollte, oder nicht. Der typische symbolische Kampf Engelchen gegen Teufel, die beide auf ihren Schultern saßen, war bei ihr im Gange. Eines war allerdings sicher. Wenn sie sich in dieses Abenteuer begeben würde, dann wäre ihr ein Leben in Luxus und ohne Sorgen sicher. Die anderen Frauen beschrieben Enkidu zwar als manchmal grob und fies, doch auch als sehr großzügig und gönnerhaft. Wenn man es in Enkidus Harem geschafft hatte, fehlte es an nichts! Und deswegen waren die anderen Frauen auch bei ihm. Wie sie berichteten, widmete er sich den einzelnen Frauen nur sehr spärlich beim Sex. Die neuen Frauen würden natürlich immer bevorzugt, wenn es um das Körperliche ging. Und ansonsten würde er sich immer wieder auch mit Sklavinnen oder anderen Frauen vergnügen. Petra konnte das gar nicht glauben. Aber sie ordnete sich selbst an, dass sie diesbezüglich ein bisschen vorsichtiger werden sollte.

Auf der Brücke des Raumschiffes saß derzeit Enkidu in seinem Sessel und betrachtete verträumt die Weiten des Weltraums. Wie so oft war er in einen silberfarbenen Overall gekleidet und nicht in die wallenden Gewänder, die er bei offiziellen Empfängen oder Ähnlichem trug. Dieses Kleidungsstück war viel bequemer und für den Alltag auch passender. Rund um ihn herum saßen etwa zwanzig Nukarib an ihren Arbeitsplätzen und bedienten die verschiedensten Systeme, um das riesige Raumschiff, das flächenmäßig größer war als eine Großstadt wie Berlin und über 68 Stockwerke verfügte, am Laufen zu halten. In jedem dieser 68 Stockwerke gab es eigenständige technische Brücken, an denen die Nukarib arbeiteten und die Ver- und Entsorgungsleitungen und alles was man benötigte, koordinierten. Alle Daten dieser einzelnen Bereiche liefen dann auf der Hauptbrücke zusammen und dort wurde alles kontrolliert und überwacht. Neben Enkidu waren noch drei weitere Führungskräfte ständig auf der Hauptbrücke. Eigentlich war es nicht nötig, dass er längere Zeit hier auf der Brücke anwesend war. Die Crew war eingespielt und zuverlässig und alles lief Hand in Hand. Seinen Führungskräften vertraute er und es hätte niemanden gestört, wenn Enkidu sich den Tag anderweitig vergnügt hätte. Doch momentan war es langweilig. Während des langen Fluges zu den einzelnen Orten, an denen die Menschen gebraucht wurden, war eigentlich nichts zu tun, was in seinen Bereich fallen würde. Die Menschen schliefen nichtsahnend in ihren Stase-Kapseln und träumten wahrscheinlich von der schönen neuen Welt, in die sie bald kommen würden. Beim Gedanken daran huschte Enkidu ein Lächeln übers Gesicht. „Wenn die nur wüssten…“ dachte er.

„Herr, wir haben einen Anruf am Holophon von Mirach, der Sie sprechen möchte“, berichtete einer der Männer an den Pulten und unterbrach so die fast meditative Stille.

Enkidu schüttelte kurz und unmerklich den Kopf und damit die Gedanken hinfort. „Stellt ihn mir durch!“ befahl er und setzte sich aufrecht in seinen Sessel.

Aus einer Öffnung in der Decke, die sich spiralförmig öffnete, trat eine schwebende Kugel hervor, die sich vor Enkidu positionierte. Auf ihr erschien ein weiterer Nukarib, der unschwer an den überlangen Ohrläppchen und der Hakennase zu erkennen war. Mirach war der Cousin von Enkidu und mit seinen knapp 800 Erdenjahren noch recht jung. Er leitete Basis 3, einen wichtigen Stützpunkt auf einem Mond im Andromedanebel.

„Enkidu, mein Herr und Meister!“ sprach der junge Mann im Holophon, der genau eines dieser wallenden Gewänder trug, die Enkidu nicht so gerne anzog.

„Mirach, alter Freund. Was kann ich für dich tun?“ erwiderte Enkidu.

„War eure Mission erfolgreich?“ fragte Mirach neugierig nach. „Wisst ihr, wir warten händeringend auf neue Arbeitskräfte, die Androiden, die wir haben, sind alt und ihre Technik veraltet. Wir können kaum noch unser Soll erbringen. Und da Androiden teuer sind, wäre es gerade jetzt passend, wenn wir deine Menschen als Alternative hätten.“

„Wir waren sehr erfolgreich“ bestätigte Enkidu seinem Cousin. „Und wir haben viele neue Arbeitskräfte im Gepäck. Für dich wurden schon drei Millionen Einheiten ausgesucht und sind auf dem Weg zu dir. Ich habe dir eines unserer Schiffe geschickt, damit du als einer der ersten die neuen Arbeitskräfte austesten kannst. Ich fliege mit zwei weiteren Schiffen weiter nach Eureka.“

„Das sind gute Nachrichten, mein Freund. Ich freue mich sehr, dass ich eure Menschen bald erhalten werde.“

„Mirach, bitte denke daran, mach sie nicht gleich wieder alle kaputt. Wir haben zwar noch mehr, aber eigentlich hast du deinen Anteil dann schon erhalten.“