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Inhalt

In die Welt hinaus …

Zu Hause ist Wegfahren am schönsten
Über das Reisen

Wo ist Gottes Gewerbegebiet?
Über die Religion

War Marx ein Marxist?
Über den Mehrwert

Hose runter!
Über die Nackten

Pferd ist lecker, außer der Sattel
Über Tabus beim Essen

Von Knüllern und Faltern
Über das Klo

Ohne Kopf topfit
Über Wunder

Langes Leben mit kurzen Beinen
Über das Lügen

Römer go home
Über die Germanen

Der Orgasmus des Zwerchfells
Über das Lachen

Schlussendlich: Mit Witz zum Wissen

»In die Welt hinaus«

von Jürgen Becker

Die einzige Unterrichtsstunde, an die ich mich wirklich erinnere, fand bereits im ersten Schuljahr statt. Meine Grundschule Rosenzweigweg liegt mitten im Kölner Stadtteil Zollstock. Ein mächtiger Altbau aus der Gründerzeit umrahmt den Schulhof, der damals, 1966, Mädchen und Jungen durch eine durchgehende Linie strikt voneinander trennte. Auch in den Klassen keine Spur von Unisex. Einziges weibliches Wesen war unsere junge resolute Lehrerin. Die dritte Stunde eröffnete sie im Ton einer Oberbefehlshaberin: »Heimatkunde, Jungs, jetzt gehen wir erst mal in die Kneipe!« Wir trotteten in Zweierreihen – Frollein Dröschel hinterher – in die Wirtschaft »Zollstocker Hof«.

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Schänke und Schule bei Hofe

Ein halbes Dutzend alter Kölner rauchte und soff sich bereits auf Betriebstemperatur, während wir I-Dötzchen den Bierdunst und Tabaknebel des Schankraums durchtasteten.

Auch Kneipen trennen offenbar sauber die Geschlechter, dachte ich, die Frauen sind wahrscheinlich in der Pinte nebenan.

»Watt wollt ihr dann he?«, fragte einer der Männer. Doch der Wirt wusste Bescheid. »Et jeht denne öm dat Öhlbild, Willi!«

Neben dem Glaskasten mit schönen Karnevalsorden hing ein riesiger Ölschinken. Er zeigte einen Stadtsoldaten an einem Schlagbaum, im Hintergrund eine alte Stadt. Das konnte nicht Köln sein, schließlich fehlte der Dom. So lernte ich beiläufig von Frollein Dröschel, dass dieser noch gar nicht so lange fertig ist und das Bild wohl vorher gemalt worden war. Damals mussten alle, die in die Stadt wollten, ihre Waren verzollen, erst dann ging dieser Stock auf. Deswegen nannte man diesen Schlagbaum damals Zollstock. »Jetzt ratet mal, warum euer Stadtteil so heißt?«

Nach ihrem launigen Vortrag hatte ich einigermaßen begriffen, wie Stadt früher funktionierte. Und da ich den ganzen Tag nach Bier und Qualm roch, ist mein Interesse für Geschichte nie verloschen.

Erst auf dem Gymnasium – dort fand nicht eine Exkursion statt – begann ich das Fach zu hassen. Die Sterilität des Klassenzimmers, die Monotonie der Pädagogin und nicht zuletzt die Abwesenheit von Bierdunst perfektionierte die Ödnis, in der nur noch die träumerische Fantasie eine Bildungsreise entstehen ließ.

Dieses Buch soll Appetit machen auf die kleinen Exkursionen, die letztlich im Gedächtnis mehr verfangen als die berühmte lange Rede mit dem kurzen Sinn. Hand aufs Knie: Wer kommt schon auf die Idee, auf dem Weg von Osnabrück nach Venedig ausgerechnet in Hamm oder Remagen Station zu machen?

Wer vermutet hier hinduistische Götter, die mit Milch übergossen werden, oder den heiligen Apollinaris, den Schutzpatron der Menschen mit dickem Kopf?

Unsere Reisegewohnheiten kaprizieren sich aufs Ankommen. Das aber führt zur Beliebigkeit des Zwischenraums. Doch gerade in diesem Zwischenraum verbirgt sich unsere Kulturgeschichte. Ob in Dülken, Gelsenkirchen, Augsburg oder in der Kneipe nebenan – überall gibt es Geschichte zum Anfassen. Dieses Buch ist ein Plädoyer für Goethes Gloria:

In die Welt hinaus!
Außer dem Haus
Ist immer das beste Leben!

Der dritte Bildungsweg führt uns an diese ungewöhnlichen Orte:

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1 St. Peter und Paul (S. 20)
2 Hindutempel (S. 27)
3 Wellness-Kloster (S. 32)
4 CPP Studios (S. 41)
5 Zentralkomitee der MPLD (S. 49)
6 Akademisches Kunstmuseum (S. 55)
7 St. Peter (S. 59)
8 Nacktreiter (S. 65)
9 Pferdemetzger (S. 76)
10 Toilettenzentrale (S. 89)
11 Agentur für zeitgemäße Umgangsformen (S. 96)
12 St. Apollinaris (S. 103)
13 Wunderstollen (S. 111)
14 Alibi-Agentur (S. 123)
15 RömerWelt (S. 134)
16 Narrenakademie (S. 152)
17 St. Anna (S. 36)