Egon Garstick

Junge Väter in seelischen Krisen

Wege zur Stärkung der männlichen Identität

Mit einem Vorwort von Frank Dammasch

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Impressum

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Klett-Cotta

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Cover: Roland Sazinger

Unter Verwendung eines Fotos von © dubova-Fotolia.com

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94778-6

E-Book: ISBN 978-3-608-10586-5

Dieses E-Book beruht auf der 1. Auflage 2013 der Printausgabe

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Frank Dammasch

Einleitung

Dank

1 Grundlagen für eine fokussierte, körperorientierte psychotherapeutische Arbeit

Basis und Ausgangspunkt: Michel Soulé »Das imaginäre und das reale Kind«

Orientierungshilfen für die Elternschaftstherapie und Vaterschaftsentwicklung

Bertrand Cramer

Selma Fraiberg

2 Depressive und stark irritierte Väter im Wochenbett

»Der Mantelmann«

Der traurige Clown

Der verwirrte adoleszente »Sohnvater«

Der ausflippende Abtänzer

3 Überwältigte Männer: Die Macht der Frau, den Mann zum Vater werden zu lassen

Der traumatische Verlust der ersten großen Liebe

»Adonis mit Bindungsangst«

»Der geschlagene Junge!«

4 Entwicklungshilfe für eine bedrohte Vater-Sohn-Beziehung

Der kleine »Verfolger« und der vernachlässigte Sohn im Vater

5 Die Arbeit mit den Vätern – das flexible fokussierte therapeutische Vorgehen

Vaterschaftswerkstatt für verwirrte Männer

6 Väterarbeit als Engagement für eine humane, demokratische Kultur

Reife Väter als Voraussetzung für gesunde Kinder in mikro- und makrosozialen Beziehungsnetzen

7 Wiederbelebung der sinnlich-sexuellen Beziehung

»Welches ›Kind‹ haben Sie wohl vernachlässigt?«

Wie kann die sinnlich-sexuelle Beziehung in der Elternschaftstherapie oder in der Arbeit mit dem Vater zum Thema werden?

Mann und Frau brauchen Unterstützung im Aufbau eines intimen Begegnungsraumes

Belebung der erotischen Atmosphäre durch das Wiedererwecken der Neugierde auf den Anderen

Sinnlichkeit und Erotik als Grundlage für befriedigende Sexualität

Die Ausgangsüberlegungen für eine Wiederbelebung der sinnlichsexuellen Beziehung in Kurzform

8 Reife männliche Identität durch Vaterschaft

9 Ein Modell zur Zusammenarbeit oder: Wie können die Hebamme im ländlichen Raum oder der Frauenarzt den Vater erreichen?

10 Fortbildungen für Berater und Therapeuten in der Arbeit mit Vätern

Literatur

Stimmen zum Buch

Informationen zum Autor

Dieses Buch widme ich zwei Männern, die mir bei der Erstellung gute innere Begleiter waren. Meinem Professor Dr. Hans Kilian aus Kasseler Zeiten, der mich ermutigte, meine »ganzheitliche psychoanalytische Realitätstherapie« (Kilian) zu entwickeln und meinem langjährigen Chef in der Klinik für Kinder und Jugendliche am Zürcher Stadtspital Triemli, Dr. med. Ueli Bühlmann, mit dem ich bio-psycho-soziales Denken erlernte, interdisziplinäre Zusammenarbeit auf hohem Niveau und die erfolgreiche Umsetzung der ganzheitlichen Ansätze in therapeutische Arbeit erfahren durfte.

Vorwort von Frank Dammasch

Psychoanalyse bedeutet, mit Menschen in einen verstehenden Dialog über ihre subjektive Innenwelt einzutreten. Dies klingt einfach, stellt sich aber insbesondere in der psychosozialen Arbeit mit Männern manchmal als eine schwer zu überwindende Hürde dar. Die schon früh einwirkenden kulturell geprägten Geschlechterzuschreibungen und der Hang zur Externalisierung erschweren Männern oft den reflektierenden Zugang zur Innenwelt, zu den Wünschen, Ängsten, Sorgen und Enttäuschungen. Dies liegt unter anderem daran, dass Männer unbewusst seelische Befindlichkeiten oft mit Weiblichkeit oder Mütterlichkeit verbinden und bei einer näheren Beschäftigung damit um die Stabilität ihrer Männlichkeit fürchten. Es fällt ihnen schwer, eine intensive verstehende Beziehung einzugehen, weil sie Angst vor der Wiederkehr früher Kränkungen in einer abhängigen Beziehung haben. So lange der Beruf und andere äußere Stabilisatoren das Identitätsgefühl sichern, besteht kein Wunsch nach Veränderung. Erst mit der Erschütterung des narzisstischen Gleichgewichts entstehen Krisen und Konflikte.

Egon Garstick zeigt in seinem Buch fachlich kompetent und anschaulich anhand von Einzelfällen auf, dass der Eintritt des Mannes in die Generativität eine sensible und krisenanfällige Phase sein kann. Der Übergang vom Mannsein zum Vatersein, vom Ehepartner zum Familienvater konfrontiert den Mann – wenn er sich darauf einlässt – sowohl regressiv mit Beziehungserfahrungen der eigenen Kindheit als auch progressiv mit neuen psychischen Herausforderungen. Die Schwangerschaft seiner Frau und die Geburt des gemeinsam gezeugten Kindes bringt das alte seelische Gleichgewicht ins Wanken. Es verändert die Beziehung zur Frau, die nun auch Mutter ist, und macht aus einem autonomen Mann mit einer Partnerbeziehung einen Vater mit emotionaler Verantwortung für zwei Menschen. Aus einer Zweierbeziehung wird eine Dreierbeziehung. Die Klippen dieses psychischen Paradigmenwechsels zu meistern gelingt umso besser, je stärker die libidinöse Verbindung, die emotionale Ausgeglichenheit, die Konfliktfähigkeit und die Fähigkeit zum Selbst- und Fremdverstehen ausgebildet sind. Manche Männer flüchten vor der Verantwortung, die meisten aber sind bereit, auch aus Liebe, sich mit dem Wandel ihrer Gefühle, ihren Ängsten und Wünschen auseinanderzusetzen. Manch neu gewordene Elternpaare brauchen für den Übergang von der Zweierzur Dreierbeziehung beraterische Unterstützung. Gibt es für werdende und junge Mütter ein gut ausgestattetes weibliches Unterstützungssystem, so werden die Väter und ihre Bedeutung nach wie vor oft vernachlässigt. Egon Garstick macht uns mit dem Mann als Familienvater in seinen sinnlichen und konflikthaften Schattierungen vertraut. Als Pionier hat er in der Beratungsstelle der Stiftung Mütterhilfe Zürich nicht nur die Mutter, sondern auch den Vater und die Bedeutung des Elternpaars ins Zentrum seines psychoanalytischen und systemischen Verstehens und Handelns gerückt. Er lässt den Leser teilhaben an seinen vielfältigen Erfahrungen in Dialogen mit Männern in ihrem je eigenen Entwicklungsprozess zum »ganzen Mann«.

Wie gelingt es dem Mann, die Balance zwischen sexuellem Begehren und verantwortlicher Elternschaft im Übergang von der Zweierzur Dreierbeziehung neu auszutarieren? Wie kann er die aufkommenden regressiven Wünsche und die neue Doppelfunktion der Partnerin als Frau und Mutter innerlich verbinden? Wie kann er trotz schwieriger eigener Erfahrungen die aufkeimende Angst und Verunsicherung schultern, die bei einer so existenziellen Verantwortung für einen absolut abhängigen Säugling entsteht? Wie kann er zu einem neuen, reiferen Erleben seiner Männlichkeit gelangen?

Während die Psychoanalyse das Konzept der »primären Mütterlichkeit« von D. W. Winnicott und dessen Weiterentwicklung im Konzept der »Mutterschaftskonstellation« von D. Stern in den Rang einer eigenen psychischen Entwicklungsstufe erhebt, fehlt die Wertschätzung der Vaterschaft noch weitgehend. Garstick formt einen wichtigen Baustein für die konzeptuelle Entwicklung einer eigenständigen Vaterschaftskonstellation.

Neben der Relevanz seiner theoretischen Überlegungen ist das Buch aber vor allem ein informatives Lesebuch für gebildete Mütter und Väter und für Fachleute aus Erziehung, Beratung, Medizin und Psychotherapie, die sich für den Übergang zur Elternschaft und die vielen darum kreisenden subjektiven Konflikte interessieren. Selten findet man ein Buch, das durch die Verflechtung von persönlichem Erleben, fachlichem Erfahrungswissen und theoretischer Reflexion so engagiert in die Innenwelt junger Väter einführt. Egon Garstick bringt in die psychotherapeutischen Dialoge mit den Vätern nicht nur sein Fachwissen aus Psychoanalyse, Systemtheorie und Körpertherapie ein, sondern auch sich selbst mit eigenem väter- und großväterlichen Erfahrungshorizont. Dies wirkt auf einen klassisch ausgebildeten Psychoanalytiker mit der Wertschätzung abstinenter Zurückhaltung als Grundbedingung zur Entfaltung eines Übertragungsraumes vielleicht befremdlich. Für diejenigen, die psychotherapeutische Erfahrungen mit geschlechtsspezifischen Widerständen und der ausdauernden Schweigsamkeit von Jungen und Männern haben, bildet die aktiv stimulierende, dialogische Methode Garsticks eher einen interessanten Ansatzpunkt, die eigene psychotherapeutische und beraterische Technik auch unter geschlechtsspezifischer Perspektive neu zu überdenken. Meine klinische Erfahrung ist es, dass man zum Fördern des psychoanalytischen Prozesses mit vielen Jungen, männlichen Jugendlichen und Vätern aktiver, dialogischer und persönlicher arbeiten muss, als dies normalerweise notwendig ist. Da kleine und große Männer oft nichts stärker fürchten als das Gefühl der Abhängigkeit und des Ausgeliefertseins, ermöglicht ihnen die emotionale Offenheit des Gegenübers leichter die eigene Öffnung hin zu ihren inneren Wünschen, Ängsten und Konflikten. Gerade in der Phase der sich entwickelnden Vaterschaft scheint ein zentraler Übergangsbereich zu liegen, in dem auch sonst schwer zugänglichen Männern einen fruchtbaren Zugang zu ihrem eigenen Innenleben ermöglicht werden kann.

Egon Garstick zeigt anhand verschiedener Vätertypen, wie trotz großer innerer Konflikte und traumatischer Erfahrungen die Reifung zum ganzen Mann gelingen kann. Ein optimistisches Buch über psychoanalytisches Verstehen, Entwicklungshilfe und Coaching auf dem Weg des Mannes zum Vater und des Ehepaars zum Elternpaar.

Einleitung

»Fragen nach dem Vater« (Stork 1974) heißt ein Buch, das mir 1983 zufällig in die Hände fiel und mich ergriff. Es begegnete mir zu einem Zeitpunkt, als ich gerade eine Phase großer Beunruhigung überstanden hatte.

Einige Tage hatte ich Angst gehabt einen Finger zu verlieren. Nach einem gelungenen Festessen, mit dem wir eine Gruppe von Freunden bewirtet hatten, war mir beim Reinigen einer Holzbank ein Holzsplitter tief in die Innenseite des linken Ringfingers geraten. Es gelang uns nicht, alle Splitter zu entfernen, zu tief war ein Teil in die Sehne geraten. Noch am selben Tag musste ich wegen der heftigen Schmerzen und der besorgniserregenden Entzündung in die Notfallaufnahme des Universitätsspitals. Es folgte eine medikamentöse Behandlung, die aber nicht positiv anschlug, die ganze Handfläche entzündete sich.

Mein Gott, dachte ich ängstlich, ich bin doch Vater einer kleinen Tochter und will sie und andere, hoffentlich noch zu erwartende Kinder weiterhin umhertragen können.

Schliesslich gelang es, die Entzündung wieder zu reduzieren, so dass eine operative Entfernung in Erwägung gezogen wurde. Der behandelnde Arzt klärte mich über die Chancen und Risiken der indizierten Operation auf, und ich hörte, dass der Holzsplitter an einer heiklen Stelle sass. Es war unsicher, ob die Sehne noch zu retten sei und die Beweglichkeit des Fingers wiederhergestellt werden könne. In meiner Not wandte ich mich an einen uns bekannten, sehr kompetenten Kinderchirurgen, Dr. Hartmut Baals. Hartmut erlebte ich wie einen wohlwollenden, väterlichen, großen Bruder. Er hörte mir gut zu und brachte mich in Kontakt mit einem ebenfalls sehr väterlich wirkenden Handchirurgen, der schließlich mit viel Einfühlungsvermögen und Geschick die Operation erfolgreich durchführte.

Ich konnte schon ein paar Stunden nach dem befreienden Eingriff – an einem dieser glasklaren, kalten, sonnigen Januartage, an denen einem das Licht nach dunklen November- und Dezembertagen wieder heller zu strahlen scheint – durch Zürich spazieren gehen und landete in einer Buchhandlung. Dort fiel mir Jochen Storks Buch in die Hände. Ich las gierig drauflos und war nach wenigen Minuten sicher, einen Schatz gefunden zu haben. Auf Grund meiner nicht vorhandenen Sprachkenntnisse waren mir französische psychoanalytische Autoren bisher verborgen geblieben, nun eröffnete mir Prof. Stork mit der deutschsprachigen Ausgabe »Fragen an den Vater. Französische Beiträge zu einer psychoanalytischen Anthropologie« eine neue Denkwelt, ein Denken mit dem Väterlichen Prinzip.

Ich befand mich zu dieser Zeit in meiner Ausbildung zum Psychoanalytiker. Die Entdeckung des Vaters als Befreier und Störenfried (Titel des Aufsatzes von Jochen Stork im o. g. Buch) machte meine Arbeit noch spannender. Ich arbeitete mit verhaltensauffälligen Kindern und ihren Familien in einem kinderpsychiatrisch geleiteten Sonderschulheim der Stadt Zürich.1 Die Lektüre erwies sich als überaus anregend, sowohl für meine theoretische Ausbildung wie auch für meine eigene Psychoanalyse und die Supervision meiner ersten Ausbildungsfälle.

Ich lernte die Bedeutung der Triangulierung und die Wichtigkeit der Beteiligung des Vaters an der Elternarbeit noch besser erkennen. Ab diesem Zeitpunkt konzentrierte ich mich besonders auf die Entwicklung von Elternarbeitskonzepten in meiner kinder- und jugendpsychotherapeutischen Arbeit.

Entscheidend beeinflussten mich die Seminare am Psychoanalytischen Seminar Zürich mit dem Thema »Die Arbeit mit den Eltern – die andere Hälfte jeder Kindertherapie« von Pedro Grosz. Seine Erfahrungen und sein Wissen waren in dieser Phase für mich enorm wichtig. Pedro warnte zu Recht vor einer häufig anzutreffenden unkritischen Übernahme von kinderpsychotherapeutischen Behandlungen, ohne mit den Eltern ein tragfähiges Arbeitsbündnis erarbeitet zu haben. Immer wieder erleben Kindertherapeuten und ihre Patienten unglückliche Abbrüche von Behandlungen, nicht selten in besonders intensiven Phasen, in denen die Patienten sich öffnen. Die unvermeidbaren Loyalitätskonflikte der Kinder und Jugendlichen im Beziehungsgeflecht Familie-Kind-Psychotherapeut können nur gelöst werden, wenn ein sorgfältig geplantes, aufgebautes und geschütztes Setting vorhanden ist. Nur mit der vorher erarbeiteten Erlaubnis, die die Eltern ihrem Kind geben, kann ein kreativ nutzbarer und geschützter Phantasieraum entstehen.

Für eine solche sorgfältige Elternarbeit benötige ich differenzierte Vorstellungen über die Entwicklung von Elternschaft (vgl. Garstick 2001). Als Kinderpsychotherapeut muss ich mir vorstellen können, was die Eltern in ihrem Kind sehen, und welche Erwartungen sie hinsichtlich seiner Entwicklung hatten und haben. Das Kind fühlt sich in seinem therapeutischen Raum sicherer, wenn es erlebt, dass auch die Eltern einen für sie selbst emotional stimmigen Auseinandersetzungsrahmen erfahren. Die Eltern müssen sich in ihrem Bemühen um eine adäquate Elternschaft akzeptiert fühlen. Erst dann können sie wirklich ihrem Kind die Erlaubnis geben, einen intimen therapeutischen Rahmen außerhalb ihrer direkten Kontrolle zu nutzen.

Ich interessiere mich für die Lebensgeschichten der Eltern und will verstehen, wie es ihnen ging, bevor sie das Abenteuer »Eltern werden« eingingen. Wie sahen ihre Startbedingungen, ihre Rucksäcke aus, die sie in ihren Herkunftsfamilien packen konnten. Welche Träume hatten sie, als sich das Paar kennen und lieben lernte? Gab es eine Zeit in der Beziehung der Eltern, in der es ihnen miteinander noch gut ging? Ich meine damit das, was manche Psychoanalytiker auch mit Begehren bezeichnen und mit gesunder libidinöser Besetzungsfähigkeit. Einfacher ausgedrückt, ich will im Kontakt mit den Eltern spüren können, ob es eine positive erotische Spannung zwischen ihnen gab und ob das Kind und seine Zeugung emotional besetzt werden können, also ob sie auch gern daran zurückdenken.

Im Rahmen meiner Ausbildungsvertiefung zum psychoanalytisch orientierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten habe ich mich intensiv mit den Fragen rund um die Themenkomplexe Elternschaft, Vaterschaft und ihre Abhängigkeit von der Qualität des sexuellen Begehrens in der Mann-Frau-Beziehung der Eltern beschäftigt. Wenn es mir in der Elternarbeit mit verhaltensauffälligen Kindern gelang, das Vertrauen der Eltern zu gewinnen, hörte ich oft den Satz, »solche Gespräche hätten wir schon damals führen sollen, als unser kleiner Sohn zur Welt gekommen ist.« Deshalb wuchs in mir der Wunsch, sehr früh im Leben und Entstehen eines Kindes konstruktiv auf die möglichen Schwierigkeiten von Männern und Frauen einwirken zu können.

Ich hatte Glück mit meiner Vision. 1981 wurde ich von dem Verein Mütterhilfe – in Partnerschaft mit anderen Institutionen – als eine Art »fliegender Sozialtherapeut« für die Arbeit mit alleinerziehenden Müttern angestellt, die mit ihren Kindern in einem u. a. eigens für diese Klientengruppe konzipierten Gemeinschaftshaus lebten. Zu meinen Aufgaben gehörte die Beratung der Mütter in Fragen der Betreuung der Kinder, aber auch die Vermittlung zwischen Krippenpersonal und den Müttern bei unterschiedlichen Betreuungsvorstellungen. Durch meine sozialtherapeutische Arbeit in diesem Gemeinschaftshaus hatte ich auch einen engen Austausch mit der sozialarbeiterischen Beratungsstelle Mütterhilfe. Nach einigen Jahren holte man mich in den damals noch vorhandenen Vorstand und übertrug mir die Verantwortung für die fachliche Fortbildung der Mitarbeiterinnen. Ich brachte mein neues Wissen über Triangulierung und die Bedeutung des väterlichen Prinzips (Abelin 1986) in die Weiterbildungen des Sozialarbeiterinnenteams ein und erarbeitete gemeinsam mit dem Team Umsetzungsmöglichkeiten für die Beratungspraxis.

Dabei blieb es nicht. Die sehr engagierte Präsidentin des Vereins, Frau Claudine Bolay, forderte von mir noch konkretere Schlussfolgerungen aus dem neuesten Wissen über die Bedeutung der frühen Kindheit. Vor allen Dingen wollte sie eine flexible, rasch wirkende Hilfe für diejenigen Mütter, die nach der Geburt depressiv werden. Es gelang uns, den sozialtherapeutischen Familieneinsatz aufzubauen. Ich begleitete als Projektleiter die Arbeit einer Psychologin und einer Hebamme mit Frauen, die nach der Geburt in eine Krise geraten waren und intensive Betreuung im eigenen häuslichen Umfeld brauchten.

Diese Arbeit wurde zum festen Bestandteil des Angebotes der heutigen Stiftung Mütterhilfe Zürich.2 Sie war ein Standbein des Psychotherapeutischen Bereichs Quartett. Das andere wurde die von mir entwickelte »Elternschaftstherapie«. Mit ihr wollten wir Paare und Väter unterstützen, die durch Schwangerschaft, Geburt und die Veränderungen durch das erweiterte Beziehungsgeschehen – durch den Übergang von der Dyade zur Triade – heftiger irritiert werden.

Die Elternschaftstherapie3, in deren Rahmen auch die Unterstützung der Väter stattfindet, konzipierten wir von Anfang an familien- und vätergerecht, indem wir abends bis 20.00 Uhr und sogar an Samstagen Therapiestunden ermöglichen. Natürlich ist es hierfür wichtig, dass eine Institution solche Mitarbeiter einstellt, die sich in ihrer eigenen Lebensgeschichte in einer Phase befinden, in der dieses besondere zeitliche Engagement für andere Familien sich nicht negativ auf die eigene Familie auswirkt.

Was sind unsere Motive, von was gehen wir aus bei der Elternschaftstherapie? Der Übergang von der Paar-Beziehung hin zur Elternschaft – von der Dyade zur Triade – ist auch bei starkem eindeutigen Kinderwunsch immer wieder eine Krise für Beziehungen, und die erlebten Veränderungen werden nicht selten tabuisiert, vor allem im sexuellen Erleben.

Eine konstruktive Beziehungsqualität im Verhältnis zwischen Mutter und Vater, die Erfahrung des Gehaltenwerdens (bei WinnicottHolding genannt) der Mutter in der Paarbeziehung sind wichtige tragende Elemente für die geistige, körperliche und seelische Entwicklung des Säuglings. Eine länger andauernde depressive Verstimmung der Mutter kann vom Säugling nicht verarbeitet werden. Es kommt zur Verwirrung, und es besteht die Gefahr des apathischen Rückzugs. Die vorher auftretende Phase des Protestes, des Schreiens, wird oft von der verunsicherten, depressiven Mutter als Angriff erlebt. Der Säugling wird zum Verfolger (Soulé, vgl. Kapitel 1 in diesem Buch). Ist es so weit gekommen, droht die Gefahr der Kindesmisshandlung, wenn verzweifelte Eltern keine Möglichkeit haben, mit ihren ambivalenten Gefühlen und Verunsicherungen aufgefangen und gehalten zu werden.

Grundsätzlich stimmen wir mit den uns bekannten, eine Eltern-Säuglings-Psychotherapie anbietenden Institutionen darin überein, dass bei häufigem Schreien und Schlafproblemen nach gründlicher Abklärung von möglichen organischen Ursachen folgende Arbeitshypothese gilt: Oft trifft eine gesteigerte Empfindlichkeit des Säuglings mit einer unbewussten Konfliktlage der Mutter zusammen.4 Schon damals konnten wir diese Indikationsstellung erweitern durch den Zusatz, dass auch eine unbewusste Konfliktlage in der Mann-Frau-Beziehung in Betracht gezogen werden muss. Sie kann entstanden sein durch noch bestehende Abhängigkeitsverhältnisse zu den Herkunftsfamilien, aber auch durch verinnerlichte, geerbte Vorstellungen über das, was die »richtigen Verhältnisse« sind (aus internen Arbeitspapieren der Mütterhilfe 2004). Häufig begegneten uns in der Arbeit Väter, die noch stark mit den Vorstellungen ihrer Eltern über die richtige Form von Mutterschaft und von mütterlichem Verhalten identifiziert waren (vgl. Garstick 2001).

Die Pionierarbeit mit den Familien brauchte das Holding einer lebendigen, innovationsfreudigen Institution – die Stiftung Mütterhilfe Zürich bot mir mit ihrem Leitbild diesen wichtigen Rahmen.

Ziele der Stiftung Mütterhilfe

  • Auffangen von ernsthaften Kristen in der Paar-Beziehung
  • Wiederherstellen eines konstruktiven Dialoges in der Paar-Beziehung
  • Aufbau und Entwicklung einer engagierten Vaterschaft und des partnerschaftlichen Umgangs mit der Mutter und Partnerin
  • Auffangen von potentieller Gewalt gegenüber dem Säugling und Kleinkind
  • Präventive Beratung, um den Babys und Kleinkindern eine Trennung der Eltern zu ersparen

Im Jahr 2006 erhielten wir eine Bestätigung von außen und konnten einen wichtigen Preis für unsere Pionierarbeit »Quartett« entgegennehmen, den Sozial- und Kulturpreis der Zürcher Frauen Verein-Unternehmungen (ZFV).

Für unsere Verdienste im Bereich Kultur und Soziales wurden wir vom damaligen Zürcher Stadtpräsidenten (Oberbürgermeister) Herrn Dr. E. Ledergerber und durch die oberste Chefin des Sozialdepartementes, Stadträtin Frau M. Stocker, im Rahmen eines Festaktes im Zürcher Stadthaus geehrt. Eine schöne Bestätigung, dass eine flexible, fokussierte therapeutische Arbeit im Frühbereich eine gesundheits-, sozial- und kulturpolitische Bedeutung für die Gesellschaft hat.

Dieses Buch nun soll die Entwicklung meiner Arbeit mit Vätern und ihren Beziehungen zu Frauen und Kindern in der Elternschaftstherapie aufzeigen und die Grundlagen und den Aufbau des emotional-sozialen Rahmens deutlich machen, der nötig ist, um solch eine therapeutische Hilfe zu etablieren. Zugleich ist es ein Angebot und eine Aufforderung an alle in diesem Bereich therapeutisch oder beratend tätigen Fachkräfte, diese Aspekte in die Betreuung von schwangeren Frauen und ihren Partnern aufzunehmen, damit Kinder in einer gesunden triadischen Beziehung aufwachsen können.

Eine innovative, demokratische und humane Gesellschaft braucht für ihren sozialen Frieden sicher gebundene Kinder aus reifen triadischen Familienverhältnissen, in denen verantwortungsvolle Eltern sich auch als geliebte und begehrte Partner erleben. Leider wird in vielen guten therapeutischen Modellen zu wenig die Abhängigkeit der familiären Systeme von einer die Eltern unterstützenden Kultur in der Gesellschaft beschrieben. Daher soll das, was eine werdende, heranwachsende Persönlichkeit von der Kultur braucht, aber oft nicht genug bekommt, in diesem Buch ebenfalls beschrieben werden.

In Kapitel 1 zeige ich die theoretischen Grundlagen der fokussierten psychotherapeutischen Arbeit mit Eltern und Babys auf. In den folgenden Kapiteln wird die praktische Arbeit anhand von ausführlichen Fallbeispielen vorgestellt. Manche Fälle begegnen dem Leser an verschiedenen Textstellen, wenn ich einzelne Aspekte der Arbeit mit ihnen verdeutlichen möchte. So helfen mir Hans und Natascha im ersten Kapitel, den Begriff des »Imaginären Kindes« zu veranschaulichen, und sie dienen auch als Beispiel im Kapitel 7 dafür, wie man sexuelle Fragen einfühlsam mit einem Paar bearbeiten kann. Paul zeigt in Kapitel 2 durch sein Verhalten als »Abtänzer«, auf welche Weise unerledigte adoleszente Entwicklungsaufgaben der Übernahme einer reifen Vaterrolle im Weg stehen und im Kapitel 3, als wie bedrohlich solche Männer den Kinderwunsch ihrer Frauen empfinden können. In Kapitel 5 geht es um die flexible Gestaltung der therapeutischen Settings und den kreativen Umgang mit Vätern. Dort vergleiche ich meine Arbeit mit anderen therapeutischen Modellen im Feld der Eltern-Baby-Therapien. Die politische und kulturelle Bedeutung der Väter- und Familienarbeit thematisiere ich in Kapitel 6. Kapitel 7 zeigt Ansätze, den kreativen Umgang zur Wiederbelebung der sinnlich-sexuellen Beziehung der Eltern in die therapeutische Arbeit aufzunehmen. In Kapitel 8 ermutige ich Berater, Beraterinnen, Frauenärztinnen, Hebammen und andere Fachkräfte zum Aufbau von interdisziplinären Netzwerken, damit auch Väter in abgelegenen Gebieten von dem Wissen um die Bedeutung einer guten triadischen Beziehung profitieren können und die Väterarbeit auch dort ihren Platz findet. Der Identitätszuwachs und der Gewinn an einem reifen männlichen Selbstwertgefühl durch die Übernahme der Vaterschaft ist Schwerpunkt in Kapitel 9. Abschließend stelle ich in Kapitel 10 ein Konzept für Fortbildungen vor, in denen alle Fachkräfte mehr Sicherheit im Umgang mit Vätern erlangen können.

Noch eine Bemerkung zum Adjektiv »junge Väter« im Titel: einerseits suchen wirklich biologisch gesehen junge Väter die Orientierungshilfe mehr und mehr auf, andererseits drücken wir mit dem Titel aus, dass wir viele Väter gewordene Männer antreffen, die in ihrer psychosozialen Reifung noch nicht den Reifegrad erreicht haben, der für eine verantwortungsvolle Vaterschaft gebraucht wird.

Dank

Angeregt zu diesem Buch wurde ich nach einem Vortrag auf der Internationalen Konferenz »Bindungen – Paare, Sexualität und Kinder« (Leiter Dr. K. H. Brisch) in München. Danken möchte ich Karl-Heinz Brisch dafür, dass er diesen größeren Rahmen für die Vorstellung unserer Arbeit in der Stiftung Mütterhilfe Zürich ermöglichte.

Die Darstellung meiner therapeutischen Arbeit mit Eltern und Vätern stieß auf sehr großes Interesse, und Heinz Beyer vom Verlag Klett-Cotta schaffte es mit seiner hervorragenden Motivationsarbeit, mich zum Schreiben zu bringen, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Er und Frau Rosel Müller vom Lektorat gaben mir wertvolle Tipps und Anregungen für die endgültige Niederschrift. Auch Vera King ist durch ihre sorgfältige Durchsicht und sehr ermunternde Kritik wesentlich an der Gestaltung beteiligt gewesen.

Geehrt fühle ich mich durch Frank Dammaschs Beachtung und Würdigung meiner Arbeit, da ich in ihm den wichtigsten Vertreter der Bedeutung des väterlichen Prinzips in der deutschsprachigen Fachliteratur sehe. Lotte Köhler als erfahrene Psychoanalytikerin und Vertreterin der psychoanalytischen Selbstpsychologie, u. a. bestens vertraut mit den Werken von D. Stern und L. W. Sander, hörte mir wohlwollend mit ihrer besonderen Sensibilität für Fragen der Selbst-Entwicklung zu und konnte mich zu wichtigen theoretischen Schlussfolgerungen in der Frage der Technik bringen.

Viele Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen Arbeitsbereichen haben durch ihre konstruktiven Rückmeldungen mich dorthin gebracht, wo ich heute in meinen Ansichten stehe und wie ich arbeite. Hervorheben möchte ich aber Fernanda Pedrina. Sie als Pionierin der Eltern-Baby-Therapie in Zürich führte mich in unserer langjährigen Praxisgemeinschaft in dieses spannende Arbeitsfeld ein. In dem Buch wird oft die Bedeutung eines Vaters oder väterlichen Freundes für die Entwicklung betont, daher möchte ich es nicht versäumen, meine männliche Peergroup Christian Begemann, Jürgen Grieser und Edi Ruggle zu nennen, mit denen immer wieder in Intervisionen besondere therapeutische Herausforderungen kreativ besprochen werden können.