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Andi Peichl

DER WEG FRISST DAS ZIEL

Die Triathlon-Erlebnisse des Weißen Kenianers

COPRESS
EDITION

Die in diesem Buch verwendeten kenianischen Begriffe der handelnden Personen, der Schauplätze und der Kult-Objekte sind im Text kursiv hervorgehoben und werden im „Kenianischen Wörterbuch“ im Anhang näher erläutert.

Vollständige eBook-Ausgabe der im Copress

Verlag erschienenen Printausgabe

(ISBN 978-3-7679-1157-4).

Umschlaggestaltung: Pierre Sick

Lektorat: Petra Keidel-Landsee, Pierre Sick

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2013 Copress Verlag

in der Stiebner Verlag GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten.

Wiedergabe, auch auszugsweise,

nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags.

Gesamtherstellung: Stiebner, München

ISBN: 978-3-7679-2009-5

www.copress.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
von Triathlon-Weltmeister Faris Al-Sultan

Kapitel 1: Das Begräbnis auf der Aschenbahn

Kapitel 2: Präbichl – Schicksalsberg und Erzfeind

Kapitel 3: Ein Schlachtross aus Stahl

Kapitel 4: Trainingslager Armut gegen Elend

Kapitel 5: Unterzuckert am Schießstand – oder die große Trainingslüge – Teil 1

Kapitel 6: Zu zweit stirbt man weniger allein

Kapitel 7: Die Sache mit dem Cabrio

Kapitel 8: Der erste Triathlon – oder wenn man alleine eine Staffel ist

Kapitel 9: Lost in Stuttgart

Kapitel 10: Knapp am Marathon-Weltrekord vorbeigeschrammt

Kapitel 11: Mit dem Rennrad von Graz über Lignano ins Endorphin-Paradies

Kapitel 12: Lactat-Koma-Laufen – ein 24-Stunden-Selbstversuch

Kapitel 13: Die Waffenrad-Challenge 1.0 oder die erste Wette

Kapitel 14: Die Geburtsstunde des Weißen Kenianers

Kapitel 15: Der Schnee-Engerl-Contest

Kapitel 16: Eine neue große Liebe – das Kenianische Tri-Schlachtross

Kapitel 17: Der kenianische Botschafter bei der Eisfußball-Challenge

Kapitel 18: Einmal Mount Everest und retour – Teil 1

Kapitel 19: Die Schlacht um Königgrätzendorf

Kapitel 20: Eine kontraproduktive Urlaubsanreise – oder die große Trainingslüge – Teil 2

Kapitel 21: Die Schlachten um Nagyatad – so muss Triathlon!

Kapitel 22: Schwere Folter auf des Häuptlings Bergschlachtross

Kapitel 23: Einmal Mount Everest und retour – Teil 2

Kapitel 24: Bei der Tri-Hexe in der Welt des Schmerzes

Kapitel 25: GPS-Malen nach Qualen mit dem Dompteur

Kapitel 26: Ein ärgerlicher Radwandertag samt Gruppen-Kneippen

Kapitel 27: Die „Mutter aller Schlachten“

Kapitel 28: Ein Sieg für die Geschichtsbücher

Kapitel 29: Rambo 3 – zwei Niederlagen für die Kenianische Bergziege

Kapitel 30: Die wohl härteste Schlacht geschlagen – ein Buch gefinisht

Kapitel 31: Die Abrechnung der Weißen Kenianerin

Kapitel 32: Die zehn Heiligen Triathlon-Gebote

Anhang

Kapitel 33: Das Kenianische Wörterbuch

Vorwort

von Triathlon-Weltmeister Faris Al-Sultan

Der Triathlonsport hat sich rasant weiterentwickelt – von ein paar Typen, die in San Diegos Mission Bay Multisportwettkämpfe ausgetragen haben über die Anfänge des Ironman 1978 bis hin zu den gewaltigen Startfeldern, die sich heute bei so vielen Wettkämpfen durch Wasser, Straßen und Wege kämpfen. Die Motivation ist für die Teilnehmer verschieden gelagert, manche wollen abnehmen und brauchen ein Ziel, manche wollen den Vereinskollegen schlagen, manche wollen ein „Ironman“ (das ist geschlechtsneutral) sein, andere brauchen den Sport als Therapie und wieder andere machen ihn zu ihrem Beruf.

So unterschiedlich wie die Motivation ist auch die Definition von „erfolgreich“: Für die 45-Jährige übergewichtige Ex-Nichtsportlerin ist das Ziel zu erreichen bei einer Sprintdistanz ein Riesenerfolg, für den 24-Jährigen Studenten der Vereinsmeistertitel und für den Profi der Sieg. So kann man Sieger sein, ohne auf der ersten Seite der Ergebnisliste zu stehen.

Während früher der Ironman vor allem durch Bilder extremer Härte für sich warb – legendär Julie Moss’ Ziel-Einkriechen 1982 und der Zusammenbruch von Paula Newby-Fraser 1995 – stehen heute doch eher die Zuschauermassen in Roth, Frankfurt oder Klagenfurt im Vordergrund, die ein wesentlich fröhlicheres Bild auf unseren Sport werfen.

Andi Peichl, unser „Weißer Kenianer“, beschreibt einiges, was ich kenne und einiges, was ich so nie erlebt habe; teilweise weil ich schon als Jugendlicher sehr viel trainiert habe und mein gesamtes Erwachsenenleben – Gott sei Dank – als sehr fitter und gesunder Mensch durchleben durfte, teilweise weil ich keiner Familie gegenüber Kompromisse machen muss.

Aber auch ich war ein Altersklassenathlet und Quereinsteiger, von denen es heute nicht mehr viele gibt, im Gegensatz zu denen, die schon als Kinder und Jugendliche durch Kader und Nationalmannschaft gehen, und habe mehr als ein Quantum an Fehlern und Missgeschicken ausbaden dürfen.

Für vieles, was der AK-Athlet so tut, treibt und nutzt oder kauft, habe ich Verständnis, bei manchem schüttle ich den Kopf.

Wer beim Ironman Malaysia bei 38 °C und 85% Luftfeuchtigkeit in schwarzer Ganzkörperkompression steckt, hat so manches nicht verstanden und die Kombination aus 30 °C Außentemperatur + 30 km/h Geschwindigkeit mit Zeitfahrhelm ergeben einfach einen heißen Kopf. Genauso wenig Verständnis bringe ich denen entgegen, die sich ohne Neo nicht in der Lage sehen, 3,8 km zu schwimmen und sich beim Veranstalter beschweren. Da empfehle ich, zurück zur Mitteldistanz und weiter üben.

Vollstes Verständnis habe ich hingegen für die Mit-Tribären, die zwar wenig Power im Bein, aber dafür ein kraftvolles Gehalt haben und sich halt doch das Supercarbonzeitfahrrad mit Ultralaufrädern kaufen, obwohl es dann nicht mit den ausgelegten 50 Stundenkilometern bewegt wird. Kia fahren bringt bekanntlich auch ans Ziel, aber Maserati macht einfach mehr Spaß.

Das Thema Ernährung ist bekanntlich auch ein heikles, die Gratwanderung zwischen Salamisemmel und Astronautennahrung nicht immer ganz einfach zu meistern. Aber hier gilt wie auch sonst im Trisport, nicht gläubig auf jede frohe Werbebotschaft über gepriesene Wässerchen, Pülverchen oder Kügelchen hereinzufallen, die nichts bewirken, außer dass sie den Urin verteuern. Andererseits, so manches Nahrungsergänzungsprodukt kann das Sportlerdasein vereinfachen.


Zur Person:

Faris Al-Sultan (* 21. Januar 1978 in München) ist ein deutscher Triathlet und mehrfacher Ironman-Sieger (2005, 2008, 2010, 2011, 2012 und 2013). Im Jahre 2005 wurde er als Ironman-Hawaii-Sieger Weltmeister der Ironman-Rennserie.

– Als 16-Jähriger lief Faris Al-Sultan seinen ersten Marathon – mit gefälschter Altersangabe, weil er nach den Regeln noch zu jung war für die Belastung eines 42,195-Kilometer-Laufs. Seinen ersten Ironman absolvierte er 1997 mit 19 Jahren auf Lanzarote, weil das Mindestalter für Langdistanz-Triathleten in Deutschland damals bei 21 Jahren lag.

– Am Ironman Hawaii nahm er 1999 erstmals als Amateur teil und belegte den dritten Platz in seiner Altersklasse.

– 2005 gewann Faris Al-Sultan in Arizona erstmals ein unter Lizenz der kommerziellen Ironman-Marke organisiertes Rennen über die komplette Langdistanz.

– 2008 startete er beim Ironman Malaysia und erreichte seinen dritten Gesamtsieg in einem Ironman.

Faris Al-Sultan gilt nicht als Taktiker, sondern als jemand, der das Wettkampfgeschehen gerne selber in die Hand nimmt, wobei er kurzzeitige physische Einbrüche in Kauf nimmt und das Talent besitzt, sich sehr schnell wieder zu erholen.

– 2010 erreichte er in Regensburg seinen vierten Ironman-Sieg vor seinem Teamkollegen Andreas Böcherer.

– In Frankfurt siegte er 2011 und wurde damit Triathlon-Europameister.

– 2012 gewann er den Ironman Austria und feierte damit seinen sechsten Ironman-Sieg.

– 2013 kehrte er nach Lanzarote zurück, wo er seinen ersten Iron-man bestritt – und gewann.

Kapitel 1

Das Begräbnis auf der Aschenbahn

Mit gesenktem Kopf, zittrigen Beinen und glasigen Augen schlenderte er langsam, sehr langsam von der ab dem heutigen Tag verhassten Aschenbahn1 Richtung heimatlicher Wohnung, wo seine Liebsten schon auf ihn warteten ... und viel wichtiger, ein voller Kühlschrank. Sie wussten noch nichts von den dramatischen Geschehnissen der letzten Stunden, weder die Familie noch der Kühlschrank. Jeder Schritt schmerzte, die schweißnasse Sportkleidung in unaussprechlichen Farbkombinationen aus den 90er Jahren, die für das Auge des Betrachters schon nahe an eine Körperverletzung herankamen, klebte an seinem geschundenen Körper. Er sah aus wie Silvester Stallone in Rocky I. nach dem Kampf: powered by Caritas Altkleidersammlung. Als großer, strahlender Held wollte er zurückkommen, doch jetzt war er sich nicht sicher, wie er die rund zwei Kilometer Fußmarsch nach Hause überhaupt noch schaffen sollte. Es tat so weh. Es brannte wie Feuer – in den Beinen, der Lunge und vor allem in seiner geknickten Sportlerseele. Was war geschehen? Es hätte doch sein erster, ganz persönlicher Triumphlauf unter Ausschluss der Öffentlichkeit werden sollen. Quasi die geheime Testfahrt eines neuen Ferraris. Doch es wurde eher zur letzten Fahrt eines Trabis mit verstopftem Vergaser und Abgas-Keuchhusten, den man zum Autofriedhof schieben musste. Dabei wollte er ursprünglich nur ein paar Freunden bei einer leicht verrückten sportlichen Aktivität an einem sonnigen Wochenende zusehen ...

Wir schreiben das Jahr 2006. 16. Juli, ein heißer Sommertag, 13 Uhr Ortszeit. Mitteleuropa, Österreich. In dem kleinen unscheinbaren obersteirischen Örtchen Wörschach fällt ein Sack Reis um, Milchreis. Wörschach, ein malerischer, verschlafener Ort, der vor allem eines zu bieten hat: viel Natur und dessen Einwohner nicht viel haben, außer weit nach Hause. Über der fast unberührten Landschaft und Bergwelt mit Postkartenidylle thront die mächtige Burgruine Wolkenstein. Wälder und Wiesen sind saftig grün, es riecht nach Bio. Nach echtem Bio, nicht nach dem vakuumverpackten. Hier musste wohl das „Ja-Natürlich-Schweinderl“ zu Hause sein. Ein Traum für naturverliebte Wanderer, die den inneren Frieden suchen, ein Albtraum für jeden Partytiger. Doch einmal im Jahr erwacht dieser Ort aus seinem Dornröschenschlaf und das gnadenlose Schicksal nimmt im wahrsten Sinne des Wortes seinen Lauf.

High Noon. Die letzte Stunde war angebrochen, mittlerweile hielt es am Streckenrand schon längst niemand mehr im Sitzen aus. Standing Ovation für die Gladiatoren, die sich alle – wohlgemerkt freiwillig – in die Arena gestürzt hatten. Masochisten! Jeder Einzelne! Jeder Athlet, der sich noch auf der Strecke voranschleppte, wurde frenetisch beklatscht und lautstark bejubelt. Er stand ebenfalls am Streckenrand, mit seinem Sohn auf dem Arm, und wie vielen auf und neben der Strecke trieb es ihm immer wieder Freudentränen in die Augen. Er wusste nicht recht warum. Jedoch, er wischte sie nicht weg. Er ließ es geschehen. Kollektive Ergriffenheit, Begeisterung und Erschöpfung am Rande der Glückseligkeit. Damals hieß er noch Andi Peichl, war Jungvater, Jungunternehmer und sportlich. Zumindest optisch. Also gewesen. Früher. Damals. Seinerzeit oder wie der Steirer zu sagen pflegt: „Söm“. Nüchtern betrachtet war er immer sportlich gewesen und meinte, es noch immer zu sein. Lächerliche 13 Jahre Trainingspause waren doch sicher spurlos an ihm vorüber gegangen. Immerhin war er noch immer groß und halbwegs schlank. Breite Schultern ließen sogar auf mittlerweile etwas verschwommene, frühere „Cornetto-Eistüten-Konturen“ schließen.

Zurück nach Wörschach. Genauer zum legendären 24-Stunden-Lauf. Er harrte als Zuschauer bereits seit 24 Stunden samt Sohnemann und Campingbus am Streckenrand aus – und das eigentlich eher zufällig. Also zumindest nicht aus sportlichen Gründen. Vielmehr auf Einladung des noch viel legendäreren Lonely Hearts Clubs aus Neuberg an der Mürz. Ein Männerverein, bei dem längst schon keiner mehr alleine war – weder beziehungstechnisch noch im Oberstübchen. Eine wirklich äußerst liebenswerte Elite-Truppe aus einem Graben im Mürztal, wo zehn Monate im Jahr Winter ist, sieben Wochen Herbst und maximal fünf Tage Sommer, und dennoch sind alle (Männlein und Weiblein) 8760 Stunden im Jahr spitz wie Nachbars Lumpi. Die in den Graben Hineingeborenen – auch „Grabler genannt, bezeichnen sich selbst auch gerne als „feindselige A-Löcher, was eigentlich nichts zur Sache tut, aber die Neuberger werden uns im Laufe der Geschichte noch einige Male begegnen.

Jedenfalls hatten 14 der „Grabler einem der ihren Irren zum 40. Geburtstag die Teilnahme beim Wörschacher 24-Stunden-Lauf mit einer gemeinsamen Mega-Staffel2 geschenkt. Und eben dieser Irre der ihren war auch Mitglied einer Theatergruppe, bei der er schon seit einiger Zeit Regie führen durfte. Bei der 40er Feier hatte man ihn auch nach Wörschach eingeladen – zu einem Event, von dem er vorher noch nie etwas gehört hatte. Als Mega-Staffel bekommt man direkt am Streckenrand – einem kleinen asphaltierten Weg, der sich malerisch durch die Wiese schlängelt, einen Zelt- und Wechselplatz samt malerisch ins Feld gepflanztem eigenem Dixi-Klo zugewiesen. In diesem eigenen kleinen Reich darf man als Mega-Staffel nach Herzenslust die Läufer wechseln, essen, schlafen und feiern. Wenn die Grabler einmal die Untiefen ihres geliebten Neubergs verlassen, was außer aus beruflichen Gründen – die meisten sind Pendler – privat selten vorkommt, dann nehmen sie gleich das halbe Dorf mit, damit sie sich auch in der Ferne wie zu Hause fühlen. So rückten sie mit großem Feuerwehrzelt, liebevoll gebastelten Ortstaferln samt Blumenkisterl und zwei Köchen an. Und einer der Neuberger Grabler definierte das Wort Heimschläfer neu. Er hatte sich kurzerhand sein Holz-Bett samt Nachtkästchen in seinen VW-Liefer-Bus hineingezimmert. So wurde wohl auch das erste Wohnmobil erfunden.

Frei nach „American Pie“ hatten die Grabler natürlich auch ihren ganz persönlichen „Heimscheißer“ mit. Aber die fürsorglichen Neuberger hatten sich für ihr „Heimscheißerchen“ natürlich etwas ganz Besonderes einfallen lassen, um ihm den Aufenthalt in Wörschach so erträglich wie möglich zu machen. Ohne sein Wissen hatten sie im Zuge der Vorbereitungsarbeiten die Aussicht seines trauten stillen Örtchens in dessen Wohnung vom Topferl aus fotografiert und übergroß ausgedruckt. Dieses Plakat mit der Ansicht seiner Heimklotüre von innen, klebten sie auf die Innenseite des ihnen zugewiesenen Dixiklos und so wähnte sich der „Heimscheißer“ bei der morgendlichen Selbstreinigung in Sicherheit.

Und so gäbe es zu jedem der Grabler eine eigene, kleine nette, aber zum Teil sogar etwas furchteinflößende Geschichte, die jeden einzelnen von ihnen so liebenswert und zugleich abartig macht. Die beiden Beispiele von Heimschläferchen und Heimscheißerchen sollten uns aber als exemplarische Einblicke genügen, denn noch tiefer in die Seele der Neuberger vorzudringen, würde den Rahmen dieses Buches und sämtliche Erkenntnisse von Sigmund Freud sprengen.

Die glorreichen 14 hatten es sich nach der Startrunde, die natürlich der Jubilar selbst laufen durfte, so eingeteilt, dass jeder immer eine der 2,1 Kilometer langen Runden lief. Nachdem die Grabler zwischen acht und zwölf Minuten für eine Runde brauchten, kam jeder alle zwei bis zweieinhalb Stunden an die Reihe. Und da sind wir auch schon bei Teil 1 des sportlichen Schlüsselerlebnisses des Weißen Kenianers in Ausbildung. Einige der glorreichen 14 waren alles andere als Sportskanonen oder Wunderläufer. Vielmehr hatten sie nur für dieses außergewöhnliche Geschenk an einen der Irrsten unter ihnen ein wenig Lauftraining in der Vorbereitung absolviert. Diese gehörten freilich zur zwölf-Minuten-pro-Runde-Fraktion – und diese waren es auch, die den Ehrgeiz in ihm weckten.

Besonders erwähnt sei auch noch einer der glorreichen 14, der zwar brav für das gemeinsame Vorhaben trainiert hatte, dann am Tag X aber leider krankheits- bzw. verletzungsbedingt nicht mitlaufen konnte. Er wollte seine Truppe – laufend waren es jetzt leider nur mehr 13 glorreiche Halunken – natürlich dennoch unterstützen und harrte die gesamten 24 Stunden in einem Liegestuhl am Streckenrand aus, ohne auch nur einmal ein Auge zuzutun. Die meisten der unzählige Male vorbeilaufenden Teilnehmer dürften ihn für einen neumodernen übergroßen Gartenzwerg oder die kunstvolle Statue mit dem Titel „Der versteinerte Zuschauer“ gehalten haben.

Um die Faszination nachempfinden zu können, bedarf es wohl noch ein paar näherer Infos zum 24-Stunden-Lauf von Wörschach.

Seit 1998 verwandelt sich die kleine verschlafene Ortschaft jedes Jahr im Juli für ein Wochenende zum Ultralaufmekka von Europa. 2005 wurden in der 1200 Einwohner zählenden Gemeinde sogar die Ultralauf-Weltmeisterschaften ausgetragen. Der Ansturm auf die Veranstaltung war mittlerweile so groß geworden, dass an diesem Wochenende sogar das Kanalsystem des Ortes zusammenbrach. Deshalb ist man in die Nachbargemeinde Irdning ausgewichen. Irdning ist auch nicht unbedingt eine Weltmetropole, aber offensichtlich zumindest unterirdisch besser erschlossen. Die Regeln des 24-Stunden-Laufes sind denkbar einfach, die abverlangten Leistungen im Gegenzug umso schwerer.

Es gilt in 24 Stunden – exakt von 14 Uhr samstags bis 14 Uhr sonntags – auf einem vorgegebenen, gesperrten 2,1 km langen Rundkurs, so viele Kilometer wie möglich zu laufen. Meter bzw. Runden sammeln kann man sowohl als Einzelstarter, als Viererstaffel, als auch mit einer Mega-Staffel (fünf bis maximal 24 Läufer). Um in die Nähe eines Sieges zu kommen, muss man als Einzelstarter fast 250 Kilometer, als 4er Staffel an die 320 Kilometer und als Mega-Staffel über 400 Kilometer abspulen.

Sohnemann Nummer eins – noch keine zwei Jahre alt – startete übrigens im Rahmenprogramm beim Kinderlauf. Nach dem Startschuss hatte er es alles andere als eilig. Erst als er mitbekam, dass im Ziel ein menschengroßes Stoffhäschen mit Schokoriegeln für die kleinen Finisher wartete, gab er gehörig Gas und holte sich seine erste, zuckersüße Trophäe. Dieser besondere Spirit der Veranstaltung zog auch den Kleinen in seinen Bann. Dazu kam, dass er 24 Stunden lang die Laufstrecke vor seiner Nase – auf der sich ständig Menschen tummelten – nicht betreten durfte, ein hartes Verbot, wenn man bedenkt, dass die Kleinen mehr als gerne ihren eigenen Bewegungsdrang ausleben wollen. Wie bereits erwähnt, wurde gegen Ende des Rennens jeder einzelne frenetisch beklatscht und die zahlreichen weiblichen Fans der immergeilen Grabler machten für jeden Vorbeilaufenden, der sich nach fast 24 Stunden noch immer auf den Beinen halten konnte, die Welle. Der Neuberger Jubilar rannte bereits kurz vor 14 Uhr die letzte Runde für sein Team, denn die Schlusssirene wollten alle gemeinsam beim eigenen Wechselplatz vor dem Zelt feiern.

Die Stimmung entlang der Strecke in den letzten Minuten des Wettbewerbs lässt sich kaum beschreiben. Läufer, bei denen man sich ehrlich gesagt schon bei der ersten Runde gefragt hatte, wie die überhaupt eine einzige Runde überstehen, waren noch immer mit dabei. Manche liefen längst im wahrsten Sinne des Wortes neben ihren Schuhen, die schon lange ihren Dienst quittiert hatten. Ein Läufer oder vielmehr Geher wird dem Weißen Kenianer für immer in Erinnerung bleiben. Er hatte unglaubliche O-Beine, man hatte den Eindruck, er würde auf einem Weinfass daher reiten. Er war geschätzte 60 Jahre alt und startete mit Billigsdorfer Schuhen. Dabei trat er nur mit dem jeweiligen Außenrist auf. Also nicht wie allgemein üblich auf den dafür vorgesehenen Schuhsohlen, sondern das Außengewebe der 20-Euro-Turnschuhe hatte bei jedem Schritt Bodenkontakt und war längst durchgescheuert. Aber nach dem Motto: „Steter Tropfen höhlt den Stein!“, sammelte er im flotten Spaziergänger-Tempo 24 Stunden lang unzählige Runden und ließ so manchen durchtrainierten Sportler, der nach hohem Anfangstempo frühzeitig aussteigen musste in der Endabrechnung weit hinter sich. Überhaupt zeigte die Beobachtung in der Schlussphase der 24-Stunden-Quälerei, dass man bei Ultrawettkämpfen überhaupt nicht nach dem optischen Eindruck der Athleten gehen darf. Zum Teil alles andere als schlanke Damen und Herren waren noch immer im Rennen, wohingegen viele Modell-Athleten längst w. o. gegeben hatten.

Allerdings – die Top-Läufer der Einzelstarter hoben sich optisch und von Anfang an vom übrigen Feld ab. Aber weniger durch ihre schlanke Statur, sondern eher durch die Art, wie sie über die Strecke schwebten. Alles war auf optimale Ökonomie ausgelegt. Die erfahrenen Ultraläufer schlichen auf leisen Sohlen Runde um Runde an uns vorbei, als wären sie auf einer geheimen Mission. Man hatte den Eindruck, dass sogar jedes Augenzwinkern genau einstudiert war, jede unnötige Bewegung, die wertvolle Energie verschwendet hätte, wurde vermieden. Jeder einzelne Laufschritt schien genau durchdacht und geplant. Er fragte sich, ob Ultraläufer die Strecke auch wie Skifahrer vor dem Lauf im Kopf durchgehen, und wenn ja, wie lange sie da wohl für die Strecke brauchen würden?

Auffällig waren auch die Top-Läufer der 4er-Staffeln, die am Vormittag des zweiten Tages noch immer ein Höllentempo vorlegten und somit ein einziges 24-Stunden-langes-Überholmanöver liefen. Man hatte den Eindruck, sie hätten ihren Schlusssprint schon beim Startschuss begonnen und zogen ihn jetzt einfach durch, um sich keine Blöße zu geben. Aber auch sie wurden dann letztendlich erlöst.

Unter den „Überlebenden“ befanden sich auffällig viele Damen, die bewiesen, dass das vermeintlich schwache Geschlecht aus sehr zähem Holz geschnitzt ist, wenn es bei sportlichen Höchstleistungen nicht gerade auf Schnelligkeit oder rohe Gewalt ankommt. So waren bei den Mega-Staffeln sechs mixed Teams unter den Top 10.

Exakt um 14 Uhr ertönte die erlösende Schlusssirene, die gleichzeitig eine völlige Massen-Hysterie auslöste. Egal, ob Läufer oder Zuschauer – alle waren aus dem Häuschen. Für die Top-Läufer hieß die Sirene: sofortiger Lauf-Stopp! Sie blieben wie angewurzelt stehen, denn schließlich galt es für die Offiziellen nachzumessen, wie viele Meter noch zu den vollständig absolvierten Runden fehlten. Für Sohnemann Nummer eins bedeutete die Schlusssirene, dass er endlich das so verlockende verbotene Land – die Laufstrecke – betreten durfte. Was er auch sofort tat. Er lief – gegen die Laufrichtung – ein Stück vom Grabler-Lager weg und sprintete dann an den zahlreichen weiblichen Fans vorbei. Diese brachen natürlich sofort in große Entzückung aus, machten für den Kleinen die Welle und bejubelten ihn mit klatschenden Händen und Muttergefühlen. Soviel Begeisterung spornte Sohnemann Nummer 1 natürlich erst recht an, er wiederholte das Spielchen noch zig Male und seine Fans am Wegesrand wurden nicht müde, ihn anzufeuern.

Als besondere Draufgabe für ein ohnehin schon perfektes Vater-Sohn-Kumpel-Sportwochenende wollte es der Zufall, dass der Sieger im Einzelwettbewerb, der Ungar Blaho Akos, genau vor dem Zelt der Neuberger zu stehen kam. Sofort eilten offizielle Helfer aus dem Organisations-Team zum diesjährigen „König von Wörschach“ und fragten ihn, ob sie ihm irgendetwas bringen könnten. Und was antwortete der Ultraläufer aus Budapest, nachdem er in 24 Stunden fast ohne Pause 245,21 Kilometer gelaufen war? „Just a cold beer please!“ Das ließen sich die Grabler – die daneben standen – natürlich nicht zweimal sagen und in Nullkommanichts hatte der gute Mann ein kühles „Puntigamer“ in den Händen.

Die Grabler schafften übrigens stolze 324,24825 Kilometer, eine für Hobbysportler eigentlich unglaubliche Leistung. Den einen oder anderen fehlenden Trainingskilometer hatten sie mit Teamgeist und guter Stimmung locker wettgemacht. Sie absolvierten 139 Runden und belegten bei den Mega-Staffeln den ausgezeichneten zwölften Gesamtrang von 79 Staffeln. Bei den reinen Männerstaffeln reichte es sogar für Rang 5.

Schwer fasziniert von der gesamten Veranstaltung und vor allem von der Massen-Euphorie in der letzten Wettbewerbsstunde grub er bereits am nächsten Tag zu Hause seine alten Hofer Turnschuhe powered by Österreichisches Bundesheer aus und pilgerte zur alten Aschenbahn in seiner Heimatstadt. Der Plan denkbar einfach: Fünf Runden à 400 Meter in zwölf Minuten laufen. Das Ergebnis undenkbar niederschmetternd: gute 15 Minuten! Was heißt gute 15 Minuten? Nach einer endlos langen, qualvollen Viertelstunde hetzte er (aus der Innensicht) bzw. schlich er (aus der Außensicht) noch immer mit hochrotem Kopf über die Aschenbahn. Am liebsten wäre er selbst zu Staub zerfallen, als er nach 16 und ein paar zerquetschten Minuten endlich die Stoppuhr nach zwei Kilometern abdrücken konnte. Eine Pulsuhr hielt er damals Gott sei Dank noch für ein unerschwingliches Hightech-Gerät von der Krankenkasse für Herzinfarktpatienten. Schade, denn er hätte sicher den Pulsweltrekord gesprengt oder zumindest eine gesundheitlich sehr bedenklich hohe Schlagzahl erreicht. Kurz zum Rennverlauf selbst: Er sprintete völlig übermotiviert los und war bereits nach der ersten Hälfte der ersten Runde völlig am Anschlag. Die restlichen viereinhalb Runden standen dann unter dem Motto: „Stirb langsam!“ Und das tat er auch. Übrigens eine Renntaktik, die ihn noch lange begleiten sollte – und die er genau genommen bis zum heutigen Tag noch nicht abgelegt hat.

Unendlich langsam zogen die wohl längsten 16 Minuten seines Sportlerlebens an ihm vorüber. 16 Minuten – ein Schnitt von acht Minuten pro Kilometer. Hätte er schon damals gewusst, wie unglaublich mies diese Zeit selbst für 90-Jährige übergewichtige Kettenraucher mit fingerdicken Krampfadern ist, hätte er einen hysterischen Weinkrampf bekommen – so weinte er nur still vor sich hin und schlich mit gesenktem Kopf sowie vor Schmerz brennenden Beinen und glasigen Augen heimwärts.

Zu Hause hatte er mit seinem ersten After-Ausdauer-sport-Fress-Flash wenigstens eine nennenswerte sportliche Höchstleistung an diesem sonst so traurigen Tag. Aber nachdem er den Kühlschrank auf ex leergefuttert hatte – was übrigens schon bald zu seiner Standard-After-Trainings-Einheit werden sollte – beschloss er, die Flinte nicht ins Korn bzw. die Laufschuhe in den Biomüll zu werfen, sondern vielmehr so schnell wie möglich wieder der sportliche Typ zu werden, der er noch immer zu sein geglaubt hatte.

Noch sollte es ein weiter Weg werden bis er zum Weißen Kenianer mutieren würde. Noch sollte er viele Irrwege beschreiten und befahren müssen. Aber die ersten schmerzvollen Schritte waren getan, und es würden noch viele folgen. Schritte und Schmerzen!

1  Sportstadien älteren Semesters haben rund um das Fußball-Feld noch eine Aschenbahn, auf der die Laufwettbewerbe abgehalten werden. Moderne Stadien haben meist eine Tartanbahn.

2  Bei Wettkämpfen gibt es oft Staffeln mit 3, 4 oder 10 Startern, die sich abwechseln dürfen. Bei einer Mega-Staffel sind es 10 Starter, die sich z. B. bei einem Ultralauf-wettbewerb die Distanz unter einander aufteilen.

Kapitel 2

Präbichl – Schicksalsberg und Erzfeind

Nach dem läuferischen Begräbnis auf der Aschenbahn sank die Lust auf weiteres Gerenne gegen Null. Auf stundenlanges Training zwischen Michelin-Männchen in Clownhosen und Muscleshirts samt Monsterakne auf ihren kleiderschrankbreiten Rücken oder in nach Schweiß und Testosteron riechenden Fitnesscentern verspürte er ebenfalls keine Lust. Da war seine Motivation schon vor der ersten Einheit auf dem Nullpunkt. Seine Bodybuilding-Zeit hatte er mit dem Ende der Pubertät (falls es bei Männern so etwas überhaupt gibt) beziehungsweise mit der Matura quasi abgeschlossen. Außerdem war es schließlich der Ausdauersport, der ihn in Wörschach in seinen Bann gezogen hatte. Also besann er sich auf die Zeit, als er früher – also „söm“ – mit dem Rennrad die Gegend unsicher gemacht hatte.

In der Siedlung, in der er aufgewachsen war, hatten zwei seiner Jugendfreunde Rennräder bekommen. Das hatte in der Clique einen regelrechten Boom ausgelöst, bei dem er natürlich auch mit dabei sein musste. Sein Vater kaufte ihm seinen ersten Renner im typischen Bianchi3-Türkis. Mit diesem Renner, der noch immer als Heimtrainer im Fitnessraum seines Vaters gute Dienste leistet, zog er fast täglich nach der Schule seine Runden – und schon bald feierte er bei cliqueninternen Ortstafelsprints erste Erfolge. Bei einer Trainingsausfahrt wurde er sogar vom Obmann des örtlichen Rennrad-Klubs entdeckt. Das hatte dazu geführt, dass er in der Jugend-Klasse sogar eine Saison lang Rad-Rennen bestritt, ehe er dann beschloss, dass er den exquisiten Genuss, sein Frühstücks-Müsli bei jedem hartem Anstieg im Rennen ein zweites Mal essen zu müssen, nicht länger brauchte. Kleine Anmerkung: Rückwärts schmeckt übrigens jedes Müsli gleich, egal ob Bircher oder Hofer. Aber nun fiel ihm ein, dass im Keller noch das alte Rennrad seines Vaters irgendwo rumstehen müsste. Ein Stahlrenner, ein wahrer Klassiker mit Schalthebeln direkt am Rahmen. Er hatte zwar schon davon gehört, dass es mittlerweile neue Werkstoffe wie Aluminium und sogar Carbon geben sollte, aber aus der Nähe hatte er solche neumodernen Hightech-Räder noch nicht gesehen. Auch sagte ihm der weise Spruch seines späteren Stammeshäuptlings „Am Material darf es nicht scheitern!“ noch nichts. Ein Mantra, das ein paar Jahre später zu seinem täglichen Abendgebet werden sollte ...

Nachdem er in den Untiefen seines Kleiderschrankes gewühlt hatte, wurde er unter einem nicht mehr ganz modischen Spencer-Sakko samt lila Bauchbinde fündig. Da lagen gut vergraben noch einige Relikte leicht verwaschener Sportbekleidung, die wohl auch nicht mehr unbedingt „state of the art“ waren. Also schnell die Motten aus den Teilen geschüttelt und rein in die Zeitreise-Teile. Na bitte: Die alte Radler-Hose passte sogar noch und das Trikot war jetzt endlich zum ersten Mal auch wirklich so eng anliegend, wie es in Sachen Aerodynamik schon vor 15 Jahren hätte sein sollen! Die Tatsache, dass zu seiner Rennradzeit die Helmfrage noch nicht einmal diskutiert wurde, und er im Rennen einen extrem stylishen Arbö-Kunstleder-Sturzring in rot-weiß-rot tragen musste, machte ihm doch schmerzhaft bewusst, dass es schon einige Zeit her war, dass er seinen Hofkumpels, die schnell das Interesse am neuen Modesport wieder verloren hatten, um Längen davon gefahren war. Parallel infizierte er sich natürlich auch mit dem Tour-de-France-Fieber. Damals, als Miguel Indurain4 der „Tourminator“ war: Ein ruhiger, sympathischer Spanier mit acht Liter Hubraum (Lungenvolumen), dem Ruhepuls eines seit Jahren dauermeditierenden Shaolin-Mönchs und einem permanenten Dauergrinsen im Gesicht. Mit diesem stets leicht lächelnden Pokerface (Fußnote: angeblich grinste er nicht, sondern hatte nur den Mund immer leicht geöffnet, um besser Luft in seine Megalungen pumpen zu können) fuhr Don Miguel5 jeden noch so schweren Berg im Sitzen hoch. Der Mann, der sich nie wirklich anzustrengen schien, ritt keine Attacken, musste seine Feinde und Helfer nicht mit ständigen Tempowechseln oder Verschärfungen aufreiben, nein, er fuhr bergauf einfach gleichschnell weiter, als wäre er von der Schwerkraft befreit. Betrieb er etwa Heliumdoping? Hatte er deswegen so riesige Lungenflügel, weil sie vor jedem Berg über seine Trinkflaschen mit Helium vollgepumpt wurden? Und war er deswegen stets so wortkarg, weil ihn die hohe Micky-Maus-Stimme sonst sofort verraten hätte?

Jedenfalls fuhr er bei den Bergetappen über Alpen und Pyrenäen gnadenlose Ausscheidungsrennen, bei denen man den Eindruck hatte, er fuhr einfach sein Wohlfühltempo und ein Konkurrent nach dem anderen brach ohne einen von außen ersichtlichen Grund einfach weg.

Dieses Tour-Fieber hielt jahrelang an, wobei er immer öfter fünf Stunden auf der TV-Couch statt im Sattel verbrachte. Wund liegen – statt sich das eigene Hinterteil beim Grundlagen-Training am Sattel wund zu reiben.

Doch leider hatte ihn die leidige Dopingseuche in den letzten Jahren gründlich von seinem Tour-Fieber geheilt. Und spätestens seit man auch noch „seinen“ Lance demontiert hatte, stand sein Entschluss fest, sich keine Minute eines Wettbewerbs mehr anzusehen, bei dem der Sieger erst zehn Jahre später wirklich feststehen würde. Allerdings auch nur dann, wenn sich überhaupt einer finde sollte, dem man den Sieg bedenkenlos vererben kann beziehungsweise der sich das Erbe anzunehmen traut. Denn der neu ernannte Sieger muss davon ausgehen, dass sich die gierigen Dopingjäger mit Hang zur Selbstverwirklichung sofort auch auf dessen uralte Blutproben stürzen, um ihm dann das nachzuweisen, was sie vorher – während seiner aktiven Zeit – ein Jahrzehnt lang nicht geschafft hatten.

Und da kam mir folgender Gedanke: Ich rufe meine Volksschullehrerin an und frage sie, ob ich den Dreier in Deutsch aus der ersten Klasse doch noch ausbessern könnte. Denn jetzt – mit Google und automatischer Rechtschreibprüfung würde ich sicher eine bessere Note schaffen. Leider ging der Schuss nach hinten los, denn meine Volksschullehrerin hatte daraufhin meine Tests noch einmal kontrolliert – und nach der neuen Rechtschreibung hagelte es nachträglich Fünfer um Fünfer für mich. Jetzt wird mir die Volksschule aberkannt. Gymnasium und Handelsakademie werden noch entscheiden, ob sie mir den Pflichtschulabschluss und die Matura ebenfalls streichen. Aber was das Schlimmste ist: Alle meine Opas, Omas, Onkel und Tanten wollen ihr Geld zurück, das sie mir für gute Zeugnisse gesponsert haben. Wenn ich allerdings mindestens zehn meiner Klassenkameraden verpfeife, kann ich die Volksschule nach einer Zweijahressperre noch einmal machen ...

Doping ist selbstverständlich aufs Äußerste zu verurteilen, aber selbst ernannte Anti-Doping-Halbgötter, die noch immer so tun, als würden sie die wenigen schwarzen Schafe aufdecken, lügen sich mindestens ebenso sehr in die eigene Medikamenten-Tasche, wie die dopenden Sportler selbst, die sich den Wecker so stellen, dass sie nachts mehrmals aufwachen, weil sie Angst haben, dass ihr ohnehin übergroßes Sportlerherz nicht mehr ausreicht, die zähflüssige Chemiesuppe aus Epo und Blut durch ihre fingerdicken Adern zu pumpen.

Immer mehr Sportler wachen hinter den sieben Unschuldsbergen mit folgenden – vom Team-PR-Berater empfohlenen Worten – auf: Oh? Wo kommt denn der Fremd-Urin in meiner Blase auf einmal her? Ja wer ist denn da an meiner Harnröhre gewesen? Ja wer hat mir denn die Spritze auf mein Tellerchen gelegt? Oh! Wo ist der hinterhältige Zwerg jetzt hin, der sie mir gespritzt, beziehungsweise mich so lange hypnotisiert hat, bis ich mir die Spritze selbst gesetzt und dies im selben Moment auch schon wieder vergessen habe. Nachts im Wald kann man auch immer mehr Profi-Sportler ums Lagerfeuer tanzen sehen und singen hören: Ach wie gut das niemand weiß, dass ich mir reinschieß jeden Scheiß, wenn er mich nur schneller macht und dann ein Sponsorenvertrag lacht!

Leider ist zu befürchten, dass im Peloton6 von großen Rundfahrten alle, die es sich leisten können, gedopt waren und sind. Also sollte man alle Siege der letzten 20 Jahre dem jeweiligen Besenwagenfahrer7 zusprechen, aber der war wahrscheinlich selbst voll mit Aufputschmittel gegen Sekundenschlaf. Und das alles wissen vermutlich auch alle im Renn-Zirkus, egal ob gedopte Fahrer, Doping-Fahnder oder die Teambus-Putzfrau. Aber auch auf Loipen, Pisten, Fußballfeldern, Rennstrecken, in Ringen, in Stadien oder Sporthallen oder vom Hobby-Wablerlauf in Hintertupfingen bis zu den Olympischen Spielen tummeln sich ziemlich sicher noch viel mehr freiwillige, menschliche Pharma-Versuchskaninchen als auch die misstrauischsten Pessimisten unter uns zu befürchten wagen. Spannend wäre es schon, wie die Sportler aussehen würden, wenn man einfach alles freigäbe. Den 100-Meter-Lauf würde wahrscheinlich das monströse Retorten-Baby gewinnen, das den Lauf auch überlebt. Denn sieben von acht Olympia-Finalisten würde wahrscheinlich schon am Start einfach explodieren ...

Für alle Doping-Sünder sollte man bereits nach der ersten positiven Testung einen lebenslangen Zwangs-Wechsel in eine eigene Zombie-Klasse in der jeweiligen Sportart aussprechen. Denn wer einmal dopt, dem glaubt man nicht – mehr. Kommt er nach der Sperre zurück und fährt hinterher, heißt es: „Na klar, ohne Doping geht wohl nix!“ Kommt er zurück und fährt wieder allen davon oder zumindest vorne mit, heißt es: „Na klar, der ist schon wieder gedopt!“ Also ab mit Dopern in eine eigene Zombie-Klasse, in der sie sich nach Herzenslust als Pharmaindustrie-Versuchskaninchen austoben können. Und endlich gäbe es zahlreiche neue Sponsoren wie Johnson & Johnson, Pfizer, Novartis, Ratiopharm, Roche, Bayer, Baxter und viele mehr.

Aber zurück von der bösen Welt des verseuchten Spitzensports zum jungfräulichen Weißen Kenianer, der noch nicht einmal ahnt, dass er zu diesem einsamen Krieger der Herzen werden wird. Noch schlummert der Kämpfer in ihm tief und fest. Wir waren vor dem Ausflug in Sachen (Sport)-Weltverbesserung bei der Klärung der Helmfrage. Natürlich hatte er in den 1980ern die Anfänge des aufkommenden Mountainbike-Trends brav wie von der Sportartikelindustrie befohlen mitgemacht und sich einen Bike-Helm gekauft, um von den örtlichen Jägern in der Obersteiermark beim Quer-durch-den-Wald-radeln nicht mit einem Hirsch verwechselt zu werden.

Ausgerüstet mit einem 20 Jahre alten Vereins-Rad-Dress, ebenso alten Rennradschuhen, dem Look-Pedal-Prototyp und einem damals modernen Porozell-Pepi (= Radhelm) ging es mit einem Stahlross aus den 70er Jahren mit einer nicht gerade fürs Bergauffahren geeigneten Übersetzung und mit einer heldenhaften Zweifach-Kurbel zur ersten Radausfahrt.

Doch bereits zu Beginn des Ausdauerkarriere-Comebacks sah er sich mit dem wohl größten Grundproblem eines jeden ambitionierten Amateursportlers – der mindestens 40 Stunden in der Woche als sein eigener Sponsor dem regenerationsfeindlichen Broterwerb nachgehen muss – konfrontiert. Unser „Patient“ war noch dazu ein besonders „schwieriger Fall“, denn er hatte auch dem gesellschaftlichen Zwang nach Frau und Kindern nachgegeben. Das Problem der Probleme lautet: Zeitmanagement! Vor allem am Wochenende, wenn man schon einmal den Mühlen der Arbeitswelt entkommt, fällt einem die eigene Familie in den Rücken und fordert zeitliche Zuwendung ein. Wie unsportlich! So wird jedes Training ein halbfauler Kompromiss – fast ein Stehlen der Zeit vom Familienkonto – und das Familienzeitkonto würde er in Zukunft noch öfters überziehen, mitunter tief in die roten Zahlen stürzen müssen – und sogar seine Frau immer wieder anflehen, den Kreditrahmen doch noch ein wenig mehr auszudehnen. Als Zinsen würde er Dienste wie Geschirrspüler ausräumen, Müll-Hinaustragen und Staubsaugen anbieten.

Also wurde bereits die erste Radausfahrt intrafamiliär zeitoptimiert. Sprich Frau und Kind wurden in die Familienkutsche gesetzt und er ritt mit dem Stahlesel los. Das gemeinsame Ziel ihrer Träume: Die Schwiegereltern!

Ein Sonntag bei den Schwiegereltern kann auch ohne Radeinheit zur Challenge werden, aber wenn man nach 15 Jahren erstmals wieder in die Pedale tritt und sich dann gleich die Strecke Bruck-Eisenerz (ca. 50 km) mit dem lieblichen Präbichl vornimmt, grenzt das an Größenwahn. Nein, es schießt sogar deutlich über Größenwahn hinaus. Wobei Größenwahn das falsche Wort ist, vielmehr meine ich die Erkenntnis, dass Zeit wirklich relativ ist. Und zwar relativ gemein, hinterhältig und unerbittlich. Dabei handelte es sich nicht einmal um eine Erstbefahrung des Präbichls. In der Jugend stand er des Öfteren auf dem Trainings-Speiseplan. Der Berg, sprich vielmehr ein Hügel, den er im zarten Alter von 16 Jahren als schmächtiger, pickeliger Junge mehrmals bezwungen hatte, konnte doch jetzt – gefühlt gerade einmal einige Wochen später – für ihn als ausgewachsenes Mannsbild in seinen besten Jahren und vor Kraft strotzend, kein Problem sein. Auch die Tatsache, dass er nun knapp 30 Kilogramm mehr wog als damals, wurde nicht ignoriert, sondern vielmehr als Vorteil gewertet, schließlich handelte es sich bei dem Mehrgewicht zu 99 Prozent um reine Muskelmasse, die ihm am Berg sicherlich neue, ungewohnte zusätzliche Power verleihen würde.

Die ersten 15 Kilometer ging es noch flach zum Einrollen dahin. Er kam sich richtig schnell vor, nur das von gepolsterten Autositzen verwöhnte Hinterteil meldete sich schon nach einer schwachen halben Stunde. Gerade als er sich fit und unbesiegbar zu fühlen begann, sorgte aufkommender Gegenwind ziemlich schnell dafür, dass er auf den Boden der Tatsachen, sprich unter 30 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit, zurückgeholt wurde. Bereits nach 15 Kilometern begannen sich die hügeligen Ausläufer des Präbichls langsam aber doch deutlich spürbar aufzustellen. Mit Gegenwind, nicht mehr ganz so geschmeidigen 15 km/h und ziemlich eckigem Tritt stampfte er wie ein Raddampfer die langen, flachen Geraden, die sonst beim Autofahren stets ein wenig zum Rasen einluden, dahin. Auch das Tempo passte sich dem eines längst in die Jahre gekommenen Mississippi-Raddampfers an. Diese langen Geraden wuchsen sich plötzlich zu fast endlosen Steigungen aus, kleine Hügelchen mutierten zu Alpenpässen, der Gegenwind schwoll zu einem ausgewachsenen Orkan an. Die angeblich so reichlich vorhandenen, überschüssigen Kraftreserven waren längst verschossen, die Oberschenkel schon bei der ersten auch optisch erkennbaren Steigung aufgegangen wie Germteig. Schön, wenn sich so ein Muskel aufbläst wie ein Luftballon. Allerdings – wenn man nicht gerade auf der Bühne der Mister-Universum-Wahl steht, sondern versucht mit einem Drahtesel nach Eisenerz zu reiten, wenig hilfreich. Bananen oder Müsliriegel hatte er natürlich keine mit und Gels schmierte er sich zu diesem Zeitpunkt höchstens in seine schon zunehmend schütter werdenden Haare. Und so hieß es bereits vor dem Präbichl: „Flasche leer“ und damit ist nicht die mit Wasser gefüllte Trinkflasche gemeint. Wasser in der Trinkflasche! Ein schwerer Fauxpas eines naiven Unwissenden, der den osmotischen Sog damals noch für die Hausstaubsaugeranlage des Raumschiffs Enterprise hielt.

Und da stellte sie sich auch schon auf wie die Eiger-Nordwand, die erste lange Steigung des Präbichls, die man in ihrer ganzen Schönheit erblickt, sobald man im verwinkelten Ort Vordernberg um die letzte Kurve biegt. Der Präbichl ist ein Gebirgspass (1226 Meter Seehöhe), der die Eisenerzer Alpen vom Hochschwab trennt. Der Pass verbindet das Erzbachtal mit der Gemeinde Eisenerz und das Vorderbergertal mit der Gemeinde Vordernberg. Soweit die nüchternen Infos, die die allwissende Wikipedia von sich gibt. Was Wikipedia verschweigt ist, dass Vordernberg sicher eine der trostlosesten Gemeinden Österreichs ist, die man nüchtern nur schwer erträgt – auch optisch, zumindest den Teil, den man beim Durchfahren der schmalen, verwinkelten Straße sieht. Wenn man die bedrückende Enge endlich hinter sich hat, tut sich ein beeindruckender Blick auf den doch recht imposanten Präbichl auf. Die Planer der Straße über den Präbichl dürften sehr geradlinige Menschen gewesen sein, denn im Gegensatz zu den meisten Bergstraßen geht es schnurgerade, einfach den Berg hoch. Vielleicht waren Serpentinen damals aber gerade aus. Die Bergstraße ist auch nicht in ein Tal eingebettet oder schlängelt sich durch Wälder, nein, man fährt quasi die Außenhülle des Berges hoch, was natürlich dazu führt, dass man Wind und Wetter gnadenlos ausgeliefert ist. Im Winter sind meterhohe Schneeverwehungen auf der Fahrbahn keine Seltenheit und in der anderen Jahreshälfte bläst einen schon einmal der Seitenwind von der Straße oder man ist einem Platzgewitter oder gar Hagelschauer schutzlos ausgeliefert.

Nun lag also die erste endlos ansteigende Gerade des Präbichls vor ihm. Positiv war die Situation für das mittlerweile schon schwer rebellische Hinterteil, denn bereits am Fuße der Steigung ging es unfreiwillig aus dem Sattel in den Wiegetritt. Auch im Wiegetritt sprang der Radcomputer – es dürfte sich um das erste digitale Modell der Neuzeit gehandelt haben – viel zu schnell und unaufhaltsam auf die einstellige Anzeige. Der Rettungsanker war schnell geworfen, wobei man eine 41-25 Übersetzung8 nicht unbedingt als Rettungsanker für einen Normalsterblichen bezeichnen kann.

Die Rettung wollte sich nicht so recht einstellen, vielmehr fühlte es sich an als müsste er einen Anker den Berg mit hochziehen. Und die erste Steigung wollte nicht enden, der Wiegetritt wurde immer mehr zum ausgefuchsten Gleichgewichtstraining. Laut stöhnend und (noch) leise fluchend stemmte er sich gegen die drohende Schmach, gegen das Unaussprechliche gegen die größten erdenklichen aller Niederlagen. Nein, er würde sein Rad nicht den Berg hochschieben. Er packte seine Steherqualitäten aus, mit freiem Auge war nicht mehr wirklich zu erkennen ob er sich noch vorwärts bewegte. Er hievte bei jedem Tritt sein gesamtes Körpergewicht – und davon hatte er reichlich – von einer Seite auf die andere, um das Pedal noch irgendwie wieder runter zu drücken. Und dann fast ein kleines Wunder. Er bewegte sich doch. Irgendwie. Und endlich wurde es flacher, zumindest flach genug, dass er wieder ein wenig ins Fahren kam. Doch das kurze Flachstück ist vor allem kurz, und der nächste Wiegetritt-Kampf im Schritttempo folgte schneller, als es seinem hochroten Kopf und seinem rasenden Herz lieb war.

Der Puls war schon seit langem das einzige, das noch schnell war – das Herz pochte wie verrückt und versuchte irgendwie noch Blut in die längst blaue Muskulatur zu pumpen. Im Kopf war schon länger kein Blut mehr angekommen. „Aufi! Aufi!“ war der einzige Gedanke, „Nur nicht absteigen!“ der zweite und zu mehr reichte es auch nicht mehr. Irgendwie quälte er sich bis zu einer Doppel-S-Kurve, deren flache Kehren wieder etwas Erholung brachten. Diese zwei schmucken Serpentinen, die ihn nun retteten, dürften im Sonderangebot gewesen sein, sonst hätte man die Straße sicher geradeaus weiter gebaut. Danach wartete zwar das letzte aber dafür auch steilste Teilstück des verflixten Mistbichls, und starker Gegenwind begrüßte ihn am Ausgang der Kurve, grinste ihm hinterfotzig ins Gesicht: „Geht’s noch? Siehst schon ziemlich mies aus, Alter!”

So nicht, dieser arrogante Berg würde ihn nicht in die Knie zwingen. Sicher nicht! „Ist das alles, was du drauf hast?“, schrie er in den beginnenden Nieselregen. Nein, war es nicht, es begann noch während des Widerhalls seines Verzweiflungsschreies, wie zum Hohn aus Kübeln zu schütten. Mittlerweile war er gefühlte sechs Stunden unterwegs, siebeneinhalb (wie gesagt, das Hirn war längst unterversorgt) davon bergauf gegen den Wind. Dafür war es alles, was er zurzeit drauf hatte. Noch einmal verlagerte er sein ganzes (Über-) Gewicht auf das linke Pedal, geistig stand er schon mit beiden Beinen auf diesem verflixten Pedal wie auf dem 3-Meter-Brett eines Sprungturms. versuchte es irgendwie noch einmal nach unten zu drücken. Schon längst hatte es mit Radfahren im herkömmlichen Sinne nichts mehr zu tun. Es erinnerte ihn vielmehr ans Bankdrücken mit 100 kg in der Folterkammer – ein Kampf um jeden Zentimeter, bei dem man sich noch so sehr anstrengen kann, die Hantelstange sackt immer weiter ab, bis sie auf der Brust liegt und man sie an sich selbst herunterrollen darf – unter großen Schmerzen mit gebrochenem Stolz, nur weil keiner die japsenden Hilferufe hört. Zurück zum Martyrium am Berg. Da plötzlich für einen Moment war er zur Salzsäure erstarrt, ein Update des sterbenden Galliers, ein Standbild, ein malerisches Stillleben.

Und dann: „Baum fällt!“

Im letzten Moment siegte der Überlebensinstinkt noch knapp, aber doch über den Stolz. Irgendwie brachte er das längst taube Bein im letzten Moment aus dem Look-Prototyp, doch auch ein Sturz hätte nicht schmerzhafter sein können als der Augenblick, in dem der Radschuh den Boden berührte. Ein dumpfes Klack, das die totale Niederlage unweigerlich bekundete. Wie der weichgeprügelte Kopf eines Schwergewichtsboxers beim K. o. knallte die Schuhsohle auf den nassen Asphalt. Er hing in den Seilen, klammerte sich mit beiden Händen am Stahlross fest, schnaufte tief und schwer durch und begann leise vor sich hinzuwimmern. Gott sei Dank regnete es noch immer, sodass keiner sehen konnte, dass er Tränen in den Augen hatte, als er jämmerlich schluchzend sein Rad den Berg hochschob.