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Walter Hönscheidt

WIRTSCHAFTS
WUNDER
WAGEN

Automobile Zeitgeschichte der 50er Jahre

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Delius Klasing Verlag

 

 

 

 

 

 

 

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Wirtschaftswunderwagen en miniature: Schuco Ingenico, heiß geliebt, das batteriebetriebene Fernlenkauto, fürs Blitzfoto mit Zeiss-Ikon Nettar 1952 auf dem Küchentisch.

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Karnevalsumzug auch im Ruhrpott. Wer wird da in Pappmaché karikiert? Stauder-Pils in Essen: derzeit noch Lokalbrauerei.

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Die Käfer-Plage weitet sich weltweit aus. Schon in den Fünfzigern übertrifft ihre tägliche Produktionszahl jede in Deutschland bisher erreichte.

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US-Straßenkreuzer, in Europa sehnsüchtig bestaunt, wenig gekauft. Wenig gekauft auch in Amerika: dieser Edsel Citation, an den sich Sternchen und Model Kitty Dolan lehnt.

Automobile Zeitgeschichte:
Das waren die Fünfzigerjahre

Automobile sind mehr als fahrbare Untersätze. Sie sind ein Stück Kulturgeschichte, sie spiegeln Zeitgeschichte. Wir erinnern an alte Auto-Jahrgänge, Träume und Wirklichkeiten und setzen den Anfang in die Wirtschaftswunderzeit. Mit neuen Nachkriegsentwicklungen in der Mittelklasse, aber auch mit in jeder Hinsicht sparsamen Klein- und Kleinstwagen. Heutige Großväter sind zu jener Zeit noch Pennäler, die ihre Augen ebenso gern auf rassige Schönheiten automobiler wie menschlicher Natur lenken. Und damals können sie allenfalls träumen, was sechs Jahrzehnte später vors Auge ihrer Agfabox, Zeiss-Ikon Box Tengor, Zeiss Nettar oder Kodak Retina geraten würde: Straßen-Sportwagen wie ein Porsche, der locker jeden damaligen Rennwagen in die Tasche steckt, Schönheiten am Strand, deren Bikini-Preis umso höher wird, je weniger Textil seine Herstellung benötigt hat.

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Im Sommer vor dem Ungarn-Aufstand: drei westdeutsche Damen in braven Badekleidern am sonnigen Grömitzer Ostseestrand.

1950: Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd, der Papst fährt Lancia, Alfa Romeo präsentiert den völlig neuen »1900«

Zusätzlich zum Normalporto müssen die Westdeutschen seit dem 1. Januar auf jede ihrer Postsendungen eine rechteckige kleine, blaue Zweipfennig-Marke kleben: »Notopfer Berlin«. Bis zum Ende der Aktion wird dies 413 Millionen Mark einspielen. In Wien sind am 13. Jänner nach ungewöhnlich ergiebigen Niederschlägen 96 Auto- und 75 pferdebespannte Schneepflüge damit beschäftigt, die Straßen befahrbar zu machen. Alle im Krieg zerstörten Straßenbrücken sind wieder aufgebaut, und Orson Welles bereitet die Dreharbeiten zu seinem berühmtesten Film vor: »Der dritte Mann«. Aus seinem speziell für ihn karossierten Rechtslenker-Lancia winkt Papst Pius XII. huldvoll der entzückten Bevölkerung zu, wenn er sich während dieses heiligen Jahres zur Entspannung aus dem Vatikan in seine Sommerresidenz Castel Gandolfo chauffieren lässt.

Nach zehneinhalb Jahren wird die Endverbraucher-Rationierung aufgehoben, meldet die »FAZ« am 17. Januar. Die Bundesregierung habe am Vortag bekanntgegeben, dass die gesamte Lebensmittelbewirtschaftung außer Zucker am 1. März beendet sein werde. Bundespräsident Professor Theodor Heuss spricht dem VfB Stuttgart am 25. Juni seine herzlichen Glückwünsche aus: Mit einem 2:1-Sieg über Kickers Offenbach ist der VfB Deutscher Fußballmeister 1950 geworden. In der sowjetischen Zone wird im September die Kartoffelbewirtschaftung aufgehoben. Der »Volkswirtschaftsplan« fordert die Erhöhung der Kraftfahrzeugproduktion. 1950 werden »drüben« erst 1003 Lkw und 7165 Pkw hergestellt. SED-Propaganda: »Der Aufbau geht so schnell voran, dass keine Lüge folgen kann.«

Aus Dänemark kommt der konstruktive Vorschlag, alle Politiker von Zeit zu Zeit mental untersuchen zu lassen. Die deutsche Stahlindustrie verbucht wachsende Aufträge, aus dem Ausland vor allem für Feinbleche. Doch die Nachfrage kann nur teilweise gedeckt werden, schreibt die »FAZ« in ihrer Ausgabe vom 26. Juli, »da die eisenschaffende Industrie darauf bedacht ist, den wachsenden Bedarf der deutschen Automobilindustrie an Karosserieblechen zu decken«.

»Die Freude über den Anfang ist groß, zumal da die deutschen Wagen als gut und zumindest billiger gelten als die englischen, die sich in den Nachkriegsjahren gern eine Art Monopolrecht im Lande verschafft hätten«, heißt es am 27. Oktober: Nach deutschdänischen Handelsverhandlungen haben die Dänen dem Import von zunächst 2000 deutschen Autos zugestimmt, und »wenn die Valuta-Lage es zuläßt, rechnet man mit weiteren Verabredungen«.

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Noch langsam, aber vergnüglich mit einer Pferdestärke: Sonntagskutsche vor der Ausfahrt vom Budjadinger Bauernhof zur Kirche in Stollhamm.

Automobilpionier Carl F. W. Borgward bringt das erste deutsche Automatikgetriebe zur Serienreife. In einem Hansa 1500 mit nun 52 PS, der im Vorjahr erschienenen ersten deutschen Limousine mit Ponton-Karosserie und gleichzeitig der ersten deutschen Neukonstruktion nach dem Krieg, präsentiert er die »Hansamatic« zum Aufpreis von 520 Mark auf dem Genfer Salon der Öffentlichkeit. Dort stellt Borgward auch den neuen Goliath 700 vor. Dessen 700-Kubikzentimeter-Zweizylinder-Zweitaktmotor mit Thermosyphon-Kühlung, verblockt mit Vierganggetriebe und Vorderachsantrieb, leistet zunächst 24 PS und bringt den Wagen auf eine Höchstgeschwindigkeit von 102 km/h. Fortschrittlicher als andere Limousinen dieser Zeit bietet der Goliath ähnlich wie der Hansa 1500 schon eine große Heckscheibe, während der Volkswagen seinen Insassen noch das berühmt-berüchtigte Brezelfenster zumutet. Die Preise des Goliath liegen zwischen 4900 und 5200 Mark. Ein besonders praktisches Detail: Weil die Handbremse dieses Frontantriebswagens auf die Hinterräder wirkt, lässt er sich bei Vollgas im ersten Gang aus dem Stand praktisch auf der Stelle wenden.

In der im Vorjahr von Borgward gegründeten Lloyd-Maschinenfabrik GmbH Bremen beginnt die Produktion des Kleinwagens LP 300 mit luftgekühltem 300-Kubikzentimeter-Zweizylinder-Zweitaktmotor, knapp 10 PS, mit kunststoffbezogener Sperrholzkarosserie. Besitzer »richtiger« Autos bespotten den kleinen Lloyd zwar als »Leukoplastbomber«, Lloyd-Fahrer aber freuen sich über ihr erstes Gefährt mit Dach überm Kopf. Sie haben nur 2800 Mark dafür zahlen müssen und hören vom Jaulen des Motörchens, nicht unähnlich dem Geräusch einer hochbelasteten elektrischen Nähmaschine, laut Chronistenberichten dank dämpfender Wirkung des aparten Karosseriematerials weniger als Außenstehende. Der Volksmund erweist sich mal wieder als Schlappmaul und dichtet: »Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd.«

Vorbildlich: Borgward Hansa 1500 erstes Auto mit Ponton-Karosserie in Deutschland, erstes Automatik-Getriebe Borgward Hansamatic

Die Auto Union in Ingolstadt stellt mit rund 4000 Mitarbeitern 24 000 Motorräder und 6800 Lieferwagen her. In den Fabrikhallen der Rheinmetall Borsig AG in Düsseldorf beginnt die Produktion ihres neuen DKW-Modells F89 »Meisterklasse«, von dem bis Jahresende noch über 1000 Exemplare gebaut werden. Der Zweizylinder-Zweitaktmotor leistet maximal 23 PS. Das 170 000 Quadratmeter große Werk war im Krieg zu 80 Prozent zerstört worden. Die Auto Union pachtet es am 13. März auf 25 Jahre für sechs Millionen Mark. Besitzern von Vorkriegs-DKW mit inzwischen morscher Sperrholzkarosserie bietet Baur in Stuttgart an, neue Stahlkarosserien aufs alte Fahrgestell zu setzen. Der Zuspruch ist so groß, dass bis 1952 zwei Drittel der gelieferten Baur-Aufbauten auf Privataufträgen beruhen.

Anfang Mai präsentiert Lancia auf dem Turiner Salon eine Sensation in Gestalt der Aurelia mit selbsttragender Karosserie ohne B-Säule und mit Transaxle-Antrieb: Der vornliegende 1,8-Liter-V6-Motor überträgt seine Leistung über eine Gelenkwelle auf das vor der Hinterachse liegende Getriebe. Entworfen hat diese berühmte und technisch aufwendige Lancia-Limousine, der zahlreiche Varianten auch als Coupé, Cabriolet und Spider folgen werden, der legendäre frühere Alfa-Entwicklungschef Vittorio Jano.

Ein englisches Automobil, schon vor zwei Jahren in Großbritannien vorgestellt, erscheint immer häufiger auch im mitteleuropäischen Straßenbild: der Standard Vanguard. Seine glattflächige, runde Karosserieform unterscheidet ihn völlig von anderen europäischen Autos, und besondere Bedeutung erlangt der Vanguard für den schweizerischen Markt, schreibt der Fachautor Roger Gloor in seinem Buch »Nachkriegswagen«: Die Importgesellschaft Amag führt ihn nicht nur ein, sondern montiert ihn sogar vor Ort.

Porsche, zurück in Stuttgart-Zuffenhausen, stellt bis Jahresende 410 Sportwagen des Typs 356 her, auch schon das erste 356 Cabriolet. Mit 810 Kilogramm ist es 65 Kilo schwerer als das Coupé. Vater Ferdinand Porsche erhält am 3. September zu seinem 75. Geburtstag ein schwarzes Exemplar des 356 Coupé als Geschenk. Damit fährt ihn Neffe und Privatsekretär Ghislaine Kaes im Oktober nach Paris zum 37. Salon de l’Automobile im Grand Palais des Champs Elysées. Fahrtzeit vom Feuerbacher Weg 48, Porsches Stuttgarter Privathaus, bis zum Hotel George V: Sieben Stunden und zwanzig Minuten. »Sind die Menschen nicht verrückt?«, fragt der alte Porsche, Konstrukteur des Volkswagens, als sie in den brandenden Verkehr am Arc de Triomphe geraten. Darauf Neffe Kaes: »Und das sagst ausgerechnet du, der du doch einen wesentlichen Anteil an diesem Geschehen hast!« Nach Wolfsburg, wo im März schon der hunderttausendste Käfer vom Band gelaufen ist, führt ihn die nächste Reise im 356 mit Kaes zu einem Gespräch mit Heinrich Nordhoff.

Für viele Jahre wird das Volkswagenwerk der wichtigste Entwicklungskunde von Porsche, zunächst vor allem bei der Käfer-Modellpflege.

Derweil senkt das Volkswagenwerk die Preise des VW Standard, in einheitlichem Schmutzgrau und mit Seilzugbremse, von 4800 auf 4400 Mark, des nun mit hydraulischer Ate-Lockheed-Bremse, Gemischvorwärmung, zwei Aschenbechern und auf Wunsch mit Stoffschiebedach ausgerüsteten Modells »Export« von 5450 auf 5150 Mark. Der »Export« macht freundliche 75 Prozent der Produktion aus, vermerkt Hans-Christoph Graf von Seherr-Thoss.

VDO in Frankfurt am Main entwickelt das Drehmagnet-Quotientenmesswerk, das die Fernanzeige von Tankinhalt, Öldruck oder Temperaturen im Armaturenbrett ermöglicht. Als Ingenieur Elsbeth bei den Autowerken Salzgitter einen Motor für Kleinlastwagen entwickelt, sieht man am Sternmotor gleich, woher er kommt: Vorher war Elsbeth in der Flugzeugindustrie tätig.

»Sind die Menschen nicht verrückt?«, wundert sich der alte Porsche über das Verkehrsgewühl um den Arc de Triomphe

Alfa Romeo, seit jeher und bis in die Nachkriegszeit auf vor allem sportliche Automobile der Oberklasse spezialisiert, baut zunächst Kleinserien der Reihe 6C 2500 auf der Basis von Modellen der Dreißigerjahre. Der Freccia d’Oro 6C 2500 Sport gehört zu den Traumwagen dieser Epoche und zu den Schmuckstücken der oberen Zehntausend. König Faruk von Ägypten, Prinz Ali Khan, Rita Hayworth und Tyrone Power fahren ihn ebenso gern wie Rainier von Monaco, der am 10. April als Rainier III. den Fürstenthron besteigt. In aller Munde der nun kleiner gewordenen Automobilwelt ist noch der Coup, den Pinin Farina beim vorherigen Pariser Salon gelandet hat. Die Franzosen hatten die Italiener als besiegte Kriegsgegner von der Teilnahme am Salon ausgeschlossen. Da fuhr Pinin Farina das von ihm karossierte Cabriolet Alfa Sport 2500 sowie einen Lancia Aprilia mit seinem Sohn Sergio und einem Freund eigenhändig nach Paris und platzierte seine Kreationen vor dem Eingang des Grand Palais, in dem schon die Weltausstellung von 1900 stattgefunden hatte. Und abends parkten sie die brandneuen Modelle zur Freude der Fotografen auf dem Place de l’Opera. Darüber berichten die Zeitungen umfangreicher als über die offiziellen Exponate des Salons.

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Champion, Länge 1,98 Meter, Leergewicht 170 kg, Einzylinder-Zweitaktmotor, »Höchstgeschwindigkeit über 50 km/h«.

VW senkt die Preise des »Standard« von 4800 auf 4400 Mark und des »Export« von 5450 auf 5150 Mark