Cover

Justyna Polanska

Nicht ganz sauber

Eine polnische Putzfrau räumt auf

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Justyna Polanska

Justyna Polanska ist 32 Jahre alt und stammt aus Polen. Um Geld für eine Ausbildung zur Visagistin zu verdienen, ging sie nach Deutschland und arbeitet seitdem als Putzfrau. Möglicherweise putzt sie auch in Ihrer Wohnung.

Über dieses Buch

Tote Hamster, verschimmelte Pizza, Sexspielzeug: Putzfrau Justyna Polanska muss starke Nerven haben, wenn sie unter deutschen Betten aufräumt. Was ihr dabei alles begegnet, berichtete sie in ihrem Buch, das auf Anhieb ein Bestseller wurde. Über Nacht wurde die junge Polin von der ignorierten Reinigungskraft zur gefragten Interviewpartnerin. Dabei entdeckte sie im Scheinwerferlicht ganz neue Schattenseiten der Deutschen. Doch natürlich wirbelt Justyna weiterhin Tag für Tag ordentlich Staub auf und nimmt dabei auch künftig kein Blatt vor den Mund. Und so erzählt sie von neuen skurrilen Erlebnissen in den Wohnzimmern ihrer Kunden und verrät, warum viele Deutsche manchmal nicht ganz sauber sind.

Impressum

eBook-Ausgabe 2012

Knaur eBook

© 2012 Knaur Taschenbuch

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-426-41433-0

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Prolog

Niemand weiß, wie ich mich momentan fühle. Ist auch klar. Ich selber fühle momentan nichts mehr. Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein. Ich beobachte mein Umfeld wie durch einen Dunstschleier. All die Menschen, die um mich herumwuseln, scheinen sich lautlos und in Zeitlupe zu bewegen. Ich möchte etwas sagen, bekomme aber kein Wort heraus. Mein Mund ist trocken. Meine Kehle eine vertrocknete Quelle. Die einzigen noch mit Leben erfüllten Teile meines Körpers scheinen mein Herz zu sein und meine Kopfhaut. Ersteres schlägt immer noch so heftig, dass ich das Blut in meinen Ohren zirkulieren höre. Und mein Skalp juckt, schreit um Hilfe, wehrt sich gegen den Fremdkörper, der mein eigenes blondes, langes Haar überzieht. Ich fühle den Schweiß, der mir in zwei Bahnen den Rücken hinunterläuft. Es ist furchtbar heiß hier. Grell und heiß. Außerdem sehe ich furchtbar aus, wie meine eigene Großmutter. Das zumindest sagt meine Schwester.

 

Beruhige dich, Justyna, und reiß dich gefälligst zusammen. Nun bist du hier, das wolltest du doch!, weise ich mich selbst an.

 

Aber wollte ich das wirklich? Wer hätte sich das jemals träumen lassen, dass ich hier einmal säße? Ich jedenfalls nicht. Was erwartet mich nun? Beifall oder Marterpfahl?

 

Ich werde aus meiner panikartigen Angststarre herausgerissen, als die wunderschöne und elegant gekleidete Frau einen Schritt auf mich zugeht. Sie hat eine angenehme Ausstrahlung. Und eine noch angenehmere Stimme. Sie lächelt mich an und sagt in meiner Muttersprache zu mir: »Sie sind also diejenige, die den Dritten Weltkrieg auslösen will?«

 

Mir wird mit einem Male speiübel. Nein. Ich hatte eigentlich ganz andere Absichten. Ich bin friedlich, durch und durch. Doch nun scheint es zu spät. Ich seufze ergeben.

 

Also, lasst die Spiele beginnen …

Justyna

Ich bin Putzfrau. Mein Leben ist reich.

Diese beiden Sätze kann ich auch heute noch, nach über einem Jahr, mit stolzgeschwellter Brust und ehrlichster Überzeugung unterschreiben.

 

Diejenigen, denen diese Sätze nichts sagen, kennen mich anscheinend noch nicht. Daher möchte ich mich noch einmal kurz vorstellen. Mein Name ist Justyna. Ich bin Putzfrau. Eine von Tausenden, die in Deutschland ihre Dienste verrichten. Egal ob schwarz oder angemeldet, wir sind dazu berufen, deutschen Wohnungen, Häusern und Schlössern zu Hochglanz zu verhelfen.

 

Ich liebe meinen Beruf. Und manchmal hasse ich ihn. So entsteht eines der Wörter, die ich in der deutschen Sprache übrigens sehr liebgewonnen habe: Hassliebe. Obwohl ich, wie anfangs bereits erwähnt, kein aggressiver oder rachsüchtiger Mensch bin. Im Gegenteil, ich strebe nach Harmonie. In seltenen Ausnahmefällen nur lasse ich mich aus der Reserve locken. Das ist dann der Fall, wenn mir oder den Menschen, die ich liebe, Unrecht widerfährt.

Ich habe vor über einem Jahr ein Buch geschrieben. Über mein Leben und die Personen, die darin eine Rolle spielen. Und über meinen Lebensunterhalt beziehungsweise über die Art und Weise, wie ich ihn verdiene. Letzteres nahm den Hauptteil meines Buches in Anspruch. Meine harmlosen und größtenteils nett gemeinten kleinen Anekdoten haben eine Menge Staub aufgewirbelt. Und da Putzfrauen bekanntlich etwas gegen Staub haben, war mir das oft gar nicht so lieb. Ich war generell sehr erstaunt, ja geradezu perplex, welche Wogen Unter deutschen Betten geschlagen hat. Wasser und Staub … wie passend für eine Putzfrau.

 

Ich habe in den letzten Monaten viel Zuneigung, Bestätigung und Anerkennung erfahren. Und mindestens genauso viel Feindseligkeiten, Beleidigungen, sogar blanken Hass entgegengebracht bekommen. Hass und Liebe eben – Hassliebe. Ich persönlich fände es schöner, wenn das Wort Liebehass hieße. Dann hätte das Wort Liebe mehr Gewichtung als Hass, da es an erster Stelle stünde. Wie dem auch sei. Darüber und über meinen Beruf möchte ich in diesem Buch erzählen.

 

Ach ja, bevor ich es vergesse. Da Sie mein zweites Buch nun auch angefangen haben zu lesen, gehe ich davon aus, dass Ihnen das erste zugesagt hat, Sie Gefallen an meiner Geschichte und Interesse an meinem Leben gefunden haben. Dafür möchte ich Ihnen an dieser Stelle herzlich danken. Danken möchte ich auch den unzähligen Menschen, die im Internet und per Post so viele liebevolle und aufmunternde Worte fanden. Ich checke das World Wide Web jeden Tag und finde bis heute neue Buchkritiken, Kommentare und Glückwünsche. Das ist wunderbar. Vielen Dank an alle.

 

Sollten Sie mein erstes Buch nicht gelesen haben, wünsche ich Ihnen nun einfach viel Spaß bei der Lektüre, denn Sie werden Geschichten lesen, die Sie – genau wie ich – nicht für möglich gehalten hätten. Und lassen auch Sie mich wissen, was Sie davon halten.

Wie alles begann

Einen Tag, bevor mein Buch erschien, schrieb die Süddeutsche Zeitung im Kulturteil über Unter deutschen Betten. Nie hätte sich irgendjemand aus meinem Umfeld (also die paar wenigen, die davon wissen) träumen lassen, dass meine Geschichte so viele Menschen erreichen könnte. Der Artikel berichtete über mich, mein Leben und meine Tätigkeit als Putzfrau. Auf einer ganzen Seite konnten nun Hunderttausende über mich lesen. Das Gefühl war unbeschreiblich. Ich war stolz. Und meine Knie wollten nicht aufhören zu zittern.

 

Meine Schwester war diejenige, die mir als Erste die Ausgabe mit dem Artikel über das Buch und mich mitbrachte. Ich war gerade vom Putzen bei einer netten Familie nach Hause gekommen, als sie bereits mit einem breiten Grinsen auf ihrem Gesicht und der Zeitung unterm Arm bewaffnet vor meiner Haustür wartete.

 

»Sag nicht, du hast ihn noch nicht gelesen.«

 

»Nein, was meinst du?«

 

»Na, den Artikel über dich, du Schaf …«

 

Und lachend streckte sie mir die Zeitung entgegen. Ich erinnere mich noch, dass das Zeitungspapier in meinen Händen regelrecht umherflatterte, so aufgeregt war ich. Ich wollte betont langsam lesen, damit mir ja kein Detail entgehen und ich auch alles verstehen würde. Also ließ ich mir Zeit mit meiner Lektüre. Die Überschrift lautete: »Augen zu und durchwischen.« Von Claudia Fromme. Ich musste lachen. Genauso war es! Frau Fromme, mit der ich mich vor einer Woche zum Interview verabredet hatte, hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Heute weiß ich, wie viel ich ihr zu verdanken habe. Ohne ihren Artikel wäre die Welle nie gestartet. Aber eines nach dem anderen. Ich genoss jeden Buchstaben.

Ich stand immer noch auf dem Bürgersteig mit der aufgeschlagenen Zeitung in den Händen, während meine Schwester mich umkreiste wie eine Raubkatze ihre potenzielle Beute und mit ihrem ungeduldigen Blick bat, schneller zu lesen. Je näher ich dem Ende des Artikels kam, desto ruhiger wurde ich. Ich fühlte eine wohlige Wärme in meinem Körper hinaufsteigen. Ich konnte mir nun gewiss sein, dass in diesen Zeilen, deren Inhalt sich um mein Leben drehte, nichts Böses oder Gehässiges stand. Im Gegenteil, sie meinten es gut mit mir. Wollten mir nicht an den Kragen oder sich über mich lustig machen. Ich fühlte mich ernst genommen. Akzeptiert. Gehört. Das Piepsen einer SMS riss mich aus meinen Tagträumen.

 

»Hallo, Justyna. Bitte morgen die Biotonnen auf die Straße schieben und den Meerschweinchenstall säubern. Danke.«

 

Auch wenn die Presse über mich schreibt. Ich bleibe nun mal, wer ich bin. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Putzfrau.

Schlaflos in Warschau

Nach dem Zeitungsartikel ging alles Schlag auf Schlag. Da niemand meine wahre Identität kannte, kamen alle Interviewanfragen über den Verlag. Und da ich nur über Handy erreichbar war und bin, brummte es in meiner Hosentasche den ganzen Tag. Von neun Uhr bis zwanzig Uhr. Ich musste meinen Klingelton ausstellen, denn tagsüber war ich ja immer beim Putzen. Bei einem meiner Kunden, einem netten älteren Herrn, der immer zu Hause ist, wenn ich putze, brummte es so oft in meiner Hose, dass er auf einmal sagte:

 

»Fräulein Justyna, entweder Sie haben einen eifrigen Verehrer oder wieder eine neue Stellenanzeige geschaltet. Sie werden mir doch nicht untreu werden.«

 

Ich lächelte, schüttelte den Kopf und versicherte ihm, dass ich ihm stets treu bliebe. Wenn er nur wüsste …

 

Um der Menge an Interviewanfragen gerecht zu werden, einigte ich mich mit dem Verlag darauf, von Anrufen auf meinem Handy abzusehen. Stattdessen verbrachte ich lieber eine halbe Stunde pro Tag am Telefon mit der Pressestelle, um sämtliche Interviewtermine zu koordinieren und im Anschluss daran wahrzunehmen. So konnte ich ungestört meinem Hauptberuf nachgehen, ohne ständig angebrummt zu werden. Auf diese Weise gelang es mir, zunächst nur am Telefon Interviews zu geben, mit Radiostationen und Zeitungsredaktionen. Stets rief ich sie mit unterdrückter Nummer zurück und konnte so meine Anonymität wahren. Nach einer Weile war ich so routiniert, dass ich die Antworten zu den Fragen herunterbeten konnte, ohne wirklich zuzuhören. Denn es waren immer die gleichen. Doch dazu später mehr.

 

Eines Morgens, als ich wieder den vereinbarten Telefonanruf beim Verlag tätigte, entwickelten sich die Dinge dann sogar noch eine Spur weiter. Die nette Dame von der Pressestelle, ohne deren Stimme ich mir einen Morgen während der Woche schon gar nicht mehr vorstellen konnte, sagte:

 

»Herzlichen Glückwunsch, Sie haben die erste Anfrage für einen Fernsehauftritt.«

 

Ich musste mich setzen. Auch das werde ich nie vergessen: Ich saß auf meiner Couch im Wohnzimmer und starrte für ein paar Sekunden wie unter Hypnose auf den ausgeschalteten Fernseher.

 

»Hallo? Sind Sie noch da?«

 

»Ja, ja, das bin ich. Entschuldigung. Ja, ich bin da. Welcher Sender? SAT.1, RTL? ARD oder ZDF

 

»Nein, es ist ein polnischer Sender, der sie zu seiner Morgenshow nach Warschau einladen möchte.«

 

Mir wurde übel. Nach Polen? Ich? Das konnte nichts Gutes verheißen. Die können mich nicht mögen. Eine Landsmännin, die in Deutschland Erfolg hat. Das würde Neid erwecken. Oder würden sie sich mit mir freuen? Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Instinktiv wäre ich in diesem Moment gerne wieder ein kleines Kind gewesen und hätte mich im Schoß meiner Mutter vergraben. Aber da ich nun mal kein Kind mehr und so ziemlich auf mich allein gestellt war, rang ich um Fassung.

 

»Ein Fernsehauftritt? Wie schön, ich freue mich!«

 

Was für eine Lügnerin ich doch war.

 

Die kommenden Tage konnte ich an nichts anderes mehr denken. Gedanklich spielte ich, während ich Gläser spülte, Böden wischte und Klos schrubbte, immer wieder meinen Auftritt durch. Einmal sah ich mich eine goldene Treppe hinunterschreiten, in einem goldenen Abendkleid. Wie in Hollywood. Ein anderes Mal sah ich mich auf allen vieren schutzsuchend von der Bühne kriechen, weil ich vom Publikum mit Eiern und Tomaten beworfen wurde.

 

Mehrmals am Tag musste ich mich ermahnen, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren.

 

Ich konnte und kann es mir nicht leisten, auch nur eine Putzstelle zu verlieren.

 

Ein weiteres Problem stellte sich ein, als mein Auftritt in Warschau konkret wurde, es ein Datum gab und nun die organisatorischen Dinge geklärt werden mussten. Der Verlag ließ mich wissen, dass der TV-Sender mir ein Flugticket buchen wolle und ein Hotelzimmer. Im ersten Moment sah ich die Gefahr nicht. Gott sei Dank schlug der Blitz ein paar Sekunden später in meinem Kopf ein. Hastig rief ich beim Verlag an. Mit holpriger Stimme sagte ich meiner »Verbündeten« in der Pressestelle, dass sie unter keinen Umständen den polnischen Fernsehsender die Reise buchen lassen dürfe. Denn die benötigten doch sicherlich meinen richtigen Namen für die Ausstellung des Tickets … Sie sah sofort ein, dass damit meine Identität aufgeflogen wäre. Ein gefundenes Fressen für einen polnischen Fernsehsender. Nicht auszudenken, was dann passiert wäre. Denn damals hatte ich bei den meisten meiner Kunden – auf deren Wunsch wohlgemerkt – noch unangemeldet geputzt. Ich hatte mich zwar während des Schreibens meines ersten Buches bereits darum bemüht, von meinen bestehenden Kunden angestellt zu werden und mich von denen, die eben nicht bereit dazu waren, zu trennen. Trotzdem hatte ich Angst, noch im Nachhinein angezeigt zu werden. So beschloss ich, selbst in Polen anzurufen. Denn schließlich bin ich Polin, und in meiner Muttersprache bin ich sicherer und selbstbewusster.

Das Gespräch verlief ungefähr so:

 

»Aber Fräulein Justyna, da brauchen Sie sich doch überhaupt keine Sorgen zu machen. Wir sind Profis, genau wie Sie. Diskretion ist gewährleistet.«

 

»Trotzdem möchte ich den Flug und das Hotel selber buchen und Ihnen dann die Rechnungen nachreichen. Das ist doch sicherlich möglich.«

 

»Ich denke, das wird nicht gehen.«

 

»Sind Sie sich sicher?«

 

»Ja, ganz sicher.«

 

»Können Sie nicht doch noch einmal nachfragen bei Ihren Vorgesetzten?«

 

»Das kann ich, aber ich denke nicht, dass das geht.«

 

Dreißig Minuten später rief ich wie vereinbart erneut beim Sender an.

 

»Und? Konnten Sie etwas erreichen?«

 

»Also, wir können Folgendes machen: Sie buchen Ihren Flug und Ihr Hotel selber und reichen die Rechnungen nach. Wir werden Sie dann vom Flughafen abholen.«

 

Na also. Hatte ich genau das nicht von Anfang an vorgeschlagen? Egal …

 

Nachdem das logistische Problem mit der Wahrung meiner Identität gelöst war, taten sich wie erwartet neue Baustellen auf. Ich hatte ja großspurig angeboten, das Geld vorzustrecken für die Buchung von Flug und Hotel für meinen Trip nach Warschau. Da gab es nur zwei Probleme: Ich hatte nur ein wenig Geld auf der Seite, das ich ungern antasten wollte. Außerdem besitze ich keine Kreditkarte.

 

Was tun? Meine Familie fragen? Ungern. Meine Freunde? Die wenigen, die ich habe, wissen fast alle noch gar nichts von meinem Buch.

 

Es gab nur einen, dem ich in dieser Hinsicht vertraute und der mich von Anfang an bei meinem Vorhaben unterstützte, ein Buch zu schreiben: Mr. Chaos. Mein Kunde und mittlerweile, ja, ich würde sagen, Freund. Also nahm ich mir ein Herz und schickte ihm, wie immer, eine SMS.

 

»Hey, Mr. Chaos, deine polnische Hausangestelle funkt SOS. Fünf Minuten Zeit?«

 

Keine fünfzig Sekunden später klingelte mein Handy.

 

»Was hast du wieder angestellt? Geklaut? Schwanger?«

 

»Wenn es das nur wäre …«

 

Also schilderte ich ihm die Umstände und mein Anliegen, und keine halbe Stunde später stand ich auf der Passagierliste einer Lufthansa-Maschine von Frankfurt nach Warschau und hatte eine Reservierung für ein Einzelzimmer in einem schicken City-Hotel in der Warschauer Innenstadt.

 

Ich versprach, ihm das Geld so schnell wie möglich zurückzuzahlen. Als Pfand gab ich ihm mein Leben. Woraufhin er nur lachte und meinte, mein Leben wolle er gar nicht. Für mich würde er ohnehin nicht mehr als fünf Kamele bekommen. Im schlimmsten Fall müsste ich eben die nächsten sechs Monate umsonst putzen.

 

Auf Mr. Chaos ist eben immer Verlass. Außerdem wusste ich, dass er mir das später einmal nie vorhalten würde. Wäre es andersrum gewesen, ich hätte und würde ihm auch jederzeit meine Hilfe anbieten.

 

So kam es, dass ich fünf Tage später abgehetzt im Flieger saß. Ich kam nämlich erst um fünf vor zwölf zum Flughafen. Erstens war ich spät dran, und zweitens war es wirklich elf Uhr fünfundfünzig, als mein Mann mit quietschenden Reifen am Terminal des Frankfurter Flughafens vorfuhr. Mein Flug nach Warschau ging um zwölf Uhr fünfunddreißig. Der Grund für meine Verspätung: Ich hatte zu lange geputzt. Das war so: An diesem Vormittag putzte ich bei der Familie Kaiser in Frankfurt-Sachsenhausen. Eigentlich wollte ich am liebsten den Vormittag freinehmen, um mich in Ruhe auf meine erste richtige »Geschäftsreise« vorzubereiten. Aber Frau Kaiser machte mir einen Strich durch die Rechnung:

 

»Aber Justyna, das ist mir gar nicht recht. Ich brauche Sie unbedingt. Nach dem Urlaub ist so viel zu bügeln. Sie können ja meinetwegen früher anfangen.«

 

Mein Arbeitsbeginn bei den Kaisers ist in der Regel zwischen sieben und sieben Uhr dreißig. Länger als drei Stunden habe ich dort noch nie gearbeitet. Noch früher anzufangen hätte ich nur schwerlich hinbekommen, da ich ja auch noch meine Sachen für meinen Trip nach Polen packen musste. Also bat ich meinen Mann, der an diesem Tag Spätdienst hatte, mich in der Früh zu den Kaisers zu fahren und dann, gegen zehn Uhr dreißig, dort wieder abzuholen und zum Flughafen zu bringen.

Das Arbeitspensum, das mich an diesem Morgen jedoch erwartete, hatte ich unterschätzt. Ich hatte das Gefühl, der zu bügelnde Haufen Wäsche wäre der einer ganzen deutschen Kleinstadt. Also putzte und bügelte ich an diesem Tag um mein Leben. Ich hatte immer nur meinen Abflug vor Augen, und vielleicht beflügelte mich dieser zusätzliche Druck mit ausreichend Energie. Trotzdem benötigte ich statt drei nahezu vier Stunden. Von zehn Uhr dreißig an schickte mir mein Mann, der in seinem Auto vor der Tür der Kaisers saß, SMS, die immer ungeduldiger klangen, je mehr ich mich verspätete.

 

Die erste SMS:

 

»Bin da.«

 

Die zweite SMS:

 

»Kommst du?«

 

Die dritte SMS:

 

»Hallo??«

 

Die vierte SMS:

 

»Wer von uns beiden muss denn zum Flughafen …?«

 

Gegen elf Uhr dreißig kam ich endlich aus dem Haus gestürzt und schwang mich auf den Beifahrersitz des Autos. Auf der Fahrt zum Flughafen richtete ich meine vom Putzen zerzauste Frisur und schminkte mich. Bereitete mich vor auf mein großes Abenteuer.

 

Alles ging gut. Und ich erreichte gerade das Gate, als die Passagiere anfingen, in die am Finger wartende Maschine einzusteigen.

 

Ich war so aufgeregt. Und hatte überhaupt keinen Plan. Mir ging durch den Kopf, wie meine Landsleute auf mich reagieren könnten. Aber auch, wie schön es war, eine solche Würdigung in meiner Heimat zu erfahren. Wenn es denn eine werden würde …

Über den Ablauf meiner Reise hatte ich nur ein paar kleine Anhaltspunkte. Ein Chauffeur würde auf mich am Flughafen warten und mich dann gleich ins Studio fahren für eine Vorbesprechung und die anschließende Masken- und Kostümprobe. So zumindest stand es auf dem Fax, das mir der Verlag hatte zukommen lassen. Die Sendung würde am nächsten Morgen stattfinden. Und 24 Stunden später säße ich dann bereits wieder im Flieger nach Frankfurt. Ich konnte mir aus zwei Gründen keine zweite Nacht in Warschau leisten. Zum einen hatte ich panische Angst davor, wie sich mein Auftritt dort gestalten würde, und nahm an, dass ich wahrscheinlich danach nur noch nach Hause wollte. Und zum anderen hatte ich am darauffolgenden Tag drei Putzstellen hintereinander. Ein 12-Stunden-Tag bei Stammkunden, auf den ich finanziell nie und nimmer verzichten konnte.

 

Das Brötchen, das ich von der freundlichen Stewardess serviert bekam, blieb unangetastet. Die Hälfte meines Mineralwassers landete auf meinem Tischchen. So nervös war ich. Ich kam mir vor wie ein kleines, dummes Mädchen, das mit einem Mal in die böse, weite Welt hinausgestoßen wurde. Ich besann mich darauf, dass ich schon viel größere Berge in meinem Leben erklommen hatte, angefangen von meinem Ausflug ins Ungewisse, nach Deutschland, vor über zwölf Jahren. Nun flog ich zurück in mein Heimatland, das sich irgendwie so gar nicht mehr wie Heimat anfühlte.

 

Je weniger ich Zeit hatte, über mein bevorstehendes Abenteuer nachzudenken, desto gelassener wurde ich. Und viel Zeit hatte ich den Rest des Tages ohnehin nicht. Gott sei Dank.

 

Nach der Landung wurde ich von einem freundlichen Mann meines Alters abgeholt. Entgegen meiner Vorstellung trug er statt eines schwarzen Anzugs und einer Chauffeursmütze verbeulte Jeans, Basketballschuhe und ein weit aufgeknöpftes, schwarzes Hemd. Er war sehr locker und redselig, und so verging die Zeit im Auto wie im Fluge. Wir plauderten über Gott und die Welt, und ich war dankbar, dass er der erste Mensch war, den ich nach meiner Landung in Polen antraf. Er nahm mir eine große Portion meiner Angst, und ich spürte zum ersten Mal so etwas wie ein freudiges Kribbeln in meinem Bauch. Leider bekam ich ihn nach der Ankunft im Studio nie wieder zu sehen. Er übergab mich in der Lobby der Fernsehstation, die sich am Rande von Warschau in einem modernen Palast aus Glas und Stahl befand, einer hektischen jungen Frau mit gefärbten roten Haaren, die mich dann zu einem anderen Herren brachte. Sie und ihre Haarfarbe blieben mir deshalb so sehr im Gedächtnis, weil ich, während ich mit ihr endlos scheinende Korridore entlangschritt, mich auf ihren Kopf konzentrierte und mich fragte, wie oft sie wohl ihre Haare färbe. All das tat ich, um meine wieder neu aufkeimende Angst zu verdrängen. Aber wie gesagt, eigentlich hatte ich überhaupt keine Zeit für solch gedankliche Exkursionen.

 

Die Menschen im Sender waren allesamt nett zu mir, aber nicht so herzlich wie mein Fahrer. So wurde ich allen möglichen Leuten vorgestellt, schüttelte an die zehn verschiedene Hände. Ich wurde aufgeklärt, wann ich morgen vom Hotel abgeholt würde, wann ich in der Maske sein müsste und wie lange mein Auftritt dauere.