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Nr. 2867

 

Zeitsturm

 

Die Chronotheoretikerin im Einsatz – Terraner erleben einen Weltuntergang

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.

Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.

Perry Rhodan ist von einer Expedition in vergangene Zeiten in die Gegenwart zurückgekehrt. Diese wird nicht nur von der Herrschaft der Atopen bedroht, sondern auch durch die brutalen Tiuphoren, die durch einen Zeitriss aus tiefster Vergangenheit zurückgekehrt sind. Immerhin scheint mit dem ParaFrakt eine Abwehrwaffe gefunden zu sein.

Doch der Zeitriss, durch den die Invasoren ihren Weg in die Milchstraße finden, steht nach wie vor offen, und zwei zerstörerische Perforationszonen bewegen sich quer durch die Galaxis – eine direkt auf das Solsystem zu. Wo sie auf Hindernisse treffen, tobt ein ZEITSTURM ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Aichatou Zakara – Der Chronowissenschaftlerin stürmt die Zeit davon.

Moe Xangongo – Die Sturminspektorin will die Sturmtaucher retten.

Alei und Charla Perres – Die Hypersturmforscher müssen ihren Planeten verlassen.

Prolog

Sturmböen

22. September 1518 NGZ

 

Sterne. Unfassbar viele. Ein Glänzen und Glimmen und Leuchten.

Alei blickte in den Nachthimmel von Nova Ceres. Seine Hand berührte Charlas. Sie lagen Seite an Seite auf dem Rücken, den warmen Sand unter sich. Ein Mal in der Woche trafen sie sich an diesem Strand, lauschten dem Rauschen der Wellen und schauten ins All. Der Anblick war überwältigend.

Alei fühlte sich erhaben und unbedeutend in einem. Er war ein Beobachter der unermesslichen Schönheit, die da oben blinkte, und zugleich ein winziger Teil von dem, was war.

»Sie sind wundervoll«, flüsterte Charla. »Kaum zu glauben, dass Vayu auch da oben ist.« Sie setzte sich auf, kniff die Augen zusammen und zeigte auf das mit Lichtern übersäte Schwarz. »Ungefähr dort!«

Alei blieb liegen. Er bemühte sich nicht, genauer hinzuschauen. Einen Hypersturm im All konnte er nicht sehen, schon gar nicht auf diese Entfernung. Selbst wenn der Sturm, so wie Vayu III, einen Tryortan-Schlund ausgebildet hatte. »Er wird wieder abflauen, wie die anderen auch.«

»Über hundert Meg. Ich weiß gar nicht, was ich zuerst messen soll.«

»Kannst du die Arbeit nicht ein einziges Mal ...«

Aleis Armbandgerät gab die Melodie des Sonnentanzes von sich, einer Sinfonie von Mayris Tessburn. Widerwillig nahm Alei die Verbindung an. »Ja?«

»Alei? Ich bin's, Frenny! Ihr müsst ins HypTech kommen!«

»Was ist passiert?«

»Das müsst ihr selbst sehen! Beeilt euch!«

Verwundert schaute Alei zu Charla, die das Gespräch mithörte. Es war selten, dass Frenny aufgeregt war. Normalerweise war sie die Ruhe in Person. »Fahren wir!«

Sie nahmen den Jeep. Alei hatte eine Vorliebe für Bodenfahrzeuge jedweder Art. In seiner Garage arbeiteten vier Roboter Tag und Nacht am Nachbau von uralten Modellen. Einige davon stellte Alei dem Fahrmuseum »Motoria« im Nordteil von Nova Ceres zur Verfügung. Die Direktorin freute sich darüber jedes Mal wie ein Kind zum Sternenfest.

Staub und Sand wirbelten hoch, tanzten vor den Lichtern der Scheinwerfer. Es dauerte knapp zwanzig Minuten, bis sie über unbefestigte Straßen entlang der Reisfelder das HypTech erreichten. Zusammen gingen sie zum Eingangsgebäude, nahmen den vorsintflutlichen Fahrstuhl in die Tiefe des Bunkers.

Frenny kam ihnen an der Eingangserfassung des HypTech entgegen. Sie war blass. Die blauen Augen im schmalen Gesicht wirkten riesig. »Es ist ... Ich würde es selbst nicht glauben, wenn ich nicht dabei gewesen wäre!«

Alei lief ihr nach, den Gang hinunter in Labor Drei. Er starrte auf die Terrarien mit den Meganen. Neben ihm stieß Charla pfeifend die Luft aus.

Alle Meganen lagen auf dem Rücken. Die froschähnlichen, violetten Tiere streckten die Beine von sich. Die Mäuler waren leicht geöffnet, blaue Zungen hingen heraus, die Augenbänder quollen vor.

»Was hat das zu bedeuten, Frenny?«

»Verdammt, ich weiß es nicht! Aber es hat mit diesem Hypersturm zu tun! Mit Vayu III!«

Meganen reagierten empfindlich auf Veränderungen im fünfdimensionalen Bereich. Eigentlich sollten sie in der Tiefe des Bunkers, ohne einen aufgebauten Versuch, keine Verhaltensauffälligkeiten zeigen, da der Bunker autark versorgt wurde und abgeschirmt war. Vayu III war viel zu weit vom Planeten entfernt. Doch die Tiere lagen da wie tot.

Alei aktivierte eines der Aufzeichnungsholos, das die aktuell übermittelten Sturmwerte von der SUSANOO anzeigte. »Was genau ist passiert?«

Frenny hob die Schultern. »Vor einer halben Stunde sind sie einfach umgefallen, als hätten sie einen Impuls abbekommen. Seitdem sind sie so. Sie leben noch. Ihre Atmung ist flach. Alei ... ich weiß nicht, was los ist, aber ich habe Angst!«

»Ich auch. Etwas stimmt nicht mit diesem Sturm.«

1.

Sturminspektorin

23. September 1518 NGZ

 

Tick. Ein leiser Laut, kaum hörbar. Moe Xangongo nahm ihn überlaut war.

Tick. Wieder eine Stärke mehr. Höher und höher schraubte sich die Zahl auf der Meganon-Skala, die das Holo in der Zentrale der SUSANOO anzeigte.

Seit einer Stunde war Vayu III am »Ziehen«, wie sie es untereinander nannten. Der Hypersturm hatte noch lange nicht den Höhepunkt erreicht. Er schwoll weiter an. Vielleicht würde er sich sogar von den über hundert Meg, die er momentan hatte, auf die gefürchteten Fünfhundert hochkämpfen. Bislang war jedenfalls kein Ende absehbar.

»Fünfhundert Meg ...«, sagte Moe halblaut.

Der Assistenzroboter neben ihr erwachte zum Leben. Die weißen Kunststoffglieder streckten sich, wodurch er wie ein Kind wirkte, das man soeben geweckt hatte. Er öffnete die kobaltblauen Augen, deretwegen Moe ihm den Namen »Hypno« gegeben hatte. »Fünfhundert Meg sind sehr unwahrscheinlich. Das wäre ein vernichtender Hyperorkan: Linearanflug unmöglich, Transmitterfeldaufbau unmöglich, HÜ- und Paratronschirme unbrauchbar; massive Beeinträchtigung der Non-Fünf-D-Technologie.«

»Ich weiß. Ich wollte nicht deine Lehrfunktion aktivieren.«

»Ich dachte, du willst dich unterhalten. Du wirkst besorgt.«

»Das bin ich. Obwohl der Sturm 37 Lichtjahre vom Sonnensystem entfernt ist. Janskys Stern wird nicht direkt bedroht. Trotzdem ... Vayu III bereitet mir Bauchschmerzen. Etwas stimmt mit diesem Sturm nicht.«

»Über Gefühle will ich mich nicht mit dir streiten. Dafür bin ich nicht programmiert.«

»Das ist auch besser für dich. Du würdest verlieren.«

Moe rief ein anderes Holo auf, das den Tryortan-Schlund zeigte, der sich vor wenigen Tagen geöffnet hatte. Einer der Hypersturmtaucher hatte ihn mithilfe einer Explorersonde aus nächster Nähe aufgenommen. Die trichterförmige, tiefrote Leuchterscheinung löste tief sitzende Ängste aus. Sie war etwas, das nicht ins Hier und Jetzt des Weltalls gehörte – und mit ein Grund, warum Moe Xangongo Sturminspektorin geworden war. Schon als Kind hatten Tryortan-Schlünde sie fasziniert. Diese Öffnungen ins Nichts, die sämtliche Materie entstofflichten, als würden die Schlünde sie schlucken. Sternenmonster. Gewaltige Ungeheuer, deren Gier keine Grenzen kannte.

In Wahrheit schluckten die Schlünde nichts. Sie unterwarfen die Materie einer Zwangstransition oder ließen sie in der Art eines Paratronaufrisses im übergeordneten Kontinuum verwehen.

Fasziniert beobachtete Moe die schwarzen Aufrisse, die den Schlund von Vayu III auf einer Breite von bis zu sechzigtausend Kilometern durchzuckten. Das dünne Trichterende erreichte eine Länge von siebenhunderttausend Kilometern. Die SUSANOO hielt einen weit größeren Abstand, da die Ausläufer in die Gewalten des tobenden Hypersturms übergingen und sie verstärkten.

In den Daten suchte Moe nach Anzeichen einer bevorstehenden Transition. Der Schlund konnte wandern oder sich um mehrere Millionen Kilometer versetzen, abhängig von den Bedingungen, die gerade herrschten. Aktuell war das Phänomen stabil, das konnte sich aber je nach Sturmbeschaffenheit rasch ändern. Falls das geschah, musste auch die SUSANOO wahrscheinlich den Kurs wechseln, um am Rand des Hypersturms ihre Position zu halten. Mit 400 Metern Durchmesser war das Schiff der MARALA-Klasse zwar kein Zwerg, aber auch nicht unverwundbar.

»Einen Sturm mit solchem Potenzial habe ich seit Jahren nicht inspiziert.«

Hypno legte den Kopf schief. »Hyperstürme sind in dieser Gegend häufig. Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass der Sturm Janskys Stern und damit den Planeten Nova Ceres träfe, wäre die Bevölkerung geschützt. Es gibt Tiefenbunker für die hundert Millionen Bewohner.«

»Willst du mich beruhigen, indem du dozierst? Ich inspiziere diesen Sturm seit zwei Monaten – und ich komme von Nova Ceres. Ganz davon abgesehen, dass ich die Positionsdaten sämtlicher Bunker auf dem Planeten auswendig kenne. Das sind alles Dinge, die ich weiß.«

»Die sich deinem Verstand aber entziehen, wenn du nervös bist«, sagte der Roboter. »Du machst dir unnötig Sorgen. Soll ich dir einen Quamfum bringen?«

»Mir ist nicht nach Tee.« Moe schaute auf die Zeitanzeige am Multifunktionsarmband. »Ich mache eine Pause in meinem Quartier. Ruf mich, sobald etwas Wichtiges vorfällt.«

»Sicher.«

Moe verließ die Wissenschaftsstation, grüßte flüchtig den Kommandanten und ging aus der Zentrale. Sie hatte ihr Quartier kaum erreicht, als sich ihr Armbandgerät meldete. Jemand rief sie aus Nova Ceres an.

»Hier Moe Xangongo an Bord der SUSANOO.«

»Moe? Ich höre dich kaum. Der Empfang ist bei dir schon wieder schlecht.«

Amey. Natürlich. Wer sonst?

»Ich inspiziere Hyperstürme. Was denkst du, wo ich gerade bin?«

»Immer bist du so zynisch.«

»Was möchtest du, Amey?«

»Mit dir reden. Es geht um meine Violen, meine neu gezüchteten Ceres-Eichen. Sie wachsen und wachsen!« Amey liebte ihre Bäume mehr als die meisten Terraner. Sie betrachtete sie als gleichgestellte Lebewesen, verbrachte mehr Zeit mit ihnen als mit ihrem eigenen Kind.

»Das ist doch schön.«

»Nein! Ja. Eigentlich schon. Das Problem ist Benedict Marthaler.«

»Benedict Marthaler? Der Regierungschef der Union? Was hat der mit deinen Bäumen zu tun?«

»Er hat verfügt, dass auf Nova Ceres je nach Bezirk eine Maximalhöhe gilt. Für Gebäude ist das durchaus sinnvoll. Das Stadtbild und so weiter. Ich meine, wir sind eine angesehene Freizeitwelt, ein Paradies, das verstehe ich ja alles, aber was können die Bäume dafür?«

»Nichts. Man nennt das Kollateralschaden.«

»Kannst du bitte mit deinem Zynismus aufhören? Es geht hier um meine Babys!«

»Amey, ich habe seit zwei Tagen nicht geschlafen und du rufst mich unter dieser Nummer an – die eine Notfallnummer ist! –, um mit mir über Bäume zu reden?«

»Du verstehst es einfach nicht. Sie sind viel mehr als das!«

»Ach ja? Sind sie psi-begabt? Telepathisch? Hyperbewusst?«

»Nein. Sie sind Lebewesen! Wie wir. Wie kann Benedict Marthaler anordnen, dass sie gekappt werden müssen, wegen irgendeines Bürokratiefehlers?«

»Er ist der Opralant. Er muss sich um die Probleme von knapp tausend Sonnensystemen kümmern. Vielleicht liegt es daran.«

»Dann soll er vernünftiger delegieren! Meine Ceres-Eichen sind einzigartig! Sie zu kappen wäre eine Schande!«

»Du kennst den offiziellen Weg. Geh an dein Terminal. Stell einen Antrag! Das wird schon durchgehen.«

»Das werde ich. Aber falls du Marthaler in nächster Zeit begegnest, sag ihm, dass es eine Schande ist, solche Gesetze zu verabschieden.«

»Er ist der Opralant. Warum sollte ich ihm begegnen?«

»Bei dir weiß man nie, mit wem du dich rumtreibst.«

Ein helles Blinken am Armbandgerät lenkte Moe ab. »Ich muss unterbrechen, ein wichtiges Gespräch. Ich ruf dich wieder an.«

»Das sagst du immer, und dann vergisst du es doch.«

Moe beendete die Verbindung und nahm die neue an. »Ja?«

»Ist dort Sturminspektorin Moe Xangongo?«

»Ist sie. Mit wem habe ich die Ehre?«

»Benedict Marthaler. Der Opralant. Persönlich.«

In Moes Gehirn starteten Denkprozesse, die auf ein Totgleis liefen. Hatte Amey das Gespräch arrangiert, um ihr einen Streich zu spielen? »Ist das ein Scherz?«

»Leider nein. Ich muss dich in einer sehr ernsten Angelegenheit sprechen. Sitzt du?«

»Nein.«

»Dann setz dich bitte. Was ich dir zu sagen habe, ist bisher nicht offiziell, aber wir bereiten den Gang an die Öffentlichkeit derzeit vor. Aylmer Cochrane kümmert sich darum.«

Moe wurde kalt. Das waren Worte, die sie niemals hatte hören wollen. Sie hatten den Beiklang von kosmischer Katastrophe. Aylmer Cochrane war der Gouverneur des Systems von Janskys Stern. Er hatte die Sturminspektion eingerichtet. Wenn er sich persönlich um diese Angelegenheit kümmerte, musste es schlimm stehen. »Was ist los?«

»Ich brauche Datenmaterial über die Ereignisse im Umfeld von Vayu III. So schnell und umfangreich wie möglich.«

»Warum?«

»Dafür muss ich etwas ausholen.«

»Ich habe Zeit.«

Der Opralant lachte. Es klang nicht fröhlich. »Nicht mehr viel, fürchte ich.«

Ein schrecklicher Gedanke kam Moe. Vor einigen Wochen hatte sich ein Schiff der Tiuphoren nach einem kurzen Aufenthalt in der Nähe des Sturms zurückgezogen, ohne indessen anzugreifen. Die Tiuphoren tauchten in der ganzen Galaxis bei vielen Siedlungsschwerpunkten auf, schlugen zu und zogen sich wieder zurück. »Hat es mit den Tiuphoren zu tun, die vor einiger Zeit da waren? Sind sie zurück?«

»Nein. Wie ist der derzeitige Sturmstatus?«

»Wir sind bei hundertsieben Meg. Jeder Linearanflug im Sturmbereich ist äußerst riskant. Es kommt zu unfreiwilligen Rückstürzen und erfordert erhöhten Energiebedarf, überhaupt zu fliegen.«

»Irgendwelche besonderen Vorkommnisse?«

Moe dachte an die Meganen, die im HypTech in der Nähe von Point Nova Ceres kollabiert waren. »Keine im Sturmgebiet. Worauf willst du hinaus?«

»Auf eine besonders besorgniserregende Entwicklung. Es geht um den Zeitriss und seine beiden Perforationszonen. Was weißt du darüber?«

»Dass sie seit dem dritten Juli auseinanderdriften. Sie bewegen sich mit wechselnden, unkalkulierbaren Geschwindigkeiten, meist überlichtschnell, selten langsamer. Die eine Zone strebt dem zentralen, supermassiven Black Hole der Milchstraße entgegen, Dengejaa Uveso. Die andere rast auf das Solsystem zu.«

»So ist es. Galaktiker und Onryonen behalten die driftenden Zonen im Blick.«

Das wusste Moe. Sowohl terranische als auch halutische Schiffe, Posbis und Einheiten der Tefroder sollten vor Ort sein. Sie hatte gehört, dass die Kommunikation untereinander besser lief als gedacht.

Nervös berührte sie die Mehrzweckkugel an ihrem Gürtel, die eine Vielzahl von Gerätschaften barg. »Was hat das mit dem Hypersturm zu tun?«

»Eine der beiden Perforationszonen hat den Kurs gewechselt und ihre Geschwindigkeit erhöht. Der Kurs der Zonen war nie sonderlich geradlinig, sondern eher schlingernd. Das hat sich verstärkt, wobei die errechneten Zielpunkte – Dengejaa Uveso und das Solsystem – konstant bleiben. Der Kurs allerdings ist schwierig zu berechnen. Dem Modell des halutischen Wissenschaftlers Atno Tever zufolge strebt die Perforationszone, die Richtung Dengejaa Uveso unterwegs ist, auf das System von Janskys Stern zu. Nova Ceres ist in höchster Gefahr.«

Moes Hand krampfte sich um die Mehrzweckkugel, als wollte sie das Kombigerät zerquetschen. Ihre Gedanken schienen in einen Tryortan-Schlund zu geraten, um irgendwo im Nichts zu verwehen. Es dauerte, bis sie eine Frage formulieren konnte. »Wie groß ist diese Perforationszone?«

»Die Dimensionen beider Zonen haben sich in den letzten Wochen verändert. Sie befinden sich in einem steten Wandel. Aktuell erscheinen sie vage oval mit pulsierendem Umfang und durchmessen minimal zwei Lichtsekunden – also etwa die doppelte Länge der Entfernung von Nova Ceres zu seinem Mond.«

Das Entsetzen war wie ein Motor, der Moes Gehirn in Gang setzte, um weitere Fragen auszuspucken. »Wie nahe könnte die Perforationszone dem System kommen? In welcher Distanz würde sie die Sonne oder Nova Ceres passieren?«

»Eben da liegt das Problem: Wie es leider scheint, ist die Perforationszone auf direktem Konfrontationskurs mit Janskys Stern. Nach Atno Tevers Modell wird es in knapp einer Woche zur Kollision mit dem Hypersturm kommen, voraussichtlich zwischen dem 26. und 28. September 1518 NGZ. Was danach geschieht, müssen wir abwarten, doch die Wahrscheinlichkeit, dass sich sowohl die Perforationspassage als auch der Hypersturm in einer Art Konglomerat auf den Planeten zubewegen, ist zu hoch, um sie zu ignorieren.«

»Und was nun?«

»Der gesamte Planet Nova Ceres muss evakuiert werden. Die Liga Freier Terraner ist bereits unterrichtet. Otieno Portella organisiert Evakuierungsschiffe. Auch vom Ephelegon-System aus sind Raumschiffe zu Janskys Stern unterwegs, ebenso eine kleine Flotte von Schiffen der Mehandor aus der Scerven-Sippe unter Patriarch Tescenost. Außerdem hat Terra besondere Unterstützung zugesagt, die in wenigen Tagen eintreffen müsste. Ich möchte, dass die SUSANOO auf diese besondere Unterstützung wartet – jedenfalls solange das ohne Lebensgefahr für die Besatzung möglich ist. Der Kommandant wird entsprechend informiert.«

»Wer kommt?«

»Das Schiff heißt WOLFGANG PAULI. Es ist ein Forschungsraumer. An Bord wird Doktor Aichatou Zakara sein. Eine Zeitwissenschaftlerin, genauer gesagt eine Chronotheoretikerin.«

»Eine Theoretikerin? Inwiefern soll das eine Hilfe sein? Was wird sie im schlimmsten Fall tun? Den Untergang aufzeichnen?«

»Eben das. Es mag dir zynisch vorkommen, aber von den Daten, die Aichatou Zakara möglicherweise erhebt, könnten Milliarden Leben abhängen. Auch wenn sie Janskys Stern nicht helfen kann – ihre Forschungen könnten uns zeigen, wie wir weitere Welten schützen, falls die Katastrophe sie trifft.«

»Das erscheint mir in der Tat zynisch! Ich habe Familie auf Nova Ceres!«

»Die evakuiert werden wird, wenn sie es möchte. Eben deshalb wende ich mich an dich. Neben den Informationen, die ich brauche, möchte ich, dass du anhand des Materials von Atno Tever und deiner eigenen Daten über den Hypersturm eine Holosimulation erstellst. Die Bewohner von Nova Ceres müssen wissen, dass die Bedrohung real und ernst ist. Sie brauchen Bilder von dem, was kommen kann. Im schlimmsten Fall müssen sie überzeugt werden, zu gehen.«

»Das dürfte schwer werden. Manche haben Köpfe, die dicker sind als Eichenstämme.«

»Tu dein Bestes. Wie wir alle. Viel Glück.« Der Opralant beendete die Verbindung.

Moe sprang auf, nahm den Antigravlift und rannte in die Zentrale an die Wissenschaftsstation, um die Daten zusammenzustellen.

In ihrer Phantasie jagte ein Schreckensszenario das andere.

Was würde aus Nova Ceres werden, wenn die Perforationspassage und Vayu III tatsächlich auf den Planeten trafen? Was aus den zahlreichen Bewohnern, die ganz gewiss nicht allesamt gehen wollten? Und was würde aus den Sturmtauchern werden? Moe zweifelte daran, dass sie vernünftig sein und ihre Suche rechtzeitig abbrechen würden, ehe Hypersturm und Perforationszone aufeinanderprallten. Sie waren Schatzjäger, hatten das Gold vor der Nase.

Sie dachte an Amey und an ihr Zuhause. An den Park mit den Ceres-Eichen, in dem sie aufgewachsen war. An die Felder, in denen sie sich versteckt, die Städte am Meer, in denen sie für mehrere Jahre gelebt hatte. Sollte das alles untergehen?

 

 

Zwischenspiel

Sturmtaucher

 

»Wird immer mieser da draußen.« Zerge behielt die Messwerte im Auge. »Gute Zeiten für uns!«

»Hast du etwas?«, fragte Mellor. Wie Zerge trug er einen Schweren Schutzanzug.

Ihr Taucher vibrierte in den Gewalten. Zweimal waren sie bislang unkontrolliert gesprungen, jedoch jeweils nur über einige Meter.

»Da tut sich was! Ein neuer Hotspot. Ich steuere hin!«

Sie jagten durch den Sturm, auf der Suche nach den Schätzen, die nur bestimmte Hyperstürme ausspuckten. Sie waren erst vor Kurzem entdeckt worden, dank neuester Detektortechnologie: Raum-Zeit-Scherben. Wahre kosmische Juwelen.

Sie ähnelten in ihren Eigenschaften Schwingquarzen. Da sie neu waren, wusste man fast nichts über sie – und genau deshalb wollte sie jeder haben.

Vorsichtig lenkte Zerge den Taucher durch den Sturm. Das robuste Schiff war im Grunde die abgespeckte und maßstabsgerecht verkleinerte Version eines terranischen SKARABÄUS. Obwohl nicht wenige diesen Schiffstyp wegen der geringen Leistungsdaten abfällig Mistkäfer nannten, war er in einem Hypersturm wie diesem der beste Freund, den ein Raumfahrer sich wünschen konnte: robust, unverwüstlich, zuverlässig.

Auf einem flachen Bildschirm flimmerten die Messwerte. Sie näherten sich dem Zielpunkt. Keine zweihundert Kilometer entfernt befand sich eine der Raum-Zeit-Scherben!

Mellor lehnte sich im Sitz vor. »Wie sieht die Antigravbergung aus?«

»Zu unsicher. Teilausfall.«

»Ich übernehme manuell. Gib weiter Gegenschub!« Sein Partner lenkte einen ausfahrbaren Greifarm von zehn Metern Durchmesser, der einen starken Sog erzeugte.

Die Bergung war ein heikles Unterfangen. Je langsamer sie waren, desto instabiler wurden sie, und die Gefahr für technische Ausfälle stieg.

Mit angehaltenem Atem beobachtete Zerge, wie Mellor den robusten, mit einem Prallschirm geschützten Greifarm anhand der Daten ausrichtete. Das Gerät justierte sich automatisch nach, berechnete die notwendige Position.

Sie waren noch zehn Kilometer entfernt.

»Ich aktiviere!«

Noch fünf.

Noch zwei ...

»Ja!«, jauchzte Mellor! »Wir haben sie! Und was für ein Prachtstück! Das ist die größte bisher!«

Zerge lächelte. Dieser Sturm war ihr Glückssturm.

2.

Sturmwarnung

24. September 1518 NGZ

 

Seit dem Start der WOLFGANG PAULI von Terrania fühlte sich Aichatou Zakara unruhig. Sie war Theoretikerin – die führende auf ihrem Gebiet –