MARLIS GANDER

AussenraumQualitäten

AussenraumRealitäten

Gestaltungsprinzipien für Planung und Architektur

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Anliegen und Sichtweise

Einführung

Raumverständnis

2 Aussenraumqualitäten

WOZU dient der Aussenraum?

WELCHER Aussenraum ist ideal für Kontakte?

WER nutzt den Aussenraum?

WIE wird Aussenraum geplant?

3 Handlungsanleitungen

Gute Beispiele als Vorbilder

Menschenorientierter Strassenraum

Auszeichnungen als Anreize

Akteurin öffentliche Hand

Bauwillige und Planungsfachleute

4 Aussenraumrealitäten

Beispiel Stadt Luzern

Gebietsauswahl

Beurteilung

Rundgang durch die Gebiete

Gebiet 1: Inseliquai 6–12, Werftestrasse 1–3

Gebiet 2: Ufschötti

Gebiet 3: Landenbergstrasse 14–16a, Alpenquai 34–34c

Gebiet 4: Tribschenstadt

Gebiet 5: Langensandstrasse 61–95, Matthofring 8–24

Gebiet 6: Schönbühlring

Gebiet 7: Imfangstrasse

Gebiet 8: Geissensteinring 47-55

Gebiet 9: Sternmattstrasse 12a-14l

Gebiet 10: Voltastrasse 24–34

Gebiet 11: Voltastrasse zwischen 19–27 und zwischen 23–33

Gebiet 12: Industriestrasse 6 (ewl-Gebäude)

Gebiet 13: Unterlachenstrasse 24–30, Kellerstrasse 28–36 (Blockrand)

Gebiet 14: Grimselweg 8–12, Kellerstrasse 15–19, Brünigstrasse 7–11 (Blockrand)

Gebiet 15: Brünigstrasse 16–18, Kellerstrasse 10 (Denner-Gebäude)

Gebiet 16: Unterlachenstrasse 5+9, 13 und ganzes Viertel

Gebiet 17: Bürgenstrasse, Rösslimattstrasse 37–39 (SUVA-Gebäude)

Erkenntnisse und Ausblick

Fazit aus dem Rundgang

Ausschau nach guter Qualität

5 Plädoyer für einen sorgsamen Umgang mit Aussenraum

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Vorwort

Wer durch Felder und Wälder streift, weiss um die Bedeutung des natürlichen Aussenraums. Ohne Einschränkung und Kosten kann das Auge über Eigentumsgrenzen hinweg die Landschaft geniessen. In der Stadt wird der optische, aber auch faktische Aussenraum durch die Überbauungen und die Eigentums- und Nutzungsbegrenzung stark reduziert. Diese kleinen und grösseren verbleibenden Freiflächen haben für die Stadtbewohner eine umso grössere Bedeutung. Dieser Aussenraum muss vielfältigen Funktionen dienen und unterschiedlichen Nutzungen zur Verfügung stehen. Von besonderer Bedeutung ist er für die soziale Begegnung.

Die Ausscheidung und Sicherung von ausreichenden Freiflächen in der Stadt ist überwiegend eine öffentliche Aufgabe. Die Ausgestaltung dieser Flächen für unterschiedlichste Funktionen stellt hohe Anforderungen, die bereits im frühen Stadium der Planung mitberücksichtigt werden sollten.

Auch die Gestaltung der halböffentlichen und Teile der privaten Aussenräume sind der Sozialpflichtigkeit unterstellt. Wer mit meterhohen Hecken sein Eigentum umstellt oder lebendige Innenhöfe zu trostlosen Parkplätzen umfunktioniert, leistet keinen Beitrag für ein lebenswertes Quartier.

Für viele Stadtbewohner ist das Quartier die unmittelbare Heimat. Der Wohnraum und das Gegenstück, der Aussenraum, bilden zusammen den Lebensraum. Das Privatleben spielt sich vor allem im privaten Wohnraum ab, das soziale Leben bedarf meistens des Aussenraums.

Im Dorf, mit gewachsenen Strukturen, funktioniert das soziale Leben noch weitgehend selbstverständlich. In Neubauquartieren mit hoher Bebauungsdichte und mit Zuzüglern aus allen Himmelsrichtungen bedarf es vielseitig gestalteter Aussenräume, um eine neue soziale Struktur aufbauen zu helfen. Es bedarf des Willens der Bevölkerung, um zu einer neuen Gemeinschaft zusammenzuwachsen. Die Stadt kann mit entsprechender Ausweisung von Freiräumen und deren Gestaltung einen unverzichtbaren Beitrag dazu leisten.

Marlis Gander wirft mit ihrem Plädoyer für einen sorgsamen Umgang mit unserem Aussenraum interessante Fragen auf und bereichert mit ihren klaren Aussagen und Forderungen die Diskussion zum Thema. Die Analyse des Aussenraums, an ausgewählten Spots im Quartier Tribschen-Langensand und nach einem systematischen aufgebauten Kriterienkatalog, zeigt die Realität der Qualität der Aussenräume im Negativen wie im Positiven. Die Empfehlungen zeigen, wie und wo der Prozess zur Verbesserung der Situation eingeleitet werden könnte. Die Handlungsanleitungen mit Benennung der Akteurinnen und Akteure sind das Fundament für den bewussten Umgang mit unserem Aussenraum.

Realisieren neuer und Verbessern bestehender Aussenräume bedarf der gemeinsamen Anstrengung von Bevölkerung, Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer sowie der Stadt. Nehmen wir die Herausforderungen an.

Heinrich Bachmann

Quartierverein Tribschen-Langensand

1 Anliegen und Sichtweise

Einführung

In der Schweiz wird viel Wert auf ein schönes Zuhause gelegt. Die Wohnung hat einen hohen Stellenwert. Sie wird nach individuellen Wünschen sorgfältig eingerichtet. Wie sieht es mit der Wohnumgebung aus? Diejenige um das eigene Haus herum, weiter zur Strasse hin und bis zum nächsten Einkaufsgeschäft? Die Wohnumgebung kann oft nicht nach eigenem Gutdünken gestaltet werden. Der Aussenraum gilt meist als unveränderbar und gegeben. Entspricht der heutige Aussenraum den Bedürfnissen der Menschen? Wie wirkt sich seine Gestalt auf das Leben im Freien aus?

Die meisten Leute kennen das angenehme Gefühl, durch belebte Gassen zu schlendern, unter dem grünen Blätterdach eines Parks zu verweilen oder an einer ruhigen Strassenecke einen Kaffee zu trinken und dabei andere Menschen zu beobachten. Lebensfreude pur. Diese Stimmung kann ein hoher Anteil des heutigen Siedlungsraums leider nicht vermitteln. Vielfach wirkt der Aussenraum unbehaglich und wenig einladend.

Rührt das Unbehagen daher, dass die Aussenräume oft zerstückelt und von hohen Hecken umgeben sind? Oder ist es eher der Umstand, dass grosse Teile des Aussenraums dem rollenden und ruhenden motorisierten Verkehr dienen und aus Asphaltflächen und Lärmschneisen bestehen? Seit den 1970er-Jahren werden in der Schweiz in jedem Jahrzehnt so viele Strassen gebaut, dass sie jeweils eineinhalb Mal um die Erde reichen.1 Der Anteil an Begegnungszonen ist verschwindend klein. Sich zu Fuss auf den Weg zu machen, ist kein sinnliches Vergnügen.

Das Unbehagen an der gebauten Umwelt widerspiegeln die Resultate eidgenössischer Abstimmungen der letzten Jahre. Das unbegrenzte Wachstum in Form des heutigen Siedlungsbreis wird von der Mehrheit der Stimmbevölkerung zunehmend skeptisch beurteilt.2

Für das Wohlbefinden und die Lebensqualität ist eine Umgebung von guter Qualität und Atmosphäre wichtig. Im Idealfall wird dem Aussenraum bei der baulichen Entwicklung von Städten und Gemeinden gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Qualitätvoller Aussenraum beeinflusst die Nutzenden – bewusst oder unbewusst – auf eine positive Weise. Wer möchte das nicht?

Das Aussenraum-Thema ist in diesem Buch so aufbereitet, dass es von einer breiten Allgemeinheit gelesen und verstanden werden kann, denn der Aussenraum geht alle an. So richtet sich dieses Buch generell an Aussenraum-Interessierte und an solche, die es gern werden möchten. Darüber hinaus werden Planungsfachleute, Behörden, politisch Tätige sowie Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer angesprochen.

Das vorliegende Buch will auf einfache und verständliche Art für das Thema Aussenraum sensibilisieren. Es plädiert für einen Aussenraum, der als Kontakt- und Begegnungsraum funktioniert, in dem man sich wohlfühlt. Es zeigt auf, was die Qualität von Aussenräumen ausmacht, und will die Augen öffnen für die heutigen Defizite. Es enthält konkrete Massnahmen und erhöht nebenbei das Verständnis für die Raumentwicklung. Im besten Fall verführt es, sich aktiv für eine hohe Qualität des Aussenraums und die Möglichkeit eines vielfältigen Lebens zwischen Häusern einzusetzen.

In einem einleitenden Teil werden wichtige Begriffe und das hier zugrunde liegende Raumverständnis geklärt. Der zweite Teil widmet sich einer grundsätzlichen Betrachtung des Themas. Es werden Prinzipien hergeleitet, die zu einem qualitätvollen Aussenraum beitragen. So einfach die Prinzipien oder dargelegten Anforderungen sind, so wichtig ist deren Beachtung. In Teil drei wird mittels Handlungsanleitungen aufgezeigt, welchen Beitrag verschiedene Akteurinnen und Akteure leisten können. Der vierte Teil beschreibt einen Spaziergang durch ausgewählte Gebiete der Stadt Luzern. Es sind Anschauungsbeispiele. Deren Aussenraum- qualität wird anhand von Kriterien beurteilt und dargelegt. Ein beigefügter Bewertungsbogen dient bei weiteren Erkundungstouren als Hilfsmittel für eigene Beurteilungen. Im Schlussteil wird für mehr Aufmerksamkeit für das wichtige Gut Aussenraum plädiert.

Raumverständnis

Aussenraum ist, ganz allgemein formuliert, jedes Terrain, das nicht mit Hochbauten überbaut ist. Im Siedlungsraum handelt es sich dabei um den Raum zwischen den Häusern. Als Siedlungsraum wird die von den Menschen zum Wohnen und Arbeiten umgestaltete Erdoberfläche bezeichnet. Dazu gehören kleinere und grössere Dörfer, Agglomerationen und Städte. Nicht zum Siedlungsraum gezählt werden hier freie Landschaftsflächen. Der Begriff Raum hat umgangssprachlich eine breite Bedeutung und umschreibt ganz generell die Erdoberfläche oder auch das Innere eines Gebäudes. In vorliegendem Buch wird der Begriff Raum synonym für Aussenraum verwendet, falls nicht anders erwähnt.

Es werden die folgenden Kategorien von Aussenraum unterschieden:

1.

Öffentlicher Raum

Darunter fallen Aussenräume, für die keine Zutrittsbeschränkungen gelten. Es sind Orte, die von der Allgemeinheit betreten und genutzt werden dürfen wie Plätze, Parks, Strassen und Wege.

2.

Halböffentlicher Aussenraum

Dazu gehören Aussenräume einer Siedlung, die durch sämtliche vor Ort wohnenden und arbeitenden Menschen genutzt werden dürfen. Es gelten in der Regel Zutrittsbeschränkungen, die unterschiedlich restriktiv gehandhabt werden und entsprechend mehr oder weniger stark in Erscheinung treten.

3.

Privater Aussenraum

Diese Kategorie von Aussenraum ist durch einen klar definierten, kleinen Personenkreis nutzbar. Dazu gehören zum Beispiel der Gartensitzplatz einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus oder ein fest vermieteter Parkplatz.

Über den öffentlichen Raum wird viel geschrieben und diskutiert. Oft steht er wegen des hohen Nutzungsdrucks, wegen Vandalismus oder Littering in den Schlagzeilen. Der halböffentliche und private Aussenraum stehen gemeinhin weniger im Fokus der Öffentlichkeit. Das soll hier anders sein. Die Betrachtung dieses Buchs erstreckt sich neben dem öffentlichen auch auf den halböffentlichen und privaten Aussenraum, der im Alltagsleben vieler Leute einen hohen Stellenwert innehat und für das Zusammenleben und Wohlbefinden der Menschen von grosser Bedeutung ist.

Alle drei Kategorien von Aussenräumen ermöglichen in ihrem Zusammenspiel das Leben zwischen Häusern.

Frei zugänglicher, öffentlicher Raum

Öffentlicher Raum als Nische entlang Wohngasse

Halböffentliche Siedlungsumgebung

Eingegrenzter halböffentlicher Raum

Privater Aussenraum in Form von Parkplätzen

Balkone als privater Aussenraum

Es gibt viele Analysen zum Raum auf der Erdoberfläche, die von unterschiedlichen Perspektiven ausgehen. Raum wurde in der Wissenschaft lange Zeit als naturgegeben angesehen. In den 1990er-Jahren veränderte sich dieser Blick. Er wird seither vermehrt als etwas sozial Entstehendes und Wirkendes verstanden, das heisst, der Mensch verändert und interpretiert den Raum.3 Dieses Raumverständnis wird hier auf den Aussenraum angewendet.

Aussenraum ist ein komplexes Konstrukt. Seine materielle Gestalt ist immer mit sozialen Aspekten zu verknüpfen. Sie ist nicht einfach gegeben, sondern wird in politischen Prozessen ausgehandelt und verändert. Diese Produktion des Aussenraums ist ein Abbild der jeweiligen gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Machtverhältnisse. Der Aussenraum ist von Menschen geplant und gestaltet. Die Menge, die Entstehung und sein Erscheinungsbild sind Zeugnis eines anspruchsvollen Prozesses, bei dem sich die am besten vertretenen Interessen durchsetzen können. Aussenraum ist also nicht neutral. Und er verändert sich mit der Veränderung gesellschaftlicher Wert- und Idealvorstellungen. Der Aussenraum kann heute zu einem grossen Teil als das Resultat der Werte einer höchst (auto-)mobilen, individualisierten und sich abgrenzenden Gesellschaft angesehen werden.

Wie der gestaltete Aussenraum wahrgenommen und angeeignet wird, ist ebenso gesellschaftlich geprägt, jedoch auch individuell verschieden. Derselbe Raum kann unterschiedlich wahrgenommen und erlebt werden.4 Ein Rasen beispielsweise kann in positiver Weise als schön und gepflegt oder in negativem Sinn als steril und unnatürlich beurteilt werden. Genauso kann eine Ruderalfläche, das heisst eine Kiesfläche mit Pioniervegetation, als Standort mit vielfältiger Natur oder als verwahrlost eingestuft werden.

Die Gestaltung des Aussenraums hat für das Raumerleben eine wichtige Bedeutung. Die Raumgestaltung und deren Interpretation fördern oder hemmen gewisse Aktivitäten im Aussenraum. Je nachdem wie einladend der Aussenraum wirkt oder wie nutzungsneutral er gestaltet ist, zieht er mehr oder weniger Leute an. Aussenraum, der zum Beispiel spezifisch nur der Fortbewegung oder nur dem Aufenthalt dient und nicht multifunktional ist, wird weniger angeeignet.

«Öffentliche Räume leben somit von unterschiedlichen Wahrnehmungen und unterschiedlichen Formen der Aneignung und befinden sich damit immer auch in einem permanenten und dynamischen Spiel von Widersprüchlichkeiten.»5

Eine allgemeingültige Definition von gutem Aussenraum aufzustellen, ist nicht möglich. Die Beantwortung, was gut oder schlecht ist, hängt von den jeweiligen Ansichten ab. In diesem Buch wird der Aussenraum dann als qualitätvoll bezeichnet, wenn er die Menschen zu vielfältigen Aufenthalten einlädt, belebt ist und man sich darin wohlfühlt. Das kann und soll auf eine breite Palette von sehr unterschiedlich ausgeprägten Aussenräumen zutreffen. Ein Aussenraum, der einseitig dem Verkehr dient, wird hier nicht als qualitativ hochwertig eingestuft.

Aussenraum von Qualität ist überall – in Dörfern, Agglomerationen und Städten – wichtig, damit sich Menschen begegnen können. Je dichter bebaut und je städtischer ein Gebiet ist, umso wichtiger wird das Angebot an gutem Aussenraum. Der zur Verfügung stehende Aussenraum hat im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung sozialen, ökonomischen und ökologischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen.

Das vor einigen Jahrzehnten im Rahmen von Umweltdiskussionen aufgenommene Nachhaltigkeitsprinzip hat sich zu einer gesellschaftlich anerkannten Werthaltung entwickelt.6 Generell geht es bei der Nachhaltigkeit darum, dass die Bedürfnisse der Menschen und die zur Verfügung stehenden Mittel in Einklang gebracht und die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht beeinträchtigt werden. Ursprünglich bezog sich diese Betrachtungsweise auf den Umgang mit der Natur und die Nutzung natürlicher Ressourcen, das heisst auf ökologische Aspekte. Heute liegen dieser Betrachtung drei Nachhaltigkeitsdimensionen zugrunde, nämlich soziale, ökonomische und ökologische Aspekte. Es handelt sich um eine umfassende und langfristig wirkende Sichtweise, deren Grundgedanke es ist, ein Gleichgewicht zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt herzustellen.

Das Nachhaltigkeitsprinzip ist eine Zielsetzung und Orientierungshilfe im Umgang mit Aussenraum. Es bedeutet, dass unterschiedliche Interessen bezüglich Gestaltung und Nutzung des Aussenraums in Einklang stehen, ohne dass dies auf Kosten eines der drei Aspekte oder nachfolgender Generationen gehen würde.