Cover

Evelyn Sanders

Hotel Mama – vorübergehend geschlossen

Roman

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Evelyn Sanders

Evelyn Sanders’ Fähigkeit, den Alltag auf die Schippe zu nehmen, ist unerreicht. Die geborene Berlinerin, gelernte Journalistin, fünffach gestählte Mutter und vielfach gekrönte Bestsellerautorin lebt in der Nähe von Heilbronn.

Über dieses Buch

Kinder und Enkel, ein halbvergessener Neffe, eine neue Liebschaft und weitere mehr oder minder sympathische Verwandtenanhängsel kehren ein im »Hotel Mama«: Die Großeltern Tinchen und Florian stehen mal wieder dem ganz normalen Wahnsinn gegenüber. Und es beschleicht einen der leise Verdacht, es könne sich um das eigene häusliche Tohuwabohu handeln …

Impressum

eBook-Ausgabe 2012

Knaur eBook

© 1998 Schneekluth Verlag GmbH, München

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: N. Reitze de la Maza

ISBN 978-3-426-41699-0

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Kapitel 1

Was riecht denn hier so komisch?« Tinchen stellte das Bügeleisen zur Seite und hob schnuppernd die Nase in die Luft. »Das stinkt, als ob jemand seine alten Socken verbrennen würde!«

»Ich hab meine noch an!« Zum Beweis hielt Florian beide Füße in die Höhe. Sie steckten in blauweißen Ringelsocken mit jeweils einem Loch an der Spitze. »Vielleicht sollte ich sie gleich mitverbrennen, oder stopft man so was heute noch?«

»Ich bestimmt nicht«, kam es prompt zurück, »das kann bloß noch Mutti. Allerdings bezweifle ich, dass Größe 44 noch als Kindersocken durchgeht. Und die stopft sie nur, um Ulla eins auszuwischen, die kann das nämlich auch nicht mehr.«

»Das sind Kinderstrümpfe«, protestierte Florian. »Die hab ich mir neulich von Tobias ausgeliehen.«

»Tobias ist achtundzwanzig Jahre alt!«

»Aber er ist mein Kind!«

»Meins auch! Und trotzdem ist er inzwischen erwachsen!«

»Das ist er erst dann, wenn er aufhört, Nutella zu essen!« Florian stand auf, ging zum Fenster und öffnete beide Flügel.

»Willst du uns umbringen?«, schrie Tinchen. »Wir haben acht Grad minus! Mach das sofort wieder zu!«

»Hier drin stinkt’s aber!«

»Das habe ich auch schon gemerkt. Wahrscheinlich düngt Herr Knopp wieder seine siebzehnkommafünf Quadratmeter Rasen.«

»Im Dezember?«

Tinchen musste zugeben, dass selbst ihr Nachbar, ein ebenso begeisterter wie erfolgloser Gärtner, noch keine Wunderwaffe gegen Frost und Neuschnee gefunden hatte, um auch im Winter seinem Hobby nachgehen zu können. »Vielleicht verbrennt er Laub?«

Herr Knopp verbrannte auch kein Laub, wie Florian unschwer feststellen konnte, er schippte vielmehr nebenan Schnee. Man hörte lediglich das gleichmäßige Scharren des Schneeschiebers. Plötzlich beugte er sich weit aus dem Fenster. »Hast du was auf dem Herd, das anbrennen könnte? Ich glaube, der merkwürdige Geruch kommt von unten aus der Küche!«

»Seitdem du neulich mit Tim Vogelfutter gekocht hast, ist nichts mehr angebrannt«, entgegnete Tinchen maliziös, denn dieses Unternehmen, basierend auf einer Anleitung im ZEITSPIEGEL, Rubrik Öko-Tipps, hatte Florian einen neuen Kochtopf gekostet. Und weil Tinchen sich als Ersatz für den zwar schon zerbeulten, jedoch immer noch einsatzfähigen Aluminiumtopf einen aus Edelstahl mit Glasdeckel ausgesucht hatte, hatten hundert Mark nicht mal gereicht, und Florian hatte noch etwas drauflegen müssen. Später hatte er ausgerechnet, dass er für das Geld 378 fertige Meisenknödel hätte kaufen können!

»Vielleicht solltest du doch mal nachsehen!« Seinen Beobachtungsposten hatte er noch nicht aufgegeben, vielmehr stellte er leicht beunruhigt fest: »Inzwischen qualmt es schon aus dem Küchenfenster!«

»Die Kinder!«, schrie Tinchen, ließ das Bügeleisen fallen und stürzte aus dem Zimmer. Florian hinterher. Wenigstens hatte er noch die Geistesgegenwart, vorher den Stecker aus der Buchse zu ziehen.

Schon auf der Treppe zum Erdgeschoss sah Tinchen, wie sich Rauchwölkchen unter der geschlossenen Küchentür hervorkräuselten, und dann hörte sie die helle Kinderstimme ihres Enkels: »Mach doch mal die Tür auf, Tanja, damit der Qualm abzieht.«

»Wo is’n die Tür? Ich kann ganix sehen!«, jammerte seine Schwester.

»Wo stehst du denn jetzt?«

»Weiß iss niss!«

»Taste mal herum, vielleicht weißt du es dann!«

Prompt klirrte es, und dann hatte Tinchen auch schon die Tür aufgerissen. »Was ist denn hier los?«

Im ersten Moment konnte sie vor lauter Rauch kaum etwas erkennen. Sie stieß das Fenster auf, und erst nachdem sie sich mit einem kurzen Rundblick überzeugt hatte, dass nirgendwo Flammen zu sehen waren, schob sie die beiden hustenden Kinder zur Küche hinaus, genau in Florians Arme. »Was habt ihr denn jetzt schon wieder angestellt?«, fragte der denn auch erwartungsgemäß.

»Überhaupt gar nichts«, versicherte Tim im Brustton der Überzeugung, »ich wollte doch bloß meine Handschuhe trocknen!«

»Auf der Heizung?«

»Nee, da dauert es so lange, ich habe sie …«

»… nur mal schnell in den Toaster gesteckt!«, ergänzte Tinchen, die inzwischen nicht nur die Quelle des Rauches, sondern auch des penetranten Gestanks gefunden hatte. »Bist du denn noch zu retten?« Mit spitzen Fingern entfernte sie die qualmenden Überreste aus dem Toaster, warf sie ins Spülbecken und ließ Wasser drüberlaufen. »Wenn die Handschuhe Feuer gefangen hätten, dann hätte das ganze Haus abbrennen können! Hast du dir denn das nicht vorher überlegt, Tim?«

»Da waren sie doch nass, und was nass ist, kann ja gar nicht brennen«, erklärte Tim sofort. »Wie nämlich der Opa neulich die Blätter im Garten verbrennen wollte, da kam bloß furchtbar eine Menge Rauch, und dann hat er geschimpft und gesagt, die sind viel zu nass.«

»Und du hättest jetzt furchtbar eine Menge Dresche verdient«, murmelte Tinchen, »und wenn du dein Vater wärst, dann hättest du sie auch gekriegt.«

»Unverdient!«, protestierte Florian. »Tims Begründung, was nass ist, kann nicht brennen, beruht auf seiner zugegebenermaßen noch geringen Erfahrung und klingt für ihn völlig logisch.«

»Ich will dir mal was sagen, du logischer Großvater: Ein halbwegs intelligenter Fünfdreivierteljähriger, der im Herbst in die Schule kommt, sollte wissen, dass man keine Kleidungsstücke in einen Toaster stopft. Das nächste Mal versucht er es mit seinen Schuhen.«

»Quatsch!«, sagte der potenzielle Brandstifter. »Die gehen da ja gar nicht rein, die stelle ich immer vor den alten Heizofen, der im Keller steht, bloß der Opa soll da mal eine neue Schnur ranmachen, die andere ist schon so ausgefusselt.«

Und dann knallte es doch. Eine reine Reflexbewegung war es gewesen, und hinterher tat sie Tinchen sofort wieder leid, doch die Vorstellung, was alles hätte geschehen können, wenn Tim dieses uralte Elektro-Öfchen eingeschaltet hätte, hatte ihre Hand ausrutschen lassen. »Entschuldige, Tim, ich wollte dich nicht schlagen, es ist einfach passiert.«

Ihr Enkel, der sie erst entgeistert angesehen hatte, bevor er tief Luft holte und losbrüllen wollte, hielt abrupt inne. Dann nickte er verständnisvoll. »Kenne ich! Wie ich mit dem Marvin vorhin auf der Straße Eishockey gespielt habe, da isses auch einfach passiert.«

»Was ist passiert?«, fragte Tinchen ahnungsvoll.

»Na, dass der Flummy ganz verkehrt geflogen ist.«

»Und wohin?«

Vorsichtshalber machte Tim ein paar Schritte rückwärts, schließlich konnte man ja nicht wissen, ob die Omi nicht doch … »An dein Auto. Es ist aber bloß die ganz kleine Scheibe an der Seite kaputtgegangen.«

Erst abends, als die Kinder endlich im Bett lagen und Florian in die Redaktion gefahren war, kam Tinchen zur Ruhe. Die Tagesschau hatte sie natürlich wieder verpasst, doch das störte sie nicht besonders. Es ging ihr ja auch gar nicht um die Nachrichten, sondern um die Uhrzeit. Früher, als ihre eigenen Kinder im Alter von Tim und Tanja gewesen waren, hatte es noch das Sandmännchen gegeben. Kurz nach sieben Uhr war es mit seiner Laterne auf dem Bildschirm erschienen, und wenn es fünf Minuten später allen Kindern eine gute Nacht gewünscht hatte, waren Tobias und Julia ohne Protest ins Bett gegangen. Wenigstens bis zum Schulalter, musste Tinchen sich eingestehen, denn dort hatten sie sehr schnell mitgekriegt, dass es nach dem Sandmännchen noch so tolle Sendungen gab wie die mit dem Oberinspektor Wanninger oder Percy Stuart, der immer ganz allein mit den Gangstern fertig wurde. Harmlos waren diese Filmehen gewesen im Gegensatz zu dem, was heutzutage im Vorabendprogramm lief. Tim kannte sie alle, die Bildschirmhelden der Neunziger: Den Fahnder, der dann plötzlich Pfarrer wurde (»Der hat von den Verbrechern sicher die Nase voll gehabt«, hatte Tim vermutet. »Was is’n das eigentlich, das Milljöh?«), den Doktor Brockmann natürlich (»Aber der ist ziemlich langweilig.«), den netten Polizisten vom Großstadtrevier und die alten Frauen vom Campingplatz, die immer so komisch sprachen.

Nein, Tinchen war absolut nicht damit einverstanden, dass sich ein Fünfjähriger und eine Dreijährige derartige Sendungen ansahen, und bei ihr gab es das auch nicht, da las sie den beiden lieber etwas vor, doch Ulla war der Meinung, heutzutage käme man am Fernsehen einfach nicht vorbei. Schon im Kindergarten würden die Kinder einzelne Sendungen diskutieren, und wer da nicht mitreden könne, würde regelrecht ausgegrenzt.

»So ein Blödsinn!«, hatte Tinchen gesagt. »Das meiste kapieren die doch noch gar nicht!«

»Du hast ja keine Ahnung, was die schon alles kapieren!«, hatte ihre Schwiegertochter erwidert, und Tinchen hatte die passende Antwort wieder einmal heruntergeschluckt. Nicht umsonst hatte sie sich am Hochzeitstag ihres Sohnes geschworen, sich niemals in seine Ehe und die Erziehung seiner Kinder einzumischen, und bis jetzt hatte sie sich daran gehalten. Meistens jedenfalls. Denn oft, wenn sie drauf und dran gewesen war, Ulla doch mal gründlich ihre Meinung zu geigen, dann hatte sie sich an ihre eigene Mutter erinnert, die immer regen Anteil an ihrem Ehe- und Familienleben genommen hatte. Was hieß übrigens hatte? Sie tat es ja immer noch! Und nicht zu knapp.

Ach ja, die Mutti! Erst jetzt fiel Tinchen auf, dass Frau Antonie (meist kurz Toni genannt) heute gar nicht ›nur mal eben‹ vorbeigekommen war und sogar auf den täglichen Kontrollanruf verzichtet hatte. Ob da irgendwas nicht stimmte? Unsinn, beruhigte sie sich selbst, Mutti weiß ja, dass ich mal wieder Babysitter spielen muss, und wenn etwas passiert wäre, dann hätte Frau Klaasen-Knittelbeek längst Bescheid gesagt; die rief ja schon an, wenn Toni mal später von der Fußpflege kam als vorher angekündigt.

Tinchen setzte sich in ihren Lieblingssessel und griff nach der Programmzeitung. »Immer das Gleiche«, murmelte sie, »nur Mist!« Allenfalls der Krimi im Ersten hätte sie interessiert, doch der lief schon seit einer halben Stunde. »Muss ja auch nicht immer Fernsehen sein!« Hatte sie das nicht oft genug ihren Kindern vorgebetet, als die noch Halbwüchsige waren? »Lest lieber ein gutes Buch, davon habt ihr mehr, und nebenbei lernt ihr Orthographie. Julia hat im letzten Aufsatz Reminiszenz mit Eszett geschrieben!«

»So schreibt sich’s auch!«, hatte die protestiert.

»Ja, aber nicht mit ß, sondern mit zwei Buchstaben wie in Szene.«

»Meine Güte, du bist vielleicht pingelig!«

Kaum zu glauben, dass das alles schon so lange zurücklag, sinnierte Tinchen, in ein paar Monaten würden die Kinder ihrer Kinder eingeschult, und alles ging von vorne los. Ein Glück, dass ich das alles nur noch am Rande mitkriege, morgens im Bett liegen bleiben kann und zu keinem Elternabend mehr muss. Ich weiß gar nicht, weshalb ich mich so davor gefürchtet habe, Großmutter zu werden? Enkel haben gegenüber den eigenen Kindern einen unbestreitbaren Vorteil: Man kann sie jederzeit wieder zurückgeben. Allerdings sollte das möglichst in genauso intaktem Zustand sein, wie man sie bekommen hat. Mit Schrecken erinnerte sich Tinchen an jenes Wochenende im Sommer, als Tim heimlich zum Abenteuerspielplatz entwischt, dort aus dem Baumhaus gefallen war und gerade in der Unfallstation eingegipst wurde, als Ulla und Tobias ihre Sprösslinge abholen wollten. Tanja hatte ihrer Mutter die Ohren vollgeheult, weil sie Bauchschmerzen hatte, und woher die kamen, hatte sich herausgestellt, nachdem sie das Auto vollgekotzt hatte. Opa Florian hatte nämlich zum Trost, weil sie keinen so schönen Gipsarm kriegen konnte, seine Enkelin abwechselnd mit Gewürzgurken und Popcorn gefüttert!

Diesmal waren wenigstens die Kinder heil geblieben. Zu beklagen waren lediglich der Verlust eines Toasters sowie der Wollhandschuhe. Nicht zu vergessen allerdings das Seitenfenster vom Kadett. Dieser verdammte Hartgummiball hatte doch tatsächlich einen Sprung über die ganze Scheibe hinterlassen. Das würde zwar die Haftpflicht zahlen, die Frage war lediglich, ob sich eine Reparatur überhaupt noch lohnte. Hatte nicht erst unlängst dieser Mensch von der Werkstatt bezweifelt, ein benötigtes Ersatzteil noch auftreiben zu können? »Versuchen Sie’s doch mal im Deutschen Museum!«, hatte er mit einem vielsagenden Blick auf ihr Auto vorgeschlagen.

»Ignorant, dämlicher!«, schimpfte Tinchen leise vor sich hin. »Der Wagen ist doch erst vierzehn Jahre alt und hat immer seine Pflicht getan!« Nach kurzem Überlegen holte sie den Medicus aus dem Bücherschrank, den sie schon dreimal angefangen hatte und bei dem sie nie über das zweite Kapitel hinausgekommen war. Es war ein Buch, das man in Ruhe lesen musste, möglichst hintereinanderweg in einem Zug und nicht bloß heute mal drei Seiten und nächste Woche wieder. Fangen wir also zum vierten Mal an, ermunterte sie sich, kuschelte sich in den Sessel, schlug die erste Seite auf – und war nach wenigen Minuten eingeschlafen. Im Traum sah sie den kleinen Rob Cole vor sich und stellte verwundert fest, dass seine Mutter genauso aussah wie Frau Klaasen-Knittelbeek.

 

Anfangs war Tinchen froh gewesen, als Frau Antonie sich entschlossen hatte, eine Mitbewohnerin in ihr Haus aufzunehmen. Nach dem Tod ihres Mannes war Frau Antonie ziemlich schwermütig geworden, und hätten die Damen vom Canasta-Club sie nicht fast gewaltsam auf den Donaudampfer gezerrt, dann würde sie ihrem verstorbenen Ernst vielleicht sogar schon nachgefolgt sein. Natürlich hatte sie ein Doppelgrab gekauft und sogar schon ihren eigenen Namen auf den Grabstein meißeln lassen, lediglich das Datum ihres späteren Ablebens war offen geblieben, obwohl sie allen verkündet hatte, ihren Ernst wohl kaum länger als ein paar Monate überleben zu können – das war jetzt drei Jahre her.

Eine Woche lang Luxus rund um die Uhr hatte der Prospekt versprochen, den Frau Reutter Tinchen gezeigt und gleichzeitig gefragt hatte, ob man nicht einfach für Frau Antonie mitbuchen sollte. So eine Schiffsreise auf der Donau sei nicht anstrengend, statt Sehenswürdigkeiten aufzusuchen, würden sie ja an einem vorbeiziehen, und es würde Frau Pabst nur guttun, wenn sie mal auf andere Gedanken käme. Immerhin sei ihr Gatte seit fast einem Jahr unter der Erde, doch das Leben gehe schließlich weiter, und solange Frau Pabst gesund sei, solle sie es auch genießen. Ihre sechsundsiebzig Jahre sähe ihr ohnehin niemand an.

Tinchen hatte dem Plan zugestimmt, Florian um einen Kredit gebeten, um die Reisekosten erst einmal vorstrecken zu können, und dann hatten sie gemeinsam angefangen, Frau Antonie die Schiffsreise schmackhaft zu machen. Nach langem Bedenken hatte sie endlich zugestimmt. »Das Trauerjahr ist zwar noch nicht ganz vorüber, doch ich glaube beinahe, heutzutage sieht man das nicht mehr so eng. Ich bin doch froh, mal wieder unter Leute zu kommen. Was meinst du, Ernestine, ob ich schon farbige Kleider tragen kann?«

»Heißt das, du hast dich hier selbst begraben, weil du längst überholten Konventionen nachhängst?« Ganz entgeistert hatte Florian seine Schwiegermutter angesehen. »Läufst du nur deshalb immer noch als Schleiereule herum? – Aua!« Mit schmerzverzerrtem Gesicht hatte er sein Schienbein gerieben, das wieder einmal Tinchens Schuhspitze zu spüren bekommen hatte. »Kannst du nicht mal das andere Bein nehmen?«

»Und kannst du nicht erst mal denken, bevor du redest?«, hatte sie zurückgezischt. »Oder findest du die Bezeichnung Schleiereule besonders taktvoll?«

»Das nicht«, hatte er zugeben müssen, »aber treffend.«

Anscheinend hatte Frau Antonie von diesem Dialog nichts mitbekommen, denn wenn sie sich auch nach langem Sträuben zu einer Brille hatte überreden lassen, die nun ständig an einer Goldkette auf ihrem nicht gerade unterentwickelten Busen baumelte, so weigerte sie sich immer noch beharrlich, auch ein Hörgerät zu benutzen. »Ich höre noch sehr gut!«, hatte sie gerufen, und Tinchen war die Einzige, die das insgeheim auch gar nicht bezweifelte. Hatte sie doch schon des Öfteren festgestellt, dass ihre Mutter offenbar nur das hörte, was sie auch hören wollte. Wurde sie von ihrer Familie zu einem Essen im Restaurant eingeladen, dann verstand sie Datum und Uhrzeit ganz genau, bat man sie jedoch, sich ein Taxi zu nehmen, dann überhörte sie das geflissentlich; vielmehr rief sie eine halbe Stunde vorher an und wollte wissen, wann man sie denn abholen werde. Sie hasste es, ein Restaurant allein zu betreten, und die Vorstellung, eventuell am Arm eines Taxifahrers …? Undenkbar, sie war doch nicht gehbehindert!

Die ›Schleiereule‹ hatte sie klugerweise nicht zur Kenntnis genommen, und Florian war gleich darauf in das nächste Fettnäpfchen getreten, indem er erklärt hatte, Trauerkleider machten ihre Träger grundsätzlich zehn Jahre älter (worauf Frau Antonie nun wirklich gar keinen Wert legte), und das sei wohl auch der Grund, weshalb jüngere Leute nicht mal mehr bei Beerdigungen welche anziehen würden.

»Sie wissen heutzutage ohnehin nicht, was sich gehört«, hatte Frau Antonie gesagt. »Da hat sich doch die Ulrike unlängst erlaubt, mich ihrer Freundin vorzustellen! Mich, die ich fünfzig Jahre älter bin! Und was tut dieses merkwürdige Geschöpf? Mustert mich von oben bis unten, als sei ich ein Wesen von einem anderen Stern, und nuschelt bloß ›Hei‹. Was sagt ihr denn dazu?«

»Schleiereulen sind eben vom Aussterben bedroht«, hatte Florian gemurmelt, doch diesmal wirklich nur ganz, ganz leise.

»Wer ist Ulrike?«, hatte Tinchen gefragt und nicht daran gedacht, dass es sich um ihre Schwiegertochter Ulla handelte, deren eigentlicher Name allmählich in Vergessenheit geriet, weil niemand sie so rief. Ausgenommen natürlich Frau Antonie, die seit jeher der Auffassung war, jedes Kind erhalte seinen Namen aus einem bestimmten Grund, und den habe man zu respektieren. »Letztendlich haben sich die Eltern bei der Namensgebung etwas gedacht!«

»Mit Ausnahme von euch!«, hatte Tinchen gegiftet. »Wer heißt denn heutzutage noch Ernestine?«

»Dein Vater hatte sich einen Jungen gewünscht.«

»Den hat er ja auch gekriegt, leider erst zehn Jahre nach mir. Wahrscheinlich muss Karsten nur deshalb nicht als Ernst 11 herumlaufen.«

Frau Antonie hatte also mit Frau Reutter, Frau Helmers und Frau von Rothenburg, allesamt gutsituierte Witwen zwischen siebzig und open end, die Donaudampfschiffsreise unternommen, hatte in Wien noch drei Kleider gekauft, weil die sechs mitgenommenen dann doch nicht ausgereicht hatten, hatte sich von einem pensionierten Finanzdirektor, der bedauerlicherweise in Budapest aussteigen musste, den Hof machen lassen – in allen Ehren natürlich! – und hatte schließlich im Lesezimmer Frau Klaasen-Knittelbeek kennengelernt. Diese Dame war ihr schon mehrmals aufgefallen, weil sie sich vor dem Abendessen jedes Mal vom Oberkellner bezüglich des Dinners und dann vom Sommelier beraten ließ, welcher Wein denn wohl am besten zu dem Menü passen würde.

Die beiden Damen waren ins Gespräch gekommen und hatten sich über Reiseziele unterhalten, denn Frau Klaasen-Knittelbeek kannte ganz Europa und war sogar schon am Nordkap gewesen, zeigte sich aber doch beeindruckt, als Frau Antonie scheinbar beiläufig ihren Aufenthalt in Kenia erwähnte und von der Safari schwärmte. Dabei hatte sie die überhaupt nicht mitgemacht, weil sie ihr zu anstrengend erschienen war. Aber Tinchen und Florian hatten ja viel erzählt, und die beiden Enkelkinder hatten genug fotografiert, so dass sich ihre Großmutter zumindest theoretisch recht gut auskannte. Und in Afrika war sie ja nun wirklich gewesen! Acht Jahre war es schon her, dass ihr der Ernst zu Weihnachten die Reise geschenkt hatte. Gar nicht mitgewollt hatte sie, hatte Angst vorm Fliegen gehabt und vor den Schwarzen, und dann war es doch ein so schöner Urlaub geworden; übrigens der letzte gemeinsame mit der Familie, denn gleich nach Tobias’ Abitur hatte es diesen Riesenkrach gegeben, weil der Junge nicht studieren wollte, obwohl sein Vater ihm trotz des miserablen Abgangszeugnisses schon einen Studienplatz verschafft hatte. Wenn man es zum stellvertretenden Chefredakteur des ZEITSPIEGEL gebracht hat, kennt man natürlich auch genügend Leute, die einem weiterhelfen können. Journalistik sollte der Junge studieren, vielleicht auch noch Literatur oder Theaterwissenschaften, kompetente Kultur-Redakteure wurden immer gesucht, vom Fernsehen gar nicht zu reden, seinen Doktor sollte er machen, so ein Titel war überall nützlich, und für einen passenden Job bei einer renommierten Zeitung hätte Florian schon gesorgt.

Und was hatte dieser undankbare Knabe getan? Ins Gesicht gelacht hatte er seinem Vater und ihm rundheraus erklärt, er dächte nicht daran, das Heer arbeitsloser Akademiker noch zu vergrößern, und von den Print-Medien halte er schon überhaupt nichts. »Bald liest doch sowieso niemand mehr Zeitung. Warum auch? Im Fernsehen kriegt er alles mundgerecht vorgekaut und mit bunten Bildchen garniert, er braucht nicht mehr zu denken, und der Natur ist auch geholfen. Oder weißt du etwa nicht, wie viele Bäume gefällt werden müssen, damit eine einzige Ausgabe vom ZEITSPIEGEL gedruckt werden kann?«

Florian hatte zugegeben, das nicht zu wissen, worauf ihn sein Sohn nur verachtungsvoll angesehen und gemurmelt hatte: »Wenigstens kannste damit immer noch das Katzenklo auslegen!«

Das hatte Florian am meisten getroffen! Das TAGEBLATT, bei dem er vor fast dreißig Jahren seine journalistische Laufbahn begonnen hatte, war eine regionale Tageszeitung gewesen, die im redaktionellen Teil Geburtstagsgrüße veröffentlicht hatte und sogar Kuchenrezepte. Der Redaktionsstab war überschaubar gewesen, die Atmosphäre beinahe familiär, Berichte von auswärtigen Mitarbeitern wurden am Telefon durchgegeben, was besonders bei dialektgefärbten Telefonaten des Öfteren zu heiterkeitserregenden Hör- (und Druck!-)Fehlern geführt hatte. Es hatte noch Setzmaschinen gegeben und Fahnenabzüge, und oft hatte das Geklapper des alten Fernschreibers allen Anwesenden den letzten Nerv geraubt. Manchmal vermisste Florian die Jahre, als Zeitungen noch ›mit der Hand‹ gemacht wurden und nicht am Computer. Heutzutage wurde gefaxt, die Setzmaschinen standen im Museum für vaterländische Altertümer, jeder Mitarbeiter hockte eingeigelt vor seinem Bildschirm, und – das Ende allen kreativen Journalismus – Rauchen war neuerdings verboten! Jedenfalls offiziell. Dafür gab es aber auch kein TAGEBLATT mehr, denn das hatte vor ein paar Jahren ein großer Konzern aufgekauft, einige Redakteure behalten und die anderen entlassen. Und nachdem auf die gleiche Weise noch zwei andere Zeitungen plattgemacht worden waren, wurde wenige Wochen später der ZEITSPIEGEL aus der Taufe gehoben. Florian hatte lange überlegt, ob er nicht das Handtuch werfen und sein Glück bei der Konkurrenz versuchen sollte, doch Tinchen hatte ihm klargemacht, dass das wohl wenig Sinn haben würde. »Sei froh, wenn sie dich überhaupt behalten, wo doch überall junge dynamische Leute nicht über fünfundzwanzig mit wenigstens zehn Jahren Berufserfahrung gesucht werden.«

»Na schön, fünfundzwanzig bin ich nicht mehr, auch wenn ich mich immer noch so fühle. Manchmal wenigstens«, hatte er eingeschränkt, »doch die Erfahrung …«

Weiter war er nicht gekommen, denn Tinchen hatte ihren Florian erst in die Arme genommen und ihm dann eine kalte Dusche verpasst. »Weißt du, Flori, ein Mann ist zwar stets so jung, wie er sich fühlt, aber keineswegs so bedeutend.«

Worauf Florian drei Mal trocken schluckte, seinem Tinchen einen Kuss auf die Nasenspitze drückte und grinsend meinte: »Du hast ja recht, Tine, ich kenne auch einige Männer, die als Adler gestartet und als Suppenhuhn gelandet sind. Die paar Jahre bis zur Rente werde ich wohl auch noch unter der Fuchtel vom Doppeldoktor durchstehen.« Womit der neuernannte Chefredakteur gemeint war, ein Herr Dr. Dr. Vandevelde, dem das Talent nachgesagt wurde, mit wenig Arbeitsaufwand viel zu erreichen. Er verstand es meisterhaft, Arbeit zu delegieren. So wurde gemunkelt, seine oft messerscharf geschliffenen Leitartikel lasse er von einem begabten Studenten schreiben, sein Insider-Wissen stamme vom Golfplatz, wo er häufig anzutreffen war, und sein zweiter Doktortitel sei gar nicht echt, sondern nur honoris causa, verliehen von einer südamerikanischen Universität, die für kleine Zuwendungen recht dankbar sein sollte. Für größere fiele angeblich das h. c. weg.

 

Es hatte lange gedauert, bis sich Florian mit der ›Verweigerung‹ seines Sohnes abgefunden hatte. Genau genommen hatte er sie erst dann akzeptiert, als Tobias seinen Zivildienst beendet und auf die Frage seines Vaters, womit er denn künftig seine Brötchen zu verdienen gedächte, erwidert hatte: »Handwerk hat bekanntlich goldenen Boden, was in meinem Fall sogar wörtlich zu nehmen ist. Ich werde nämlich Goldschmied!«

»Dazu hättest du kein Abitur gebraucht!«

»Eben! Hättest du mich damals, als ich kleben geblieben war, runtergenommen, dann hätte ich jetzt schon meine Gesellenprüfung in der Tasche. Aber nein, lieber Nachhilfestunden bis zum Gehtnichtmehr, ein Gnaden-Abi mit Vierkommanull und danach auf die Uni, weil sich der ganze Auftrieb sonst ja nicht ausgezahlt hätte. Nein danke, ohne mich! Im Zeitalter der Gleichberechtigung ist doch völlig egal, wer die Familienehre rettet. Julia hat ein helles Köpfchen, baut bestimmt ein Einser-Abitur, studiert mal chinesische Philosophie oder Astrophysik oder etwas anderes furchtbar Wissenschaftliches, und wenn sie den Nobelpreis kriegt, schmiede ich ihr den Goldrahmen, mit dem sie die Urkunde an die Wand nageln kann.«

Nachdem sich Florian mit den Berufsplänen seines Sohnes intensiv auseinandergesetzt hatte, fand er sie gar nicht mehr so abwegig. Immerhin gab es ja schon einen Goldschmied in der Familie, nämlich Tinchens Bruder Karsten. Er hatte aus dem ehemaligen Uhrmacherladen seines Vaters ein gut gehendes Juweliergeschäft gemacht, vor zwei Jahren sogar eine Filiale eröffnet und beschäftigte inzwischen neun Mitarbeiter; außerdem hatte er seinem Neffen schon vor vielen Jahren künstlerisches Talent bescheinigt. Damals hatte Tobias aus der Werkstatt seines Onkels zwei kleine Smaragde stiebitzt, was naturgemäß zu erheblicher Aufregung und haltlosen Verdächtigungen geführt hatte. Zum Glück hatte Karsten auf Einschaltung der Polizei verzichtet, denn wenige Tage nach dem vermeintlichen Diebstahl waren die Steine wieder aufgetaucht, und zwar auf Tinchens Geburtstagsgeschenk. Zwischen unzähligen weißen Mini-Wachsperlen, aus denen Tobias auf Moosgummi eine Eule zusammengeklebt hatte, glühten zwei grüne Augen, die von allen Besuchern bewundert und als Glassteine angesehen wurden. Bis Onkel Karsten gekommen war!

Tinchen fand den Berufswunsch ihres Sohnes völlig in Ordnung. »Ich weiß ja nicht, was bei Karsten unterm Strich übrig bleibt, aber neulich hat er gesagt, dass er im letzten Jahr so viel Steuern bezahlt hat, wie er sich früher immer als Reinverdienst gewünscht hat. Und trotzdem hat er sich den neuen Porsche bestellt.«

Hatte das nicht etwas vorwurfsvoll geklungen? »Karsten ist nicht verheiratet, hat meines Wissens auch keine Kinder, die ihm die Haare vom Kopf fressen, und außerdem sind Kopfarbeiter gegenüber selbständigen Handwerkern sowieso im Nachteil! Sie haben nämlich kaum Abzugsposten«, grummelte Florian, den es immer noch wurmte, dass sein Schwager die neue und sündhaft teure Wohnzimmerlampe als Schaufensterbeleuchtung deklariert und von der Steuer abgesetzt hatte.

»Dann verstehe ich nicht, weshalb du auf Tobias so sauer bist«, hakte Tinchen nach. »Und dann denk doch mal an später! Karsten ist vierzig geworden, aber noch immer nicht verheiratet. Und nach dem Reinfall mit Marion wird er bestimmt wieder für eine Weile abstinent leben. Wenn er so weitermacht, wer soll denn dann mal sein Nachfolger werden?«

»Karsten ist erst vierzig«, stellte Florian richtig, »also im besten Mannesalter und durchaus dazu fähig, auch ohne Trauschein einen potenziellen Erben zu zeugen, obwohl ich nach Lage der Dinge behaupten möchte, dass ihm nichts ferner liegt als das!«

Noch zu gut konnte sich Florian an jenen Abend erinnern, als sein Schwager völlig entsetzt und aufgelöst zu ihm gekommen war und detaillierte Auskünfte über die Anzeichen einer beginnenden Schwangerschaft verlangt hatte.

»Dafür ist eigentlich Tinchen zuständig«, hatte Florian gesagt, war jedoch sofort von Karsten abgeblockt worden.

»Nein, ich meine, wann hast du mitgekriegt, dass da was im Gange war?«

»Als Tine es mir gesagt hat.«

»Äußerst hilfreich!«, hatte Karsten gebrummt, sich an der Hausbar einen dreistöckigen Kognak eingegossen und in einem Zug hinuntergekippt. »Und was ist, wenn die werdende Mutter nichts sagen will? Gibt es nicht so was Ähnliches wie glänzende Augen, verklärten Blick oder weiß der Geier, was sonst noch? Ich denke, man sieht es den Frauen an, wenn sie schwanger sind?«

»So ungefähr ab dem fünften Monat«, hatte Florian bestätigt.

»Idiot!« Aber dann war Karsten doch mit der Sprache herausgerückt. »Marions Interesse für Pré-Natal-Moden hatte ich darauf zurückgeführt, dass eine ihrer Freundinnen mal wieder muttert, und den Teddybären, den sie unlängst angeschleppt hat, hatte ich als Geschenk für das kleine Monster angesehen, doch misstrauisch bin ich erst geworden, als sie das Rauchen aufgehört hat. Seit drei Wochen hat sie keine Zigarette mehr angerührt!«

Florian hatte eingeräumt, dass diese plötzliche Nikotin-Abstinenz zu gewissen Rückschlüssen führen, jedoch auch ganz harmlose Gründe haben könne, und was Karsten denn davon hielte, seine Dauerfreundin einfach mal zu fragen.

»Und was soll ich machen, wenn sie wirklich schwanger ist?«

»Heiraten!«

»Bist du verrückt? Nur über meine Leiche!«

»Ich glaube nicht, dass hierzulande eine posthume Trauung möglich ist!«

Es hatte nur wenige Tage gedauert, bis er Gewissheit gehabt hatte. Doch, Marion war schwanger, aber Karsten war nicht der Vater gewesen, was ihn einerseits außerordentlich beruhigt, andererseits jedoch in seiner Eitelkeit gekränkt hatte. Dabei störte ihn die Erkenntnis, quasi betrogen worden zu sein, viel weniger als die blamable Tatsache, nichts davon gemerkt zu haben.

Das Thema Marion war jedenfalls beendet gewesen, und ein neues gab es damals noch nicht. Tinchens Prognosen, wonach Tobias dermaleinst Besitzer zweier Juweliergeschäfte sein würde, konnten also nicht als völlig utopisch bezeichnet werden.

Die Grundvoraussetzung dazu war gegeben, denn Tobias hatte nicht nur seine Lehre bei Karsten sowie vier Semester Kunsthochschule erfolgreich abgeschlossen, sondern er bereitete sich auch schon auf die Meisterprüfung vor.

Was – zumindest in Tinchens Augen – nicht so ganz in diese karriereverdächtige Laufbahn gepasst hatte, war Tobias’ frühe Heirat gewesen. Natürlich konnte sie verstehen, dass er sich in Ulrike verliebt hatte, blond und langbeinig zieht ja immer, nur hätte man bei einer Arzthelferin eigentlich annehmen können, dass sie mit den gängigen Verhütungsmethoden vertraut ist.

Anscheinend war sie es nicht gewesen, denn ein halbes Jahr nach der Hochzeit hatte Frau Antonie vor der schwierigen Aufgabe gestanden, den Canasta-Damen ihren Urenkel Tim als Sechsmonatskind zu präsentieren.

Zum Glück hatte es Frau Klaasen-Knittelbeek damals noch nicht gegeben, denn sie hätte zweifellos innerhalb kurzer Zeit die von Frau Antonie so mühsam vertuschten kleinen Ungereimtheiten ans Licht gebracht. Inzwischen wusste sie zwar alles, fühlte sich jedoch schon der Familie zugehörig und hielt den Mund.

Frau Klaasen-Knittelbeek, die auf den ihrer Ansicht nach nichtssagenden Namen Herta getauft worden war und deshalb den Zweitnamen Dorothee bevorzugte, entstammte einer alten Hamburger Reedersfamilie. Als sie kurz nach dem Krieg den zwar weniger respektablen, jedoch damals finanziell noch weitaus besser gestellten Schrotthändler Alfons Knittelbeek heiratete, bestand sie darauf, ihren Mädchennamen mit einzubringen. »Natürlich war das mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden gewesen«, hatte sie Frau Antonie einmal erzählt, »damals konnte man nicht so ohne weiteres einen Doppelnamen führen, und Papa musste wohl seine ganzen Beziehungen spielen lassen. Aber Mama war tot, ich das einzige Kind, und irgendwie sollte der Name ja weiterleben, obwohl Papa mit der Heirat überhaupt nicht einverstanden gewesen war.«

Nachdem Herr Knittelbeek es zu einer Jugendstilvilla in Hamburg-Eppendorf und einem recht ansehnlichen Bankkonto gebracht hatte, verstarb er unseligerweise während eines Herrenessens, an dem auch Damen teilgenommen hatten, von denen die feine Hamburger Gesellschaft später behauptete, es seien gar keine gewesen. Dorothee Klaasen-Knittelbeek wollte in Ruhe abwarten, bis sich die Wogen etwas geglättet hatten; allerdings nicht im herbstlich-kühlen Hamburger Klima, sondern an der italienischen Riviera. Mitte der fünfziger Jahre war sie das Traumziel der meisten Deutschen gewesen, die sich damals schon einen Urlaub leisten konnten, denn Mallorca war noch ein verschlafenes Eiland, und von den karibischen Inseln wusste man allenfalls, wo sie im Atlas zu finden waren.

In San Remo lernte Dorothee den Herrn Dr. Werding kennen, seines Zeichens Rechtsanwalt und momentan auf der Flucht vor seinen Gläubigern, doch das erfuhr sie erst später. Der Herr Anwalt merkte sehr schnell, dass seine neue Bekanntschaft zwar fließend französisch sprach, mit der Hummergabel umgehen konnte und sich elegant kleidete, also aus einem guten Stall kam, auf der anderen Seite jedoch naiv und leicht beeinflussbar war. Ohne Schwierigkeiten gelang es ihm, Dorothee ein (»natürlich nur kurzfristiges«) Darlehen zu entlocken, mit dem er seine drängendsten Schulden bezahlen und sich wieder in Deutschland blicken lassen konnte. Dort nahm er sich, ausgestattet mit entsprechenden Vollmachten, des Knittelbeekschen Schrotthandels an. Dorothee war’s zufrieden. Sie hatte ein kleines Häuschen gemietet, ein älteres Ehepaar eingestellt – ohne Personal ging es nun mal nicht! –, lernte Italienisch und fand auch bald Anschluss, wozu sich am besten die Spielbank eignete. Pünktlich zum Monatsanfang schickte Herr Dr. Werding einen großzügig bemessenen Scheck, und einmal pro Woche gab er telefonisch eine Art Lagebericht durch. Demnach entwickelte sich das Unternehmen zufriedenstellend, und was denn die verehrte gnädige Frau von einem Verkauf der Villa halte? Das Haus sei für eine Person doch viel zu groß, der zu erwartende Erlös betrage annähernd das Doppelte von dem, was der Herr Gemahl seinerzeit entrichtet hatte, und ›man‹ wohne jetzt mehr außerhalb. Der Verkehr, der Lärm und überhaupt …

Dorothee hatte nichts dagegen. Mit der Villa verband sie nichts, genau genommen hatte sie dieses stuckverzierte Monstrum, das merkwürdigerweise von den Bomben verschont geblieben war, nie leiden können – es war einfach zu protzig. Alfons hatte es allerdings gefallen, außerdem hatte er es für eine gute Geldanlage gehalten, was sich ja nun bewahrheitete, denn wenig später erhielt Dorothee einen Kontoauszug, der eine beträchtliche Summe aufwies. Der Verkauf des Hauses war innerhalb kürzester Zeit abgewickelt und das Mobiliar ihrem Wunsch entsprechend eingelagert worden.

Nur einem bereits in Ehren ergrauten Bankangestellten war es zu verdanken, dass Dorothee nicht zum Sozialfall wurde. Ihn hatten die Bewegungen auf dem Klaasen-Knittelbeekschen Konto schon seit einiger Zeit misstrauisch werden lassen, denn immer wieder wurden große Summen in die Schweiz und nach Südamerika transferiert, ohne dass es einen ersichtlichen Grund dafür gab. Er bat um einen Termin beim Herrn Direktor, der ihm auch am nächsten Tag bewilligt wurde, und dann ging alles sehr schnell. Unter Missachtung des Bankgeheimnisses gewährte der Herr Direktor seinem Klubkameraden Hermann Klaasen Einsicht in die gesamten Unterlagen betr. die Konten seiner Tochter Herta Dorothee. Schon vierundzwanzig Stunden später saß Rechtsanwalt Werding – den akademischen Titel hatte er sich eigenmächtig zugelegt – in Untersuchungshaft, während das Bankhaus Winterfeld & Co. bemüht war, wenigstens einen Teil der veruntreuten Gelder wieder zu beschaffen. Der Herr Anwalt hatte nicht nur die Villa sowie den größten Teil der Möbel veräußert, sondern darüber hinaus schon eine namhafte Anzahlung für den geplanten Verkauf der Schrotthandlung erhalten. Zumindest dieses Geld und der Erlös aus dem endgültigen Verkauf blieben Dorothee. Zusammen mit dem, was sie noch hatte, genügte es für ein einigermaßen sorgloses Dasein, zumal ihr nach dem Ableben ihres Vaters noch ein beträchtliches Erbteil in Aussicht stand. Zwei Tage nach ihrem 48. Geburtstag lebte er dann auch wirklich ab und enthob sie der Notwendigkeit, den Heiratsantrag des verwitweten Speditionskaufmannes Eduard Meisenhölder annehmen zu müssen. Frau Klaasen-Knittelbeek hatte nämlich kurz vor der Pleite gestanden!

Dank der ererbten Aktien, Pfandbriefe, Anleihen und nicht zuletzt wegen der Eigentumswohnung in Krefeld, von der niemand in der Familie etwas gewusst hatte (»Was, um alles in der Welt, hat Hermann mit einer Wohnung da unten gewollt?«, hatte Onkel Wilhelm nach der Testamentseröffnung gerätselt.), war Dorothee versorgt und konnte wieder ihrer Leidenschaft frönen: dem Reisen. Denn Krefeld war nun wirklich nicht der Nabel der Welt! Sicher, die Wohnung war komfortabel, die große Dachterrasse ein unerwarteter Luxus, und beides kostete sie kein Geld, aber jedes Mal, wenn sie sich mit ihrem kleinen Fiat in das Düsseldorfer Verkehrsgewühl stürzen musste, weil man nur dort die richtigen Schuhgeschäfte fand und die Modeboutiquen, die den Ansprüchen einer gutbetuchten, leider schon reiferen Frau genügten, beneidete sie die Bewohner der Landeshauptstadt. Sie konnten jederzeit einen Schaufensterbummel machen, ins Theater gehen oder auch nur für ein Stündchen in einem der eleganten Cafés sitzen, ohne vorher endlos lange nach einer Parkmöglichkeit suchen zu müssen. Sie stiegen einfach in die Straßenbahn und waren wenig später zu Hause.

Natürlich hatte sie schon einen Umzug nach Düsseldorf erwogen, doch Wohnungen in den von ihr bevorzugten Stadtteilen waren erstens fast unbezahlbar und zweitens erst gar nicht zu kriegen. Deshalb hatte sie auf dem Schiff auch gleich nach einer Möglichkeit gesucht, die Bekanntschaft wenigstens einer dieser vier Canasta-Damen zu machen. Offenbar lebten sie alle in Düsseldorf, waren nicht mehr die Jüngsten, und wer jahrzehntelang in derselben Stadt wohnt, kennt auch eine Menge Leute.

Auf einem Flussdampfer kann man sich kaum aus dem Weg gehen, dazu ist er einfach zu klein. So war es Frau Klaasen-Knittelbeek auch nicht schwergefallen, Frau Antonie ein bisschen im Auge zu behalten, und nachdem sie ihr potenzielles Opfer mit einer Hand voll Ansichtskarten aus der Schiffsboutique hatte kommen sehen, ahnte sie, wo sie sie während der nächsten halben Stunde finden würde. Bewaffnet mit ebenfalls zwei Karten, von denen sie nicht einmal wusste, wem sie die schicken könnte, trabte sie ins Lesezimmer. Dort gab es neben einigen Regalen mit zum Teil schon reichlich zerlesenen Büchern, überwiegend Hinterlassenschaften früherer Passagiere, auch zwei Schreibtische. An einem saß Frau Antonie, den anderen steuerte Frau Klaasen-Knittelbeek an. Eine Zeitlang hörte man nur das leise Kratzen von Frau Antonies Füllfederhalter – sie benutzte niemals einen Kugelschreiber –, dann endlich hatte Frau Klaasen-Knittelbeek einen Anknüpfungspunkt gefunden. »Entschuldigen Sie bitte, aber wissen Sie vielleicht, welche Briefmarken für Karten nach Deutschland benötigt werden?«

»Achtzig Pfennig«, sagte Frau Antome, denn sie hatte sich in der Boutique danach erkundigt.

»Das ist mir bekannt«, gab Frau Klaasen-Knittelbeek mit einem liebenswürdigen Lächeln zurück, »ich hatte auch in erster Linie an die Währung gedacht. Befinden wir uns noch in Österreich oder schon in Ungarn?«

Daran hatte nun wiederum Frau Antonie nicht gedacht. »Das Beste wird sein, wir stecken die Karten erst wieder in Deutschland in einen Briefkasten.«

»Da haben Sie recht«, sagte Frau Klaasen-Knittelbeek. Dann schwieg sie, weil ihr nichts mehr einfiel. Der Zufall kam ihr in Gestalt einer Mutter mit zwei Kindern zu Hilfe, die sich nicht einigen konnten, ob sie nun lieber Schwarzer Peter oder Memory spielen wollten. Als der verbale Streit in Handgreiflichkeiten ausartete, verließ Frau Antonie den Raum, nicht ohne mit einem beziehungsreichen Blick zu den kleinen Radaubrüdern festzustellen: »Kinder gleichen den Lotterielosen. Viele bleiben ungezogen.«

Frau Klaasen-Knittelbeek trabte hinterher. »Da bin ich ganz Ihrer Meinung! Was halten Sie davon, wenn wir uns in den kleinen Salon zurückziehen?«

Frau Antonie hielt viel davon.

»Es wird mir ein ewiges Rätsel bleiben, weshalb der Five o’Clock Tea überall schon um vier Uhr serviert wird«, sagte Frau Klaasen-Knittelbeek und orderte welchen. »Sogar in London ist das üblich.« Frau Antonie nickte zustimmend, obwohl sie noch niemals in England gewesen war.

Bei Earl Grey und Heidelbeer-Muffins war man sich schließlich näher gekommen. Frau Antonie erzählte von Ernst Pabst und seinem Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholt hatte, von ihrem Sohn Karsten und den beiden Juweliergeschäften in Düsseldorf, und Frau Klaasen-Knittelbeek brachte ihren Alfons ins Gespräch, ohne jedoch näher auf dessen so wenig elegante Art des Geldverdienens einzugehen. Auch datierte sie das Todesdatum ihres Gatten um zwei Jahrzehnte nach vorne, weil ihr das seriöser erschien als die Tatsache, seit 43 Jahren verwitwet zu sein.

 

Die Damen Reutter, Helmers und von Rothenburg hatten die neue Freundschaft, die auch nach der Reise weiter gepflegt wurde, zunächst mit Wohlwollen betrachtet, zeigte sie doch, dass Frau Antonie wieder am gesellschaftlichen Leben teilnahm. So schluckten sie auch noch ihre Absage für den ersten Canasta-Abend nach der Reise sowie ihre Weigerung, die Busfahrt nach Brüssel mitzumachen, da sie bereits anderweitig verabredet sei, doch als sie auch dem Nachmittagskaffee fernblieb, bei dem man gemeinsam die Urlaubsfotos betrachten wollte, wurde Frau Helmers misstrauisch. »Ist sie denn nur noch mit dieser Knottelmann zusammen?«

»Knittelmann«, korrigierte Frau Reutter und erzählte, dass sie ebendiese in Begleitung von Frau Antonie an der Theaterkasse getroffen hatte. »Antonie würde niemals freiwillig in ein Musical gehen!«, schnaufte sie und fächelte sich mit dem Taschentuch Luft zu. »Sie hat immer gesagt, dass ihr diese moderne Form der Operette nicht liegt.«

Frau von Rothenburg bemerkte, für sie selber käme nur die Oper in Frage, doch das sei letztendlich Geschmacksache, und ob es nicht opportun erscheine, die Dame Klaasen-Knittelbeek einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. »Mein Neffe arbeitet doch bei der Kriminalpolizei.« Dass er dort Pförtner war, verschwieg sie allerdings. Doch auch Pförtner kennen Leute, die an der richtigen Stelle sitzen, und so dauerte es nur wenige Tage, bis Frau von Rothenburg ihren Freundinnen mitteilen musste, dass gegen Frau Klaasen-Knittelbeek bedauerlicherweise rein gar nichts vorläge. Nicht mal ein paar Punkte in Flensburg.

Nach dem Theaterabend, der aus Frau Antonie eine begeisterte Anhängerin von Musicals machte, hatte Frau Klaasen-Knittelbeek noch zu einem kleinen Imbiss in eine Weinstube geladen, doch als sie gegen Mitternacht ein Taxi bestellen wollte, weil »ich wohl ein Glas zu viel getrunken habe, um noch selber fahren zu dürfen«, bot ihr Frau Antonie spontan das Gästezimmer an. »Das dürfen Sie mir auf keinen Fall abschlagen, liebe Dorothee«, hatte sie gesagt, »ich wäre im Gegenteil froh, einmal nicht allein frühstücken zu müssen.«

Die liebe Dorothee akzeptierte diesen Vorschlag nur zu gern, hatte sie doch schon die ganze Zeit auf eine Gelegenheit gewartet, Frau Antonies ›kleines Häuschen‹ in Oberkassel zu besichtigen. »Erwarten Sie nicht zu viel, meine Liebe«, sagte die, während sie dem Taxifahrer die Adresse nannte, »es ist nur ein Reihenhaus, etwas Größeres hätten wir uns damals gar nicht leisten können, und später, als das Geschäft richtig gut lief, wollten wir nicht mehr weg. Warum auch? Die Kinder waren bereits aus dem Gröbsten heraus und verließen bald darauf das Elternhaus, und für Ernst und mich steckte das Haus voller Erinnerungen, die wir nicht mehr missen wollten.« Frau Antonie schluchzte leise und schnaubte dann nachdrücklich in ihr Taschentuch. »Seit einiger Zeit trage ich mich allerdings mit dem Gedanken, das Haus zu verkaufen. Es ist einfach zu groß für mich allein, und es werden gerade so hübsche Wohnungen gebaut mit allem Komfort und einem herrlichen Blick auf den Rhein. Meine Kinder raten mir ebenfalls zu.«

»Wahrscheinlich will eins von ihnen selber einziehen«, sagte Dorothee ein wenig neidisch. Wer in Oberkassel ein Haus besaß, und sei es nur ein kleines, der würde ein halbes Vermögen dafür bekommen und sich jede gewünschte Wohnung leisten können.

»Das ganz bestimmt nicht!«, kam es etwas empört zurück. »Mein Sohn hat sich in Meerbusch so eine moderne doppelstöckige Dachterrassen-Wohnung gekauft, und Ernestine und ihr Mann besitzen schon lange ein Einfamilienhaus. Übrigens nur fünf Minuten von mir entfernt.«

Dorothee schwieg beeindruckt. Meerbusch lag zwar auch etwas außerhalb, gehörte jedoch zu den sehr guten Adressen, und was Antonie beschrieben hatte, übersetzte Dorothee in den ihr geläufigen Terminus: Penthouse-Wohnung im Maisonette-Stil. Nun ja, Juweliere gehörten niemals zu den unteren Einkommensgruppen, doch wie konnte sich der Redakteur einer simplen Tageszeitung ein Haus in Oberkassel leisten? »Verdient man denn bei der Presse so viel?«, fragte sie neckisch. »Ich meine, wenn man nicht gerade der Verleger ist.«

Frau Antonie lächelte, als sie an Florians Tante Klärchen dachte, jene altjüngferliche Studienrätin in Tübingen, der im fünften Lebensjahrzehnt ein glücklicher Zufall den amerikanischen Korsettfabrikanten Donald McPherson über den Weg und gleich in ihre Arme geschickt hatte. Sie heiratete ihn, nannte sich fortan Claire, übersiedelte in die Staaten, brachte ihr Erspartes in die Firma ein, wurde Teilhaberin und kümmerte sich in erster Linie um die Finanzen. Als ihr Mann starb, verkaufte Klärchen den Betrieb und zog nach Florida. Da sie ihn um fast dreißig Jahre überlebte, hatte sie Zeit genug gehabt, das nicht unbeträchtliche Vermögen bis auf einen bescheidenen Rest aufzubrauchen, und diese zweihunderttausendundetwas Dollar hatte Florian auch noch mit seinem Bruder Fabian teilen müssen. Allerdings war der Wechselkurs seinerzeit wesentlich günstiger gewesen als heute, und so hatte das Geld als Grundstock für das hübsche Haus gereicht.

»Mein Schwiegersohn hatte eine Tante beerben können«, sagte Frau Antonie, nicht gewillt, Einzelheiten über Tante Klärchen zu erzählen, und Dorothee gab sich zufrieden. Die schienen ja alle ganz gut betucht zu sein.