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Impressum und Danksagung

Herausgeberin

Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Bonn

Veröffentlicht im

Verlag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V.

Michaelkirchstraße 17/18, 10179 Berlin

www.deutscher-verein.de

Auslieferung über den Lambertus-Verlag:

www.lambertus.de

ISBN: 978-3-7841-2752-1

ISBN E-Book: 978-3-7841-2753-8

eISBN: : 978-3-7841-2774-3

Veröffentlicht mit Förderung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)

Projektleitung

Caroline Eckmann, Bonn

Redaktion

Caroline Eckmann, Bonn

Lieselotte Rowley, Berlin

Korrektorat

Antje Utermann-Funke, Dortmund

Gestaltung und Satz

labor b designbüro, Dortmund

Grafik (wenn nicht anders angegeben)

labor b designbüro, Dortmund

Illustrationen

Stefan Eling, Köln

Download von Arbeitsblättern und Abbildungen:

www.deutscher-verein.de/de/buchshop-des-dv-materialien-1946.html

Dankeschön

An dieser Stelle möchten wir als Herausgeberin allen danken, durch die dieses Buch erst möglich wurde: Caroline Eckmann hat als Redaktions- und Projektleiterin maßgeblich dazu beigetragen, dass dieses Buch in dieser Form heute vorliegt. Das gilt auch für die Autorinnen und Autoren, die ihre Erfahrung hier offen für alle zur Verfügung stellen – Monika Menzel danken wir außerdem für ihr großes Engagement als Leiterin der Projektsteuergruppe. Dank geht auch an die vielen Teilnehmenden der nunmehr sechs »Durchläufe« unserer Qualifikation. Sie haben uns mit ihren ehrlichen und kritischen Rückmeldungen inspiriert, immer wieder Planungen zu hinterfragen, Neues zu entwickeln, Bestehendes zu verändern. Das Gleiche gilt für die zahlreichen Akteurinnen und Akteure vor Ort, die »Gradmesser« unserer Wirksamkeit, die Teilnehmenden der Montagsplenen, Sommerakademien und Feedback-Runden. Weiterhin danken wir den Referentinnen und Referenten unserer Fachveranstaltungen, die uns auf vielfache Weise inhaltlich bereichert und inspiriert haben. Erwähnen möchten wir auch die kritischen Leserinnen und Leser, an dieser Stelle besonderen Dank an Elena Lazaridou und Thomas Werner mit ihren kommunalen Perspektiven. Hervorzuheben ist die sehr kooperative Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Vereins sowie unseren Partnern für Layout und Illustration, labor b und Thomas Eling. Nicht zuletzt bedanken wir uns für die kollegiale Unterstützung durch das gesamte Team der Montag Stiftungen und alle guten Geister im Haus, die immer dafür gesorgt haben, dass wir räumlich, technisch und versorgungsmäßig gute Grundlagen hatten.

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Wir bedanken uns außerdem bei der Aktion Mensch für die Unterstützung des Projektes. Besonders hinweisen möchten wir auf das Förderprogramm Inklusion, mit dem die Aktion Mensch Projekte und Initiativen unterstützt, die vor Ort unterschiedliche Akteure aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens vernetzen. So soll das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung ermöglicht und damit Inklusion in den regionalen Lebensweltbezügen umgesetzt werden. Ziel des Förderprogramms ist die Schaffung von Vernetzungsstrukturen. Informationen unter: www.aktion-mensch.de/projekte-engagieren-und-foerdern/foerderung.html

Vorwort

Über dieses Buch

Anlässe – Prozesse begleiten, Inklusion umsetzen

Voraussetzungen – 14 Punkte, ohne die es nicht geht

Module

1 Einführung und Grundlagen

2 Die Rolle als Prozessbegleiterin/-begleiter klären und stärken

3 Die Prozessbegleitung anlegen und beginnen

4 Haltung, Standpunkt, Zielorientierung

5 Mit Vielfalt und Widerständen umgehen

6 Selbstreflexion und Methodenrepertoire

7 Systemische Beratung inklusiv gestalten

8 Die Rolle und Funktion von Steuerungsstrukturen

9 Abschluss und Ausblick: Eine Prozessbegleitung beenden

Ausblick – So kann es weitergehen

Anhang

Das Projekt wurde unterstützt von: image

Inklusion auf dem Weg

Das Trainingshandbuch zur Prozessbegleitung

Vorwort

Karl-Heinz Imhäuser

Vorstand der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

Nichts ist beständiger als der Wandel. Wo immer es um Veränderungsprozesse geht, ist diese Weisheit, die mal dem Griechen Heraklit, mal dem Engländer Charles Darwin zugeschrieben wird, ein wiederkehrender Topos. Wie schnell der Wandel unserer Welt heute ist und wie weitreichend er in unsere Gesellschaft hineinwirkt, zeigt sich an vielen Stellen. Es sind die ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen dieses Wandels, die inzwischen die Errungenschaften und Antriebe unseres Fortschrittsmodells infrage stellen: Freiheit, Demokratie, Humanität, Solidarität. Viele der kommenden Herausforderungen in unserer Gesellschaft sind deshalb sozialer und institutioneller Natur: Unsere Gesellschaft ist angewiesen auf soziale Innovationen, die im Wandel ein menschenwürdiges Miteinander ermöglichen.

Zu den zentralen Herausforderungen, für die wir Antworten und Lösungen benötigen, gehört der Umgang mit Vielfalt. Als Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft beschäftigen wir uns intensiv mit der Frage: Sind wir, sind unsere Institutionen, Quartiere, Kommunen und Gemeinwesen aufnahmefähig und bereit für die normale Vielfalt unserer Gesellschaft? Der Migrationsforscher Mark Terkessidis bezeichnet dieses neue Paradigma der Anerkennung und Wertschätzung von Diversität als »Motor, um das Funktionieren und die Legitimation der Institutionen auf den Prüfstand zu stellen. Die neue Politik muss postintegrativ sein, sie muss abheben auf eine interkulturelle Öffnung der Institutionen, auf die Herstellung dessen, was der Schriftsteller Breyten Breytenbach einmal als Infrastrukturen des Verknüpfens‹ bezeichnet hat.«1

Wir sind an einem Wendepunkt, an dem das Verbindende Vorzug haben muss vor dem Trennenden und Separierenden. Es ist eine Zeit, in der Altes umgewendet werden muss, damit unser soziales und institutionelles Miteinander sich wandeln und neu definiert werden kann. Für uns ist Inklusion ein Weg, das Verbindende in der Welt fester zu verankern und damit unser Zusammenleben auf eine flexiblere und Vielfalt tragende Basis zu stellen.

Dabei ist Inklusion selbst ein Verändern des Bestehenden in einem langen, offenen Prozess. Inklusion ist wie eine Expedition in eine für uns alle neue Landschaft. Man begibt sich auf unbekanntes Terrain, sucht gemeinsam nach dem besten Weg, löst Herausforderungen, entdeckt Neues. Was man weiß, kann falsch, veraltet oder unzureichend sein, es bedarf der Ergänzung, es muss zu den immer einzigartigen Gegebenheiten und Umgebungen passen.

Seit fast zehn Jahren beschäftigen wir uns mit der Durchführung solcher Expeditionen auf dem Weg der Inklusion, unter anderem auf Basis unseres Praxisbuches »Inklusion vor Ort – Der kommunale Index für Inklusion«. Wir sind überzeugt, dass es gut und hilfreich ist, auf dem Weg erfahrene Expeditionsbegleiterinnen und -begleiter an der Seite zu haben. Ihre Aufgabe: einen Begleitprozess zu starten und in Gang zu halten, Bestände und Ergebnisse zu sortieren und zu sichern und die stets im Fluss befindliche Grenze zwischen dem Beständigen, dem Wandelbaren und dem noch zu Entdeckenden immer wieder neu zu bestimmen.

Seit acht Jahren qualifizieren wir solche Expertinnen und Experten für inklusive Prozesse, die Menschen und Organisationen auf ihrem Weg begleiten. Mit diesem Trainingshandbuch stellen wir unsere Erfahrungen zur Verfügung. Wir freuen uns, wenn wir damit viele Menschen ermutigen und unterstützen können, den Weg des Wandels selbst mitzugestalten und zu begleiten. Schließlich haben wir auch diese Erfahrung bei allen Expeditionen immer wieder machen dürfen: Nichts ist wandelbarer als das Beständige.

1 Terkessidis 2010, S. 73 f.

Über dieses Buch

 

Barbara Brokamp

Ludger Deckers

Raymund Elfring

Wiebke Lawrenz

Monika Menzel

Thomas Müller-Heßling

Raimund Patt

Andrea Platte

Christian Schmidt

Ansgar Stracke-Mertes

 

Inklusion zielt auf eine an den Menschenrechten orientierte Veränderung von Gesellschaft. Sie ist international anerkannt als Leitidee und ein Weg, um den Herausforderungen einer von Vielfalt geprägten Welt menschenwürdig zu begegnen. Ob im Bildungsbereich oder auf kommunaler Ebene: Initiativen zur Umsetzung von Inklusion gibt es überall. Längst gibt es auch zahlreiche Hilfsmittel und Anleitungen, Standards und Empfehlungen, verschiedene Varianten des »Index für Inklusion« und mehr.

Doch das Umsetzen von Inklusion bleibt eine Herausforderung. Denn Inklusion bedeutet Veränderung – und eine Veränderung bestehender Systeme ist ein komplexer Vorgang. Eine solche inklusive Umgestaltung zu organisieren und unter Einbeziehung aller verantwortungsvoll zu gestalten – das ist die Herausforderung, vor der viele Organisationen heute stehen.

Als Autorinnen und Autoren dieses Buches kennen wir diese Herausforderung sehr gut. Wir sind seit vielen Jahren als Begleiterinnen und Begleiter inklusiver Veränderungsprozesse unterwegs. Wir wissen, wie anspruchsvoll diese Aufgabe ist. Als Trainerinnen und Trainer haben wir zusammen mit der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft ein Qualifizierungsangebot entwickelt, mit dem wir unsere Erfahrungen aus der Prozessbegleitung an andere weitergeben. Viele Menschen haben an verschiedenen Orten und aus ganz verschiedenen Zusammenhängen bereits an unseren Qualifizierungen teilgenommen. Sie alle tragen das Gelernte und Erlebte weiter, in ihren Einrichtungen vor Ort, in ihren Schulen und Kommunen, in ihren beruflichen und privaten Umfeldern.

Auch wir wollen das Gelernte und Erlebte weitergeben: Mit diesem Buch stellen wir unser Fortbildungskonzept als reflektiertes Erfahrungswissen zur Verfügung. Welche Gedanken uns bei der Zusammenstellung dieser Veröffentlichung begleitet haben und welche Voraussetzungen wir für ihre Anwendung sehen, beschreiben wir in den folgenden Kapiteln. Anschließend stellen wir das eigentliche Konzept vor: Module und Arbeitsblätter für eine inklusive Qualifizierung von Prozessbegleiterinnen und -begleitern, wie wir sie in unserer Praxis nutzen: in Bildungseinrichtungen und Kommunen, für verschiedene Auftraggeber und vielfältig zusammengesetzte Gruppen. Wir selbst haben unser Konzept in sechs Jahren immer weiter ausgebaut und weiterentwickelt. Wir freuen uns, wenn diese Weiterentwicklung nun an vielen Stellen von vielen weitergeführt wird.

Anlässe – Prozesse begleiten, Inklusion umsetzen

 

Erfahrungen aus der Praxis

Im Jahr 2008 haben wir in der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft zum ersten Mal eine Qualifizierung für Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter durchgeführt. Dabei ging es zunächst um einzelne Fragestellungen, die sich aus dem Bedarf von Kitas und Schulen bei der Umsetzung von Inklusion ableiteten. Unser Ausgangspunkt war die Leitfrage: Wie kann man inklusives Denken und Handeln so in die Entwicklung von Bildungs- und anderen Einrichtungen einbringen, dass sie nicht nur ein abstraktes Ziel sind, sondern auch der gemeinsame Weg? Wie kann Inklusion auch die Vorgehens- und Arbeitsweisen und unser glaubwürdiges Auftreten nachhaltig prägen?

Im Mittelpunkt stand für uns zunächst die Arbeit mit dem Index für Inklusion. Die Arbeit mit den Fragen aus dem Index in den von uns begleiteten Einrichtungen zu etablieren, spielte eine zentrale Rolle. Auch die Nachhaltigkeit der Entwicklung war von Anfang an ein wichtiges Thema: Alle Prozesse wurden von uns genau dokumentiert und im Nachgang gemeinsam im Team reflektiert. Dabei haben uns die jeweiligen Teilnehmenden durch viele Hinweise und Feedbacks, durch Berichte aus ihrer Praxis und aus anderen Zusammenhängen viele wertvolle Anregungen gegeben, die permanent in die Weiterentwicklung eingeflossen sind.

So haben wir unsere Fortbildung im Laufe der Zeit immer weiter verändert: In vielen verschiedenen Einrichtungen und Kontexten wurden immer wieder Formate angepasst, neue Inhalte eingebaut, Methoden verfeinert und differenziert, individuelle Ausrichtungen vorgenommen. Hervorgegangen ist daraus der aktuelle Stand unseres Konzeptes, wie wir es hier vorstellen: neun Module, die ganz verschiedene Themen der externen Begleitung inklusiver Prozesse widerspiegeln.

Zielgruppen und Adressaten

Unser Buch richtet sich in erster Linie an Trainerinnen und Trainer, die unser Fortbildungskonzept durchführen wollen, um andere zur Prozessbegleitung zu qualifizieren. Damit richtet es sich an alle Einrichtungen und Träger von Einrichtungen, die in ihrem Umfeld mit der Umsetzung von Inklusion befasst sind. Sie erhalten in diesem Buch vielfältige Anregungen zum Aufbau eigener Strukturen und Prozesse für die inklusive Weiterbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Partnerinnen und Partnern. Weiterhin gehören zu den Adressaten aber auch alle Menschen, die – ob als Träger, Trainerinnen und Trainer, Teilnehmende oder im weitesten Sinne Interessierte – wissen wollen, welche konkreten praktischen Erfahrungen es für die Begleitung und Umsetzung von Inklusion gibt. Da das gesamte Konzept der Fortbildung selbst inklusiv ausgerichtet ist, ist das Buch auch als Beispiel und letztlich Gewinn für jede und jeden zu verstehen: für eine konkrete Anwendung inklusiver Werte in der Praxis wie in der eigenen persönlichen Entwicklung zu einer inklusiven Haltung.

Bildungseinrichtungen, Kommunen, Organisationen als soziale Systeme

Als wir anfingen, unser Konzept zu entwickeln, gingen wir zunächst von der Begleitung von Kitas und Schulen aus. Von ihnen kamen die ersten Bedarfsmeldungen, hier fanden die ersten Begleitungen statt. Im Laufe der letzten Jahre wurde der Kreis der Organisationen, die wir beraten, größer: Bildungseinrichtungen im weiteren Sinne, Kommunen und kommunale Einrichtungen. Deren Entscheidungsstrukturen, personelle Zusammensetzungen und Funktionsweisen sind zum Teil sehr unterschiedlich. In den Modulen versuchen wir, auf einige Besonderheiten einzugehen. Es bleibt jedoch eine wichtige Aufgabe jeder Prozessbegleitung, selbst vor Ort herauszufinden, wie die spezifischen Bedingungen und Herausforderungen am besten adressiert werden können.

Neben individuellen Unterschieden und Besonderheiten gibt es auf einer übergeordneten, systemischen Ebene auch Gemeinsamkeiten: Wie soziale Systeme sich grundsätzlich zusammensetzen, verhalten und verändern, spielt als Hintergrund und Basis jeder Begleitung eine wichtige Rolle.

Wie in den verschiedenen Systemtheorien betrachten wir Organisationen und Geschehnisse nicht nur aus der Perspektive individueller Merkmale oder Eigenschaften der beteiligten Personen, sondern vor dem Hintergrund ihrer Interaktionen. Jedes System setzt sich aus unterschiedlichen Teilen zusammen, die miteinander in Beziehung stehen. Der Zustand jedes Elementes innerhalb eines Systems wird durch alle anderen Elemente mitbestimmt. Ein System besitzt also eine Struktur und eine Dynamik. Die Beziehungen zwischen den Teilen eines Systems sind bei lebenden Systemen – wie einer Organisation oder einer Kommune – nicht statisch, sondern verändern sich. Systeme haben also einerseits stabile Strukturen, sie sind andererseits durch kommunikative Prozesse in einem ständigen Wandel. Hierauf werden wir in Modul 7 noch näher eingehen.

Ein Veränderungsvorhaben wie Inklusion ist ein bedeutender Eingriff in die Stabilität bzw. in die momentane Ordnung eines Systems. Systemisch gesehen kann jede kleine Bewegung zu großen Wellen führen – das System versucht, wieder in die Balance zu kommen, und gerät dazu selbst in Bewegung. Eine solche Veränderung ist nicht immer vorhersehbar oder sogar planbar – deshalb stiftet sie Verwirrung und verunsichert die Beteiligten. Die Leitidee Inklusion ist jedoch nicht nur der Impuls, der Systeme vorübergehend »durcheinanderbringt«, sondern bietet selbst wiederum eine Basis, um eine neue Stabilität, eine neue Ordnung zu etablieren.

Inklusion impliziert mit ihren Werten bereits eine systemische Sicht auf Veränderung: Offenheit, Partizipation, Wertschätzung und Ressourcenorientiertheit sind Haltungen, die es ermöglichen, Veränderung nachhaltig zu gestalten. Veränderungsprozesse mit der Leitidee Inklusion systematisch zu begleiten und entsprechend der Werte im persönlichen und systemischen Kontext zu handeln, ist die Grundidee, zu der diese Fortbildung einen wichtigen Beitrag liefert.

Externe Prozessbegleitung als Ressource

Eine systematisch gestaltete Umsetzung von Inklusion erfordert Ressourcen – die externe Begleitung von Prozessen ist eine solche Ressource. Sie unterstützt Menschen in Systemen dabei, ihre Ideen und Vorstellungen von Inklusion zu reflektieren und umzusetzen. Sie hilft mit dem Blick von außen, die inklusive Qualität des Prozesses zu überprüfen, und schafft die Grundlage dafür, Veränderung gemeinsam und nachhaltig zu entwickeln.

Eine externe Begleitung

fungiert von außen als neutraler Wegbereiter und Wegweiser, sorgt für Stabilität im Prozess und kann inklusives Handeln live vorleben;

stellt sicher, dass es wirklich um die Sache und den Prozess geht und nicht Interessen einzelner Personen oder Personengruppen in den Vordergrund rücken;

motiviert zur Teilhabe und erleichtert es anderen, sich einzubringen, weil sie unabhängig von Rollen und Funktionen und eventuell bestehenden Abhängigkeiten im System agiert;

ermöglicht es, dass der Prozess von möglichst vielen/allen gestaltet wird. Durch eine gute Moderation können Vorhaben realistisch geplant und konkrete Maßnahmen von allen umgesetzt werden;

kann helfen, bestimmte Verhaltensmuster oder »blinde Flecken« zu erkennen und zu hinterfragen, die oft intern nicht mehr wahrgenommen werden und die sich als Stolpersteine oder Barrieren auswirken können – für einzelne Mitglieder oder für das ganze System. Ohne persönliche Beziehung zu dem System können solche Muster nicht nur leichter infrage gestellt werden – das Infragestellen wird dann auch leichter angenommen;

gibt durch ihr Handeln ein Feedback, durch das während der Prozessentwicklung neue Ressourcen und Möglichkeiten entdeckt und freigesetzt werden können, die ohne fremde Hilfe möglicherweise nicht zum Tragen kommen. Je komplexer ein Veränderungsprozess ist, desto anspruchsvoller und vielfältiger werden die Erwartungen an die Akteurinnen und Akteure im System. Dies alles im Blick zu behalten, ist Aufgabe professioneller Begleiterinnen und Begleiter;

hat in der Regel Erfahrung in unterschiedlichen Organisationen und kennt typische »Fallen«. Sie handelt nicht aktionistisch und achtet darauf, das »Ganze« im Blick zu haben;

sorgt für Kontinuität und Realismus und ist dabei immer auch als Metaebene präsent: Sie moderiert, befragt, reflektiert und berät, bringt Expertise und Know-how ein, schlichtet Konflikte und trägt zu einer guten Kommunikationskultur bei.

Eine externe Begleitung bedeutet jedoch nicht, dass die Verantwortung für die Veränderung eines Systems nach außen abgegeben wird. Externe Prozessbegleiterinnen und -begleiter werden nie stellvertretend für eine Organisation Lösungen entwickeln und deren Umsetzung übernehmen. Jedes System ist immer für sich selber verantwortlich. Die Begleitung schafft dafür einen tragfähigen Rahmen.

Das Lernen von Organisationen

Wenn Organisationen, Bildungseinrichtungen oder Kommunen entscheiden, sich mit dem Leitgedanken der Inklusion weiterzuentwickeln, kann das auch als Lernprozess beschrieben werden.

Organisationales Lernen wird beispielsweise durch externe Bedingungen initiiert, wenn gesellschaftliche Anforderungen sich verändern, neue gesetzliche Bestimmungen zu beachten sind (z.B. die UN-Behindertenrechtskonvention bzw. die Aufgabe, Menschenrechte für alle Menschen zu realisieren), Werte sich wandeln oder Kundinnen und Kunden ihre Ansprüche verändern. Interne Bedingungen, die Lernen erzeugen, entstehen in Organisationen durch veränderte Ressourcen, neue Kolleginnen und Kollegen (in Schulen und Kindertageseinrichtungen auch neue Kinder und Eltern), neue Führungskräfte, neue vereinbarte Ziele, veränderte Haltungen und Bedarfe und die Bereitschaft ihrer Mitglieder zur Innovation.

Eine Organisation lernt, wenn sie ein Entwicklungsbedürfnis feststellt und relevante Entwicklungsziele identifiziert, die eigenen vorhandenen Ressourcen sichtbar macht, ihre aktuellen Überzeugungen, Wissensbestände, Fähigkeiten sowie vergangene Lernerfahrungen reflektiert, für die Zielerreichung prüft und sich aktiv aufmacht, Wissen und Fähigkeiten in Richtung der Entwicklungsziele zu erweitern. Gelernt hat eine Organisation, wenn sich durch den Entwicklungsprozess Haltungen, Wissen und Verhaltensoptionen vermehrt haben und diesbezügliche strukturelle Veränderungen gefestigt sind.

Die Rolle eines »Leitbildes«

Ein Leitbild gibt eine Orientierung für das Handeln einer Institution, eines Unternehmens, eines Bündnisses, einer Vernetzung, einer ganzen Kommune auf allen Ebenen. Es spiegelt sich – wie ein Regenbogen in jedem Wassertropfen – in jeder konkreten Handlung genauso wider wie in abstrakten Strategieentwicklungen oder z.B. der Kultur einer Vorstandssitzung. Ein Leitbild ist wertegeleitet und kein mechanisches Instrument. Es bildet ein Versprechen nach außen und nach innen ab. Wenn wir mit Einrichtungen zusammenarbeiten, die mit einem bestimmten Leitbild »werben«, dann erwarten wir, dass auch danach gehandelt wird und das Leitbild nicht nur »hohle Phrasen« abbildet.

Das stellt immer wieder eine Herausforderung dar: Wie können sich möglichst alle Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Beteiligte eines Systems an der Entwicklung des Leitbildes aktiv beteiligen und eine Kultur pflegen, die es erlaubt, trotz unterschiedlicher Sichtweisen in zentralen Aussagen gemeinschaftlich zu wirken?

Leitbilder können in einem Prozess in ganz unterschiedlichen Phasen (weiter-)entwickelt werden. Oft ist es gerade nicht sinnvoll, gleich zu Beginn eines Entwicklungsprozesses einen groß angelegten »Leitbildprozess« zu organisieren, wenn die Akteurinnen und Akteure noch keine Gelegenheit hatten, in den Dialog zu treten, ihre Arbeit zu gestalten, eigene Erfahrungen zu reflektieren und sie in die Leitbildentwicklung einfließen zu lassen. Sinnvoll ist es, einen Überblick über das Gesamtsystem zu haben und die vorhandenen Werte und Ziele der Organisation sichtbar zu machen.

Es gibt zahlreiche Hinweise und Tipps zur Entwicklung eines Leitbilds. Für uns haben sich folgende Kriterien als relevant gezeigt:

Ein inklusives Leitbild

ist an inklusiven Werten orientiert,

wird partizipativ und erfahrungsgeleitet entwickelt,

pflegt eine Atmosphäre des Vertrauens und des Dialogs,

wird realitätsnah und machbar formuliert,

ist für alle Ebenen verbindlich,

wird von allen transparent auf Handlungen im Alltag übertragen,

dient als Ziel für die Organisationsentwicklung,

hilft, Kulturen, Strukturen, Strategien und Praktiken zu reflektieren,

ist offen für Weiterentwicklung.

Auch für uns als Trainerinnen und Trainer, Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter wurde es immer deutlicher, dass wir uns nicht nur an inklusiven Werten orientieren, sondern für unsere Arbeit auch ein verbindliches Leitbild entwickeln wollten. In vielen Diskussionen, Reflexionen unserer Arbeit, Auswertungen unserer Erfahrungen formulierten wir in einem mehrtägigen Prozess schließlich die folgenden Sätze als unseren Anspruch an von uns gestaltete Prozessbegleitungen und unser konkretes Handeln.

Beispiel: Leitbild

Dieses Leitbild ist Orientierung für alle Prozessbegleitungen, die im Sinne dieses Konzeptes gestaltet werden, und hat damit verbindlichen Charakter für alle Trainerinnen und Trainer, Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter.

Präambel: Die Prozessbegleitung schafft Rahmenbedingungen für inklusive Lern- und Entwicklungsprozesse. Dabei dient der Index für Inklusion mit seinen Fragen als Instrument der Beteiligung und des Dialogs.

Freude: Die Freude an der Arbeit ist uns wichtig. Die Gestaltung einer einladenden Arbeitsumgebung ist für uns von herausragender Bedeutung. Die Interessen und Bedürfnisse der Beteiligten sind uns wichtig.

Optimismus: In unserer Arbeit sind wir getragen von Optimismus. Dieser speist sich aus dem Wissen um die Fähigkeiten des Einzelnen, der Gruppe und der Institution.

Achtsamkeit: Achtsamkeit gegenüber den Menschen und deren Anliegen während der Prozessbegleitung ist für uns handlungsleitend.

Beteiligung: Wir achten darauf, dass alle Gruppen/Personen einer Organisation am Prozess beteiligt werden, und unterstützen dies durch Methodenvielfalt und eine verständliche Sprache.

Zeit: Wir tragen dazu bei, dass der Prozess in einem für alle angemessenen Tempo verläuft.

Kommunikation: Wir unterstützen den Prozess durch authentische und offene Kommunikation mit Hilfe einer förderlichen Kritik- und Feeback-Kultur.

Fazit: Was können Sie von diesem Buch erwarten?

Wir wollen mit unserem Konzept dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft inklusiver wird. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Organisationen aus allen Bereichen Entwicklungsprozesse wie Inklusion mit einer externen Begleitung besser umsetzen können. Unsere Ressource ist die reflektierte Erfahrung, die wir weitergeben. Sie ist entstanden in einem langjährigen kooperativen Prozess, in dem wir unser individuelles Wissen in sehr solidarischer und bereichernder Weise zusammengetragen, mit anderen geteilt und selbst wieder neue Ideen und Anregungen zurückbekommen haben. Viele Menschen haben uns ihr Feedback geschenkt und dazu beigetragen, dass diese Ressource immer weiter gewachsen ist.

Wir hoffen, dass sie auf fruchtbaren Boden fällt. Wir sind gespannt, wie unser Konzept sich in anderen Zusammenhängen mit anderen Trainerteams bewährt und weiterentwickelt. Die Offenheit unseres Konzeptes ist uns dabei besonders wichtig: Wir werden weiterarbeiten an unserem Konzept und hoffen, dass es genau in diesem Sinne auch verstanden und genutzt wird. In der praktischen Anwendung und Anwendbarkeit liegt unser besonderer Anspruch.

Das bietet dieses Buch:

ein offenes Fortbildungskonzept als Angebot zur eigenen Gestaltung und Weiterentwicklung,

Erfahrungen aus der Praxis (»Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht«),

Fragen, weil die Arbeit mit den Fragen aus den verschiedenen Ausgaben des Index für Inklusion als anregendes und werteleitendes Instrument für uns eine zentrale Rolle spielt,

Ideen für die Umsetzung,

thematische Kontexte und inhaltliche Anregungen,

Begriffserklärungen, wie wir sie verstehen,

Literaturhinweise zu den Titeln, mit denen wir gearbeitet haben,

ein von inklusiven Werten geleitetes Unterstützungsangebot für die Begleitung inklusiver Prozesse.

Das bietet dieses Buch nicht:

ein fertiges Fortbildungskonzept zur 1:1-Umsetzung,

Checklisten und Anweisungen (»So wird’s gemacht«),

Antworten auf alle Fragen,

feste Abläufe und fertige Materialien,

eine umfassende Abhandlung von Themen,

ein allgemeines Glossar zur Prozessbegleitung,

vollständige Bibliografien zu den Themen,

ein Geschäftsmodell für die Organisationsentwicklung.

Voraussetzungen – 14 Punkte, ohne die es nicht geht

 

Das Konzept unserer Fortbildung bietet viel Spielraum für eigene Ideen, Abwandlung und Weiterentwicklung – das ist sogar ausdrücklich erwünscht. So, wie wir dieses Konzept in den letzten Jahren immer wieder verändert, angepasst und auf verschiedene Gruppen individuell ausgerichtet haben, wird es auch in Zukunft in jeder konkreten Umsetzung eine Neuinterpretation und Weiterentwicklung erleben.

Es gibt jedoch einige Punkte, die wir als Grundvoraussetzungen für die Durchführung ansehen. Es handelt sich dabei um die Eckpfeiler einer inklusiv ausgerichteten Fortbildung, die Inklusion nicht nur theoretisch »lehrt«, sondern in jedem Schritt konkret vorlebt. Wir legen diese Empfehlungen allen Trainerinnen und Trainern, Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleitern besonders ans Herz. Eine Fortbildung zur Begleitung inklusiver Prozesse kann aus unserer Erfahrung ohne die folgenden Punkte nicht funktionieren – oder umgekehrt: Diese Punkte ergeben sich ganz automatisch aus einer Arbeit, die Inklusion als Haltung selbstverständlich zugrunde legt.

1. Haltung: Inklusion gelingt nur inklusiv

Inklusion kann man nicht vermitteln, wenn man sie nicht selbst lebt. Denn Inklusion ist kein »Projekt«, kein Vorgang, den man in definierten Schritten »abarbeiten« und abhaken kann, sondern eine Haltung, die immer wieder und überall wirksam wird. Um diese Haltung lebendig werden zu lassen, ist es wichtig, dass Trainerinnen und Trainer, Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter inklusive Werte kennen und thematisieren – und gleichzeitig ganz natürlich in ihrem Handeln vorführen. Das Ziel und die Botschaft unserer Fortbildung lauten: Wir sind überzeugt von der Idee Inklusion. Und wir wollen mit unserem Angebot dazu beitragen, dass inklusive Werte sich in unserer Gesellschaft etablieren. Dabei liegt uns die inklusive Qualität der Prozesse am Herzen.

Wie bereits beim Leitbild erwähnt, verkörpern die Trainerinnen und Trainer, Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter deshalb idealerweise selbst inklusive Werte: Sie bieten allen Akteurinnen und Akteuren der zu begleitenden Organisation eine echte Teilhabe. Sie gehen wertschätzend mit sich und den Beteiligten um, sie akzeptieren und respektieren unterschiedliche Sichtweisen, sie arbeiten ressourcenorientiert und sorgen für Nachhaltigkeit. Sie teilen ihre Expertise in den Bereichen Organisationsentwicklung und systemisches Denken. Sie machen Mut und motivieren, bleiben dabei selbstkritisch, sind sich der Widersprüche in unserer Gesellschaft und der daraus resultierenden großen Herausforderungen und Anstrengungen bewusst. Sie leben ein Modell vor und haben ein großes Repertoire an Moderationsmethoden, die diesem Anliegen gerecht werden. Sie begreifen Prozessbegleitung als wertvolle Ressource.

2. Ein inklusives Lernverständnis

»Bildung ist eine den Menschen befreiende Aktion.« Dieser Satz von Martin Buber passt zu unserem Bildungs- und Lernverständnis. Ziel der Fortbildung ist nicht so sehr das »Beladen« von Menschen durch einen Transfer von Wissen, sondern die Öffnung neuer Horizonte für individuelle Bildungsprozesse, die zu erweiterten oder neuen Kompetenzen in der Begleitung von Veränderungsprozessen führen. Das ist nur dann möglich, wenn eine Fortbildung zu selbstständigen Lösungen herausfordert und die Teilnehmenden sich als ein lebendiger Teil mit ihr verbinden. Lernprozesse generieren sich im Menschen selbst und werden durch ihn gesteuert. Lernende, die beim Lernen Selbstwirksamkeits- und Kompetenzerfahrungen machen, entwickeln Zuversicht in ihre eigene Entwicklungsfähigkeit.

Für uns wird ein inklusiver Lernprozess dann erfolgreich begleitet, wenn die Lernenden – wie die Organisationen, in denen sie tätig sind – zu neuen Haltungen und Orientierungen, neuen Erkenntnissen und erweiterten Handlungsoptionen kommen. Dazu muss jeder Lernschritt Gelegenheit geben: den eigenen Entwicklungsprozess in den Blick zu nehmen, eigene Widerstände zu erkennen und zu reflektieren, um daraus weitere Entwicklungsvorhaben abzuleiten. Es ist die inklusive Qualität einer Fortbildung, die den Teilnehmenden Raum gibt, sich immer wieder selbst als Lernende zu erleben, sich zu orientieren und sich für das eigene Lernen und das Lernen der Gruppe verantwortlich zu fühlen.

3. Rollenklarheit: Prozessbegleiterinnen und -begleiter agieren auf verschiedenen Ebenen

Die Begleitung von inklusiven Veränderungsprozessen zeichnet eine besondere Komplexität aus. Das erfordert von den Prozessbegleiterinnen und -begleitern eine große Bewusstheit ihrer Rolle im Prozess und gleichzeitig eine Distanz, aus der sie jederzeit eine Metaebene im Prozess einnehmen können. Dazu gehört auch die Klarheit darüber, dass man als Prozessbegleiterin/-begleiter immer in zwei Prozessen gleichzeitig eine Rolle spielt: dem eigenen Begleitprozess, für den man einen Auftrag erhalten hat, den man beginnt, steuert und abschließt, – und dem Entwicklungsprozess der Organisation, der weit über den Ausschnitt der begleiteten Phase hinausgeht. Der Begleitprozess ist ein eigener, in Schritten geplanter Prozess, der zu jeder Phase des Entwicklungsprozesses einsetzen und abschließen kann. Ein Prozess begleitet den anderen. Trainerinnen und Trainer, die mit unserem Konzept arbeiten, sollten diese Rollenklarheit nicht nur selbst vorleben, sondern auch im Laufe der Fortbildung an den relevanten Stellen immer wieder thematisieren.

Wer Rollenklarheit hat

kennt sowohl die eigenen als auch die Erwartungen der unterschiedlichen Prozessbeteiligten und kann sie, wenn nötig, kommunizieren und klären,

unterscheidet zwischen den eigenen Erwartungen und den Erwartungen anderer,

unterscheidet zwischen den Aufgaben einer Prozessbegleitung, einer Moderation, einer Beratung, einer Mediation,

fühlt sich verantwortlich für den Begleitprozess und gestaltet diesen selbstbewusst, belässt Entwicklungsgeschwindigkeit und -ergebnisse jedoch in der Verantwortung der beteiligten Personen und der Organisation,

ist nicht parteiisch und hält eigene Gefühle und Zielvorstellungen außen vor,

kann mit möglichen Widersprüchen in seinen unterschiedlichen Rollen umgehen,

klärt: Wer bin ich in diesem konkreten Veränderungsprozess, und was soll und darf ich hier tun? Wer bin ich als Prozessbegleiterin/-begleiter? Welche Art der Begleitung entspricht mir und meiner Aufgabe? Welche Interventionen setze ich, wann rede und wann schweige ich? Welche Ressourcen habe ich? Was sind meine Kompetenzen und meine Grenzen?

4. Selbstreflexion: Lehrende sind Lernende

Die Selbstreflexion ist eine wichtige Voraussetzung und Bestandteil dieser Rollenklarheit. Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter sind Beraterinnen und Berater in einem geleiteten Prozess – und gleichzeitig Subjekt des eigenen Lernprozesses. Sie leben im Wechsel zwischen Sach- und Metaebene, zwischen lehrender und lernender Rolle. Umgekehrt sind auch die Teilnehmenden an einer Prozessbegleitung nicht nur Lernende, sondern auch Lehrende: Sie nehmen Anregungen von außen auf – und sind im Sinne von Partizipation und Verantwortungsübergabe ebenso auch Lehrende, die mit ihrem Feedback und ihrer Teilhabe am Prozess wichtige Anregungen und Informationen an die Prozessbegleiterinnen und -begleiter zurückspiegeln. Dasselbe gilt für die Trainerinnen und Trainer, die eine Qualifizierung leiten. Dieses permanente Zurückspielen von Erfahrungen aus dem Prozess in die eigene Tätigkeit ist eine Grundvoraussetzung, um inklusive Veränderung glaubwürdig zu vermitteln und die eigene Kompetenz permanent weiterzuentwickeln.

5. Feedback: eine Kultur der gegenseitigen wertschätzenden Rückmeldung

Jeder Mensch ist von Rückmeldungen abhängig, um die Wirkung seines Handelns oder seiner Aussagen zu spüren. Feedback ist in inklusiven Prozessen aber keine bloße Technik, sondern eine Kultur, die inklusiven Werten entspricht. Auch wenn es verschiedene Techniken gibt, um Feedback einzuholen, zu geben, zu organisieren (darauf gehen wir in mehreren Modulen ein), kommt es uns hier vor allem auf die Grundhaltung an: Feedback ist eine Voraussetzung dafür, dass alle teilnehmenden Menschen in einem inklusiven Prozess lernen und seine Entwicklung beeinflussen können. Feedback erlaubt es, einzelne Prozessschritte, Lernentwicklungen und die Qualität der Beteiligung aller zu reflektieren. Sich selbst ein Feedback geben heißt, über »Gipfelerlebnisse« und »Abgrunderfahrungen« im eigenen Entwicklungsprozess nachzudenken, die eigene Kompetenzentwicklung darzustellen und sich über die Rückmeldung der Gruppe zu orientieren. Bereits im ersten Modul empfehlen wir deshalb, ein gegenseitiges konstruktives und wertschätzendes Feedback als Grundelement einzuführen – und im Verlauf der Fortbildung als Kultur zu etablieren.

6. Index(e) für Inklusion: Fragen statt Antworten

Inklusion hat viel damit zu tun, bestehende Strukturen, Kulturen und Praktiken zu hinterfragen. Mit diesem Ziel hat Tony Booth (2000) auch den ersten »Index für Inklusion« für Schulen entwickelt, einen Fragenkatalog mit insgesamt über 500 Fragen, die helfen, das Bestehende kritisch zu überprüfen. Fragen öffnen Gespräche, stellen infrage, regen zum Dialog und zum Nachdenken an. Die Arbeit mit den Fragen zieht sich auch durch unsere gesamte Fortbildung. In jedem Modul stellen Teilnehmende Fragen aus dem Index vor. Es wird nach unterschiedlichen Methoden mit den Fragen gearbeitet, in der Regel von Teilnehmenden vorbereitet. Inklusion stellt Fragen und nähert sich so einem (vorläufigen) Ergebnis – die Antworten sind immer ein gemeinsames Nachdenken auf dem Weg zu einem inklusiven Zusammenleben.

Es werden alle Varianten des Index für Inklusion genutzt (→ Literaturverzeichnis):

Index für Inklusion für Schulen (IfI 2003)

Index für Inklusion für Kitas (IfI Kitas 2007)

Kommunaler Index für Inklusion (IvO 2011)

Neuausgabe des englischsprachigen Index für Inklusion (IfI 2011)

Bei der Auswahl der Fragen aus den verschiedenen Ausgaben des Index für Inklusion spielt auch die Weiterentwicklung neuer Fragen für andere Kontexte eine Rolle. Auch hier ist der Bezug der Fragen zur eigenen Person besonders wichtig. Die Fragen sind nur wirksam, wenn die Haltung der Fragenden und Befragten offen und vertrauensvoll reflektiert wird. Immer wieder werden Kommunikationsanlässe (auch in Form von Rollenspielen) geschaffen, die auf spätere Prozessbegleitungen übertragen werden können. Dafür ist eine Kenntnis der genannten Ausgaben des Index für Inklusion eine wichtige Voraussetzung.

7. Heterogenität: Vielfalt begrüßen