Cover

Jo Kramer

Ein Jahr bis zum Altar

Roman

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Jo Kramer

Jo Kramer hat nach einem geisteswissenschaftlichen Studium, das ihn langweilte, einige Jahre als Handwerker gearbeitet. Heute lebt er als freier Autor in Hamburg.

Über dieses Buch

Alex ist erfolgreich. Alex ist attraktiv. Alex liebt die Frauen. Dann stellt er plötzlich fest, dass all seine Freunde sesshaft werden, heiraten, Kinder zeugen … Und er? An seinem 38. Geburtstag schließt er eine Wette ab: Innerhalb eines Jahres muss er die Frau fürs Leben finden und sie heiraten.

Leichter gesagt als getan, denn die Frauen haben nicht gerade auf Alex gewartet …

Impressum

eBook-Ausgabe 2012

Knaur eBook

© 2012 Knaur Taschenbuch Verlag

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –

nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-426-41470-5

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Teil 1

Die Wette

(Mitte April)

I

An einem Freitagabend griff das Schicksal in mein Leben ein. Das traf mich unvorbereitet, denn bis dahin hatte ich nicht viel am Hut gehabt mit dem Schicksal. Ich lebte mein Leben, wie es kam, und machte mir wenig Gedanken darüber, dass es vielleicht von einer unsichtbaren Macht gelenkt werden könnte. Das Schicksal, das war in meiner Vorstellung so ein putziges Comic-Wesen, eine Art Frau Holle, die uns zwar manchmal die ein oder andere Prüfung bestehen lässt, dies aber immer in einem vertretbaren Rahmen und auch nur, um uns anschließend mit einer Tüte Bonbons zu belohnen und dann wieder in Ruhe zu lassen. Es dauerte noch fast ein Jahr, bis ich begriff, dass das Schicksal ein richtig launisches Miststück ist.

Die Geschichte begann dort, wo sonst die meisten Geschichten enden: an einem Tresen. Immerhin handelte es sich dabei nicht um irgendeinen Tresen, sondern um den Tresen des Montmartre! Und es war auch nicht irgendein Abend, es war der Vorabend meines achtunddreißigsten Geburtstags. Eine Tatsache, die wesentlich zu dem beitrug, was Waldo später die »mörderische Wette« nannte. Das war natürlich ein wenig dramatisiert. Aber so war Waldo eben. Eric meinte einmal, dass Waldo mit solchen Wichtigtuereien seine kümmerliche Körpergröße kompensieren wollte. Woraufhin Waldo entgegnete, dass Eric mit solchen Klugscheißereien seine kümmerliche männliche Ausstattung kompensieren wolle. Waldo neigte manchmal zu drastischen Kommentaren. Zumindest in Bezug auf die weibliche Anatomie hatten wir ihn allerdings zu einem Re-Education-Programm verdonnert, das an diesem Abend endlich Früchte trug. Und zwar, als eine Frau das Café betrat.

»Wow!«, stieß er voller Inbrunst hervor und griff nach meinem Arm, womit er mich daran hinderte, von meinem Wodka Martini zu trinken. »Alex, schau dir mal diese …« Dann aber begann er zu stocken. »… diese …«

Ich hatte die Frau bereits gesehen und wusste daher, welche Zone ihres Körpers ihm so imponierte. Auch Tom und Eric, die sich gerade über die Farbe der Bremssättel bei Porsche austauschten: »Nur die roten sind echt.« »Rot? Ist doch etwas für Schwuchteln. Schwarz eloxiert hingegen …«, waren jetzt aufmerksam geworden. Gebannt warteten wir nun alle drei darauf, wie Waldo seinen verbalen Interruptus überwand.

»Jaah, und weiter?«, fragte Eric lauernd.

Hin- und hergerissen zwischen seinen natürlichen Impulsen und unseren Erziehungsbemühungen, verzerrte sich Waldos Gesicht. Alles in ihm drängte danach, das böse T-Wort auszusprechen, doch das stand ganz oben auf der verbotenen Liste.

»… diese …«

»Du schaffst es, Waldo«, ermunterte Eric ihn. Es schien zu helfen, denn nach einem letzten Aufbäumen seines inneren Machos entfuhr ihm schließlich die Lösung.

»… diese Augenbrauen an.«

Augenbrauen?

Eric sah mich an, ich sah Tom an und Tom wiederum Eric. Augenbrauen! Wir akzeptierten dieses mehr als kreative Synonym mit einem Achselzucken und konnten uns nun endlich auch dem Objekt von Waldos Bewunderung widmen. Ein paar Schritte von uns entfernt war die dunkelhaarige Frau, die gerade das Montmartre betreten hatte, stehen geblieben und ließ einen suchenden Blick über die fast vollständig besetzten Tische schweifen. Sie präsentierte sich uns im Profil, wobei der von Waldo hervorgehobene Teil dieses Profils tatsächlich ausgesprochen gelungen war.

Statt nun einer von vier Typen zu sein, die an der Bar standen und eine neu eintretende Frau angafften, machte ich mir einen Spaß daraus, die Gesichter meiner Freunde zu studieren. Die waren nämlich so gebannt von dem Anblick, der sich ihnen bot, dass ihre Mimik in seltener Offenheit ihre Gedanken verriet.

Der Gesichtsausdruck meines Lieblingskumpels Tom war erwartungsgemäß kritisch. Er hatte nämlich eine Vorliebe für Blondinen mit eher kleinen »Augenbrauen«. Dennoch ließ sein Blick und die Art, wie er die Unterlippe vorschob, eine gewisse Anerkennung erkennen. Tom war Halbspanier. Auch wenn eine Frau nicht seinem Geschmack entsprach, würde er ihr nie weniger als seine volle Aufmerksamkeit widmen.

Eric war sein Interesse am wenigsten anzusehen. Das war sein Markenzeichen, er hatte eine Buster-Keaton-Mimik. Dahinter aber verbarg sich ein ungeheuer scharfer Intellekt, dessen abgründiger Witz so manche Bresche in weibliche Verteidigungsanlagen zu schlagen wusste. Es war nie vorherzusehen, ob er diese Bresche nutzte, um die Festung zu stürmen. Oder ob er einfach kalt lächelnd weiterging.

Und Waldo? Waldo war nicht besonders groß, nicht besonders gut gebaut und nicht besonders attraktiv. Aber immerhin wusste er diese Mängel mit Schlagfertigkeit und Humor wieder wettzumachen.

»Die ist genau mein Kaliber«, seufzte er jetzt.

Eric betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. »Das ist ein Scherz.«

»Erstens mache ich über Frauen nie Scherze, und zweitens hatte ich gerade eine Vision.«

»Nach deiner Einleitung ahne ich, worum es dabei geht.«

»Schweig, Ungläubiger, und höre, was ich zu sagen habe. Dieses Rasseweib und ich sind füreinander bestimmt. Ich fühle es, ich weiß es.«

Eric legte ihm die Hand auf die Schulter. »Waldo, erkenne die Realitäten.«

»Was kann denn die Realität gegen die Macht der Vorsehung ausrichten? Du kannst mich nicht davon abbringen, es ist Schicksal, dass diese Frau und ich heute Abend an diesem Ort zusammentreffen. Ich habe es sofort gewusst, als ich sie gesehen habe.«

»Du hast den Teil ihres Körpers gesehen, der sich auf deiner Augenhöhe befindet. Und das Schicksal pflegt sich in Karten, Glaskugeln oder meinetwegen in Hühnerknochen zu offenbaren, aber doch nicht in – wie sagtest du? Augenbrauen?«

»Das war halt das Erste, was hier zur Tür reingekommen ist. Ich hatte genug Zeit, mich auf den Rest einzustellen.«

»In diesem Rest, wie du es nennst, mein ebenso geschätzter wie kümmerlicher Zwerg, findet aber die Entscheidung statt, wer sich an der exponierten Partie erfreuen darf. In diesem Fall gilt es nämlich, das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen.«

»Okay, du kümmerst dich um den Schwanz und ich …«

In diesem Moment winkten zwei Frauen an einem der hinteren Tische der neu Angekommenen zu, woraufhin die sich zwischen den anderen Gästen hindurchschlängelte, um zu ihren Freundinnen zu gelangen. Eric und Waldo schauten ihr in stummer Bewunderung hinterher. Tom hingegen starrte nur gedankenverloren auf das leere Glas in seiner Hand. Ich gewann den Eindruck, dass der Gute auf irgendetwas herumkaute, und nahm mir vor, ihn im Laufe des Abends darauf anzusprechen. Vorerst aber kümmerte ich mich um die Drinks.

Ich gab dem Barmann, Hugo, einen Wink, dass er uns eine neue Runde klarmachte. Während ich wartete, beobachtete ich im Spiegel, wie die Kellnerin den drei Ladys die Speisekarten brachte. Das sah nach einem richtig schönen Weiberabend aus. Nachdem ich die Gläser verteilt hatte, schaute ich noch einmal auf und registrierte gerade noch, wie die Dunkelhaarige über die Speisekarte hinweg kurz in unsere Richtung schaute. Für eine Nanosekunde trafen sich unsere Blicke im Spiegel, flüchtig wie ein Wimpernschlag. Dennoch war ich mir sicher. Ohne mir etwas anmerken zu lassen, wandte ich mich meinen Compañeros zu: »Prost, ihr Spinner!« Unsere Gläser klickten aneinander. Wir grinsten uns an und fühlten uns wie die vier Musketiere, die gerade ihre Klingen kreuzten. Dann tranken wir, und für einen kurzen Augenblick blieb jeder in seiner eigenen, stummen Welt, während um uns herum das Stimmengewirr den hohen Raum erfüllte. Hugo mixte mit schnellen, professionellen Bewegungen die Drinks, die sofort an der Bar verteilt oder zu den Tischen gebracht wurden. Unaufhörlich klappte die Schwingtür zur Küche auf und zu. Die mit weißen Schürzen gegürteten Kellner trugen Schalen mit eisgekühlten Austern oder Teller mit dampfenden Steaks. An den Tischen mischten sie frischen Tartar oder ließen Weine verkosten. Jeder der Kellner sprach Französisch, das war Voraussetzung, wenn jemand im Montmartre arbeiten wollte. Und zumindest die Jungs hinter der Bar, Hugo und Ives, Fabrice und Nicolas, waren echt, wenn auch nicht unbedingt aus Frankreich. Ives war Senegalese, und Hugo legte Wert auf seine korsische Abstammung. Aber das waren Feinheiten, die keine Rolle spielten. Wir alle kannten uns seit Jahren, es hatten sich Freundschaften gebildet, so leicht und unbeschwert, wie das vielleicht nur bei Franzosen der Fall war. Mit Ives konnte ich ewig und drei Tage über die Bars am Montparnasse reden, mit Nicolas über die Melancholie im Finistère, doch es war der Korse, Hugo, der mir die Namen lieferte. Und darum wusste ich, dass die Dunkelhaarige, die sich mit ihren Freundinnen getroffen hatte, Natalie hieß. Denn sie war nicht zum ersten Mal im Montmartre. Und das letzte Mal hatte sie mit ihrer Kreditkarte bezahlt.

Ich beglich bei Hugo meine Runde und gab ihm, ohne dass meine Compañeros es mitbekamen, einige Anweisungen für den Damentisch. Bevor ich mich auf den Weg machte, musste ich hoch und heilig versprechen, dass ich vor Mitternacht wieder zurück wäre. Sonst, so drohte Waldo, würden sie meinen Geburtstag mit dem gesamten Lokal auf meine Rechnung feiern.

Während ich mir ein Taxi heranwinkte, dachte ich an die drei Frauen, denen Hugo wahrscheinlich in diesem Moment eine Runde Champagner servierte. Auf die Frage, von wem der käme, würde Hugo sich umschauen und dann hilflos mit den Achseln zucken. Der Monsieur sei leider fort. Nun ist aber nichts so interessant wie ein geheimnisvoller Verehrer. Natalies Freundinnen würden mit Sicherheit allerhand Spekulationen anstellen, an denen Natalie selbst sich aber – wenn ich sie richtig einschätzte – nicht beteiligen würde. Mein Plan bestand darin, dass sie nicht nur den Urheber dieser Geste erraten würde, sondern auch, dass eine Botschaft damit verbunden war.

Es war, zugegebenermaßen, ein etwas gewagter Plan. Wie sollte eine Frau, mit der ich noch nie ein Wort gewechselt hatte, anhand einer spendierten Runde Champagner erkennen, dass ich später am Abend noch einmal wiederkommen würde und sie auf jeden Fall bleiben sollte? Aber so war nun mal das Spiel, das im Montmartre ablief. Und wer die Regeln nicht kannte und damit nicht jonglieren konnte, blieb ein Außenseiter. Ob Natalie dieses Spiel begriff, würde ich bald wissen.

Während das Taxi mich durch den dichten, abendlichen Verkehr nach St. Pauli fuhr, machte ich mir klar, dass ich in wenigen Stunden achtunddreißig werden würde. Das war schon fast vierzig. Machte mir das etwas aus? Ich war mir nicht sicher. Vierzig, das hatte schon einen anderen Klang. Früher hatte ich bei Menschen in diesem Alter immer eine gewisse Reife vorausgesetzt, von der ich mir nicht sicher war, ob ich sie in den verbleibenden zwei Jahren noch erwerben würde. Andererseits – und das sprach gegen die Theorie einer automatisch erworbenen Reife – waren die Vierziger ein gefährliches Jahrzehnt, zumindest für mein Geschlecht. Ich wusste von Männern, die Frau und Kinder verließen, die ihren Job hinschmissen und irgendeine alternative Lebensweise ausprobierten. Meist mit einer wesentlich jüngeren Frau.

Ich habe nie begriffen, was Menschen dazu trieb, aus einem Leben auszubrechen, das sie sich doch selbst geschaffen hatten? Ich konnte es mir nur so erklären, dass sie, sei es aus Opportunismus, sei es aus Bequemlichkeit, auf dem falschen Platz gelandet waren. Oder dass sie, ohne es zu merken, irgendwann falsch abgebogen waren. Und dass sie dann, nachdem sie die unsichtbare Lebensmitte überschritten hatten, quasi nach der Halbzeit, feststellten, dass in ihrer Bilanz etwas Wichtiges fehlte. Leider waren die Aktionen, mit denen dann viele vermeintlich Versäumtes aufholen wollten, ziemlich kopflos. Schließlich konnten sie alles Mögliche zurücklassen, aber nicht sich selbst. Darum befanden sie sich auch oftmals sehr schnell wieder in einer ähnlichen Situation wie der, die sie gerade hinter sich gelassen hatten.

Zumindest diese Gefahr bestand bei mir nicht. Ich hatte weder eine Frau noch Kinder, die ich verlassen konnte. Und ich wäre ein Idiot, wenn ich meinen Job hinschmeißen würde. Nein, ich, Alex Toben, hatte allen Grund, mit meinem Leben zufrieden zu sein. Als erfolgreicher Talentscout eines großen Musikverlages und höchst freiwilliger Single befand ich mich genau dort, wo ich immer hatte sein wollen: anerkannt in einem Beruf, den ich liebte, umgeben von Freunden, die mich schätzten, und beschenkt mit vielfältigen Angeboten aus dem Reich der Weiblichkeit. Nein, ich hatte wirklich nicht das Geringste an meinem Leben auszusetzen. Allerdings hatte ich meine Zweifel, ob meine Compañeros das genauso sahen. Irgendwann einmal hatte Tom mich gefragt, ob es mich nicht störte, alleine zu leben.

»Wieso alleine?«, hatte ich erwidert.

»Na ja, ohne Frau.«

Das war etwas, was ich bei meinen Freunden nicht verstand. Alle drei waren sie liiert. Dennoch hielten sie ständig Ausschau nach anderen Gelegenheiten und nutzten diese auch, wenn sie sich ergaben. Was ich ihnen ja von Herzen gönnte, nur warum lebten sie dann in festen Beziehungen? Es wäre doch viel einfacher, ein Leben ohne Lügen und Täuschereien zu führen.

»Ich will niemanden betrügen«, hatte ich zu Tom gesagt.

»Ich betrüge nur eine Frau«, hatte er daraufhin erklärt, »du dagegen betrügst sie alle.«

Solche Sprüche waren Toms Spezialität. Sie hörten sich gut an, aber man musste sie nicht immer für bare Münze nehmen. Denn die Wahrheit war viel simpler. Ich misstraute einfach der traurigen Dauer. Was ich schätzte, war die kleine Liebe. Die für einen Tag, eine Woche oder drei Monate. Doch spätestens ab da begann die traurige Dauer. Davor war ich immer auf der Hut.

An einer Kreuzung, die durch eine Baustelle verengt war, hatte sich ein Stau gebildet, so dass das Taxi bei jeder Grünphase nur wenige Meter vorankam. Dabei fiel mein Blick auf das Paar in dem Wagen neben uns. Der Typ am Steuer pulte ungeniert mit dem kleinen Finger in den Zähnen herum. Die Frau neben ihm schien es nicht zu bemerken, oder es war ihr egal. Daraus schloss ich, dass sie verheiratet waren. Vielleicht war es nur eine unbedeutende Momentaufnahme, aber beide wirkten völlig gleichgültig gegenüber dem, was der andere tat. Womöglich dachte er gerade an eine andere Frau. Und sie an ein anderes Leben. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Da wandte sie den Kopf und schaute mich an. Ich erschrak über die Leere in ihrem Blick und begriff, dass sie die Hoffnung auf ein anderes Leben längst aufgegeben hatte. Dann fuhr das Taxi weiter und schaffte es über die Kreuzung. Ohne besonderen Grund wünschte ich der Frau, dass sie einen Liebhaber fände.

Das Summen meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Das Display zeigte Marions Nummer an. Ich zögerte kurz, dann nahm ich das Gespräch an. Die Sache mit Marion war etwas, was ich noch in diesem Lebensjahr klären sollte.

»Hi Alex, hier ist Marion.«

»Hey Marion, wie geht es dir?«

»Nicht so gut. Ich habe mehrfach versucht, dich zu erreichen.« Das stimmte. »Ich habe über das, was du mir gesagt hast, nachgedacht. Und ich verstehe es nicht.«

»Ich glaube nun mal, dass es mit uns auf Dauer nicht funktionieren würde.«

»Ich habe nie etwas von Dauer gesagt.«

Nein, aber du hattest diesen Blick …

»Aber es wäre so gekommen, vielleicht unabsichtlich, denn irgendwann wird es immer verbindlich zwischen zwei Menschen.«

»Das ist es also, du fürchtest die Verbindlichkeit.«

Ich atmete einmal tief durch. Früher hatte ich mich über derartig verdrehte Argumente aufgeregt. Bis ich begriffen hatte, dass es der Art entspricht, wie Frauen denken. Und das konnte man ihnen ja schlecht verübeln.

»Es bedeutet mir nicht so viel wie dir.«

Einige Sekunden Stille. »Und was war das dann die ganze Zeit?«, fragte sie schließlich.

Eine kleine Liebe, so leicht wie eine Daunenfeder. Ich hatte sie im Montmartre kennengelernt. Sie hatte an einem Tisch mit zwei Kerlen gesessen, die sich die ganze Zeit unterhielten, während sie nur hin und wieder lächelte. An ihrer Körpersprache erkannte ich, dass einer der beiden ihr Freund war. Später trafen wir an der Garderobe zusammen. Sie versuchte, ihren Mantel von den voll behängten Haken zu befreien, während die beiden Jungs ihre Jacken schon angezogen hatten und sich immer noch unterhielten. Ich fand das unhöflich und bot ihr meine Hilfe an. Sie dankte mit einem Lächeln, und da spürte ich ein vertrautes Kribbeln in der Magengegend. Während ich ihr den Mantel hielt, damit sie hineinschlüpfen konnte, sagte ich leise: »Ich würde Sie gerne wiedersehen. Allein.«

Sie wandte sich überrascht um. »Warum?«

Das war ein gutes Zeichen. Sie hätte ablehnen oder einfach gehen können. Aber sie zeigte Interesse, während ihr Typ drei Meter weiter dastand und nichts mitbekam. Meine Ahnung hatte mich nicht getäuscht. Jetzt musste ich den Überraschungseffekt nutzen. Also sagte ich mit einem freundlichen Lächeln: »Weil ich Sie schön finde und weil ich das Funkeln in Ihren Augen mag. Ich möchte mehr von Ihnen erfahren, und ich möchte sehen, wie sich Ihre Lippen beim Sprechen bewegen. Ich möchte mit Ihnen essen gehen, weil ich sehen will, wie Sie es genießen. Und dann, nicht gleich, aber irgendwann, möchte ich mit Ihnen schlafen.«

Ich beobachtete ihre Reaktion. Merkwürdigerweise habe ich auf solch eine Ouvertüre noch nie eine Ohrfeige bekommen. Und auch Marion würde mir keine kleben. Eine Sekunde lang starrte sie mich mit offenem Mund an, dann lachte sie. Noch ehe sie etwas sagen konnte, holte ich eine meiner Visitenkarten hervor, auf die ich handschriftlich meine private Handynummer notiert hatte, und schob sie ihr in die Manteltasche, und zwar so, dass sie es mitbekam, aber nicht ihr Freund. Dann wandte ich mich ab, um mich um meinen eigenen Mantel zu kümmern. Damit ersparte ich es ihr zu reagieren. Als ich mich anzog, bemerkte ich, dass ihr Typ sie mit einem Blick zu mir hin etwas fragte. Sie schüttelte den Kopf. Dann gingen die drei. Am nächsten Tag rief sie mich an.

Ein paar Wochen ging es gut. Wir verbrachten aufregende Stunden miteinander oder gingen einfach nur spazieren und warfen Kiesel ins Wasser. Bis sie mir vor zwei Wochen verkündete, dass sie sich von ihrem Freund getrennt hatte. Ihr erwartungsvolles Lächeln hatte mich traurig gemacht, denn ich wusste, dass damit eine wunderschöne Zeit zu Ende ging.

»Ich verstehe das alles nicht, Alex«, sagte sie nun mit einem kleinen Beben in der Stimme. »Können wir uns nicht treffen und reden?«

»Nein, Marion, das ändert nichts. Wir sollten es dabei belassen. Bitte!«

In ihr Schweigen hinein verabschiedete ich mich. In diesem Moment hielt das Taxi vor den Fliegenden Bauten. Ich bezahlte den Fahrer, stieg aus und sammelte meine Gedanken. Dann schaltete ich in den Profi-Modus um. Denn jetzt musste ich mich um die größte Nervensäge diesseits des Bosporus kümmern.

 

»Er will zurück nach Anatolien!«, rief Freddy verzweifelt mit seiner heiseren Fistelstimme.

»Serdar hat Anatolien noch nie gesehen«, wandte ich ein, aber das schien den Veranstalter nicht zu trösten.

»Mein Gott, Alex, tu irgendetwas. Da draußen warten fünfhundert Leute.«

Als ich kurz zuvor den Backstage-Bereich betreten hatte, drängelten sich bereits ein paar ziemlich aufgeregte Leute im Korridor vor Serdars Garderobe. Und Freddy war sofort händeringend auf mich zugekommen, begleitet von seiner Assistentin und Serdars Agenten. Alle drei redeten hektisch auf mich ein. Nach und nach bekam ich mit, dass Serdar sich in seiner Garderobe eingeschlossen hatte und sich weigerte aufzutreten.

Serdar war einer der Künstler von Esthers, dem Musikverlag, für den ich arbeitete, und er war mein persönlicher Schützling. Heute Abend gab er sein erstes großes Konzert, das zudem vom NDR-Rundfunk live übertragen wurde. Das war natürlich eine großartige Chance, zumal der Sender den Auftritt auch noch sponserte. Serdar war verständlicherweise mächtig aufgeregt gewesen, weshalb ich ihm auch versprochen hatte, rechtzeitig da zu sein, um vielleicht noch ein bisschen Händchen zu halten oder etwas in der Art. Damit war es nun aber wohl nicht getan.

Während sie mich drängten, mit Serdar zu reden, weil er anscheinend nicht auf sie hören wollte, fiel mir die junge Frau auf, die gegenüber der Garderobentür an der Wand lehnte. Sie hatte lange, schwarze Haare und einen ziemlich erschreckten Gesichtsausdruck. Außerdem wirkte sie ein wenig blass. Ich beugte mich zu Freddy, wies unauffällig mit dem Daumen auf die Kleine und fragte ihn, wer das sei.

»Anna ist die Visagistin«, erläuterte er mir hastig. »Sie war gerade mit Serdar am Arbeiten, als der seinen Anfall bekam. Es hat sie fürchterlich mitgenommen, aber kümmere dich nicht um Anna. Kümmere dich um Serdar. In zehn Minuten muss er auf die Bühne.«

Ich nickte und klopfte dann an die Tür. »Hey Serdar, hier ist Alex. Was ist los?«

Eine Weile war Stille. Dann hörte ich eine dünne Stimme: »Bist du allein?«

»Jo!«, antwortete ich und wedelte die Hektiker fort. Etwas widerstrebend zogen sie sich zurück. Die Visagistin zögerte, biss sich auf die Lippen und schien noch etwas sagen zu wollen, aber der Agent zog sie mit sich.

»Mach schon auf, Serdar.«

Die Tür öffnete sich einen schmalen Spalt. Serdars dunkle Augen spähten ängstlich in den Korridor hinter mir.

»Nun komm schon, was ist los? Heute ist dein großer Auftritt.«

Er ließ mich ein und schloss gleich hinter mir die Tür wieder ab. Dann ließ er sich mit hängenden Schultern auf den Stuhl vor dem Schminktisch sacken. »Scheiße, Alex, ich bin am Arsch.«

Ich griff mir einen Stuhl und setzte mich ihm gegenüber. Dann packte ich ihn mit der Linken am Genick und zog ihn zu mir ran. »Hey Mann, es gibt nichts, was wir nicht zusammen wieder auf die Reihe kriegen.«

Er kriegte ein schiefes Grinsen hin. »In diesem Fall wird es selbst für Süper-Alex schwierig werden.«

Bevor ich ihn traf, hatte Serdar hauptsächlich auf türkischen Hochzeiten und Beschneidungsfesten gesungen. Als ich ihn dann mit richtigen Musikern zusammenbrachte und wir die ersten Aufnahmen machten, konnte er selbst kaum glauben, was dabei herauskam. Seitdem war ich für ihn Süper-Alex. Und als solcher musste ich ihn jetzt irgendwie auf die Bühne kriegen. Aber mir war klar, dass ich mit Drängeln nicht weiterkam. »Okay, was ist los?«

Er brauchte noch ein bisschen, verzog das Gesicht, rang die Hände, aber dann kam er langsam in die Gänge. »Alex, du weißt doch, dass ich meine Frau liebe?«

Diese Eröffnung führte in eine Richtung, die ich ganz und gar nicht erwartet hatte. Ich konnte nur hoffen, dass er jetzt nicht ein paar Ratschläge für ein gutes Eheleben von mir hören wollte. Dafür war ich nun wirklich die denkbar ungeeignetste Person.

»Sicher, Leyla ist eine Wucht. Wo ist das Problem?«

Er fuhr sich mit der Hand durch seine gestylten Haare, was vermutlich die Arbeit der Visagistin versaute, aber das war nicht mein Problem.

Dachte ich.

Serdar wiegte den Kopf und schaute mich dann wie ein geprügelter Hund an. »Wenn ich singe, wenn ich Musik mache, das ist …« Sein Gesicht mit der hohen Stirn und dem dunklen Bartschatten wirkte nun gar nicht mehr so männlich und souverän wie auf unseren Covern. Stattdessen offenbarte es das Leid eines verwundeten Tieres. »Sie versteht es nicht, Alex. Sie macht mir Vorwürfe. Ich soll mich mehr um Maali kümmern. Ich liebe Maali!« Es war ein beinah verzweifelter Ausruf.

»Jaja, schon gut«, sagte ich. »Maali ist ein tolles Kind und Leyla eine Frau wie aus ›Tausendundeiner Nacht‹, aber wo, verdammt noch mal, ist das Problem?«

Seine Schultern sackten noch ein Stück tiefer. »Ich habe Mist gebaut«, flüsterte er.

Es klopfte an der Tür. »Hey Jungs, der Laden ist brechend voll und die Leute vom Sender …«

»Mach ’ne längere Anmoderation, Freddy!«, rief ich und wandte mich wieder Serdar zu. »Hör mal, Serdar, ich verspreche dir, dass ich dir helfe. Aber du musst mir jetzt erzählen, was los ist.«

Kaum jemand wusste, was für ein Hase der kernige Serdar mit seiner rauhen Stimme im Grunde war. Er brauchte immer einen Halt, und er wusste, dass er sich auf mein Wort verlassen konnte. Also packte er aus. Offenbar hatte ihm Leyla schon seit einiger Zeit wegen seiner weiblichen Fans die Hölle heißgemacht. So war genau das passiert, was sie ihm immer unterstellt hatte. Eines dieser Mädels hatte sich wohl mächtig an ihn rangeschmissen. Und als er dann einmal mit Leyla einen besonders unschönen Streit gehabt hatte, war die andere sofort bereit gewesen, ihn zu trösten. Einmal? Oder mehrmals? Da wich er ein wenig aus. Jedenfalls hatte sie ihm heute Abend offenbart, dass sie schwanger war.

»Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet?«, sagte er verzweifelt. »Ich werde meine Familie verlieren. Ich werde alles verlieren, was …«

»Moment mal«, unterbrach ich ihn. »Sie war heute Abend hier?«

»Aber ja«, jammerte er. »Anna hat mich für den Auftritt geschminkt.«

Die Visagistin!

Natürlich. Ihr merkwürdiges Verhalten, ihre Blässe. Ich hatte sie nur kurz gesehen und kein Wort mit ihr gewechselt, aber ich wäre jede Wette eingegangen, dass sie auf ihr Geständnis hin eine andere Reaktion erwartet hatte. Und das bedeutete, dass sie es nicht auf Geld abgesehen hatte, sondern sich tatsächlich etwas anderes von ihm erhoffte. Das war einerseits gut, weil sie keine berechnende Abzockerin war. Andererseits war das aber auch schlecht, weil sie damit nur schwer einzuschätzen war. Ging mich das etwas an?

Eigentlich nicht. Aber ich hatte Serdar versprochen, ihm zu helfen. Außerdem mochte ich ihn, von seiner Frau, Leyla, mal ganz abgesehen, die wirklich ein Juwel war. Dass Serdar außerdem einen Aktivposten für unsere Firma darstellte, spielte natürlich auch eine Rolle. Also packte ich ihn wieder am Genick. »Hör mir zu, Serdar!«, sagte ich. Dann, als sein Blick immer noch umherirrte, verstärkte ich den Druck: »Hörst du mir zu?«

Er nickte etwas verkrampft, sah mich aber direkt an.

»Ich werde mit dieser Anna reden«, sagte ich eindringlich. »Und wir werden die Lösung finden, die für alle am vernünftigsten ist.«

So langsam kam ich mir vor wie Don Corleone. Aber in Serdars Augen glomm ein Funken Hoffnung auf. Diesen Funken musste ich nun vorsichtig zu einem Feuer entfachen.

»Alex, wenn du das für mich regelst«, flüsterte er, »werde ich dir immer dankbar sein.«

»Gut«, nickte ich. Dann zog ich ihn an mich heran, so dass unser beider Stirnen sich berührten. Serdar war ein Mensch, der auf Berührung und Nähe reagierte. Die nächsten Worte sprach ich sehr leise, aber ich legte meinen ganzen Willen in sie hinein: »Dann geh jetzt da raus und liefere die Show deines Lebens ab!«

Ich knetete ihn, ich pushte ihn, redete von seiner Musik, von seinem Können. Dass die Menschen ihn brauchten, auf ihn warteten, nur auf ihn. Ihn ganz allein. Ich erklärte ihn zu Jesus, Mohammed und Elvis in einer Person. Kurz, ich machte ihn so heiß, dass er kaum noch still sitzen konnte. Dann schob ich ihn zur Tür.

Ich spähte in den Gang, Freddys Assistentin war kurz vor dem Herzinfarkt. Ich schubste ihr Serdar in die Arme: »Bring ihn raus!«

Als von der anderen Seite die Visagistin heraneilte, stoppte ich sie mit einer Handbewegung. Während die Assistentin mit Serdar den Korridor entlanghastete, wies ich mit dem Daumen in die nun leere Garderobe hinter mir. Vorsichtig und misstrauisch gehorchte sie meinem Wink. Sie wusste, dass sie nicht an mir vorbeikam. Von fern vernahm ich das Gejohle des Publikums. Serdar war angekommen.

Ich folgte der Frau in die Garderobe und schloss die Tür hinter uns. Der Lärm blieb draußen. Sie stand vor dem Spiegel, die Hände in den Taschen ihrer Jeans, und sah mich trotzig an. Anscheinend hatte sie begriffen, dass ich Bescheid wusste. Sie wartete ab.

Ich musste mich nach der ziemlich anstrengenden Geschichte mit Serdar auch erst mal auf sie einstellen und musterte sie ebenfalls. Was hatte sie vor? Was wollte sie? Ein paar lange Sekunden lang taxierten wir uns gegenseitig, dann stieß sie hervor: »Ich liebe ihn.«

Ich nickte langsam, wartete, ob noch etwas kam. Doch sie hielt die Lippen zusammengepresst und sah mich halb wütend, halb ängstlich an. Also lud ich sie mit einer Geste ein, sich zu setzen, griff mir auch wieder meinen Stuhl, drehte ihn um und setzte mich rittlings drauf, die Arme auf der Lehne aufgestützt.

»Ich bin Serdars Freund«, erklärte ich dann ruhig, »aber ich bin nicht dein Feind. Erzähl mir deine Geschichte, Anna.«

Ebenso wie Serdar brauchte sie ein Weilchen, bevor sie mit der Sprache rausrückte. Aber diesmal hatte ich Zeit, denn da war keiner, der vor der Tür drängelte, kein Publikum, das ungeduldig werden konnte. Also schwieg ich einfach und hörte zu, wie sie, anfangs stockend, dann aber immer leidenschaftlicher, ihre Version zum Besten gab. Und die unterschied sich ganz erheblich von der, die mir Serdar erzählt hatte.

Aus Annas Sicht hatte sich binnen kurzer Zeit eine tiefe und innige Liebe zwischen ihnen entwickelt, nur getrübt durch die krankhafte Eifersucht seiner herrischen Frau, die seine Kunst nicht im mindesten erkannte. Anna hingegen war bereit, alles für Serdar zu tun. Mit ihr würde er endlich frei sein, und darum wollte sie nun um ihn und für ihn kämpfen.

Mittlerweile standen ihr die Tränen in den Augen, aber ihre Hände waren zu Fäusten zusammengeballt und die Lippen störrisch zusammengekniffen. Innerlich verfluchte ich zwar Serdar, der ihr wahrscheinlich erst die Ohren vollgejammert und es dann nicht geschafft hatte, seinen Schwanz in der Hose zu behalten. Aber das ließ ich mir nicht anmerken. Stattdessen musste ich Anna jetzt irgendwie beibringen, dass sie sich da in etwas verrannt hatte. Dazu musste ich ihr erst mal die Wahrheit vor Augen führen.

»Egal, was Serdar dir erzählt hat, Anna«, sagte ich, »er wird seine Familie niemals verlassen.«

»Aber er hat doch gesagt …«

»Eben«, unterbrach ich sie. Jetzt brach sie wirklich in Tränen aus.

Ich ließ ihr ein wenig Zeit, damit sie es begriff. Dabei vermied ich es, sie zu trösten oder ihr mein Mitleid zu zeigen. Das empfand ich nämlich durchaus. Und ich war wütend auf Serdar. Er hatte nicht nur Leyla hintergangen, er hatte auch die Kleine hier mächtig verarscht. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass er es nicht absichtlich getan hatte. Auf seine Art war Serdar wahrscheinlich sogar unschuldig. Er war unfähig, etwas anderes als seine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Aber genau das war es, was mich aufregte. Und dass ich mich jetzt auch noch für ihn in die Bresche werfen musste.

Ich versuchte, ihr zu erklären, warum Serdar seine Familie nicht verlassen würde. Dabei bediente ich mich völlig ungeniert aller Klischees, die es über Türken, ihre Ehrbegriffe und Glaubensgrundsätze gab. Danach wurde es Zeit, ihr einen Ausweg zu zeigen: »Er wird dich aber auch nicht im Stich lassen. Er wird für dein Kind aufkommen. Ich weiß noch nicht, wie wir das alles regeln, aber du bist auf keinen Fall allein.«

Sie hob schniefend den Kopf: »Was für ein Kind?«

»Na ja, er hat mir erzählt, dass du schwanger bist und …«

»Das habe ich doch nur gesagt, damit er es schafft, seine Frau zu verlassen.«

»Heißt das etwa, du bist gar nicht … heiliger Strohsack!« Ich warf die Arme in die Luft und sprang von meinem Stuhl auf. »Haben wir diese ganze Aufregung etwa wegen …« Ich hielt inne, weil die Kleine inzwischen zu einem heulenden Häufchen Elend zusammengesackt war.

»Ich liebe ihn doch so sehr«, greinte sie.

In meinem Job muss man auch für solche Fälle gerüstet sein. Also zog ich ein Stofftaschentuch aus meinem Jackett, schlug es mit einer kleinen, geübten Bewegung auseinander und reichte es ihr. Als ich sah, wie sie es inbrünstig vollschneuzte, schrieb ich es ab und machte gleich einen inneren Vermerk, dass ich Nachschub besorgen musste. Während ich wartete, dass sie sich so weit beruhigte, dass ich sie nach Hause bringen konnte, wunderte ich mich, wie dumm sich manche Menschen doch benahmen, wenn sie verliebt waren. Eine Schwangerschaft konnte man nun mal nicht besonders lange vortäuschen. Oder hatte sie etwa vorgehabt, die Lüge im Nachhinein noch wahr werden zu lassen? Wie auch immer, so etwas konnte einfach nicht gutgehen.

Immerhin aber hatte Anna ihre Dummheit begangen, weil sie Serdar liebte. Dessen Motive hingegen waren weitaus weniger romantisch, und ganz gleich, was ich Anna zuvor über sein angeblich türkisches Ehrgefühl erzählt hatte, das, was er sich hier geleistet hatte, war nicht im mindesten ehrenhaft.

Ich schaffte Anna nach draußen, setzte sie in ein Taxi und gab dem Fahrer einen Geldschein. Danach beugte ich mich noch mal vor dem heruntergekurbelten Fenster zu ihr hinab.

»Die nächste Zeit wird für dich sehr schwierig werden. Du wirst schlecht schlafen und viel weinen. Und immer wieder wird es dich dazu drängen, Serdar anzurufen, weil du nicht verstehst, dass er nicht mit dir zusammen ist. Aber er wird dir den Grund dafür nicht sagen, darum tue ich es.«

Am Blick ihrer geröteten Augen erkannte ich, dass sie die Wahrheit ahnte. Dennoch musste ich es ihr sagen. Es musste einmal ausgesprochen werden, sonst würde sie es nicht begreifen.

»Weil er dich nicht liebt.«

Als sich ihre Augen daraufhin wieder mit Tränen füllten, richtete ich mich auf und gab dem Fahrer ein Zeichen. Während ich dem Taxi hinterherschaute, nahm ich die Musik, den Jubel und das Kreischen wahr, das aus dem Konzertsaal nach draußen drang. Zwar hatte ich Serdar versprochen, mir das Konzert anzuschauen, aber mir war die Lust dazu vergangen. Ein Weilchen stand ich noch unschlüssig herum, dann entschloss ich mich, zu Fuß in die Stadt zurückzukehren. Ich wollte ein Weilchen allein sein, außerdem hatte ich das dringende Bedürfnis, nicht nur meinen Geist, sondern auch mein Gehör zu reinigen. Ich holte meinen iPod hervor und wählte eine Musik, die mich mit der Unvernunft und dem Chaos des Lebens wieder versöhnen würde. Als schließlich Ellas glockenklare Stimme in meinen Kopfhörern erklang, setzte ich mich in Bewegung.

Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Er ließ die Lichter der vorbeifahrenden Autos und der Straßenlaternen wie zerfasert wirken. Ella sang von einem anderen April, einem April in Paris, von chestnuts in blossom und Tischen unter Frühlingsbäumen. Ich hob den Kopf und hielt dem Regen mein Gesicht entgegen. Er berührte mich wie die kühle Hand einer verlorenen Geliebten. Ich mochte den Regen, den weichen ebenso wie den wilden, launischen. Der Regen veränderte die Welt. Denn mit ihrem Blendwerk aus Licht und Lärm erschien mir die Welt oftmals wie eine grell geschminkte Frau. Erst der Regen offenbarte ihr wahres Gesicht.

Und das hatte mich noch nie enttäuscht.

II

Der Typ machte sie wahnsinnig.

»Ich kann das nicht«, jammerte er. Elli biss sich auf die Lippen, um nicht laut loszuschreien. Das konnte doch nicht wahr sein!

»Du musst da rausgehen, Arnold«, sagte sie mit beschwörender Stimme. »Sie sind alle wegen dir gekommen. Sie wollen deine Musik hören, wollen erleben, wie du deiner Violine diese unglaublichen Zaubertöne entlockst. Sie bewundern dich, sie lieben dich. Sie wollen dich. Gib ihnen, wonach sie sich sehnen.«

Elli wusste selber nicht mehr, wo sie diesen Schwachsinn herhatte. Wahrscheinlich aus den schnulzigen Serien, die sie sich manchmal nachts anschaute, wenn sie nicht schlafen konnte.

Arnold, der in seinem Frack vor ihr auf dem Stuhl hockte und die Schultern hängen ließ, sah nun mit großen Triefaugen zu ihr auf. »Alle wollen mich, Ellionore!«, rief er gequält. »Sie wollen Arnold Sprengel, den großen Geiger.« Seine Stimme wurde lauter. »Aber wissen sie denn, wie es hier drin aussieht?« Er schlug sich gegen die Brust.

Elli überlegte kurz, ob ein paar kräftige Ohrfeigen die Situation vielleicht bereinigen könnten, entschied sich dann aber dagegen. Die würden nur ihr helfen.

»Ich leide, Ellionore, ich leide so sehr. Ich bin ausgelaugt, ich bin leer. Ich bin ein zerbrochener Krug, mein Zauber ist erloschen.« Er packte ihre Arme und umklammerte sie. Elli fragte sich, ob sie damals vor zwei Jahren nicht doch besser die Umschulung zur Physiotherapeutin hätte machen sollen.

»Oh, Ellionore!« Arnold rutschte vom Stuhl, ging in die Knie und legte ihre Hände an sein Gesicht. Elli versuchte, sich ihm zu entziehen. Sie hätte eine lausige Physiotherapeutin abgegeben.

»Oh, Ellionore!«, stammelte Arnold wieder und bedeckte ihre Hände mit Küssen.

»Arnold, du musst jetzt da …«

Arnold ließ ihre Hände los, robbte auf den Knien näher an sie heran und umfasste ihre Hüften. Obwohl … es waren weniger ihre Hüften als vielmehr ihr Po.

»Arnold, steh jetzt auf! Alle warten auf dich. Das Orchester, das Publikum, der Dirigent …«

»Sie sind mir alle egal. Ich brauche dich jetzt, Ellionore.« Seine Hände rutschten nach unten, umfassten ihre Kniekehlen, glitten aufwärts unter ihren Rock.

»ARNOLD

Sie stieß ihn so heftig an den Schultern zurück, dass er auf den Rücken fiel. In diesem Moment flog die Tür zur Garderobe krachend auf.

»Verdammt, wo bleibt er denn?«, rief Berger, der Konzertmanager. Elli widerstand gerade noch der Versuchung, ihren Rock gerade zu zupfen. Dabei hoffte sie inständig, dass Arnolds hornige Geigerfinger ihr keine Laufmasche gerissen hatten. Gleichzeitig registrierte sie, dass Bergers Smoking perfekt saß. Wie immer.

Jetzt hatte der Konzertmanager den am Boden liegenden Arnold bemerkt. Er runzelte die Stirn: »Was, zum Teufel …?«

»Herr Sprengel ist jetzt fertig«, versuchte sie, die Situation zu erklären, was aber ziemlich albern wirkte, weil Arnold einfach kraftlos auf dem Boden zusammengesunken war.

»Das sehe ich«, kommentierte Berger trocken. »Meinen Sie, wir können ihn dazu bewegen, eine aufrechte Haltung einzunehmen?«

Arnold machte nicht den Eindruck, dass er dazu alleine in der Lage war. Und Berger schien nicht bereit, ihr dabei zu helfen. Vermutlich, um sich den Smoking nicht zu zerknittern. Was sollte sie tun? Arnold unter den Achseln packen und hochwuchten? Abgesehen davon, dass sie nicht sicher war, ob sie das schaffen würde, war sie mit ihren hochhackigen Schuhen und dem engen Rock für eine solche Gymnastik denkbar schlecht ausgestattet. Schon sich zu bücken oder gar in die Knie zu gehen, um auf Arnold einzureden, war riskant. Ihr Rock war nicht nur eng, er war auch kurz. Verdammt, ihre Klamotten waren nicht dazu gemacht, hier die Physiotherapeutin zu geben. Sondern um souverän und elegant neben Berger in seiner Loge zu sitzen und einen erfolgreichen Konzertabend zu erleben.

Der Konzertmanager musterte sie scharf. Er hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nur auf Bewährung hier war. Mit seiner Agentur ArteForum, mit der er diesen Saal bespielte, konnte Berger über Aufstieg oder Fall eines Musikers oder eines Orchesters entscheiden. Indem Berger ihr eine Chance gab, hatte er sich nicht nur Freunde gemacht. Nun gab er ihr wortlos zu verstehen, dass es ihre Aufgabe war, Arnold Sprengel auf die Bühne zu bringen.

Elli sah auf das Häufchen Elend im Frack herab, bemerkte Bergers Assistenten, der im Eingang der Garderobe stand, und hinter ihm einen grinsenden Bühnenarbeiter. Sie sprach die beiden Männer direkt an: »Tragt ihn auf die Bühne!«

Berger lüpfte eine seiner sorgfältig gezupften Augenbrauen. »Elli, glauben Sie wirklich, dass der Mann das schafft?«

»Den Weg zur Bühne? Nein. Auf der Bühne? Ja. Er ist ein Bühnentier. Sobald er das Publikum vor sich hat, wird er spielen wie ein Gott. Schafft ihn nach oben!«, wiederholte sie energisch ihre Aufforderung.

»Aber Ellionore …«, Arnold versuchte, sich aufzurappeln.

Berger wandte sich um. »Stefan! Bringt ihn raus.«

Bergers Assistent und der Arbeiter kamen in die Garderobe, packten Arnold unter den Armen und zogen ihn hinaus.

»Lasst mich los, ich kann nicht.« Die Schöße seines Fracks schleiften über den Boden, als die beiden Männer ihn mehr raustrugen als führten. Berger rief ihnen hinterher: »Ihr sorgt dafür, dass er auf die Bühne kommt!« Dann wandte er sich an Elli: »Was ist das denn für ein Spinner?«

Elli zuckte hilflos mit den Schultern. »In Wien hat er ein fantastisches Konzert abgeliefert.«

Wenigstens hatten Berger und die beiden anderen nicht gesehen, wie Arnold ihr unter dem Rock herumgefummelt hatte. Das hätte sofort die Runde gemacht, und sie konnte sich in etwa vorstellen, was für Witze daraufhin über sie kursiert wären. Witze, in denen in immer neuen Variationen ihr Unterleib mit den jeweils zu bespielenden Instrumenten in Verbindung gebracht worden wäre. Die Musikszene war ziemlich erbarmungslos.

Als sie am Bühneneingang vorbeikamen, bedachte Berger sie mit einem fragenden Blick. Ihre innere Stimme sagte ihr, dass sie besser bei Arnold bleiben sollte, um sicherzugehen, dass er tatsächlich auftrat. Aber dann hätte sie nicht mehr in die Loge gekonnt. Und sie WOLLTE neben Berger in der Loge sitzen. Verdammt, es war das, worauf sie zwei Jahre lang hingearbeitet hatte. Also zwang sie sich zu einem Lächeln und nickte Berger nur zu. Der akzeptierte wortlos ihre Entscheidung.

Der Saal war bis auf wenige Sitze voll. Und obwohl es bereits zehn Minuten über der Zeit war, ließ das Publikum keinerlei Unmut erkennen. Bergers Logenplätze befanden sich direkt neben der Bühne, im ersten Rang. Erst jetzt, als sie an der Seite des Managers Platz nahm, konnte sie, während sie ihren Rock zurechtzog, ihre Strümpfe kontrollieren. Gott sei Dank war alles in Ordnung.

Applaus setzte ein, als die Musiker auf die Bühne kamen. Während diese ihre Instrumente stimmten, versuchte Elli, sich zu entspannen. Es wollte ihr nicht recht gelingen. Und das lag nicht nur daran, dass sie sich um Arnold sorgte.

Die ungewohnte Nähe zu Berger, der sich etwas vorgebeugt hatte, um das Geschehen auf der Bühne besser überblicken zu können, trug auch nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei. Zweifellos war der Konzertmanager ein gutaussehender Mann, und sie hatte längst gespürt, dass auch er sie attraktiv fand. Sie vermutete sogar, dass dies bei seiner Entscheidung, sie zu engagieren, eine Rolle gespielt hatte. Doch auch wenn sie nur wenig Skrupel deswegen empfand, wusste sie sehr wohl, dass sie sich auf einem schmalen Grat bewegte. Berger war nicht der Typ Mann, der sich von einer schönen Frau manipulieren ließ. Hinter seiner Beherrschtheit lauerte ein kaltes, rücksichtsloses Naturell. Ihr Instinkt warnte sie vor dieser Sorte Mann. Leider hatte sie in ihrer Vergangenheit nicht immer auf diesen Instinkt gehört.

Jetzt kam der Dirigent auf die Bühne und verneigte sich vor dem applaudierenden Publikum. Er stellte sich neben das Pult. Das war der Moment für Arnold. Unwillkürlich krallte Elli die Finger fester ineinander. Auch Nacken- und Schultermuskeln verkrampften sich, wohingegen ihr Magen hin und her zu hüpfen begann, als hätte er seinen Halt verloren. Komm, Arnold!, betete sie lautlos. Bitte, komm auf die Bühne! Und Arnold kam.

Aber wie!

Es begann mit einem Tumult am Zugang zur Bühne. Die Orchestermusiker, die bisher mit stoischer Gelassenheit darauf gewartet hatten, dass es losging, wandten sich der Quelle der Unruhe zu. Dann wurden erste Blicke getauscht, Köpfe zusammengesteckt. Der Dirigent spähte zur Bühnenseite und runzelte die Stirn. Da tauchte Arnold auf, mit dem Rücken zum Publikum. Zerzauste Haare, ein verrutschter Frack, Violine und Bogen mit beiden Armen vor die Brust haltend. Er schien wieder fortzuwollen, doch ein paar Hände hinderten ihn daran.

Das Publikum im Parkett bekam von diesen Details nichts mit. Es sah nur einen Mann die Bühne betreten, zweifellos den erwarteten Künstler, und begann folgsam zu applaudieren. Die Besucher der oberen Ränge fielen vereinzelt mit ein, der größte Teil jedoch schien irritiert vom Verhalten des Geigers zu sein, der sich nun umwandte und mit weit aufgerissenen Augen in den Saal schaute. Seine Violine hielt er immer noch umklammert, als wolle er sie beschützen. Elli wagte kaum zu atmen.

Arnold machte zwei tapsende Schritte nach vorne, wandte sich um, wollte wieder zurück. Aber da wurde Bergers Assistent sichtbar, wie er den Musiker mit ausgestreckten Armen aufhielt und mit sanfter Gewalt wieder zurückdrängte. Der Dirigent, der die Malaise zu begreifen schien, ging ihnen – ebenfalls mit ausgestrecktem Arm – entgegen. Arnolds Gesichtsausdruck bekam etwas Gehetztes. Die Musiker fingen an zu grinsen und stießen sich mit den Ellbogen an. Elli versuchte, sich an die Adresse der Schule für Physiotherapie zu erinnern.

Unten auf der Bühne schaffte es der Assistent nun gemeinsam mit dem Dirigenten, Arnold nach vorne zu bugsieren. Der Applaus schwoll noch einmal kräftig an, dann verebbte er. Stille breitete sich aus, unterbrochen von einzelnen Hustern. Arnold stand neben dem Dirigentenpult und schaute mit großen, erschreckten Kinderaugen auf die ihm zugewandten Köpfe der Konzertbesucher. Die merkten langsam, dass da etwas nicht stimmte.

Ellis Magen hatte zu rotieren begonnen, ihr wurde schlecht. Sie wagte nicht, Berger anzuschauen, der reglos neben ihr saß. Tu mir das nicht an, Arnold!, dachte sie verzweifelt.

Mittlerweile hatte der Dirigent seine Position am Pult wieder eingenommen. Mit leicht erhobenem Taktstock wartete er darauf, dass Arnold sich bereitmachte. Der aber schien paralysiert. Auf seiner Stirn und den Wangen glänzte der Schweiß. Selbst auf die Entfernung spürte Elli die geradezu bodenlose Verzweiflung, die den Geiger erfasst hatte. Es hielt sie kaum noch auf ihrem Sitz. In ihrem Bauch raste ein Kreisel.

Das Publikum begann unruhig zu werden. Der Dirigent beugte sich zu Arnold, flüsterte ihm etwas zu. Die anderen Musiker hielten ihre Instrumente bereit und starrten wie gebannt auf den Stargeiger. Da bewegten sich Arnolds Lippen. Erst glaubte Elli, dass er dem Dirigenten antwortete. Doch dann erkannte sie, dass sich lediglich sein Unterkiefer auf und ab bewegte. Immer noch hielt er mit beiden Armen die Violine umklammert. Da blickte er mit einem Mal zu ihr hinauf. Sie erkannte, wie seine Lippen ihren Namen formten, es war ein lautloser Schrei um Hilfe, der ihr tief ins Herz fuhr. Im nächsten Moment entrang sich ihm ein inbrünstiges »Oh, mein Gott!«. Seine Knie begannen zu zittern, und dann breitete sich ein dunkler Fleck in seinem Schritt aus.

Elli war wie erstarrt. Fassungslos sah sie, wie das Zittern in Arnolds Beinen dessen ganzen Körper erfasste und er vor den erstaunten Augen des Publikums und der Musiker in die Knie sackte. Schluchzend wiegte er sich langsam vor und zurück. Der Dirigent winkte hektisch Bergers Assistenten herbei. Der kam mit demselben Bühnenarbeiter nach vorne, mit dem er Arnold zuvor schon aus der Garderobe geschleppt hatte. Sie fassten ihn unter den Armen, richteten ihn auf. Mit gesenktem Haupt und gehalten von den beiden Männern, schlurfte der Musiker von der Bühne.