Für Gülçin

Aus dem Englischen übersetzt von Robert Grözinger

ISBN: 978-3-939562-34-4

Dieses Buch erschien zuerst als „A Short History of Man. Progress and Decline“, verlegt und herausgegeben vom Mises Institute, Auburn, Alabama, USA.

„On the Origin of Private Property and the Family” und „From the Malthusian Trap” erschienen erstmals in: Hans-Hermann Hoppe, „The Great Fiction: Property, Economy, Society, and the Politics of Decline” (2012); reprinted with permission of Laissez Faire Books (Baltimore, Maryland). „From Aristocracy to Monarchy to Democracy” erschien 2014 als Broschüre des Mises Institute.

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Covergestaltung von Martin Moczarski

Lichtschlag Buchverlag

Natalia Lichtschlag Buchverlag und Büroservice

Malvenweg 24

41516 Grevenbroich

Inhalt

  1. Der Hintergrund: Geschichte
  2. Das Problem: Theorie
  3. Die Lösung: Theorie und Geschichte
  1. Wirtschaftstheorie
  2. Wirtschaftsgeschichte: Das Problem
  3. Geschichte erklärt
  4. Schlussfolgerung und Ausblick

Vorwort

Hans-Hermann Hoppe ist einer der bemerkenswertesten libertären Wissenschaftler unserer Zeit. Er begann als Dissertationsstudent von Jürgen Habermas, dem berühmten deutschen Philosophen und Gesellschaftstheoretiker. Habermas war und ist bis heute ein überzeugter Marxist. Er ist der Kopf der berüchtigten Frankfurter Schule.

Habermas war von Hans sehr beeindruckt, und unter der Schirmherrschaft dieses bedeutenden Marxisten hatte Hans allen Grund zur Annahme, dass ihn eine steile akademische Karriere in seiner Heimat Deutschland erwartete. Es tauchte bald ein Problem auf, das jedoch zu günstigen Ergebnissen für all jene führte, die die Freiheit lieben. Hans kam bald zur Erkenntnis, dass der Linksradikalismus und Sozialismus, mit denen er aufgewachsen war, intellektuell unfruchtbar und moralisch bankrott waren. Auf eigene Faust entdeckte er die großen Werke von Ludwig von Mises und Murray N. Rothbard.

Die österreichische Denkschule der Nationalökonomie und Murrays Anarchismus waren nicht das, was Habermas im Sinn hatte. Sein Wandel zum Libertären bedeutete für Hans im Endeffekt das Ende seiner Chancen auf einen Lehrstuhl an einer großen deutschen Universität, obwohl er aufgrund seiner geistigen Leistungen dafür ohne weiteres qualifiziert war. Hans ist jedoch, wie Murray, ein Gelehrter mit vollkommener intellektueller Integrität. Was er als Wahrheit erkannte, gab er, ungeachtet der Kosten für seine Karriere, nicht auf.

Hans entschied, in die USA zu gehen, um bei Murray zu studieren, der damals in New York lehrte. Als ich Hans das erste Mal traf, war ich beeindruckt, wie fest er von den Rothbardschen Prinzipien überzeugt war, und von seiner überragenden intellektuellen Fähigkeit. Selbstverständlich erkannte Murray das Potential von Hans sofort. Als Murray zu einem Stiftungslehrstuhl für Ökonomie an der Universität von Nevada in Las Vegas berufen wurde, sorgte er dafür, dass Hans ebenfalls eine Stellung an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät erhielt. Zusammen wandelten die beiden die UNLV in ein Hauptzentrum für das Studium Österreichischer Ökonomie um; dies taten sie gegen den heftigen Widerstand einiger ihrer Fakultätskollegen.

Murray war besonders von einem Hauptargument von Hans beeindruckt. Hans’ Lehrer Habermas entwickelte einen neuen Ansatz für die Ethik auf der Grundlage der rationalen Argumentation. In einer Weise, die kaum die Zustimmung von Habermas finden würde, hat Hans die Habermassche Ethik auf den Kopf gestellt. Anstatt den Sozialismus zu stützen, lieferte die Argumentationsethik, wie Hans sie erklärte, einen starken Rückhalt für Selbsteigentum und Privateigentum. Dem Argument von Hans stimmte Murray von Herzen zu und lobte kräftig: „Hans Hoppe hat ... aus selbstevidenten Axiomen eine anarcho-Lockesche Rechtsethik abgeleitet. Nicht nur das: Er hat gezeigt, dass es, genau wie im Fall des Handlungsaxioms, unmöglich ist, die anarcho-Lockesche Rechtsethik zu leugnen oder abzulehnen, ohne sofort sich selbst zu widersprechen und zu widerlegen.” („Liberty“, November 1988)

Hans hatte Habermas auf den Kopf gestellt; aber das reichte ihm nicht aus. Er kippte die herkömmliche Auffassung nochmals um. Hans ist, wie Murray, ein Anarchokapitalist. Der beste Staat ist überhaupt kein Staat. Trotzdem stellt sich die Frage: Welche Staatsform ist, in einer Welt voller Staaten, die am wenigsten schlechteste? Fast jeder sagt: „die Demokratie“. Leider stimmen dem viele Libertäre zu. In seinem Klassiker „Demokratie – der Gott, der keiner ist“ zeigte Hans, dass die Demokratie zu verschwenderischen Ausgaben und leichtsinniger Politik führt. Die Mächtigen wissen, dass ihre Zeit in den Führungspositionen begrenzt ist. Aus diesem Grund ist ihre Einstellung jene, „so viel wie möglich so schnell wie möglich herauszuholen“. Im Gegensatz dazu werden die Neigungen eines Königs weniger ausbeuterisch sein. Er wird versuchen, das Leben und das Eigentum seiner Untertanen zu bewahren, weil er kein vorübergehender Herrscher ist und seinen Nachkommen ein wohlhabendes Reich hinterlassen will. Natürlich hat Hans nicht gesagt, dass die Monarchie etwas „Gutes“ sei, sondern nur, dass sie tendenziell besser ist als eine Demokratie. Der große katholische klassische Liberale Erik von Kuehnelt-Leddihn, der Einfluss auf Hans hatte, sagte, dass dies eine brillante Erkenntnis war.

In „Von der Aristokratie über die Monarchie zur Demokratie“, einem der Aufsätze in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“, ist Hans‘ Position zusammengefasst. Leser seines brillanten Werks werden entdecken, dass, wenn die Monarchie besser als die Demokratie ist, die Aristokratie noch besser ist. Wenn Sie noch nichts von Hans gelesen haben, dann erwartet Sie ein Leckerbissen. Auf nur wenigen Seiten wird er sie dazu bringen, alles in Frage zu stellen, was Sie jemals über den Staat gelesen haben.

Hans zeigt in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ durchgehend, wie die Lehren der Österreichischen Schule der Ökonomie unser Verständnis der Geschichte bereichern können. Indem er dies tut, folgt Hans dem von seinem großen Mentor Murray Rothbard vorgezeichneten Pfad. Wie Murray ist Hans ein Gelehrter mit fast allumfassenden Interessen. Er ist in der Anthropologie und Soziologie ebenso bewandert wie in der Weltgeschichte, der Ökonomie und der Philosophie.

Auf der Grundlage seines immensen Wissens und „österreichischer“ Erkenntnisse diskutiert Hans zwei Fragen: Wie ist die Familie und wie das Privateigentum entstanden? Wie kam die industrielle Revolution in Gang? Die Leser werden sehen, wie die Entstehung gesicherter Eigentumsrechte und des freien Marktes unverzichtbar für den menschlichen Fortschritt waren. Die entscheidende Frage unserer Zeit ist daher: Werden sich diese Entwicklungen, zum großen Nutzen der Menschheit, fortsetzen, oder wird der Staat in der Lage sein, sie zu vereiteln?

In „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ erinnert die Art, wie Ökonomie und Philosophie verwendet werden, um Geschichte zu erklären, an libertäre Klassiker wie Franz Oppenheimers „Der Staat“, Albert J. Nocks „Our Enemy, the State“ und Frank Chodorovs „The Rise and Fall of Society“. „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ ist eine ideale Einführung in die Gedankenwelt eines führenden Gesellschaftsdenkers und herausragenden Libertären.

Llewellyn H. Rockwell, Jr.

Einführung:
Eine austro-libertäre Rekonstruktion

Die folgenden Studien sind ein Versuch, drei der bedeutsamsten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit zu erklären.

Erstens erkläre ich den Ursprung des Privateigentums, insbesondere an Grund und Boden, und der Familie sowie des Familienhaushalts als institutionelle Grundlage der Ackerbaus und der landwirtschaftlichen Lebensweise, die vor etwa 11.000 Jahren mit der neolithischen Revolution im fruchtbaren Halbmond des Nahen Ostens begann und die seither – bis weit ins späte 19. Jahrhundert hinein – das Leben der Menschen überall formte und prägte.

Zweitens erkläre ich den Ursprung der industriellen Revolution, die um 1800, vor gut 200 Jahren, in England begann. Bis dahin lebte die Menschheit jahrtausendelang unter „malthusianischen“ Bedingungen. Ständig schmälerte das Bevölkerungswachstum die verfügbaren Überlebensmittel. Jeder Produktivitätszuwachs wurde schnell von einer wachsenden Bevölkerungszahl auf eine solche Weise „aufgefressen“, dass die Realeinkommen des überwältigenden Teils der Bevölkerung konstant beim Existenzminimum gehalten wurden. Nur seit jetzt etwa zwei Jahrhunderten ist der Mensch in der Lage gewesen, Bevölkerungswachstum mit zunehmendem Pro-Kopf-Einkommen zu kombinieren.

Und drittens erkläre ich den parallel ablaufenden Ursprung und die Entwicklung des Staates als territorialem Monopolist der letztgültigen Entscheidungsfindung – das heißt eine Institution, die mit der Macht ausgestattet ist, der Bevölkerung eines Territoriums Gesetze aufzuerlegen und von ihr Steuern zu erheben – und seine Verwandlung vom monarchischen Staat mit „absolutistischen“ Königen in einen demokratischen Staat mit „absolutistischen“ Völkern, wie er im Verlauf des 20. Jahrhunderts hervortrat.

Während dies als Einführung ausreichen und der Leser sich gleich die folgenden Kapitel vornehmen könnte, sind möglicherweise ein paar zusätzliche Bemerkungen für den philosophisch geneigten Leser angebracht.

Bis ins frühe 20. Jahrhundert wäre das Folgende als soziologische Studien gewertet worden. Aber mit dem im Verlauf des 20. Jahrhunderts geschehenen Aufstieg und zunehmend dominierenden Einfluss der empiristisch-positivistisch-falsifikationistischen Philosophie hat der Begriff der Soziologie in der Zwischenzeit eine ganz andere Bedeutung angenommen. Der empiristischen Philosophie zufolge sind normative Fragen – Fragen über Gerechtigkeit, „richtig“ und „falsch“ – überhaupt nicht wissenschaftlich – infolgedessen hat sich der Großteil der „wissenschaftlichen“ Soziologie dogmatisch auf irgendeine Variante des ethischen Relativismus festgelegt, demzufolge „alles erlaubt“ ist. Und die empiristische Philosophie schließt die Existenz jeglicher nicht-hypothetischer, nicht-falsifizierbarer oder synthetisch a priori wahren Gesetze und Wahrheiten kategorisch aus – und entsprechend hat sich die moderne Soziologie auch auf irgendeine Variante des empirischen Relativismus festgelegt, demzufolge „alles möglich“ ist, „nichts sicher“ ist und „nichts von vornherein ausgeschlossen werden kann“.

Meine Studien sind und tun alles, was ein „guter Empiriker“ nicht tun soll; denn ich erachte die empiristisch-positivistische Philosophie für falsch und unwissenschaftlich und betrachte ihren Einfluss besonders auf die Sozialwissenschaften als eine absolute intellektuelle Katastrophe.

Es ist nachweisbar falsch, dass Ethik keine Wissenschaft ist und dass es keine universellen Prinzipien der Gerechtigkeit gibt und keine „wahren“ (nicht-beliebigen) Kriterien, mit denen moralischer Fortschritt vom Verfall zu unterscheiden sei. Es ist ebenfalls nachweisbar falsch, dass keine universellen und unabänderlichen Gesetze menschlicher Handlung und Interaktion existieren, das heißt keine Gesetze darüber, was möglich ist und was nicht und was in menschlichen Beziehungen erfolgreich getan werden kann und was nicht, und keine nicht-beliebigen Kriterien für die Beurteilung von Handlungen als korrekte und erfolgreiche oder als unkorrekte und fehlerhafte Lösungen für ein gegebenes Problem oder einen gegebenen Zweck.

Was die zweite, „positivistische“ Behauptung angeht, so steht das gesamte Gedankengebäude der klassischen Ökonomie in Widerspruch dazu. Die klassische Ökonomie, die in der „marginalistischen Revolution“ rekonstruiert, neu definiert und fortgedacht wurde, insbesondere durch ihren Wiener Zweig, der von Carl Menger (1840–1921) mit seinen „Grundsätzen der Volkswirtschaftslehre“ (1871) gegründet wurde, der mit Ludwig von Mises (1881–1973) und seinem unübertroffenen „Human Action“ (1940) seinen Höhepunkt erreichte, und der als „Österreichische Ökonomie“ bekannt wurde, liefert das intellektuelle Material für ein eindrucksvolles, umfassendes System nicht-hypothetischer, wahrer Gesetze der menschlichen Handlung, der Praxeologie – der Logik der Handlung – und praxeologischer Gesetze.

Jede Erklärung historischer Ereignisse muss die Praxeologie – und insbesondere Ludwig von Mises – berücksichtigen, und es sind die „Empiristen“, die in ihrer Arbeit unzureichend empirisch sind. Indem sie bei ihren Untersuchungen der sozialen Welt die grundlegenden praxeologischen Invarianten und Konstanten ignorieren, sehen sie den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Was die erste, die „normative“ Behauptung betrifft, so steht sie mit dem gesamten Gedankengebäude des privaten Rechts im Widerspruch, insbesondere mit dem Eigentums- und Vertragsrecht, das sich als Antwort auf das ständige Auftreten interpersoneller Konflikte um knappe Ressourcen entwickelte. Aus der alten „Naturrechts“-Tradition der Stoiker, über das Römische Recht, das scholastische Recht, bis zur modernen, säkularen „Naturrechts“-Tradition, war bis zum 19. Jahrhundert ein Gesetzeskorpus und Literaturbestand über Recht entstanden, die jeden ethischen Relativisten beschämen dürften.

Diese Tradition, die lange Zeit unter Bergen positivistischen juristischen Mülls begraben lag, wurde von Murray N. Rothbard (1926-1995) gerettet, wiederbelebt und rigoros rekonstruiert, vor allem in seiner „Ethik der Freiheit“ (1981), zu dem bis heute umfassendsten System des Naturrechts und der politischen Philosophie des Libertarismus.

Jegliche normative Bewertung historischer Ereignisse und Entwicklungen, die Wissenschaftlichkeit beansprucht, das heißt die mehr ist als ein willkürlicher Ausdruck des Geschmacks, muss den Libertarismus und insbesondere Murray Rothbard in Betracht ziehen.

Aus diesem Grund, um anzuzeigen, welche Methode meinen Studien zur Geschichte der Menschheit als Leitlinie dient, lautet der Untertitel meines Buches: „Eine austro-libertäre Rekonstruktion“.

Die Ereignisse in der Menschheitsgeschichte, die ich erklären möchte, sind nicht notwendig und vorbestimmt, aber bedingt empirische Ereignisse, und somit sind meine Studien keine Ausflüge in ökonomische oder libertäre Theorie. Sie müssen Geschichte darstellen, wie sie wirklich war, und alle bekannten Fakten berücksichtigen. In dieser Hinsicht erhebe ich keinen Anspruch auf Originalität. Ich fördere keine unbekannten Fakten zutage oder bestreite bestehende Erkenntnisse. Ich verlasse mich auf das, was andere als bekannte Tatsachen ausgewiesen haben. Aber die Tatsachen und die Chronologie der Ereignisse erklären oder interpretieren nichts von sich aus. Was meine Studien unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie die Geschichte der Menschheit vom austro-libertären Gesichtspunkt aus erklären und interpretieren: vor dem Hintergrund des Wissens über Praxeologie (Ökonomie) und Libertarismus (Ethik). Sie wurden im Bewusstsein geschrieben, dass es das Merkmal praxeologischer Gesetze ist, nicht-hypothetisch oder aprioristisch zu sein, und dass solche Gesetze strikte logische Einschränkungen im Hinblick darauf auferlegen, welche von allen denkbaren Erklärungen und Interpretationen gegebener historischer Datensätze überhaupt als möglich und möglicherweise (hypothetisch) wahr (und somit wissenschaftlich zulässig) gelten, und welche stattdessen als unmöglich beziehungsweise als unmöglich wahr ausgeschlossen werden können und müssen. Geschichte wird somit rational rekonstruiert, das heißt mit dem Wissen, dass jede mögliche wahre empirische Erklärung und Interpretation nicht nur mit den „Fakten“, sondern insbesondere mit den Gesetzen der Praxeologie und Ethik übereinstimmen muss und dass jede Erklärung oder Interpretation, die zu solchen Gesetzen im Widerspruch steht, selbst wenn sie anscheinend „mit den Fakten übereinstimmt“, nicht nur empirisch falsch, sondern auch überhaupt keine wissenschaftlich zulässige Erklärung oder Interpretation ist.

Die derart rekonstruierte und neu erzählte Geschichte ist in einem bedeutenden Maße revisionistische Geschichte, die nicht nur dem widerspricht, was der dominierende linkslastige „Mainstream“ in diesem Bereich zu sagen hat, sondern, aufgrund der Akzentsetzung in meinen Studien auf die Ungleichheiten unter Menschen, insbesondere auf die ungleichen kognitiven Fähigkeiten und psychischen Neigungen, auch vielem widerspricht, was in dieser Hinsicht von „politisch korrekten“ und „progressiven“ sogenannten „kosmopolitischen“ Establishment-Libertären geäußert wird.

Somit wird das erste bedeutsame Ereignis in der Geschichte der Menschheit, die neolithische Revolution, als eine kognitive Errungenschaft erster Ordnung und großer Fortschritt in der Evolution menschlicher Intelligenz rekonstruiert. Die Institutionen des Privateigentums an Boden und der Familie und die Praxis des Ackerbaus und der Viehzucht werden als rationale Erfindungen erklärt, als neue und innovative Lösungen für das Problem, dem sich Jäger- und Sammlerstämme gegenübersahen, nämlich die Ausbalancierung von Bevölkerungswachstum und die zunehmende Knappheit an Boden.

Auf ähnliche Weise wird die industrielle Revolution als weiterer großer Sprung nach vorn in der Entwicklung menschlichen rationalen Denkens rekonstruiert. Das Problem des Ausbalancierens von Boden und Bevölkerungsgröße, das durch die ursprüngliche Erfindung und die anschließende Verbreitung und weltweite Nachahmung der Landwirtschaft vorübergehend gelöst worden war, musste irgendwann wieder auftauchen. Solange die Bevölkerungszahl zunahm, konnte das Pro-Kopf-Einkommen nur steigen, wenn und solange das Produktivitätswachstum das Bevölkerungswachstum übertraf. Aber stetige Produktivitätszuwächse, das heißt die kontinuierliche Erfindung neuer und effizienterer Geräte für die Produktion von immer mehr, neuer oder besserer Produkte erfordern ein stetig hohes Niveau an menschlicher Intelligenz, Einfallsreichtum, Geduld und Erfindungskraft. Wo immer und solange es an einer solchen Intelligenz mangelt, muss Bevölkerungswachstum zu niedrigeren – und nicht höheren – Pro-Kopf-Einkommen führen. Daher markiert die industrielle Revolution den Punkt, an dem menschliche Rationalität ein Niveau erreichte, das hoch genug war, um einen Ausbruch aus dem Malthusianismus zu ermöglichen. Und der Ausbruch wird als Ergebnis des „Züchtens“, im Verlauf vieler Generationen, einer intelligenteren Bevölkerung rekonstruiert. Höhere Intelligenz setzte sich in größeren wirtschaftlichen Erfolg um, und größerer wirtschaftlicher Erfolg, verbunden mit selektiven Ehe- und Familientraditionen, setzte sich in größeren reproduktiven Erfolg (die Produktion einer größeren Zahl überlebender Nachkommen) um.

In Verbindung mit den Gesetzen der menschlichen Genetik und der Vererbung entsteht damit im Verlauf der Zeit eine intelligentere, erfinderischere und innovativere Bevölkerung.

Schließlich wird, während neolithische und industrielle Revolution als angemessene und innovative Lösungen eines hartnäckigen Problems rekonstruiert werden, nämlich das einer wachsenden Bevölkerung, die den Lebensstandard beeinträchtigt, und somit als großartige intellektuelle Fortschritte, das dritte bedeutsame Ereignis als Erfindung des Staates erklärt. Der Staat ist ein territorialer Monopolist der höchsten Entscheidungsfindung, und seine sukzessive Umwandlung von einer Monarchie zu einer Demokratie wird als Ergebnis einer Folge kumulativer intellektueller – moralischer und ökonomischer – Fehler rekonstruiert und als Rückschritt in der Entwicklung menschlicher Rationalität und eine zunehmende Gefahr für die in der industriellen Revolution erreichten Erfolge. Per Konstruktion kann der Staat nicht erreichen, was er erreichen soll. Er soll Gerechtigkeit produzieren, das heißt das Gesetz aufrechterhalten und durchsetzen; wenn er aber mit der Macht der Gesetzgebung ausgestattet ist, kann der Staat – und wird er zwangsläufig – das Gesetz brechen und sich Gesetze geben, die ihn begünstigen, und er wird somit Ungerechtigkeit und moralische Korruption produzieren. Und der Staat soll das Eigentum seiner Einwohner vor dem Eindringen fremder Truppen schützen, aber, da er mit der Macht ausgestattet ist, seine Einwohner zu besteuern, kann er – und wird er zwangsläufig – das Eigentum dieser Einwohner enteignen, und zwar offensichtlich nicht, um sie und ihr Eigentum zu schützen, sondern um sich selbst und seine Enteignungen gegen jeden sogenannten „Eindringling“, egal ob fremd oder einheimisch. Als „enteignender Eigentumsschützer“, das heißt als eine im Grunde „parasitäre“ Institution, kann der Staat niemals hilfreich sein, sondern wird die Produktion des Wohlstandes immer behindern und somit das Pro-Kopf-Einkommen senken.

Im Zusammenhang mit den folgenden Studien hoffe ich daher einen kleinen Beitrag zur alten Tradition großer Sozialtheorie zu leisten und den langen Ablauf der Menschheitsgeschichte von ihren ersten Anfängen bis in die Gegenwart leichter verständlich zu machen.

Hans-Hermann Hoppe

Istanbul, Januar 2015

Erstes Kapitel:
Über den Ursprung des Privateigentums und der Familie

I. Der Hintergrund: Geschichte

Es ist vertretbar, mit der Geschichte der Menschheit vor fünf Millionen Jahren zu beginnen, als sich der menschliche Zweig evolutionärer Abstammung von jenem unserer nächsten nichtmenschlichen Verwandten, den Schimpansen, trennte. Ebenso vertretbar ist es, vor 2,5 Millionen Jahren zu beginnen, als der erste Homo habilis auftauchte; oder vor 200.000 Jahren, als der erste Vertreter des „anatomisch modernen Menschen“ erschien; oder vor 100.000 Jahren, als der anatomisch moderne Mensch die maßgebende menschliche Form darstellte. Stattdessen möchte ich vor nur 50.000 Jahren beginnen, als sich der „anatomisch moderne Mensch“ zum „verhaltensmäßig modernen Menschen“ entwickelt hatte. Dies ist ebenfalls ein in hohem Maße vertretbarer Ausgangspunkt.1

Der Begriff „verhaltensmäßig moderner Mensch“ bezieht sich auf die Existenz der Jäger und Sammler, von denen es selbst heute noch einige vereinzelte Gesellschaften gibt. Archäologischer Nachweise zufolge waren die Jagdfähigkeiten der vor 100.000 Jahren lebenden Menschen noch ziemlich unterentwickelt. Jedenfalls waren sie nicht in der Lage, große und gefährliche Tiere zu erlegen, und anscheinend konnten sie nicht fischen. Ihre Werkzeuge wurden fast ausschließlich aus Stein und Holz und aus Materialien örtlichen Ursprungs hergestellt, was darauf hinweist, dass Reisen oder Handel über nennenswerte Distanzen unterblieben. In deutlichem Gegensatz dazu ist der Werkzeugsatz der Menschen etwa 50.000 Jahre später von neuartiger und sehr fortgeschrittener Erscheinung. Neben Stein und Holz wurden andere Materialien verwendet: Knochen, Geweih, Elfenbein, Zähne, Muscheln, und die anderen Materialien kamen oft aus entfernten Gegenden. Die Anfertigung der Werkzeuge, einschließlich der Messer, Nähnadeln, Haken, Stecknadeln, Bohrer und Klingen war komplexer und gekonnter. Die Wurfgeschosstechnik war viel besser und deutete auf eine hochentwickelte Jagdfähigkeit hin (wenngleich der Bogen erst vor etwa 20.000 Jahren erfunden wurde). Außerdem konnte der Mensch fischen und war anscheinend in der Lage, Boote zu bauen. Dazu tauchen zu dieser Zeit neben schlichten, funktionellen Werkzeugen auch anscheinend rein künstlerische Gegenstände auf: Ornamente, Figurinen und Musikinstrumente wie Vogelknochen-Flöten.

Es ist vermutet worden, dass diese bedeutsame Entwicklung durch einen genetischen Wandel ermöglicht wurde, der die Entstehung der Sprache auslöste, die mit einer radikalen Verbesserung in der Lern- und Innovationsfähigkeit des Menschen einherging. Die Urmenschen – Homo ergaster, Homo neanderthalensis, Homo erectus – verfügten über keine Sprache. Selbstverständlich kann mit Sicherheit angenommen werden, dass sie, wie viele der höher entwickelten Tiere, die zwei sogenannten niedrigeren Funktionen der Sprache einsetzten: die expressive oder symptomatische Funktion und die Auslöser- oder Signalfunktion.23