Inhalt

Vorwort

Das Bekenntnis zur Demokratie ist in der westlichen Welt heute fast ebenso selbstverständlich wie einst das Bekenntnis zu Gott und das Amen in der Kirche. Heutzutage die Demokratie verleugnen oder über sie lästern zu wollen, ist eine Sünde, ähnlich wie es einstmals die Gottesleugnung und -laesterung waren. Die Demokratie ist zum neuen Gott geworden. Ihn zu verleugnen oder lächerlich zu machen ist heute ein Vergehen so schwerwiegend und schlimm wie etwa die Verbreitung von Kinderpornographie, wenn nicht noch schlimmer und gefährlicher.

Das war nicht immer so, wie Andreas Tögel im vorliegenden Buch anhand vieler Zitate aus den Zeitläuften belegt. Im Gegenteil. Abgesehen von der jüngsten Vergangenheit wurde die Demokratie von nahezu allen politischen Denkern als dem Menschen von Natur aus abwegig verurteilt und abgelehnt. Demokratie bedeutete ja nicht Selbstbestimmung. Demokratie bedeutete Mehrheitsherrschaft und mithin Fremdbestimmung. Und noch konkreter bedeutete Demokratie Demagogentum und Pöbelherrschaft.

Und selbst unter den wenigen Befürwortern der Demokratie dachte dabei niemand an das, was man heute unter dem Begriff versteht. Allenfalls dachte man an kleine Gemeinden oder Städte, in denen die Volksherrschaft zur Geltung kommen sollte. Und selbst dort sollte der größte Teil des Volkes von der Wahl ausgeschlossen sein. Niemand dachte etwa im antiken Athen daran, auch Sklaven das Wahlrecht zu gewähren. Ebenso abwegig erschien es, Frauen an demokratischen Wahlen zu beteiligen. Und selbstverständlich sollten alle besitz- und eigentumslosen Personen nicht wählen dürfen. Das Volk, an das man dachte, bestand vielmehr nur aus vermögenden Männern reiferen Alters. Die heute gängige – egalitäre – Vorstellung eines uneingeschränkten allgemeinen Wahlrechts aller erwachsenen Personen nicht nur einer kleinen Gemeinde, sondern einer ganzen, Millionen von Personen umfassenden Nation, erschien selbst diesen wenigen bekennenden Demokraten ungeheuerlich. Eine derart verstandene Demokratie, so ihre Befürchtung, müsse zwangsläufig zu einer Einrichtung verkommen, mittels derer jedermann bestrebt sein werde, auf Kosten aller anderen zu leben und sich an ihnen zu bereichern.

Dass dies in der Tat so ist, und vor allem warum ein derartiges demokratisches Treiben auf die Dauer nicht gutgehen kann und in einer wirtschaftlichen und moralischen Krise katastrophalen Ausmaßes enden muss, beschreibt und erklärt Andreas Tögel im Folgenden in aller wünschenswerten Klarheit – in einem Stil, der deutlich an die Schriften Roland Baaders erinnert.

Wie Baader, so kommt auch Tögel nicht aus dem akademisch-universitären Milieu. Er ist selbständiger Unternehmer und Privatgelehrter, so wie es auch Baader war. Wie Baader, so ist auch Tögel entscheidend geprägt durch das Studium der „Österreichischen Schule der Ökonomie“ und insbesondere der Schriften Ludwig von Mises‘. Und wie Baader, so schreibt auch Tögel deshalb nicht akademisch gestelzt, verdreht und verbrämt, sondern, zur Freude des Lesers, schwung- und kraftvoll, drastisch, plastisch und polemisch, und dabei doch immer sachlich und folgerichtig argumentizerend.

Im Unterschied zu Roland Baader – aber so wie Ludwig von Mises – ist Andreas Tögel darüber hinaus „Österreicher“ auch im landsmannschaftlichen Sinne. Sein Buch enthält darum über alle generellen Einsichten hinaus auch noch eine Vielzahl von Schmankerln speziell für den Österreicher und alle Österreichkenner und -freunde.

Hans-Hermann Hoppe

Einleitung

„Der Nachteil der Demokratie ist, dass man von Idioten und Pack gewählt werden muss, wenn man etwas verändern will.“

Wolf Biermann

Ende der 1960er Jahre sind die Spuren des letzten Weltkriegs im westlichen Teil Europas weitestgehend verschwunden. Das sogenannte „Wirtschaftswunder“ ist vollbracht. Der materielle Wohlstand nimmt rasant zu. Doch, wie sagt der Volksmund: „Wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen.“ Jetzt ist es so weit. Die 68er-Bewegung macht sich auf, den von ihr gewitterten „Muff von tausend Jahren“ zu vertreiben, den „konservativen Mief“ der bürgerlichen Gesellschaft wegzublasen. Positive Alternativen hat sie nicht im Gepäck. Was sie bewegt, sind ihre Verachtung für alle traditionellen Werte, die blinde Verehrung marxistischer Verbrecher in Vietnam und auf Kuba und blanker Hass auf alles Amerikanische. Nur ein Jahr später, 1969, kündigt der frischgebackene deutsche Kanzler Willy Brandt an, „mehr Demokratie wagen“ zu wollen. Bald danach droht der in Österreich bei den Wahlen zum Nationalrat siegreiche Bruno Kreisky damit, „alle Lebensbereiche mit Demokratie zu durchfluten“. Beide Herren sind Sozialdemokraten. Beide setzen ihre Ankündigungen prompt in die Tat um und sorgen damit für einen nie zuvor erlebten Grad an Politisierung der Gesellschaft. Alles Private wird plötzlich politisch – und bleibt es bis heute. Der Grad der politischen Durchdringung der Gesellschaften hat seither sogar noch beträchtlich zugenommen.

Deutschland und Österreich stehen mit dieser Entwicklung nicht alleine da. Die politische Landschaft ganz Europas, sofern es sich nicht um die des damals noch existierenden Sowjetimperiums handelt, rückt unaufhörlich nach links. Die mit der von der Europäischen Union verfolgten Politik des „Gender Mainstreaming“ einhergehende Feminisierung Europas ist im Begriff, diesen Trend noch weiter zu verstärken, da Frauen linker Politik in stärkerem Maße den Vorzug geben als Männer.

Wenn heute über den zum Teil dramatischen Niedergang sozialdemokratischer Parteien räsoniert wird, ist die Ursache dafür nicht etwa in einer zunehmenden Zurückweisung linker Ideen zu suchen. Vielmehr spiegelt die Erosion der Sozialdemokratien den Umstand wider, dass inzwischen auch die meisten ehemals konservativen und liberalen Parteien lupenrein sozialdemokratische Positionen angenommen haben. Konservative, auf die diese Bezeichnung tatsächlich zutrifft, also Männer wie Erik von Kuehnelt-Leddihn, oder gestandene Liberale vom Schlage eines Eugen Richter, sucht man in der politischen Klasse Europas heute weithin vergeblich.

Das bleibt nicht folgenlos. Mit dem vollständigen Triumph sozialdemokratischen Denkens und Handelns geht eine stetig voranschreitende, inzwischen nahezu totale, Entmündigung des Bürgers einher. Der (sozial-) demokratische Wohlfahrtsstaat verspricht ein allumfassendes Vollkaskosystem. Das gibt es allerdings nicht kostenlos. Der Preis dafür ist nicht gering: Es ist nicht weniger als die Freiheit.

Längst geht es dem Staat nicht mehr nur um die Erfüllung jener zentralen Aufgaben, für die er einst „erfunden“ wurde: um Sicherheit nach außen und im Inneren sowie um das Rechtswesen. Bezeichnenderweise versagt er sogar ausgerechnet in diesen wesentlichen Bereichen in zunehmenden Maße: Militärische Impotenz, wachsende – zu einem beträchtlichen Teil importierte Kriminalität und schwindende Rechtssicherheit kennzeichnen heute so gut wie alle Provinzen der Europäischen Union. Das Versagen bei seinen zentralen Aufgaben kompensiert der Staat an anderer Stelle: Der demokratisch verfasste Leviathan nimmt seinen Untertanen heute selbst die Entscheidung darüber ab, wie eine Toilettenbeleuchtung und -spülung, ein Staubsauger, Toaster oder Rasenmäher beschaffen zu sein hat.

In Restaurants – also in von Privatpersonen betriebenen Etablissements – gilt längst öffentliches Recht. Das bürgerliche Recht ist dort abgeschafft. Wirt und Gäste sind nicht mehr länger berechtigt, freie Vereinbarungen über Art und Qualität der zu erbringenden Dienstleistung zu treffen – etwa hinsichtlich der angebotenen Speisen und deren Bestandteilen, oder bezüglich der herrschenden Luftqualität. Ob geraucht wird oder nicht, entscheidet nicht mehr der Hausherr, sondern die Zentralbürokratie. Der Wirt ist nicht mehr berechtigt, eine „Raucherlounge“ einzurichten. Ihren Gästen einen solchen Service zu bieten, wurde ihnen per Dekret verboten (in Österreich bestehen noch kleine Ausnahmen, die schon bald verschwinden werden).

Die herrschende Klasse im demokratisch legitimierten Gouvernantenstaat duldet keine selbstbestimmten Entscheidungen ihrer Untertanen. Zunehmend maßt sie sich an, die Menschen vor sich selbst – und vor den Folgen ihres vermeintlich stets fehlerhaften Handelns zu beschützen. Die Führer des demokratischen Staates wissen immer alles besser als die Betroffenen selbst. Die Bürger haben daher hinzunehmen, dass „Big Brother“ sich auch in höchst persönlichen und privaten Belangen zu ihrem unduldsamen Vormund aufschwingt – nur zu ihrem Besten, versteht sich.

Keinem Monarchen zur Zeit des Absolutismus ist es, allenfalls von Fragen der Religion abgesehen, jemals eingefallen, derart umfassend ins Privatleben seiner Untertanen einzugreifen, wie es demokratische Regimes heute mit größter Selbstverständlichkeit zu tun pflegen. Die vergleichsweise minimalen Mittel, die Kaisern und Königen zur Verfügung standen, hätten es ihnen gar nicht erlaubt, das für die Durchsetzung der heute üblichen paternalistischen Übergriffe erforderliche Personal zu bezahlen. Die vom Volk zu schulternden Steuerlasten waren folglich, gemessen an heutigen Verhältnissen, geradezu lächerlich niedrig. Hätten die Fürsten mehr gefordert, wären sie wohl recht bald davongejagt oder um einen Kopf kürzer gemacht worden.

„Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein zehnminütiges Gespräch mit einem x-beliebigen Wähler.“

Winston Churchill

Die Gleichgültigkeit, mit der die Bürger gegenwärtig ihre immer weiter fortschreitende Entmündigung und Ausplünderung hinnehmen, ist verblüffend. Dies umso mehr, als es im Gegensatz dazu in der Vergangenheit schon wesentlich harmloserer Anmaßungen wegen zu folgenschweren Steuerrevolten kam. Man denke etwa an die Erhebung der Boston Tea Party gegen die britische Krone anno 1773, die am Ende zur Amerikanischen Revolution führte. Damals ging es um eine recht unbedeutende Verbrauchssteuer auf ein Genussmittel. Heute hingegen werden selbst Enteignungsquoten widerstandslos akzeptiert, die bereits zwei Drittel der Einkommen übersteigen. Die Herrschenden haben es seither offensichtlich bestens verstanden, die Urteilskraft ihrer Untertanen massiv zu trüben. Es ist ihnen gelungen, Steuern von extremer Höhe und konfiskatorischem Charakter – kontrafaktisch – als Ausdruck eines hohen Zivilisationsgrades zu verkaufen. Über die Verwendung seines Einkommens nicht mehr selbst bestimmen zu dürfen, hat mit Zivilisation indes wesentlich weniger zu tun als mit Freiheitsberaubung! Zugleich wird, unter Hinweis auf die ständig komplexer werdende Welt, eine unaufhörliche Flut neuer Regelungen, Ge- und Verbote gerechtfertigt, die den Bürger schleichend entrechten.

Die von der politischen Klasse zu diesem Zweck angewandte Salamitaktik hat offensichtlich Erfolg: Einerseits sind es ja stets nur unbedeutende Kleinigkeiten, die der Leviathan zur Entscheidung an sich zieht. Andererseits brauchen die direkten Steuern meist nicht unter großem Getöse nominell erhöht zu werden. Zusätzliche Steuereinnahmen gewinnt der Fiskus – völlig unauffällig – durch die „kalte Progression“. Oder – noch eine Spur eleganter – mittels der staatlich gesteuerten Geldinflation. Diese besonders tückische Form der Vermögensentwertung und Enteignung hat für die Regierung den gewaltigen Vorteil, nicht ihr, sondern regelmäßig „profitgierigen Unternehmern“ und „gewissenlosen Bankern“ angelastet zu werden.

Kein einziger dieser hoheitlichen Übergriffe erscheint, für sich genommen, schwerwiegend genug, um größere Aufregung auszulösen. Wegen einer Duschkopfverordnung, einer Abwas sergebührenerhöhung oder einer weiteren Geldmengenausweitung bricht schließlich niemand eine Revolte vom Zaun. So kann die politische Klasse ihr die Freiheit zerstörendes Werk ungehindert fortsetzen und laufend verstärken.

„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Jean-Claude Juncker

Doch die Summe von ausufernden Regulierungen und exzessiven Tributforderungen führt allmählich zu einer dramatischen Transformation der Gesellschaft. Die springt allerdings erst dann ins Auge, wenn man den Blick auf weiter zurückliegende Zustände – und das Maß der damals noch herrschenden Freiheit – richtet und mit der heutigen Lage vergleicht. Dann wird offenbar, wie viele Entscheidungen – und seien es die über die Menge des auf der Toilette verbrauchten Spülwassers oder die Verwendung der Früchte seiner Arbeit – der Staat dem Bürger bereits abgenommen hat – zum Teil sogar vollständig.

Dass die Steuerquote in Österreich von 1970 bis heute um rund zehn Prozentpunkte gestiegen ist, ohne dass es darüber auch nur den geringsten Disput gegeben hätte, spricht Bände. Das fünfte Kapitel ist der Suche nach Erklärungen für diese erstaunliche Tatsache gewidmet.

Bis zu welchem Grad an Entrechtung und Ausbeutung kann ein Individuum noch als „frei“ gelten? Ist ein Mensch nicht längst zum Sklaven herabgesunken, wenn es ihm nicht mehr gestattet ist, wenigstens die Hälfte der Früchte seiner Arbeit zu behalten? Auch wenn sich die wenigsten privatwirtschaftlich Erwerbstätigen dessen bewusst sein dürften, ist das längst der Fall. Aber warum regt das keinen auf?

„Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit!“

Marie von Ebner-Eschenbach

Nichts von einigem Belang bleibt gegenwärtig der Entscheidung der vom demokratischen Kollektiv beauftragten Nomenklatura entzogen. Bildung, Ausbildung, Wohnen, Arbeit, Gesundheit, Daseinsvorsorge, Eigentum – alles unterliegt mehr oder weniger vollständig der Regelung durch den Staat. Alle, wirklich alle entscheidenden Lebensbereiche werden heute bis ins Detail von der hohen Politik bestimmt. Auch dass der moderne Wohlfahrtsstaat zunehmend aggressiv nach den Kindern greift, passt ins Bild. Kindergartenpflicht, Ganztagsschule, Ausdehnung der Schulzeiten – allesamt Maßnahmen, die den Nachwuchs frühzeitig seinen Eltern entfremden und erlauben, ihn umfassend im Sinne der herrschenden Ideologie zu indoktrinieren.

„Das Desaster der Demokratie wird erst dann offensichtlich, wenn deren Versprechen völlig erfüllt worden sind"

Nicolás Gómez Dávila

Ein Zurück scheint es bei alledem nicht zu geben. Wir haben es mit einer Entwicklung zu tun, die im Maschinenbau durch eine sogenannte Sperrklinke sichergestellt wird: Dabei handelt es sich um ein mechanisches Bauteil, das eine Bewegung in nur einer vorbestimmten Richtung zulässt. Ob es sich nun um einen Schiffsanker oder um eine der großartigen „sozialen Errungenschaften“ des Wohlfahrtsstaates handeln mag: Eine erst einmal erreichte Position wird – dank des „Sperrklinkeneffekts“ – nicht wieder preisgegeben. Besonders dann nicht, wenn die Initiatoren politischer Programme schlau genug sind, zu behaupten, sie seien „sozial“.

Das vorliegende Buch ist nicht allein der Bestandaufnahme oder einer Diagnose des Gesellschaftszustands in der Spätzeit der mit der totalitären Versuchung kokettierenden Wohlfahrtsdemokratien gewidmet. Es soll damit auch ein Versuch unternommen werden, Auswege und Alternativen zu benennen.

Wo liegen die Grenzen der Regelungswut des modernen, demokratischen Staatswesens? Gibt es solche Grenzen überhaupt? Liegt es etwa im Wesen der Demokratie, langfristig alles Private zu unterdrücken, ja auszurotten? Sollen am Ende auch noch der Stuhlgang und die Auswahl des Eheoder Sexualpartners vom Staat gesetzlich geregelt werden? Darf die Mehrheit jederzeit und alles entscheiden, wie sie es für richtig hält? Das „Recht“ der Demokratie ist schließlich allein durch den Entscheid der Mehrheit „legitimiert“.

Wenn also A und B sich darauf verständigen, ihre Mehrheit über C dazu zu nutzen, ihm ein bestimmtes Verhalten aufzuzwingen oder ihm sein Eigentum zu nehmen, ist dagegen unter demokratischen Bedingungen nichts einzuwenden. Recht ist nicht länger – wie in einer Monarchie von Gottes Gnaden auf göttliche Gebote, das Naturrecht oder auf moralisch-ethische Erwägungen gegründet. Der Wille der Masse allein – der an keinerlei Voraussetzungen oder Randbedingungen gebunden zu sein braucht – gibt den Ausschlag. Allein Mehrheit schafft Recht.

„Bei großen Körperschaften ist das Irren viel wahrscheinlicher als bei Individuen. Die Leidenschaften werden durch Sympathien entflammt, die Furcht vor Strafe und das Schamgefühl werden durch Teilung gemindert. Täglich sehen wir Menschen für ihre Partei Dinge tun, die sie für sich selbst nie im Leben täten.“

Thomas Babington Macaulay, 1. Baron Macaulay of Rothley

Nicht die Qualität der Entscheidungsträger, ihre Kenntnisse, ihre bereits erbrachten oder künftig von ihnen zu erwartenden Leistungen für die Gesellschaft sind von Bedeutung. Allein ihre schiere Quantität genügt. Denn das demokratische Dogma postuliert, dass – allen Erfahrungen und besseren Einsichten zum Trotz – 100 Dummköpfe oder moralisch fragwürdige Subjekte jederzeit klügere, wertvollere und für die Gesellschaft vorteilhaftere Entscheidungen zustandebringen als ein verdienter, weiser Mann.

Der französische Jurist Alexis de Tocqueville erkannte auf einer im Auftrag seiner Regierung unternommenen Studienreise durch die USA schon früh die von einem demokratischen System mit allgemeinem Stimmrecht ausgehende Gefahr einer Diktatur der Mehrheit. [1]

Diese Gefahr wird durch die stetige Ausweitung des Kreises der Wahlberechtigten nicht kleiner – ganz im Gegenteil. In Österreich etwa dürfen schon 16-jährige Jugendliche wählen – also nicht voll rechtsfähige Personen. Soll damit tatsächlich eine Steigerung der Abstimmungsqualität einhergehen? Oder geht es nur um die Korrumpierung eines zusätzlichen Personenkreises, mittels der Zuerkennung eines Rechts, dem keinerlei Verantwortung gegenübersteht?

Augenscheinlich geht es um die Bindung der Jugend an den ebenso allsorgenden wie allmächtigen Leviathan. Denn da selbständiges Denken und Handeln es ermöglichen würden, sich von ihm zu emanzipieren, ja am Ende sogar – zumindest geistigen Widerstand zu leisten, wenden staatstragende Kreise, die allesamt zu den Profiteuren des malignen Wachstums sämtlicher Staatsaktivitäten gehören, all ihre Kraft dafür auf, dass das möglichst nie passiert.

„Demokratie ist, wenn zwei Wölfe und ein Schaf entscheiden, was es zu essen gibt.“

Thomas Jefferson

Die – im Gegensatz zu den Verhältnissen in den USA – in der politischen Realität Deutschlands und Österreichs faktisch vollständig fehlende Gewaltenteilung bewirkt – Hand in Hand mit einer erschreckend weitgehenden Korruption eines großen Teils der Massenmedien – eine unheilvolle Machtkonzentration in den Händen einer beamteten Nomenklatura. Die interessiert sich nicht im Geringsten für das Leben außerhalb geschützter Werkstätten und verfügt daher auch über keinerlei Kenntnisse darüber.

Kann ein Gemeinwesen erfolgreich von Personen geführt werden, die von den Herausforderungen keine Ahnung haben, die das Leben der Normalsterblichen bestimmen? Ist ein von der in Sonntagsreden so häufig beschworenen „Basis“ völlig entfremdetes Parlament tatsächlich eine geeignete Gesetzgebungskörperschaft?

Kann schließlich die völlige Entkoppelung von Recht auf der einen, Verantwortung und Haftung auf der anderen Seite die Basis eines dauerhaft stabilen Gesellschaftssystems bilden? Ist das insbesondere dann möglich, wenn diese Entkoppelung sowohl auf seiten der Wählenden als auch der Gewählten erfolgt beide Seiten also weder für ihre Absichten noch für ihr Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden können? Wenn nein – wie könnte das gegenwärtig praktizierte Demokratiemodell saniert werden? Und – falls sich eine Reform des bestehenden Systems als unwahrscheinlich oder gar unmöglich herausstellen sollte: Wie könnten die möglichen Alternativen aussehen?

Erstes Kapitel

Das demokratische Paradoxon

„Demokratie ist eine Regierungsform, die die Anordnungen einiger Korrupter durch die Beschlüsse vieler Inkompetenter ersetzt.“

George Bernard Shaw

Was scheinbar „schon immer“ da war, bestimmt in entscheidendem Maße das Denken der Menschen. Dass der Staat, neben vielem anderen, für Gesundheitswesen und Bildung zu sorgen hat, scheint daher sonnenklar. Wer sonst sollte es tun? Hätte der Leviathan – anstatt des Gesundheitssystems – einst die Textilproduktion an sich gerissen, würde jedermann es als selbstverständlich erachten, dass er seine Hemden, Jeans und Strümpfe von einem Staatskombinat namens „Jeder nach seinen Bedürfnissen“ zugeteilt bekommt, andernfalls er nackt herumlaufen müsste.

Dass nur ein staatliches Gütesiegel Qualität garantiert, und ausschließlich staatliche Kontrollmaßnahmen sicherstellen, dass überall alles mit rechten Dingen zugeht, steht für die Masse außer Frage. Milton Friedman prägte einst den Begriff der „Tyrannei des Status quo“, der diesen Sachverhalt beschreibt.

Nicht anders verhält es sich mit der Regierungsform, wenn sie nur lang genug praktiziert wird. Die Demokratie wird – mit überschaubar langen Unterbrechungen – selbst in Deutschland und Österreich seit immerhin nahezu 100 Jahren praktiziert. Der Großteil der heute lebenden Zeitgenossen hat weder Monarchie noch Diktatur erlebt. Beides liegt für sie daher ähnlich weit zurück wie die Kleine Eiszeit, Pestepidemien und Bauernkriege. Im Bewusstsein der überwiegenden Mehrzahl der Zeitgenossen westlicher Gesellschaften entzieht sich die Demokratie – oder vielmehr das, was sie dafür halten – jeder Kritik. Etwas anderes war ja scheinbar nie da und ist demnach auch gar nicht vorstell bar. Dass Demokratie keineswegs „alternativlos“ ist, dass jenseits der Massendemokratie Gesellschaftsorganisationsformen denkbar sind, die dem Einzelnen entscheidend aussichtsreichere Möglichkeiten zum Streben nach Glück einräumen, scheint undenkbar.

Die Demokratie ist einfach unschlagbar, wenn nicht sogar etwas Heiliges. Niemals hat die Menschheit etwas Großartigeres erdacht. Wer sich nicht vorbehaltlos zu ihr bekennt, steht am Rande, wenn nicht außerhalb der zivilisierten Gesellschaft. Wer Kritik an der Demokratie übt, tickt nicht ganz richtig, ist ein anarchistischer Spinner oder macht sich offen oder heimlich für eine Diktatur stark. Oder er gehört gar zu jenem lächerlichen Haufen nostalgischer, meist seniler alter Narren, die das Jahr 1918 gedanklich nie überwunden und den Traum von einer Restauration der Monarchie noch immer nicht ausgeträumt haben.

„Von einer Demokratie kann nur gesprochen werden, wenn sie auch in Frage gestellt werden darf. Wo dies nicht der Fall ist, herrscht lediglich die Diktatur eines Dogmas von einer bestimmten Form der Demokratie als der allein ethisch zulässigen Staatsform.“

Wilhelm Schwöbel