SALIM GÜLER

 

 

 

 

 

 

Honigblau

 

 

 

 

 

 

1. Auflage Juni 2015

 

Autor: Salim Güler

Lektorat: Christiane Saathoff, www.lektorat-saathoff.de

Covergestaltung: Irina Bolgert

Copyright © 2015 by Salim Güler

 


  1. INHALTSVERZEICHNIS:

 

INHALTSVERZEICHNIS:

Das Buch

Der Autor

Anmerkung des Autors

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Eine Bitte

Hinweis

 

  1. Das Buch

 

Obwohl Noah an extremer Flugangst leidet, erfüllt er seiner Ehefrau ihren Traum und fliegt mit ihr und seinem Adoptivsohn in die Flitterwochen nach Hawaii. Doch auf dem Rückflug stürzt der Flieger über dem Ozean ab.
 
Noah überlebt den Absturz. Die Gewissheit, dass nur er überlebt hat, bringt ihn um den Verstand, sodass er beschließt, seinem Leben ein Ende zu setzen. Aber dann trifft er auf einen weiteren Überlebenden, der ihn vom Selbstmord abhalten kann. Noah schöpft neuen Mut. Er ist fest entschlossen, seine Familie zu finden, denn vielleicht haben auch sie überlebt.

 

Wird er sie finden, oder werden die Gefahren auf dem offenen Meer ihn das Leben kosten? Hat seine Familie den Absturz überhaupt überlebt?

 

 

 

  1. Der Autor

 

Salim Güler, aufgewachsen in Norddeutschland, studierte in Köln Wirtschaftswissenschaften und promovierte an der TU-Chemnitz. Er arbeitete lange Zeit in der freien Wirtschaft, zuletzt als Pressesprecher.

Schon als Schüler begann er mit dem Schreiben von selbsterfundenen Geschichten und diese Leidenschaft lässt ihn bis heute nicht los.

In seinen Romanen finden sich immer wieder auch gesellschaftlich aktuelle Themen wieder, die er geschickt in eine fiktive und hochspannende Geschichte einzubetten versteht.

Seine Bücher landen regelmäßig in den Bestsellerlisten der Verkaufs-Charts.

Salim Güler ist sehr am Austausch mit seinen Leserinnen und Lesern interessiert und freut sich daher über jeden Kontakt, entweder über Facebook oder über seine Homepage.

www.salim-gueler.de

https://www.facebook.com/salim.gueler.autor

 

 

  1. Anmerkung des Autors

 

Die Idee zu diesem Buch ist bereits einige Jahre alt. Als ich den Roman zu Ende geschrieben hatte, wurde die Erzählung auf brutale Weise von der Realität eingeholt, dem tragischen Unglück der Germanwings Maschine #4U9525. Der Inhalt dieses Buches hat keinen Bezug zu dem Absturz der Germanwings.

Meine Gedanken sind bei den Familienangehörigen, den Freunden und Bekannten der vielen Opfer. Ihnen gilt meine tief empfundene Anteilnahme.

 

Ihr

Salim Güler

 

 

 

 

 

Wenn das Unmögliche möglich wird,

nennen es manche Fantasie,

andere wiederum Schicksal,

einer aber nennt es Albtraum!

 

  1. Kapitel 1

 

Aloha, Liebe bedeutet glücklich sein ... (Tag 1, 26.02.2015)

 

Wenn das Leben einfach wäre, würde es sicherlich nicht Leben heißen, sondern Programm, dachte Noah. Mit Programmen kannte er sich sehr gut aus. Er war Programmierer, und zwar ein verdammt guter.

Programme waren einfach, sie basierten alle auf der gleichen mathematischen Grundlage, auf 0 und 1, egal wie komplex sie waren. Nicht ohne Grund waren daher gute Programmierer auch sehr oft gute Mathematiker. Wie Noah.

Tat ein Programm nicht das, was es tun sollte, hatte ein Programmierer an irgendeiner Stelle nicht sauber gearbeitet, also lag es an menschlichem Versagen. Denn das Programm konnte sich der mathematischen Logik nicht entziehen.

Mit dem Leben hingegen sah das vollkommen anders aus. Menschen folgten selten einer Logik, egal wie sehr Noah sich auch bemühte, das Handeln mancher Menschen nachzuvollziehen, es gelang ihm nicht.

Und er nahm sich selbst da keineswegs heraus. Er konnte sehr kompliziert sein, dennoch behauptete er von sich, dass er in diesem Moment glücklich war, wahrscheinlich glücklicher als je zuvor.

Das Glück hatte seine Einsamkeit beendet und es hatte einen Namen: Nina.

Als sie in sein Leben trat, war es, als würde sie wie ein Orkan alles Schlechte wegfegen und Platz für etwas Großartiges schaffen: für die Liebe.

Eine Liebe, an die er schon lange nicht mehr geglaubt hatte. Er war nicht unattraktiv, mit seinen ein Meter einundachtzig, seinen kurzen dunklen Haaren, seinem sonnengebräunten Teint und seiner sportlichen Figur wirkte er ganz anders als der typische Programmierer oder IT-Nerd, der er ganz und gar nicht war.

Er hatte einen gut bezahlten Job und war ein lebensfroher Mensch, alles Dinge, die jemanden wie ihn attraktiv für die Damenwelt machten, dennoch hatte er sich lange Zeit von dieser Welt zurückgezogen.

Er hatte geglaubt, ein Leben in Einsamkeit wäre besser für ihn und sein Herz, das er vor langer Zeit für immer verschlossen zu haben glaubte. Lange hatte er recht behalten, bis er Nina begegnet war.

Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte sein Herz bis zum Hals geschlagen und ihn gedrängt, diese Frau nicht gehen zu lassen, doch er hatte nicht auf sein Herz gehört. Die Wunden waren noch immer zu frisch gewesen, zu schmerzvoll, obwohl inzwischen fast vier Jahre vergangen waren.

Aber was waren schon vier Jahre, wenn man die Gewissheit hatte, dass die Person, die man einst so sehr geliebt hatte, einem für immer genommen worden war, unwiderruflich.

Bevor er Nina kennenlernte, hatte Noah geglaubt, dass er niemals über den Tod seiner Verlobten Miriam hinwegkommen würde. Sie war seine erste große Liebe und fast zehn Jahre waren sie ein Paar gewesen, bevor er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Es hatte der schönste Tag in ihrer bisherigen Beziehung werden sollen, doch das Schicksal hatte anders entschieden.

Er hatte den Verlobungsring besorgt, einen Tisch im exklusiven Kölner Sternerestaurant Le Moissonnier reserviert und sich darauf gefreut, ganz romantisch nach dem Essen vor ihr auf die Knie zu gehen und sie zu fragen, ob sie seine Ehefrau werden wollte.

Zwischen diesem Glück und der bitteren Wahrheit lagen nur wenige Stunden. Wie immer samstags war sie auch an jenem Tag joggen gegangen. Als sie nach einer guten Stunde nicht wieder zu Hause angekommen war, hatte er versucht, sie auf ihrem Handy zu erreichen, aber sie hatte das Gespräch nicht angenommen.

Er hatte sich keine weiteren Gedanken darüber gemacht, denn es war eigentlich nicht unüblich. Doch genau diese Leichtfertigkeit machte er sich selbst zum Vorwurf, obwohl die Ärzte ihm später sagten, dass jede Hilfe zu spät gekommen wäre. Denn als sie nach neunzig Minuten noch immer nicht zu Hause war, machte er sich allmählich Sorgen. Er rief sie wieder an, doch sie ging nicht an ihr Handy. Ein ungutes Gefühl, eine böse Vorahnung stiegen in ihm auf und aus der Freude, die noch wenige Augenblicke zuvor in seinem Herzen getanzt hatte, wurden Sorge und Unruhe.

Er nahm sein Fahrrad und fuhr die Strecke ab, die sie immer lief. Zwei Mal.

Immer wieder wählte er ihre Nummer, doch weder fand er sie, noch reagierte sie auf seine Anrufe.

Nun hatte die Angst ganz Besitz von ihm ergriffen. Er betete zu Gott, dass ihr nichts zugestoßen war. Die Alternative war zwar nicht wirklich schön, aber sie wäre ihm tausendmal lieber gewesen: dass sie ihn in verlassen hatte.

Miriam war nicht dumm, natürlich ahnte sie, dass er ihr irgendwann einen Antrag machen würde, schließlich wollten beide Kinder. Sie mit einunddreißig und er mit fünfunddreißig Jahren waren nicht mehr die Jüngsten und für beide stand fest, dass sie Mann und Frau sein wollten, bevor sie Kinder bekamen.

War es möglich, dass sie kalte Füße bekommen hatte? Das wollte er sich gar nicht erst ausmalen, schließlich liebte sie ihn doch.

Er rief bei ihren Eltern und ihrer besten Freundin an, doch niemand wusste, wo sie war.

Und neue Fragen hämmerten in seinem Kopf:

Was, wenn sie entführt wurde?

Was, wenn sie vergewaltigt wurde?

Was, wenn sie eine andere Strecke gelaufen und gestürzt war und nun schwer verletzt irgendwo lag?

Und die schlimmste aller Fragen: Was, wenn sie tot war?

Allmählich wurde er verrückt vor Sorge. Er fuhr mit dem Rad zur Polizei, und kurz bevor er das Polizeirevier betrat, klingelte sein Handy. Es war eine ihm unbekannte Nummer. Noch während er das Gespräch annahm, hatte er das Gefühl, dass er seinen Herzschlag deutlicher hörte als die Stimme der Dame, die am anderen Ende der Leitung zu ihm sprach.

Es war die Uniklinik Köln. Er verstand nur die Hälfte. Es war, als befände er sich in einem Dämmerzustand, die Worte drangen hohl und verzerrt zu ihm, das Einzige, was er verstand, war, dass er in die Uniklinik kommen sollte.

Er nahm ein Taxi und fuhr hin. Er verbot seinem Verstand, auf das Schreien seines Herzens zu hören. Das durfte alles nicht wahr sein. Sie lebte, warum sonst sollte er ins Krankenhaus kommen?

Doch die Wahrheit, die man ihm offenbarte, war schlimmer als der Schrei seines Herzens. Sie war wirklich tot, gestorben, an einer arteriellen Hirnblutung, wie es die Ärzte nannten.

Er war wie versteinert, wollte nicht akzeptieren, dass es wahr sein konnte. Sie war doch so fit, achtete auf ihren Körper, trieb viel Sport und ernährte sich sehr gesund, warum sollte sie einfach tot umfallen?

Das machte für ihn keinen Sinn. Übertragen auf die IT-Welt war sie ein nahezu perfektes Programm, warum um alles in der Welt sollte gerade dieses perfekte Programm für immer versagen?

Noah bekam einen Schwächeanfall und die Ärzte behielten ihn im Krankenhaus. Die folgenden Wochen, Monate und Jahre waren geprägt von Einsamkeit, von Erinnerungen und Selbstvorwürfen und der immer gleichen Frage: Warum hatte er sie nicht begleitet?

Nichts im Leben bereitete ihm noch wirklich Freude. Er lebte und tat das, was vielleicht auch andere Menschen in seiner Situation taten: Er verschloss sich und stürzte sich in seine Arbeit.

Er arbeitete viel, in der wenigen Freizeit, die er hatte, blieb er allein zu Hause. Seine Freunde wurden immer weniger und auch die Wenigen ließen ihn am Ende in Ruhe, da er von niemandem einen Ratschlag annehmen wollte.

Er hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden, dass er für immer allein bleiben würde. Fast war es, als hätte er eine Vereinbarung mit dem Schicksal, dem Leben oder Gott getroffen. Das Leben verweigerte ihm die Freude und genau das tat ihm gut, so glaubte er. Doch dann, nach fast drei Jahren voll Einsamkeit und Selbstvorwürfen, beschloss das Leben, einen anderen Weg einzuschlagen.

Er war durch die Kölner Innenstadt geschlendert und wollte im Starbucks einen Espresso trinken. Da geschah es. In Gedanken versunken drückte er die Tür kräftiger nach innen, als beabsichtigt. Der Schwung führte dazu, dass er die Frau, die gerade hinausgehen wollte, mit der Tür rammte. Es war ihm sehr unangenehm und er entschuldigte sich vielmals, bevor er ihr ins Gesicht sah.

Sie reagierte anders, als er erwartet hatte, sie blieb ganz ruhig, lachte sogar ein wenig und sagte: »Ist ja nichts passiert, außer, dass du mir einen Caramel Macchiato schuldest.«

Er schaute sie an und wollte ihr antworten, doch für einen kurzen Augenblick war er wie gelähmt. Ihr Gesicht, ihr Lächeln, ihre blauen Augen und diese freundliche Stimme lösten in seinen Gedanken eine Explosion aus, in seinem Herzen einen Sturm der Gefühle, den er sich nicht erklären konnte, der ihm Angst machte.

»Ja, klar ... selbstverständlich ... tut mir ... wirklich sehr leid«, mehr konnte er nicht sagen. Es war ein Gestammel, als würde ein pubertierender Junge zum ersten Mal mit einem Mädchen flirten.

»Alles gut, ich hätte ja auch aufpassen können«, sagte sie noch immer freundlich und legte eine Haarsträhne hinter das rechte Ohr. Dass sie dabei kurz rot anlief, bemerkte er überhaupt nicht.

Er bestellte ihr einen Caramel Macchiato und ließ sich überreden, den Kaffee gemeinsam im Starbucks zu trinken. Sie stellten sich einander vor und je mehr er von ihr erfuhr, desto mehr wünschte er sich, einfach alles über sie zu wissen. Für einen kleinen Augenblick verdrängte er sein schlechtes Gewissen, vergaß die Abmachung mit seinem Schicksal, für immer ein einsames Leben zu führen.

Nina wirkte auf ihn wie Medizin, sie füllte sein Herz mit Freude, mit längst vergessen geglaubten Gefühlen und mit Hoffnung.

Was ihn von Beginn an faszinierte, waren ihre Offenheit und ihre Lebensfreude. Sie verheimlichte ihm nicht, dass sie eine alleinerziehende Mutter war, auch nicht, dass ihre letzten Beziehungen eine Katastrophe gewesen waren, dass die Männer nur Sex, aber nie eine ernste Beziehung gewollt hatten, weil sie bereits Mama war.

Wie er, schien auch sie vom Leben sehr oft enttäuscht worden zu sein. Der Vater ihres Kindes hatte sie noch während der Schwangerschaft betrogen und verlassen, dennoch hatte sie ihre Freude am Leben und ihre Hoffnung, irgendwann einen Mann zu finden, der ihren Sohn und sie lieben und heiraten würde, nicht aufgegeben.

»Für jeden Topf gibt es einen Deckel, ich habe meinen einfach noch nicht gefunden«, erklärte sie mit einem Augenzwinkern.

Alles, was sie sagte, wirkte so frisch, so herrlich ungezwungen und liebenswürdig, dennoch tat er sich mit einem Wiedersehen schwer, sein schlechtes Gewissen plagte ihn, bis sie ihm eine WhatsApp-Nachricht schrieb, warum er sich nicht mehr melde und ob es daran liege, dass sie ihm klargemacht habe, keine dieser Frauen zu sein, die sofort mit jemandem ins Bett stiegen.

Diese Nachricht berührte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Gleichzeitig stieg die Frage in ihm auf, ob es nicht endlich an der Zeit war, sein Leben zu leben. Ob Miriam gewollt hätte, dass er glücklich würde und nicht ein Leben lang in Selbstmitleid zerfloss?

Und dann ging alles sehr schnell, sie trafen sich wieder und wieder. Bis es zum ersten Kuss kam, vergingen zwei Wochen, bis zum ersten Sex fünf Monate und dann lernte er ihren Sohn Ben kennen. Er war sechs Jahre alt. Noah kannte ihn schon von den Bildern, aber ihn persönlich zu treffen, war doch etwas anderes. Von Anfang an gab es keine Distanz zwischen ihnen und Noah wusste, dass er Ben lieben würde wie seinen eigenen Sohn.

Er ertappte sich bei dem Gedanken, dass er glaubte, glücklich zu sein. Wie es schien, konnte nur eine neue Liebe ihn aus der Hölle der Einsamkeit holen und er war dankbar, dass das Leben ihm eine zweite Chance gegeben und Nina geschenkt hatte.

Mit ihr wollte er alt werden und Kinder bekommen. Er machte ihr einen Heiratsantrag, obwohl ihn dabei die Erinnerungen an Miriam einholten. Doch die Liebe zu Nina war stärker.

Der Antrag selbst war unspektakulär, beim Abendessen in seiner Wohnung. Er wollte nichts planen, nichts Aufwendiges, da er in dieser Sache unterbewusst abergläubisch war. Es sollte einfach nichts an seinen letzten Heiratsantrag erinnern.

Unter Tränen sagte sie »Ja«. Er weinte auch.

Und er fragte auch Ben, ob er es gut fände, wenn er sein Papa würde. Ben umarmte ihn und sagte: »Ich dachte, du bist schon mein Papa.«

Noah musste lächeln und weinen zugleich, denn sein Herz hatte ihm die gleiche Antwort zugeflüstert. Ben war sein Sohn, aber er wollte es offiziell machen. Er wollte ihn adoptieren, damit auch vor dem Gesetz alles geregelt war.

Und kaum hatte er sich versehen, waren Nina und er Mann und Frau.

Hatte er vor einem Jahr noch geglaubt, dass er niemals wieder glücklich sein könnte, fühlte er sich heute wie der glücklichste Mensch auf Erden, obwohl er Nina ein Versprechen gegeben hatte, das ihm große Angst bereitete.

 

 

  1. Kapitel 2

 

»Hey, träum nicht«, riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.

»Ich träume nicht«, versuchte Noah sich herauszureden.

»Dass ich nicht lache«, widersprach Marc, sein Arbeitskollege und sehr guter Freund. »Du bist doch bestimmt in Gedanken schon auf Hawaii.«

»Ja, ich kann es noch immer nicht glauben, dass es übermorgen schon losgeht.«

»Und ich kann nicht glauben, dass du es wirklich machst.«

»Wieso?«, fragte Noah und rümpfte die Nase.

»Na, du und deine Flugangst. Du bist doch noch nie geflogen, oder?«

»Na ja, irgendwann ist doch immer das erste Mal«, entgegnete Noah und versuchte zu lächeln.

Dabei war er alles andere als entspannt. Er hasste fliegen. Er war in seinem ganzen Leben nur zwei Mal geflogen, da war er vierzehn Jahre alt gewesen, ein Flug von Deutschland nach Mallorca und zurück. Von diesem Erlebnis wusste Marc nichts. Noah hatte damals mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder zwei Wochen Urlaub auf der Insel verbracht.

Der Hinflug war schon turbulent gewesen und es hatte ihn sehr viel Mühe gekostet, ruhig zu bleiben, aber der Rückflug war einer Höllenfahrt gleichgekommen. Es hatte so starke Turbulenzen gegeben, dass er sich nicht nur übergeben, sondern auch gefürchtet hatte, in Ohnmacht zu fallen.

Irgendwie hatte er den Flug überstanden, aber er hatte gleichzeitig den Entschluss gefasst, nie wieder zu fliegen. Diesen Entschluss hatte er bis vor Kurzem konsequent befolgt und geglaubt, dass nichts und niemand dies jemals ändern könnte.

Doch dann war Nina gekommen. Sie hatte nie einen Hehl aus ihrem großen Traum gemacht, die Flitterwochen auf Hawaii zu verbringen, aber sie hatte auch nie versucht, ihn zu überreden, diesen Traum zu realisieren, da sie von seiner Flugangst wusste. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander, davon war er jedenfalls überzeugt, denn er hatte ihr alles erzählt, über sich, seine Ex-Verlobte, über einfach alles.

Er wollte nicht mit Geheimnissen in die Ehe gehen, und das Gleiche vermutete er auch von ihr. Sie vereinbarten, dass sie die Flitterwochen in Italien verbringen würden, was allerdings dazu führte, dass Noah ein schlechtes Gewissen bekam. Für ihr gemeinsames Glück war sie bereit, auf ihre Traumreise zu verzichten, und dieser Gedanke ließ ihn nicht los.

Wenn sie das konnte, wieso konnte er seine Angst nicht überwinden? Wenn sie es sich finanziell nicht hätten leisten können, hätte er wenigstens eine begründete Ausrede gehabt, aber es war seine Angst, die diesen Traum unmöglich machte. Eine Angst, die fast einundzwanzig Jahre alt war und jeder Vernunft entbehrte.

Jede Statistik sagte ihm, dass Flugzeuge das sicherste Fortbewegungsmittel der Welt waren und diese Statistik sagte ihm auch, dass er sich seiner Angst stellen musste.

Also tat er das einzig Richtige: Er ging in ein Reisebüro, buchte eine Reise nach Hawaii und überraschte Nina.

Sie war außer sich vor Freude, wollte erst an einen Scherz glauben, aber als er ihr die Unterlagen zeigte, fiel sie ihm in die Arme und küsste ihn über das ganze Gesicht.

Sie so glücklich zu sehen, nahm ihm seine Sorgen, einen Fehler gemacht zu haben, und er begann zu glauben, dass er den Flug heil überstehen würde.

Sie lagen sich in den Armen und küssten sich, ihre Küsse wurden intensiver und leiteten sie ins Schlafzimmer, wo sie schließlich eng umschlungen und verschwitzt auf dem Bett lagen.

»Bist du sicher, Schatz? Wenn du nicht willst, müssen wir das nicht. Ich wäre nicht sauer«, sagte Nina und schaute Noah liebevoll an.

»Ich will es. Wenn ich mich meiner Flugangst nicht stelle, werden wir außer Europa nicht viel von der Welt sehen, und ich möchte mit dir und Ben die ganze Welt bereisen.«

»Du glaubst gar nicht, wie glücklich du mich machst«, flüsterte sie ihm ins Ohr und ihre Hand glitt wieder von seinem Bauchnabel abwärts. Sie liebten sich noch einmal und mussten keine Sorge haben, dass Ben ins Schlafzimmer platzen könnte, da er bei seinen Großeltern war. Das war vor einigen Monaten gewesen.

»Gute Einstellung!« Mit diesen Worten holte ihn Marc aus seinen Gedanken zurück. »Du machst aber trotzdem den Eindruck, als würdest du neben dir stehen.«

»Quatsch. Komm, lass uns einen Kaffee trinken«, entgegnete Noah und stand von seinem Arbeitsplatz auf.

»Gute Idee«, bestätigte Marc und sie gingen in die kleine Küche, die auf dem gleichen Stockwerk lag.

Beide nahmen aus dem Oberschrank einen Becher und füllten Kaffee hinein.

Noah nahm noch ein Stück Zucker und etwas Milch.

»Du könntest dich ruhig ein bisschen mehr freuen. Hawaii, das ist doch Hammer!«, sagte Marc in die Stille hinein.

»Ja klar, tue ich auch. Aber so ein Zwanzig-Stunden-Flug ist schon heftig, vielleicht war es doch ein Fehler ...« Marc gegenüber schämte er sich nicht, seine Sorgen einzugestehen.

Je näher die Abreise rückte, desto nervöser wurde er, auch wenn er Nina gegenüber versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen.

»Du fliegst doch Business, das ist viel entspannter, glaub mir. Und wenn es gar nicht geht, nimm eine Schlaftablette, dann wachst du auf, wenn du landest.«

»Ja, vielleicht mache ich das so«, stimmte Noah zu.

Er hatte tatsächlich bereits mit diesem Gedanken gespielt und sich vorsorglich in der Apotheke Tabletten besorgt. Er nahm sich jedoch vor, zunächst darauf zu verzichten und nur auf sie zurückzugreifen, wenn die Angst zu groß werden würde.

»Na siehst du, alles bestens. Also freu dich, in zwei Tagen hast du dreißig Grad, Sonne und den Ozean vor der Tür. Was willst du mehr? Ich beneide dich.«

»Danke, du hast ja recht. Ich freue mich auch. Es wird bestimmt sehr schön, wenn wir erst mal in Honolulu gelandet sind.« Noah rang sich ein kurzes Lächeln ab, den Gedanken: Wenn wir denn landen?, behielt er für sich.

»Vergiss nicht, mir einen Starbucks Becher mitzubringen, du weißt ja, dass ich die sammle.«

»Klar«, antwortete Noah. In diesem Moment trat Thibaut in die Küche.

»Noch hier?«, fragte Thibaut auf Englisch mit starkem französischem Akzent.

»Übermorgen geht’s los«, antwortete Noah auf Englisch.

Thibaut arbeitete als Key Account Manager in der Pariser Niederlassung und kam einmal im Monat in die Zentrale nach Köln.

»Du Glücklicher. Hawaii wird bestimmt sehr schön, auch wenn man vorsichtig sein sollte.«

»Wie läuft es in Frankreich?«, fragte Marc.

»Meinst du das Business oder das Leben?«

»Beides.«

»Es muss weitergehen. Ich hoffe, dass sich Deloitte endlich für uns entscheidet. Und was den Alltag anbelangt – seit dem Anschlag auf Charlie Hebdo ist Paris, ist Frankreich nicht mehr das Land, das es mal war. Überall fürchten wir den nächsten Anschlag. Wir Franzosen sind ein Volk von Angsthasen geworden.« Nachdenklich schaute Thibaut zu Boden.

»Was meintest du mit, man muss vorsichtig sein?«, fragte Noah.

»Habt ihr das heute Morgen nicht in den Zeitungen gelesen?«

»Was?«, hakte Noah nach. Sein Magen wurde unruhig.

»Es stand ganz groß in der Le Équipe.«

»Machs doch nicht so spannend. Wir müssen arbeiten, ich habe keine Zeit zum Zeitunglesen«, erklärte Marc mit einem Augenzwinkern. »Was stand nun in der Zeitung?«

»Dass Terroristen Flugzeuganschläge planen.«

 

 

  1. Kapitel 3

 

Noah musste schlucken und ihm wurde plötzlich speiübel.

»Das ist doch bestimmt nur wieder Panikmache«, antwortete Marc, dem sicherlich nicht entgangen war, dass Noah plötzlich sehr still und blass wurde.

»Gut möglich, aber wenn das auf der Titelseite der Le Équipe steht, dann wird was dran sein. Die Zeitung ist sehr seriös, die werden nicht einfach eine Meldung in die Welt setzen.«

»Na ja, die Terroristen drohen doch immer mit irgendwelchen Flugzeuganschlägen. Glaub mir, die Flughäfen sind so sicher, dass es keinem Terroristen gelingen wird. Oder kannst du dich seit Nine-Eleven an einen Terroranschlag im Flugzeug erinnern?«

»Nein, aber irgendwann wird es ihnen gelingen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Es hätte auch niemand damit gerechnet, dass ein Anschlag auf Charlie Hebdo erfolgreich sein könnte, schließlich misslang schon der erste Anschlag 2011 und dennoch ist es diesen Idioten gelungen.«

»Bevor sie einen Flieger zum Absturz bringen, werden sie im Inland irgendwo Angst und Schrecken verbreiten, und wir mit unserer Übervorsicht und Angst tun genau das, was die Terroristen wollen.«

»Das sehe ich aber anders«, entgegnete Thibaut. »Sollen wir weitermachen, als sei nichts gewesen?«

»Ja, warum nicht? Vorratsdatenspeicherung, Überwachungen, Folter, all diese antidemokratischen Methoden haben die Anschläge auch nicht verhindert. Das höchste Gut, das wir in der Demokratie besitzen, ist unsere Freiheit, und mit jedem Anschlag geben wir ein Stück davon her, weil wir so dumm sind zu glauben, wir könnten uns damit Sicherheit erkaufen.«

»Tun wir doch. Du weißt doch gar nicht, wie viele Anschläge verhindert wurden.«

»Sei nicht albern. Wir erreichen damit nur eins, nämlich dass wir irgendwann in einem Überwachungsstaat leben. Dann kommt irgendein Verrückter an die Macht und wir merken, welche Dummheit wir begangen haben«, erwiderte Marc.

»Siehst du das auch so?«, fragte Thibaut an Noah gewandt.

»Ich ...?«, fragte Noah. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und hatte die Diskussion kaum wahrgenommen. Im Gegensatz zu Marc machten ihm Thibauts Worte Angst, auch wenn er wusste, dass die Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlags sehr gering war, dennoch musste es berechtigte Gründe für die Meldung geben. Er kannte die Le Équipe und wusste, dass sie eine der seriösesten Zeitungen Frankreichs war, die würden nicht einfach eine Titelstory schreiben, nur um Auflage zu machen. In dieser Beziehung hatte Thibaut nicht übertrieben.

Er nahm sich vor, nachher selbst zu schauen, ob Spiegel Online, die FAZ und die taz auch darüber berichteten.

»Alles okay? Du siehst so blass aus«, bemerkte Thibaut besorgt.

»Alles gut«, entgegnete Noah und ließ sich zu einem kurzen Lächeln hinreißen.

»Wollen wir hoffen, dass nichts passiert. Viel Spaß in Hawaii.« Mit diesen Worten verließ Thibaut die Küche.

»Danke«, rief Noah ihm noch hinterher.

»Du glaubst ihm doch nicht etwa?«, fragte Marc, als sie wieder allein waren.

»Nein, natürlich nicht.«

»Oh Mann, du tust es, oder? Mensch Noah, lass dich nicht verrückt machen.«

»Du hast ja recht«, entgegnete Noah heiser.

»Sehr gut, denk einfach an die schönen Seiten, blende alles andere aus und denk an den Tipp mit den Schlaftabletten. Ich muss wieder ins Büro. Gehen wir gemeinsam Mittagessen?«

»Können wir gerne machen. 12 Uhr unten im Foyer?«

»Passt«, antwortete Marc.

Gemeinsam gingen sie aus der Küche. Kaum hatte sich Noah an seinen Schreibtisch gesetzt, rief er die Seite von Spiegel Online auf, danach die Seite der FAZ und im Anschluss die der taz. Überall ging es in dem Aufmacher um das gleiche Thema. Die Farbe wich aus seinem Gesicht und sein Mund wurde trocken, staubtrocken, als er zurück auf die Spiegel Online Seite klickte und den Titel des Leitartikels las:

 

Behörden warnen vor Flugzeuganschlägen!

 

 

  1. Kapitel 4

 

Der Abend vor dem Abflug (Tag 2, 27.02.2015)

 

Ein Versprechen musste man halten. Das hatten schon seine Eltern ihn gelehrt und er wollte sein Versprechen einhalten, obwohl seine Sorgen zunahmen.

Als genügte seine Flugangst nicht allein, kamen jetzt auch ernsthafte Sorgen dazu, dass Terroristen ein Flugzeug kapern könnten, um einen Anschlag zu verüben.

»Wollen wir die Reise absagen?«, fragte Nina mit besorgter Miene.

»Nein Schatz, wir lassen uns von Terroristen nicht einschüchtern«, entgegnete Noah, auch wenn ihm sein Bauchgefühl deutlich mitteilte: ABSAGEN!

Selbst in der Tageschau wurde über die erhöhte Gefahr eines Flugzeuganschlages berichtet. Einige Airlines hatten bereits in Erwägung gezogen, Flüge in die USA zu streichen, sich aber nach reiflicher Überlegung dagegen entschieden. Die Sicherheitsvorkehrungen an den Flughäfen wurden erhöht.

Fluggäste wurden um verstärkte Aufmerksamkeit gebeten. Nichts, aber auch gar nichts an dem Bericht in der Tagesschau half ihm, ein wenig entspannter zu werden.

Zwangsläufig nahmen Gedanken, die er längst vergessen geglaubt hatte, Besitz von ihm. Riskierte er sein Glück, sein Leben, das Leben seiner Liebsten? Setzte er das alles aufs Spiel? Forderte er das Schicksal heraus?

Was konnte es schaden, wenn sie die Reise verschoben, auf den Herbst oder auf nächstes Jahr, wenn die politische Lage sicherer war, wenn keine Anschläge drohten?

Nichts und alles, war die Antwort.

Nina würde nicht sauer sein. Sie war kein nachtragender Mensch und auch ihre Liebe würde darunter nicht leiden, das wusste er. Es war etwas anderes, das diese Möglichkeit ausschloss. Sein Versprechen ihr gegenüber.

All die Monate hatte sie nur über diesen Traumurlaub gesprochen, ihre erste gemeinsame Reise, als Familie. Sie war so glücklich, ihre Augen strahlten, wie konnte er diese Reise jetzt verschieben?

Nein, das konnte und wollte er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Weder seine Flugangst noch die Terroristen sollten siegen. Er würde diesen Urlaub antreten und sobald er hawaiianischen Boden beträte, würde er wissen, dass es die einzig richtige Entscheidung gewesen war.

Er nahm Nina in die Arme, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und sagte: »Wir lassen uns unseren Traumurlaub von niemandem kaputt machen, schon gar nicht von solchen Fanatikern.«

»Ich freu mich so, mein Schatz«, sagte sie und kuschelte sich noch enger an ihn.

»Komm, lass uns schlafen gehen«, wisperte sie ihm mit einem Zwinkern zu und gab ihm einen Kuss auf den Mund. »Ich habe eine Überraschung für dich.«

Er folgte ihr ins Schlafzimmer und schloss die Tür.

»Mach dich schon mal nackig, ich komme gleich«, sagte sie und verschwand im Badezimmer, das direkt an das Schlafzimmer angrenzte.

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er zog sich aus, machte es sich auf dem Bett bequem und wenige Minuten später trat sie wieder ins Schlafzimmer.

Sie hatte rote Strapse an, die auf ihrer straffen, leicht gebräunten Haut und zu ihren langen braunen Haaren sehr sexy aussahen. Noah hatte gleich einen Ständer.

»Da scheint sich aber jemand zu freuen«, bemerkte sie anzüglich, als sie langsam auf das Bett zuging und sich auf ihn setzte.

»Und wie«, grinste er.

»Na, dann will ich ihm mal Hallo sagen«, flüsterte sie und beugte sich lächelnd zu seinem Schritt.

»Ich liebe dich, meine Traumfrau«, stöhnte er.

»Und ich liebe dich, mein Traummann.«

Wie kann ich ihr jemals einen Wunsch abschlagen?, dachte er glücklich und wusste, es war richtig, die Reise nicht abzusagen.

Ein leises, kritisches Klopfen an die Pforte dieses Glücks verscheuchte er.

 


 

 

  1. Kapitel 5

 

Am Flughafen (Tag 3, 28.2.2015)

 

Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Die Koffer waren eingecheckt, sie hatten die Sicherheitskontrollen hinter sich gelassen und befanden sich nun in der Lufthansa Lounge für Businessclass-Flieger.

Von den erhöhten Sicherheitsmaßnahmen merkte Noah nicht wirklich viel. Allerdings konnte er das auch nicht beurteilen, da er das letzte Mal mit vierzehn Jahren geflogen war, und soweit er sich daran zurückerinnerte, waren die Security Checks heute ohnehin deutlich gründlicher als damals. Nach seinem Empfinden aber nicht so gründlich, wie sie vielleicht hätten sein müssen.

Sie hatten sich vom Buffet etwas zu essen und zu trinken genommen und saßen an einem Tisch, um auf das Boarding für ihren Flug zu warten.

»Gleich gehts los, Papa«, sagte Ben. Er war schon die ganze Zeit hibbelig, aber bei ihm war die Aufregung pure Vorfreude.

»Ja, mein Schatz«, antwortete Noah, drückte den Kleinen an sich und warf einen Blick auf die Uhr. Es war 9:10 Uhr, um 10 Uhr sollte der erste Abschnitt ihres Fluges beginnen, nach San Francisco. In San Francisco würden sie dann in den nächsten Flieger steigen, der sie nach Honolulu brachte, ans Ziel.

Nina nahm Noahs Hand und drückte sie zärtlich, als ahnte sie, dass er vor Nervosität am liebsten die Flucht ergriffen hätte.

Und dann war es so weit, das Boarding begann. Mit jedem Schritt stieg seine Anspannung und sein Herz schlug immer schneller. Seine Stirn wurde feucht und ihm wurde abwechselnd heiß und kalt.

»Alles wird gut«, sagte Nina, die noch immer seine Hand hielt.

Ben ging einige Schritte voraus und hätte fast zwei Personen umgerannt.

»Ben«, ermahnte Nina ihn.

»Ist ja nichts passiert«, antwortete die alte Frau.

»Verzeihen Sie, er ist so aufgeregt. Es ist sein erster Flug«, versuchte Nina, Bens Verhalten zu entschuldigen.

»Freust du dich?«, fragte die alte Dame.

»Ja, ich bin total gespannt. Papa sagt, das ist ein Airbus A380, das größte Flugzeug der Welt, und ich habe einen eigenen Sitz, ist das nicht toll?« Ben strahlte über das ganze Gesicht.

Die alte Frau und ihre Begleitung, Noah vermutete, dass er ihr Mann war, lachten.

»Da hat dein Papa recht. Mit bis zu 853 Sitzen ist der Airbus wirklich das größte Passagierflugzeug der Welt. Wo fliegt ihr denn hin?«

»Nach Hawaii«, antwortete Ben und wippte unruhig auf der Stelle.

Der Flieger schien sehr gut ausgelastet zu sein, da selbst der Einstieg in die Businessclass nur langsam voranging.

»Das ist ja toll, da fliegen wir auch hin. Unsere Hochzeitsreise«, kicherte die alte Dame und wirkte dabei, als wäre sie gerade mal zwanzig. Sie drückte sich enger an ihren Ehemann, der ihr einen Kuss auf die Stirn gab.

Das Strahlen in ihren Augen verriet ihr Glück.

Man ist nie zu alt, um glücklich zu sein, dachte Noah. Er fand das alte Ehepaar sehr sympathisch, vor allem lenkten sie ihn kurz von seiner Flugangst ab.

»Bei uns auch«, erklärte Nina mit einem liebevollen Blick zu Noah und nahm Ben an die Hand, damit er nicht weiter so unruhig war.

»Ach nein, wirklich? Ich gratuliere! In welchem Hotel wohnen Sie?«

»Im Hilton Hawaiian Village. Und Sie?«

»Im Westin Moana Surfrider. Wie unhöflich von uns, wir haben uns ja noch gar nicht vorgestellt. Das ist mein Mann Peter und mein Name ist Elisabeth, aber Freunde nennen mich Else.«

Sie reichte Nina die Hand, doch Ben war schneller.

»Ich bin Ben und das sind meine Mama Nina und mein Papa Noah«, platzte er heraus.

Alle lachten über Bens Eifer. Else strich ihm über die Haare.

»Freut mich«, sagte Nina und reichte beiden die Hand.

»Mich auch«, gab Noah von sich und gab ihnen ebenfalls die Hand.

»Sind Sie nervös?«, fragte Else, der nicht entgangen war, dass Noahs Hand feucht war.

»Ein bisschen«, gestand er.

»Seien Sie unbesorgt, es wird nichts passieren. Vertrauen Sie einer alten Saftschubse wie mir«, ließ sie ihn mit einem aufmunternden Blick wissen.

Noah schaute leicht irritiert.

»Ich war fast dreißig Jahre Stewardess«, erklärte sie, »und glauben Sie mir, bevor ein Flieger abstürzt, müssen schon sehr viele Zufälle zusammentreffen.«

Oder ein Terrorist sich im Flieger in die Luft jagen, dachte er und versuchte dennoch zu lächeln.

»Wenn Sie Lust haben, können wir auf Hawaii einmal gemeinsam Abendessen gehen?«, schlug Else vor.

»Sehr gerne«, sagte Nina und fügte hinzu: »Schatz notierst du dir die Handynummer?«

»Klar«, bestätigte Noah, nahm sein Handy und tippte die Nummer ein. Danach ließ er es kurz bei Peter klingeln und legte auf, damit dieser seine Nummer hatte.

In der Zwischenzeit hatten sie den Eingang des Flugzeuges erreicht, die Stewardess grüßte sie freundlich und zeigte ihnen ihre Sitzplätze.

»Guten Flug, wir sehen uns dann auf Hawaii«, sagte Peter, da ihre Sitze weiter hinten waren.

»Aloha«, sagte Else mit einem Lächeln und folgte ihrem Ehemann.

»Ihnen auch«, antwortete Nina.

»Aloha«, rief auch Ben und brachte damit wieder alle zum Lachen.

Noah nickte nur, da ihm die Stimme versagte. Der Anblick des Innenraumes ließ ihn sprachlos werden. Im Gegensatz zu der kleinen Mühle, mit der sie damals nach Mallorca geflogen waren, war der A380 ein Gigant.

Sitzreihe um Sitzreihe ließen den Flieger für ihn eher wie einen Hühnerstall mit Legebatterien erscheinen, mit dem Unterschied, dass Menschen diesen Stall freiwillig bewohnten.

Sein Hals schnürte sich zu und Panik stieg in ihm auf.

Raus, nur raus!, drängte ihn seine Angst, doch dafür war es zu spät. Nina hielt ihn an der Hand und zog ihn mit sich zu ihren Sitzen.

Was hätte er tun können? Sich losreißen und fliehen? Sein Stolz als Mann verbat ihm das, dennoch riet ihm seine Angst, genau das zu tun.

Doch dann saß er bereits auf seinem Platz und ertappte sich dabei, wie er sich nicht nur anschnallte, sondern den Gurt so eng es ging festzurrte.

Nina und Ben saßen in der Zweierreihe 11 D und E, Noah neben ihnen in der Zweierreihe 11 C, nur der Gang trennte sie.

»Möchten Sie einen Sekt, einen O-Saft oder irgendetwas anderes zu trinken?«, fragte die Stewardess freundlich.

»Ich möchte eine Cola«, sagte Ben.

»Keine Cola, eine Apfelsaftschorle«, erwiderte Nina bestimmt.

»Ich will aber eine Cola«, antwortete Ben trotzig. Nina warf ihm einen scharfen Blick zu.

»Na gut, eine Apfelsaftschorle. Du bist so gemein, Mama«, antwortete er beleidigt.

»Und Sie?«, fragte die Stewardess an Nina und Noah gewandt.

»Ich nehme einen O-Saft«, ließ Nina wissen.

»Ich hätte gerne einen Sekt«, war Noahs Antwort, wobei er eigentlich nach etwas viel Stärkerem verlangte, nach einem Cognac, Whiskey, Wodka irgendetwas, das seine Angst lähmen konnte.

»Sehr gerne, und dir bringe ich noch eine kleine Überraschung mit«, sagte die Stewardess an Ben gewandt, der vor Freude in die Hände klatschte.

»Schau mal, was für einen großen und tollen Sitz ich habe und überall so viele Knöpfe. Mami, darf ich fernsehen?«

»Gleich, mein Schatz, jetzt nicht. Wenn wir in der Luft sind. Und nun sei artig, du willst doch nicht, dass die anderen Fluggäste denken, der Ben wäre ein unfreundlicher Junge.«

»Nein, das will ich nicht ... Was denkst du, was für eine Überraschung die nette Frau mir bringt?«

»Ich weiß es nicht, ich bin auch gespannt, und jetzt schnall dich an.« Nina drückte Ben einen Kuss auf die Stirn und half ihm, sich anzuschnallen.

»Alles gut, Schatz?«, fragte sie an Noah gerichtet.

»Ja, es war eine gute Idee, Business zu buchen, ich bilde mir mal ein, dass dieses bisschen Mehr an Beinfreiheit meine Angst mildert«, erklärte er und konnte sich ein leicht gezwungenes Lächeln abgewinnen, dabei war das nicht einmal gelogen.

Sie lächelte und drückte kurz seine Hand.

Als er vorhin am Eingang gestanden und einen kurzen Blick in die Economyclass gewagt hatte, war ihm speiübel geworden. Die Sitze waren noch viel enger aneinandergereiht, allein bei dem Gedanken, dort für mehr als elf Stunden gefangen zu sein, wurde ihm schlecht.

Hier in der Businessclass herrschte viel mehr Beinfreiheit und er konnte den Sitz zu einem Bett stellen, falls er entschied, eine Schlaftablette zu nehmen. Aber noch wollte er es ohne versuchen.

Noah nahm das Bordmagazin zur Hand, als er angesprochen wurde.

»Guten Morgen«, grüßte ihn ein Mann. »Ich habe den Sitz neben Ihnen.«

»Guten Morgen«, antwortete Noah.

Der Mann verstaute seine Tasche im oberen Fach und setzte sich neben ihn. Noah warf ihm einen kurzen Blick zu, er schien Südländer zu sein. Seine Stirn glänzte.

Ob er Flugangst hat?, dachte Noah, und der Gedanke beruhigte ihn ein wenig. Geteiltes Leid ist halbes Leid, dachte er nicht ganz uneigennützig.

»Woher kommen Sie?«, fragte er, um ein wenig Ablenkung zu finden.

Die Antwort des Mannes ließ ihn jedoch erstarren.

»Ich komme aus Syrien.«

 

 

  1. Kapitel 6

 

»Gehts Ihnen gut?«, fragte der Mann, dem nicht entgangen sein konnte, dass Noah wie erstarrt schien und ganz blass war.

»Ja, ja ... ich habe ein wenig Flugangst«, versuchte er die peinliche Situation zu erklären.

Dabei war es etwas ganz anderes, was ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ: die Tatsache, dass der Mann Syrer war. Ein Araber, somit ein potenzieller Terrorist!

In den Medien stand doch, dass Anschläge auf Flugzeuge geplant waren, wie konnte die Lufthansa da Araber in ihre Flieger lassen?

Schicksal, dachte er ernsthaft besorgt. Will das Schicksal mich wieder herausfordern? Und erst jetzt fiel ihm auf, dass der Mann einen Vollbart trug, einen Vollbart, wie ihn Terroristen trugen.

Ruhig bleiben, ermahnte er sich.

»Da hilft nur viel fliegen«, war die freundliche Antwort des Mannes.

Bevor Noah etwas erwidern konnte, kam die Stewardess und reichte ihm einen Sekt.

»Danke«, sagte Noah und nahm einen kräftigen Schluck.

Die Frau nickte und wandte sich Nina zu.

»Ihr O-Saft und deine Apfelsaftschorle.«

»Danke«, sagte Nina, als sie den O-Saft nahm und die Schorle an Ben weiterreichte.

»Und meine Überraschung?«, fragte Ben freundlich.

»Hier, ich hoffe, es gefällt dir«, sagte sie, warf aber vorher Nina einen kurzen Blick zu und als sie nickte, gab sie die Sachen Ben.

»Oh, ein Überraschungsei, danke!« Bens Begeisterung war nicht zu übersehen. Neben dem Überraschungsei hatte sie ihm noch ein Malbuch gegeben, das er schnell neben die Armlehne stopfte, um sich gleich daran zu machen, die Verpackung des Eis zu lösen.

Er teilte es in zwei Hälften und steckte die eine komplett in den Mund.

»Schatz, nicht so schnell!«, ermahnte Nina ihn. Er grinste nur und wollte gerade die zweite Hälfte im Mund verschwinden lassen, als er innehielt.

»Möchtest du auch etwas, Mama?«, fragte er.

»Sehr lieb von dir«, antwortete Nina und gab ihm einen Kuss.

»Und du Papa?«, rief er in Noahs Richtung.

»Iss ruhig, das ist alles deins«, antwortete Noah und lächelte seinen Sohn an.
Das mochte er an Ben. Er war sehr lebhaft, verspielt und manchmal sehr frech, aber wohlerzogen und hatte sein Herz am rechten Fleck.

Manchmal war er für sein Alter auch sehr weit, was Noah nicht verwunderte. Mit einer alleinerziehenden Mama schien Ben die Bedeutung des Wortes »Verantwortung« sehr früh verinnerlicht zu haben.

Einmal, als sie für Ben neue Sachen gekauft hatten, war er am nächsten Tag zu ihnen gekommen und hatte sie daran erinnert, dass sie seine alten Kleider doch bitte dem Roten Kreuz geben sollten, damit andere Kinder, die kein Geld hatten, auch etwas zum Anziehen bekamen.

Das waren die Momente, in denen Noah sehr bewusst wurde, warum er den kleinen Racker so in sein Herz geschlossen hatte und wie glücklich er war, dass Ben sein Sohn war. Die Adoption war so gut wie abgeschlossen, aber das war für ihn nicht wirklich wichtig, in seinem Herzen war er sein Sohn, wenn auch nicht sein leiblicher. Er wollte alles tun, damit Ben glücklich war, denn dafür waren doch Väter da: um ihre Kinder zu beschützen und sie glücklich zu machen.

Ben ließ sich nicht zweimal bitten und steckte auch die zweite Hälfte des Überraschungseis in den Mund.

Die Stewardess fragte den Mann neben Noah, was er trinken wolle. Er bat um ein Wasser.

»Wohin fliegen Sie?«, fragte der Mann.

»In den Urlaub«, antwortete Noah und hätte ihm fast sein Reiseziel verraten. Er wollte ihm nicht sagen, dass sie nach Hawaii flogen, es war nur so ein Instinkt.

»Schön, mit der ganzen Familie?«

»Ja, und wohin fliegen Sie?«, fragte nun Noah.

»Nach San Francisco«, antwortete der Mann und schaute aus dem Fenster. Noah hätte schwören können, dass er dabei sehr nachdenklich wirkte.

Du spinnst, ermahnte er sich. Nicht jeder Araber ist ein Terrorist!

So ängstlich kannte er sich gar nicht. Er war auch kein Rassist, sein Freundeskreis war international, darunter einige Moslems, allerdings sahen die alle sehr westlich aus. Der Mann neben ihm sah dagegen bis auf die Kleidung wie ein Islamist aus.

Er hatte einen richtigen Vollbart, volles schwarzes Haar, trug eine Jeans und ein Polo-Shirt. Noah schätzte ihn auf Ende zwanzig. Waren Terroristen nicht in der Regel junge Menschen?

Er stellte sich vor, dass der Mann statt eines T-Shirts und einer Jeans einen Kaftan trug, die traditionelle arabische Kleidung. In so einer Kleidung wäre er der typische Islamist. Jemand, der sich in einen Flieger schmuggelte, um ihn in die Luft zu jagen oder damit in irgendein Gebäude zu fliegen.

Gibt es in San Francisco irgendwelche Gebäude, die international für Aufsehen sorgen würden?, fragte er sich. Ihm fiel allerdings kein Gebäude ein.

Doch, die Golden Gate Bridge, dachte er nun noch ängstlicher.

Er wollte mehr über diesen Mann, seinen Sitznachbarn und möglichen Feind, wissen. Nicht weil der Mann sein Interesse geweckt hatte, sondern weil er sein Gewissen beruhigen wollte, ansonsten würde er sich den ganzen Flug über nur noch mehr Sorgen machen, und seine normale Flugangst reichte ihm schon. Seine Nerven waren bis aufs Äußerste angespannt. Hoffentlich war das nur die Angst.

»Was meinten Sie eben mit, da hilft nur viel fliegen?«, fragte Noah freundlich, um etwas mehr über seinen unbekannten Nachbarn in Erfahrung zu bringen.

»Ich hatte früher auch Flugangst. Glauben Sie mir, in den Flieger zu steigen, war für mich der reinste Horror. Aber dann musste ich das von Berufswegen machen. Ich habe die Zähne zusammengebissen und bin geflogen. Die ersten Male waren wirklich schlimm, also entschied ich, meine Taktik zu ändern.«

»Inwiefern?«, fragte Noah.

Die Stewardess kam und reichte dem Mann sein Wasser. Danach ertönte eine Lautsprecherdurchsage, dass das Boarding abgeschlossen sei und der Flug gleich beginne.

»Ich habe beschlossen, noch mehr zu fliegen«, erklärte der Mann und wurde durch eine Ansage des Kapitäns über den Flugverlauf kurz unterbrochen.

Du machst dich nur verrückt, er macht doch einen netten Eindruck, sagte Noah zu sich selbst und fragte sich, ob er es nicht auch so handhaben sollte. Einfach mehr fliegen, um sich der Angst zu stellen.

Nach der Sicherheitsunterweisung rollte das Flugzeug in Richtung Startbahn.

»Da haben Sie sicherlich viel von der Welt gesehen. Wie oft mussten Sie denn fliegen, bis Sie Ihre Angst besiegt haben?«, fragte Noah.

»Weit bin ich noch nicht gekommen. Ich hatte Flugunterricht«, entgegnete der Mann und Noah musste kurz schlucken.

Flugunterricht? Nehmen Terroristen nicht Flugunterricht?, war ein dunkler Gedanke, der ihm den Schweiß auf die Stirn trieb.

»Gleich gehts los, Papa!«, rief Ben von seinem Sitz aus.

Das Flugzeug stoppte kurz vor der Startbahn, da ein Flieger vor ihnen auf die Starterlaubnis wartete.

Noah winkte Ben zu und Nina versuchte, ihn still zu halten.

»Hier, nehmen Sie das, ist gut für die Ohren und als Ablenkung«, sagte der Mann und reichte Noah ein Kaugummi.

»Danke«, sagte er und nahm das Kaugummi.

»Mein Name ist Mahmoud, freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte der Mann und reichte ihm die Hand.

»Ich heiße Noah. Freut mich auch«, antwortete er und erwiderte den Handschlag.

Mahmoud hatte einen festen Händedruck. Seine Hand wirkte, als sei er harte Arbeit gewohnt – oder die Benutzung einer Waffe?

Ist er ein Dschihadist?, fragte sich Noah besorgt. Jetzt spinn nicht! Die Sicherheitsvorkehrungen sind sehr hoch, alle Islamisten werden gecheckt, so jemanden lässt man nicht in den Flieger.

»Fliegen Sie alleine?«, fragte Noah daher, einfach nur, um etwas zu fragen. Der Flieger war inzwischen auf der Startbahn und bereit für den Flug.

»Nein, mit zwei Freunden.«

»Und wo sind die?«

»Die sitzen in der Holzklasse«, antwortete Mahmoud und wieder hatte Noah das Gefühl, als wäre der Syrer angespannt.

Warum sitzen sie in der Economyclass?, fragte er sich. Welchen Grund sollte das haben? Würde man als Freunde nicht gemeinsam fliegen?

Und wieder kam ihm ein Gedanke, der ihm nicht schmeckte.

Was, wenn sie den Flieger unter ihre Kontrolle bringen wollen? Ist es da nicht vernünftig, Männer in der Business- und der Economyclass zu verteilen?

Es schien ihm die einzig logische Schlussfolgerung.

Soll ich die Stewardess heimlich informieren?, war ein weiterer Gedanke, den er zunächst nur als Option offenhielt. Er wollte ganz sichergehen, dass von Mahmoud und seinen Freunden wirklich Gefahr ausging, alles andere könnte am Ende sehr peinlich für ihn ausgehen.

Der Flieger wurde immer schneller und lauter, es holperte heftig und immer wieder erschreckte Noah ein lautes Geräusch.

»Nichts passiert, die Reifen können das ab«, beruhigte ihn Mahmoud, dem Noahs extreme Anspannung sicherlich nicht entgangen war.

Noah nickte nur, kaute auf seinem Kaugummi und presste seine Hände in den Sitz.

Und dann hob der Flieger ab, Noahs Stirn wurde klatschnass. Nina warf ihm einen Blick zu und lächelte. Sie schien sehr glücklich und der Start schien ihr nichts auszumachen.

»Das ist so toooll«, rief Ben, der übers ganze Gesicht strahlte.

Auch Mahmoud schien ganz entspannt, nur Noah nicht. Er hoffte, dass der Startvorgang schnell beendet wäre, dieser Anstieg forderte ihm alles ab.

Seine Schulter tat vor Verspannung weh und er fürchtete, dass er seinen Mund nicht mehr würde öffnen können, weil er Ober- und Unterkiefer so stark aufeinanderpresste, dass es schon schmerzte.

»Das wars schon. Ein sehr guter Start«, ließ Mahmoud ihn wissen.

Noah antwortete nicht, noch immer war er zu angespannt, doch dann ertönte das Zeichen, dass die Gurte geöffnet werden durften, mit der gleichzeitigen Empfehlung, die ganze Zeit angeschnallt zu bleiben.

Genau das hatte Noah auch vor. Um nichts in der Welt würde er sich abschnallen, aber das Zeichen, dass er es durfte, beruhigte ihn. Der Flieger wackelte auch nicht mehr und schien ruhig zu gleiten.

Noah lockerte die Schulter und seinen Kiefer.

»Der Start ist das Schwierigste. Jetzt kann nichts mehr passieren, außer Allah hat uns ein anderes Schicksal bestimmt.«