Bürgermeister und Beschwerdemanagement

von

Monika Lichtenhof

Persönliche Referentin des Bürgermeisters Stadt Bergkamen, Nordrhein-Westfalen

mit einem Beitrag von

Roland Schäfer

Bürgermeister der Stadt Bergkamen, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes

Kommunal- und Schul-Verlag • Wiesbaden

Herausgeber der Reihe BÜRGERMEISTERPRAXIS

Barbara Beckmann-Roh | Saarländischer Städte- und Gemeindetag

Karl-Ludwig Böttcher | Städte- und Gemeindebund Brandenburg

Jörg Bülow | Schleswig-Holsteinischer Gemeindetag

Dr. Franz Dirnberger | Bayerischer Gemeindetag

Roger Kehle | Gemeindetag Baden-Württemberg

Dr. Gerd Landsberg | Deutscher Städte- und Gemeindebund

Jürgen Leindecker | Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt

Winfried Manns | Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz

Ralf Rusch | Gemeinde- und Städtebund Thüringen

Roland Schäfer | Deutscher Städte- und Gemeindebund

Karl-Christian Schelzke | Hessischer Städte- und Gemeindebund

Dr. Bernd Jürgen Schneider | Städte- und Gemeindebund NRW

Dr. Marco Trips | Niedersächsischer Städte- und Gemeindebund

Jochen von Allwörden | Städteverband Schleswig-Holstein

Andreas Wellmann | Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern

Mischa Woitscheck | Sächsischer Städte- und Gemeindetag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Copyright 2016 by Kommunal‐ und Schul‐Verlag GmbH & Co. KG • Wiesbaden

Alle Rechte vorbehalten

Satz: Kumpernatz & Bromann • Schenefeld b. Hamburg

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-8293-1353-7

„Wenn der Wind des Wandels durch die Fahnen weht,

bauen die einen Schutzmauern, die anderen Windmühlen.“

(Chinesisches Sprichwort)

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Herausgeber der Reihe BÜRGERMEISTERPRAXIS

Impressum

Zitat

Literaturverzeichnis

„Wie Beschwerdemanagement Spaß machen kann!“ – Einleitung

1. „Ist das wirklich nötig?“ – Vom Sinn eines Beschwerdemanagements

1.1 „Wo ist das Problem?“– Wenn die Mücke zum Elefanten wird

1.2 „Bislang ging’s auch ohne …“ – Gründe gegen ein Beschwerdemanagement

1.3 „Wovon reden wir eigentlich?“ – Definition „Beschwerdemanagement“

1.4 „Hinweise, Fragen, Vorschläge“ – Es geht um viel mehr

1.5 „Beschwerdemanagement“ – Ein Gewinn für alle!

2. „Wie funktioniert’s denn jetzt?“ – Beschwerdemanagement in der Praxis

2.1 „Gemeinsam sind wir stark!“ – Die Protagonisten

2.2 „Wo alles seinen Anfang nimmt…“ – Die Auslöser

2.2.1 Vom Ereignis zur Beschwerde

2.2.2 Verwaltung, Bürgermeister und Politik als „Übeltäter“

2.2.3 „Wieso ich?“ – Wenn die Bürgerschaft selbst verantwortlich ist

2.2.4 Gründe für Beschwerden gibt’s genug

2.3 „Wenn da nicht augenblicklich …“ – Die Beschwerdeführenden

2.3.1 „Der Bürger“ in allen Facetten

2.3.2 „Die war ja nett!“ – Die Beschwerdeführenden als Multiplikator

2.4 „Bürgertelefon & Co“ – Wie kommen die Beschwerden ins Rathaus?

2.4.1 „Gar nicht!“ – Der schlimmste Fall

2.4.2 „Hier entlang!“ – Die Eingangstore zum Beschwerdemanagement

2.4.3 „Wenn der Bürgermeister zum Gespräch bittet!“ – Offensives Beschwerdemanagement

2.4.4 „Wo ich Sie gerade sehe …!“ – Die Beschwerdeführenden sind überall

2.5 „Um was geht‘s?“ – Von Blättern, Mülltonnen und Falschparkern

2.5.1 Einfache Fragen und Versuchsballons

2.5.2 Hilfreiche Hinweise und mehr

2.5.3 Die Klassiker

2.5.4 Wenn die Stadt gar nicht zuständig ist

2.5.5 Kurioses

2.5.6 „Danke!“ – Die seltenen Glanzlichter im Verwaltungsalltag

2.5.7 Hinter jedem Anliegen steht ein Mensch!

2.6 Die „erste Instanz“ – Die Beschwerde-Annahme

2.6.1 Von Warteschleifen und verschlossenen Türen

2.6.2 „Können Sie mir helfen?“ – Die Suche nach den zuständigen Stellen

2.6.3 „Der erste Eindruck gilt!“ – Das „Gesicht“ der Verwaltung

2.6.4 „Wenn ich Sie richtig verstanden habe …“ – Erfassen des Sachverhaltes

2.6.5 „Ich merke, das belastet Sie!“ – Vom Umgang mit Emotionen

2.6.6 „Der Aufleger“ – Ein Sonderfall

2.6.7 „Selbst schuld!“ – Wie man‘s nicht machen sollte

2.6.8 „Ihr Anliegen ist notiert und wird weitergeleitet!“ – Ein guter Start

2.7 Die Beschwerde-Bearbeitung

2.7.1 „Die direkte Antwort“ – Das Optimum

2.7.2 „Das kann ich für Sie klären“ – Die Schnellrecherche

2.7.3 „Das kann ich im Augenblick leider nicht beantworten!“ – Die Eingangsbestätigung

2.7.4 „Los geht’s!“ – Die Weiterleitung an die zuständigen Stellen

2.7.5 Die Art und Weise der Weiterleitung

2.8 „Einfach nur abwarten?“ – Das Beschwerdemanagement als Beschwerde-Manager

2.8.1 Die Wiedervorlage im Beschwerdemanagement

2.8.2 Vom Managen einer Beschwerde

2.9 „Die Sache ist geklärt!“ – Die abschließende Antwort

2.9.1 „Nicht vergessen!“ – Die Antwort

2.9.2 Was macht denn nun eine gelungene Antwort aus?

2.9.3 „Besser nicht!“ – Was in einer Antwort vermieden werden sollte

2.9.4 Manchmal gibt sich die Antwort selbst

2.9.5 Das „i-Tüpfelchen“ einer gelungenen Antwort

2.10 „Vielen Dank!“ – Wenn Beschwerdeführende zu Fans werden

2.11 „Und was kommt danach?“ – Auf in die nächste Runde

2.11.1 „Der Fall ist erledigt!“ – Oder nicht?

2.11.2 „Wie war das damals?“ – Der Blick in die Ablage

2.11.3 „Keine Bürgerin in Sicht!“ – Pause fürs Beschwerdemanagement?

2.11.4 „Da müssen wir dran!“ – Zeit, aktiv zu werden

2.11.5 „Das können wir besser!“ – Wenn Unordnung zur Chance wird

2.11.6 „Jetzt geht es doch!“ – Die unverhoffte Zusage

2.11.7 Beschwerdemanagement – Eine große Chance

3. „Beschwerdemanagement ist Chefsache!“ – Der Bürgermeister

3.1 Der Bürgermeister als Meister seiner Bürger

3.2 Die Bürgermeisterin zwischen Pflicht- und freiwilligen Aufgaben

3.3 Beschwerdemanagement ist Chefsache!

3.4 Arbeitsteilung leicht gemacht

3.5 Delegation ist erlaubt und sinnvoll

3.6 Wenn der Bürgermeister den Mitarbeitenden den Rücken stärkt

3.7 „Wo ich Sie gerade beim Friseur treffe …“

4. „So geht’s!“ – Erfolgsgaranten für ein gelungenes Beschwerdemanagement

4.1 Elf Bausteine zum Erfolg

4.2 „Beschwerdemanagement“ – Der Name ist Programm

4.3 „Der Erfolg gibt Recht!“ – Ein Fazit

5. „Best Practice“ – Das Beschwerdemanagement in Bergkamen

5.1 Bergkamen – Ein Kurzportrait

5.2 „Von Beginn an …“ – Das Beschwerdemanagement in Bergkamen

5.3 „Herzlich willkommen!“ – Die Eingangs-Tore

5.3.1 Kummerkasten im Rathaus-Foyer

5.3.2 Bürgertelefon – Durchwahl -444

5.3.3 Bürgermeister-Sprechstunde

5.3.4 Neubürgerabend

5.3.5 „Bürgermeister vor Ort“

5.3.6 Elektronischer Kummerkasten/ Kontaktformular

5.3.7 „Facebook & Co“

5.3.8 Und sonst

5.4 Praxishilfen für den Beschwerdemanagement-Alltag

5.5 „Zahlen, Daten, Fakten“ – Statistik und Berichtswesen

5.5.1 Das Bergkamener Beschwerdemanagement in Zahlen

5.5.2 Das Bergkamener Beschwerdemanagement nach Themen

5.5.3 Das Beschwerdemanagement im städtischen Berichtswesen

6. „Social Media, Facebook & Co“ – Beschwerdemanagement und neue Medien

6.1 Neue soziale Medien im Internet

6.2 Neue soziale Medien im Beschwerdemanagement

6.3 Soziale Medien als Bausteine eines präventiven Beschwerdemanagements

6.4 Facebook als Bestandteil städtischen Beschwerdemanagements

6.5 Organisatorische Anforderungen

6.6 „Soziale Medien“ als Chance für's Beschwerdemanagement

Stichwortverzeichnis

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

http://www.duden.de/​rechtschreibung/​Beschwerde (18. 6. 2016).

Von http://www.duden.de:

http://www.duden.de/​node/​659309/​revisions/​1325153/​view abgerufen

http://www.duden.de/​rechtschreibung/​Management (18. 6. 2016).

Von http://www.duden.de:

http://www.duden.de/​node/​673152/​revisions/​1397106/​view abgerufen

Stauss, P. D. (2003).

http://wirtschaftslexikon.gabler.de/​Definition/​beschwerdemanagement.html. (18. 6. 2016)

Von http://wirtschaftslexikon.gabler.de:

http://wirtschaftslexikon.gabler.de/​Archiv/​2659/​beschwerdemanagement-v12.html

„Wie Beschwerdemanagement Spaß machen kann!“ – Einleitung

Beschwerdemanagement ist in aller Munde. Egal, ob zu Hause am Mittagstisch, beim Geburtstagskaffee mit Freunden, im Kreis der Kolleginnen oder im Sportverein. Kaum kommt das Gespräch auf das Thema Beschwerdemanagement, kann jeder von unfreundlichen Verkäufern, fehlerhaften Produkten und unbeantworteten Beschwerdebriefen berichten. Es geht um die Lieferung eines falschen Sofas, den grundsätzlich muffigen Verkäufer in der Bäckerei nebenan und das Ausbleiben des genehmigten Kostenvoranschlags der Krankenkasse für die Zahnarztbehandlung. Die Busfahrerin, die losfährt, obwohl sie mich doch gesehen haben muss, die unberechtigte Mahnung für eine Zeitschriften-Rate oder die lange Wartezeit auf einen Termin in der Facharztpraxis.

Aus Kunden- und Verbrauchersicht sind all diese Vorgänge mehr als ärgerlich. Kaum jemand aber macht sich die Mühe, erlebte Ärgernisse dorthin zurückzumelden, wo sie hingehören. Die Bäckermeisterin und die Geschäftsführung des Möbelhauses, das Versicherungs- und das örtliche Busunternehmen erfahren häufig gar nicht, dass da etwas gründlich schiefgelaufen ist. Für Handwerksbetriebe, Dienstleistungsunternehmen und Einzelhändler bedeutet dies ein unerklärbares Ausbleiben der Kundschaft, schlechte Mund-zu-Mund-Propaganda und in letzter Konsequenz entsprechende Einnahmeverluste.

Aus diesem Grund haben mittlerweile viele größere Unternehmen und Betriebe ein Beschwerdemanagement eingerichtet. Sie weisen ihre Kundschaft offensiv auf die Möglichkeit hin, sich bei Beschwerden oder Unzufriedenheit über eine kostenlose Telefon-Hotline oder ein Kontaktformular auf der Firmen-Webseite zu melden. Anstatt sich „im stillen Kämmerlein“ zu ärgern oder – noch schlimmer – den Freunden und Nachbarn von der Unfähigkeit des Malermeisters oder der schlechten Beratung im Küchenstudio zu berichten, sollen die Beschwerden direkt an das Unternehmen herangetragen werden, um die Chance einer Regelung oder „Heilung“ des Problems zu erreichen. Oberstes Ziel: Die Kundinnen und Kunden zu halten beziehungsweise wiederzugewinnen.

Auch die öffentliche Verwaltung sollte dieses Ziel verfolgen. Denn unzufriedene „Kundinnen und Kunden“, wie die Bürgerinnen und Bürger heute auch häufig genannt werden, gibt es hier auch. Nicht, dass diese eine Wahlmöglichkeit hätten. Schließlich ist der Personalausweis, die Baugenehmigung oder der Zuschuss für die Schülerkarte nicht alternativ bei einem Konkurrenzunternehmen erhältlich. Ganz zu schweigen vom Bescheid über die Grundbesitzabgaben, der Verpflichtung zur Straßenreinigung oder dem „Knöllchen“ wegen eines Parkverstoßes. Wenn es an das Portemonnaie der Bürger geht oder Verpflichtungen einzuhalten sind, kann es schon mal zur Sache gehen.

Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Stadtverwaltung könnten auf unzufriedene Bürger und Widerstand gegen Entscheidungen gerne verzichten. Doch auch sie haben keine Wahl. Das „Dienstleistungsunternehmen Kommune“ hat seine hoheitlichen Aufgaben sowie die Vorgaben des Rates und seiner Ausschüsse zu erfüllen. Und das eben nicht immer zur Freude der Bürgerschaft. Diese muss, ob sie will oder nicht, Regeln einhalten, Steuern zahlen und Gebühren für Dienstleistungen entrichten – und hat damit gleichzeitig eine besonders hohe Erwartungshaltung, wenn es in der Verwaltung mal nicht so läuft, wie sie sich das vorstellt.

Und genau hier liegt die große Chance eines kommunalen Beschwerdemanagements. Dieses muss auf allen Ebenen gelebt werden, angefangen beim Bürgermeister, über die Dezernenten und Amtsleitungen bis hin zu den Sachbearbeitern und dem Mitarbeiter an der Information. Es geht um eine offene und konstruktive Auseinandersetzung mit den Anliegen der Bürgerschaft. Es geht um die kontinuierliche und verlässliche Bereitschaft, kritisierte oder angezweifelte Sachverhalte zu klären und sprachlich verständlich zu beantworten. Im Ergebnis nicht unbedingt immer nach dem Willen und der Erwartungshaltung der Antragsstellenden. Aber immer mit der angemessenen Wertschätzung und auf Augenhöhe.

Das vorliegende Buch hat nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Arbeit. Es beschreibt vielmehr die Erfahrungen aus fast 20 Jahren Beschwerdemanagement in Bergkamen, einer kreisangehörigen Kommune in Nordrhein-Westfalen und zeigt auf, welche positiven Effekte ein gelungenes Beschwerdemanagement – weit über die Bearbeitung einer einzelnen Beschwerde hinaus – mit sich bringen kann.

Zunächst geht es um die möglichen Bedenken gegen die Einführung eines kommunalen Beschwerdemanagements, um den Versuch einer Definition sowie um die entscheidende Erkenntnis, dass ein Beschwerdemanagement einen großen Mehrwert für alle Beteiligten haben kann. Beschrieben werden die konkreten Abläufe von der Beschwerdeannahme über deren Bearbeitung bis hin zur Rückmeldung und Wiedervorlage. Der „ganz normale Bürger“ und seine unterschiedlichsten Anliegen werden ebenso dargestellt, wie das erforderliche „Handwerkszeug“ für die Beschäftigten im Beschwerdemanagement, die sinnvollen internen Strukturen sowie die wesentlichen Erfolgsgaranten für ein aktives kommunales Beschwerdemanagement.

Die Ausführungen werden konkretisiert am Beispiel der Stadt Bergkamen. Einleitend findet sich ein kurzes Stadtportrait und ein historischer Abriss, ergänzt durch eine Darstellung der aktuellen Stadtentwicklungsprojekte sowie einiger relevanter Strukturdaten. Vor diesem Hintergrund werden die langjährigen, erfolgreich angewandten Bausteine des Beschwerdemanagements vorgestellt, ergänzt durch einige Praxishilfen sowie statistische Auswertungen.

Auch die „neuen sozialen Medien“ sind im Beschwerdemanagement der Stadt Bergkamen angekommen. Hierzu lesen Sie einen Beitrag von Roland Schäfer, Bürgermeister der Stadt Bergkamen und Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.

Die gesamten Ausführungen zum Bergkamener Beschwerdemanagement sind angereichert mit zahlreichen Erlebnissen und so mancher kurzweiligen Anekdote aus einem ganz normalen Behörden-Alltag. Dabei stammen die Beispiele aus der Beschwerdemanagement-Praxis in Bergkamen, aber auch aus zahlreichen Berichten anderer Kommunen. Die gewählten Örtlichkeiten und die Namen der handelnden Personen sind frei erfunden.

In den nachfolgenden Ausführungen wird keine durchgängige Begrifflichkeit zugunsten eines Geschlechts gewählt, sondern willkürlich mal die neutrale, mal die weibliche und mal die männliche Form. Auf diesem Weg soll allen Bürgerinnen und Bürgern, Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Beschäftigten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und vielen weiteren Personen in unterschiedlichen Funktionen die ihnen zustehende Wertschätzung entgegen gebracht werden.

Eine wichtige Einstellung, die gerade in einem kommunalen Beschwerdemanagement von herausragender Bedeutung ist.

1. „Ist das wirklich nötig?“ – Vom Sinn eines Beschwerdemanagements

Die Anforderungen an die kommunalen Verwaltungen haben sich aufgrund von finanziellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie veränderten Erwartungshaltungen der Bürgerinnen und Bürger im Laufe der letzten Jahrzehnte stark verändert. Hierzu gehören neben einem grundsätzlichen Wandel des Selbstverständnisses von einer klassischen Behörde hin zu einem Dienstleistungsunternehmen auch organisatorische und strukturelle Veränderungen, wie zum Beispiel die Einführung des „Neuen Steuerungsmodells“ als strategische, insbesondere betriebswirtschaftlich ausgerichtete Steuerungsform in den 1990er Jahren und die ergänzende Abschaffung der alten Kameralistik zugunsten des „Neuen kommunalen Finanzmanagements“ seit Anfang der 2000er Jahre. Hinzu kommen immer schnellere technische Entwicklungen, die fortschreitende Digitalisierung, die Berücksichtigung von internationalen Vorgaben und Rechtsprechungen und vieles mehr.

Da sollte man doch meinen, dass darüber hinaus nicht noch jedem „Modetrend“ nachgegangen werden muss. Nur weil die Nachbarkommune jetzt ein Beschwerdemanagement eingeführt hat, müssen wir noch lange nicht auf diesen Zug aufspringen. Und überhaupt, wozu soll das gut sein? Das macht uns in der Verwaltung doch nur noch mehr Arbeit!

Aus Sicht der Verwaltung ist diese Haltung durchaus nachzuvollziehen. Die Bürgerschaft hat aber einen ganz anderen Blick auf die Dinge.

1.1 „Wo ist das Problem?“– Wenn die Mücke zum Elefanten wird

Eigentlich möchte sich Herr Gärtner nur kurz erkundigen, ob sein schriftlich eingereichter Bauantrag im Rathaus angekommen ist. Da er den Namen der zuständigen sachbearbeitenden Person noch nicht kennt, ruft er die Telefonzentrale des Rathauses an. Besetzt! Ein zweiter, dann ein dritter Versuch – vergeblich! Schließlich, nach dem sechsten Versuch, hat er Glück. Eine freundliche Stimme erkundigt sich: „Stadtverwaltung Musterstadt, was kann ich für Sie tun?“. Herr Gärtner schildert sein Anliegen. „Ja, kein Problem, ich verbinde Sie.“

Die Wartemelodie ertönt. Ein klassisches Violinkonzert. Nicht gerade nach dem Geschmack von Herrn Gärtner, aber egal. Mehrmals klickt es zwischendurch, die Konzertmelodie beginnt jedes Mal von vorn. Drei Minuten und eine vierte Wiederholung später klickt es erneut. Dann eine Stimme: „Stadtverwaltung Musterstadt, was kann ich für Sie tun?“ Herr Gärtner will gerade sein Anliegen vortragen, da stutzt er. Ist das nicht die Dame von gerade? „Hatten wir gerade schon gesprochen? Ich wollte eigentlich jemand von der Bauordnung sprechen.“ – „Ja, stimmt. Ich habe da gerade niemanden erreicht. Aber ich versuche es nochmal.“

Wieder stimmen die Violinen die ersten Takte an. Klick, klick. Schließlich, nach weiteren zwei Minuten, erneut eine Stimme, diesmal eindeutig männlich. „Ja, bitte?“ Pause. Herr Gärtner: „Guten Tag, mein Name ist Gärtner. Bin ich jetzt bei der Bauordnung? Es geht um meinen Antrag …“ – „Nein, da sind Sie hier ganz falsch. Ich verbinde Sie!“

Und wieder beginnen die Streicher ihr Spiel. Mehrmaliges Klicken, Herr Gärtner beginnt bereits, mitzusummen. Dann plötzlich… Stille. „Nanu?“, denkt sich Herr Gärtner, „was jetzt?“ Ein Hörer am anderen Ende wird abgehoben. „Müller!?“ Herr Gärtner setzt erneut an: „Es geht um meinen Bauantrag. Ich wollte mich erkundigen, ob die Unterlagen angekommen sind?“ – „Dafür ist die Kollegin zuständig“, informiert Herr Müller. „Die hat aber jetzt Mittagspause. Rufen Sie doch später nochmal an.“ Spricht‘s und legt auf.

Wenn es nicht so ärgerlich wäre, könnte man darüber lachen. Fast jede und jeder von uns hat sich schon über telefonische Warteschleifen geärgert. Nicht immer lassen sie sich verhindern. Aber gerade, wenn man nur eine kurze Frage hat, ist es mehr als ärgerlich, oft minutenlang „in der Luft“ zu hängen.

Hat man dann am Ende viele Personen gesprochen, die benötigte Auskunft aber dennoch nicht erhalten, droht eine Wiederholung des Szenarios. Zudem, wenn – wie im Beispiel des Herr Gärtner – immer noch unklar ist, wer denn jetzt seine Frage beantworten kann. Das bedeutet beim nächsten Anruf erneut: Telefonzentrale, Warteschleife, Suche nach der Mitarbeiterin unbekannten Namens.

„Stadtverwaltung Musterstadt. Was kann ich für Sie tun?“ – Herr Gärtner: „Guten Tag. Ich habe in dieser Angelegenheit heute Mittag schon einmal angerufen. Sie hatten mich an die Bauverwaltung weitergeleitet. Ist die zuständige Kollegin nun erreichbar?“ – „Das kann ich von hier aus nicht sagen. Wie heißt sie denn?“ – „Das weiß ich nicht.“ – „Dann kann ich Sie nur mit der Abteilung verbinden und Sie müssen sich bitte erneut durchfragen.“

Bürgerinnen und Bürger kennen sich in der Regel nicht oder nur punktuell in den Strukturen und Zuständigkeiten ihrer kommunalen Verwaltung aus. Um mit ihrem Anliegen an die zuständige Stelle zu kommen, sind sie angewiesen auf Auskünfte der Telefonzentrale, Hinweise auf der städtischen Webseite oder auf die Aussage der Mitarbeiterin an der Information im Rathausfoyer.

Da werden gerade in kleineren Kommunen dann auch gerne die informellen Wege genutzt, um Anliegen im Rathaus zu klären:

„Ich hab’s meiner Ortsvorsteherin gesagt, wir sind im selben Kleingartenverein!“

„An der Theke, da treffe ich immer den Heinz. Der ist doch im Rat, der soll das mal regeln.“

„Die Tochter unserer Nachbarin macht im Rathaus ihre Ausbildung. Die könnte sich doch mal in unserer Angelegenheit schlau machen.“

Nicht immer sind diese eingeschlagenen Wege zielführend. Denn häufig bleiben solche am Rande privater Veranstaltungen oder im Freundeskreis geäußerten Anfragen und Beschwerden auf „halber Strecke“ liegen, sind am nächsten Tag vielleicht ganz vergessen. Und selbst, wenn sie weitergegeben werden: Wo landet das Anliegen? Wer ist zuständig für die Klärung? Mit wem sind Rückfragen zu klären? Und wer soll schließlich eine Rückmeldung erhalten?

In so manchem Fall erhält der ursprünglich anfragende Bürger dann gar keine Rückmeldung. Die Antwort auf eine eigentlich einfache Frage bleibt aus, die Nicht-Erledigung einer an sich unspektakulären Notwendigkeit wird plötzlich zum großen Ärgernis. Und die betroffenen Bürgerinnen und Bürger sehen sich in ihren Vorurteilen bestätigt: „Die Stadt macht, was sie will!“ – „Einfache Bürger wie wir werden doch überhaupt nicht ernst genommen!“ – „Wozu zahle ich eigentlich meine Steuern?“

Ganz ungünstig läuft es auch, wenn Anliegen zwar bei der fachlich zuständigen Person landen, diese den Sachverhalt auch klärt und die notwendigen Schritte einleitet – aber keine entsprechende Rückmeldung gibt.

Frau Winkler spricht persönlich im Tiefbauamt vor. „In unserer Straße ist seit dem Wochenende das Straßenschild verschwunden. Wir haben schon überall nachgeschaut, am Spielplatz und in den Büschen ringsumher. Aber ohne Erfolg.“ Die zuständige Sachbearbeiterin nimmt die notwendigen Daten auf und verspricht, schnellstmöglich Ersatz zu beschaffen. Frau Winkler bedankt und verabschiedet sich.

Drei Wochen später ist das Straßenschild immer noch nicht da. Die Nachbarin von Frau Winkler regt sich auf: „Ich hab’s dir ja gleich gesagt. Die bei der Stadt kümmern sich um gar nichts. Den Gang hättest du dir sparen können!“ Zustimmung kommt auch vom Nachbarn gegenüber: „Typisch! Anstatt ständig Knöllchen zu verteilen, sollten sich die im Rathaus lieber mal um ihre Bürger kümmern!“

Der Ärger über die Untätigkeit im Rathaus ist groß. Im Gegensatz zu ihrer Nachbarschaft wird Frau Winkler aber aktiv und beschwert sich am nächsten Tag telefonisch bei der Sachbearbeiterin.

„Guten Tag. Ich hatte mich vor drei Wochen bei Ihnen bezüglich unseres verschwundenen Straßenschildes gemeldet. Aber es ist noch nichts passiert. Sie wollten das doch schnellstmöglich erledigen!“

Die Sachbearbeiterin beruhigt Frau Winkler: „Ich habe bereits alles in die Wege geleitet. Die Bestellung des Schildes ist eine Woche später, im Rahmen eines Sammelauftrages, erfolgt. Hierzu sind wir aus Kostengründen verpflichtet. Leider hat die beauftragte Firma dann aufgrund eines Trauerfalles einige Tage aussetzen müssen, so dass es zu einer verspäteten Auslieferung gekommen ist. Das Schild ist aber seit vorgestern hier und der Bauhof plant die Anbringung noch in dieser Woche.“

Im Grunde hat die zuständige Sachbearbeiterin ihre Aufgabe entsprechend der vorgegebenen Rahmenbedingungen erfüllt. An der Verzögerung durch den Trauerfall ist nichts zu ändern gewesen. Und eine Lieferzeit von zwei Wochen ist erfahrungsgemäß üblich. Doch aus Sicht von Frau Winkler ist gar nichts passiert.

Wie kommt es zu dieser unterschiedlichen Wahrnehmung?

Die Sachbearbeiterin hat es versäumt, Frau Winkler im ersten Gespräch darauf hinzuweisen, wie das Prozedere einer Schilderbestellung abläuft, wie lang die Lieferzeiten erfahrungsgemäß sind und wer für die Montage des Schildes einzubinden ist. Die Zeitangabe „schnellstmöglich“ bedeutete für Frau Winkler vielleicht ein paar Tage, für die Sachbearbeiterin dagegen aus ihrer Erfahrung mindestens zwei Wochen. Die Terminverzögerung war nicht zu beeinflussen, aber Frau Winkler konnte davon ja gar nichts wissen. Für solche unvorhergesehenen Zwischenfälle hätte sich eine kurze Zwischennachricht empfohlen.

„Guten Tag, Frau Winkler. Hier ist die Sachbearbeiterin im Tiefbauamt. Ich wollte Ihnen nur kurz eine Zwischennachricht bezüglich des Straßenschildes geben. Leider ist es zu einer Lieferverzögerung gekommen. Ich gehe aber davon aus, dass die Montage bis Ende der kommenden Woche erledigt werden kann. Ich bitte Sie daher noch um einige Tage Geduld.“

Mit diesen Informationen – bereits im ersten Gespräch und dann gegebenenfalls in Form einer kurzen Zwischennachricht – wäre der ganze Ärger der Anwohnerschaft der Straße erst gar nicht aufgekommen.

Das bedeutet: Wenn einige Regeln im Umgang mit Beschwerden beachtet werden, kann doch eigentlich gar nichts mehr schiefgehen:

  1. Die Bürgerin oder der Bürger versteht etwas nicht oder ist mit einer Sachlage nicht einverstanden.

  2. Sie beziehungsweise er meldet sich beim zuständigen Sachbearbeiter und trägt das Anliegen vor.

  3. Die Entscheidung wird erklärt oder nochmals geprüft und neu oder anders beschieden.

  4. Damit ist der Vorgang abgeschlossen.

So kann es laufen. Und genau so läuft es jeden Tag vielfach in den öffentlichen Verwaltungen. Zumindest, wenn die Entscheidung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger ausfällt.

Was aber, wenn nicht? Eine mögliche Reaktion des unzufriedenen Bürgers:

Er schluckt seine Enttäuschung herunter und nimmt das Ergebnis hin, frei nach dem Motto: „Pech gehabt!“

Nicht wirklich schön für den Betroffenen. Mit einer entsprechenden Erläuterung der gesetzlichen Rahmenbedingungen durch den Mitarbeiter wäre dies sicherlich nachvollziehbarer gewesen. Auf jeden Fall ist die Angelegenheit aus Sicht der Verwaltung damit geklärt.

Aber so kann es auch kommen:

Der Bürger nimmt es hin, regt sich aber bei Nachbarn, Freunden und Arbeitskolleginnen über „die Verwaltung“ beziehungsweise den Bürgermeister auf. „War doch klar!“ – „Wusste ich doch schon immer!“ Und alle stimmen zu!! Denn alle wissen es ja auch (besser). Und haben zum Trost gleich noch eigene ähnliche Erlebnisse beizusteuern.