cover
Patrizia Vanazzi

14 kleine Betthäppchen





BookRix GmbH & Co. KG
81371 München

14 kleine Betthäppchen

14 kleine Betthäppchen

Von Patrizia Vanazzi

 

 

 

 

 

 

Erstausgabe 2018, Coverbild von Franklin Graves, 2018

 

 

Mit Dank an den Bookrix Verlag und das Team von R2 fürs Gegenlesen, mit Dank an meine Mutter Gina, Herrn Smolny für die unterstützenden Worte und
Birgit Kempker für die Motivation, weiterzuschreiben. Und nun viel Spass!

 

Patrizia Vanazzi 2018

 

Das Geheimnis der St. Jakobsuhr

Es war einmal eine Uhr, die hing hoch und stolz an einem schönen Turm in der Schweiz. Sie tickte und lief, so gut sie nur konnte. Jahrelang bewunderten sie die Leute. Man hielt sie für unvergänglich, denn sie war von grosser Schönheit.

Eines Tages kam der Denkmalspfleger dieses Turms wieder zur alljährlichen Kontrolle vorbei, und siehe, der grosse Zeiger war weg. Wo war er hingekommen?

Der Pfleger informierte sofort den Denkmalschutz. „Der Zeiger ist weg!“.

Da kam ein armer alter Mann vorbei und sagte: „Sieh, was ich heute gefunden habe unter dem Turm, da wo die Jakobsuhr steht: Ein Zeiger."

So erlebte dieser wichtige Teil seinen Jakobsweg.
Er flog und sah etwas Heiliges, das er nie zuvor gesehen hatte: Den Boden unter ihm, und wurde wieder zurückgebracht.

 

Und tief beeindruckt von seiner Reise hing er fortan wieder an der Jakobsuhr und lief und lief und lief.

Und weiter: Auf seiner Reise hatte er sich verliebt. Und zwar in den Boden. Die beiden unterhielten sich fortan täglich und lachten und scherzten, nur manchmal bei Mitternacht weinten sie, dass sie wieder getrennt waren.

Einmal, da war nun der Zeiger krank, schwerkrank sogar, denn er hatte sich vor lauter Laufen verbogen. Der Uhrmacher kam, legte seine Tasche vor die Uhr und sein Werkzeug lag verstreut auf dem Boden.

Da schlichen sich winzig kleine Bodenpartikel in seine Zange und schmuggelten sich hoch zum Zeiger. Fortan waren die beiden vereint und liebten einander und werden noch heute zusammen mit allen Verzierungen und Steinen der Uhr bewundert.

 

 

Die alte Dame und ihr Döschen

Die alte Dame war eine einsame alte Dame. Sie besass nicht viel, ein paar Bilder an den Wänden, sie hatte eine Freundin, eine Einzimmerwohnung , alles andere, was eine alte Dame noch so hat und ein Döschen, das sie jede Nacht neben ihr Bett legte auf den Nachtzimmertisch. Sie legte grossen Wert auf ihr Döschen, es war ein ganz spezielles blaues mit goldenen Verzierungen, und innen war es mit purpurnem Samt ausgefüllt. So lag sie wieder einmal in ihrem Bett, als das Döschen anfing mit ihr zu reden, während sie so schlief. Es sagte ihr:

Jetzt sind wir schon so lange zusammen, du und ich, sagte es ihr, und alles was du hast ist deine Freundin und deine Einzimmerwohnung. Willst du nicht mal was anderes sehen? Ich halte es hier bald nicht mehr aus. Ich fühle mich einsam! Sagte es ihr.

Ich bewahre dir jetzt schon jahrelang deine Medikamente auf für dein Herz, aber so kann es einfach nicht weitergehen. Ich vereinsame noch! Sagte es ihr. Geh doch mal auf eine Reise und lerne jemanden kennen. Ich möchte so gerne mal ein Zettelchen mit einer Liebesnachricht in mir aufbewahren, sagte es ihr, doch die alte Dame antwortete nur mit Schnarchen und drehte sich weg.

Für diese Nacht lasse ich es sein dachte das Döschen, aber so schnell gebe ich nicht auf!

Ich muss mir was überlegen, dachte das Döschen. Ich werde mich verkleiden und der alten Dame mal einen Wink mit dem Zaunpfahl geben. Das Döschen hatte nämlich auch eine Ahnung von Psychologie, es war aus einem Antiquariat und hatte schon so mancherlei erlebt.

Also riss sich das Döschen zusammen, nahm alle seine Kraft und schimmerte am nächsten Morgen in der Morgensonne wie ein goldenes Schiff auf hoher See. Nicht so wie letztes Mal, dachte das Döschen. Das letzte Mal hatte es sich nämlich absichtlich fallengelassen, was in einer Fallschirmlektion endete für die junge Dame, der das Döschen damals gehört hat.

So ging die alte Dame dann auch tatsächlich auf eine Kreuzfahrt, natürlich mit dem Döschen dabei, das sich köstlich amüsierte und nur so dachte: Ja, ja, sie hören eben immer auf mich.