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Katharina Lühring

Einführung in die Lerntherapie

Katharina Lühring

Einführung in die
Lerntherapie

Psychologisch-pädagogische
Grundlagen in Theorie und Praxis

Tectum Verlag

Frau Dr. Katharina Lühring bietet in ihrem VIGESCO Institut für psychologisch-pädagogi­sche Bildung und Entwicklung auch Ausbildungen, Weiterbildungen und Workshops zu den Themen Lernen und Fördern an.

http://www.vigesco-institut.de/

 

 

 

 

 

Katharina Lühring

 

Einführung in die Lerntherapie

Psychologisch-pädagogische Grundlagen in Theorie und Praxis

 

© Tectum – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2018

ePub 978-3-8288-6932-5

 

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Werk unter der ISBN 978-3-8288-4084-3 im Tectum Verlag erschienen.)

 

 

Umschlaggestaltung: Tectum Verlag, unter Verwendung des Bildes # 128043899 von Dominik Hladik | www.shutterstock.com

 

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www.tectum-verlag.de

 

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Psychologisch-pädagogische Grundlagen und Lernen

1.1 Motivation

1.2 Lerntheorien

1.2.1 Klassische Konditionierung

1.2.2 Operante Konditionierung

1.2.3 Verknüpfungslernen/Kontingenzlernen

1.2.4 Modelllernen – Das Lernen durch Beobachten

1.3 Lerntypen

1.4 Lernstile

1.5 Lernstrategien

1.5.1 Mnemotechniken

1.5.2 Mindmapping

1.5.3 Lernen durch Einsicht

1.5.4 SQ3R-Methode

1.5.5 Selbstregulative Methoden

1.5.6 Selbstregulative Methoden für die Arbeit mit Gruppen

1.5.7 Kooperatives Lernen

1.6 Diagnostik

1.6.1 Klassifikationssysteme

2 Definition von Lernstörungen

2.1 Lernschwäche versus Lernstörung

2.2 Störung der Lernvoraussetzungen

2.3 Die nonverbale Lernstörung

2.4 Der Underachiever / Minderleister

2.5 Lernstörungen und Nachteilsausgleich

3 Grundlagen zur Lese-Rechtschreib-Schwäche

3.1 Prävalenz

3.2 Begrifflichkeit

3.3 Aktueller Forschungsstand

3.3.1 Der störungsfreie Erwerb der Schriftsprache

3.3.2 Symptomatik

3.3.3 Vorläuferfertigkeiten

3.3.4 LRS bei Grundschulkindern

3.3.5 LRS bei Jugendlichen und Erwachsenen

3.3.6 LRS und das Erlernen von englischer Sprache

3.4 Ätiologie

3.4.1 Phonologische Bewusstheit

3.4.2 Neuroanatomie

3.4.3 Sinnesphysiologie

3.4.4 LRS und implizites Lernen

3.4.5 Gedächtnis

3.4.6 Sprachentwicklungsstörung

3.4.7 Psychosoziale Einflüsse

3.5 Komorbidität

3.6 Diagnostik

3.6.1 Diagnosekriterien ICD-10

3.6.2 Diagnosekriterien DSM-5

3.6.3 Testverfahren

3.7 Therapie und Interventionen

3.7.1 Frühförderung

3.7.2 Förderprogramme

3.7.3 Training basaler Funktionen

3.7.4 Medikamentöse Behandlung

3.7.5 Alternative Verfahren

3.7.6 Der Nachteilsausgleich

3.8 Praxistipps

4 Grundlagen zur Rechenschwäche

4.1 Prävalenz

4.2 Begrifflichkeit

4.3 Aktueller Forschungsstand

4.3.1 Definition Rechenschwäche und Symptomatik

4.3.2 Entwicklungspsychologische Zahlbegriffsentwicklung nach Piaget

4.3.3 Vorläuferfertigkeiten

4.3.4 Rechenschwäche bei Kindergarten- und Grundschulkindern

4.3.5 Rechenschwäche bei Jugendlichen und Erwachsenen

4.4 Ätiologie

4.4.1 Numerische Basiskompetenzen

4.4.2 Genetik

4.4.3 Das Vier-Stufen-Modell

4.4.4 Gedächtnis

4.4.5 Basales arithmetisches Faktenwissen

4.4.6 Neuropsychologie: Kerndefizithypothese

4.5 Komorbidität

4.6 Diagnostik

4.6.1 Diagnosekriterien ICD-10

4.6.2 Diagnosekriterien DSM-IV

4.6.3 Testverfahren

4.7 Therapie und Interventionen

4.8 Praxistipps

5 Selbstregulative Methoden zur Förderung ADHS-betroffener Kinder

5.1 Aktueller Forschungsstand zur Entstehung von ADHS

5.2 Grundlagen ADHS: Definition, Symptome und Therapie

5.3 Definition Selbstregulation

5.3.1 Das selbstregulierte Lernen

5.3.2 Selbstinstruktion und Selbstmanagement

5.3.3 Selbstregulative Trainingskonzepte in Anwendungsbereichen der pädagogischen Psychologie

5.3.4 Selbstregulation bei Kindern mit ADHS

5.4 Selbstregulations-Trainings

5.4.1 Das Marburger Konzentrationstraining

5.4.2 Das THOP

5.5 ADHS und Selbstregulation: Diskussion empirischer Befunde

5.6 Ausblick

6 Lerntherapie – Was ist das?

6.1 Lerntherapie als 3-Säulen-Konzept

6.1.1 Lerntherapie nach Betz und Breuninger

6.2 Kosten einer Lerntherapie

6.3 Der § 35a KJHG

6.4 Berufsbezeichnung eines Lerntherapeuten

6.5 Arbeitsbereiche

6.6 Förderpläne

6.7 Diagnostik in der Lerntherapie

Anhang

Stichwortliste

Vorwort

Dieses Buch ist aus meiner mehrjährigen Erfahrung als Lerntherapeutin und meiner Arbeit als Dozentin für Lerntherapie entstanden. Mit diesem Buch möchte ich einen Überblick über die wichtigsten Grundlagen der lerntherapeutischen Arbeit geben. Einige Themen wurden bewusst nur angeregt und können bei Interesse durch angegebene Literaturempfehlungen vertieft werden.

Kapitel 1 beschäftigt sich mit den psychologischen Grundlagen, die in der Lerntherapie wichtig sind. Die Themen Motivation, Attribution und Lernen werden hier behandelt. Im zweiten Kapitel geht es allgemein um das Thema Lernstörungen, bevor in den Kapiteln 3, 4 und 5 die Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS), die Rechenschwäche sowie das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) intensiver betrachtet werden. Dabei gibt es neben den Grundlagen auch Hinweise zur Diagnostik und Intervention. Die Kapitel schließen mit einer kleinen Auswahl an Praxistipps. Kapitel 6 beschreibt die Grundlagen zur Lerntherapie, die für eine mögliche selbstständige Tätigkeit als Lerntherapeut/in interessant sind.

Als Anhang befindet sich ein Glossar mit ausgewählten Begrifflichkeiten, die für die Lerntherapie interessant sind, sowie je einen kurzen Fragebogen zur LRS und zur Rechenschwäche. Diese Fragebögen dienen keinesfalls zur Diagnose einer Lernstörung, sondern sollen dem Verständnis der Symptomatik dienen.

Ich habe mich dazu entschlossen, inhaltlich nicht zwischen den Begrifflichkeiten Legasthenie/Lese-Rechtschreib-Störung und Lese-Rechtschreib-Schwäche sowie Dyskalkulie/Rechenstörung und Rechenschwäche zu differenzieren. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Erscheinungsformen einer Lernstörung so individuell sind, dass eine so einfache Unterscheidung meines Erachtens nicht sinnvoll ist. Vielmehr soll es darum gehen, das Kind in seiner Persönlichkeit wahrzunehmen, zu unterstützen und zu begleiten, ohne Wertigkeit auf eine eventuell bestehende „Störung“ oder „Schwäche“ zu legen. Individualität und Stärken des Kindes sollen stets im Vordergrund stehen.

Im Bereich Lernstörungen wird nach wie vor sehr viel geforscht. So wird es in den nächsten Jahren sicherlich weitere interessante Ergebnisse zur Diskussion geben. Demnach kann dieses Buch sicherlich nicht den gesamten Bereich der Forschung abdecken, sondern soll vielmehr die wichtigsten Grundlagen in Kürze darlegen.

 

Emden, im November 2017

Dr. Katharina Lühring

1 Psychologisch-pädagogische Grundlagen und Lernen

Das erste Kapitel befasst sich mit den Psychologisch-pädagogischen Grundlagen, die in der Lerntherapie relevant sind. Dazu gehören neben Motivation und Attribution auch die Themen Lernen, Lerntheorien und -techniken sowie die Darstellung einiger Lernstrategien. Das Kapitel schließt mit der einführenden Darstellung der Diagnostik.

1.1 Motivation

Die Lernmotivation beschreibt den aktuellen Zustand einer Person, in der sie sich intensiv mit speziellen Lerninhalten beschäftigt. Es liegt dabei eine grundlegende Bereitschaft vor, sich entweder freiwillig oder unfreiwillig mit zeitlich begrenzten Aufgaben auseinanderzusetzen. Warum sich die Person mit diesen Inhalten beschäftigt, kann unterschiedliche Ursachen haben. Bei einer intrinsischen Motivation lernt die Person durch den „inneren“ Antrieb sowie um der Inhalte oder Tätigkeit willen, und die Handlung selbst bereitet Freude und Zufriedenheit. Im günstigsten Fall lernt ein Schüler also, weil ihm das Lernen an sich Spaß bereitet und das Interesse am Thema existiert. Bei der extrinsischen Motivation dagegen wird gelernt, um bestimmte Ziele zu erreichen, die von „außen“ auferlegt wurden, das heißt nicht selbst gewählt sind. Das Lernen dient lediglich dazu, das Ziel zu erreichen, beispielsweise um gute Noten zu erhalten oder belohnt zu werden. Für einen erfolgreichen Lernprozess scheint die intrinsische Motivation erstrebenswerter und sinnvoller, da intrinsisch motivierte Personen bei ansonsten gleichen Rahmenbedingungen eine insgesamt höhere Leistung aufweisen als extrinsisch motivierte Personen. Hier besteht auch der Zusammenhang zu den eigenen Emotionen, denn bereitet eine Tätigkeit Freude, so ist sie emotional positiv besetzt und man setzt sich gern vermehrt mit ihr auseinander. Das wiederum führt zu einer stabileren Verarbeitung der erlernten Inhalte und lässt somit einen Lernerfolg wahrscheinlicher werden.

Eng verknüpft mit der Motivation sind die persönlichen Attributionen, denn diese beeinflussen die Motivation. Die Attribuierungstheorie (attribution theory) von Fritz Heider beschreibt eine Methode, wie Menschen kausale Erklärungen für das eigene Verhalten und das anderer Personen bilden. Es geht also darum, wie eine Person Ursachen für den eigenen Erfolg oder Misserfolg zuschreibt. Es handelt sich dabei um Gedanken und Überzeugungen, die mit einem Streben nach Kontrolle in Zusammenhang stehen und die dementsprechend auch als Kontrollkognitionen bezeichnet werden können. Attributionen können die Emotionen, die Motivation und das Verhalten beeinflussen.

Ein Ereignis kann external (durch das Denken und Handeln anderer) oder internal (durch das eigene Tun) erklärt werden. Dazu kommt die Stabilität der Erklärungsfaktoren. Eine Ursache für ein Verhalten kann somit entweder lang andauernd wirksam sein (z. B. Intelligenz) oder die Ursache kann kurzfristig eintreten (z. B. momentane Stimmung). Dementsprechend ergibt sich eine Vierfeldertafel, in der die einzelnen Attributionen festgehalten werden können. Das zweidimensionale Attributionsschema:

 

Ort der Ursache

 

Stabilität

internal

external

stabil

Begabung/Fähigkeit

Aufgabenschwierigkeit

variabel

Anstrengung

Pech/Glück

Menschen, die internal und stabil attribuieren, finden eine Ursachenerklärung also in der eigenen Fähigkeit („Ich habe die Klausur bestanden, weil ich das Thema gut kann.“). Eine external, stabile Erklärung wäre dagegen die Aufgabenschwierigkeit („Ich habe die Klausur bestanden, weil die Aufgaben leicht waren.“).

Eine internal und variable Erklärung bezieht sich auf die Anstrengung („Ich habe die Klausur bestanden, weil ich mich sehr angestrent habe.“), und eine external, variable Attribution erklärt durch Glück oder Pech („Ich habe die Klausur bestanden, weil ich Glück bei der Aufgabenstellung hatte.“).

Ein dreidimensionales Konzept ergänzt die Vierfeldertafel mit der Kontrollierbarkeit. Hier geht es um die Frage, ob die Handlung und deren Rahmenbedingungen steuerbar sind oder die Einflussmöglichkeiten gering sind.

Beispiel mit einer negativen Erfahrung bei einer Klausurbenotung:

 

stabil

stabil

variabel

variabel

 

kontrollierbar

unkontrollierbar

kontrollierbar

unkontrollierbar

intern

Ich habe (nicht) genug gelernt

Ich habe (kein) Talent

Ich war (un)konzentriert

Ich hatte Glück/Pech

extern

Lehrer hat (nicht) genug erklärt

Lehrer kann nicht unterrichten

Lehrer war schlecht drauf

Lehrer hatte Glück/Pech

Tabelle: Beispiel für die Einordnung der Ursache von Erfolg oder Misserfolg auf den drei Dimensionen

Die Ursachenerklärung von Schülerleistung durch Lehrer/in stellt eine Fremdattribution dar. Hier besteht nach Ross (1977) die Gefahr des fundamentalen Attributionsfehlers:

Das Verhalten des Schülers wird internal, stabil und nicht beeinflussbar attribuiert. Dies kann z. B. zum Verzicht auf sinnvolle pädagogische Maßnahmen führen, da der Schüler als untalentiert wahrgenommen wird.

Eng in Verbindung steht dabei der sogenannte Pygmalioneffekt (auch als Rosenthal-Effekt bekannt). Dieser besagt, dass die Erwartungen eines Lehrers bezüglich der Leistungen bestimmter Schüler nicht nur seine Beurteilungen der Schüler, sondern auch die tatsächlichen Leistungen beeinflussen. Unerheblich ist dabei, ob die Schüler von den Erwartungen etwas wissen und der Lehrer versucht, sich neutral zu verhalten. Die Beeinflussung des Schülerverhaltens wirkt dabei indirekt über ein positives emotionales Klima, das der Lehrer erzeugt. Diese Form Lehrer-Attributionen beinhalten differenziertere Rückmeldungen, die Präsentation angemessener Lerninhalte und die Schaffung zusätzlicher Möglichkeiten für den Schüler, sich zu Wort zu melden.

Wenn man gute Erfahrungen immer intern positiv und schlechte immer extern attribuiert, kann es sein, dass man an einer Form von Größenwahn leidet. Diese Form der Attribuierung nennt man auch „Selbstwertdienliche Attributionsverzerrung“.

Menschen mit Depressionen neigen dazu, gute Erfahrungen immer extern und schlechte immer negativ intern zu attribuieren.

Attributionen werden stets mit emotionalen Reaktionen in Beziehung gesetzt. So konnte gezeigt werden, dass eine Attribution auf Fähigkeit nach einem Erfolg die Gefühle wie Kompetenz, Stolz und Selbstvertrauen auslösen und eine Attribution nach einem Misserfolg die Gefühle Inkompetenz, Resignation und Depression zur Folge hat. Die Attribution auf Anstrengung nach einem Erfolg wird mit Erleichterung, Zufriedenheit und Entspannung in Zusammenhang gebracht, während die Anstrengungsattribution bei Misserfolg mit Schuld, Scham und Furcht verbunden werden.

Grundsätzlich sind in dem Zusammenhang auch die Selbstwirksamkeitserwartungen von Bedeutung. Bandura (1977) versteht unter Selbstwirksamkeit die Überzeugung, ein Handlungsergebnis selbst herbeigeführt zu haben. Für die Lernmotivation ist es demnach nachteilig, wenn einem Schüler die Überzeugung fehlt, seine guten oder schlechten Leistungen selbst bewirkt zu haben.

Bei einer Motivationsförderung gibt es grundsätzlich drei Ziele, die erstrebenswert sind:

Die Lernenden sollten dahin geführt werden, sich selbst ein realistisches Anspruchsniveau zu setzen. Das heißt weder zu hohe noch zu niedrige Ziele im Lernziel zu setzen. Bei einem zu niedrigen Ziel findet der Versuch statt, einen Misserfolg zu vermeiden, während ein zu hohes Ziel dazu führt, von vornherein mit einem Misserfolg zu rechnen und damit bereits eine Erklärung für ein Versagen parat zu haben.

Die Entwicklung eines erfolgszuversichtlichen Attributionsmusters ist wichtig für die Motivationsförderung, denn demnach wird ein Erfolg nicht dem Zufall oder einer zu leichten Aufgabe zugeschrieben, sondern dem eigenen Fleiß und der Begabung. Ein Misserfolg ist nicht dem eigenen Unvermögen, sondern fehlendem Fleiß zuzuschreiben.

Das dritte Ziel bezieht sich auf die Selbstbewertungsbilanz in Leistungssituationen. Dabei wird der Lernende dazu ermuntert, sich mehr über Erfolge zu freuen, als sich über Misserfolge zu ärgern.

Diese drei Punkte helfen nachweislich, die Lernmotivation zu stabilisieren.

Unter Rückgriff auf verschiedene psychologische Motivationstheorien entstand das aus den USA stammende Motivierungsmodell, das aus vier Komponenten besteht: das ARCS-Modell.

 

Die vier ARCS-Strategiekompnenten setzen sich wie folgt zusammen:

A: Aufmerksamkeitsstrategien (attention strategies) zur Weckung von Aufmerksamkeit, Neugier und Interessen. Hierbei steht im Vordergrund, persönliche Ressourcen und Interessen des Lernenden zu finden und in die Lernsituation einzubinden.

R: Relevanz (relevance strategies) bedeutet, dass der Lerninhalt für den Lernenden relevant dargestellt werden sollte. Das passiert durch das Verknüpfen des Lehrstoffs mit den Bedürfnissen, den Interessen und der Motivation des Lernenden.

C: Strategien der Erfolgszuversicht (confidence strategies) helfen dem Lernenden, den eigenen Erfolg zu erwarten.

S: Belohnungsstrategien (satisfaction strategies) sollen dem Lernenden die extrinsische und insbesondere die intrinsische Motivation verschaffen.

Weiterführende Literatur: Rudolph, U. (2003). Motivationspsychologie. Berlin: Beltz Verlag

1.2 Lerntheorien

Neben der auditiven, visuellen und haptischen sowie der kognitiven Entwicklung und den allgemeinen entwicklungspsychologischen Aspekten des Lernens können mehrere Lerntheorien dazu genutzt werden, zu verstehen, wie gelernt wird. Zu diesen Theorien gehören die klassische Konditionierung und die operante Konditionierung sowie das Verknüpfungslernen und das Modelllernen. Im Folgenden gebe ich einen Überblick über die genannten Lerntheorien.

1.2.1 Klassische Konditionierung

Diese Lerntheorie entstand durch Experimente des russischen Forschers Iwan Pawlow (s. Pawlowscher Hund) Nachdem er erkannt hatte, dass seine Hunde bereits Speichelfluss entwickelten, wenn sie lediglich seine Schritte hörten, ohne Futter zu sehen, machte er sein berühmtes Experiment mit der Glocke, um diese Hypothese zu überprüfen. Den Hunden wurde Futter dargeboten (natürlicher/unkonditionierter Reiz), und die Tiere entwickelten Speichelfluss (natürliche/unkonditionierte Reaktion). Auf das Geräusch einer Glocke erfolgte keine Reaktion.

Brachte Pawlow den Glockenton aber wiederholt gleichzeitig mit der Fütterung, wurde der Speichelfluss schließlich schon allein durch den Ton ausgelöst. Diese Beobachtung nannte er klassische Konditionierung. Die Phasen des Experiments im Überblick sahen folgendermaßen aus:

 

Kontrollphase (vor Training):

Glockenton (neutraler Reiz) führt zum Ohrenspitzen (keine spezifische Reaktion)

Futter (unkonditionierter Stimulus/Reiz) führt zu Speichelfluss (unkonditionierte Reaktion)

 

Lernphase:

mehrmalige Paarung von Glockenton (neutraler Stimulus/Reiz) mit Futter (unkonditionierter Stimulus/Reiz) und unkonditionierter Reaktion

 

Lernergebnis

Glockenton (nun konditionierter Stimulus/Reiz) führt zu Speichelabsonderung (konditionierte Reaktion)

Wichtig dabei sind die zuverlässige Reaktion und saliente (auffällige) Reize.

Das Little-Albert-Experiment ist ein psychologisches Experiment, welches auf die Theorien der klassischen Konditionierung aufbaut. Es belegt die Möglichkeit, dass Menschen auch konditioniert werden, und beweist damit speziell die Erlernbarkeit und Generalisierbarkeit von Angstreaktionen. Es basiert auf der Annahme, dass die Anzahl der Reize, die eine emotionale Reaktion auslösen, auf einfache Weise vermehrt werden können. Damit lassen sich Schul- und Prüfungsängste erklären.

1.2.2 Operante Konditionierung

Die operante Konditionierung kann man auch als Lernen durch Verstärkung verstehen. Den Lernprinzipien dieser Theorie zufolge führt eine positive oder negative Verstärkung zu einer Veränderung oder zum Erlernen einer Verhaltensweise.

Nach Burrhus Skinner gibt es zwei Arten von Verstärkung:

 

a. Positive Verstärkung und b. Negative Verstärkung

und zwei Formen von Strafen:

 

a. Direkte Strafe/punishment/Strafe Typ I und b. Indirekte Strafe/ Strafe Typ II

 

Positive Verstärkung bedeutet die Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens, wenn das Verhalten einen angenehmen Reiz auslöst (z. B. Anerkennung, Achtung, Nahrung, Geld).

Negative Verstärkung bedeutet die Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens, wenn das Verhalten einen unangenehmen Reiz verhindert oder beendet (z. B. jeweils das Entfernen von Lärm, grellem Licht, Hitze oder Kälte).

Positive Bestrafung oder Bestrafung I bedeutet die Senkung der Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens, wenn das Verhalten einen aversiven Reiz auslöst (z. B. Lärm, grelles Licht, Hitze oder Kälte, Stromschlag).

Negative Bestrafung oder Bestrafung II bedeutet die Senkung der Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens, wenn das Verhalten einen appetitiven Reiz verhindert oder beendet (z. B. Wegnahme von Futter, Wärme, Weihnachtsgeld).

Negative Verstärkung und Bestrafung werden häufig miteinander verwechselt. Das Wort positiv steht hier nur für das Hinzufügen eines Reizes, das Wort negativ für das Entfernen.

 

Nach Skinner ist jedes Ereignis, das auf ein Verhalten folgt und die Auftretensrate steigert, ein Verstärker. Erwünschtes Verhalten wird belohnt und soll dadurch verstärkt auftreten (positive Verstärkung), während unerwünschtes durch Unterlassen einer Belohnung oder gar durch Bestrafung verändert werden soll. Wichtig hierbei ist, dass die Verstärker zeitnah eingesetzt werden, damit sie unmittelbar mit dem Verhalten in Zusammenhang gebracht werden können.

Ein Schüler, der für eine freiwillige Beteiligung am Unterricht Lob und Anerkennung erfährt, wird dieses Verhalten künftig mit großer Wahrscheinlichkeit häufiger zeigen.

Ein anderer Schüler, der in der Erledigung seiner Hausaufgaben sehr nachlässig ist und zur Vorbeugung weiterer schlechter Noten nicht mehr zum nachmittäglichen Sport gehen darf, wird hingegen vermutlich alles daransetzen, sein Verhalten zu ändern, um die vorenthaltene Belohnung (Sport) wiederzuerlangen.

Dieser Effekt ist auch als Premack-Prinzip bekannt, demnach ein unwahrscheinlicheres Verhalten durch ein wahrscheinlicheres verstärkt werden kann (David Premack, amerikanischer Psychologe, 1962).

Besonders die positive Verstärkung findet sich in sogenannten Tokensystemen (Verstärkerpläne oder Kontingenzverträge) wieder, die häufig in Schulen oder Therapien eingesetzt werden. Bekannt ist dabei insbesondere der Smiley-Plan, bei dem für ein positives Verhalten Smileys als Belohnung gesammelt werden.

Verstärker sollten immer mit Bedacht eingesetzt werden. Besonders wirkungsvoll und wünschenswert sind soziale Verstärker wie Lob und Anerkennung sowie Handlungsverstärker wie gemeinsame Spiele, ein Kinobesuch oder sonst gemeinsam verbrachte Zeit. Zu den materiellen Verstärkern gehören Belohnungen wie Geld oder Spielzeug, die nur im Ausnahmefall oder kurzzeitig genutzt werden sollten. Dies ist von großer Bedeutung, um dem Lernenden nach und nach einen Übergang von der extrinsischen (von außen kommenden) hin zur intrinsischen (von innen/aus einem selbst heraus kommenden) Motivation zu ermöglichen.

Verstärkerpläne sollten also stets Belohnungen für ein erwünschtes Verhalten beinhalten, die unmittelbar bei Erfüllung der Vereinbarungen eingesetzt werden. Auf Bestrafungen sollte grundsätzlich verzichtet werden.

Der Verstärkerplan kann auch gestaffelt werden von kleineren und leichter zu erfüllenden hin zu schwierigeren und komplexeren Aufgabenstellungen. Aufwand und Belohnung sollten dabei in angemessenem Verhältnis zueinander stehen.

Verstärkerpläne können individuell gestaltet werden. Beispielsweise kann man zu Anfang häufige kleinere Belohnungen einsetzen, um das gewünschte Verhalten des Lernenden zu erreichen, und dann die Häufigkeit der Belohnung mit der Zeit reduzieren. Jedoch sollte der Lernende die Möglichkeit des sogenannten Belohnungsaufschubes haben.

Übersicht der Arten der Verstärkung:

Art der Verstärkung

Definition

Effekt

Beispiel

Positive Verstärkung

Ein positiver Stimulus folgt einem („positiven“) Verhalten.

Erhöht die Auftretenswahr-scheinlichkeit des („positiven“) Verhaltens.

Ein Schüler erhält für eine gute Arbeit eine gute Note.

Negative Verstärkung

Ein negativer Stimulus wird entfernt, nachdem ein („positives“) Verhalten aufgetreten ist.

Erhöht die Auftretenswahr-scheinlichkeit des („positiven“) Verhaltens.

Das Kind darf sein Zimmer wieder verlassen, wenn sein Wutanfall beendet ist.

Bestrafung Typ I

Ein negativer Stimulus folgt, nachdem ein („negatives“) Verhalten aufgetreten ist.

Senkt die Auftretenswahr-scheinlichkeit des („negativen“) Verhaltens.

Ein Schüler erhält für eine schlechte Arbeit eine schlechte Note.

Bestrafung Typ II

Ein positiver Stimulus wird entfernt, nachdem ein („negatives“) Verhalten aufgetreten ist.

Senkt die Auftretenswahr-scheinlichkeit des („negativen“) Verhaltens.

Einem Jugendlichen, der in einem Monat 250 Euro Telefonkosten verursacht hat, wird das Handy weggenommen.

(Tabelle aus Rudolph, 2003, S. 68)

1.2.2.1 Verstärkerpläne

Kontinuierliche Verstärkung

Hier wird bei jeder gewünschten Reaktion verstärkt. Dies führt zu einem starken Anstieg der Lernkurve. Die Versuchsperson lernt also schnell, vergisst aber auch ebenso schnell wieder, wenn nicht mehr verstärkt wird. Dieser Verstärkerplan ist optimal in der Akquisitionsphase, also beim ersten Erlernen des Zielverhaltens.

 

Quotenverstärkung

Bei dieser Variante verstärkt man erst, wenn eine bestimmte Anzahl von gewünschten Reaktionen erfolgt ist. Beispiel: Bei jedem fünften (fixed ratio) oder durchschnittlich jedem fünften (variable ratio) Auftreten des Zielverhaltens erfolgt eine Verstärkung.

 

Intervallverstärkung

Bei dieser Methode wird nach dem letzten verstärkten Verhalten frühestens wieder in einem konstanten oder variablen Zeitintervall verstärkt, sobald das erwünschte Verhalten auftritt. Beispiel: Für die Dauer von 20 Sekunden (fixed interval) oder durchschnittlich 20 Sekunden (variable interval) wird kein Verhalten verstärkt.

 

Ratenverstärkung

Verstärkt wird, wenn das Zielverhalten mit hoher Frequenz oder niedriger Frequenz gezeigt wird. Die Verstärkung hoher Frequenzen führt zum selben Ergebnis wie Verhältnispläne; die Verstärkung niedriger Frequenzen führt zum selben Ergebnis wie Intervallpläne.

 

Neues Verhalten

Durch positive oder negative Verstärkung und Methoden wie Shaping können auch komplexe Abfolgen von Verhaltensweisen gefördert werden. Eine elegante Methode, auf gleichermaßen anschauliche wie reproduzierbare Weise einem Testtier neue Verhaltensweisen beizubringen, stellt das Lernen mithilfe einer so genannten Skinner-Box dar.

 

Shaping

Beim Shaping (auch Approximation genannt) wird nicht erst die vollständige Abfolge der erwünschten Verhaltensweisen verstärkt, sondern bereits jede Annäherung an die gewünschten Verhaltensweisen. Soll eine Taube etwa auf einen roten Punkt auf einer Scheibe picken, so wird bereits verstärkt, wenn die Taube den Kopf zur Scheibe bewegt; dann, wenn sie zur Scheibe schaut; dann, wenn sie sich der Scheibe nähert; dann, wenn sie auf die Scheibe pickt und schließlich, wenn sie den roten Punkt auf der Scheibe trifft. Insbesondere dient diese Technik dem Erlernen komplexerer Verhaltensweisen. Auf diese Weise können auch recht unnatürliche Bewegungsabfolgen bei Tieren konditioniert werden, wie sie etwa im Zirkus zu sehen sind.

1.2.3 Verknüpfungslernen/Kontingenzlernen

Hauptaussage dieser Theorie ist, dass neue Lerninhalte mit bereits gemachten Erfahrungen und erworbenem Wissen verknüpft werden. Assoziationen werden paarweise miteinander verknüpft, wie es beispielsweise beim Vokabelnlernen der Fall sein kann.

Auch Ereignisse, die in einem häufigen räumlich-zeitlichen Zusammenhang stehen, werden miteinander verknüpft. Das Licht geht an, wenn man den Lichtschalter drückt, deshalb steht der Schalter in Zusammenhang mit dem Licht („Kontingenzlernen“). Dazu kommt das Geräusch des Schalters, was eine Ursache/Wirkung darstellt. Schließlich braucht man nur noch das typische Lichtschaltergeräusch zu hören und weiß, dass ein Licht angeschaltet worden ist, ohne dass man es gesehen hat.

1.2.4 Modelllernen – Das Lernen durch Beobachten