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Dieses E-Book ist die digitale Umsetzung der Printausgabe, die unter demselben Titel bei KOSMOS erschienen ist. Da es bei E-Books aufgrund der variablen Leseeinstellungen keine Seitenzahlen gibt, können Seitenverweise der Printausgabe hier nicht verwendet werden. Stattdessen können Sie über die integrierte Volltextsuche alle Querverweise und inhaltlichen Bezüge schnell komfortabel herstellen.

Zu diesem Buch

Dieses Buch widmen wir Beate Saur. Einer Bienenhalterin, die mit einer besonderen Hingabe Beziehung gestaltet.

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich dem Thema Bienen – auch mit dem Lesen dieses Buches – widmen. Die Bienen zeigen uns im Besonderen die Schönheit unseres Planeten und des Lebens. Der gegenwärtige Blick auf die Bienen macht aber auch nachdenklich. Und schließlich bietet er die Chance, unsere Zukunft lebenswert zu gestalten.

Uns wurde das wunderbare Geschenk zuteil, mit und von den Bienen zu leben. Mit diesem Buch versuchen wir, unsere Erfahrungen und unser Wissen weiterzugeben. Der Inhalt entstand jedoch nicht aus Recherchearbeit, sondern aus Erlebtem und Reflektiertem, aus Begegnungen mit Menschen und Bienen und dem Studieren von Schriften, seit wir den Bienen begegnet sind. Es ist kein Praxishandbuch und möchte dies auch nicht sein. Es soll vielmehr die Beziehung und unseren Umgang mit den Bienen aufzeigen.

Ziel des Buches ist eine gemeinsame Zukunft von Mensch und Biene zu fördern. Zum einen durch eine Wissensverbreitung zur Bedeutung der Biene und einer wesensgemäßen Bienenhaltung. Zum anderen den Anstoß, die ökologische Bienenhaltung weiterzuentwickeln. Mit diesem Buch hoffen wir in beide Richtungen ein Schritt zu gehen.

In den letzten Tagen, in denen wir diese Zeilen schreiben, ist der Winter eingezogen. Die Temperaturen sind tief gesunken und der erste Schnee ist gefallen. Somit sehen wir unsere Bienen im Moment nicht mehr. Sie sind eng zusammengezogen in der Wintertraube im Inneren des Bienenstockes und wir sind „nur“ noch in Gedanken bei ihnen. Für uns Menschen ist es eine Gabe, uns durch Lesen und in unseren Gedanken das Unsichtbare vor Augen zu führen. So haben wir stets die Möglichkeit, die Schönheit zu sehen, die uns über die Zukunft nachdenken lässt.

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen, Nachdenken und Gestalten.

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DIE IMKEREI
Unterschiedliche Ansätze

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DER WEG ZUM IMKER

Die Begeisterung für die Bienen trägt ein Imker in sich. Die Erlebnisse am Bienenvolk, dessen Ausstrahlung und die natürlichen Zusammenhänge, faszinieren Imker immer wieder aufs Neue.

Erzählen wir Menschen, denen wir begegnen, von unserem Beruf, sind die meisten begeistert und zeigen großes Interesse an Bienen. Viele sind aber auch erstaunt darüber, dass man von der Imkerei leben kann. Die ständig lebendigen und sich immer wieder anders zeigenden Beobachtungen, zum Beispiel den Schwarm beim Auszug zu erleben oder das Schlecken des Honigs, versetzen selbst den Imker immer wieder in Staunen.

EIN BERUF MIT TRADITION

Die ersten Imker gab es bereits vor ca. 2 000 Jahren vor Christus in den ersten komplexeren Kulturen der Menschheit: im alten Ägypten und entlang des Euphrat. Damals war noch der Großteil der Menschheit in der Landwirtschaft beschäftigt. Heute, 4 000 Jahre später, befassen sich die meisten Berufe in der westlichen Welt mit Technik und Kommunikation. Die Nähe zu Tieren und zur Natur stellt eine Besonderheit dar. Auch die Präsenz der Imker ist im Alltag der meisten Menschen kaum spürbar. Landwirte sind nicht in der Mitte unserer Gesellschaft präsent und machen nur eine kleine Zahl der Gesamtbevölkerung aus, obwohl ihnen die große Verantwortung für unsere Lebensgrundlage, die Ernährung, zukommt.

Ein Imker ist ein auf die Bienen spezialisierter Landwirt. Er hält und pflegt Bienen, weil er ihnen zugeneigt ist und erntet Produkte wie Honig und Bienenwachs, um seine Existenz zu sichern. Doch anders als zum Beispiel in landwirtschaftlichen Bereichen wie der Milchviehhaltung sind Imker nicht so streng an tägliche Rhythmen gebunden. Sicher, es gibt Tätigkeiten in der Imkerei, die zu einem bestimmten Zeitpunkt getan werden müssen, jedoch verhält sich dies relativ zum Jahreslauf. Im Winter können und müssen wir uns auf andere Arbeiten konzentrieren. Hier beschäftigen wir uns weiterhin mit den Bienen, nun aber weniger praktisch, wir sind mehr in Gedanken bei ihnen. Wir kümmern uns um Dinge, die in der Hoch-Zeit der Bienensaison liegen geblieben sind, können uns fachlich weiterentwickeln und uns um die gewonnenen Bienenprodukte kümmern.

Zu dieser Freiheit kommt aber auch die Herausforderung, dass das Aufbauen einer emotionalen Beziehung zu den Bienen schwerer ist. Der Landwirt in einem Milchviehbetrieb muss jeden Morgen und jeden Abend seine Kühe melken, sieht sie also jeden Tag. Wir hingegen sehen ein Bienenvolk ca. 20-mal im Jahr. Dies erfordert eine sehr konzentrierte und einfühlsame Arbeitsweise. Die Nähe kommt nicht durch fest verankerte Strukturen zustande, sondern mit dem Sich-bewusst-auf-den-Weg-machen.

Imker tragen maßgeblich zur Kultur bei, durch die Bestäubung der Pflanzen durch ihre Bienen.

IMKERN IM VERBAND

Es gibt viele verschiedene Wege und Ursprünge für die Art und Weise, wie der Imker seine Bienen hält.

Staatliche Einrichtungen und der Deutsche Imkerbund (D.I.B.) haben den Ansatz einer „guten imkerlichen Praxis“: Methoden, die im Zuge der Industrialisierung der Bienenhaltung zur Honigertragsmaximierung Einzug gefunden haben.
Der D.I.B. wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet, 1926 kommt das Einheitsglas heraus, das in Deutschland weit verbreitet ist. Die einzelnen Landesverbände des D.I.B. arbeiten eng mit den staatlichen Einrichtungen wie Bieneninstituten zu Fragen wie Hobbyausbildung und Forschung zusammen.

Freizeitimker haben jedoch die Möglichkeit, Bienen zu halten, ohne den Druck des wirtschaftlichen Ertrags zu haben, da sie von diesem finanziell nicht abhängig sind. Bienenhaltung kann dann so betrieben werden, dass sie auf die natürlichen Lebensäußerungen der Bienen eingeht statt auf die ökonomischen Bedürfnisse des Menschen. Erfreulicherweise suchen uns immer mehr Menschen auf, die unsere Art der Bienenhaltung lernen möchten. Wir betreiben eine Bienenhaltung, die sich in erster Linie an den Lebensäußerungen der Bienen orientiert und haben dabei den Anspruch, das Tier- und Imkerwohl zu vereinen. So ist uns eine dem Wohl der Biene entsprechende Arbeitsweise von größter Bedeutung. Wir brauchen hierzu die Wertschätzung und Anerkennung unserer Kunden, um diese Arbeit auch realisieren zu können.

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Am Flugloch kann der Imker vieles vom Bien wahrnehmen. Fliegen die Bienen kräftig, freut sich der Imker.

WAS IST EINE (EU)BIO-IMKEREI?

In der EU-Bio-Verordnung werden hauptsächlich Aspekte der Bienenhaltung beschrieben, die für rückstandsfreie Produkte sorgen. Dies bedeutet, dass in den Bienenprodukten keine Pestizide oder andere belastende Stoffe sein sollten. Es ist untersagt, chemisch-synthetische Stoffe anzuwenden. Sehr vereinzelt wird auch über Prozesse, wie mit den Tieren, sprich hier: mit den Bienen umgegangen werden soll, geschrieben. Einer der verbotenen Maßnahmen ist das Schneiden der Flügel bei der Königin.

Über die EU-Bio-Verordnung hinaus gibt es verschiedene Anbauverbände.

Bioland

Den größten Verband stellt Bioland mit seinem organisch-biologischen Landbau dar. Er basiert auf einer Kreislaufwirtschaft, verzichtet auf Pestizide und chemische Dünger. Anfang der 70er-Jahre wurde der Verband unter anderem Namen gegründet und ist heute in verschiedenen Produktionsrichtungen der Landwirtschaft präsent.

Demeter

Der älteste biologische Anbauverband, Demeter, geht auf Impulse von Rudolf Steiner zurück. Er beruht auf den landwirtschaftlichen Vorträgen Steiners, die bis heute noch Landwirte und Interessierte inspirieren und neue Impulse geben. Der landwirtschaftliche Hof wird als ein Organismus gesehen, auf den Dinge von außen einwirken, der aber auch selbst nach außen wirkt.

Kosmische Kräfte, die von außen kommen, wirken sich in bestimmten Rhythmen auf die Arbeit aus und sollen berücksichtigt werden. Nach außen wirkt der Hof mit seinen Produkten, die eine besondere Qualität aufweisen. Für einen Organismus muss auch der Hof ganzheitlich geführt werden. Pflanzen, Tiere, Boden und Mensch bilden gemeinsam einen Demeter-Betrieb.

ANBAUVERBÄNDE

PARAMETER

KONVENTIONELL

EU-BIO-
VERORDNUNG

BIOLAND

DEMETER

Vermehrung

Kunstschwarm, Brutableger

Schwarmtrieb

Brutraumwaben

Kunststoff- oder
Wachsmittelwände

Bio- bzw. Bioland-Wachsmittelwände

Naturwabenbau

Brutverteilung

Auf so vielen Brutraum-Zargen wie vom Imker gewünscht

Ein Brutraum

Königinnen

Künstliche Besamung

Flügelschneiden

Schwarm- oder
Umweiselung

Zukauf von Züchtern

Absperrgitter

Halten mehrerer Königinnen in einem Volk

Fütterung

Zucker +
Ersatzpollenstoffe

Bio-Zucker

Bio-Zucker mit
10 % Honiganteil

Rassen

Leistungsrassen

Standortangepasste
europäische Rassen

Honigverarbeitung

< 40°

< 35°

Lagerung, auch in Kunststoff

Keine Lagerung in Plastik;

direktes Abfüllen

ZERTIFIZIERUNG JA ODER NEIN?

Eine Zertifizierung bedeutet, von einer unabhängigen Kontrollstelle überprüft zu werden und den Betriebsmitteleinsatz kontrollieren zu lassen. Diese Zertifizierung benötigt Zeit für die regelmäßige Dokumentation und für die Inspektion selbst. Auch fallen Gebühren für die Kontrolle, die Mitgliedschaft und die Marke an. Die Vorteile einer Zertifizierung sind die wiederkehrenden Überprüfungen, die auch der Selbstüberprüfung dienen können und ein konsequentes Handeln erfordern. Richtlinien können aber auch einschränken und Entwicklungen erschweren. Rein für Vermarktungszwecke ist eine Zertifizierung erst in einer Erwerbsimkerei im Neben- oder Hauptberuf lohnenswert. Doch auch ohne Zertifizierung kann man wesensgemäß imkern.

BIOLOGISCH-DYNAMISCH

Die biologisch-dynamische Bienenhaltung ist nicht nur eine besondere Bienenhaltung, die von zertifizierten Demeter-Imkern betrieben wird, sondern sie ist eine Bewegung, die weit mehr ist, als die Zertifizierung aussagt. Der Begriff Biologisch-dynamisch ist kein starres Konstrukt und wird von unterschiedlichen Menschen in verschiedenen Richtungen verstanden und praktiziert. Demeter wurde ursprünglich von Produzenten und Händlern ins Leben gerufen, um Kunden gegenüber, die keinen direkten Kontakt mehr zu den Betrieben hatten, ein Bekenntnis zur Qualität ablegen zu können. Hinter der Bewegung stehen Gedanken, die nicht der Einschränkung und Kontrolle dienen, sondern auf die weiter aufgebaut werden kann und die weiterentwickelt werden können. Die biodynamische Imkerei hat sich erst in den letzten Jahrzehnten formiert und versteht sich als wesensgemäße Bienenhaltung. Auf Grundlage des biodynamischen Gedankens sind das Freie Institut „proBiene“ und die Vereine „De Immen e. V.“ und „Mellifera e. V.“ entstanden.

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Die Bienen sind dabei, ihre Waben zu bauen. Dazu hängen sie in Bauketten.

AUSBILDUNG ZUM IMKER

So wie es Karl von Frisch ausdrückt, erleben auch wir es immer wieder aufs Neue: Das Lernen bei den Bienen scheint nie zu enden.

LERNEN DURCH TUN UND AUSTAUSCH

Auch bei den Bienen gibt es viele Dinge zu lernen. Wir sind überzeugt, dass beim Umgang mit Lebendigem die eigenen sinnlichen Erfahrungen von großer Bedeutung sind. Ob ich lese, wie es ist, von einer Biene gestochen zu werden, oder ob ich einen Stich selbst spüre, sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Möchte ich mehr über einen lebendigen Organismus erfahren, muss ich ihn erleben! Und Erleben funktioniert nicht ohne Begegnung. So ist es auch mit den Bienen.

Wir sehen es kritisch, wenn nur aus Theorie gelernt wird oder Antworten gesucht werden, auch wenn wir die Theorie als bereichernd und notwendig für eine Entwicklung erachten. Wir werden oft nach unserer Meinung gefragt, nach Methoden, die in Internetforen vorgestellt wurden. Oder es werden uns Ideen und Vermutungen zugeschickt, die rein theoretisch erst einmal gut klingen, jedoch noch nie in der Praxis ausprobiert wurden. Hier fallen uns Antworten schwer und wir ermuntern zum Ausprobieren und Selbsttun.

Wir empfehlen, Seminare und Kurse zu besuchen, die einen großen praktischen Teil haben und über den Jahresverlauf „mit den Bienen“ stattfinden. Wie beschrieben, gibt es verschiedene Wege, die man mit seiner Imkerei beschreiten kann: konventionell, wie es die Imkervereine des Deutschen Imkerverbandes und die Länderinstitute anbieten, Angebote von Demeter zertifizierten Berufsimkern, oder alternativ Initiativen, die eine wesensgemäße Bienenhaltung vermitteln. Aber auch hier lohnt es sich, genau hinzuschauen. Der Begriff der wesensgemäßen Bienenhaltung ist ein sehr lebendiger und wird von verschiedenen Imkern und Initiativen ganz unterschiedlich ausgelegt.

DER BERUF DES IMKERS

In Deutschland ist der Beruf des Imkers offiziell anerkannt und es gibt einen eigenen Ausbildungsgang, der sich „Tierwirt der Fachrichtung Imkerei“ nennt. Er hat, wie andere Ausbildungsberufe auch, eine Lehrzeit von drei Jahren, kann jedoch gegebenenfalls auf zwei Jahre verkürzt werden. Nach mehreren Jahren Berufspraxis als Imkergeselle gibt es die Möglichkeit, einen Meisterabschluss zu machen. Die genaue Bezeichnung dafür ist: „Tierwirtschaftsmeister der Fachrichtung Imkerei“. Neben unseren eigenen Erfahrungen durften wir dankenswerterweise viel von langjährigen Imkern lernen und von Bienenwissenschaftlern und Philosophen hören und lesen. Einige Persönlichkeiten, die uns besonders geprägt haben, möchten wir hier nennen.

»Der Bienenstaat gleicht einem Zauberbrunnen.
Je mehr man daraus schöpft, desto reicher fließt er.«

Karl von Frisch

Als gegenwärtige Wissenschaftler haben wir die Beschreibungen von Tom Seeley und Jürgen Tautz, die eine immense Grundlagenforschung und Naturbeobachtung an Bienen betrieben haben, stets mit Interesse verfolgt. Zudem konnten wir sehr viel von den Demeter-Imkern Hannes Gerstmeier, Michael Weiler, Norbert Poeplau und Thomas Radetzki lernen. Von seinem Vater Hannes bekam David sein erstes Bienenvolk zu seinem 12. Geburtstag und hat so sehr früh die Faszination des Imkerns kennengelernt. Tobias kam Ende der 90er-Jahre in Argentinien mit der Imkerei in Kontakt. Herausragend und inspirierend sind für uns die Werke von Rudolf Steiner (Impulsgeber und Gründer der Anthroposophie), die unerschöpflich hinter die Dinge blicken und zum Nachdenken anregen, sowie von Pfarrer Ferdinand Gerstung, in dessen Büchern Wissen vom Gesamtzusammenhang des Bienenvolkes meisterhaft beschrieben wurde und der den Begriff „Bien“ geprägt hat wie kein anderer.

Wie man erkennen kann, ist es oft altes Wissen, das uns überzeugt und unserer Ansicht nach noch viele verborgene Erkenntnisse in sich birgt.

IMKEREI IM WANDEL

Viele Menschen, die heute mit der Bienenhaltung beginnen, möchten das Phänomen der Honigbiene erleben und beobachten. Es geht ihnen nicht darum, große Honigerträge zu erzielen, sondern eine Nähe zur Natur zu erlangen.

In uns Menschen steckt ein tiefes Bedürfnis, in der Natur zu sein und uns dieser zuzuwenden. Pflanzen auf dem Balkon, ein kleines Stück Garten oder auch die eigene Mithilfe bei einem bekannten Bauern sind Ausdruck dessen.

Viele spüren die eigene Entfremdung durch die Entfremdung der Gesellschaft zur Natur. Dies zeigt sich oft in der Unkenntnis, eine Wespe von einer Biene zu unterscheiden, der Meinung, eine Kuh sei lila und Enten blieben ihr ganzes Leben lang gelb. Die Zusammenhänge in unserer Kultur und Natur sind wichtig für das Wirken des Menschen. Erst wenn wir wissen, dass zum Beispiel Honigerzeugung Arbeit bedeutet, können wir den Honig schätzen.

BERUF ODER HOBBY?

Unsere Seminarteilnehmer erzählen uns immer wieder, dass sie Bienen halten möchten, um etwas Sinnvolles zu tun. In vielen heute gängigen Berufsfeldern findet eine Entfremdung statt. Als Arbeitender bekomme ich nicht die Möglichkeit, die Auswirkungen meines Tuns zu erleben, und so wird die Arbeit als sinnlos gesehen. Erst wenn die Auswirkung einer Tätigkeit erfahren werden kann, bekommt sie auch einen Sinn. Bei den Bienen ist es besonders schön zu beobachten, wie sich ein Volk entwickelt. Auch können Aspekte aus der Tradition erhalten bleiben. Doch darüber hinaus wirkt man in der sozialen Gesellschaft und ganz besonders in seiner eigenen Umwelt.

Es ist nachvollziehbar und wir freuen uns, dass Einzelpersonen aus diesen Motiven heraus mit der Bienenhaltung beginnen. Es stellt sich aber dennoch die Frage, ob die Bezeichnung des Imkers für jede Bienen haltende Person passend ist.
Eine Person, die im eigenen Garten auf ein paar Quadratmetern Kartoffeln anbaut, ist auch kein Landwirt. Ein Landwirt hat sein Handwerk über Jahre gelernt. Er kennt Hintergründe, hat Erfahrung gesammelt und weiß, wie er zu wirtschaften hat. Er sichert sich seine Existenz und die seiner Familie durch die Landwirtschaft. Doch nicht nur die Kenntnis über sein Handwerk macht ihn aus, sondern auch die Verantwortung, die er gegenüber der Gesellschaft trägt. Es geht also nicht nur um die Einzelperson, es geht vielmehr darum, die Tätigkeit in der Gesellschaft zu verankern und auf die Gesellschaft wirken zu lassen.

In den letzten 50 Jahren ist die Anzahl der Bienenvölker in Deutschland von rund einer Million auf 700 000 gesunken. Damit verbunden auch die Anzahl der Imker. Die Zahlen sind nun wieder leicht ansteigend, allerdings gibt es mehr Bienenhalter mit wenigen Völkern. Nur wenige halten mehr als sieben Bienenvölker.

Die Imkerei als Profession zu betreiben, diese als Lebensgrundlage oder Zuerwerb zu nutzen, trifft nur auf eine kleine Zahl an Menschen zu. Wir gehen davon aus, dass ca. 98 Prozent der Bienenhalter die Imkerei als Hobby betreiben und nur ein geringer Teil im Nebenerwerb tätig ist (hier wird von Imkern ausgegangen, die mehr als 30 Völker führen).

Man kann zwischen drei Wirtschaftsformen der Bienenhaltung unterscheiden, wobei jede Form ihre eigene Qualität, Ansprüche, Vor- und Nachteile hat: die Hobbyimkerei, die Nebenerwerbsimkerei und die Berufsimkerei.

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Bei unseren Seminaren ist die Begegnung mit dem Bien von besonderer Bedeutung. Hier entsteht ein Gefühl für den Bien.

HOBBYIMKER

Besonders schön beim Hobbyimkern ist, dass die Personen eine Nähe zur Natur finden, Bildung (bei sich, in der Familie, Freunden und Bekannten) betreiben, sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen und neue Fragen stellen.
Zudem kommen das Überdenken des eigenen Tuns und das Bewusstmachen der ökologischen Wirkung des eigenen Handelns beim Kauf von Produkten hinzu. Die Biene wird zu einem zentralen Punkt in der Gesellschaft. Sie hat die Eigenschaft, Menschen die Umweltzusammenhänge aufzuzeigen und sie für die Natur zu begeistern.

NEBENERWERBSIMKER

Die Nebenerwerbsimkerei hat oft, wenn es gut läuft, den Status einer Subventionsimkerei, die sich teilweise finanziell trägt. Der Imker ist meist nicht zu 100 Prozent auf den Erwerb durch Bienenprodukte angewiesen und kann die Imkerei über seinen Hauptberuf finanziell unterstützen. Dadurch hat der Nebenerwerbsimker ein geringeres Risiko.

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Imker zu sein bedeutet, die Beziehung zum Bien zu pflegen.

BERUFSIMKER

Beim Berufsimker trifft der Idealismus auf die Realität. Er ist als Unternehmer tätig. Auch für die Bienen, Mitarbeiter und Kunden wird seine Verantwortung größer und existenzieller. Um diese Aufgaben bewältigen zu können, werden zwei grundlegend unterschiedliche Wege begangen. Der eine ist der, die Imkerei industriell zu führen und dabei die Honigausbeute aus den Völkern zu maximieren. Hier wird der Honig oft in großen Fässern verkauft, der Weltmarktpreis des Honigs ist entscheidend. Wir treffen immer wieder Berufskollegen, die diese Art der Bienenhaltung ideologisch zwar ablehnen, aber eine wirtschaftliche Notwendigkeit dafür sehen. Auch die Zertifizierung der Imkerei gibt noch keinen Aufschluss darüber, ob ein handwerklicher oder ein industrieller Weg beschritten wird. So gibt es zum Beispiel auch Bio-Imker, die ihre Honige in Fässern verkaufen.

Der zweite Weg ist der einer handwerklichen, ökologischen Imkerei. Hier ist die Zahl der Betriebe noch sehr klein. Jedoch beobachten wir, dass die Kunden immer häufiger wissen wollen, wo der Honig herkommt und unter welchen Bedingungen er produziert wird. Wenn man sich also für eine nachhaltige Berufsimkerei entscheidet, ist – neben der Beziehung zu den Bienen – die Beziehung zum Kunden von großer Bedeutung. Von uns wird jeder, der Bienen hält, geachtet und geschätzt. Durch die Bienenhaltung kommen immer untergründig Gedanken in Gang, ökologisch sinnvoller und bewusster in seinem Alltag zu handeln. Es gibt jedoch auch Gründe, warum der Beruf des Imkers möglich sein muss. Die Bienenhaltung braucht Menschen, die diese Kultur weiterentwickeln und die einen Erfahrungsschatz mitbringen. Es braucht ausgebildete Imker, die sich in der Zucht und mit verschiedenen Methoden auskennen. Durch sie ist eine Fachkenntnis gegeben, die nicht von jedem Hobbyimker in diesem Maß geleistet werden kann. Zudem ist in unserer Gesellschaft die Arbeitsteilung fest etabliert. Es ist nicht jeder für alles zuständig, aber es gibt in jedem Bereich Menschen mit hoher Fachkenntnis. Dies ist besonders für Landwirte, die auf Imker angewiesen sind, wichtig. Vor wenigen Jahrzehnten hat die Bienenhaltung noch wie selbstverständlich zum Organismus Bauernhof gehört. Mittlerweile ist die Imkerei herausfordernder geworden und die Höfe haben sich spezialisiert. Gerade Obstbauern können sich nicht darauf verlassen, dass es zufällig einen Hobbyimker, der seine Bienen meist nur in seinem Garten hält, in der Nähe gibt. Er hat aber die Möglichkeit, mit einem Berufsimker zusammenzuarbeiten, sodass man sich gegenseitig hilft, da der Berufsimker meist unterschiedliche Standorte für seine Bienen benötigt. Doch noch immer ist die Frage, was ein Imker ausmacht, nicht geklärt. Eine Komponente fehlt. Ein Berufsabschluss oder eine bürokratische Beschreibung „stempeln“ uns als Imker ab, doch fehlt dabei die innere Berufung des Menschen. Man wird nicht einfach so durch eine Lehre oder ein Studium zum Imker, sondern man fühlt sich dazu berufen, fühlt, dass man dieser Tätigkeit nachkommen möchte, und kann mit einer ganz anderen Motivation an die Arbeit herangehen. Wir müssen uns geistig, körperlich und emotional damit auseinandersetzen und erleben so ein ganzheitliches Arbeitsfeld.

Die Tätigkeiten in der Imkerei fordern den Menschen mit Kopf, Herz und Hand.

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Als Imker kann man fast jeden Tag etwas Neues erleben und entdecken.

DER BIEN
Ein Gesamtorganismus und seine Funktion

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DAS WESEN

Als Imker spüren wir jedes Mal, wenn wir einem Bienenvolk begegnen, dass wir einem Wesen gegenüberstehen. Jedes Bienenvolk hat seinen ganz eigenen Charakter.

Begegnen wir Bienen in der Natur, können wir die einzelnen Bienen schwer voneinander unterscheiden. Sie sind keinem bestimmten Bienenvolk zuzuordnen. Der Charakter jeder einzelnen Biene gleicht sehr der anderen. Beobachten wir jedoch ein Volk am Flugloch oder schauen in die Beute hinein, können wir schnell einen Unterschied zwischen den Völkern feststellen. Auf der Wabe des einen Volkes laufen die Bienen ganz ruhig umher, hingegen bei anderen sind sie aufgeregt. Der Geruch ist ebenso von Volk zu Volk unterschiedlich. Das Bienenvolk ist viel mehr als eine Stadt mit etwa 40 000 Einwohnern. Es ist ein Individuum, ein Gegenüber mit vielen sehr ausdifferenzierten Zellen. Wir sprechen hier vom „Bien“. Die Begegnung mit demselben Bien ist von Mal zu Mal sehr unterschiedlich. Sowohl die Tagesstimmung des Biens als auch die Stimmung des Imkers spielen hier eine Rolle. Es kann sein, dass ein sonst sanftmütiger Bien bei einer bestimmten Begegnung sehr stechfreudig ist. Wir betrachten das Bienenvolk als Ganzes. Und jede einzelne Biene ist ein Glied des „Volkskörpers“.

Die Bienen haben für ihre Tätigkeiten und ihr Schicksal verschiedenste Fähigkeiten und Erscheinungen. Im Folgenden wird die allgemeine Morphologie einzelner Bienen beschrieben und darauf aufbauend die spezielle von Arbeiterin, Drohn und Königin, mit ihren Aufgaben.

FERDINAND GERSTUNG
(1860 – 1925)

Schon als Schüler im Gymnasium interessierte sich Gerstung für Vögel und Insekten. Sein besonderes Interesse galt den Ameisen. Nach der Schule kam er dem Wunsch seiner Familie nach und widmete sich der Theologie. Als Pfarrer bei Eisenach begegnete er den Bienen und begann, mit ihnen zu arbeiten. Der Begriff des Biens wurde schon früh von ihm geprägt. Er sprach hier auch vom Gesamtorganismus. In diesem hat er das Zusammenwirken von mehreren Organen gesehen, so, wie sie auch beim Menschen vorhanden sind. Die Anschauung des Biens als höherer Organismus brachte ihm die Ehrendoktorwürde ein.
In seinem Buch „Der Bien und seine Zucht“ (1905) beschreibt er eine artgemäße Bienenhaltung.

DIE BIENE, EIN TYPISCHES INSEKT

Insekten gelten als die erfolgreichsten Tiere, als die artenreichste Klasse. Fast eine Million Tierarten werden beschrieben, 60 Prozent davon sind Insekten. Und man geht davon aus, dass vor allem in tropischen Regenwäldern immer noch unzählige unentdeckte Insekten leben. Durch Fossilienfunde lässt sich das Leben der Insekten auf 400 Millionen Jahre zurückführen.

Es gibt sie in allen Größen, von der kleinsten Art einer Schlupfwespe, die nur einen Teil eines Millimeters aufweist, bis zur exotischen Stabheuschrecke mit einer Länge von über 30 Zentimeter. Mal gibt es lang gestreckte, mal kurze, runde, abgeflachte oder kugelige Körper.

Insekten wurden früher auch Kerbtiere genannt, da sie Einschnitte oder Kerben zwischen ihren einzelnen Körperteilen aufweisen, lat. insecta. Alle folgen einem Grundaufbau und lassen sich in drei Teile (Tagmata) gliedern. Die drei Teile sind Kopf (Caput), Brust (Thorax) und Hinterleib (Abdomen).

Das Insekt erhält seine Festigkeit nicht durch ein inneres Skelett wie der Mensch, sondern durch seine äußere Hülle aus Chitin. Ein Insekt kann nur durch Verpuppung oder durch Häuten an Größe zulegen.

Der Chitinpanzer besteht aus verschiedenen Segmenten, der seitlich Öffnungen für das Atmungssystem (Tracheensystem) hat. Zwischen den Segmenten befinden sich dehnbare Häutchen, die eine Volumenveränderung der Organe (Atmung, Magen …) zulassen. Beim Kopf hingegen sind die Segmente starr und verschmolzen. An der Außenfläche des Chitinpanzers sitzen Ausbeulungen wie Warzen, Borsten und Schuppen. Auch Sinnesorgane (Haarsensillen) befinden sich dort und können Erschütterungen, Schwingungen, Gerüche, Temperatur und Feuchtigkeit wahrnehmen.

KÖRPERBAU

Der Körperbau der Honigbiene stellt in seiner Anatomie ein typisches Insekt dar. Er ist nicht in Teilen extrem ausgeformt (Thorax zu Abdomen im Goldenen Schnitt). Die Honigbiene hat so die Möglichkeit, verschiedenen Aufgaben nachzukommen und ist nicht auf ein Arbeitsfeld beschränkt. Jedoch unterscheidet sich der Aufbau von Königin, Arbeiterin und Drohn. Hier ist erkennbar, welchen Aufgaben sie grundsätzlich nachkommen. Die Arbeiterin ist die kleinste, mit einem harmonischen Körperbau. Der Drohn verfügt über größere Facettenaugen und einen kräftigeren Körperbau. Er braucht die Kraft und Sinnesleistung, um die Königin zu begatten. Die Königin hat das größte Abdomen, sie legt die Eier und sorgt durch ihre Duftstoffe für den Zusammenhalt.

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Aufbau der Biene

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Anatomie der Biene

DIE ARBEITERIN

Die Anzahl der Arbeiterinnen ist im Bien am größten. Während im Winter 10 000 bis 15 000 Arbeiterinnen tätig sind, sind es im Sommer bis zu 45 000 . Die Sommerbiene lebt bis zu sechs Wochen. Die Winterbiene, die die Aufgaben nicht in dem Umfang wie die Sommerbiene erledigen muss, lebt bis zu acht Monate. Sie muss den ganzen Winter durchhalten.

Die Arbeiterinnen übernehmen in ihrem Leben klar strukturierte, unterschiedliche Aufgaben. Diese steigen in ihrem Schwierigkeitsgrad und in ihrer Gefahr stetig an. Eine erfahrene ältere Biene bekommt komplexere und gefährlichere Aufgaben als eine junge, unerfahrene Biene.
Die Aufgaben sind klar definiert, können jedoch eine andere Dynamik annehmen. Trotz der Strukturierung sind die Bienen flexibel. In Notsituationen können sie zu schon vollbrachten Arbeitsschritten zurückkehren, auch wenn sie anatomisch nicht mehr dafür spezialisiert sind. Wachsdrüsen zum Beispiel, die ihre Hoch-Zeit schon hinter sich haben, können dann wieder aktiviert werden. Dies kann zum einen vorkommen, wenn sie etwas kompensieren müssen, zum anderen beim Schwärmen. Hier bekommen die Aufgaben eine andere Relevanz.

STACHEL

Die Arbeiterbiene ist die einzige, die ihren Stachel zur Abwehr und Verteidigung benutzt. Sticht sie eine andere Biene, bleibt der Stachel nicht stecken. Sticht die Biene ein Tier oder einen Menschen mit Lederhaut, bleibt der Stachel mit Widerhaken stecken und aus dem Hinterleib wird Stachel, Giftblase und ggf. ein Teil des Darmsystems herausgerissen, was den Tod der Biene bedeutet.

UNVOLLKOMMENES WEIBCHEN

Die Arbeiterbiene hat Eierstöcke, die nicht richtig ausgebildet sind. Die Königin besitzt ein Pheromon, das die Ausbildung der Ovarien bei den Arbeiterinnen verhindert. In einem gesunden Volk legt eine Arbeiterbiene keine Eier.
Erst wenn die Königin gestorben ist und die Bienen keine Möglichkeit haben, eine Ersatzkönigin nachzuschaffen, können sie ihre Eierstöcke aktivieren und unbefruchtete Eier legen. Diese Bienen nennt man Afterweiseln oder Drohnenmütterchen.