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Dipl.-Psych. Hans Gunia Lehrtherapeut und Supervisor VT und DBT, ist in eigener verhaltenstherapeutischer Praxis in Darmstadt und in der Fortbildung tätig.

Dr. Cynthia Quiroga Murcia, Psychologische Psychotherapeutin, ist in eigener verhaltenstherapeutischer Praxis in Darmstadt tätig und forscht über Wirkungen des Tango Argentino.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-02673-9 (Print)

ISBN 978-3-497-60421-0 (PDF)

ISBN 978-3-497-60972-7 (EPUB)

© 2017 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH &Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany

Covermotiv: © h3l3na / Fotolia

Fotos im Innenteil: Wolfgang Fuhrmannek, Frankfurt a. M.

Satz: JÖRG KALIES – Satz, Layout, Grafik & Druck, Unterumbach

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Vorwort und Danksagung

Einleitung

Theoretischer Teil

Geschichte der Verhaltenstherapie

Die Ursprünge in der Lerntheorie

Die kognitive Wende

Die dritte Welle der Verhaltenstherapie

Körperverhaltenstherapie

Tango Argentino und Verhaltenstherapie

Verhaltenstherapeutische Bausteine für die Kombination mit Tango Argentino

Das SORKC-Schema

Kommunikationsstrategien

Psychoedukation

Achtsamkeit

Tango Argentino

Grundelemente und Regeln des Tango Argentino

Geschichte des Tango Argentino

Praktischer Teil

Qualifikation der Trainer

Setting in den Workshops

Allgemeiner Ablauf der Workshops

Borderline-Persönlichkeitsstörungen

Information über die Störung

SORKC-Analyse in der Behandlung von BorderlinePersönlichkeitsstörungen

Manual für einen Tages-Workshop

Schizophrenien

Information über die Störung

SORKC-Analyse in der Behandlung von Schizophrenien

Manual für einen Tages-Workshop

Depressionen

Information über die Störung

SORKC-Analyse in der Behandlung von Depressionen

Manual für einen Tages-Workshop

Parkinson

Information über die Störung

SORKC-Analyse in der Behandlung der Parkinson-Erkrankung

Manual für einen Tages-Workshop

Paartherapie

Information über Paarprobleme

SORKC-Analyse in der Behandlung von Paarproblemen

Manual für einen Zwei-Tages-Workshop

Exkurs: Tango und Achtsamkeit

Übungen zum Wahrnehmen

Übungen zum Teilnehmen

Indikationen, Kontraindikationen und Probleme

Ausblick

Literatur

Sachregister

Anhang

Anhang 1: Fragen zum Kennenlernen

Anhang 2: Validierung

Anhang 3: Aktives Zuhören

Anhang 4: Ich-Botschaften

Anhang 5: Eine Bitte äußern

Anhang 6: Progressive Muskelentspannung nach Jacobson

Vorwort und Danksagung

In unserer bisherigen Laufbahn erlebten wir es immer wieder, dass kreative Therapiemethoden wie Tanz oft relativ unverbunden und wenig integriert neben anderen Therapiemethoden standen. Sind solche kreativen Therapieverfahren in stationären Settings wenigstens noch vorhanden, führen sie in ambulanten Settings, wenn überhaupt, dann ein Schattendasein.

Als, aus unserer Sicht, nicht notwendige Begrenzung erlebten wir, dass sich das Tanzen als Therapiemethode, ohne Not, zu sehr dem künstlerischen und dem emotionalen Ausdruck und / oder der Diagnostik verschrieben hat. So blieb z. B. Tanzen als Kulturtechnik außen vor.

Wir hoffen mit diesem Buch eine Lücke zu schließen, die zum einen Tango Argentino nicht nur als Tanz, sondern auch als Kulturtechnik erschließt, die gut in Psychotherapie und vor allem in der ambulanten Verhaltenstherapie als Gruppenangebot integrierbar ist, und zum anderen Tango Argentino theoretisch mit Verhaltenstherapie verbindet und damit eine Basis schafft, die weitere Entwicklung ermöglicht. Viele der Teilnehmer unserer Workshops meldeten uns immer wieder zurück, von unseren Seminaren profitiert zu haben. Ihre Feedbacks zeigen uns, dass wir mit diesem Konzept auf einem guten Weg sind. Das hat uns Mut gemacht, dieses Buch zu schreiben.

Mit diesem Buch möchten wir interessierte Kollegen anregen, sich nicht nur mit unseren Ideen zu beschäftigen und diese zu erproben, sondern auf wissenschaftlicher Basis eigene Ideen zu entwickeln, damit unsere zu ergänzen und sich darüber mit uns auszutauschen.

An dieser Stelle möchten wir uns bei Frau Ulrike Landersdorfer vom Ernst Reinhard Verlag bedanken, dass sie uns dazu ermutigt hat, dieses Buch zu schreiben und uns bei der Arbeit stets mit wohlwollender Hilfe zur Seite stand. Bedanken möchten wir uns bei Prof. Dr. Hartmut Berger, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Vitosklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Riedstadt, der sich auf das Risiko eingelassen hat, zusammen mit uns einen ersten Workshop mit Familien von schizophrenen Patienten zu machen. Ferner möchten wir uns bei Dr. Ulrike Sänger und Patricia Gill-Schultz bedanken, dass sie uns mit dem Bündnis gegen Depression in Darmstadt in Kontakt gebracht und unsere Arbeit dort unterstützt haben und bei unseren Kollegen Dr. Claudia Stromberg, Dr. Gesine Heetderks, Dr. Volkmar Höfling und Simone Saurgnani für das kritische Gegenlesen einiger Passagen dieses Buches und für hilfreiche Anmerkungen. Unser Dank gilt auch den beiden Tangolehrern Cintia Tinelli und Lucas Panero für die nützlichen Anregungen beim Unterrichten von Tangoschritten bei Parkinson-Patienten, unseren Praktikantinnen Candida Fernandez del Campo, Juliane Heil und Sina Zimmermann für das Hospitieren und die Unterstützung in den Workshops und natürlich unseren Patienten, die das Entwickeln unserer Ideen erst ermöglicht haben. Bedanken möchten wir uns bei unseren Tangolehrern Carlos Gavito, Detlef Engel, Eric Jeurissen, Maria Plazaola, Melina Sedó, Ricardo el Holandés, Ricardo Viqueira und Susana Miller, die die Tangoflamme in uns entzündet haben, noch brennen lassen und uns ein Stück unseres Tangoweges begleitet haben oder immer noch begleiten.

Unser ganz persönlicher Dank gilt unseren Ehepartnern Anette Fecher und Stefan Koller, die uns emotional unterstützt und durch ihre Geduld und Hilfe das Schreiben dieses Buches erst ermöglicht haben.

Darmstadt, im Juli 2017

Hans Gunia
Cynthia Quiroga Murcia

Einleitung

Von psychischen Erkrankungen ist außer dem Patienten selbst oft die ganze Familie betroffen. Patienten und Angehörige sind mit Einschränkungen und Problemen konfrontiert, die mit der Erkrankung einhergehen. Die Auswirkungen von psychischen Erkrankungen auf das Familienleben und den Alltag sind gravierend (z. B. Störungen des Familienklimas und Turbulenzen in den familiären Abläufen durch die Symptome der Erkrankung, Einschränkungen der Lebensqualität und in der Gestaltung von Freizeitaktivitäten, finanzielle Kosten und Risiken, die durch Arbeitsplatzverlust oder Krankschreibungen verursacht sind). Dazu kommen auf Seiten der Angehörigen Gefühle der Hilflosigkeit und Überforderung im Umgang mit den Patienten (Hahlweg / Baucom 2008).

Psychoedukative Gruppenangebote für Patienten und Angehörige stellen eine Orientierung in dieser Situation dar; sie dienen der Vermittlung von Informationen über Diagnose, Symptomatik, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten einer Erkrankung (Berger et al. 2004). In diesem Buch stellen wir Gruppenangebote für Patienten, Angehörige und Familien vor. In unseren Workshops verbinden wir Psychoedukation und verhaltenstherapeutische Techniken mit dem Tanzen von Tango Argentino.

Sollen wir jetzt mit unseren Patienten Tango tanzen? So oder ähnliche Fragen bekommen wir immer wieder gestellt, wenn wir von unseren Workshops berichten. Natürlich tanzen wir mit unseren Patienten keinen Tango im üblichen Sinn, allerdings gehen wir mit unseren Patienten in Workshops auch körperlich in Kontakt. Dieser Kontakt ist aber immer freiwillig, nie sexuell oder erotisch motiviert und findet nie im Verborgenen statt. Wir nutzen Tango Argentino weniger in der Einzeltherapie, sondern integrieren den Tango in verhaltenstherapeutische, familien- und paartherapeutische und achtsamkeitsorientierte Workshops.

Aber beginnen wir von vorne. Die Idee, Tango mit Verhaltenstherapie zu verbinden, entstand etwa im Jahre 2011. Hans Gunia war damals zu einem Psychoedukations-Workshop in ein psychiatrisches Krankenhaus in Norddeutschland eingeladen. Die Gastgeberin hatte herausgefunden, dass Hans Gunia Tango tanzte und wünschte sich von ihm eine Tangoeinlage. Um der Gastgeberin einerseits diesen Wunsch zu erfüllen und andererseits dem Fortbildungscharakter des Seminars gerecht zu werden, entwickelte er ein Konzept, das die sinnvolle Integration von Tango Argentino und Psychoedukation beinhaltete. Tango Argentino schien als Tanz besonders geeignet, da er sowohl für die meisten Betroffenen und Angehörigen neu war, außerdem anzunehmen war, dass es den Teilnehmern Spaß machen würde und so die Psychoedukation aufzulockern vermochte. Durch die Assoziation von verbalen Informationen und körperlichen Übungen erhofften wir uns darüber hinaus ein besseres Behalten der Inhalte. Auch erwarteten wir, dass die Betroffenen in Familiengruppen beim Erlernen der Tangoschritte nicht mehr Schwierigkeiten haben würden als die Angehörigen. Wir erhofften uns, dass wir deshalb beide Gruppen gleichberechtigt und auf gleicher Augenhöhe in unsere Workshops integrieren könnten.

Erstmals haben wir dieses Konzept dann 2012 im Psychiatrischen Krankenhaus Riedstadt praktisch umgesetzt. Seitdem experimentieren wir mit Tango Argentino in der verhaltenstherapeutischen Arbeit mit unterschiedlichen psychiatrischen Krankheitsbildern.

Aber warum ausgerechnet Tango und warum nicht Tanztherapie? Die Pionierinnen der Tanztherapie schienen eher dem expressiven Tanz verpflichtet und legten in ihrem Verständnis einen direkten Zusammenhang von Körper und Seele zugrunde (Willke 2007). Wir selbst wollten Tanzen im Allgemeinen und Tango im Besonderen in einen größeren, weiteren Zusammenhang stellen und wollten kulturelle, gesellschaftliche Bezüge, Regeln und den Tanz als Gesellschaftstanz explizit in unsere Arbeit miteinbeziehen.

DEFINITION

Wir definieren Tanz als Bewegung in der Musik, die eine bestimmte Absicht sowie bestimmte Regeln eines gegebenen gesellschaftlichen Kontextes verfolgt. Tanz vollzieht sich in Raum und Zeit und lässt sich durch Anzahl der beteiligten Menschen, Zweck, Nähe-Distanz, Spannung-Entspannung, Beschleunigung-Entschleunigung, Haltung, Dynamik, Komplexität, gesellschaftliche und kulturelle Eingebundenheit sowie Regeln klassifizieren.

Mit dieser vorläufigen Definition können wir im Folgenden gut arbeiten und Tango Argentino zeitlich in eine bestimmte kulturelle Epoche einordnen (Kapitel „Geschichte des Tango Argentino“). Diese Definition erlaubt uns darüber hinaus, kulturelle Bezüge und Regeln in unsere Arbeit mit einzubeziehen. Wir erweitern damit zeitgenössische tanztherapeutische Ansätze, die sich unserer Ansicht nach sehr auf Ausdruckstanz beziehen und theoretisch sehr oft auf psychoanalytischen, tiefenpsychologischen und gestalttherapeutischen Konzepten fußen (Willke 2007). Indem wir Gesellschaftstanz und Regeln explizit miteinbeziehen, machen wir Tanz nutzbar für Verhaltenstherapie. Alle Überlegungen, Übungen und Vorschläge sollen aber nicht verhaltenstherapeutischen Ansätzen vorbehalten bleiben, sondern sollen auch in anderen psychotherapeutischen Kontexten genutzt werden können.

Tango wird immer wieder mit Erotik und Sexualität in Verbindung gebracht. So antwortet eine Patientin, die bezüglich „einer Tangotherapie“ zum Erstautor geschickt wurde, auf die Frage, was er für sie tun könne: „Ich will mein Sexualleben wieder in Schwung bringen.“ Buchtitel wie: „Tango die einende Kraft des tanzenden Eros“ (Sartori / Steidl 1999) tragen ihr Übriges zu diesem Klischee bei. Insbesondere Besucher von Tangoshows, die die Tänzerinnen in eng geschlitzten Röcken und tiefen Dekolletés und mit langen hochgeworfenen Beinen tanzen sehen, können sich oft einer gewissen erotischen Ausstrahlung nicht erwehren.

An dieser Stelle müssen wir allerdings enttäuschen. Es ist nicht alles so, wie es aussieht. Das Erlernen von Tangoschritten ist harte, jahrelange Arbeit und hat mit Erotik wenig zu tun. Gerade das Lernen ist mit Unsicherheit und manchmal mit Frust verbunden, die keinen Raum für erotische Gefühle lassen. Es dauert oft Jahre bis Paare sicher, flüssig und achtsam tanzen können. Erotische Gefühle sind, wenn sie überhaupt entstehen, selten. In einer eigenen Untersuchung (Gunia, in Vorbereitung) konnte gezeigt werden, dass Erotik bei Tangotänzern im Rhein-Main-Gebiet eine eher untergeordnete Rolle spielt. Paare tanzen meist nur eine Tanda, ein Set von je nach DJ vier bis fünf Tangos, zusammen und trennen sich dann wieder. So können Paare mit Gefühlen wie Erotik, Eifersucht, Neid usw. gut umgehen.

Hinweise zum Lesen des Buches

Das Buch ist in einen theoretischen und einen praktischen Teil gegliedert.

Im theoretischen Teil geben wir einen Überblick über die Geschichte der Verhaltenstherapie, über das SORKC-Schema, über angewandte verhaltenstherapeutische Techniken und über die Geschichte und die Regeln des Tango Argentino.

Der praktische Teil ist so aufgebaut, dass für jede Störung die diagnostischen Kriterien, allgemeine Informationen über die jeweilige Erkrankung, ein SORKC- Schema und Ziele des Workshops beschrieben sind. In den Manualen zu den einzelnen Störungen machen wir jeweils einen Vorschlag für die zeitliche und inhaltliche Strukturierung des Workshops. Des Weiteren enthalten die einzelnen Kapitel Beispieldialoge und Beispiele für zu lernende Tangoschritte.

Wir empfehlen, zunächst den theoretischen Teil zu lesen und dann die allgemeinen Inhalte des praktischen Teils mit Informationen über die Qualifizierung der Trainer und über das Setting. Die Kapitel über die einzelnen Störungsbilder und die Manuale zu den Workshops sind dann selbsterklärend und können einzeln gelesen werden.

Die Workshops sind in der Regel als Eintages-Workshops ausgelegt. Diese Eintages-Workshops können bei Bedarf um weitere ergänzende Tages-Workshops erweitert werden. Die beschriebenen Inhalte können dann durch die im theoretischen Teil beschriebenen verhaltenstherapeutischen Techniken ergänzt werden. Sollen weitere Tangokombinationen gezeigt werden, können Schritte, die in den anderen Kapiteln beschrieben sind, eingefügt werden.

Es ist selbsterklärend, dass die beschriebenen Strategien, Metaphern und Interventionen auch in Therapien anderer Ausrichtung integriert werden können. Selbstverständlich können die beschriebenen Workshops keine störungsspezifische Therapie ersetzen, sondern ergänzen diese in wesentlichen Aspekten.

Theoretischer Teil

Geschichte der Verhaltenstherapie

Die Ursprünge in der Lerntheorie

Nach Kriz (2014, 125) ist

„Verhaltenstherapie nicht eine Bezeichnung für einen einzelnen psychotherapeutischen Ansatz […], sondern kennzeichnet eine sehr große und heterogene Gruppe von Ansätzen, die sich im Einzelnen stark unterscheiden.“

Aber beginnen wir von vorne. Schon von Anfang an waren die Lerntheorien als historische Vorläufer der Verhaltenstherapie pragmatisch und wissenschaftlich orientiert (Schorr 1984). Interessanterweise etwa zur gleichen Zeit, als der Tango in Buenos Aires und Montevideo entstand, führten Pavlov 1905 in St. Petersburg (Schorr 1984) und Thorndike 1900 (Kriz 2014) an der Columbia Universität in New York ihre klassischen Tierexperimente durch, die die Entstehung und Entwicklung der Verhaltenstherapie nachhaltig beeinflussen sollten.

Klassisches Konditionieren

Es bezeichnet die Annahme, dass es angeborene Reiz-Reaktions-Muster gibt, wie z. B. Futter als unkonditionierter Stimulus (UCS), das die unkonditionierte Reaktion (UCR) Speichelfluss auslöst. Wird nun bei einem Hund ein zunächst neutraler Reiz, wie z. B. ein Licht oder ein Ton als konditionierter Stimulus (CS) zeitlich vor dem UCS Futter dargeboten, erwirbt nach mehrfacher Wiederholung auch der konditionierte Stimulus (CS) Licht oder Ton die Eigenschaft, die konditionierte Reaktion (CR) Speichelfluss auszulösen.

Mit dem klassischen Konditionieren von Pavlov (Schorr 1984) und dem Law of Effect von Thorndike (Kriz 2014) waren wichtige Grundprinzipien der späteren Verhaltenstherapie entdeckt.

Law of Effect

Thorndike untersuchte, wie lange Katzen in einem Käfig brauchten, um durch Versuch und Irrtum herauszufinden, wie sie den Käfig öffnen konnten. Hatte die Katze einmal gelernt, welche Hebel sie drücken musste, um sich zu befreien, wurde bei Wiederholung des Versuchs die Zeit bis zum Öffnen des Käfigs immer kürzer (Lück / Guski-Leinwand 2014). Eine zum Erfolg führende Reaktion musste den Lernerfolg also verstärkt haben.

Watson formulierte 1913 darauf aufbauend die Psychologie als Naturwissenschaft, die sich ausschließlich auf beobachtbares Verhalten beziehen sollte (Lück/Guski-Leinwand 2014). Von Watson, der sehr von Pavlov beeinflusst war, und seiner Frau Rosalie Rayner wurde übrigens das bekannte Experiment der Konditionierung einer experimentellen Phobie bei einem elf Monate alten Kleinkind durchgeführt. Neben Watson war Skinner ein weiterer wichtiger Vertreter des Behaviorismus, der aufbauend auf Thorndike, ebenfalls durch Tierversuche das operante Konditionieren entwickelte.

Operantes Konditionieren

Unter dem operanten Konditionieren versteht man einen Lernvorgang, bei dem man die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Reaktion (z. B. Vermeidung eines Aufzuges) durch eine positive Konsequenz, wie z. B. vermehrte Zuwendung des Ehepartners (positive Verstärkung), oder durch Beseitigung eines aversiven Reizes, wie z. B. das Nachlassen der Angst (negative Verstärkung), erhöhen kann. Die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Reaktion, wie z. B. reden mit dem Nachbarn in einer Schulklasse, kann demgegenüber gesenkt werden, wenn ein positiver Reiz, wie z. B. die vermehrte Aufmerksamkeit des Lehrers, entfernt wird (Löschung) oder ein aversiver Reiz, wie z. B. eine Strafarbeit (Bestrafung), gegeben wird.

Auf der Basis des Behaviorismus entwickelten sich in den 1940er und 1950er Jahren in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und in Südafrika viele verhaltenstherapeutische Techniken (zusammenfassend Schorr 1984).

Mowrer (Davison/Neale 1979) vereinigte in seiner Zwei-Faktor-Theorie schließlich die Prinzipien des klassischen und des operanten Konditionierens, indem er postulierte, dass dysfunktionale emotionale Reaktionen (z. B. Phobien) im Wesentlichen durch Prozesse des klassischen Konditionierens entstehen und durch operantes Konditionieren (negative Verstärkung durch Vermeidungsverhalten) aufrechterhalten werden.

Die kognitive Wende

In den 1950er Jahren kam es dann durch einerseits eine Unzufriedenheit mit den Begrenzungen des Behaviorismus und andererseits durch die kritische Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse zur kognitiven Wende in der Verhaltenstherapie. Insbesondere Forscher und Kliniker wie Albert Ellis und Aaron T. Beck, zwei ehemals analytisch ausgebildete Therapeuten, sowie Albert Bandura und Donald Meichenbaum legten den Augenmerk auf vermittelnde innere, äußerlich nicht beobachtbare, kognitive Prozesse (zusammenfassend Schorr 1984). Als zentral für die Entstehung und Überwindung von maladaptiven Emotionen wurden nicht die Auslöser selbst, sondern vielmehr die Bewertungen dieser Auslöser angesehen. Ellis postulierte in seiner Rational Emotiven Therapie sogenannte irrationale Bewertungen (irrational beliefs), die er als ursächlich für die Entstehung psychischer Probleme annahm und die er mit Hilfe von kognitiven Strategien versuchte zu verändern (Kriz 1984). Beck, der zweite prominente Vertreter der kognitiven Verhaltenstherapie, fokussierte mehr auf sogenannten kognitiven Verzerrungen wie z. B. Schwarz-Weiß-Denken, selektive Verallgemeinerung, Übertreiben usw., die es in der Therapie aufzudecken und zu verändern galt. Obwohl in den kognitiven Verhaltenstherapien die kognitive Arbeit immer auch durch Verhaltensexperimente wie in der Depressionsbehandlung durch einen Aktivitätsaufbau ergänzt wurde, wurden die kognitiven Interventionen als die zentralen Strategien angesehen. Die Patienten waren darüber hinaus angehalten, in Form von therapeutischen Hausaufgaben die dysfunktionalen Bewertungen (sensu Ellis) oder die kognitiven Fehler (sensu Beck) selbst durch systematische Beobachtung zu entdecken und zu verändern (Schorr 1984). Die kognitiven Verhaltenstherapien waren wie die traditionellen Verhaltenstherapien forschungsorientiert und konnten in einer Vielzahl von kontrollierten Studien ihre Wirksamkeit belegen (Kriz 2014).

Die dritte Welle der Verhaltenstherapie

In den 1990er Jahren kam es zur sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie. Bei der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) von Borderline-Persönlichkeitsstörungen (BPS), die von Marsha Linehan (1996) entwickelt wurde, handelt es sich um eine störungsspezifische Therapiemethode, die auf Basis der kognitiven Verhaltenstherapie und der humanistischen Psychotherapie entwickelt wurde. Sie liegt in manualisierter Form vor (Linehan 1996; Bohus/Reicherzer 2012). Behandelt wird im Team. Patienten haben sowohl eine Einzeltherapie als auch ein Fertigkeitentraining in der Gruppe („Skillsgruppe“), das in Form eines Seminares durchgeführt wird. Das Skillstraining wird von zwei Therapeuten geleitet. DBT besteht im Wesentlichen aus den vier Therapiebausteinen Einzeltherapie, Fertigkeitentraining in der Gruppe, Telefonkontakt im Notfall und regelmäßige Intervision bzw. Konsultationsteam der Therapeuten. Der Einzeltherapeut versucht eine Balance zwischen Validierungs- (Verstehen und Wertschätzen des Problems) und Veränderungsstrategien zu finden („dialektische Strategie“, Linehan 1996). Marsha Linehan führte ausgehend von ihrer intensiven Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus Achtsamkeitsstrategien in die DBT ein. Begriffe wie Intuition („wise mind“) wurden in der Verhaltenstherapie salonfähig. Vor kognitiven Interventionen wird der Emotionsregulation zentrale Bedeutung beigemessen.

Dem Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) gebührt (vielleicht ohne das explizit angestrebt zu haben) der Verdienst, die aus der psychoanalytischen Psychotherapie stammenden Strategien Übertragung und Gegenübertragung in eine lerntheoretische Sprache (Liste prägender Bezugspersonen) übersetzt zu haben (McCullough 2006, 92f.). Dazu wird der Patient sehr früh in der Therapie gebeten, bis zu sechs prägende Bezugspersonen zu benennen, die ihn und seinen Lebensweg wesentlich beeinflusst haben. Nach einer genauen Exploration der Beziehung zu diesen Personen, leitet der Therapeut zusammen mit dem Patienten Hypothesen ab, wie und welche Beziehungserwartungen (Prägungen) der Patient auf Grundlage dieser Beziehungen bewusst oder auch unbewusst an den Therapeuten hat (Brakemeier 2013). Der Therapeut ist gehalten, die interpersonell erlebte Wirkung, die Patienten auf ihn haben, in die Therapie einzubringen, seine eigenen Gefühle als Reaktion auf das Verhalten des Patienten in authentischer Form zu zeigen. Damit sollen die negativen Prägungen eines Patienten relativiert werden. Mit der Situationsanalyse kommt im CBASP ein Instrumentarium zu Einsatz, durch das Patienten lernen, in konkreten Situationen eine kausale Beziehung zwischen ihrem eigenen Verhalten und Reaktionen des sozialen Gegenübers herzustellen.

Steven Hayes entwickelte die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT)Eifert 2011Hayes et al. 2014