Victoria Charles

 

 

 

 

1000

Aquarelle von

genialen Meistern

 

 

 

 

 

Autoren:

Victoria Charles

Klaus H. Carl

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ISBN: 978-1-68325-451-5

Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

DAS 14. UND 15. JAHRHUNDERT

DAS 16. JAHRHUNDERT

DAS 17. JAHRHUNDERT

DAS 18. JAHRHUNDERT

DAS 19. JAHRHUNDERT

DAS 20. JAHRHUNDERT

KÜNSTLERVERZEICHNIS

EINLEITUNG

Ist das Aquarell die älteste malerische Technik der Weltgeschichte? Sei es in den Höhlen von Lascaux oder den altertümlichen Felsmalereien in Ägypten und Griechenland, man fand stets in Wasser angerührte Farbpigmente. Im Mittelalter bedienten sich die Buchmaler mit Wasser verdünnter Farben, um Manuskripte zu illustrieren. Jene Miniaturen auf Velinpapier in mehr oder minder opaken Farben bildeten den Ursprung des modernen Aquarells, das uns heute bekannt ist.

Die Maler der Renaissance verwendeten Wasserfarben für Vorstudien und modelli. Leonardo da Vinci (1452-1519) beispielsweise schuf eine beachtliche Anzahl von Zeichnungen, bei denen er auf verschiedene Techniken und komplementäre Medien zurückgriff, darunter das Aquarell, das dazu diente, die gezeichneten Linien besser zur Geltung zu bringen. Zum Ende des 15. Jahrhunderts trat mit Albrecht Dürer (1471-1528) der erste weithin anerkannte Künstler in Erscheinung, der sich ganz dem Aquarell verschrieb: Er schuf etwa einhundert von ihnen, was ihn zum ersten großen Aquarellisten der Kunstgeschichte machte. Später waren es die Genrekünstler der Landschaftsmalerei, die sich die Techniken des Aquarells aneigneten und die Vorteile erkannten, die die Technik in Hinsicht auf die Darstellung etwa von Lichteffekten mit sich brachte.

Trotz alledem war es ein langer Weg, bis die Aquarellmalerei als wahrhaft autonome Kunstform angesehen wurde. In ihrer Geschichte war sie stets dem Zeitgeschmack und den technischen Errungenschaften der jeweiligen Epoche unterworfen. Teils in Verruf gebracht, teils in Vergessenheit geraten, erhielt das Aquarell erst zum Ende des 18. Jahr-hunderts eine Definition im eigentlichen Sinne. Lange Zeit erschien es daher als eine Kunstform ohne Fundament, war es doch begrifflich nur ungenau erfasst. Die Aquarellmalerei wurde als Zerstreuung, als Zeitvertreib, als amateurhafte Kunst betrachtet. In der Tat fand die Existenz des Aquarells vor dem 19. Jahrhundert in kaum einem Text Erwähnung oder die Begrifflichkeiten wurden einigermaßen willkürlich gebraucht: Noch 1757 verwendete kein Geringerer als Denis Diderot (1713-1784) fälschlicherweise das Wort Gouache.

Wenn die Technik an sich auch, speziell im Vergleich zur Ölmalerei, lange dem Urteil der Minderwertigkeit ausgesetzt war, so wurden die Künstler doch nie müde, sie anzuwenden und zu perfektionieren. Dürer erreichte mehr Bekanntheit durch seine Werke in Öl, seine Kupferstiche und Holzschnitte, die Auftragsarbeiten waren. Doch er betätigte sich ebenso in der Aquarellmalerei, die es ihm erlaubte, sich freier und spontaner auszudrücken. In Frankreich wurden die Aquarellmaler in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts unter Ludwig XVI. (1754-1793) an der Académie royale de peinture et de sculpture zugelassen. Einige Jahre später, im Jahre 1804, machte die Gründung der Society of Painters in Water Colours in England die Anerkennung des Aquarells als autonome Kunstform offiziell.

Auf der Suche nach einer Definition des Aquarells

„In den alten Manuskripten verzierte man den Text mit Illustrationen und Figuren, die auf Velin oder der Haut totgeborener Kälber ausgeführt wurden; in jenen Werken sah man die ersten Miniaturen […]; das Genre wurde in Italien, in Deutschland und vor allem in Frankreich vervollkommnet, wo es unter Karl V. rasante Fortschritte machte; doch die Erfindung der Druckkunst sorgte mit ihrer erhöhten Buchauflage dafür, dass die Miniaturen aufgegeben wurden. Die Künstler, die sich diesem erlesenen Genre verschrieben hatten, schufen nun also zierliche Figuren, die man einrahmte, später Porträts, mit denen man Bonbonnieren, Armreife und schließlich auch Fächer schmückte. Die Farben wurde darauf als Gouache, das heißt dick und oft mit Weiß gemischt, aufgetragen, was ihnen ein leicht mehliges und gipsartiges Aussehen verlieh. Das Aquarell war das Resultat der Perfektionierung der Gouache und der Miniaturen; es kann in einer Vielzahl von Genres angewandt werden und verbreitete sich allmählich, dem Gang der Kunst bis zum heutigen Tage folgend.“ [Frédéric Auguste Antoine Goupil, Traité d’aquarelle et de lavis en six leçons [Abhandlung über das Aquarell und die Lavierung in sechs Lektionen], 1858]

Das Wort ‚Aquarell‘, wie wir es heute verstehen, hielt erst sehr spät in die Sprache der Kunst Einzug. Die Worte watercolour im Englischen und acquerello im Italienischen – aus dem aquarelle im Französischen, Aquarell im Deutschen und acuarela im Spanischen entstanden sind – gingen früh in den gebräuchlichen Wortschatz ein. Sie bedeuten wörtlich Wasserfarbe bzw. -malerei. Trotz dieser relativen begrifflichen Eindeutigkeit wurden sie erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts in die Wörterbücher aufgenommen. Daher weist das Vokabular, das Texte in Bezug auf die Aquarellmalerei verwenden, eine gewisse Beliebigkeit auf. Betrachten wir sie als die Technik der Malerei mit Wasser, so können die Leimfarbe, die Lavierung und die Gouache als die Anfänge der Aquarellmalerei angesehen werden. Aus diesem Grund erscheint es unmöglich, die Geschichte des Aquarells zu erzählen, ohne zuvor diesen älteren Methoden einige Aufmerksamkeit zu schenken.

Die Leimfarbenmalerei ist eine Technik, bei der die Farben zunächst mit Wasser gemischt und anschließend beim Auftrag mit warmem Hautleim oder Gummiarabikum verdünnt werden. Diese Technik erfreute sich großer Beliebtheit, bevor die Ölmalerei erfunden war. Anders als das Aquarell wird Leimfarbe auf Leinwand oder Holz aufgetragen. Der einzige Gesichtspunkt, der sie mit dem Aquarell verbindet, ist also die Tatsache, dass ihre Anwendung der Wassermalerei zugerechnet wird. Die Lavierung ist ein Verfahren, das gleichermaßen Merkmale des Zeichnens und des Malens aufweist und auf der Verwendung von Pigmenten, meist schwarzer Tusche, beruht, die in Wasser aufgelöst werden. Dieses Verfahren war im gesamten 17. Jahrhundert gängig und übte einen großen Einfluss auf die englische Aquarellmalerei des 19. Jahrhunderts aus. Heute wird die Lavierung als die Haupttechnik des Aquarells als künstlerisches Genre betrachtet. Ihre durchsichtigen Farbschichten erlauben es, die besonderen Effekte des Hell-Dunkels auf sehr nuancierte Weise umzusetzen.

Was nun die Gouache anbetrifft, so ist sie sicherlich die Technik, die dem Aquarell am nächsten steht und am engsten mit ihm verwoben ist. Sie ist eine lichtundurchlässige Technik von dickflüssiger Konsistenz, die hergestellt wird, indem man Farbe in mit Gummiarabikum gemischtem Wasser anrührt. Aquarell und Gouache wurden vielfach gemeinsam in Werken verwendet. Lange unterschied man die beiden Techniken daher nur äußerst vage. Im Englischen existieren mehrere Begriffe, um diese Technik zu bezeichnen: gouache, opaque watercolour oder bodycolour. Heutzutage ist es üblich, das Wort gouache zu verwenden, das alle drei Begriffe umfasst. Im 19. Jahr-hundert hingen die Aquarellisten der Idee an, dass das authentische Aquarell frei von der Technik der Gouache sein müsse, um vollkommen rein zu sein. Aus diesem Grund wird ‚Aquarell‘ heute als diejenige malerische Technik definiert, bei der verriebene Pigmente mit Wasser gemischt und auf Papier aufgetragen werden, was einen durscheinenden Effekt erzeugt.

Diese damals von den Malern erstrebte Transparenz bildete den Ausgangspunkt für stilistische Recherchen. In der Tat entwickelten sie die Techniken zu diesem Zwecke weiter, indem sie sich neuer Werkzeuge bedienten: Messern, Bürsten, Schwämmen, Lappen oder auch Fingernägeln. Die Anekdote über das Gemälde Helvoetsluys, die Stadt Utrecht, 64, Ausfahrt hinaus auf die hohe See von Turner (1775-1851) illustriert dies: Nachdem sein Werk im Pariser Salon von 1832 aufgehängt worden war, erschien es ihm derartig reizlos, dass er dem Meer mit dem Finger einen roten Fleck hinzufügte, den er in eine Boje verwandelte.

Eine kontroverse Technik

„And never yet did insurrection want / Such water-colours to impaint his cause.” [William Shakespeare, Heinrich IV., Teil 1, Akt V, Szene 1, Vers 1597]

„Jamais révolte n’a manqué / De ces enluminures pour en revêtir sa cause.” [William Shakespeare, ibid., Übersetzung von François Guizot, 1863]

“Und niemals fehlten solche Wasserfarben / Dem Aufruhr, seine Sache zu bemalen.“ [William Shakespeare, ibid., Übersetzung von August Wilhelm Schlegel und Dorothea Tieck, 1800]

1597 gebrauchte William Shakespeare (1564-1616) in Heinrich IV. das zusammengesetzte Wort water-colours. Die englische und die deutsche Version verweisen auf das Wort Wassermalerei, wie wir es heute kennen. Im Französischen jedoch entschied sich François Guizot (1787-1874), denselben Terminus mit „enluminures“ zu übersetzen. Und tatsächlich entwickelte sich das Aquarell ja, wie wir gesehen haben, zunächst innerhalb der Kunstform der enluminure (dt. Buchmalerei). Die deutsche Übersetzung „Wasserfarben“ ihrerseits folgt dem englischen Original im Wortsinne, anstatt den Begriff ‚Aquarell‘ zu verwenden. Der französische Lyriker Yves Bonnefoy (geboren 1923) entschied sich in einer jüngeren Übersetzung desselben Verses für folgenden Wortlaut: „Jamais certes une insurrection n’a manqué / De ces couleurs d’un sou pour orner sa cause.“ Diese Wortwahl, die im Deutschen in etwa mit „Groschenfarben“ wiedergegeben werden könnte, verweist dezent darauf, dass William Shakespeare sich, indem er von „water-colours“ spricht, auf eine wohlfeile Malerei bezieht, die mühelos anzufertigen und sowohl preislich als auch technisch leicht zugänglich ist. In der Tat hat die Wassermalerei auch den Ruf, eine ökonomische Kunstform zu sein: ökonomisch in Hinsicht auf die Mittel, insofern sie billiger ist als Öl, ökonomisch in Hinsicht auf den Zeitaufwand, insofern sie schneller trocknet, und ökonomisch in Hinsicht auf ihre Ausmaße, insofern die Künstler, anders als in der Ölmalerei, in der Regel kleinformatig arbeiten, in Zeichenheften etc.

Mit dem Ende des 15. Jahrhunderts wurde die Technik des Aquarells, wegen der großen Expeditionen in bis dato unbekannte Regionen, stärker genutzt: Sie erlaubte es, die neuartigen Landschaften sowie die neuentdeckten Spezies in aller Eile zu skizzieren. Sie erwies sich auch in wissenschaftlichen Studien als nützlich: Botaniker und Kartografen griffen auf die Aquarellmalerei zurück, ohne jedoch als Künstler angesehen zu werden. Das Aquarell besaß insofern den Status eines bloßen Hilfsmittels, einer Routineübung. Im 19. und 20. Jahrhundert zog es die Orientalisten unter den Malern in jene Welten, die ihnen neue und schillernde Farben boten. Mit einigen Aquarellfarbentuben ausgestattet, füllten sie frenetisch ihre Zeichenhefte und folgten dabei dem Beispiel Paul Klees (1879-1940), der während seiner Reise nach Tunesien in sein Tagebuch schrieb:

„Mittwoch, den 8. 4. Tunis. Den Kopf voll von den nächtlichen Eindrücken des gestrigen Abends. Kunst – Natur – Ich. Sofort ans Werk gegangen und im Araberviertel Aquarell gemalt. Die Synthese Städtebauarchitektur-Bildarchitektur in Angriff genommen. Noch nicht rein, aber ganz reizvoll, etwas viel Reisestimmung und Reisebegeisterung dabei, eben das Ich.“ [Paul Klee, Tagebücher, 1914]

Kunst der Armen, Kunst der Amateure, rein zweckmäßige Kunst – der Wassermalerei mangelte es lange Zeit an der Anerkennung vonseiten der professionellen Kunstwelt. Erst als Maler begannen, dieses Medium dem Öl vorzuziehen, wurde ihr allmählich Achtung entgegengebracht. Die Geschichte des Aquarells nahm nun eine neue Wendung: Ihre Produktion stieg sprunghaft an, sie verbreitete sich. Ab dem 19. Jahrhundert brachten Künstler wie Turner und Delacroix (1798-1863), sowie später Cézanne (1839-1906) und Kandinsky (1866-1944) oder auch Klee, allesamt von der Kritik gefeiert, die dieser Kunst innewohnende Schönheit zum Vorschein und werteten sie in den Augen von Künstlern und Öffentlichkeit auf. Die neu gewonnene Akzeptanz wurde nun manifest: Werke, die einzig mit Mitteln der Aquarelltechnik angefertigt worden waren, wurden in den offiziellen Salons Seite an Seite mit den traditionellen Ölgemälden ausgestellt. Auch die Kommentare Charles Baudelaires (1821-1867) in seinem Salon von 1846 zeugen von jener neuen Wertschätzung:

„Dieser mit Aquarell gemalte Löwe besitzt für mich, neben der Anmut der Zeichnung und der Haltung, ein großes Verdienst: dass er mit großer Herzensgüte gemalt worden ist. Das Aquarell ist auf seine bescheidene Rolle beschränkt, und es trachtet nicht danach, sich großzutun wie das Ölgemälde.“ [Charles Baudelaire, Salon von 1846]

Ein Jahrhundert später schrieb der Künstler Paul Colin (1892-1985) über Johan Barthold Jongkind (1819-1891):

„Die Aquarelle Jongkinds: die lange Phase, die von Nivernais bis zur Dauphiné reicht, ist jene, in welcher er die vollkommene Meisterschaft erlangt, in welcher das Genie synthetischer Aufzeichnungen, das ihm im höchsten Maße eigen ist und ihm zum Vorteil gereicht, ihm seine feinsinnigsten, lebhaftesten, unerwartetsten Lavierungen eingibt. Jedes Blatt ist ein Husarenstreich, das einzig ihm gelingen konnte; und doch erscheint nichts simpler, nichts offensichtlicher, nichts banaler als jene hastigen Spiele mit dem Pinsel, in denen er, mit einigen Bisterstrichen in Blau und Grün, die sich über eine kaum mehr als angedeutete Struktur legen, die Essenz nicht nur der Landschaft, die sich vor ihm ausbreitet, sondern des Landes, das er ins Bild bannt, festhält.“ [Paul Colin, J. B. Jongkind, 1931]

Das Aquarell: Gemälde oder Zeichnung?

Wenn das Aquarell lange unter einem Mangel an Anerkennung litt, so lässt sich dieser Umstand mit seinem hybriden Charakter erklären. Die Künstler der Renaissance nutzten die Aquarellmalerei, um Zeichnungen, Studien und modelli zu kolorieren. Man sprach daher von „Einfärbung“, „aquarellierten Zeichnungen“ und „topografischen Lavierungen“. In diesen Fällen galt sie als verzierendes Medium. Bevor sie sich von der obligatorischen Bleistiftvorzeichnung befreien konnte, wurde die Aquarellmalerei als bloßes Beiwerk anderer Techniken verwendet. Daher fiel es ihr schwer, sich als eigenständiges Verfahren zu etablieren. Auch die Herausbildung neuer Techniken spielte eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der Kunstform Aquarell. Die Nutzung von mit Wasser verdünnter Farbe war erschwert, bis chemische Farben und resistenteres Papier erfunden wurden.

„Niemals, zu keiner Zeit, hatte es das Aquarell vermocht, jenen Farbglanz zu erlangen; niemals zuvor hatte die Kargheit chemisch erzeugter Farben auf dem Papier ein solches, an Edelsteine gemahnendes Funkeln versprüht, ein solches Schimmern, ähnlich dem von Kirchenfenstern, durch die die Strahlen der Sonne treten, eine solch fabelhafte, blendende Pracht der Stoffe und des Fleisches.“ [Joris-Karl Huysmans, Gegen den Strich, 1884]

Das Aquarell ist ein Werk in Farbe. Geht man von der in Frankreich geführten, gemeinhin mit ‚La Querelle des Coloris‘ (‚Der Streit um die Farbe‘) betitelten ästhetischen Debatte des 17. Jahrhunderts aus, so befindet sich das Aquarell in einem Zwischenzustand. Es besitzt die vermeintliche Intelligenz der Zeichnung und den Charme der Farbe. Doch diese zweifache Qualität wurde ihm nicht kampflos zugesprochen und die Uneindeutigkeit seines Wesens gereichte ihm mehr zum Nach- als zum Vorteil. Als ein Werk in Farbe steht es naturgemäß der Malerei näher, das Aquarell jedoch wird auf Papier ausgeführt. In den Museen wird dieser Typ von Kunstwerken in der Abteilung für grafische Kunst aufbewahrt, neben Zeichnungen und Skizzen. Das Material Papier ist demnach ein Element, das mit dieser Technik untrennbar verbunden ist. Dies ist wohl der Grund, weshalb, nach Delacroix,

„der Charme des Aquarells, demgegenüber jedes Ölgemälde rotstichig und welk wirkt, […] in dieser unablässigen Transparenz des Papieres [liegt]; dies beweist die Tatsache, dass es diesem Vorzug abträglich ist, wenn man auch nur ein wenig auf die Gouache zurückgreift; in einer Gouache büßt sie ihn vollständig ein.“ [Eugène Delacroix, Mein Tagebuch, 6. Oktober 1847]

Das Ziel des vorliegenden Bandes ist es daher, die komplexe Geschichte des Aquarells, das von der Kritik zunächst missachtet, später gepriesen wurde, nachzuzeichnen. Zahlreiche Abbildungen sollen dazu beitragen, die Eigenheiten und Strömungen der jeweiligen Epoche sowie die Art und Weise zu illustrieren, wie sich die Aquarellmalerei im Wandel der Jahrhunderte durchsetzte, bis sie schließlich zu einer anerkannten Kunstform wurde. Jedes Kapitel konzentriert sich dabei, zusätzlich zu einer allgemeinen Darstellung der Entwicklungen in der betreffenden Epoche, auf einen bestimmten Aspekt der Aquarellmalerei. Wir werden sehen, dass alle großen Meister sich mit der Wassermalerei beschäftigten und brillante Aquarelle hinterließen, die dieser Band zur (Wieder-)Entdeckung bereithält.

1. Der Meister der Königin Mary, Engländer. Noah und seine Arche, Auszug aus dem Psalter der Königin Mary, um 1310-1320. Tinte auf Pergament. The British Library, London. Spätmittelalter.