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Ashley Bassie und Elizabeth Ingles

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ISBN: 978-1-68325-638-0

Ashley Bassie und Elizabeth Ingles

 

 

 

Edvard Munch

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Was ist Expressionismus?

Der Körper und die Natur

Das Selbst und die Psyche

Die Metropole und die Moderne

Vision und Spiritualität

Das Ende des Expressionismus?

Edvard Munch Liebe, Eifersucht, Tod und Trauer

Biografie

Abbildungsverzeichnis

Landschaft, Maridalen bei Oslo, 1881. Öl auf Holz, 22 x 27,5 cm. Munch-museet, Oslo.

Was ist Expressionismus?

Der Begriff „Expressionismus“ hatte zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Bedeutungen. In dem Sinne, in dem wir ihn heute gebrauchen, wenn wir vom „Deutschen Expressionismus“ sprechen, bezieht er sich auf eine am Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland und Österreich entstandene breite kulturelle Bewegung. Doch der Expressionismus ist komplex und widersprüchlich. Er umfasst die Befreiung des Körpers ebenso wie die Entdeckung der Psyche. Und innerhalb seiner vielfältigen Mischung fanden sich politische Apathie und Chauvinismus ebenso wie eine revolutionäre Gesinnung.

Die tieferen Wurzeln des Expressionismus reichen weit in die Geschichte zurück und sind geografisch ebenso weit verzweigt. Zwei der wichtigsten Quellen sind weder modern noch europäisch: die Kunst des Mittelalters und die Stammeskunst der sogenannten „primitiven“ Völker. Eine dritte hat im Grunde kaum mit visueller Kunst zu tun – die Philosophie Friedrich Nietzsches. Noch komplizierter wird das Ganze dadurch, dass das Wort „Expressionismus“ ursprünglich eine ganz andere Bedeutung hatte.

Etwa bis 1912 wurden damit ganz allgemein alle sich deutlich vom Impressionismus unterscheidenden bzw. mehr noch „anti-impressionistisch“ wirkenden progressiven Kunstrichtungen in Europa – und hier vor allem in Frankreich – bezeichnet. Ironischerweise galt der Begriff damit zunächst vor allem nicht-deutschen Künstlern wie Cézanne, Gauguin, Matisse und van Gogh. Tatsächlich war „Expressionismus“ noch bis nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs der Oberbegriff für die aktuelle moderne – fauvistische, futuristische oder kubistische – Kunst. Die bedeutende Kölner Sonderbund-Ausstellung des Jahres 1912 verwendete den Begriff beispielsweise in Bezug auf die aktuelle deutsche Malerei und auf internationale Künstler.

Hier zeichnete sich jedoch bereits eine Verschiebung ab. Die Ausstellungsveranstalter und die meisten Kritiker betonten die Nähe des Expressionismus der deutschen Avantgarde zu der des Holländers van Gogh und der des Ehrengastes der Ausstellung, des Norwegers Edvard Munch. Damit nahmen sie französischen Künstlern wie Matisse einen Teil ihrer früheren Bedeutung und lenkten das Konzept des Expressionismus bewusst in eine nördliche Richtung. Munch selbst war tief beeindruckt, als er die Ausstellung besuchte. „Hier findet sich eine Sammlung der wildesten Malerei in Europa“, schrieb er einem Freund, „…der Kölner Dom ist in seinen Grundfesten erschüttert.“ Mehr noch als eine geografische Dimension verdeutlichte die genannte Verschiebung jedoch, dass expressionistische Qualitäten weniger in innovativen Ausdrucksformen zur Beschreibung der physischen Welt als vielmehr in der Kommunikation einer besonders sensiblen, bisweilen sogar leicht neurotischen Wahrnehmung der Welt zu finden waren, die über die bloße Erscheinung hinausging. Wie in den Werken Munchs und van Goghs stand die individuelle, subjektive menschliche Erfahrung im Mittelpunkt. Als der Expressionismus an Bedeutung gewann, wurde eines mehr als deutlich: er war kein „Stil“. Dies erklärt, warum unter Händlern, Künstlern, Kritikern und Kuratoren nur selten Einigkeit über die Verwendung oder Bedeutung des Begriffs bestand.

Dennoch nahm der Expressionismus in der Kunst Deutschlands und Österreichs eine wichtige Position ein. Zunächst galt er Malerei, Skulptur und Druckgrafik, wenig später dann auch dem Tanz, dem Theater und der Literatur. Es heißt, der Einfluss des Expressionismus auf die bildenden Künste sei zwar produktiv, sein Einfluss auf die Musik aber am radikalsten gewesen, indem er – etwa bei Alban Berg, Gustav Mahler und Arnold Schönberg – insbesondere in Wien Elemente wie Dissonanz und Atonalität hervorbrachte. Schließlich durchdrang der Expressionismus auch die Architektur und machte seinen Einfluss selbst im jüngsten, modernsten Medium geltend – dem Film.

Historiker sind sich nach wie vor uneinig darüber, was eigentlich unter ‘Expressionismus zu verstehen ist. Viele Künstler, die heute als „die“ Expressionisten gelten, lehnten das Etikett selbst ab. Angesichts des anti-akademischen Geistes und dezidierten Individualismus, der einen Großteil des Expressionismus durchzog, kann dies nicht überraschen. In seiner Autobiografie schrieb Emil Nolde von seinem Unbehagen darüber, von intellektuellen Kunstkritikern „Expressionist“ genannt zu werden; eine Bezeichnung, die er als Einschränkung empfand.

Akerselva, 1881. Öl auf Karton, 23 x 31,5 cm. Privatsammlung, London.

Garten mit rotem Haus, 1882. Öl auf Karton, 23 x 30,5 cm. Galerie Ars Longa, Sammlung Vita Brevis, Oslo.

Garten mit rotem Haus, 1882. Öl auf Karton, 46,5 x 57 cm. Galerie Ars Longa, Sammlung Vita Brevis, Oslo.

Alte Aker Kirche, 1881. Öl auf Leinwand, 16 x 21 cm. Munch-museet, Oslo.

Zwischen den Werken einiger der bedeutendsten Vertreter des Expressionismus liegen große Unterschiede. Der Begriff ist so dehnbar, weil er so unterschiedliche Künstler umfasst wie Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner, Egon Schiele und Wassily Kandinsky. Viele deutsche Künstler, die ein hohes Alter erreichten, wie Otto Dix, George Grosz, Max Beckmann oder Oskar Kokoschka, beschäftigten sich nur wenige Jahre ihres produktiven Künstlerlebens – und in unterschiedlich starker Ausprägung – mit „expressionistischen“ Ausdrucksformen. Anderen war ein tragisch kurzes Dasein beschieden, das uns nur eine vage Vorstellung davon geben kann, wie sich ihre Arbeit weiterentwickelt haben könnte. Richard Gerstl und Paula Modersohn-Becker starben, noch bevor der Begriff des Expressionismus allgemein gebräuchlich wurde. Noch vor Ende des Jahres 1914 fielen der Maler August Macke und die Dichter Ernst Stadler und Alfred Lichtenstein auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs. Ein anderer Dichter, Georg Trakl, nahm eine Überdosis Kokain, nachdem er am Trauma seines Dienstes in einer Sanitätseinheit in Polen zugrunde ging. Franz Marc fiel 1916, in Wien überlebte der junge Egon Schiele die vernichtende Grippeepidemie von 1918 nicht und Wilhelm Lehmbruck war so traumatisiert von den Erfahrungen des Krieges, dass er sich 1919 in Berlin das Leben nahm.

Es fällt leichter, festzustellen, was der Expressionismus nicht war, als was er war. Ganz sicher war der Expressionismus keine kohärente, zusammenhängende Einheit. Im Gegensatz zu Marinettis Futuristen in Italien, die ihre Identität als Gruppe fanden und lautstark verkündeten, gab es keinen geeinten Zusammenschluss der Expressionisten; jeder ging seinen eigenen Weg. Doch anders als die kleinen Gruppen der als Fauvisten und Kubisten bezeichneten Maler in Frankreich waren die Expressionisten der einen oder anderen Schattierung quer durch alle Kunstrichtungen so zahlreich, dass die Epoche in der deutschen Kulturgeschichte bisweilen als die einer ganzen „expressionistischen Generation“ bezeichnet wurde.

Der Zeit des deutschen Expressionismus wurde schließlich 1933 mit der Diktatur der Nazis ein Ende gesetzt. Doch seine fruchtbarste Phase von 1910 bis 1920 hinterließ ein Erbe, dessen Nachhall bis heute spürbar ist. Es war eine von intellektuellen Abenteuern, leidenschaftlichem Idealismus und einer tiefen Sehnsucht nach geistiger Erneuerung geprägte Zeit. In dem Maße, in dem einige Künstler die politische Gefahr der für den Expressionismus charakteristischen Innerlichkeit erkannten, machten sie sich verstärkt daran, sein Potenzial für ihr politisches Engagement und eine tief greifende gesellschaftliche Erneuerung auszuschöpfen. Doch utopische Ziele und der hohe Einsatz, die damit einhergehen, der Kunst eine erlösende Funktion zuzuschreiben, bedeuten, dass dem Expressionismus auch ein immenses Potenzial an Verzweiflung, Desillusion und Atrophie innewohnte. Neben Werken mit treffender Schärfe brachte er auch eine Flut pseudo-ekstatischer Ergüsse und ein nicht unbedeutendes Maß an sentimentaler Nabelschau hervor.

Einige der erstaunlichsten Werke, die der deutsche Expressionismus hervorgebracht hat, entstammten ebenso formaler öffentlicher Zusammenarbeit wie engen freundschaftlichen Arbeitsbeziehungen. In den Gruppen, die den Expressionismus der Vorkriegszeit beherrschten, etwa der Brücke und dem Blauen Reiter, fand sich beides. Es gab heftige Auseinandersetzungen, und in Zeitschriften wie Der Sturm und Die Aktion wurden ebenso wie vor dem Hintergrund zahlreicher Gruppenausstellungen gemeinsame Standpunkte veröffentlicht. Daneben gab es die relativ isoliert arbeitenden, introvertierten Einzelgänger. Vor allem war es auch eine von Verzweiflung über das zerstörerische Potenzial der Technologie und deren verheerende Folgen für Deutschland geprägte Zeit. Ihre Konflikte und Traumata sind untrennbar verbunden mit den vom Expressionismus angenommenen Formen, und schließlich auch mit dessen Ablösung.

Junges Mädchen, einen Ofen entfachend, 1883. Öl auf Leinwand, 96,5 x 66 cm. Privatsammlung.

Der Schriftsteller August Strindberg, 1892. Öl auf Leinwand, 122 x 91 cm. Geschenk des Künstlers, 1934, Moderna Museet, Stockholm.