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Wyatt Earp
– Jubiläumsbox 4 –

E-Book 17-22

William Mark
Mark William

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-923-7

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Gewitter am Cimarron

Roman von William Mark

Die Kugel traf Mat Corby rechts in die Brust. Er bekam einen Stoß, der ihn im Sattel zurückwarf, krampfte sich instinktiv mit der Linken in der Mähne seines Wallachs fest und riß mit der Rechten den Colt hoch.

Damned! Woher war der Schuß gekommen?

Die Landschaft war so dicht mit Büschen besetzt, daß es unmöglich war, den Standort des Schützen so ohne weiteres auszumachen,

Ganz still und friedlich lag die Weide da. Nirgends in der Halde über den dichten grünen Tecarilla-Büschen zog sich ein Rauchfaden hoch. Azurfarben und von keiner Wolke getrübt, breitete sich der Himmel Oklahomas über das Land. Es war ein schönes, weites gesundes Land. In der Ferne, wo der Himmel am Horizont violettfarben mit der Erde zu verschwinden schien, floß der Buffalo Creek in den Cimarron-River. Und im Norden schloß die flimmernde Bergkulisse der Red Mountains die Ebene ab.

Es war ein prachtvolles Land.

Und doch steckte hier irgendwo hinter den unschuldigen Büschen ein Mordschütze.

Mat fühlte zu seinem Entsetzen, daß ihn ein Schwindelanfall ansprang.

Seit dem Schuß waren drei Sekunden vergangen.

Mat riß den Wallach herum, hieb ihm die großen texanischen Sternradsporen in die Weichen und sprengte weit über den Pferdehals gebeugt davon.

Rotgolden brachen sich die Strahlenbündel der Abendsonne an den Pfählen des großen Bunkhausvorbaues, als der Reiter den Ranchhof erreichte. An der Pferdetränke rutschte er aus dem Sattel, schleppte sich noch drei Schritte vorwärts und brach dann plötzlich lautlos in sich zusammen.

Drüben flog knarrend die schwere Stalltür auf, und ein riesiger, grobknochiger Mann mit offenem Hemd, pergamentfarbenem Gesicht und schiefergrauen Augen stürmte in den Hof.

»Mat!«

Der Hüne beugte sich über den Besinnungslosen, hob ihn auf und sah das blutgetränkte Hemd.

Augenblicklich brachte er den Bewußtlosen an die Tränke und benetzte sein Gesicht mit Wasser.

Mat schlug die Augen auf und blickte in das harte Ledergesicht des älteren Mannes.

»Vater –« Die blutleeren Lippen des sonst so frischen jungen Mannes zitterten bei diesem Wort.

»Junge.«

»Das Herz, nicht wahr?« stammelte der Bursche, und in seinen blauen Augen stand eine bange Frage.

John Corby schüttelte lächelnd den Kopf. »No, Mat – das Herz ist glücklicherweise auf der anderen Seite. Wenn die Kugel es auch nur angerissen hätte, wärst du jetzt sicher nicht hier.«

Der Junge lächelte müde. Dann übermannte ihn wieder die Ohnmacht.

Als John Corby seinen Sohn aufhob, kamen drüben aus der neuen Scheune zwei Cowboys. Auch aus der Schmiede und dem Geräteschuppen kamen jetzt Männer heran.

Ein untersetzter rothaariger Bursche mit breiten Schultern und dem Brustkasten eines Preisboxers blickte in das wächserne Gesicht Mats.

»Was ist mit ihm, Boß?« fragte er heiser.

Corby blickte seinen Vormann nicht an.

»Er ist verwundet«, sagte er dumpf. »Die Kugel sitzt in seiner Brust.«

Jim Cahoun, der Vormann, warf seinen fast halslosen, kantigen Schädel herum und krächzte: »Wo ist Speedy?«

»Im Corral!« rief ein knochiger langer Bursche, dessen Gesicht so eingefallen war wie ein Totenkopf.

»Hol ihn sofort her, Toby!«

Der Knochenmann schlenderte davon.

»Tempo!« brüllte der Vormann hinter ihm her.

Da warf der Cowboy seine ellenlangen Glieder durch die Gegend, wirbelte die Arme wie Windmühlenflügel und war bald hinter der Ecke des Stalles verschwunden.

Hoch aufgerichtet schritt der Rancher auf das Wohnhaus zu. Das Gewicht des Verwundeten schien ihn in keiner Weise zu belasten.

Keiner der Cowboys wagte, dem Boß seine Hilfe anzubieten.

Alma Corby hatte am Herd gestanden, als die Männer in die große Stube traten. Ihr hageres, faltiges Gesicht schien unter der Bräune zu erblassen, als sie sah, wen ihr Mann da hereinbrachte.

Corby legte den Verwundeten auf das Sofa.

Dann standen sie stumm und tatenlos da und blickten auf den reglosen Körper Mats.

»Tut doch etwas!« schrie die Frau plötzlich.

Ihr Schrei drang den Männern bis ins Mark. Langsam wichen sie bis zur Tür zurück.

»John!« rief die Frau, »er verblutet!«

Das Ledergesicht des Ranchers blieb unbewegt. Ein Geräusch im Flur ließ die Männer aufblicken.

Die Tür flog auf. In ihrem Rahmen stand ein flachsblonder Bursche, der eine große Ähnlichkeit mit Mat hatte. Nur schien er einige Jahre jünger zu sein. Er zwängte sich durch die Cowboys und blickte mit entsetzten Augen auf den Bewußtlosen. Dann nahm er den Kopf herum und blickte den Rancher an.

»Ist er tot?« kam es dumpf von seinen Lippen.

John Corby hatte die behaarten Fäuste in die Hüften gestemmt und blickte in die hellen Augen seines jüngsten Sohnes.

»Nein, Joe. Er hat eine Kugel in der Brust.«

Über das frische Gesicht des Jungen flog eine dunkle Röte.

»Wer war es?«

Der Rancher zog die Schultern hoch und ließ sie langsam wieder fallen.

Die Luft im Raum war zum Schneiden. Cahoun trat von einem Fuß auf den anderen. Dann warf er den Kopf zu einem feisten sommersprossigen Burschen herum.

»Jonny, sieh nach, wo Speedy bleibt!«

In diesem Augenblick waren draußen in der Halle Schritte zu hören. Das Totenkopfgesicht Tobys schob sich durch den Türspalt.

»Speedy«, zischte der Vormann. »Wo ist er?«

»Hier, er kommt gleich.« Toby zerrte einen kleinen, tiefäugigen Kerl mit aufgedunsenem stoppelbärtigem Gesicht hinter sich her. Vor dem Vormann ließ er ihn stehen.

Cahoun sah auf den schlotternden und schwankenden Mann. Sein Gesicht verhärtete sich zur Maske des Zorns. Dann sagte er ganz leise mit einer krächzenden, heiseren Stimme: »Speedy!«

Der Cowboy hob den Kopf. Er hatte Mühe, die Lider über seinen wäßrigen Augen hochzuhalten.

»Speedy!« brüllte der Vormann plötzlich unbeherrscht.

Der Betrunkene zuckte wie unter einem Schlag zusammen.

Da packte Cahoun ihn und schleifte ihn hinaus zur Pferdetränke.

Drinnen in der Stube hörte man das unverkennbar klatschende Geräusch eines Körpers, der auf eine Wasserfläche aufschlug.

Drei Minuten später kam Cahoun mit dem triefnassen Cowboy zurück.

Speedys Gesicht war gerötet, und seine Augen konnte er jetzt aufhalten.

»Hier, du verdammter Whiskyschlauch!« herrschte ihn der Vormann an. »Da liegt der Sohn deines Bosses und hat eine Kugel im Leib. Und du elende Eule bist betrunken!«

Da hieb ihm der Vormann seine klobige Faust mitten ins Gesicht.

Speedy taumelte, schüttelte sich wie ein Hund und kam langsam wieder heran.

Cahoun packte ihn am Kragen und schleppte ihn zu dem Verwundeten.

»Da, sieh ihn dir an. Es ist Mat. Er hat eine Kugel im Leib.«

Speedy nickte mit wackelndem Kopf.

Da schüttelte ihn Cahoun wild hin und her.

»Hilf ihm, verdammter Aasgeier!«

Als der Vormann ihn losließ, schwankte Speedy hin und her.

Cahoun stieß einen Fluch aus.

Die Frau sagte hart: »Laß ihn, Jim!«

Aber Joe, Mats Bruder, drängte sich an den Betrunkenen heran.

»Er muß ihm helfen, zum Teufel! Er ist der einzige, der die Kugel rausholen kann.«

Alle starrten den schwankenden Cowboy an.

Der hob den Blick und suchte die Augen des Ranchers.

John Corby wandte sich um und ging zum Schrank. Als er zurückkam, hatte er ein halbgefülltes Glas mit Whisky in der Hand.

Speedy nahm es mit zitternden Händen und trank einen kleinen Schluck. Dann wischte er sich durchs Gesicht und beugte sich über den Verwundeten.

Mats Gesicht war leichenblaß geworden.

Speedy öffnete ihm das Hemd, riß es auseinander.

Das Geräusch, das der Stoff von sich gab, zerrte an den Nerven der Menschen in der Stube.

»Ich muß heißes Wasser haben«, kam Speedys dünne Stimme plötzlich vom Sofa her.

Und dann operierte der angetrunkene Cowboy unter den starren Mienen der Umstehenden. Schon nach dem ersten Versuch wußte Speedy, daß die Kugel höllisch tief saß. Sie hatte zwei Rippen durchschlagen und steckte in der Lunge.

Speedy hob den Kopf und sah mit ängstlichen Augen zu dem Rancher hin.

Niemand sagte etwas.

Zweimal rutschte die Kugel wieder ab.

Es war eine verteufelte Situation.

Speedy schluckte vor Verzweiflung. Der Schweiß rann ihm in breiten Bächen von der Stirn.

Mit zusammengebissenen Zähnen standen die Cowboys da.

Plötzlich drehte sich der kleine dicke Jonny Plynn um.

Das war für die anderen das Signal. Sie wandten sich ebenfalls und gingen zum Fenster hinüber.

Nur der Rancher, Cahoun und die Frau blieben hinter Speedy stehen.

Plötzlich zerriß ein gräßlicher Schrei die Luft.

Cahoun wollte vorspringen, um Speedy zurückzureißen. Aber er kann nicht vorwärts; die schwere Faust des Ranchers hielt ihn zurück.

Und gleich darauf drang das harte kleine Geräusch eines auf die Dielen springenden Metallstückes durch den Raum.

Joe, Mats Bruder, schluckte und wandte sich um. Als er in Mats kalkiges Gesicht sah, hielt er den Atem an.

Speedy reinigte wie im Tran die Wunde, nahm mit tausendfach geübtem Griff die Verbandstücke entgegen, die die Frau ihm hinhielt, richtete sich dann ächzend auf und schüttelte den Kopf, als der Rancher ihm das Whiskyglas hinhielt. Langsam und immer noch taumelnd verließ er die Stube.

*

Drei Tage bangte die ganze Ranch um Mats Leben.

Keiner sprach mit dem anderen.

Speedy hockte den ganzen Tag am Corralgatter, starrte auf seine staubigen Stiefelspitzen und kaute auf einem zernagten Pfeifenstiel herum.

Der Vormann hatte eine Menge Arbeit auf der Weide, aber er blieb auf dem Hof. Toby und der kleine Gregg hatten den Sägebock in den äußersten Winkel der Scheune gestellt. Sie behandelten das schwere Holz, als sei

es aus Glas. Nur ganz langsam und leise sägten sie. Überhaupt wurde jedes laute und harte Geräusch vermieden.

Noch niemals waren auf der rauhen Corby-Ranch die Türen so leise geschlossen worden wie in diesen Tagen. Cahoun hatte die ewig knarrende Stalltür frisch geölt, und der dicke Jonny mußte ständig mit dem Ölkännchen umherlaufen, um etwa quietschende Angeln zu schmieren.

Am Mittag des dritten Tages kam der Rancher oben aus der Tür. Er blieb auf der Veranda stehen und blickte in den Hof.

Cahoun machte vom Brunnen her ein paar Schritte auf die Veranda zu, blieb dann stehen und starrte in John Corbys verschlossenes Gesicht.

Cahoun war stehengeblieben.

Da rannte plötzlich der flachsblonde Joe heran. Unten vor der Verandatreppe blieb er stehen.

»Was ist, Vater?« stieß er mit belegter Stimme hervor.

Die Lippen des Ranchers sprangen auseinander.

»Er ist tot.«

Cahoun senkte den Blick. Joe stand wie erstarrt.

Toby und Gregg hielten mit dem Sägen inne. Sie hatten bis in die Scheune gehört, was der Rancher gesagt hatte.

Auch Bill und Butch im Stall hatten es gehört.

Sogar Speedy schien es vernommen zu haben. Obgleich es doch eigentlich unmöglich war, weil er viel zu weit weg war. Langsam zog er sich am Corralgatter hoch und kam mit seltsam steifen, hölzernen Bewegungen in den Hof.

Jetzt wußten alle, daß er es befürchtet hatte. Niemals war er bisher so still gewesen, wenn er einem der Männer eine Kugel aus dem Leib geholt hatte.

Er blieb bei dem Vormann stehen.

Der warf sich plötzlich herum und stürzte auf ihn los.

»Du verdammter Kerl bist schuld! Wenn du nicht besoffen gewesen wärest, dann…«

»Jim!« Die scharfe Stimme des Ranchers fegte über den Hof.

Der Vormann ließ von dem Cowboy ab. Keuchend stampfte er zum Mannschaftshaus hinüber.

»Jim!« rief der Boß noch einmal.

Cahoun blieb stehen, ohne sich umzuwenden.

»Jim, ich will es hier ganz klar sagen: Speedy kann nichts dafür. Er hat getan, was er tun konnte.«

Cahoun nickte langsam.

»Ich weiß«, murmelte er und ging weiter.

Der dicke Jonny kam hinter ihm her ins Bunkhaus.

Cahoun wirbelte herum und brüllte ihn an: »Was willst du hier?«

Der ganze Hof horchte auf, als der stets sanfte, dicke, gutmütige Jonny plötzlich ebenfalls schrie:

»Ich will hier sitzen, wie du auch. Und Whisky will ich. Damit du es weißt.«

Der Vormann sah ihn erst verdutzt an und stieß dann eine harte, bittere Lache aus. Er nahm aus seinem Schrank eine Flasche, schnipste den Korken davon, trank einen tiefen Schluck und reichte sie Jonny.

Toby, Greg, Bill und Butch kamen auch herein.

Die Flasche war bald halbleer.

Mitten auf dem Hof, im gleißenden Sonnenschein, stand nur noch Speedy.

Cahoun sah ihn durch das Fenster. Er nahm die Flasche und stampfte hinaus. Wortlos reichte er dem Cowboy den Whisky.

Aber Speedy schüttelte den Kopf. Sein Gesicht war grau und eingefallen. Mit staksigen Schritten schleppte er sich zum Corral hinüber, lehnte sich an das Gatter und starrte mit leeren Augen auf die jungen Fohlen, die nichts von seinem Schmerz ahnten und in wilder Lebensfreude umhertollten.

Cahoun blickte ihm nach. Dann schleuderte er die Flasche gegen den Brunnen und ging zum offenen Ranchtor. Da blieb er lange stehen und sah auf die Weide hinaus.

*

Das Leben auf der großen Corby-Ranch mußte weitergehen.

Als Mat drüben hinter dem Wagenhaus auf dem kleinen Ranch-Friedhof unter der Erde lag, sprach niemand mehr von ihm. Über diese traurige Sache mußte erst eine Menge Gras wachsen. Irgend jemand hatte ihn angeschossen, und Mat hatte nicht mehr sagen können, wo und wer es gewesen war.

Aber es gab einen Namen, der unausgesprochen in der Luft lag: Slugger!

An das Weidegebiet der Corby-Ranch grenzte das Burn-Country, das Land der Slugger-Ranch.

Damals, vor dreißig Jahren, als John Corby hierhergekommen war, war Jeff Slugger auch gekommen. Ihr Weideland hatten die beiden abgegrenzt. Nicht durch einen Zaun oder durch sonstige Markierungen – aber jeder der beiden kannte die Grenze genau. Auch die Familienangehörigen wußten genau, wo das eigene Land aufhörte.

Im Herbst 1847 vor drei Jahrzehnten, begannen die ersten Feindseligkeiten zwischen den beiden Familien. Damals ging es um Wasserrechte. Dann waren es abgetriebene Rinderrudel und geflüchtete Pferde. Der Anlaß war immer ein anderer, der Streit blieb der alte.

Blut floß erstmals nach dem Krieg. Als Jeff Slugger unten im Kingshole auf John Corby traf, hatte es eine scharfe Auseinandersetzung gegeben, in deren Verlauf Slugger den Revolver gezogen hatte. Corby war trotzdem schneller gewesen. Er hatte Slugger am rechten Oberarm getroffen. Die Schießerei sollte böse Folgen haben, denn als nach einiger Zeit in der gleichen Gegend die beiden Ranch-Mannschaften aufeinandertrafen, gab es ein böses Gefecht, bei dem vier Cowboys von Slugger und sieben von Corby verwundet wurden. Seitdem hatte es öfter Schießereien gegeben.

Trotzdem, die letzte Feindseligkeit lag schon zwei Jahre zurück, und auf der Corby-Ranch hatte man sich mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß der alte Haß eingeschlafen war.

Aber jetzt, da der junge Mat Corby draußen auf der Weide tödlich verwundet worden war, kroch das Gespenst des Verdachts wieder über die Ranch. Die Sluggers, die elenden Sluggers, sie haben ihn umgebracht. Aber das würden sie bitter bezahlen müssen.

Nein, es sprach niemand aus, aber es stand deutlich auf jeder Stirn geschrieben. Der flachsblonde Joe, der nicht ganz so hart unter dem eisernen Regiment des Vormannes stand, wie die anderen Cowboys, weil er der letzte Sohn des Ranchers war, bestieg sein Pferd und ritt davon. Man hatte tagelang zu reiten, wenn man die Weidegrenze der Corby-Ranch abreiten wollte.

Als Joe nach drei Tagen nicht zurückkam, ging der Vormann ins

Ranchhaus. Er war den ganzen Tag draußen auf der Weide gewesen. Insgesamt hatte er vier Weidereiter nach Joe ausgeschickt, aber sie waren unverrichteter Dinge zurückgekehrt.

Jim Cahoun stand vor seinem Boß. Er hatte seinen durchschwitzten grauen Filz in der Hand, weil die Frau im Raum war.

»Er ist vor drei Tagen weggeritten, der Junge«, sagte er halblaut.

Corby saß am Tisch. Er blickte nicht auf. Eine tiefe, steile Falte hatte sich in seine Stirn gegraben. »Ich weiß.«

Der Vormann knurrte: »Drei Tage ist eine verdammt lange Zeit.«

»Vielleicht reitet er die Weidegrenze ab.«

Cahoun nickte. »Well, dann müßte er spätestens morgen abend wieder zurück sein.«

Aber Joe war auch am übernächsten Abend nicht zurück.

Cahoun traf bei Einbruch der Dunkelheit mit Toby, Jonny, Plynn, Gregg, Bill, Butch und den beiden Calligans auf dem Hof ein.

Speedy hämmerte noch wie wild an den von ihm erneuerten unteren Corralstangen herum.

Der Vormann brachte seinen dampfenden Fuchs neben dem Cowboy zum Stehen.

»Ist er gekommen?«

Speedy hielt mit dem Hämmern inne und schüttelte stumm den Kopf.

Der Vormann blickte über den Corral auf die Weide hinaus.

Der Abend senkte sich sanft nieder, hüllte das Land in einen dunklen Schleier und ließ die harten Geräusche des Tages verstummen.

Cahoun nahm die Zügel auf und führte den Fuchs vor die Veranda.

»Jonny, bring ihn in den Stall!« rief er dem Dicken zu, mit dem ihn seit jenem Mittag, an dem sie im Bunkhaus aneinandergeraten waren, eine Art stummer Freundschaft zu verbinden schien.

Jonny Plynn nickte und führte den Fuchs des Vormannes in den Stall.

Cahoun überquerte sporenklirrend den Vorbau und verschwand im Ranchhaus.

Die Frau stand am Tisch und bereitete das Abendbrot vor.

»Ich muß mit dem Rancher sprechen, Mrs. Corby«, sagte der Cowboy rauh.

»Er hat Speedy ein paar Stunden geholfen und ist dann weggeritten.«

Cahoun nickte und ging hinaus.

Nach dem Essen stand er im Ranchtor und lauschte in die Nacht hinaus.

Jonny Plynn hockte drüben hinter ihm auf einem Felsstein, den der Rancher in jungen Jahren einmal aus irgendeinem Grund auf den Hof geschafft hatte.

Plötzlich nahm Jim den Kopf hoch. »Hast du was gehört?«

Jonny schloß die Augen und lauschte. »Yeah, das ist er«, sagte er bestimmt.

Ja, der Reiter, der sich nach einigen Minuten auf laut schnaubendem Pferd dem Tor näherte, war John Corby.

Er sah die beiden Männer am Tor.

Cahoun stand reglos da.

Der Rancher rutschte müde aus dem Sattel, reichte Jonny die Zügel und sagte: »Wir müssen ihn morgen suchen.«

*

Noch vor Tagesanbruch saßen die Männer im Sattel.

Der Boß ritt mit dem Vormann voran.

Neun Mann von der Corby-Ranch machten sich auf die Suche nach Joe, dem letzten Sohn des Ranchers.

John Corby hatte drei Jungen gehabt. Ric, der älteste, war mit neun Jahren so schwer vom Pferd gestürzt, daß der alte Gregg, der ihn beobachtet hatte, nur noch einen Toten in seinen Sattel heben und auf die Ranch zurückbringen konnte. Es war ein furchtbarer Schlag für den Rancher gewesen. Er hatte ihn über alles geliebt.

Aber da waren ja noch Mat und Joe gewesen.

Mat hatten sie jetzt umgebracht.

Wo war Joe?

Cahoun hatte fast die ganze Mannschaft zusammengetrommelt. Nur vier Cowboys waren noch draußen im Weidecamp.

Und Speedy, der sonst immer auf der Ranch blieb, war mitgekommen. Dafür hatte Jonny auf dem Hof bleiben müssen.

John Corby ritt mit seinen Männern die Grenzen des Landes ab. Am Mittag des zweiten Tages hielt Speedy plötzlich seinen Schimmel an. Er blickte nach links und sprang aus dem Sattel. In großen, skurrilen Sprüngen lief er auf einen Busch zu.

Dann sahen die Männer, die auch ihre Tiere angehalten hatten, daß er niederkniete und etwas unter dem Busch hervorzog.

Das Gesicht des Ranchers wurde grau. Obgleich er es geahnt hatte, die Wirklichkeit erschütterte ihn doch: Speedy Mathews hatte den Körper seines Sohnes Joe unter den tiefhängenden Zweigen des Tecarillabusches hervorgezogen.

Die Männer stiegen ab und umstanden den letzten Sohn des Ranchers. Joe war tot. Links auf seiner weißen Hemdbrust war ein großer roter Fleck.

Minutenlang sprach niemand ein Wort.

Dann blickte Cahoun Speedy an.

»Wie hast du ihn bloß entdeckt?« fragte er bissig.

Es war eine überflüssige Frage, denn erstens war Speedy am weitesten links geritten, den Büschen also am nächsten gewesen, außerdem wußte jeder, daß er die besten Augen hatte, die man sich denken konnte.

Corby kniete neben seinem letzten Sohn nieder. Hart, wie aus grauem Fels gehauen, war sein Gesicht. Nicht eine Träne stand in seinen Augen. Als er sich erhob, klang seine Stimme rauh und hohl.

»Jim, du bringst ihn heim.«

Der Rancher stieg aufs Pferd.

»Soll ich nicht lieber mitkommen, Boß?« fragte Cahoun.

»Ich reite allein. Führe die Leute auf die Ranch!« Corby zog seinen breitrandigen Melbahut tief in die Stirn und nahm die Zügel auf. Er führte das Tier in das Buschland hinein, lenkte es hinüber in das Burn-County, in Jeff Sluggers Land. Bald war er nur noch ein winziger Punkt am Horizont.

Stumm blickten ihm die Männer nach.

Bis Butch Gennan knurrte: »Wo will er hin?«

»In die Hölle!« fuhr Cahoun ihn an. »Los, nehmt den Jungen auf. Wir reiten zurück.«

Schweigend machten sich die Cowboys mit ihrer traurigen Last auf den Heimritt.

*

Corby hatte es von da, wo Joe gelegen hatte, nicht allzu weit zur Slugger-Ranch.

Die Sonne sandte eben ihre letzten Strahlen über den Horizont, als der Reiter die Bauten der Ranch im Westen vor sich auftauchen sah.

Der einäugige Hal Norris ließ das alte Hufeisen fallen, das er gerade oben an dem neugezimmerten Torbalken anbringen wollte, als er den Reiter erkannte.

»Hell and devils! Bin ich denn blind?« entfuhr es ihm.

Vor dem kleinen Garten, der das Wohnhaus umgab, spannte Ernie Brag, ein schlitzäugiger Bursche, gerade die beiden Füchse aus, die ihn und den Rancher aus Wilcox mit dem Wagen hergebracht hatten.

Ernies Unterkiefer fiel herunter, als er den Reiter erkannte, der da neben ihm aus dem Sattel rutschte und seinen schwarzen Hengst mit dem verhaßten Brandzeichen am Querholm festmachte.

Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen starrten auch die drei Lowell-Brothers dem Mann nach, der jetzt den kleinen Garten durchquerte und den Vorbau des Wohnhauses betrat.

Da flog die Haustür auf.

Ein untersetzter grauhaariger Mann mit faltenübersätem Gesicht und kleinen grauen Luchsaugen stand breitbeinig da und starrte dem Ankömmling fassungslos entgegen. Es war Jeff Slugger.

»Corby? Was willst du hier?« preßte er schließlich heiser hervor.

John Corby blieb drei Yards vor seinem Nachbarn stehen und maß ihn

mit einem kühlen, fast verächtlichen Blick.

»Ich habe mit dir zu reden, Slugger.«

»So? Ich wüßte nicht, was wir miteinander zu reden hätten«, knurrte der Graukopf.

Corby nahm seinen Hut ab und wischte sich durchs Schweißband.

»In der vergangenen Woche wurde mein Sohn Mat niedergeschossen. Er kam mit einer Kugel in der Brust in den Hof. Heute mittag haben wir Joe am Rand unserer Weide gefunden. Tot. Es war mein letzter.«

Slugger zog die borstigen Brauen zusammen.

»Was redest du da?«

Da brach es aus dem ewig schweigsamen Hünen heraus. Schmerz, Zorn und Verzweiflung klangen in seinen Worten.

»Sie sind beide ermordet worden! Joe lag im Green-Valley an der Weidegrenze unter einem Busch; er hatte eine Kugel im Herzen! Es war mein letzter Sohn!«

Ein Zittern lief durch den mächtigen Körper des Mannes.

Da öffnete sich hinter Slugger die Tür, und ein dunkelhaariges blauäugiges Mädchen trat auf den Vorbau. Es hatte ein ovalgeschnittenes Gesicht, eine prachtvolle Figur und die gleiche Haltung wie der alte Slugger.

Es war Ireen, die neunzehnjährige Tochter des Viehzüchters Jeff Slugger.

Corby streifte sie mit einem kurzen Blick, stülpte dann seinen großen Hut wieder auf, wandte sich um und wollte zu seinem Pferd.

»Mister Corby!«

Es war die Stimme des Mädchens.

Der Rancher hielt inne und wandte sich langsam um. Finster ruhte sein Blick auf Ireen.

»Was wollen Sie?«

»Ich habe gehört, daß Ihre beiden Söhne tot sind. Wir wußten nichts davon.«

Corby preßte die Lippen zusammen.

»Die beiden hatten keine Feinde, Miß. Das kann ich beschwören.«

»Und weshalb kommen Sie zu uns?« forschte das Mädchen erregt.

»Yeah – weshalb komme ich hierher?« wiederholte Corby düster. Plötzlich warf er den Kopf hoch. Und vor all den Männern rief er: »Ich will es Ihnen sagen, Miß Slugger: Weil wir im ganzen Land nur einen Feind haben, die Familie Slugger.«

Jeff Slugger stieß den Kopf hoch.

»Das ist eine gemeine Verleumdung! Willst du allen Ernstes behaupten, daß ich die beiden habe umbringen lassen? Du mußt wahnsinnig sein…«

»Ich kann nichts beweisen«, unterbrach ihn Corby schroff. »Aber das eine sage ich dir: Wenn ich einmal herausbringen sollte, daß du dahintersteckst, Slugger, dann wäre es jetzt schon besser für dich, wenn du das Land verließest.«

Corby machte kehrt, stieg in den Sattel und ritt davon.

Finsteres Schweigen lastete minutenlang über dem Hof.

Ernie lachte plötzlich hysterisch los.

»Habe ich geträumt oder war der eben wirklich hier?«

»Halt’s Maul!« herrschte ihn der Rancher an.

Ireen beobachtete ihren Vater nachdenklich. »Wo ist Hal?«

»Drüben in der Scheune. Er hat mit Ted Highs und Larry Brown einen neuen Verschlag gebaut.«

»Und Frank?« fragte sie leiser.

»Er ist draußen beim Vorwerk.«

Das Mädchen streifte den Vater mit einem Seitenblick und ging ins Haus.

Der Rancher rieb sich sein stoppeliges Kinn und folgte Ireen dann. In seinem großen Zimmer nahm er eine Brandyflasche aus dem Schrank und goß sich ein halbes Glas voll. Als er eben zum Trinken ansetzte, trat Ireen ein.

»Vater!«

»Ja?«

»Weshalb trinkst du?«

Slugger schleuderte das Glas mit einem Fluch in die Zimmerecke.

»Ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß du mir nicht nachspionieren sollst!«

»Du sollst doch nicht trinken. Doc Harrington hat es ausdrücklich verboten. Wenn Frank einen Schluck trinkt, willst du das Haus einreißen…«

»Frank ist krank.«

»Und du auch.«

»Äh – wenn er trinkt, ist er unberechenbar.«

Ireen wandte sich um und verließ das Zimmer.

*

Polternd, dröhnend, knarrend und ächzend war die staubbedeckte Postkutsche vor dem Gebäude der Wells Fargo Company in Woodward zum Stehen gekommen.

Nur ein einziger Fahrgast war ausgestiegen. Ein hochgewachsener blondhaariger junger Mensch mit hellen Augen und frischem Gesicht. Er trug einen grauen Zylinder mit rotem Band, einen hellgrauen Anzug, der nach der neuesten Mode geschnitten war, und in jeder Hand einen großen Koffer. Als er die Gepäckstücke neben sich abstellte, wirbelte der feine gelbe Staub auf und legte sich auf seine blanken neuen Stiefeletten.

Der Rancher John Corby verließ in diesem Augenblick gerade das Sheriff-Office, wo er den Tod seiner beiden Söhne gemeldet hatte. Als der Rancher an dem geschniegelten Fremden vorbeikam, blieb er einen Moment verblüfft stehen und blickte ihm ins Gesicht. Dann ging er weiter.

Der Fremde nahm seine Koffer auf und rief dann: »Hallo, Mister!«

Corby wandte sich um.

»Mister, wo gibt’s hier was zu essen?«

Corby deutete auf Fellers Saloon. Er selbst wollte auch dahin, um einen Drink zu nehmen, ehe er sich wieder auf den Heimweg machte.

Der Saloon lag im Halbdämmer und war trotz der Mittagszeit schon stark besetzt.

An der Theke standen mehrere Männer in Weidereiterkleidung und ließen die Flasche hin und her gehen.

An einigen grünbezogenen Tischen wurde gepokert.

Das alte Orchestrion hämmerte stur und reichlich unmelodiös den Red River Song.

Corby hatte an dem kleinen Tisch in der Fensterecke bei zwei älteren Männern Platz genommen.

Der Fremde ging auf die Theke zu, stellte seine Koffer ab, machte den Salooner auf sich aufmerksam und bestellte sich ein Steak mit Bohnen und Brot.

Der Wirt musterte den für diese Stadt mehr als auffällig gekleideten Ankömmling grinsend und nickte dann.

»Nehmen Sie einstweilen drüben an dem Ecktisch Platz, Mister.«

Der Fremde wandte sich um, wäre um ein Haar jedoch über den Fuß gestolpert, den ihm einer der Cowboys gestellt hatte. Im letzten Augenblick konnte er den Sturz noch abfangen. Er wandte den Kopf und maß den Weidereiter mit einem verächtlichen Blick.

Der, ein hartgesichtiger rüder Bursche, kläffte ihn an:

»He, Mister, Sie müssen sich verlaufen haben. Der Gouverneur wohnt in Tulsa, wenigstens zur Zeit.«

Der Fremde steuerte auf den ihm angegebenen Platz zu, als ihm plötzlich ein langbeiniger Barhocker in den Rücken flog.

Der Ankömmling setzte die beiden Koffer ab und kam langsam an die Theke zurück.

Der hartgesichtige Cowboy blickte ihm feixend entgegen.

»Na, Mister. Irgendwas nicht in Ordnung?«

Der Fremde blieb stehen.

»Haben Sie mir den Schemel in den Rücken geworfen?«

Der Cowboy blickte seine Kameraden an.

»Habt ihr das gehört, Boys? Dieser Papierkragen-Comanche wagt es, Slim Barrington zu beleidigen.«

Die Männer lachten.

Der Fremde wiederholte seine Frage. »Haben Sie mir den Schemel in den Rücken geworfen?«

Slim grinste breit und fletschte die Zähne.

»Sie haben doch nicht etwa was dagegen, Brother?«

»Waren Sie es?« Die Stimme des Fremden war plötzlich merkwürdig drohend.

»Yeah! Und ich denke, Sie werden gegen diese hierorts übliche Begrüßung nichts haben.«

Barrington schob sich mit einem Ruck von der Theke ab. Seine Daumen hatte er in den Waffengurt eingehakt. Das Grinsen war aus seinem Gesicht gefallen und schien nur noch in seinen Zähnen zu hängen.

Der Fremde blickte ihn von oben bis unten an, warf dann einen Blick auf die anderen Cowboys an der Theke und entgegnete:

»Well, wenn es hierorts so üblich ist, dann will ich nichts dagegen haben. He!« rief er plötzlich, »sehen Sie da!«

Barrington fiel auf den Trick herein und blickte sich nach der Theke um.

Da packte der Fremde blitzschnell einen Hocker und warf ihm ihn ins Kreuz.

Slim Barrington fuhr herum. Sein Gesicht war jetzt blaß vor Zorn. Er schluckte und schob den Unterkiefer vor.

»Du verdammter Skunk! Das wirst du mit büßen. Ich reiße dich auseinander, du pomadisierter Stadtfrack!«

Mit einem wilden Sprung rannte er auf den Fremden los.

Der schob die Linke in der Art der neuen englischen Knöchelfighter vor und stieß Slim mit einem leichten Rammer zurück.

Verblüfft starrte ihn der Cowboy an.

»Sie werden doch nicht etwa etwas dagegen haben, daß ich mich für die hierorts übliche Begrüßung entsprechend bedankt habe?«

Die Männer in der Schenke lachten dröhnend.

Slims blasses Gesicht war auf einmal flammendrot. Er fletschte die Zähne und hechtete vorwärts.

Diesmal riß ihn ein rechter Haken sofort von den Beinen. Der Schlag hatte ihn genau am Kinnwinkel getroffen und lähmte ihn für volle drei Sekunden. Mit weichen Knien erhob er sich wieder. Dann rannte er mit gesenktem Kopf erneut vorwärts.

Die Doublette, die er sich einhandelte, legte ihn auf die schmutzigen Dielen.

Wenn der Fremde nun geglaubt hatte, diese Demonstration eines jedenfalls von seiner Seite erstklassig und fair geführten Boxkampfes würde ihm seine Ruhe bringen und ihm endlich zu dem bestellten Steak verhelfen, hatte er sich geirrt.

Ein vierschrötiger Mann mit verkniffenem Gesicht, eingeschlagener Sattelnase und brutal vorgeschobenem Kinn warf den Kopf hoch und bellte:

»He, Stutzer, was fällt dir ein, meinen kleinen Bruder zu schlagen?«

Im Schankraum herrschte Grabesstille. Die Leute kannten den Mann genau, der sich jetzt da gegen den Fremden stellte. Es war Ed O’Keefe, der schlimmste Schläger, den man in Woodward und Umgebung kannte.

O’Keefe grinste nicht. Er hatte das ausdruckslose Gesicht eines Untermenschen. Ohne weitere Worte stürzte er dem Fremden mit angewinkelten Armen entgegen. Ein linker Rammstoß konnte ihn nur schwach aufhalten. Dafür flogen die schweren Fäuste O’Keefes schon vorwärts.

Mit der Geschicklichkeit des geübten Boxers parierte der Fremde die ersten Schläge.

Dann krachte ein gewaltiger Haken des Cowboys durch die Deckung und traf den Fremden am Hals. Er torkelte zwei Schritte zurück, steppte zur Seite und warf dem nachsetzenden blindwütigen Schläger einen kurzen, trockenen Rechtshänder entgegen, der genau die Kinnspitze O’Keefes traf. Es war ein Schlag wie aus dem Bilderbuch gewesen.

Der Fremde spürte einen siedendheißen Schmerz durch seine Faust zucken und wußte, daß er jetzt geliefert war, er hatte sich die Knöchel am Kinn des anderen zerschlagen.

O’Keefe stand da und starrte ihn aus blutunterlaufenen Augen an.

Und dann geschah etwas, was einen Schrei aus vierzig Kehlen riß: Eddie Jonathan O’Keefe brach genau da, wo er stand, in sich zusammen wie eine Gliederpuppe und blieb still am Boden liegen.

Der Fremde sah auf ihn nieder. Auch er vermochte es nicht zu fassen. Damned, er mußte haargenau getroffen haben. Aber nach diesem Schlag traf ihn selbst die Gewißheit, daß er nicht mehr viel mit der rechten Hand ausrichten konnte.

Wenn er sich nun eingebildet hatte, daß der Fight überstanden war, sah er sich schmählich getäuscht.

Von der Theke rannten jetzt drei Männer mit wilden Wutschreien heran.

Der Fremde stieß den ersten mit einem schnellen linken Rammer zurück und sah dann zu seiner Verwunderung, wie die beiden anderen Angreifer aus ihrer ursprünglichen Marschrichtung zur Seite geschleudert wurden.

Ein hochgewachsener dunkelhaariger Mann mit tiefbraunem, ernstem Gesicht hatte seinen Platz an der Stirnseite verlassen und die beiden Cowboys zur Seite gestoßen.

Der ›Stutzer‹ blickte auf und sah seinen Helfer fragend an. Es war ein Mann im einfachen schwarzen Tuchanzug, mit weißem Hemd und schwarzer Samtschleife. Er hatte den schwarzen Stetson tief in die Stirn gezogen.

Die drei Cowboys drehten den Spieß um und stürmten jetzt auf den neuen Gegner los. Aber da waren sie an die falsche Adresse gekommen. Zwei knallharte, gedankenschnell geschlagene Haken schleuderten sie gegen die Theke.

Der ›Stutzer‹ pfiff leise durch die Zähne.

»Well, das wurde höchste Zeit! Diese Gentlemen hätten mir die Luft ausgeblasen.«

Da sprangen an einem der Pokertische vier Männer auf und kamen mit finster drohenden Mienen heran.

»Falls Sie die Absicht haben, diesen etwas einseitigen Spaß noch zu verlängern«, sagte der Mann im schwarzen Anzug rauh, »möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich diesmal mitmischen werde.«

Die Pokerspieler trugen Weidekleidung und schienen zu O’ Keefe, Barrington und den anderen zu gehören.

»He, William«, röhrte ein grobknochiger Bursche mit langem Pferdegesicht, »wir werden die beiden Gents auseinandernehmen müssen!«

Der Mann im schwarzen Anzug hob die linke Hand.

»Dieser Mann kann rechts nicht mehr schlagen. Das habt ihr genau gesehen. Wenn ihr trotzdem glaubt, mit vier Mann hoch antreten zu müssen, so habe ich nichts mehr dagegen.«

Die Cowboys blickten einander fragend an.

Da jumpte das Pferdegesicht Jeff Oswell über einen umgestürzten Hocker heran.

Der Mann im schwarzen Anzug ließ den Cowboy passieren und hieb ihm dann blitzschnell die Linke als Handkantenschlag ins Genick.

Oswell klatschte wie leblos auf die Bretter.

»Der Nächste bitte«, sagte der Schwarzgekleidete schneidend, seine tiefblauen Augen sprühten Eiseskälte aus.

Es gab keinen Nächsten mehr.

Drüben rappelte sich jetzt O’Keefe hoch. Auch Slim Barrington und die anderen kamen schnell wieder zu sich.

Nur Jeff Oswell brauchte länger.

John Corby, der schon aufgestanden war, um in den ungleichen Kampf einzugreifen, als die drei von der Theke auf den ›Stutzer‹ eindringen wollten, hatte interessiert zugesehen, wie der dunkelgekleidete Fremde eingriff. Jetzt setzte er sich wieder.

Der Mann im grauen St. Louis-Anzug betrachtete stirnrunzelnd seine Hand, reichte dann seinem Helfer die Linke hin und meinte lachend:

»Well, das war eine reife Leistung von Ihnen, Mister. Mein Name ist übrigens Kid Corby.«

Der andere nahm die Hand und drückte sie. »Mein Name…«

»Corby?« kam da eine röhrende Stimme aus der hintersten Schankraumecke. »Kid Corby?«

Der Rancher stürmte heran, blieb vor Kid stehen, preßte seine gewaltigen Pranken um dessen Oberarme und prustete ergriffen:

»Kid Corby heißt du? Junge…, das kann doch nicht wahr sein. Du bist Kid Corby, Rics Sohn?«

»Sie kennen meinen Vater?«

»Kennen? Er ist mein Bruder. Du kommst aus St. Louis…«

»Ja, ich wollte… Aber wenn Sie…, wenn du Onkel John bist…«

»Darauf kannst du dich verlassen, Junge.« In den Augen des Ranchers standen Tränen. »Hell and devils. Du bist also Kid.« Er schüttelte den Kopf. »Rics Junge…«

»Ich wollte euch auf der Ranch besuchen.«

Corby zog seinen Neffen an die Theke.

»Komm, Junge, darauf müssen wir trinken. Kommen Sie auch gleich mit, Mister!« forderte er den Fremden auf, der Kid beigestanden hatte.

»Danke«, lehnte der ab. »Ich wollte gerade gehen.«

»Vielen Dank, Mister. Ich hätte Sie gern zu einem Drink eingeladen.«

»Nicht nötig.«

Der Mann tippte an den breiten Rand seines Hutes, warf ein kleines Geldstück auf das Thekenblech und verließ den Schankraum.

Kid blickte hinter ihm her. »Wer war das?«

»Keine Ahnung.«

»Ein prächtiger Bursche. Hast du die Schläge gesehen?«

Der Rancher musterte seinen Neffen wohlgefällig.

»Nun, was du hier ausgeteilt hast, war auch nicht gerade von Pappe.«

Kid winkte ab. »Neben uns wohnt ein Engländer. Von ihm habe ich boxen gelernt. Aber was der Mann da eben losgelassen hat, Teufel, das waren Schläge wie Huftritte.«

»Aber was willst du denn, Kid? Du hast O’Keefe gestoppt. Mit einem einzigen Schlag; das vergißt hier niemand.«

Kid lachte jungenhaft. »Das war ein Sonntagsschlag, Onkel. Ich habe mir an seinem Kinn die Knöchel zerschlagen. Ohne den Fremden wäre die Geschichte vielleicht übel ausgegangen.«

»Yeah, es war anständig von ihm. Aber ich hatte mich auch schon in Marsch gesetzt. Und wie du siehst, sind meine Fäuste auch nicht zu verachten.«

Kid betrachtete die riesigen Hände seines Onkels. Nein, sie waren gewiß nicht zu verachten. In ihnen steckte sicher eine Menge Kraft. Aber verstand der Rancher diese Kraft auch in einen genauen Schlag zu bringen? Das war es ja, was Mister Neels, der Engländer, ihm gesagt hatte. Die Kraft ist nicht entscheidend.

Die beiden stießen mit einem roten Brandy an, und als der Rancher sich eine lange Virginia angezündet hatte, fragte Kid:

»Wie geht es Mat und Joe?«

Ein Schatten huschte über John Corbys Gesicht. Er nahm die Zigarre aus dem Mund und wischte sich durch die Augen. Dann nahm er einen Schluck aus dem Brandy-Glas, stützte sich schwer auf die Theke und sagte an Kid vorbei:

»Sie sind beide tot.«

Kid Corby riß die Augen auf.

»Tot? Aber Tante Alma hat uns noch im vergangenen Monat geschrieben…«

Jetzt erzählte der Rancher mit bitteren Worten, was geschehen war.

Kid blickte düster vor sich hin.

»Und? Was willst du tun?« fragte er endlich.

Corby zog die breiten Schultern hoch.

»Was soll ich tun, Kid? Ich bin ein alter Mann. Meine Söhne sind tot. Ich kann sie nicht wieder lebendig machen.«

»Aber die Sluggers, sie sind doch eure Feinde?«

»Feinde?« Der Rancher schob die Virginia wieder zwischen seine Zähne. »Ihr Land grenzt seit dreißig Jahren an meine Weide, und es hat immer irgendwelche Streitereien zwischen uns gegeben. Sicher, es wurde auch geschossen. Aber Tote hat’s nie gegeben.«

»Dann könnte es also auch ein Fremder gewesen sein.«

»Ja, das ist natürlich möglich. Aber weder Mat noch Joe waren mit irgendeinem anderen Menschen außer den Sluggers verfeindet. Deshalb liegt es natürlich nahe, daß sie irgendwie mit den Sluggers zusammengeraten sind.«

»Und als du bei ihnen auf der Ranch warst, leugnete es der Alte ab?«

»Yeah, laut und polternd! Ich kenne ihn eigentlich ziemlich genau, und ich muß sagen, er machte ganz den Eindruck, als ob er wirklich gekränkt wäre.«

»Das kann Verstellung sein.«

Corby hob wieder die breiten Schultern hoch und ließ sie resigniert fallen.

»Ich weiß es nicht. Jedenfalls sind die Jungens tot; es waren prächtige Burschen, alle beide. Du hast große Ähnlichkeit mit Joe.« Der Rancher nahm sein rot-weiß-kariertes Taschentuch hervor und schnäuzte sich geräuschvoll.

Kid war völlig geschlagen. Wenn er auch die Verwandten in Oklahoma der großen Entfernung wegen nie hatte besuchen können, so war er doch mit ihnen durch einen ziemlich regelmäßigen Briefwechsel in ständiger Verbindung gewesen. Und nun sollten Mat und Joe tot sein. Er konnte es einfach nicht begreifen.

Am liebsten wäre Kid mit der nächsten Post zurückgefahren.

Aber der Rancher riß ihn aus seinen trüben Betrachtungen heraus. Er warf ein Geldstück auf die Theke, nahm Kid am Arm und meinte:

»Komm, wir wollen fahren. Wir haben einen weiten Weg…«

*

Spät in der Nacht erreichte der

Highlander John Corby die Ranch.

Alma hatte auf ihren Mann gewartet. Mit tränenerfüllten Augen begrüßte sie den Neffen. Auch sie war von seiner Ähnlichkeit mit Joe tief betroffen.

Corby sah seine Frau an. Und in ihren Augen las er die Antwort auf seine Frage. Ja, wenn Kid hierbleiben möchte, dann wollten sie ihn gern anstelle eines Sohnes aufnehmen.

Aber Kid wollte nicht bleiben.

Allerdings hatte ihn auch niemand gefragt.