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INHALT

Schönen juten Tach auch!

KAPITEL 1
Zwischen Glück und Trauer: meine Kindheit in der Platte
KAPITEL 2
Vom Schulhof zum Set: wie ich beim Film landete
KAPITEL 3
Das Beste aus zwei Welten: meine verrückte Jugend als Schauspieler
KAPITEL 4
Das Glück braucht mehrere Anläufe: meine Zeit als Zivi und Callcenteragent
KAPITEL 5
Gute Zeiten, schlechte Zeiten: die beste Entscheidung meines Lebens
KAPITEL 6
Mein Leben als Serienstar: wie es sich anfühlt, berühmt zu sein
KAPITEL 7
Glück in Serie: was mir GZSZ bedeutet
KAPITEL 8
Sag niemals nie: meine Ausflüge ins Showbusiness
KAPITEL 9
Hinter den Kulissen: wie wir bei GZSZ arbeiten
KAPITEL 10
Nie wieder Schwergewicht: was mich zum Umdenken brachte
KAPITEL 11
Genuss geht auch gesund: so stellte ich meine Ernährung um
KAPITEL 12
Kenn dein Limit: wie ich lernte, maßvoll zu leben
KAPITEL 13
Weniger ist mehr: warum ich mein Leben aufräumen wollte
KAPITEL 14
Der Schlüssel zum Glück: was ich zum Thema Selbstliebe lernte
KAPITEL 15
Rückschläge gehören dazu: so schaffte ich es, 30 Kilo abzunehmen
KAPITEL 16
Tommy und die Liebe: wie ich mir meine Traumfrau vorstelle
KAPITEL 17
Rein in die Turnschuhe: wie Sport zu einem wichtigen Teil meines Lebens wurde
KAPITEL 18
Ein besserer Mensch werden: meine Suche nach dem inneren Gleichgewicht
KAPITEL 19
Endlich kein XXL mehr: Mode ist jetzt voll mein Ding
KAPITEL 20
Offen für neue Abenteuer: mein Blick in die Zukunft
KAPITEL 21
Gönn dir dein Glück: mein roter Faden durchs Leben

Danksagung

Schönen juten Tach auch!

Warum schreibt der Kerl eigentlich ein Buch? Leute, das ist eine richtig gute Frage! Und falls du sie dir auch schon gestellt hast: Willkommen im Klub. Ich habe mich das natürlich oft gefragt. Und bin irgendwann zu dem Schluss gekommen, dass ich eigentlich schon verdammt viel zu erzählen habe. Und gern meinen Senf dazugebe. Vor allem natürlich zu gesunder Ernährung, einem glücklichen Leben und meiner allgemeinen Fabelhaftigkeit. Haha, kleiner Scherz. Vielleicht hat der ein oder andere schon gehört, dass ich in den letzten Jahren dreißig Kilo abgenommen habe. Das hat auf den ersten Blick äußerlich einen neuen Menschen aus mir gemacht. Aber da ist noch viel mehr passiert. Ich beschreibe diesen Wandel immer gern am Beispiel einer überreifen Avocado. Meine Hülle habe ich im ersten Schritt wieder widerstandsfähig und kräftig gemacht. Aber das Innere war anfangs immer noch überreif und muffig. Das Innere und das Äußere sind aber unmittelbar miteinander verbunden. Wenn die Hülle sich also verändert, zieht dein Wesen automatisch nach. Ob du es willst oder nicht. Das konnte nur gut für mich sein.

Also, noch mal von vorn: Schönen juten Tach auch! Und willkommen bei der Lektüre meiner Lebensgeschichte. Ich freue mich und fühle mich geehrt, dass du dir die Zeit nimmst, das hier zu lesen. Denn es gibt viel zu besprechen. Ich habe vor, dich auf eine kleine Reise durch mein Leben mitzunehmen. Und so viel kann ich dir schon jetzt versprechen: Wenn du mein Buch gelesen hast, wirst du auf einmal viel Spaß daran haben, dich besser zu ernähren. Dich mehr zu bewegen. Und dich und dein Leben mehr zu lieben. Ohne Mist! Man sagt mir nach, ich hätte diesen Effekt. Und das ist eigentlich auch der Grund, warum ich nicht hinterm Berg halten will mit den positiven Dingen, die mir in den letzten Monaten passiert sind: Ich will, dass sie auch dir passieren. Dass du bald sagen kannst: Mein Leben ist schwer in Ordnung!

Ich bin durch viele kleine und auch größere Geschichten zu dem geworden, der ich heute bin. Ich habe nicht mit mehr oder weniger Selbstzweifeln, Hürden und Problemen zu kämpfen als jeder andere auch. Ich liebe, lache, weine und trauere wie alle anderen Menschen. Ehrlich, ich bin eigentlich alles andere als außergewöhnlich. Und das ist auch gut so. Aber: Ich habe das schlimmste Leid schon mit zwölf Jahren erfahren. Aber auch das größte Glück, weshalb ich trotzdem ein positiver Mensch geblieben bin. Wie Oliver Twist wollte ich immer durchs Leben tanzen. Und irgendwie ist mir das auch geglückt. Überhaupt, das Glück, mein roter Faden. Wenn ich das nicht gehabt hätte, würdest du mich nicht jeden Abend im Fernsehen sehen. Auch darüber gibt es viel zu erzählen.

Bisher habe ich in der Öffentlichkeit kaum etwas über mein Privatleben preisgegeben. Ich dachte, mein Lebensweg geht eigentlich niemanden etwas an. Doch seitdem ich so stark abgenommen habe, bekomme ich immer mehr Post von Menschen, die wissen wollen, wie ich das geschafft habe. Und die gern Tipps von mir bekommen würden. Also nicht nur konkrete Rezeptvorschläge (die gibt’s ja in jedem guten Kochbuch), sondern Ratschläge, wie man die mentale Stärke findet, das durchzuziehen. Wie geht man mit Rückschlägen um? Wie motiviert man sich für Sport? Wie schafft man es, seinen Körper wie einen guten Freund zu behandeln? Ich weiß es jetzt – und werde es dir verraten.

Aber du wirst noch mehr erfahren: Warum sieht dieser Typ eigentlich so hammermäßig gut aus? Steht er auf Männer oder auf Frauen? Welcher Irre lässt diesen Mann ins Fernsehen? Wie findet er seine Rolle bei Gute Zeiten, schlechte Zeiten? Und: Was hat es eigentlich mit Max »Tuner« Krüger zu tun, dass dieser Thomas Drechsel so viel abgenommen hat?

All das möchte ich dir erzählen. Aus meiner Sicht, mit meinen Worten und mit ganz viel Leichtigkeit. Viel Spaß bei allen Geschichten und Anekdoten. Sie sind einfach mein Leben und bedeuten mir alles.

KAPITEL 3

Das Beste aus zwei Welten: meine verrückte Jugend als Schauspieler

Dem knuddeligen kleinen Jungen, den man gern in die Wangen kneift, wurden nie Grenzen gesetzt. Meine Eltern haben mir beigebracht, zu mir zu stehen. Es gab kein »Du kannst das nicht« oder »Mach das nicht«, es war vielmehr »O Gott, der kann nicht von mir sein« oder »Der Junge schon wieder« – vor allem wenn ich Dinge tat, bei denen sich meine Eltern ein wenig für mich fremdschämen mussten. Zum Beispiel, wenn ich am Imbiss vor versammelter Kundschaft den Clown gegeben habe (meine Mutter hat übrigens auch mal in einem Imbiss gearbeitet, wo ich dann immer kassieren durfte – natürlich unter Aufsicht des Chefs). Meine Eltern haben alles mit sehr viel Humor und Ironie genommen, was mich offen und glücklich aufwachsen ließ. Ich hatte immer die großartigsten Kostüme beim Fasching, ging zum Beispiel als Hase mit einer großen Möhre oder als siebter Zwerg. Einmal trat ich als Schlumpf in der Mini-Playback-Show der Grundschule auf und gab Das Lied der Schlümpfe von Vader Abraham zum Besten. Ganz groß! Mein wohl größtes Geheimnis ist, dass ich mich mit sieben Jahren als Frau verkleidet habe. Meine Mutter meinte nur: »Lass den Jungen doch machen, ist doch seine Sache.« Diese wunderbare Anekdote holt sie gern in Situationen heraus, wenn es richtig peinlich für mich werden soll, haha. Aber warum soll mir das eigentlich peinlich sein? Als Mann hat man eben auch eine weibliche Seite, wie Frauen auch eine männliche haben. Denkt mal drüber nach, Leute.

Und da meine Eltern mich alles ausprobieren ließen, was ich wollte, und mich immer bestärkten, kam es, dass ich in der Grundschule in einer Tanzgruppe war, verschiedene Aufführungen als »Schauspieler« und auch »Moderator« mitmachte und mich eigentlich überall auf die Bühne stellte, wo man mich brauchte. Und wie sehr man mich brauchen würde, war mir damals noch gar nicht klar.

Wie ihr bereits wisst, komme ich aus einem total bodenständigen Elternhaus. Wir hatten nie wirklich Geld. Aber als am Set von Sumo Bruno alle mit einem Handy rumgelaufen sind – das war ja Ende der Neunzigerjahre, da waren die Dinger gerade dabei, sich auszubreiten –, wollte ich natürlich auch unbedingt eins haben. Logo! Das erste Prepaidhandy, das es damals gab, hat über zweihundert Mark gekostet. Es wird jetzt keinen überraschen, dass meine Mutter mir tatsächlich eins gekauft hat. Diese Frau ist grooooßartig! Ganz ehrlich! Zwar war ich immer glücklich mit dem, was ich hatte, aber wenn ich etwas Größeres zum Geburtstag oder zu Weihnachten haben wollte, wie zum Beispiel eine megageile Überknaller-Lego-Burg, hat sie immer versucht, mir das auch zu ermöglichen.

Nach Sumo Bruno – also mit zwölf Jahren – hatte ich dann mein eigenes Geld zur Verfügung. Als mir meine Gage überwiesen wurde, konnte ich mir selbst kaufen, was ich wollte. So habe ich meiner Mutter nicht mehr groß auf der Tasche gelegen – was sich richtig und gut angefühlt hat. Leute, ihr wisst, was ich meine. Eure Mütter haben euch früher bestimmt auch die Klamotten rausgelegt, und ihr habt sie getragen. Beziehungsweise ihr musstet auch das tragen, was sie für euch gekauft haben. Und ich muss sagen, dass es meistens wirklich nicht schön war. Ich hatte Wollstrumpfhosen, die Hölle meiner Kindheit. Oder wunderschöne knallige Tanktops. Und glaubt mir, die sehen an einem klein geratenen, dicken Jungen einfach nicht aus. Klar kaufte ich mir dann Klamotten, die ich mochte. Die haben meiner Mutter dann natürlich nicht gepasst. Aber Streit hätte es bei uns zu Hause deshalb nicht gegeben. Nur einmal durfte ich ein T-Shirt nicht haben, darauf stand der Spruch »Lieber einmal mit Schneewittchen als siebenmal mit den Zwergen«. Megawitzig, oder? Fand meine Mutter nicht. Ich habe mega abgekotzt. Sie hat mir dann ein anderes gekauft, auf dem »Wo ich bin, herrscht Chaos« stand. Menno, ey! Egal, wenn ich jetzt zurückblicke, finde ich meine Klamotten von damals auch schrecklich, aber so ist das eben. Die Neunziger! Viel zu große Hemden mit Hip-Hop-Schriften. Nennt man die Tags?! Dazu Hosen, die in den Kniekehlen hängen. Wer schaut nicht auf alte Fotos und bekommt Ausschlag? Aber hey, zu einem Arschgeweih oder Brustwarzenpiercing ist es nie gekommen. Glück gehabt! Und heute kann ich meiner Mutter viel zurückgeben. Ich habe ihr zum Beispiel ein neues Sofa gekauft, und ich ziehe auch gern zum Shoppen mit ihr los. Ehrensache, dann geht auch mal eine schicke Winterjacke auf mich, die sie sich sonst vielleicht nicht aussuchen würde.

Sumo Bruno war also abgedreht, und mein Leben normalisierte sich wieder. Ich besuchte regelmäßig die Schule, spielte nachmittags Nintendo oder hing mit meinen Homies ab. Erst mal deutete nichts darauf hin, dass sich in so jungen Jahren tatsächlich entscheiden sollte, welchen Beruf ich einmal ausüben werde. Aber dann sollte es doch keine einmalige Sache gewesen sein mit mir und der Kamera. Denn der kleine Tommy wurde tatsächlich gefragt, ob er Lust hätte, in eine Schauspielagentur aufgenommen zu werden und das öfters zu machen. Und! Wie! Ich! Wollte! Ich bekam also eine Agentin (!) – und von der immer mal wieder ein Fax (großartig: Fax!!!) zugeschickt mit einem Castingtermin. Auf dem stand dann, wo ich wann zu erscheinen habe und welche Rolle ich bis dahin auswendig auf dem Kasten haben sollte. Ich bin zu den Castings natürlich immer hingegangen – und zwar mit einer Riesenentspanntheit. Nach dem Motto: Wenn du die Rolle bekommst: mega! Wenn nicht, hängst du eben mit deinen Freunden ab. Variante a) und b) waren für mich als 13- oder 14-Jährigen beide vollkommen okay. Das alles war wie ein großes Spiel für mich.

Und dann kam die Anfrage für meinen zweiten Kinofilm, Das Jahr der ersten Küsse. Ich war 14 Jahre alt, in der neunten Klasse, sollte die dritte Hauptrolle spielen. Na, immer doch! Das Casting habe ich dann auch gut bestritten und – YES! – die Rolle bekommen. Äh, aber dann wurde mir gesagt, dass der Dreh in Köln stattfinden wird! Mist. Und zwar drei Monate lang. Ich war ja in der siebten Klasse schon 26 Drehtage weg gewesen und zwischendurch immer mal wieder für vier oder fünf Tage. Ich also wieder zum Schulleiter marschiert. Drei Monate weg. Köln. Sagt der Schulleiter: »Wenn ich dich nicht gehen lasse, kriege ich Ärger von meiner Frau.« Hammer, ey! Seine Frau war ja meine Grundschulklassenleiterin und hat mich schon vorher darin unterstützt, meine Rampensauattitüden auf der Bühne in Grundschulaufführungen in Szene zu setzen. Und sie hat dann, nachdem ich in der sechsten Klasse gecastet wurde, auch dafür gesorgt, dass ich auf der Schule ihres Mannes keine Probleme bekam und diesen Weg weitergehen konnte. Wie immer hat mir das Glück den Weg geebnet (und auch diesmal ein wenig Vitamin B und eine großartige Unterstützerin). Das muss ich mir immer wieder klarmachen, dass alles zu mir kam. Klar wollte ich die Rollen kriegen. Aber ich habe eigeninitiativ nichts dafür getan, sondern bin lediglich zu Castings gegangen, wenn ich zu ihnen eingeladen wurde. That’s it. Keine Filmpartys, wo man wichtigen Leuten die Hände schüttelt und sich für das nächste Engagement empfiehlt. Keine Auftritte auf dem roten Teppich. Nix Berlinale, Filmfeste, Kinopremieren. Das alles war nie mein Ding – und ist es immer noch nicht. Was sollte ich da auch als kleiner Steppke? Noch heute verbringe ich die Zeit abends lieber zu Hause mit einem guten Buch und mache etwas wirklich Erfüllendes. Rotwein trinken oder so.

Das Jahr der ersten Küsse ist von den Filmen, in denen ich mitspielen durfte, wohl einer meiner Lieblingsfilme. Ich hatte eine wirklich tolle Rolle. Ich spielte einen 14-jährigen Jungen, der seine große Liebe findet. Und zwar nicht in einer heißen, besonders attraktiven Braut, sondern in einer Freundin, die Fehler aufweist, genauso wie er (ja, noch mal zum Mitschreiben, ich war dick). Ich durfte Dicke von Marius Müller-Westernhagen singen, hatte rührende Liebesszenen und spielte mit liebevollen Menschen eine herzzerreißende, witzige Freundschaftsgeschichte. Ich steh auf so einen Scheiß. Davon brauchen wir – ach was, brauche ich – viel mehr. Was uns der Film sagen wollte, war, dass es nicht aufs Äußere ankommt. Wichtiger ist der Mensch in dieser Hülle, die wir sehen. Und ganz ehrlich, alles passiert im richtigen Moment mit der richtigen Person.

Nach drei Monaten am Set von Das Jahr der ersten Küsse kam ich also zurück an die Schule, und die Französischlehrerin meinte zu mir: »Du schreibst die Arbeit jetzt mal mit, und dann schauen wir, wie es läuft. Ansonsten gucken wir, dass wir sie wiederholen.« Ich mir nichts groß dabei gedacht und die Arbeit einfach mitgeschrieben. So schwierig war das gar nicht. Eine Woche später steht die Lehrerin bei der Ausgabe der Arbeiten vor uns und sagt zur Klasse: »Es kann nicht sein, dass ein Schüler, der drei Monate weg war, die beste Zensur der ganzen Klasse schreibt.« Unglaublich! Die meinte mich! Ich war natürlich selbst ziemlich baff! Ich kann zwar heute kein Französisch mehr, aber damals stand ich immer auf Eins oder Zwei. Sprachen sind mir immer leichtgefallen. Die anderen in meiner Klasse dachten bestimmt: »Was für ein Arsch!« Klar, das war irgendwie hart. Für die anderen, aber auch für mich. Ich wollte schließlich nicht der Arsch sein, ist doch klar! Aber hey, ich bin auch nur ein Mensch.

Okay, das klingt jetzt so, als wäre ich eine Art Überflieger in der Schule gewesen. Mitnichten! Ich war auf keinen Fall der Klassenbeste! In Mathe konnten sich meine Noten auf jeden Fall sehen lassen, weil mir das alles immer logisch erschien. Physik und Chemie hingegen haben mich nicht von den Socken gehauen, damit habe ich mich etwas schwergetan. Aber ich habe mich immer irgendwie durchgewurschtelt. Ich glaube, ich konnte durch meine freundliche Art sehr viel wettmachen. Und ich war nie schüchtern: Wenn ich etwas wusste – oder glaubte, etwas zu wissen –, habe ich das auch gesagt. Wenn es dann falsch war, war es auch nicht so schlimm, daraus lernt man ja schließlich nur. Allemal besser, als immer nur still in der Ecke zu sitzen. Ich hocke ja auch hier und schreibe dieses Buch, weil ich einfach gern meinen Senf dazugebe. Und sind wir mal ehrlich: Die meisten Lehrer sind froh, wenn man im Unterricht mitmacht und Interesse zeigt. Zudem habe ich niemals blaugemacht und war kaum krank. Ich schleppe mich doch lieber mit einer Grippe in die Schule, als dass ich das neue Thema in Mathe nicht mitkriege und am Ende allein nacharbeiten muss. Wenn mir das der Lehrer nicht erklärt, bin ich doch total aufgeschmissen!

Wir schreiben inzwischen das Jahr 2004. Bis hierhin lief alles perfekt. Nach der Realschule kam ich in die elfte Klasse aufs Gymnasium in Potsdam. Ich war genau vier Wochen »Gymnasiast«, da rief meine Agentin an: »Thomas, Casting!« Für einen Film über Jugendliche im Nationalsozialismus. Fünfte Hauptrolle. Klang gut, ich also hin und die Rolle bekommen. Drehzeit: wieder drei Monate, diesmal in Prag. Da bist du gerade erst auf eine neue Schule gekommen und weißt genau, dass das jetzt einfach nicht gut ankommen wird, wenn du um eine dreimonatige »Auszeit« bittest. Aber – verdammt! – ich wollte da mitmachen! Mein Herz hat geklopft, als ich zu meinem Schulleiter gegangen bin, um ihm die Sachlage zu erklären.

Ich ihm also erst mal gesteckt, was ich »nebenberuflich« mache, und dann sehr höflich gefragt, ob er mich freistellen könnte. Der Schulleiter hat sich das in Ruhe angehört und dann gesagt: »Das werde ich Ihren Lehrern nicht antun können. Denn sie müssten dann ja alle Klausuren noch einmal neu auflegen – nur für Sie! Das bedeutet also Extraarbeit und mehr Aufwand für jeden einzelnen Lehrer.« Was er eigentlich sagen wollte: Es kann nicht sein, dass ein Schüler ankommt und sagt, er will drei Monate abhauen und sich danach einfach wieder in die Klasse hocken, als wäre nichts gewesen. Ich hatte verstanden: Extrawürste gibt’s hier nicht! Er sagte: »Herr Drechsel, Sie müssen sich entscheiden. Abitur oder Film.« Zum ersten Mal zeigte mir jemand eine Grenze auf. Zum ersten Mal war da jemand nicht für mich. Ich fühlte mich vollkommen unverstanden. Mir stockte der Atem, ich konnte nichts mehr sagen. Meine berühmte Schlagfertigkeit – auf die ich mich immer verlassen konnte – hatte ohne mich den Raum verlassen.

Als dann auch ich das Büro des Schulleiters verlassen hatte, bin ich erst einmal im Schulflur zusammengebrochen. Da bekomme ich diese große Chance, so einen Film zu drehen. Ich dachte nur: O mein Gott, du kannst dich nicht entscheiden! Da kamen die Stimmen aus meinem Elternhaus: Junge, mach deine Schule, mach deine Ausbildung, lern was Ordentliches. Und dann aber auch die anderen Stimmen: Verdammt noch mal, brich die Schule sofort ab und werde Schauspieler! Wofür entscheidet man sich da? Das war zu krass! Ich war doch erst 16!

Ich brauchte einen Rat. Also ging ich zu meinem alten Schulleiter aus der Realschule und fragte ihn, was ich machen soll. »Weißt du was? Es gibt noch eine Gesamtschule in Potsdam, mit dem Leiter kann ich ganz gut, den rufe ich jetzt mal an.« Er nahm den Hörer und erklärte seinem Kumpel die Situation. Und da sagte der Typ am anderen Ende der Leitung wirklich: »Wenn alle Stricke reißen, kommt er eben auf meine Schule und dreht nebenher seine Filme.« Ist das heftig? Es kommt im Leben einfach so stark darauf an, dass du Leute hast, die hinter dir stehen und dir Gutes wollen.

Ich habe dann eine Liste erstellt von allen meinen Lehrern und bin zu jedem einzelnen hingegangen, um die Situation zu schildern. »Ich würde wahnsinnig gern bei dem Dreh dabei sein, aber der Schulleiter hat Bedenken. Ich würde den Stoff auch selbst nachholen und jede einzelne Klausur schreiben. Und wenn ich zurück im Unterricht bin, bin ich mit jeder Zensur einverstanden, die Sie mir geben.« Ich habe von allen Lehrern die Unterschrift bekommen! Von Angesicht zu Angesicht würde einem das wahrscheinlich kaum jemand verwehren. Insofern war meine Taktik recht clever, wenn ich mich da mal selbst loben darf. Schlussendlich habe ich dem Schulleiter die Liste vorgelegt, und er hat tatsächlich eingewilligt. Das hieß: Tommy, du gehst nach Prag!

Bei Napola haben großartige Schauspieler wie Tom Schilling und Justus von Dohnányi mitgespielt. Ich stand da in dieser Riege und dachte: »Was habe ich hier eigentlich zu suchen?!« Ich war jetzt kein Kinderdarsteller mehr und wurde auch nicht mehr mit Samthandschuhen angefasst. Es war wie ein unwirklicher Traum. Man muss sich mal vorstellen, dass wir eine Szene mit dreihundert Komparsen spielten und alle ausnahmslos Uniformen der Hitlerjugend trugen. Ein beängstigendes Gefühl, wenn man durch die Reihen schaut und alle ein Lied aus der damaligen Zeit singen. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich eine Uniform an und trug dieselbe Frisur wie alle anderen auch. Die Stimmung war ehrfürchtig und ruhig. Wir spielten richtig Drama, Leute! Es wurde also ernst, ich musste richtig arbeiten. Gleichzeitig aber auch für die Schule lernen. Schließlich wollte ich den Lehrern zu Hause beweisen, dass ich das packe.

Glücklicherweise hatte ich viele wunderbare Klassenkameraden, die mir die Mitschriften aus dem Unterricht kopierten und dann per Mail oder Fax rüberschickten. Da suchst du dir natürlich für jedes Fach den Experten raus, haha. Und wenn der oder die dann auch noch eine schöne Schrift hat: Jackpot! Die Hilfsbereitschaft war jedenfalls großartig, ohne meine Klassenkameraden hätte ich den Anschluss definitiv verpasst. Tolle Leute, echt!

Ich würde sagen, dass ich richtig gut durch die Pubertät gekommen bin. Vielleicht deshalb, weil ich mit allen Problemen und Konflikten, die man so hat, spielerisch umgegangen bin. Ich bin ein offener Mensch, habe mich nie zurückgezogen und hatte immer Lust, Sachen zu unternehmen. Und die Liebe? Meine erste Freundin hatte ich erst mit 19 Jahren. Wie das so ist bei vielen Männern: Signale von weiblicher Seite habe ich bis dahin einfach nicht mitbekommen. Ich stand halt immer auf dem Schlauch und tue das auch heute noch oft. Manchmal fasse ich mir selbst an die Birne und kann nicht glauben, was für ein kleiner Trottel ich bin. Und das nicht nur in Sachen Frauen … Aber ohne Spaß, Tommy, und das sagt dir dein 31-jähriges Ich, werde bloß niemals erwachsen, und geh weiter so unbefangen durchs Leben – na, mal sehen, ob er sich dran hält, haha.

Und Freundschaften? Richtige, echte Freunde hat man im Leben wenige, das ist klar. Aber auf dem Schulhof habe ich eigentlich mit jedem rumgehangen. Mir war es wichtig, mit allen klarzukommen und nicht einer bestimmten Gruppe anzugehören. Von der siebten bis zur zehnten Klasse war meine ganze Klasse ein großes Team. Da haben auch die Uncoolen dazugehört, das war ganz selbstverständlich. Insofern wurde ich mit meinem besonderen »Nebenjob« nicht ausgeschlossen, wofür ich noch heute dankbar bin. Ich hatte nie das Gefühl, dass die anderen neidisch waren oder irgendwie darüber lästerten, was ich da machte. Was aber bestimmt auch daran lag, dass es mir fernlag anzugeben. Das hat meine Pubertät wesentlich erleichtert. Hätte man mich wegen der Schauspielerei an der Schule gemobbt, wäre das wirklich riesengroße Scheiße für mich gewesen.

Auch später in der Oberstufe kam ich mit allen prima klar, auch wenn die sich untereinander vielleicht nicht so gut leiden konnten. Ich war bei den Coolen, bei den Nerds, bei den Sportlern. Neben mir im Unterricht saß die gestriegelte Diva – und auch die war nett! Mit ihr konnte ich sarkastische Sprüche von der besten Sorte reißen. Rechts von mir im Deutschleistungskurs saß einer, der gefühlt schon fünftausend Bücher gelesen hatte und durch seine Nerdwitze ein bisschen seltsam rüberkam. Links von mir das Gothicmädchen, bei der ich mich noch dümmer fühlte. Ich sitze also in der Mitte und denke mir: Tommy, du gehörst hier eigentlich gar nicht rein! Aber doch, ich gehöre genau da rein. Heute würde ich alle meine Mitschüler gern umarmen und ihnen danken. Jeder Einzelne von ihnen hat mir einen Teil von sich mitgegeben und mich geprägt. Und witzig war es allemal. Wenn ich mal wieder auf dem Schlauch stand, hieß es nur: »Tommy, ist nicht dein Ernst.« Hihi, doch. Was sollten wir noch mal lernen?

Mit 18 Jahren, das war in der 13. Klasse, durfte ich dann noch einmal für sechs oder sieben Tage fehlen, ich hatte eine Rolle im Film Elementarteilchen ergattert. Es geht darin um zwei Halbbrüder, die getrennt voneinander aufwachsen und sich erst in ihrer Jugend kennenlernen. Bis dahin haben sie sich in völlig verschiedene Richtungen entwickelt. Ich spiele die jüngere Version von Moritz Bleibtreu. Mein Charakter besucht ein Internat und wird da von seinen älteren Mitschülern gemobbt. Einmal holt seine Hippiemutter ihn ab und nimmt ihn mit in ihre Kommune, wo er zum ersten Mal auf seinen Halbbruder trifft. Bei den Dreharbeiten gab es ein schönes Wiedersehen mit Tom Schilling, mit dem ich schon bei Napola gedreht hatte. Und Christian Ulmen habe ich in der Maske kennengelernt. Das war wieder hochkarätiges Kino, und ich habe mich tierisch gefreut, dabei zu sein – und mal wieder erkannt: Das sind alles ganz normale Leute. Meine Szenen waren das ganz und gar nicht – also »normal«. Ich habe ja schon ziemlich viel Unfug in meinem Leben getrieben, aber das! Und dann noch vor der Kamera! Auf dem Balkon masturbieren und dann eine Katze erschlagen? Als 16-Jähriger Verkehr mit einer weitaus älteren Verwandten? Der Mutter unter die Bettdecke schauen? Krass! Ich meine, da stehen vierzig Leute hinter der Kamera. Das war wohl das, was sie mit Schauspiel meinten. Eine Rolle spielen, sich mental in jemand anderen hineinversetzen. Eine große Herausforderung. Angenommen und umgesetzt.

So, und dann ging es auch schon in die Zielgerade Richtung Abi. Wie es sich herausstellte, schaffte ich alles wunderbar. Trotz wiederholten Fehlens. Bähm!

KAPITEL 2

Vom Schulhof zum Set: wie ich beim Film landete

In dieser Geschichte gibt es einen Arsch voller großartiger Zufälle, und in ihr wohnen so wundervolle Menschen, dass sie unbedingt ausführlich erzählt werden muss. Denn so viel Glück kann ein kleiner dicker Junge aus Potsdam eigentlich gar nicht haben. Als ich elf Jahre alt war, sollte sich tatsächlich alles um mich herum und meine ganze berufliche Laufbahn ändern – das ist wirklich ziemlich skurril, irre und gleichzeitig ganz schön surreal. Und wenn ich mich daran erinnere, kann ich mir noch immer nicht wirklich vorstellen, dass das alles so passiert ist. Surreal! Also, der Reihe nach … gut, dass ich mal Klempner werden wollte …

Ich erkannte früh, dass ich eine riesige Klappe habe, es mir Spaß macht, vor Leuten zu reden, und mein »Publikum« mir wohl oder übel, gern oder nicht so gern zuhört oder weghört. Kurz gesagt, die Bühne war schon immer meins. Das fing ganz klein in der Schule an, wenn ich vor meiner Klasse sprechen durfte und merkte, dass ich mit meiner Art andere zum Lachen bringen kann. Was für ein tolles Gefühl! Die Leute sind auf deiner Seite! Dann kamen Theater- und Tanzgruppe – ich habe das alles mit ganz viel Freude mitgenommen. Es war halt einfach mein Ding: mich zur Musik zu bewegen, meinen Körper zu spüren, mich auszudrücken (kein Wunder, dass dieser runde Charmebolzen irgendwann bei Let’s Dance landen musste!). Schließlich kam die Weihnachtsaufführung in der zweiten oder dritten Klasse, die ich moderierte. Auch hier traute ich mich etwas und hatte die Lacher wieder auf meiner Seite. Mir wurde bewusst, dass ich einen guten Humor habe, dass ich die Menschen erreichen kann und das habe, was man Präsenz nennt. Da war ich vielleicht zehn Jahre alt. Meine Mutter hat manchmal so getan, als würde sie sich für mich und meinen Drang, vor Leuten aufzutreten und im Mittelpunkt zu stehen, schämen – aber zum Glück war das ein Spaß. Dann hat sie gesagt: »Der ist nicht meiner, der gehört nicht zu mir!« Das habe ich natürlich nicht wörtlich genommen und konnte drüber lachen – typisch Tommy halt.

Was mir ganz wichtig ist: Ich war wirklich nie der dicke Junge, der schüchtern in der Ecke kauert und sein Pausenbrot mampft – außer für meine Schwimmlehrerin, die mich mit »Na los, du fette Sau« zum fließenden Schwimmen bewegen wollte. Und ich kann es euch so sagen, wie es ist: Es hat mich nicht gestört. Ja, okay, vielleicht lag es daran, dass ich wirklich nicht schwimmen konnte, meine Ohren dadurch unter Wasser waren und ich die kompetente Dame am Beckenrand nicht hörte. Aber auch als ich von diesem Akt der Missgunst meinem künstlerischen Schwimmstil gegenüber von meinen Mitschülern hörte, fühlte ich mich nicht angegriffen. Ich weiß nicht, warum, bis heute kann ich es mir nicht erklären. Die Frau ging mir am Allerwertesten vorbei. Nachdem sich alle, Schüler und Eltern, genug darüber beschwert hatten, sah ich sie nie wieder. So spielt manchmal das Leben. Karma!

Wer lässt sich denn von so was unterkriegen? Ich war der, der mit beiden Beinen mitten auf dem Schulhof stand. Ich hatte tolle Freunde, viel Spaß, ich mochte Bewegung und Sport. Aber eben auch richtig gutes (und auch richtig viel) Essen. Mich haben meine Pfunde nie aufgehalten. Ich war glücklich. Und für mich spielte es überhaupt keine Rolle, dass die anderen Kinder dünner waren als ich. Ich konnte mit meiner Fülle immer sehr gut umgehen. Hin und wieder sprach mich eine Lehrerin an, wenn ich mal wieder einen Schokoriegel in der Hand hatte: »Gibt’s das öfter bei euch zu Hause?« Aber aus dem Konzept gebracht hätte mich das nie und nimmer.

Bei dicken Kindern denkt man ja sofort an Mobbing. Aber ganz ehrlich: In meiner Grundschulklasse gab es so etwas nicht. Wir haben zusammengehalten wie Pech und Schwefel. Und wenn wir im Sport zweihundert Meter laufen mussten, haben mich die anderen sogar noch angefeuert. Auch wenn es meistens trotzdem nur für eine Drei gereicht hat. Na ja gut, wenn Teams gewählt wurden, musste ich besonders lange auf der Bank warten, bis ich aufgerufen wurde. Das hat mich dann schon getroffen. Aber ich wusste ja, dass ich nicht die Sportskanone bin. Und im Sportunterricht geht es nun mal darum, ein Topteam auf die Beine zu stellen. Jedenfalls gab es von meinen Klassenkameraden nie blöde Sprüche zu meiner Körperfülle. Und wenn mich an der Bushaltestelle mal ein fremdes Kind blöd angemacht hat, dann gab es einen blöden Spruch zurück. »Ey, Bohnenstange, kauf dir besser mal einen Snickers!« Schlagfertig war ich schon immer, das ist vielleicht mein großes Glück. Nie um einen dummen Spruch verlegen.

Jedenfalls passierte dann das Wunderbare: Ich besuchte die sechste Klasse der Grundschule – bei uns in Brandenburg kommt man erst ab der siebten Klasse auf die weiterführende Schule –, da kam eine Casterin zu uns an die Schule und fragte herum, ob es einen talentierten korpulenten Jungen gibt. Sie hätte eine Rolle in einem Film zu besetzen. Mein Name wurde ihr ein paarmal genannt – so einfach kann es manchmal im Leben laufen. Der Gedanke liegt jetzt natürlich nahe, dass ich auf eine Schule ging, die irgendwie spezialisiert war auf musische Fächer oder Kids gefördert hätte, die zum Schauspiel wollen. Aber weit gefehlt! Ich war wirklich auf einer ganz normalen staatlichen Schule für ganz normale Potsdamer Kinder. Die Produktion des Kinofilms Sumo Bruno war in Berlin und Umgebung, deshalb klapperte die Casterin auf der Suche nach einem neuen Gesicht einfach ein paar Schulen in der Region ab. Et voilà, da war ich! Ich spielte gerade auf dem Schulhof im Rindenmulch (an dieser Stelle sollte gesagt werden, dass ich nicht mit, sondern im Rindenmulch gespielt habe. Durchaus hatte ich auch Spielsachen!), als sie vor mich trat und mir erklärte, dass es ein Casting für einen Kinofilm gebe. »Kannst du dir vorstellen, daran teilzunehmen?«, fragte sie. Na, was sagt man da als kleiner Junge, die Kauleiste offen und mit großen, ahnungslosen Augen?! »Da muss ich meine Mama fragen!« Aber klar, hier bin ich, mein Name ist Thomas Drechsel, bitte wo soll ich unterschreiben?

Zum Glück hat mir meine Mutter nie etwas verboten. Im Gegenteil: Sie versuchte, mir alle Wünsche zu erfüllen. Also fragte sie unseren Nachbarn Henri, ob er uns zum Casting nach Berlin fahren kann. Wir schrieben das Jahr 1997. Wir machten uns ausgerechnet am Tag der Love Parade auf in die große Stadt. Berlin war komplett dicht, wir kamen mal locker eineinhalb Stunden zu spät zum Casting. Ich – ganz Profi, weil ich mir eh keine Chancen ausrechnete – behielt die Nerven und lieferte! In meiner Szene musste ich sogar heulen, aber das war kein Problem für mich. Den Text hatte ich vorher brav auswendig gelernt, und den Rest versuchte ich, auf mich wirken zu lassen. Am Abend lag ich im Bett und dachte: »Unglaublich, heute warst du bei deinem ersten Casting!«

Ein paar Tage später kam ein Anruf: »Junge, du bist in der engeren Auswahl!« Wie bitte, was?! Das konnte doch nicht wahr sein: Dreihundert Jungs im Alter von zehn bis zwölf Jahren waren beim ersten Casting angetreten. Und ich war im Kreis der letzten sechzig! Die Chance, dass ich die Rolle bekomme, war natürlich nach wie vor ziemlich gering. Aber nach dem zweiten Casting war ich unter den letzten 13 Kandidaten. Man malt sich ja immer alles aus – und auch ich spielte diese Möglichkeit in Gedanken durch: Wie wäre es, wenn das wirklich klappt mit der Rolle?! Das dritte Casting kam. Da traf ich zum ersten Mal auf den Hauptdarsteller Hakan Orbeyi, ein richtig stämmiger Typ. Erst mal dachte ich: Was für ein arroganter Fatzke! Er hatte mich nämlich wie ein richtiger Erwachsener darauf hingewiesen, dass es für unsere Szene angebracht sei, das Kaugummi aus dem Mund zu nehmen. Aber das wollte ich natürlich nicht hören. Das Kaugummi hatte mich nämlich verdammt cool wirken lassen! Aber gut, am Ende hat sich Hakan als verdammt nett herausgestellt. Und er hatte ja auch recht. Das konnte ich in dem Moment natürlich nicht zugeben. Ich also die Heulszene wieder gespielt, diesmal mit dem Hauptdarsteller. Hat wieder geklappt. Ein paar Tage später klingelte in einer Potsdamer Wohnung das Telefon, und ein kleiner Junge rastete vollkommen aus vor Glück: Ich! Hab! Die! Rolle! Es war unglaublich! Ich durfte in einem Kinofilm mitspielen! Dabei war ich doch ein ganz normaler Kerl – und jetzt passierte mir so etwas. Auf solche Wendungen kann einen wirklich keiner vorbereiten. Kann mich mal bitte jemand kneifen?

Es gab aber ein Problem, das die ganze Sache zum Platzen hätte bringen können. Und zwar: Zum Zeitpunkt des Castings war ich noch in der sechsten Klasse, also in der Grundschule. Wenn die Dreharbeiten anfangen sollten, würde ich aber schon in die siebte Klasse gehen, also auf die Realschule. Jetzt bekomm mal als Zwölfjähriger frisch auf der neuen Schule 26 Drehtage frei! Puh, eher unwahrscheinlich. Aber jetzt kommt der Clou: Meine Klassenlehrerin aus der Grundschule war doch tatsächlich mit meinem neuen Schulleiter verheiratet. Sie wusste von meiner Riesenchance und sagte: »Thomas, jetzt hör mir mal zu. Wenn du die Rolle kriegst, muss dir mein Mann freigeben. Sonst kriegt der zu Hause richtig Ärger!« Hallo?! Wie kann man nur so viel Glück haben? Wenn ich daran denke, bekomme ich noch immer Gänsehaut. Man braucht im Leben einfach Menschen, die es gut mit einem meinen. So war es jedenfalls bei mir. Ohne die wäre es nicht gegangen – und ich wäre heute kein Schauspieler.

Das war also geritzt mit den 26 »Urlaubstagen«. Klein Tommy wird morgens von einem Fahrer in einer Limousine zu Hause abgeholt und ans Set gebracht. In eine völlig andere Welt. Für mich ein unglaublich tolles Erlebnis. Denn alle Filmleute waren schrecklich nett zu mir, und ich habe sogar einen Schauspielcoach an die Seite gestellt bekommen. Sie sollte mich auf die einzelnen Szenen vorbereiten und mir helfen, mich am Set zurechtzufinden. Das war ja schließlich meine erste Rolle – und dann gleich eine fette Kinofilmproduktion!