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Heinz G. Konsalik

Die Verdammten der Taiga

Roman

hockebooks

31

Nun war der Tag gekommen. Der Tag, den Putkin nie erleben wollte, den er schon im Voraus verflucht hatte, der eigentlich nicht sein durfte, denn er hatte jeden Abend, allein in seinem Haus, auf der breiten Ofenbank gesessen, eine von Nadeshna auf ein Stück glatter Rinde mit Holzkohle gemalte Ikone vor sich gegen ein Hockerbein gelehnt, und hatte tatsächlich zu Gott gebetet. Leise, als könne man ihn trotzdem noch draußen hören, hatte er gesagt: »Hör einmal zu, Gott! Das ist ein reelles Geschäft: Du lässt mir Nadeshna, und ich werde dich mit aller Inbrunst ansingen, wie es der heuchlerische Kyrill Jegorowitsch Kirsta nicht besser kann.«

Aber Gott war anscheinend nicht zu Geschäften in der Taiga aufgelegt. Er bevorzugte Morotzkij, der am Abend eines schönen warmen Tages sagte: »Morgen früh reiten wir los, Freunde, lasst uns jetzt nicht mehr darüber sprechen. Der Abschied zerreißt mich schon, wenn ich nur daran denke …«

Bevor sie alle sich zum Schlafen niederlegten, fütterte Morotzkij seine Elchkuh Maruta noch einmal, bis sie schier platzte, dann tranken sie die letzte Flasche von Makar Lukanowitschs Wein und eine halbe Flasche von Serikows Wodka und nahmen still, ohne viel Worte und mit keiner Silbe den kommenden Morgen erwähnend, Abschied voneinander. Putkin war nicht dabei… er hatte sich in seinen ›Kreml‹ verkrochen, lief wie ein gefangener Tiger hin und her, riss dann die Ofenklappe auf, warf die Rindenikone in den Kamin und lachte irr, als sie in hellen Flammen aufging und im Nu verglühte.

Morotzkij trank und trank und besoff sich wieder so, dass Andrej und Nadeshna ihn zum Lager schleifen mussten und bis auf Hemd und Unterhose entkleideten. Die Susskaja saß auf der Bank in der ›schönen Ecke‹, die nun kahl war; ohne Ikone oder Kreuz, ohne Strohblumen und Kerzenlicht. Eben eine Zimmerecke wie jede andere. »Er schläft jetzt, unser tapferer Semjon Pawlowitsch«, sagte Katja plötzlich. »Der Abschied nimmt ihn gewaltig mit. Er ist ein guter Mensch. Vergessen wir, dass er ein heimlicher Mörder ist. Was damals geschehen ist … er muss sehr verzweifelt gewesen sein und hat seine Frau geliebt. Morotzkij hat ein gutes Herz. Darüber wollte ich mit dir sprechen, Nadeshna …«

»Ich weiß, dass er ein edler Mensch ist«, sagte Nadeshna bedrückt.

»Und du?«

»Bin ich ein schlechter Mensch, weil ich in einem Land, das die Kirche verbieten will, Bibeln verteile?«

»Wer redet davon!« Die Susskaja winkte ab. »Was soll aus Semjon Pawlowitsch und dir werden? Willst du ihn heiraten?«

»Ja.«

»Aus Liebe? Aus wirklicher großer, reiner Liebe?«

Nadeshna schwieg. Sie blickte starr auf ihre schmalen Hände, die von der ungewohnten monatelangen Arbeit rissig und bis in die Poren schmutzig geworden waren. Man würde sie auskochen müssen, um diesen Dreck aus der Haut herauszubekommen. Vor allem das Baumharz hatte sich wie hineingefressen.

»Ich werde ihm mein Leben verdanken«, antwortete sie.

»Dankbarkeit ist nicht genug für ein ganzes Leben zu zweit. Das weißt du, Nadeshna.«

»Was willst du denn von mir, Katja Alexandrowna?« Die Abramowa fuhr auf, ihre schönen blauen Augen flackerten. »Soll ich hierbleiben? Hier, in dieser Hölle? Ich will leben, versteht ihr das nicht? Ich will leben, nicht vegetieren! Ich bin noch so jung … ich habe einfach Angst, in dieser Einsamkeit verrückt zu werden. Nur ihr, nur eure Gesichter, eure Reden, eure Stimmen, euer Streiten und Brüllen, euer Liebesstöhnen und eure Hassgesänge. Nur Tiere und Wald und einen Fluss und einen unendlichen Himmel über mir …«

»Das ist das wahre Russland, Nadeshna.«

»Das redet ihr euch ein! Ihr spielt auch selbst das unglaubwürdigste Theater vor und klatscht den Beifall. Ihr belügt euch doch alle. Ihr wollt hier weg wie ich und Semjon … nur habt ihr keine Maruta, die euch wegträgt. Warum heuchelt ihr bloß so gemein …?«

Sie sprang auf und lief aus dem Haus. Andrej, der hinter ihr her wollte, wurde von der Susskaja an der Jacke festgehalten. »Lass sie …«, sagte sie und lächelte. »Ich habe sie nur provoziert, damit sie einen Grund hatte, wegzulaufen. Du bist auch nur wie andere Männer: Das Herz einer Frau ist für euch ein Labyrinth, in dem ihr euch heillos verirrt …«

Putkin lag nackt auf seinem breiten Ofen und schlief. Nachdem er die Ikone verbrannt und Gott einen Verräter geschimpft hatte, war ihm leichter geworden. Er fiel schneller in einen tiefen Schlaf, traumlos und ruhig, die einzige Gnade, die man ihm zuteilwerden ließ.

Irgendwann in dieser Nacht wachte er auf, weil ihn etwas beengte. Er grunzte, tastete nach seiner Brust, auf der etwas Schweres lag wie ein gefällter Baum, aber was ihm da den Atem abdrückte, war kein Stamm, sondern er griff in glattes, festes Fleisch, in seidige Wärme, in herankriechendes atmendes Leben, eingehüllt in den Pfirsichduft sehnsüchtiger Haut.

Nadeshna, wollte er sagen. O Himmel, Nadeshna … aber eine Hand legte sich auf seinen Mund, und ihre kleine, zarte, kindliche Stimme flüsterte ihm zu: »Sei still, du Bär, sei bloß still … Kein Wort … kein Wort …« Spitze Zähne knabberten an seinem linken Ohr, ein Mund tastete ihn ab, ein Atem, köstlicher als der wärmste Frühlingswind, der die Knospen auftreibt, wehte über ihn … er blieb langgestreckt und unbeweglich liegen und seufzte nur auf, als sie, auf ihm hockend, von ihm Besitz ergriff und ihr helles, piepsendes Stöhnen die Dunkelheit ausfüllte wie mit hingestreuten, winzigen, goldenen Sternen …

Am nächsten Morgen, nach einem kräftigen Frühstück aus Hasenbraten und einer Dose Bohnen aus Serikows Beständen, sattelte Morotzkij zum letzten Mal im Pferch seine dressierte Elchkuh Maruta.

Nadeshna hatte das Gepäck vor das Haus getragen … nicht viel, nur ein paar Lebensmittel, meistens gebratenes, haltbares Fleisch und fünf Büchsen mit Gemüse und eingekochter Leberwurst. »Nimm sie mit …«, hatte die Susskaja gesagt. »Wir werden hier nie verhungern. Die Braten fliegen uns ja in den Mund, und im Fluss wimmeln die Fische, als gäbe es in Sibirien nur dieses eine Wasser …«

Und Andreas sagte: »Wir werden deine herrlichen Blinis vermissen, Nadeshna. Und wie du eine Schneehuhnbrust in Kräutersoße machst … das ist unvergesslich.« Dann schwieg er. Aus Putkins dunklem Haus schallten gewaltige Hammerschläge … er schlug auf irgendetwas drauf, mit all seiner ungeheuren Kraft, um seine Verzweiflung zu betäuben.

Morotzkij kam um das Haus herum. Der Pferch stand offen, Maruta war gesattelt, und Semjon Pawlowitsch hockte auf ihr, als habe man ein Gerippe festgebunden.

Sein langes trauriges Gesicht mit der einfachen, runden, dämlichen Brille war noch länger als gewohnt, er hatte den Pelz um die knochigen Schultern gelegt, die Fellkappe weit in den Nacken geschoben und schnalzte anfeuernd mit der Zunge, aber es klang, als spucke er seine ganze Traurigkeit aus. Vor dem Haus hielt er, bewegte sich nicht aus dem Sattel und sah schweigend zu, wie Andrej das Gepäck hinten an die dafür angenähten Lederschlaufen band und dann Nadeshna in den Sattel hob. Als sie hinter Morotzkij saß und sich an ihm festklammerte, sank ihr Kopf nach vorn gegen seinen Rücken, sie vergrub das Gesicht in den Pelz und begann zu weinen.

»Reitet los!«, sagte die Susskaja rau. »Los, Semjon Pawlowitsch, gib Maruta einen Tritt in die Weichen. Haltet euch nicht auf mit dem Abschied. Viel Glück!«

»Ich werde euch nie vergessen!«, sagte Morotzkij tonlos. Er schluckte bei jedem Wort, denn seine Stimme schwamm in Tränen. »Sehen wir uns im Leben einmal wieder? Wo werde ich euch finden, wenn ihr aus dieser Hölle herausgekommen seid?«

»In Deutschland.« Andrej legte den Arm um Katjas Schulter. Ihr runder, praller Busen sprengte fast die Bluse. Den Rock hatte sie erweitert mit dazwischengesetzten Fellstücken, sonst hätte sie bei dieser Fülle nackt gehen müssen.

»Wir werden in Essen wohnen. Dort habe ich meine Anstellung als Ingenieur.«

Morotzkij sah ihn lange an. Hinter seinen Brillengläsern tropfte es jetzt hervor. Es ließ sich nicht mehr zurückhalten.

»Glaubst du wirklich? Deutschland?«

Zum ersten Mal in diesen langen gemeinsamen Monaten sagte er du. Man brauchte jetzt nicht mehr den inneren Halt, den Distanz merkwürdigerweise bei den Menschen schafft. Für ihn war die Taiga überstanden. Der Weg, der vor ihm lag, hatte seinen Schrecken verloren. Marutas Instinkt würde sie hinaustragen aus der Einsamkeit.

»Bestimmt Deutschland, Semjon Pawlowitsch. Du hast meine Adresse?«

»Ich habe sie mir auf den Oberarm geschrieben. Und ich habe sie auswendig gelernt.« Morotzkij versuchte ein Lächeln, es misslang kläglich. »Telefon 13677818. Ja?«

»Ja. Vorwählnummer 0201. – Gott segne euch …«

»Reite los!«, schrie die Susskaja wie toll. »Verdammt, du schielendes Gerippe, reite los!«

Morotzkij trat mit den Absätzen Maruta in die Seiten. Die Elchkuh wackelte mit den langen Ohren, blies die Luft durch ihre Nüstern und setzte sich in Bewegung. Sie watschelte davon, und Nadeshna kroch in sich zusammen, blickte nicht zurück und biss Morotzkij vor unerträglichem Kummer in den Rücken, als sie an Putkins Haus vorbeiritten und die Hammerschläge sie begleiteten, bis sie den Waldrand erreicht hatten.

Es war gut, dass Semjon Pawlowitsch so klug war, hier nicht noch einmal anzuhalten, zu winken und einen letzten Blick zurückzuwerfen … Nadeshna wäre abgesprungen, trotz aller Sehnsucht nach Leben, und wäre weggelaufen. So aber verschwanden sie zwischen den dunklen Fichten, die Zweige schlugen hinter ihnen zusammen und trennten sie endgültig von den Zurückbleibenden.

Nach einer Stunde kam Putkin aus seinem Haus gestolpert. Er sah fürchterlich aus, starrte mit blutunterlaufenen Augen um sich und ließ befürchten, dass er sich in die donnernde Strömung des jetzt fast eisfreien Flusses stürzen würde. Andreas hatte auf ihn gewartet und hielt etwas in der Hand, als er zu ihm kam.

»Geh weg!«, bellte Putkin ihn an. »Kein Wort, Söhnchen, oder ich erschlage dich!«

»Sie haben etwas zurückgelassen, was du pflegen sollst … hat Morotzkij gesagt. Sieh es dir wenigstens an.« Er hielt die Hand hin. Auf einem Finger saß die Krähe, die Morotzkij gleich zu Beginn ihres Einsiedlerdaseins mit gebrochenem Bein gefunden, geheilt und gezähmt hatte. Jetzt klapperte sie mit dem Schnabel und sah Putkin mit ihren kleinen, schwarzen, glänzenden Augen nachdenklich an.

»Nadeshna hat sie jeden Abend gestreichelt …«, sagte Andreas leise. »Sie ist zahm wie ein Singvögelchen. Und sie heißt Soja …«

»Gib her.« Putkin streckte seine riesige Hand hin. Soja hüpfte auf seinen dicken Zeigefinger und klammerte sich an ihm fest. »Was hat Nadeshna gesagt?«

»Nichts.«

Putkin starrte die Krähe an, spitzte die Lippen, und der Vogel streckte den Hals vor und piepste leise. »Soja!« Putkins Stimme schwankte gefährlich. »Du schwarzes Aas … hat sie dich auch geküsst? Komm ins Haus, Vögelchen … komm in mein Haus …«

Er drehte sich um, gab Andrej mit dem Ellbogen einen Stoß, dass er auf den Boden fiel, knurrte: »Geh aus dem Weg, du Rindvieh!« und stampfte zu seinem ›Kreml‹.

Man hat nie wieder etwas von Semjon Pawlowitsch Morotzkij und Nadeshna Iwanowna Abramowa gehört.

Wie sagen die Jakuten: Die Taiga ist eine Geliebte, die man nicht verlässt …

32

Wer seinen Kummer betäuben will, kann zweierlei tun: Er kann sich besaufen oder Vergessen in der Arbeit suchen.

Zum Betrinken reichte der Vorrat nicht, und die Birken waren noch nicht wieder so im Saft, dass man sie anzapfen konnte. Aus Birkensaft macht man in Sibirien nämlich einen Wein, eine Spezialität der Jakuten, Ewenken und Burjäten, ein süffiges Zeug, das in die Beine fährt und das Gehirn lähmt. Zunächst schmeckt es völlig harmlos, man spürt nicht das Geringste, aber dann fällt es einen, als wäre man ein morscher Baum im Sturm. Auch Kartoffeln waren nicht zur Hand, aus denen man einen Schnaps brennen konnte, der einen normalen Menschen paralysiert. Putkin, der Serikows kleinen Kartoffelsack wie ein Heiligtum gehütet hatte, war vier Tage lang damit beschäftigt, ein Kartoffelfeld anzulegen, um diesem Mangel im nächsten Jahr abzuhelfen.

Die Arbeit … sie war es, die Andreas und Putkin miteinander verband, als seien sie ein Körper. Igor Fillipowitsch schuftete wie ein Wesen vom anderen Stern. Was er täglich leistete, überstieg alle Maßen, aber es war die einzige Möglichkeit, nicht ins Denken zu geraten und Nadeshna nachzujammern.

Der Fluss war breit mit einer herrlichen kräftigen Strömung. Der Wald stand satt unter der Sonne, die Birkenknospen brachen auf, auf dem Moor blühten Moose und Beeren, Putkin entdeckte Sträucher von wilden Himbeeren, Kronsbeeren, Multebeeren, Schellbeeren und kleinen Erdbeeren. Er verfolgte Bienenschwärme und fand ihre Stöcke in hohlen, verfaulenden Baumstämmen. An seichten Stellen wuchs Kalmus, dessen Wurzeln man kandieren konnte, wenn man Zucker hatte, und den hatte man, wenn man den Honig aus den Waben schleuderte.

»Ein Paradies!«, sagte Putkin immer wieder. »Andrej, das ist mein Russland. Ein hartes Land, aber es pflegt die, die es lieben, wie die zärtlichste Mutter. Was wollen wir mehr, he? Fleisch aus dem Wald, Fische aus dem Fluss, Beeren, Wurzeln, Kartoffeln und Gemüse aus der Erde, Gold aus dem Sand und Geröll … und um uns herum die absolute Freiheit und den herrlichsten Himmel der Welt über uns! Willst du wirklich noch nach Deutschland?«

»Es wird an Katja liegen«, sagte Andreas und beobachtete die Susskaja. Ihr Leib war unförmig geworden, selbst der erweiterte Rock zwängte sie ein. So ging sie jetzt immer mit offenem Bund oder oft auch ohne Rock, stolz die Frucht in ihrem Leib der Sonne hinhaltend. »Ich habe Angst vor der Geburt, Igor.«

»Und sie?«

»Sie spricht nicht darüber. Aber sie putzt ihre chirurgischen Bestecke wie nie zuvor. Hast du schon eine Geburt gesehen, Igor?«

»Mehrere. Bei Kühen und Schweinen.«

»Katja ist weder eine Kuh noch ein Schwein.«

»Es ist erstaunlich, wie ein so dämlicher Mensch ein Ingenieur sein kann. Ist es im Grunde nicht das Gleiche, he? Nehmen sie nicht den gleichen Weg, ob Kalb oder Mensch? Haben beide nicht eine Nabelschnur? Was soll bei Katja komplizierter sein als bei einer Kuh …«

Die Arbeit … sie ließ auch diese Sorge im Augenblick vergessen. Andreas hatte die Flugzeugschwimmer fertig, Putkin setzte seine Goldwaschmaschine in Gang, indem er über ein hölzernes Rutschensystem Wasser von einem kleinen Wasserfall ableitete, der sich nach der Schneeschmelze bei den Felsen gebildet hatte. Es strömte gurgelnd heran und wusch das Geröll, das Putkin in verschiedene hölzerne Becken schaufelte, schwemmte es in primitive Siebe aus Holzböden, in die Putkin mit unendlicher Geduld Loch neben Loch gehauen hatte.

Als diese Maschine zum ersten Mal klapperte und zitterte, und das Wasser heranrauschte, umarmte Putkin stumm Andreas und drückte ihn an seine Brust. »Was wäre die Welt ohne menschlichen Geist«, sagte er gerührt. »Zugegeben, der feine Goldsand geht verloren, aber wir haben auch genug an den Körnern, die hängenbleiben.«

Drei Wochen nach Morotzkijs Wegritt ließen sie das Flugzeug an einer seichten Flussstelle zu Wasser.

Es schwamm. Die Schwimmer trugen es, und wenn es auch etwas schief im Wasser lag, man konnte wagen, mit ihm zu starten. Fröhlich schaukelte die Maschine in der schwachen Strömung, mit vier Lederseilen festgehalten. Von der Hütte klatschte Katja Beifall. Sie hatte wieder keinen Rock an, und aus dieser Entfernung sah man von ihr nur die im Wind wehenden schwarzen Haare und die Kugel ihres Leibes.

»Theoretisch sind wir gerettet«, sagte Putkin, nachdem sie im Wasser um das Flugzeug herumgetanzt waren. Sie lachten wie die Verblödeten, stießen sich mit den Fäusten in die Rippen und fassten sich an den Händen wie Kinder, die Ringelreihen spielen. »Motor an, Propeller rrrrr und hinauf in den Himmel!«, schrie Putkin euphorisch. »Und dann … und dann …« Er glotzte Andreas an und brach mit seinem Geheul abrupt ab. »Ja, Söhnchen, wohin? Ich kann doch nicht mit nach Deutschland.«

»Warum nicht, Igor Fillipowitsch?«

»Wie kann man so blöde Fragen stellen? Mit dem Treibstoff kommen wir nicht einmal bis zur Grenze. Ha, nicht mal bis Irkutsk! Wo sind wir denn hier? Wo hat uns der verkindischte Makar in den Wald gesetzt? Deutschland! Warum sagst du nicht: zum Mond?«

»Wir werden uns in der nächsten Siedlung melden und ganz legal ausreisen.«

»Mit dem Gold, was? Das lassen sie dir, glaubst du? Und Katja Alexandrowna lassen sie auch so einfach mitgehen? Gut, gut, werden sie sagen. Zwei liebende Täubchen – fliegt nur dahin, wo ihr hinwollt. Winke, winke … Weißt du, was Katja ist? Eine sowjetische Beamtin! Eine Militärärztin, abgestellt für den Zivildienst. Im Range eines Kapitäns! Und sie werden fragen: Wo ist General Serikow? Wie kommen Sie, Andrej Herr aus Essen in Deutschland, an den Kapitän und Chefchirurgen Katja Susskaja? Sie gehört dem sowjetischen Staat, nicht Ihnen! Wollen Sie die Sowjetunion schädigen? Sabotieren? Und wupp, haben sie dich im Gefängnis, verurteilen dich und schicken dich in ein Lager, wo du verfaulst. Wer kräht nach dir? Keiner! Nicht dein Botschafter in Moskau, kein Rotes Kreuz, keine Menschenrechtskommission. Absolut keiner! Du bist ja nur ein einzelner, kleiner, unbedeutender Mensch. Ingenieure gibt es genug wie Steine im Berg. Sich wegen Andrej Herr aufregen und die politischen Beziehungen belasten? Warum muss der blöde Hund auch eine sowjetische Militärärztin lieben? Gibt es nicht Weiber genug? Aber nein, nein, es muss die Susskaja sein, und ein Kind macht er ihr auch noch! Sabotage! SABOTAGE! Lasst ihn verschwinden, Genossen, diesen ekelhaften Kerl!« Putkin holte pfeifend Luft. »Das ist dein Traum von Deutschland, Andrej! Russland hat dich geschluckt…«

Drei Tage später – es regnete in Strömen, der Fluss schwoll an, Putkin und Andreas hatten das Flugzeug gerettet und wieder an Land gezogen, und die ganze Taiga begann dumpf zu singen unter diesem Regen – legte sich Katja Alexandrowna hin, presste die Hände auf den hohen Leib, Schweiß trat auf ihre Stirn und überschwemmte im Nu ihr verzerrtes Gesicht, und die Augen wurden tellergroß.

»Es kommt, Andrejuscha …«, sagte sie abgehackt. »Da sind die Wehen … Koch Wasser, viel Wasser … Nimm die Tücher, die dort eingewickelt liegen, sie sind sauber… Mach sie heiß … Hol das chirurgische Besteck … Andrej …«

Sie stöhnte, krümmte sich, presste knirschend die Zähne aufeinander und spreizte weit die Beine.

Andreas setzte den Topf aufs Feuer, wischte Katja den Schweiß aus dem Gesicht und hetzte dann aus dem Haus. Er rannte durch den Wolkenbruch hinüber zu Putkin, der auf seiner Ofenbank hockte und mit der Krähe ›Soja‹ spielte. Sie hackte ihm in die Fingernägel, und er grunzte dazu wie ein Schwein.

»Das Kind kommt!«, schrie Andreas. Durchgeweicht, als habe er tagelang im Wasser gelegen, stand er auf der Schwelle. In Bächen lief der Regen von ihm ab. »Sie krümmt sich vor Schmerzen! Der ganze Körper … der ganze Körper … Igor, hilf mir …«

Sie stürzten beide wieder in die Hütte, triefend und vom Rennen schwer atmend, als Katja eine neue Wehe bekam, sich aufbäumte, die gespreizten Beine anzog und den Kopf hin und her drehte. Putkin ließ sich neben sie auf die Knie nieder und legte seine klobige Hand auf ihren nackten Leib.

»Es wird kommen, Vögelchen …«, sagte er. Seine tiefe Stimme hatte die Wirkung, dass Katjas Kopf zu ihm herumschnellte. »Man muss das einfach durchstehen. Es ist noch keines drin geblieben … Beiß die Zähne zusammen! Eine Ärztin wie du und dann so ein Theater! Kriegen andere Frauen ihre Kinder im Schlaf, na? Bist du anders als andere Frauen? Was sie können, kannst du schließlich auch …«

»Warum muss ich in dieser Stunde dich sehen, gerade dich, du Scheusal?«, sagte die Susskaja und krallte die Finger in Putkins Arme. Sie knirschte dabei wieder mit den Zähnen, und ihr hoher Leib zuckte wild.

»So ist es …«, lachte Putkin. »Schimpf nur! Spuck mich an! Das befreit und macht dich leichter. Jetzt ist auch die stolze Susskaja ein Weib wie alle anderen.«

»Sie ist es nicht!« Eine neue Wehe, neue Schmerzen. Andreas kam mit den heißen Tüchern und dem heißen Wasser. Dann rannte er wieder weg, brachte das Stecktuch mit dem chirurgischen Besteck und rollte es auf. Ihm war völlig unklar, was man bei einer Geburt mit einem Skalpell, Aderklemmen und den anderen blitzenden Instrumenten machen sollte.

»Du bist es nicht? Aha!« Putkin drückte auf Katjas Bauch. Sie stöhnte auf, aber verstand, dass er nur helfen wollte. »Bekommen Ärztinnen ihre Kinder anders?«

»Mein Becken ist zu eng.« Sie hob den Kopf und sah zu Andreas hinüber, der einen starken Tee aus Kyrills Wunderteeplatten kochte. Der wertvollste Besitz, den sie hatten, mit keinem Gold aufzuwiegen. »Verstehst du nun endlich, du Hornochse?«

»Ich verstehe.« Putkin drückte wieder auf den Leib. »Das hast du von Anfang an gewusst, nicht wahr? Und hast es nicht gesagt …«

»Andrej hätte die Nerven verloren …«

»Und was wird er jetzt? Ha! Soll ich ihn betäuben? Katjenka, wir zwei schaffen es allein … er irrt nur herum wie ein blindes Huhn. Der typische Vater! Sein Weib hat die Qual, aber er fällt vom Stuhl. Zum Teufel, schrei doch …«

Die erste Presswehe, gewaltig, den Körper durchschüttelnd, Schweiß austreibend, an der Grenze des Erträglichen. Die Susskaja stöhnte laut und schlug mit dem Hinterkopf auf das Fell, auf dem sie lag.

Andreas kniete an ihrer anderen Seite und starrte Putkin an, der ihren Leib massierte. »Du bringst sie um«, stammelte er. »Du bringst sie ja mit deinen Händen um!«

Er flößte Katja den Tee ein, zwang sie dann, ein großes Stück der gepressten Teeplatte zu kauen, und küsste ihre flatternden Augen, als neue Wehen ihren Körper fast vom Boden hoben.

»Die Tücher her!«, knurrte Putkin. Er schob sie unter Katjas Gesäß, lächelte sie an und nickte ihr zu. »Ich hab’ es ihm erklärt …«, sagte er. »Aber er glaubt es nicht. Es ist wie bei einer Kuh … man muss nur warten können …«

»Du Scheusal!«, keuchte die Susskaja, aber ihre Augen wurden ruhiger. »Du mistiger Bock … du Hurenbastard …«

»Nur weiter, weiter so, mein Engelchen … Das gibt Luft. Soll ich dir mit schönen Ausdrücken aushelfen? Ich kann garantiert mehr als du …«

So ging es weiter … eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden. Draußen rauschte der Regen, trommelte auf das Dach, quoll die Erde auf und saugte sich voll, bis das Wasser aus dem Himmel mit dem Eis im nie ganz auftauenden Boden aufeinanderprallte. Da ging es nicht mehr weiter, und die Taiga wurde ein einziger Sumpf.

Katja Alexandrowna war ruhiger geworden. Der Wundertee Kyrills wirkte, die Schmerzen wurden überdeckt von dem betäubenden Extrakt, aber die Wehen stießen noch immer durch den Körper und pressten dem Kind den Ausgang frei zum Licht der Welt.

Putkin und Andreas knieten zwischen Katjas angezogenen und gespreizten Beinen und massierten ihren Leib. Hände und Arme klebten vom Fruchtwasser, und als plötzlich ein Blutstrom aus Katja hervorbrach, wurde Andreas bleich wie ein Tuch und schwankte.

»Halt die Beine fest, du schlaffer Sack!«, schrie Putkin. »Es kommt! Es kommt! Da ist der Kopf. Siehst du ihn? Sie hat kein zu enges Becken! Sie kriegt es wie jede andere Frau. Katja! Hörst du mich? Es ist da! Ha, bist du eine miserable Ärztin! Ein zu enges Becken! Es reicht vollkommen aus. Drück, mein Engelchen, drück …«

Der Kopf trat hervor, ein blutiges, schleimiges Gebilde. Andreas fasste es vorsichtig und zärtlich mit seinen Händen, um die er warme Tücher gewickelt hatte, und zog langsam, bis die winzigen Schultern hervorkamen, dann der Leib, die Beinchen und dann, mit einem letzten Ruck, der ganze kleine Mensch. Er hielt ihn auf seinen Händen, starrte ihn an und das Wissen: Das ist mein Kind … war so überwältigend, dass er zu zucken begann und lautlos weinte.

»Ein Mädchen …«, sagte Putkin laut und lachte Katja zu. »Andrej, flenn nicht! Es ist ein Mädchen. Und schwarze Haare hat es wie Katjenka. Keine deutschen blonden! Gelobt sei Gott: Es ist eine echte Russin!«

Er nabelte das Kind ab und tat das so geschickt mit Klemmen und Skalpell, als hätte er nie etwas anderes getan. Dann nahm er das Neugeborene Andreas aus den Händen, trug es zum Tisch, wusch es mit warmem Wasser, packte es an den Füßen, ließ es nach unten hängen und klatschte ihm auf den runden Hintern.

»Er bringt es um!«, brüllte Andreas und sprang auf.

»Bleib da!«, brüllte Putkin zurück. »Kümmere dich um die Nachgeburt, du Idiot! Sie wird dir ähnlich sehen.«

Plötzlich war völlige Stille im Raum. Putkin schwieg, Andreas sank wieder in die Knie, und Katja hob etwas den Kopf, noch am ganzen Körper zitternd, aber doch in einer seligen Befreiung schwimmend.

Ein Schrei! Ein heller, kräftiger Schrei. Ein gesunder Schrei aus einer sich weitenden, kleinen Lunge.

Ein neuer Mensch war auf der Welt. Erst jetzt war er vollkommen.

»Wie schön sie schreit …«, sagte Katja schwach. Ihre schweißnassen Hände tasteten nach Andrej. Sie lag zwischen Blut, Tüchern, Nabelschnur und Fruchtwasser und lächelte das unendliche Glück aller Mütter. »Hör sie dir an, unsere Amalja … hör sie nur … Andrejuscha, ich liebe dich …«

Auf dem Tisch wickelte Putkin das Kind in ein warmes Tuch. Noch nie hatte jemand den Riesen so zärtlich gesehen.

33

Der Sommer kam.

Das hört sich so harmlos an, das klingt nach Sonne, Wärme, Blütenduft, reifenden Früchten, Sonnenblumenfeldern und Rosenbeeten, wogendem Korn und süßem Nichtstun.

Sommer. Wer weiß, was ein Sommer in der Taiga ist? Sagt man sonst auch Winter, dann verbinden sich schöne Gedanken mit ihm, Schneeflöckchen, Schlittschuhlaufen, Skiwanderungen, kalte klare Sternennächte, Glöckchengebimmel an fröhlichen Schlitten … aber was ein Winter in der Taiga ist, das wissen wir jetzt. Mit dem Sommer ist’s nicht anders. Erstarrt im Winter die Taiga im Frost, dann wird sie im Sommer gebraten wie ein Ei in der Pfanne. Das Land wird pulvertrocken, die Äste fallen von den Bäumen, beraubt allen lebenden Saftes, und was der Frost nicht geschafft hat, erreicht die Sonne: Der Wald kämpft wieder um sein Überleben, und dieses Mal mit weniger Chancen.

Man hat viel darüber philosophiert, wo das Geheimnis der russischen Seele liegt … sie bleibt kein Geheimnis, wenn man die Taiga kennt, in dieser grandiosen, sich ständig gegen den Himmel wehrenden und doch immer wieder den Himmel anbetenden Natur muss auch der Mensch seine Kräfte aus dem Zwiespalt schöpfen.

Sommer in der Taiga.

Da schwirren aus den sumpfigen Niederungen Myriaden Mücken über das Land, entzünden sich Waldgebiete von der Größe europäischer Staaten, und keiner weiß, woher es kommt. Alles lebt nur von dem Wasserreichtum der Flüsse, diesem Segen Gottes, der durch Sibirien die größten Ströme der Erde fließen lässt.

Putkins Goldgewinnung war fast ein Märchen. Er schaufelte tonnenweise Sand und Geröll in seine Wasserrutschen, und unten hockte Andreas und klaubte aus den Sieben und dem trüben Waschwasser die kleinen Goldkörner heraus … jeden Tag fast eine Handvoll. Ein schier unbegreiflicher Reichtum.

Katja ging wieder auf die Jagd, wenn sie Amalja gestillt hatte. Sie hatte viel Milch, ihre Brüste waren herrlich straff und prall voll Leben. »Ein Urweib!«, sagte Putkin anerkennend. »Wahrhaftig, ein Urweib! Und so etwas bleibt bei dir hängen! Es ist wirklich eine Schande für das ganze sowjetische Volk!«

Grob geschätzt hatten sie Ende August – nach Morotzkijs Strichkalender, den nun Andreas weiterführte – Gold im Wert von fast hunderttausend Rubel in den Fellsäcken. Was flussabwärts noch in Sand und Geröll verborgen lag, war gar nicht abzuschätzen.

»Wer ist im Westen der reichste Mann?«, fragte Putkin, nachdem Andreas nach den bisher abgetragenen Tonnen Erde eine Art Hochrechnung versuchte, um sich an den Zahlen zu berauschen.

»Getty. Oder Onassis. Oder die arabischen Ölscheichs. Oder Gulbenkian. Es gibt viele, Igor.«

»Alles Zwerge! Alles Stiefelpisser!« Putkin machte eine weite Armbewegung über Fluss und Wald. »Die reichsten Männer heißen Putkin und Herr! Los, rechne weiter, ich will mit den Millionen jonglieren …«

Am Abend nannte Andreas eine Zahl, die Putkin fast umwarf. Er stierte Andreas an und nahm ihm den Zettel aus der Hand. »Phänomenal!«, sagte er leise. »So viel kann man in einem einzigen Leben nicht versaufen und verhuren. Ich muss einen Erben zeugen! Warum hat Nadeshna das nicht eingesehen?«

Es war das erste Mal nach Monaten, dass er ihren Namen wieder nannte. Es bewies, dass er noch immer an sie dachte. Sie saß in seinem großen Herzen wie ein festgeklemmter goldener Blutstropfen.

»Um dieses Gold wegzubringen, müssten wir einen Zug mit vier Güterwagen haben«, sagte Andreas und zerriss die Rechnung. »Verstehst du nun, Igor, wie sinnlos das alles ist, was wir hier machen? Wir sitzen auf Goldbergen und können doch nichts damit anfangen. Wir können nur so viel mitnehmen, wie wir tragen können. Und dieses Ziel haben wir schon längst überschritten.«

Putkin verstand ihn sofort. Mit schief geneigtem Kopf sah er Andreas lange an.

»Du willst weg?«

»Willst du graben und sieben, graben und sieben, um die Goldhaufen um die Bäume zu legen? Jede Hilfe von anderen alarmiert die Behörden. Du kennst eure Gesetze besser. Was wir hier ausgraben, ist sowjetisches Gold, es gehört dem Sozialismus. Mit jedem Griff in die eigene Tasche werden wir Verbrecher. Igor Fillipowitsch. Wir haben bereits 25 Jahre Straflager auf dem Buckel …«

Putkin gab keine Antwort. Er lief hin und her, trat wütend gegen seine geniale Goldwaschmaschine, lehnte dann lange Zeit an den Rutschen und starrte über den sonnenglitzernden Fluss. Als er zurückkam zu Andreas, der noch einmal mit Baumharz die Schwimmer strich – das heiße Harz im Kessel über dem offenen Feuer stank grauenvoll – und das Flugzeug pflegte, als müsse es bei einer Parade vorgeführt werden, war sein breites Gesicht von einer geradezu kindlichen Hilflosigkeit. Der Bart wucherte wieder überall um seinen Kopf herum … seit Nadeshnas Wegzug rasierte er sich nur mit größtem Widerwillen oder nur, wenn ihn Katja beschimpfte.

»Wann fliegen wir, Andrej?«, fragte er.

»Im Herbst. Amalja muss erst etwas kräftiger werden.«

»Drei erwachsene Menschen und ein Kind. Das ist eine schöne Last. Bekommen wir genug Gold mit?«

»Was heißt genug?«

»Für jeden von uns eine Million. Das sind vier Millionen in Goldkörnern.«

»Unmöglich. Igor, das ist eine leichte Aufklärungsmaschine, kein Transporter.«

»Dann war alles umsonst?«

»Ein paar Hunderttausend sind auch schön, Igor.«

»Ein Bettelbrot für den reichsten Mann Russlands! Andrej … lass uns nicht weiterdenken …«

Er ging wieder weg, blieb an dem Flugzeug stehen, klopfte gegen die Kanzel und stapfte dann weiter. Andreas blickte ihm nachdenklich nach. »Putkin!«, rief er dann. »Noch eine Feststellung: Den Anlasserschlüssel habe ich in der Tasche. Begrab die Gedanken, die du gerade hattest …«

Ohne Antwort verschwand Putkin in seinem Haus.

An diesem Abend – nach einem Tag glutheißer Sonne – badete Putkin im Fluss. Er prustete wie ein Nilpferd, tauchte und planschte und wollte gerade versuchen, gegen die Strömung zu schwimmen, als aus dem Wald ein großer, fahlgelber, völlig mit Staub überzogener Körper sich herausschob und im Baumschatten stehenblieb. Putkin sah ihn zufällig, schwamm mit gewaltigen Stößen an Land und kletterte ans Ufer. Das Wesen löste sich aus dem Schatten, bekam vier kräftige Beine, einen dicken Kopf mit langen Ohren und hängenden Lefzen.

Durch Putkins Kopf zuckte das Erkennen wie ein Blitz. »Maruta!«, brüllte er auf. »Es ist Maruta! Maruta!« Er rannte auf die Elchkuh zu, mit ausgebreiteten Armen, als stürze er einer Geliebten entgegen, aber als er vor Maruta stand, begriff er erst, dass sie allein war, dass sie zurückgekommen war ohne Morotzkij und ohne Nadeshna. Der Sattel hing zerfetzt auf ihrem Rücken, im Nacken schwärte eine eitrige Wunde, auf der sich Schwärme von schwarzen Fliegen klumpten.

»Maruta …«, stammelte Putkin. »Wo kommst du denn her? Wie siehst du denn aus? Maruta!« Er drückte den dicken, staubigen Kopf an seine nasse Brust und spürte, wie alles an ihm bebte. »Was ist denn geschehen? Was willst du hier? Warum kannst du nicht sprechen? Warum bist du nur ein stummes Vieh? Wo ist Nadeshna? Maruta, wo ist meine Nadeshna?«

Er drückte den Kopf wieder an sich, blickte über den Rücken der Elchkuh und sah deutlich unter dem Staub große, eingetrocknete, dunkle Flecken. Blut!

»Wo ist Nadeshna?«, schrie Putkin. Er klammerte sich an Maruta fest, und es war das erste Mal in seinem Leben, dass seine Beine schwach wurden und einknickten. »Nadeshna! Nadeshna! Was haben sie mit dir gemacht, Nadeshna …?«

Und er lehnte sich an die Elchkuh, triefend vor Nässe, und wischte mit der rechten Hand den Staub vom Sattel, weichte den Blutfleck auf und taumelte dann, die rote Handfläche von sich haltend, hinüber zu Andrejs Hütte. Maruta folgte ihm wie ein zahmes Hündchen und trottete in den offenen Pferch.

»Nadeshna!«, schrie Igor Fillipowitsch noch einmal und stürzte dann mit seiner blutigen Hand ins Haus.

Putkin war nicht mehr zu beruhigen. Es war unmöglich, ihm einzureden, das Blut am Sattel könne eine ganz harmlose Erklärung haben, vielleicht sogar Marutas Blut, denn die Wunde in ihrem Nacken …

»Ja, die Wunde!«, schrie Putkin und rannte mit seiner blutbefleckten Hand herum, roch an ihr, als könne er aus dem Blut Nadeshnas weiblichen Geruch herausschnuppern, hielt die Handfläche vor sich her wie eine Handikone und grunzte böse, als die Susskaja mit Wasser kam, um sie abzuwaschen. »Woher hat sie die Wunde, he? Sieh sie dir genau an, Katja, du bist doch Ärztin! Hat man so eine Wunde, wenn man sich das Fell abschabt? Hinterlässt ein Bremsenstich solch eine Wirkung? Sieh nach, sag ich dir, geh! Das ist Nadeshnas Blut! Nadeshnas Blut!«

Er ließ sich auf die Ofenbank fallen, stierte vor sich hin, die Hand von sich wegstreckend, und knirschte schauerlich mit den Zähnen.

Katja Alexandrowna ging hinaus zu der Elchkuh. Sie trottete im Pferch herum, offensichtlich völlig glücklich, blies mit einem leisen Trompetenton durch die Nüstern und kam sofort an die schiefen Zaunlatten, als sie die Susskaja bemerkte. Andreas blieb in der Hütte zurück. Es war jetzt zu gefährlich, Putkin allein zu lassen. Ein Mann in solchem Zustand, selbst wenn er ein Kerl wie Putkin ist, verirrt sich in die verrücktesten Taten.

»Igor Fillipowitsch …«, sagte Andreas vorsichtig.

Putkin zuckte mit den dicken Augenbrauen. Das Blut an seiner Hand trocknete langsam.

»Halt’s Maul, Söhnchen!«

»Man kann es aber auch anders sehen. Nadeshna und Semjon Pawlowitsch haben eine menschliche Siedlung erreicht und Maruta zurück in die Freiheit geschickt.«

»Morotzkij? Nie! Für ihn war Maruta wie ein Kind.« Putkin starrte wieder auf seine Hand; das Blut, nun eingetrocknet, klebte auf der Haut, bekam Risse und fiel in kleinen Körnchen ab. »Ich will dir sagen, was geschehen ist: Man hat sie überfallen und ausgeraubt … Man hat sie einfach abgeschlachtet.«

»Igor Fillipowitsch, sie hatten doch nichts bei sich …«

»Hatten sie nicht?«, brüllte Putkin auf. »Sie hatten, Söhnchen! Ich habe Nadeshna meinen ganzen damaligen Goldanteil mitgegeben. Ein pralles Säckchen voll Goldstaub und Körnern! Ein Wert von 10 000 Rubeln vielleicht. Das lohnt sich, ha, und wie sich das lohnt für einen armseligen Jakuten oder schiefmäuligen Nerzjäger.«

Er begann wieder zu stöhnen, als zerschneide man ihn bei lebendigem Leib, lehnte sich an den Ofen zurück, legte die blutige Handfläche gegen sein Herz und stierte an die Decke. Hier zu sitzen und nichts zu wissen und gar nichts tun zu können, war für ihn das Fürchterlichste. Er war in der Stimmung, ganze Jakutendörfer auszurotten, jeden Fremden, dem er jetzt in der Taiga begegnen würde, einfach den Schädel einzuschlagen mit der Begründung: Du kannst es gewesen sein, wer weiß es? Du wirst es nie sagen, ich werde es nie erfahren, darum hinweg mit dir! Je länger er hier saß, umso gewaltiger wurde sein Rausch nach einer schrecklich ungehemmten Rache. Aber er konnte nichts tun, er konnte nur herumsitzen, die Hand wie ein Heiligenbild beim Osterfest vor sich hertragen und in seinem Inneren mit qualvoller Stimme den Namen Nadeshna rufen.

Seien wir ehrlich: Kann ein Mann daran nicht zerbrechen? Die Susskaja kam vom Pferch zurück. Ihr Gesicht war sehr ernst … sie brauchte eigentlich kein Wort zu sagen, man las alles an ihren Augen ab.

Putkin schob den dicken Schädel vor. Seine wulstigen Lippen zitterten.

»Was … was ist es, Katja Alexandrowna?«, fragte er heiser.

»Eine Wunde. Eine Schusswunde. Hier …« Sie öffnete die Hand. Eine Gewehrkugel schimmerte metallen auf. »Ich habe es mit der Pinzette aus Marutas Nacken geholt. Es gibt keine Zweifel mehr.«

»Ich rotte sie aus!«, sagte Putkin dumpf. »Ich rotte die ganze Menschheit aus mit Ausnahme von euch beiden. Ich werde der größte Massenmörder aller Zeiten werden. Das schwöre ich.« Er sprang auf, tauchte die blutige Hand in den Wassertopf und wusch sie ab. »Jeder Mensch, der mir ab heute über den Weg läuft, wird getötet! Ohne ihn zu fragen, ohne zu diskutieren … er wird einfach getötet.«

»Du bist verrückt, Igor Fillipowitsch!«, sagte Andreas laut.

»Ja. Ich bin verrückt. Ich will verrückt sein!« Er starrte die Gewehrkugel auf Katjas Hand an, schlug darunter, dass sie hochflog, gegen die Decke prallte und dann irgendwohin rollte. »Sie haben Nadeshna umgebracht … wie kann ich den Menschen das vergessen?«

Er tappte hinaus, ging hinüber zu Maruta und betrat den Pferch. Die Elchkuh, von der Kugel befreit, kam zu ihm und rieb die Nüstern an seiner Schulter. Da begann Putkin laut zu heulen, wie ein angeschossener Wolf, der sich ins Gebüsch schleppt, um dort zu sterben.

Man brauchte nicht lange zu warten, um Igor Fillipowitschs Mordlust zu befriedigen.

Am Fluss tauchten Menschen auf.

34

Dort, wo seit Entstehung der Welt nie ein menschlicher Fuß durch die Taiga gegangen war, wo die Natur so unberührt war wie am siebten Schöpfungstag, wimmelte es plötzlich von Menschen. Aber sie kamen nicht, um den drei Verdammten um den Hals zu fallen, sie brüderlich zu küssen und zu rufen: »Freut euch, Genossen! Eure Zeit der Einsamkeit ist vorbei! Seht, wir holen euch ab! Wir haben euch endlich gefunden, Morotzkij und die Lehrerin Abramowa haben uns den Weg erklärt, vorbei ist’s mit dem Robinsonspielen, das schöne Leben geht weiter!« O nein! Sie tauchten wie große Schatten zu beiden Seiten des Flusses auf, auf kleinen, schnellen, fast gelben Pferdchen, die schlitzäugigen Köpfe an den Hals der Gäule gedrückt, zusammengehockt im Sattel, und sie schrien grell, galoppierten über die aufstaubende Erde und schossen vorbei auf die beiden Hütten.

Andreas hatte sie zuerst gesehen. Er stand am Fluss und angelte, während Putkin an seiner Goldmaschine die Ernte von drei Waschladungen einsammelte, als am Waldrand zunächst ein Reiter auftauchte, hinüberspähte zum Ufer, dann schnell wendete und zwischen den Bäumen wieder untertauchte.

Andreas warf die Angel weg und rannte die flache Uferböschung hinauf. Vor dem Haus saß ahnungslos Katja in der Sonne und stillte glücklich ihre Amalja. Die Sonne beleuchtete ihre vollen Brüste, eine wundersame Quelle des Lebens. Am Tag ging sie jetzt oft mit bloßem Oberkörper herum, weil alles zu eng war und sich über diesen Brüsten spannte.

»Welch ein Weib …«, sagte Putkin immer zu Andreas, wenn sie von Weitem die Susskaja beobachteten, wie sie neben dem Haus Holz hackte, während Amalja in einer Art Hängematte aus Bast und Zweigen unter dem vorgeschobenen Dach baumelte. »Das ist russische Fruchtbarkeit, Andrej. Das ist unsere unverbrauchte Kraft, die noch einmal die Welt verändern wird.«

Jetzt zerriss Andreas mit seinem Alarmschrei die paradiesische Ruhe.

»Jakuten!«, brüllte er und rannte mit herumfuchtelnden Armen zur Hütte. »Katjenka, ins Haus! Ins Haus! Jakuten! Sie stehen schon am Waldrand!«

An seiner Riesenmaschine tauchte Putkin auf, schob mit einem Fausthieb die Wasserrinne weg, so dass der ständige Wasserstrom aus der Felsenquelle, der das Geröll wusch und das Gold freilegte, die Uferböschung hinabstürzte, und warf sich flach auf den Boden. Seit seiner Ahnung, dass man Nadeshna irgendwo hier in der Taiga überfallen und erschossen hatte, trug er Serikows schwere Tokarev, diese unverwüstliche Militärpistole, ständig im Hosenbund, geladen und schussbereit. Er riss sie heraus, feuerte auf den Waldrand und kroch dann mit einer an ihm unbekannten Gewandtheit zu seinem Haus.

Aus dem Wald antwortete ihm vielstimmiges Gebrüll. Die kleinen Reiter auf ihren wieselschnellen gelben Pferden jagten mit Gekreisch am Ufer entlang und schossen wild und ungezielt um sich. Ein wahrer Höllenlärm zerstörte die bisherige Stille, der Boden dröhnte und vibrierte unter den jagenden Pferdehufen, und die Kugeln schlugen in die dicken Holzbalken der Hütte und in Putkins geniale Goldwaschmaschine.

Heulend umkreisten die schlitzäugigen Reiter mit ihren spitzen Filzmützen die beiden Häuser und galoppierten dann zurück zum Wald. Auf der anderen Seite des Flusses sammelten sich andere Reiter, lenkten ihre Pferde langsam über den sumpfigen Boden und spähten über das Wasser.

In der Hütte blickten sich Andreas und Katja kurz an, ehe er ihr das Gewehr aus der Hand nahm. Es war ein Blick, der keine Unklarheit mehr zwischen ihnen ließ: Das Leben war zu Ende. Ein paar Stunden noch, ein paar verzweifelte Stunden, um kämpfend und tapfer unterzugehen.

»Die Sache ist klar …«, sagte Andreas rau. »Sie haben Morotzkij und Nadeshna gegriffen, haben sie so lange gequält, bis sie verraten haben, woher sie das Gold haben …«

»Gold?«, fragte die Susskaja. Sie hatte Amalja an die nackten Brüste gedrückt, das Kind schlief, sattgetrunken und zufrieden. Andreas spürte, wie das Würgen in seinem Hals ihm die Luft abdrückte.

»Putkin hat ihr einen ganzen Sack voll mitgegeben. Jetzt sind sie hier, alles zu holen.«

Die Tür flog auf, Andreas riss das Gewehr hoch. Aber es war nur Putkin, der mit einem mächtigen Satz ins Haus stürzte. Er fiel auf den Boden, rappelte sich aber sofort hoch und lief zur Tür zurück.

»Sie stellen sich erneut auf!«, keuchte er. Der Schweiß rann an ihm herunter, als wäre sein Körper mit Quellen übersät. Er hatte nur seine Hose an, die dicken Muskelstränge an seinem Oberkörper waren gespannt wie Stahlseile. »Wisst ihr jetzt, was mit Nadeshna geschehen ist?«

»Ja, Igor.« Andreas trat an Putkins Seite. Die Reiter gegenüber verständigten sich mit Armzeichen und schrillen Schreien mit den anderen am hiesigen Ufer. »Uns bleiben noch ein paar Minuten Zeit. Ich muss dir etwas sagen.«

»Sie haben Nadeshna gefoltert. Sie haben sie Teil für Teil gefoltert!«, sagte Putkin mit fürchterlicher Stimme. »Weißt du, wie man in Sibirien die letzten Geheimnisse herausholt? Weißt du das, Söhnchen? Hast du schon einmal gesehen, wie ein Asiate foltert? In Chabronowska war’s, im Süden, vierzig Werst vom Ussuri entfernt. Wir suchten dort nach Erdöl und Kohlen. Neun Monate lang und alles umsonst. Neun Monate in einem Waldlager, ohne Weiber, aber mit viel Schnaps. Da entdeckte einer von uns einen Aul der Burjäten. Weißt du, was ein Aul ist? Ein Dorf aus Filz- und Fellzelten, das wandernde Dorf der Nomaden. Und was macht der Idiot? Er schleicht des Nachts herum, holt sich ein Burjätenmädchen vom Fluss, trommelt mit ihm die ganze Nacht bis zur Morgensonne und lässt es dann laufen mit den Worten: »Grüß mir dein Väterchen und sag ihm, das gibt einen echten Russen!« Und was macht das Väterchen? Es schleicht sich auch heran, klaut Dementi Gawrilowitsch – so hieß der geile Bursche – mitten aus dem Lager, schleppt ihn weg und sagt zu ihm Dankeschön. Vier Tage später finden wir ihn im Dickicht: Söhnchen, er sah nicht mehr menschlich aus. Man hatte große Löcher in sein Fleisch gebrannt, den Penis abgeschnitten und in seinen Mund gesteckt, die Hoden in seine ausgestochenen Augenhöhlen gestopft und jeden Finger einzeln abgehackt, mit denen er das Burjätenweibchen angefasst hatte. Wir haben drei Wochen lang die Burjäten gesucht, aber ihr Aul tauchte nie mehr auf. Wer kann in der Taiga jemanden finden?« Putkin blickte aus der Tür. Gegenüber auf der anderen Flussseite schoss man auf ihn, aber die Kugeln zischten weit von ihm entfernt durch die heiße Sommerluft. »Weißt du jetzt, was sie mit Morotzkij und Nadeshna gemacht haben?«

Er spreizte die Beine, hob schnell die schwere Pistole und drückte ab. Ein Jakute, der anscheinend als Späher zu der Goldwaschmaschine geschlichen war, warf die Arme hoch und sank in sich zusammen. Von allen Seiten antwortete ein ohrenbetäubendes Geheul.

»Nummer 1!«, sagte Putkin zufrieden und trat zurück. »Serikow hat uns vierhundert Schuss hinterlassen. Ein guter General, der Waska Janisowitsch.«

»Es geht zu Ende, Igor Fillipowitsch. Sie werden uns überrennen.« Andreas krallte seine linke Hand in Putkins Arm, mit der rechten hielt er das Gewehr. »Du bist mein Freund, nicht wahr?«, sagte er stockend.

»Notgedrungen, Deutscher.«

»Putkin! Wir haben keine Zeit mehr für dumme ideologische Streitereien. Wir kennen uns beide jetzt zu gut. Ich weiß, wer du bist und wie es wirklich in dir aussieht. lass das Versteckspielen sein, Igor.«

»Was willst du, Söhnchen?«

Er lehnte in der Tür und beobachtete die kleinen Reiter auf ihren gelben Pferdchen. Ein paar der Spitzmützen suchten am Ufer nach einer Furt. Aber das war vergebens. Putkin kannte den Fluss genau … dort gab es nur das wirbelnde, gurgelnde, schäumende Wasser, das durch die Buckelfelsen im Flussbett schoss. In der Mitte lag eine flache Insel aus nackten, glatten, vom Wasser geschliffenen Steinen. Er war ein paarmal zu ihr geschwommen, gegen die kräftige Strömung ankämpfend, und hatte sich dort an einigen Felsen festgeklammert, bis zur Schulter im donnernden Fluss stehend. Das war die einzige Stelle, an der man Boden unter den Füßen hatte, aber der Fluss hämmerte auch dort pausenlos auf einen ein. Strudel quirlten dort das Wasser auf, und Putkin war froh gewesen, jedes Mal mit heiler Haut wieder zum Ufer zurückkehren zu können. Es gab keine Furt … die Reiter gegenüber waren keine Gefahr.

»Du musst mir helfen, Igor …«, sagte Andreas leise. »Ich kann es nicht.«

»Was kannst du nicht…«

»Katja … und das Kind …« Andreas lehnte den Kopf gegen Putkins schweißnasse Schulter. »Igor, hilf mir! Sollen sie umkommen wie Nadeshna …«

»Es ist deine Frau und dein Kind.« Putkin hob wieder die Tokarev. Auf seine Goldwaschmaschine zu bewegte sich ein kleiner Reitertrupp. »Wer liebt und Kinder zeugt, muss auch das andere können.«

»Ich kann sie nicht erschießen«, stammelte Andreas. »Ich kann doch Katja und Amalja nicht … Igor, ich kann es nicht …«

Er wandte den Kopf. Die Susskaja hatte das Kind in eine Decke gewickelt und auf die Ofenbank gelegt. Jetzt zog sie sich an, knöpfte die Bluse über ihrem kräftigen Busen zu und holte unter der Bank einen Kasten hervor. Putkin schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.

»Jekaterina Alexandrowna, das habe ich glatt vergessen. Serikows Handgranaten. Her damit! Bevor wir zur Hölle fahren, wollen wir noch auf Erden kräftig einheizen. Wie viele sind es, schöne Dame?«

»Zehn.« Die Susskaja brachte die Kiste zur Tür. Sie wirkte ruhig und entschlossen. Von Angst lag nichts in ihrem Blick, als sie Andreas ansah, den Kopf hob und ihn auf die Wange küsste.

»Damit rechnen sie nicht.« Sie sagte es völlig ohne Beben in der Stimme. »Vielleicht gelingt es, sie damit einzuschüchtern.«

»In die Hosen werden sie sich scheißen und aus dem Sattel rutschen, so glatt wird’s unter ihren Hintern.« Putkin lachte rau. Er griff in die Kiste, nahm zwei Handgranaten heraus und zog die Schutzhülle von den Reißleinen. »Jetzt lass sie kommen! Wir sind kein Füchslein, das man mit ›Hoi! Hoi!‹ so einfach aus seinem Bau treibt!«

Er sprang aus dem Haus, blickte um die Ecke, sah, wie einige kleine Gestalten heranschlichen, zog die erste Leine und warf das Teufelsei den Jakuten vor die Füße. Noch bevor er wieder die Tür erreicht hatte, erfolgte die Explosion, ein puffendes Krachen, dem ein Atemzug lang Stille folgte. Dann erst klangen die Schreie auf, Gebrüll, Hilferufe, Schmerzenslaute und Wimmern. Irgendjemand heulte schauerlich, mit der ganzen Qual eines zerrissenen Leibes.

Putkin lehnte sich an die Wand und beobachtete die Reiter jenseits des Flusses. Sie ritten zu einem Haufen zusammen, gestikulierten wild, zeigten immer wieder hinüber und schrien dann unverständliche Worte zu der anderen Gruppe.