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ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0381-0

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Inhalt

Vorwort

»Schlechte Lehrer erschaffen schlechte Schüler.«

»In vielen Lehrerzimmern herrscht der totale Krieg.«

»Mancher Schüler-Streit geht heute bis zur Morddrohung.«

»Lehrer sind diebische und rücksichtslose Fressmaschinen.«

»Meine Neunte ist ein Haufen Junkies.«

»Schüler sind die schlimmsten Stalker und Paparazzi!«

»Ich habe das Recht gebrochen, um eine Schülerin vor Schlimmem zu bewahren.«

»Als Lehrer stehe ich schnell mit einem Bein im Knast.«

»Bestechungsversuche von Eltern kommen vor — immer wieder.«

»Den perfekten Spicker gibt es — er gehört mir.«

»Die Ansage lautete: Alle Mädchen werden flachgelegt!«

»Gretchenfrage ist lustig, Zweihundert-Kilo-Arsch ist eine Frechheit.«

»Manche Schüler büffeln, bis im Wortsinne der Arzt kommt.«

»Komm mir nicht mit ADHS, das ist nicht mehr als ein Mythos.«

»Wir bilden Generationen lebensfremder Ungebildeter aus.«

»Wenn Eltern lügen, kann das einen Lehrer den Kopf kosten.«

»Schluss mit dem Whiteboard-Wahnsinn, lasst mir meine Tafel!«

»Da stehen menschliche Wracks und Psychos vor den Schülern.«

»Pädagogik habe ich nie wirklich gelernt.«

»Dann verpassten sie der Zwölfjährigen den Körper eines Pornostars.«

»Manche Eltern meiner Schüler ekeln mich regelrecht an.«

»Jugendliche haben eigentlich keine Ahnung von Jugendsprache.«

»Ich schreie meine Schüler an, täglich!«

»Meine Schüler haben mir mit dem Tod gedroht.«

»Manchmal habe ich keine Ahnung, welcher Schüler zu welchen Eltern gehört.«

»Amokalarm! Fack ju Göhte ist die reine Wahrheit.«

»Mein Geheimnis: Ich bekomme jede Klasse ruhig.«

»Dann war die Klausur weg — einfach verschwunden.«

»Zeugnisnoten sind das, was ich von einem Schüler halte.«

»Alles künftige Profifußballer und Hochbegabte — wenn’s nach Mutti geht.«

»Einige Kollegen sind einfach nur unfähig, die sollte man nicht auf Kinder loslassen!«

»Liebe Frau Metzgerei-Fachangestellte, ich hab das studiert.«

»Die haben Spaß an Blut und aufgespießten Köpfen.«

»Die Eizelle meiner Schulfreundin und das Sperma meines Chemielehrers.«

»Dann hab ich denen meine Bücher in die Hand gedrückt und bin wortlos verschwunden.«

»Nachsitzen bringt gar nichts — gemacht wird es trotzdem.«

»Auch Luxus kann Verwahrlosung bedeuten.«

»Nach der Grundschule können die gar kein klares Wort schreiben.«

»Ich sage: Lasst sie saufen, lasst sie kiffen, lasst sie kotzen.«

»Schüler sind Ehrenmänner, Lehrerinnen sind deutsche Schlampen.«

»Das größte Geheimnis lautet: Lehrer sind keine faulen Säcke.«

»Ich wollte nie Lehrer werden — weil ich grausame Lehrer hatte.«

Schlussbemerkung

Vorwort

Über Lehrer hat jeder eine Meinung, und viele sprechen sie ganz offen aus. Aber was denken eigentlich die Lehrer selbst? Und über was würden sie reden, wenn man sie nur ließe? Tatsächlich haben Lehrer jede Menge zu erzählen – über Schule, über Schüler, über Kollegen und nicht zuletzt über Eltern. Nicht immer kommen die Genannten dabei gut weg. Denn wer mit Lehrern über ihre Geheimnisse spricht, der wird unter anderem zu hören bekommen, dass in manchen Lehrerzimmern regelrechter Krieg herrscht, und dass neben engagierten und äußerst fähigen Pädagogen auch eine große Zahl unfähiger Lehrer auf Kinder und Jugendliche losgelassen wird.

Erzählt wird außerdem über Dinge, die Außenstehende nur mit Widerwillen wahrnehmen, auch wenn eigentlich jeder schon einmal daran gedacht hat. Zum Beispiel, dass Zeugnisnoten keineswegs in Stein gemeißelt und aus harten (Noten-)Fakten errechnet sind, sondern durchaus gelegentlich an den Schüler angepasst werden – und je nachdem eine Spur besser oder schlechter ausfallen können. Und wer hört schon gerne, dass es zwischen Lehrer und Schülerin auch heute noch dann und wann mal funkt? Oder dass Schüler eine Klassenfahrt als Sex-Falle ohne Ausweg planen?

Eltern nehmen ebenfalls viel Raum ein in den Erzählungen. Denn die machen manchem Lehrer die Arbeit reichlich schwer. Da werden Lehrer mit Lügen bei der Schulleitung angeschwärzt, andere Eltern halten sich ohnehin für die besseren Lehrer und bringen das auch sehr deutlich zum Ausdruck. Manche Eltern gehen zudem recht spezielle Wege, wenn es um gute Noten für den Nachwuchs geht – Bestechungsversuche kommen durchaus vor. Familiäre Abgründe sind ein weiteres Thema. Lehrer berichten von Vernachlässigungen und auch von Misshandlungen – und davon, wie sie selbst gegen solche Situationen kämpfen, während sie gleichzeitig mit einem Bein bereits auf illegalem Terrain stehen.

Dann sind da natürlich noch die Schüler, die jedem und gleichzeitig keinem Klischee entsprechen. Da geht es um Morddrohungen gegen Mitschüler, extremes Mobbing mit pornografischem Material oder auch um Schüler, die ihre Lehrerinnen durchaus mal als Schlampen oder Huren bezeichnen. Gleichzeitig wird aber auch von einer Vielzahl an Schülern berichtet, die überhaupt keine Zeit für solche Aktivitäten haben. Längst ist nämlich die Leistungsgesellschaft an den Schulen angekommen. Sie bringt Kinder hervor, für die alles außer einer Eins oder 15 Punkten eine ausgemachte Katastrophe darstellt. Diese Kinder arbeiten gezielt auf den ersten Burn-out zu, bevor sie überhaupt in das Berufsleben einsteigen.

Das Leben eines Lehrers findet inmitten einer Unmenge solcher Geheimnisse statt. Dass es häufig auch Geheimnisse bleiben, hängt damit zusammen, dass gerade verbeamtete Lehrer nicht völlig frei über Schulinterna und auch Personen plaudern können. Die Gesetze setzen da Grenzen. Dass sich in diesem Buch Lehrer sehr offen zu unterschiedlichsten Themen äußern, liegt vor allem daran, dass sie es anonym tun. Alle Namen wurden verändert, und auch die Orte, an denen sie tätig sind, sind so gewählt, dass es unmöglich ist, die reale Person ausfindig zu machen. Das alles dient dem Schutz der Lehrer, die sich sonst mit ihren Erzählungen über Einschränkungen und Vorschriften hinwegsetzen würden.

Neben den wichtigen und häufig erstaunlichen Geschichten kommen immer wieder auch die kleinen Dinge des Schulalltags zur Sprache, von denen wir meist kaum etwas mitbekommen. Zum Beispiel, wie vertraut die Schüler von heute wirklich noch mit dem Thema Goethe sind. Oder was geschehen muss, damit ein Satz wie »Are they Schuld with their Bang Bang and their Sickies?« entsteht. Zu erfahren ist auch, dass Schüler Jugendsprache zwar rege nutzen, tatsächlich aber in vielen Fällen nicht die geringste Ahnung haben, was mancher Begriff bedeutet. Und wer hätte schon geahnt, dass Lehrer im Grunde nur eines wollen: essen.

»Schlechte Lehrer erschaffen schlechte Schüler.«

Und warum das Lehramtsstudium keine Vorbereitung auf den Alltag ist

Peter B., 42, Biologielehrer an einer Gesamtschule in Berlin

Was macht eigentlich einen guten Lehrer aus? Und was einen schlechten Lehrer? Ergänzend stellt sich die Frage, wer das beurteilen soll. Ein offizielles Bewertungsschema gibt es ja nicht. Aber ich habe da eine sehr klare Meinung: Ein schlechter Lehrer ist jemand, der einfach sein Ding durchzieht und fest davon ausgeht, dass der Stoff schon beim Schüler ankommt. Dass das nicht der Fall sein kann und dass seine Art des Unterrichts daran die Schuld tragen könnte, das kann er sich nicht vorstellen – oder es interessiert ihn nicht. Ich selber habe einen Kollegen, der schon viele Jahre im Beruf ist. Als er anfing, war die Welt noch weitgehend frei von Dingen wie dem Internet, niemand hatte je den Begriff Facebook gehört, und Smartphones gab es auch noch nicht. In dieser Zeit hat der Kollege seinen Unterrichtsstil entwickelt, und ich gehe fest davon aus, dass er noch heute mit dem Material von damals arbeitet. Er geht in den Klassenraum, stellt sich vorne hin und redet, bis er den Raum zur Pause wieder verlässt. Frontalunterricht in Reinkultur. Auf der anderen Seite ist er jemand, der kaum mit uns Kollegen über den Unterricht und seine Schüler spricht. Ich denke, weil ihn beides längst nicht mehr wirklich interessiert und er einfach nur noch täglich seine Arbeitsstunden abreißt. Meiner Meinung nach ist das fatal. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Kollege damit glücklich ist – wahrscheinlich hat er sich diese Frage seit Jahren nicht mehr gestellt. Viel wichtiger aber ist, dass er mit seiner Art des Unterrichts nichts erreicht und womöglich sogar einigen Schülern Wege verbaut.

Eines muss ich dazu aber noch erwähnen: Dass besagter Kollege der älteren Lehrergeneration angehört, soll nicht bedeuten, dass ich damit alle älteren Lehrer über einen Kamm schere. Es gibt durchaus Gegenbeispiele. Wir haben in unserem Kollegium gerade erst eine Kollegin in den Ruhestand verabschiedet, die ich sehr schätze und verehre. Sie hat sich bis zum Schluss unglaublich aufgeopfert, und trotz ihrer mehr als 60 Lebensjahre war sie absolut fit mit sämtlichen Internetthemen, mit Computer, DVD oder Beamern. Was absolut nicht selbstverständlich ist, wie ich aus meinem eigenen Verwandtenkreis weiß. Für diese Generation der Sechzigjährigen ist es gar nicht einfach, immer dabeizubleiben, weil sich alles so schnell verändert. Aber diese Kollegin war bis zum letzten Arbeitstag auch in immer wieder neuen Arbeitskreisen aktiv. Das finde ich wirklich bewundernswert.

Aber es gibt eben auch diejenigen vom Typ des angesprochenen Kollegen. Die ziehen das Arbeitsblatt raus, das sie vor zehn Jahren erstellt haben, so wie jedes Jahr. Natürlich habe auch ich Verständnis, dass die Energie im Laufe des Lebens nachlassen kann. Man ist ja nicht nur Lehrer, man zieht selber Kinder groß, pflegt später vielleicht noch kranke Eltern nebenbei – bis man sich sagt, dass man nun im Job nicht mehr 150, sondern nur noch 99 Prozent gibt.

Aber der besagte liebe Kollege hat nicht einen Gang zurückgeschaltet, er ist vielmehr ein leuchtendes Beispiel dafür, dass immer noch und immer wieder Menschen aus dem falschen Grund Lehrer werden. Es gibt so einige junge Lehrer, die beste Voraussetzungen für eine Laufbahn als richtig schlechte Lehrer mitbringen. Weil sie den Beruf nicht aus Lust am Lehren gewählt haben oder weil sie Kindern oder Jugendlichen gerne wertvolles Wissen vermitteln wollen. Wer später einmal ein schlechter Lehrer wird, ist oft mit einem vollkommen anderen Denken an die Sache herangegangen. Wir Lehrer sind schließlich immer noch zum überwiegenden Teil Beamte, und genau dieser Begriff ist das Stichwort. Da überlegt sich ein noch junger Mensch, was er von seinem Leben erwartet und wie er dieses Ziel erreicht. Was dann im Kopf vor sich geht, ist vielfach recht simpel, zu simpel: Man will gutes Geld verdienen, will nicht zu angestrengt dafür arbeiten müssen, und sicher soll der spätere Job auch noch sein. Klar, dass das Beamtendasein schnell in die engere Wahl kommt. Es gibt wohl kaum ein sichereres Dasein als das des Beamten. Da kostet keine Konjunkturkrise den Arbeitsplatz, bis zum Ruhestand wird es jeden Monat pünktlich das Gehalt geben. Das soll natürlich möglichst hoch ausfallen, und daher informiert man sich natürlich auch, welche Beamten am besten verdienen. Schnell kommt der Lehrer in die engere Wahl. Denn der verdient nun mal vergleichsweise gut. Deutsche Lehrer bekommen im europäischen Vergleich mit das meiste Geld – nur die Schweiz und Luxemburg zahlen meines Wissens ihren Lehrkräften mehr. Für manchen sprechen aber noch weitere Aspekte für die Berufswahl: Man kann meist in der Nähe des Arbeitsplatzes wohnen, und weil ein Teil der Arbeit von zu Hause aus erledigt werden kann, ist der Job auch noch familienfreundlich. Das reicht häufig schon aus, um zu sagen: Ich will Lehrer werden. Die Kriterien Schüler und Schulräume haben diese Entscheidung bis zu diesem Zeitpunkt eher beiläufig gestreift. Bestenfalls in Form des klassischen Spruches »Wenn alles schläft und einer spricht, das ganze nennt sich Unterricht«. Was ja das Bild eines bequemen Daseins noch zusätzlich unterstreicht.

An der Universität lässt sich das Bild ebenfalls noch recht problemlos aufrechterhalten. Hier wird den Studenten die Theorie vermittelt, der schulische Alltag spielt kaum noch eine Rolle. Alles geht also weiter in Richtung des Zieles in Form eines ruhigen, überschaubaren Lebens in einem gewissen Wohlstand. Bis der Punkt kommt, an dem der Lehramtsstudent zum Referendar wird. Von einem Tag auf den anderen hält die Realität Einzug. Statt ruhiger Theorie ist der angehende Lehrer nun Situationen ausgesetzt, in denen er sich mit tatsächlichen Menschen auseinanderzusetzen hat. Jungen Menschen, die ihre ganz eigene Vorstellung vom Schulalltag haben, die so gar nicht zu dem passt, was der Lehrer sich ausgemalt hat. Das ist dann häufig ein regelrechter Schock und überfordert so manchen. Genau jetzt beginnt der Weg zu einem schlechten Lehrer. Weil der bei seiner Berufsplanung immer nur von sich ausgegangen ist und davon, was er will – Ruhe, Sicherheit und genug Geld. Hält der Lehrer an diesem Ziel fest und versucht, es in der Form durchzusetzen, dass er quasi Scheuklappen aufsetzt und einfach irgendwie seinen Unterricht absolviert, wird aus ihm nie ein guter Lehrer.

Es gibt gute Lehrer, aber es gibt leider auch sehr viele schlechte Lehrer. Und damit meine ich richtig schlechte. Menschen, die im Grunde ihren Beruf verfehlt haben, und die in einem normalen Unternehmen längst ihren Job verloren hätten, weil sie ihn eben einfach nicht beherrschen. Das Fatale daran: Schlechte Lehrer können auch aus guten Schülern schlechte Schüler machen. Nur redet darüber niemand. Natürlich wird untereinander über solche Kollegen gesprochen, aber kaum jemand wagt es, derartige Kritik an anderen wirklich offen auszusprechen. Zum einen will man mit solchen Aussagen nicht die ganze Schule in Verruf bringen. Denn was wäre, wenn die Eltern erfahren, dass ihre Kinder von offensichtlich unfähigen Lehrern unterrichtet werden? Außerdem bringt es der Beruf ja auch mit sich, dass man die schlechten Lehrer eher zufällig oder erst sehr spät erkennt. Schließlich ist der Beruf des Lehrers einer der wenigen, der überwiegend unkontrolliert ausgeführt wird. Bringt ein Mitarbeiter in einer Firma nicht die erwartete Leistung, dann bekommen Kollegen und Vorgesetzte das schnell mit. Der Lehrer dagegen steht allein vor seiner Klasse. Da dauert es eine Weile, bis es jemandem auffällt, dass bei dem einen Kollegen vielleicht besonders viele Schüler schlechte Noten haben – und wenn es mal auffällt, dann ist da immer noch die Frage nach dem Warum. Zunächst einmal wird der Grund dann bei den Schülern und nicht bei den Lehrern gesucht.

Der Realitätsschock des Referendariats führt immer wieder dazu, dass Lehrer genau dieses Referendariat abbrechen – das geschieht tatsächlich sehr häufig. Weil sie nach dem schön theoretischen Studium plötzlich merken: Oh Gott, das ist ja überhaupt nicht meins! Ich selber bin froh über solche Menschen, die den Schneid haben und sagen, dass sie sich besser etwas anderes suchen. Es gibt aber leider auch die vielen anderen, die der Meinung sind, sie hätten nun fünf Jahre studiert, also müssten sie die Sache auch bis zum Ende durchziehen – auch wenn sie an der Realität wenig Freude haben.

Was man aber ebenfalls sagen muss: Das Referendariat lässt auch manchen womöglich guten Lehrer über die Klinge springen. Denn es gibt Seminarlehrer, also die direkten Vorgesetzten, die sich ihre Opfer heraussuchen, sie fertigmachen und sie systematisch rausekeln. Ich selbst erinnere mich an eine Seminarlehrerin, die den Ruf hatte, dass sie jedes Jahr einen Kandidaten rausekelt. Das hat sie in meinem Jahrgang geschafft, in dem davor und auch in dem Jahrgang nach mir. Diese Lehrer führen im Grunde eine Art Alleinherrschaft bei der Vergabe von Noten, die bei der staatlichen Einstellung letztlich alles bedeuten – was sie häufig sehr gut auszunutzen wissen. Bleibt die Frage, wer Seminarlehrer wird. Meine Seminarlehrerin war eine Person, von der man sich erzählte, dass sie selber zuvor massive Disziplinprobleme in den Klassen hatte. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Entscheider sich sagten, wenn die massive Probleme mit den Schülern hat, loben wir sie halt hoch, vielleicht klappt es ja mit den Erwachsenen. Auf diese Weise kann also eine schlechte Lehrerin auf einen Posten gebracht werden, auf dem sie über die Zukunft junger Lehrer entscheiden soll. Die Frau hat nicht nur als Lehrerin versagt, nun konnte sie auch ihr Ego ausleben, indem sie jedem zeigte, dass sie am längeren Hebel sitzt.

Wer später einmal aber ein wirklich guter Lehrer wird, der geht die Sache vollkommen anders an. Natürlich hält sich jeder Mensch für einigermaßen gut in seinem Beruf. Auch ich halte mich nicht für einen schlechten Lehrer. Würde ich das von mir vermuten, könnte ich mich gar nicht vor meine Schüler stellen. Dass ich Lehrer geworden bin, hatte daher auch nichts mit dem Beamtenstatus und den damit verbunden Vorzügen zu tun. Ich war nie jemand, der einen ruhigen und geregelten Alltag vorzog. Was mich zu der Berufswahl gebracht hat, war der Gedanke an die Möglichkeiten, die ich als Lehrer habe: Dass ich die Chance bekomme, junge Menschen für ein Thema zu interessieren, sie vielleicht sogar so zu begeistern, dass sie mehr wissen und lernen wollen. Natürlich weiß ich inzwischen, dass das einfacher gesagt als umgesetzt ist. Jeder Mensch, der unterrichtet, kennt die frustrierenden Momente, wenn mal wieder alles anders läuft, als man es geplant hat – wenn die eine Hälfte der Klasse zu spät kommt, und die andere Hälfte etwas vollkommen anderes im Sinn hat, als sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Genau in solchen Momenten kommt aber wieder der Unterschied zwischen dem schlechten und dem guten Lehrer zum Tragen. Der schlechte zieht auch jetzt einfach sein Ding durch und arbeitet seinen Stoff ab, vielleicht regt er sich auf, bestraft mit Nachsitzen oder Ähnlichem. Der gute Lehrer ist zwar auch nicht glücklich über die Situation, seine Herangehensweise ist aber eine andere. Er sieht nicht nur sich und seinen Wunsch nach einem ruhigen Alltag, er sieht immer wieder auch die Möglichkeiten, zum Beispiel, das Interesse der Schüler tatsächlich wieder auf das Thema der Stunde zu lenken. Weil es dann wieder ein motivierender Moment ist, wenn die Schüler mitziehen und auch entsprechendes Feedback geben.

Ein guter Lehrer sieht sich auch nicht nur als reinen Lernstoffübermittler, sondern als jemanden, der einen Beruf mit sehr viel mehr Facetten ausübt. Für mich selbst ist der Lehrerberuf der spannendste und interessanteste, den ich mir vorstellen kann. Ich bin Wissensvermittler, manchmal Berufsberater, oft Kummerkasten, täglich Entertainer, von Zeit zu Zeit Reisebegleiter und regelmäßig auch Manager in einer Person.

Aber um mich geht es ja gar nicht. Es geht um schlechte Lehrer, und warum sie ein Problem sind. Mancher mag sagen, die Lehrer sind das geringere Problem, das größere sitzt im anderen Teil des Klassenraumes. Schließlich wird ja immer wieder darüber gesprochen, dass die Kinder häufig in zerrütteten Verhältnissen aufwachsen, dass die Eltern ihnen falsche Werte vermitteln und so weiter. Es stimmt, dass sich in unserer Zeit sehr viel verändert hat. Schwierig wird das aber gerade dann, wenn sich eines nicht verändert oder entwickelt – nämlich der Lehrer.

Viele Menschen werden sich noch an den Schock nach der Veröffentlichung der ersten Pisa-Studie erinnern, die den Leistungen der deutschen Schüler ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellte. Danach wurden zahllose Versuche unternommen, die Ergebnisse zu verbessern – vor allem, indem man am Schulsystem herumwerkelte. Was wenig brachte.

In den USA aber hat man sich etwas anderes überlegt: Man hat nachgeforscht, welchen Einfluss gute und schlechte Lehrer auf die Leistungen ihrer Schüler hatten. Zu diesem Zweck teilte man durchschnittliche Schüler einem Lehrer jeder Kategorie zu und schaute, wie die Schüler sich über einen Zeitraum von drei Jahren entwickelten. Das Ergebnis war ebenso erstaunlich wie erschreckend. Das Leistungsniveau der von guten Lehrern unterrichteten Gruppe stieg über den Zeitraum von dem Anfangswert 50 auf am Ende 90. Die schlechten Lehrer schafften es in der gleichen Zeit, das Leistungsniveau ihrer Schüler vom gleichen Anfangswert 50 auf 37 zu senken.

Es kommt also wirklich auf die Lehrer an. Das ist auch das Ergebnis einer Studie des Wissenschaftlers John Hattie, der Daten von Millionen Schülern untersuchte. Auch sein Fazit lautet: Kleine Klassen bringen nichts, Nachsitzen bringt nichts, offener Unterricht bringt nichts – alles dreht sich um gute Lehrer, und leider eben auch um schlechte Lehrer. Genau deswegen finde ich es so wichtig, dass dieses Tabuthema endlich offen angesprochen wird und dass mancher Lehrer seine Beamtensicht der Dinge ablegt und sich wirklich einmal mit den Schülern beschäftigt. Das ist nicht nur wichtig, sondern auch interessant und faszinierend.

»In vielen Lehrerzimmern herrscht der totale Krieg.«

Wenn Kollegen sich bis aufs Blut bekämpfen, leiden die Schüler

Elke Martina C., 42, Biologielehrerin an einer Realschule in Hamburg

Es ist ja immer wieder die Rede vom täglichen Kampf des Lehrers mit seinen Schülern. Tatsächlich gibt es aber noch einen ganz anderen Schauplatz, an dem die wirklich erbitterten Kämpfe ausgefochten werden: Das Lehrerzimmer ist nämlich im Grunde auch nur ein Klassenzimmer, und in dem wird regelmäßig der Kriegszustand ausgerufen. Da schreit man sich übelst an, da wird gemobbt, was das Zeug hält, und da schreckt so mancher auch nicht vor ebenso kindischen wie menschenverachtenden Streichen zurück.

Ich habe da schon die unterschiedlichsten Sachen erlebt. Vor allem an den staatlichen Schulen ist es schlimm. Weil dort die Lehrer nicht nach ihren Fähigkeiten ausgewählt werden oder gar danach, ob sie in irgendeiner Form als Team zusammenpassen. Die Konstellation im Kollegium entsteht vielmehr dadurch, dass im Kultusministerium anhand von Notenschnitten Lehrer irgendwelchen Schulen zugewiesen werden. An Privatschulen wird dagegen nach Vorstellungsgesprächen und Notenschnitt entschieden, da hat man also Anhaltspunkte, wen man wohin schickt. Das macht sich im Kollegium durchaus bemerkbar, weil sich die Gruppe besser zusammenfügt und es einfach besser passt. Bei der Auswahl sind Menschen beteiligt, die darauf achten, ob der Einzelne sich gut in eine Gruppe einfügen könnte.

Wie wichtig das ist, zeigt die Situation an manchen staatlichen Schulen. Da wirkt der Begriff Kollegium, der ja für die Kollegen an einer Schule steht, fast schon absurd. Denn von kollegialem oder gar freundlichem Umgang miteinander ist vielfach keine Rede. Stattdessen herrscht einfach nur noch böses Blut. Einige Lehrer reden schon seit Jahren kein Wort mehr mit den anderen. Ich habe Situationen erlebt, in denen die Feindschaft so tief saß, dass einzelne Lehrer aus Prinzip nicht auf Veranstaltungen anderer Lehrer erschienen sind.

Wobei feindseliges Schweigen oder ein Nichterscheinen noch die zivilisiertere Art der Abneigung darstellt. Ich habe auch schon erlebt, dass man sich quer über fünf Bänke bei Veranstaltungen anschrie und dabei übelste Beschimpfungen ausstieß. An meiner vorherigen Schule war es so schlimm, dass es mich jedes Mal Überwindung gekostet hat, das Lehrerzimmer zu betreten. Ich habe mich in dem Schuljahr dann um Ostern herum entschlossen, mir das nicht mehr anzutun – ich habe mich also bis zum Ende des Schuljahres überhaupt nicht mehr im Lehrerzimmer aufgehalten. Weil ich die Atmosphäre als derart unerträglich aggressiv und vergiftet empfand. Es war wirklich unglaublich. Jeder lästerte über jeden. Jeder versuchte, einen auf seine Seite zu ziehen, und wenn das nicht funktionierte, wurde man selbst ebenfalls zum Gegenstand von Lästereien und Beschimpfungen. Da fühlt man sich schon allein und vor allem allein gelassen. Froh kann man sein, wenn man zwei oder vielleicht drei Kollegen findet, denen es ähnlich geht, und die sich ebenfalls dem ganzen Streit oder Hass durch Rückzug entziehen.

Das alles ist aber nicht nur für den Lehrer als Mensch sehr belastend. Eine derart vergiftete Atmosphäre bleibt ja nicht auf das Lehrerzimmer begrenzt. Sie beeinflusst die gesamte Schule, und damit nicht zuletzt den Unterricht. Es ist kein Psychologiestudium notwendig, um sich vorzustellen, wie sich das fortsetzt. Ich habe es selbst mehrfach erlebt: Da streiten sich zwei Lehrer minutenlang miteinander, dann stürmen sie immer noch aufgebracht aus der Tür und machen sich auf den Weg zum Unterricht. Auf dem Weg dorthin wird schon mal ein Schüler unwirsch angefahren, der gar nicht weiß, wie ihm gerade geschieht. Und dass der Unterricht mit aller pädagogischen Finesse gehalten wird, davon kann nach solchen Vorfällen sicher auch keine Rede sein.

Als ich solche Situationen in Lehrerzimmern erlebt habe, habe ich mich anfangs gefragt, ob das Zufall ist und ob das nur an der einen Schule passiert. Tut es nicht, wie ich inzwischen weiß. Ein Freund von mir ist Lehrer in Berlin, und dort geht man davon aus, dass rund zehn Prozent aller Lehrer sich von ihren Kollegen gemobbt oder gar regelrecht terrorisiert fühlen – in anderen Berufen trifft das im Schnitt auf weniger als drei Prozent der Mitarbeiter zu. Nur gilt gerade das Mobbing unter Lehrern als Tabuthema.

Dabei sind Lehrer diejenigen, die genau dieses Mobbing eigentlich zur Perfektion gebracht haben. Oft fängt das mit Kleinigkeiten an. Da markieren zum Beispiel ältere Kollegen an den Tischen im Lehrerzimmer mit Büchern ihr Revier. Das dann noch unauffällig vergrößert wird, wenn sich ein unliebsamer Kollege oder ein unerfahrener Neuling nähert. Mit Worten wird das Revier ebenfalls markiert. Fragt etwa ein Neuer, dann beginnt der Angesprochene ein Gespräch mit einem anderen Kollegen und ignoriert den Fragenden, um ihm seine Stellung in der Hackordnung zu zeigen.

Natürlich wird auch über andere geredet, und zwar in einer Form, die nicht selten die Grenze zu übler Nachrede überschreitet. Da wird Kollegen jede Fachkenntnis abgesprochen, ihnen stattdessen eine sehr problematische Persönlichkeit zugesprochen. Oft mit dem Ziel, Einzelne vollkommen auszugrenzen und sie am Ende auch noch bei der Schulleitung als absolut unfähig hinzustellen.

Andere Fälle wirkten auf den ersten Blick regelrecht kindisch, waren im Endeffekt aber fast schon menschenverachtend. Da wurden Schrankfächer von Kollegen mit klebriger Schmiere verschmutzt oder man spritzte Sekundenkleber in Schlüssellöcher.

Manchmal geht es dabei auch um Neid. Ich habe erlebt, dass ein Lehrer eifersüchtig auf einen anderen war, weil der eine Klassenreise machen sollte, die weit interessanter als die eigene war. Also tat der neidische Lehrer alles, um die Klassenreise des anderen zu sabotieren. Das Budget der Reise wurde kritisiert, der pädagogische Wert in Zweifel gezogen und so weiter und so fort. Und wenn jemand versehentlich zugibt, dass es in seiner Klasse Probleme mit der Disziplin gibt, kann es passieren, dass diese Information von den anderen genutzt wird, um die Kompetenz dieses Lehrers in Frage zu stellen. Nicht nur das, ist dieser Kollege besonders unbeliebt, wird das Wissen auch der Schulleitung gesteckt. Natürlich nicht direkt, sondern um drei Ecken, damit man selbst bloß nicht zur Rede gestellt wird. Auf Dauer wird so ein Kollegium dann zu einer Art Vorstufe einer Psycho-Klinik: Gedemütigte Lehrer sind von Panikattacken geplagt, andere lassen sich immer wieder krankschreiben und erscheinen kaum noch an der Schule. Zeit für die mobbenden Lehrer, sich wieder neue Opfer zu suchen und weitere ebenso rücksichtslose wie kindische Spielchen zu treiben.

Die andere Seite der Sache zeigt sich in den Klassenzimmern, wo sich nicht nur der aufgebrachte oder frustrierte Lehrer, sondern auch die Schüler befinden. Gerade Kinder sind ja regelrechte Gefühls-Seismographen. Die spüren sehr genau, wenn etwas nicht in Ordnung ist oder der Lehrer sich anders benimmt, als man es von ihm kennt.

Ich erinnere mich in Sachen Lehrerkrieg an eine Episode vor zwei Jahren. Eine Kollegin hatte zu jener Zeit häufig mit mir Pausenaufsicht. Nur ist sie mehrfach nicht erschienen. Das ist keine Nebensächlichkeit, sondern schlicht eine Verletzung der Aufsichtspflicht. Denn wenn etwas passiert in dem Bereich, den sie zu beaufsichtigen hat, ist sie fällig und bekommt Ärger. Verletzt sich zum Beispiel ein Schüler, ist sie Schuld, weil sie nicht vor Ort war und ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkam. Die Schulleitung wusste davon, nur unternahm sie nichts dagegen. Ich selbst habe mich etwas allein gelassen gefühlt, im doppelten Sinne. Es handelte sich um eine große Pausenhalle, die wir zu zweit beaufsichtigen sollten, da eine Person allein das Areal nicht in dem notwendigen Maß beobachten konnte.

Irgendwann habe ich die Kollegin darauf angesprochen. Ich habe ihr gesagt, sie solle sich doch bitte daran erinnern, dass sie ebenfalls Aufsicht habe und sie mir die Aufgabe nicht allein überlassen dürfe. Das war an einem Tag, als sie tatsächlich einmal in der Pausenhalle erschienen war. Ich sprach mit ruhiger Stimme zu ihr über eine Distanz von vielleicht zwei oder drei Metern, als sich gerade keine Schüler in unmittelbarer Nähe befanden. Kaum hatte ich ausgesprochen, stürmte die Kollegin auf mich zu, stellte sich direkt vor mich und brüllte mich an, während sie gleichzeitig mit dem Finger vor meiner Nase herumfuchtelte. Ich solle mich gefälligst um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, wenn sie ausnahmsweise einmal die Pausenaufsicht nicht wahrnehme, gebe es dafür gute Gründe. Besonders brisant an der Situation war, dass die Kollegin in einer Lautstärke brüllte, die in der gesamten Pausenhalle zu hören war. Den Streit bekam die versammelte Schülerschaft mit. Genau die Kinder und Jugendlichen also, denen wir immer wieder von den Möglichkeiten des Streitschlichtens und der Konfliktbewältigung erzählten und die genau darin bestanden, dass man sich nicht wild ankeift und mit dem Finger vor dem Gesicht des anderen herumfuchtelt.

Der gute Grund der Kollegin, die Pausenaufsicht nicht wahrzunehmen, bestand übrigens darin, dass sie in Ruhe etwas essen wollte. Das stellte sich allerdings erst später heraus. Während dieser Zeit log sie mich vielmehr offen an. Wenn ich fragte – anfangs noch ohne jegliches Misstrauen –, ob sie die Aufsicht eventuell vergessen habe, hieß es »oh, ich hatte eine wichtige Besprechung, die ich nicht versäumen durfte« oder »ich hatte einen Termin beim Konrektor«. Gerade letztere Lüge brachte dann die Wahrheit ans Licht. Ich verstand mich nämlich recht gut mit eben diesem Konrektor, und sprach ihn kurz danach darauf an. Der wusste von keinem Termin der Kollegin, hatte sie vielmehr schon lange nicht mehr in seinem Büro gesehen.

»Mancher Schüler-Streit geht heute bis zur Morddrohung.«

Und warum Schulen nicht gerne darüber sprechen

Ludwig G., 48, Deutschlehrer an einer Realschule in Bayern

Dass manche Schüler sich nicht mögen, ist normal. Dass sie sich prügeln, das kommt vor. Was ich allerdings nie erwartet hätte: Mittlerweile geht so etwas bis hin zu offenen Morddrohungen. Was natürlich niemand gerne sagt, weil Eltern ihr Kind wohl kaum freiwillig an eine Schule schicken würden, an der so etwas vorkommt.

Genau in einer solchen Morddrohung mündete aber bei uns kürzlich ein langer Streit zweier Schüler. Die beiden mochten sich von der ersten Begegnung an nicht. Was sicher auch daran lag, dass diese beiden Menschen unterschiedlicher nicht sein konnten. Der eine war ein Junge, der sich mehr durch körperliche Kräfte als durch geistige Fähigkeiten auszeichnete. Der andere dagegen war ein sehr ruhiger Mensch, der durchaus ein intellektuelles Potenzial besaß und bei Streitigkeiten mit Worten statt mit Fäusten kämpfte.

Nun ist es heute ja so, dass sich Streitigkeiten zwischen Schülern nicht auf die Schule beschränken. Das Internet bietet zahllose Möglichkeiten, etwaige Auseinandersetzungen auch online fortzusetzen. Der Schlauere der beiden nutzte genau das, um seinen Frust über den brutalen Mitschüler loszuwerden, gegen den er körperlich keine Chance hatte. Auf Plattformen wie Facebook, reddit oder in Internet-Foren berichtete er über die Feindschaft der beiden und beschrieb seinen Kontrahenten als eine Art Steinzeitmenschen ohne Hirn. Als er dazu auch noch Karikaturen postete, die den Mitschüler wie einen Neandertaler wirken ließen, erfuhr auch der davon. Es entbrannte ein über Wochen online ausgetragener Streit. Der allerdings war eben nicht die Art Streit, die dieser Schüler bevorzugte, Worte waren halt nicht so sehr seine Sache. Er brachte seine Meinung daher eines Tages in wenigen Worten auf den Punkt: »Ich bring dich um, Digga!«

Das mag ein im Affekt niedergeschriebener Satz gewesen sein, doch dieser Satz beinhaltete nicht weniger als eine Morddrohung. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte außerhalb der Internet-Gemeinde noch niemand von dem Online-Streit Notiz genommen. Nun allerdings erzählte der bedrohte Schüler seiner Mutter, dass ihn jemand umbringen wolle. Die Mutter nahm sofort Kontakt zur Schule auf und berichtete von dem Vorfall. Natürlich konnte man eine Morddrohung nicht auf die leichte Schulter nehmen oder sie unter den Tisch kehren. Also wurde ein Gesprächstermin anberaumt, an dem die beiden Schüler und ihre Eltern teilnehmen sollten. Der Klassenlehrer und der Schulleiter waren ebenfalls dabei. Vor allem aber wurde auch ein Kontaktpolizist angefordert. Das sind Beamte, die meist nicht in Uniform erscheinen – sie sind einfach dabei, und sie wollen in der Regel auch niemanden festnehmen. Ihre Anwesenheit steht dafür, dass der Fall den Behörden nicht egal ist, und dass es von Interesse ist, für Recht und Ordnung zu sorgen.

Am Tag des Termins waren fast alle Beteiligten versammelt – nur der Verfasser der Morddrohung war nicht gekommen. Immerhin hatte sich seine Mutter eingefunden, die sich für ihr Kind entschuldigte. Sie würde so etwas von ihm gar nicht kennen. Damit war die Sache nicht wirklich perfekt vom Tisch, weil besagter Sohn sich nicht selbst äußerte. Trotzdem gaben sich der bedrohte Schüler und dessen Eltern damit erst einmal zufrieden. Man verlasse sich darauf, dass so etwas nicht mehr vorkomme. Beide Seiten reichten sich die Hände und wollten gehen.

Womit allerdings niemand gerechnet hatte: Der Kontaktpolizist gab sich mit dieser schnellen Einigung nicht zufrieden. Er sagte vielmehr, dass niemand gehen könne – man brauche die Anwesenden noch als Zeugen. Denn eine Morddrohung sei ein Offizialdelikt. Und ein Polizist, der ein solches Offizialdelikt wahrnimmt, der kann nicht einfach sagen »Das ist ja noch mal gutgegangen«. Ein Offizialdelikt kommt zur Anzeige. Was auch in diesem Fall trotz der schnellen Einigung der Beteiligten bedeutete, dass der Schüler angezeigt wurde, der diese Drohung verfasst hatte.

Der Kontaktpolizist erzählte später, dass gerade im Internet inzwischen Drohungen und Beleidigungen Alltag sind. Die Menschen würden sich dort anonym fühlen und all das sagen, was sie sich im normalen Alltag nicht trauten. Vor allem glaubten viele Internetnutzer immer noch, dass sie sich in einem rechtsfreien Raum bewegen, in dem die Gesetze nicht gelten. Nur ist eben genau das nicht der Fall.

Die beiden Schüler haben ihren Streit nie offiziell beigelegt. Doch es wurden keine weiteren Anfeindungen via Internet bekannt. In der Schule sind sie sich seitdem aus dem Weg gegangen, sodass es auch dort zu keiner weiteren Eskalation gekommen ist. Ich weiß zwar nicht, wie es mit der Anzeige weitergegangen ist. Ich habe aber von ähnlichen Fällen gehört, in denen Täter zu Geldstrafen verurteilt worden sind – und zwar in vierstelliger Höhe, was deutlich unterstreicht, dass Drohungen via Internet kein Bagatelldelikt darstellen.

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