image1
Logo

Die Herausgeber

Images

Vertretungsprofessorin Dr. phil. Renate Schramek lehrt und forscht zu den Schwerpunkten Gesundheit und Didaktik, Lernen, Bildung und Engagement im Alter und im Kontext von Community Health an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Sie ist Mitbegründerin und stellvertretende Direktorin des »Forschungsinstitut Geragogik« in Düsseldorf und beschäftigt sich seit 20 Jahren mit dem Thema Alter, Lernen, Bildung, Engagement und Gesellschaft.

Images

Professorin Dr. Cornelia Kricheldorff lehrt Soziale Gerontologie und Soziale Arbeit im Gesundheitswesen an der Katholischen Hochschule Freiburg. Sie beforscht Themen der Gerontologie und Versorgungsforschung am Institut für Angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung (IAF), das sie als Prorektorin auch leitet. Als Gründungsmitglied und langjährige Sprecherin des AK Geragogik hat sie sich mit Fragen zu Altern und Bildung intensiv beschäftigt.

Images

Professor Dr. Bernhard Schmidt-Hertha lehrt und forscht am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Tübingen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Weiterbildung in der zweiten Lebenshälfte, informelles Lernen und Hochschulforschung. Er ist Gründer und Koordinator des internationalen Netzwerks »Education and Learning of Older Adults (ELOA)«.

Images

Professorin Dr. Julia Steinfort-Diedenhofen lehrt und forscht auf der Professur »Theorien und Konzepte der Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Geragogik« im Fachbereich Sozialwesen der Katholischen Hochschule NRW, Standort Köln. Ihre Schwerpunkte sind Lern- und Bildungsanlässe im Alter und für das Altern sowie die Themen Identität und Engagement im Lebenslauf. Zuvor war sie Mitarbeiterin beim Forschungsinstitut Geragogik.

Schramek, Kricheldorff, Schmidt-Hertha, Steinfort-Diedenhofen (Hrsg.)

Alter(n) – Lernen – Bildung

Ein Handbuch

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032751-1

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-032752-8

epub:   ISBN 978-3-17-032753-5

mobi:   ISBN 978-3-17-032754-2

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt

 

 

 

  1. Vorwort
  2. Prolog: Theoretische Modelle für die Bildung älterer Erwachsener: eine kritische Analyse aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive
  3. Dominique Kern
  4. Teil 1: Theoriezugänge zur Altersbildung
  5. Positionen zur Theoriebildung und wissenschaftlichen Verortung von Lernen und Bildung im Alter
  6. Cornelia Kricheldorff
  7. Das Altern lernen – theoretische Perspektiven in Erziehungswissenschaften und Gerontologie
  8. Ines Himmelsbach
  9. Altern – Lernen – Bildung aus der Perspektive der Sozialen Gerontologie
  10. Cornelia Kricheldorff
  11. Sozialgeragogik als Konvergenzbegriff
  12. Julia Steinfort-Diedenhofen
  13. Teil 2: Forschungsansätze zu Lernen und Bildung im Alter
  14. Forschung zu Bildung und Lernen im Alter und mit älteren und alten Menschen
  15. Renate Schramek
  16. Die Bedeutung von Large-Scale-Studien für die Forschung zu Bildung im Alter
  17. Bernhard Schmidt-Hertha
  18. Bildungsbarrieren im Lebenslauf – Effekte kumulativer Bildungsbenachteiligung?
  19. Vera Gallistl, Anna Wanka und Franz Kolland
  20. Lernen und Teilhabeförderung im Rahmen partizipativer Technik- entwicklung: Forschungsansatz und -methode im Projekt »OurPuppet«
  21. Renate Schramek, Verena Reuter und Andrea Kuhlmann
  22. Altern und lebensentfaltendes Lernen
  23. Claudia Kulmus
  24. Lernen in der Lebensendphase. Vom Nutzen journalistischer Quellen für die Analyse biografischer Lernprozesse
  25. Dieter Nittel und Nikolaus Meyer
  26. Teil 3: Felder der Bildungsarbeit mit älteren und alten Menschen
  27. Vielfalt in Ansätzen, Kontexten und Methoden
  28. Julia Steinfort-Diedenhofen
  29. Biographische Perspektiven auf Bildung und Lernen im Alter
  30. Daniela Rothe
  31. Intergenerationelles Lernen
  32. Julia Franz und Bernhard Schmidt-Hertha
  33. 30 Jahre Senior*innenstudium – eine kritische Zwischenbilanz
  34. Silvia Dabo-Cruz und Karin Pauls
  35. Die stationäre Altenhilfe als Bildungsort. Methodische Zugänge und Perspektiven am Beispiel des geragogischen Begleitungsansatzes
  36. Britta Deppe, Susanne Jahn, Hella Kunz und Walter Wittkämper
  37. Musikgeragogik
  38. Theo Hartogh und Hans Hermann Wickel
  39. Kunst- und Kulturgeragogik
  40. Sabine Baumann und Kim de Groote
  41. Demografische Entwicklungen als Herausforderung für die betriebliche Bildung und berufliche Kompetenzentwicklung älterer Arbeitnehmer*innen
  42. Renate Schramek und Uwe Elsholz
  43. Freiwilliges Engagement als Lernfeld im Alter – ein geragogisches Handlungsfeld
  44. Elisabeth Bubolz-Lutz und Julia Steinfort-Diedenhofen
  45. Partizipative Seniorenpolitik: zur Bedeutung von Lernen und Bildung am Beispiel kommunaler Altenberichterstattung und -planung
  46. Elke Olbermann, Britta Bertermann und Barbara Eifert
  47. Teil 4: Informelles Lernen und Bildungskonzepte
  48. Spotlights der Bildung im Alter: Angebotskonzepte und informelle Lernkontexte
  49. Bernhard Schmidt-Hertha
  50. Medienaneignung von älteren Erwachsenen in informellen Kontexten
  51. Veronika Thalhammer
  52. Ernährungs- und essbezogenes Lernen im Alter
  53. Anika Klein
  54. Kulturelle Bildung und Teilhabe im Kunstmuseum – Überlegungen zur Konzeptualisierung von kunstbasierten Angeboten für Menschen mit Demenz
  55. Ann-Katrin Adams, Arthur Schall, Valentina A. Tesky, Frank Oswald und Johannes Pantel
  56. Kriegskinder – reden und erinnern statt vergessen oder schweigen: Erwachsenenbildung greift das Thema auf
  57. Gertrud Völkening
  58. »Uns trifft es härter« – Männer und ihre Baustellen beim Älterwerden
  59. Günther Holzapfel
  60. Glossar
  61. Die Autorinnen und Autoren

Vorwort

 

 

 

 

Mit dem vorliegenden Buch treibt das Herausgeberteam den wissenschaftlichen Diskurs zu Lernen und Bildung im Alter weiter voran und knüpft damit gleichzeitig an vorausgegangene Veröffentlichungen (Bubolz-Lutz et al. 2010) an. Zu diesen Veröffentlichungen zählen Arbeiten aus der Erziehungswissenschaft (z. B. Anding 2002; Schneider 1993; Tippelt u. a. 2009) und der Gerontologie (z. B. Lottmann 2012) ebenso wie Veröffentlichungen aus der Psychologie (z. B. Leipold 2012), der Soziologie (z. B. Kolland/Ahmadi 2010; Sommer/Kühnemund 1999), der Volkswirtschaft (z. B. Menning 2008) oder der Religionspädagogik (z. B. Evers 1999) – um nur einige Disziplinen und Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum zu nennen. Im Blick sind dabei zunächst die profilbildenden Positionen der verschiedenen Disziplinen und Professionen, für die die einzelnen Autor*innen im ersten theoretischen Teil stehen. Die Einzelbeiträge erscheinen dabei zunächst eher additiv in einer multidisziplinären Logik. Sie eint die Zentrierung um den gleichen Gegenstand – der Bildung im und für das Altern sowie der dafür notwendigen wissenschaftlichen Fundierung. Aber auch das Ringen um Inter- und Transdisziplinarität wird sichtbar, wenn Querverbindungen und Verweise auf die jeweils andere Perspektive vorgenommen und mit der Positionsbestimmung der Geragogik verknüpft werden. Damit stellt das Buch auch einen neuen Meilenstein in der Debatte um die wissenschaftliche Verortung der Geragogik dar und beleuchtet gleichzeitig die Position von Bildungsprozessen im Alter innerhalb der Erziehungswissenschaft.

Die im deutschsprachigen Raum eng mit dem Begriff der Geragogik verbundene Auseinandersetzung mit Bildungsprozessen für das Alter und im Alter und bezogen auf den Prozess des Alterns ist sowohl innerhalb der Erziehungswissenschaft als auch für die Gerontologie und andere Sozialwissenschaften von zentraler Relevanz. Auch wenn die Auseinandersetzung mit geragogischen Fragestellungen erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten erheblich an Präsenz in wissenschaftlichen Diskursen gewonnen zu haben scheint, reicht die Tradition bildungswissenschaftlicher und gerontologischer Arbeiten zu dem Thema deutlich weiter zurück. Die Zusammenführung verschiedener Wissenschaftstraditionen, die sich bis ans Ende des vergangenen Jahrhunderts oft weitgehend unabhängig voneinander mit Bildung im Alter beschäftigten, gehört zu den zentralen Anliegen der Geragogik, wie auch dieser Band verdeutlicht. Dabei kann es nicht darum gehen, die disziplinäre Verortung von Forschungsarbeiten zu negieren, sondern darum, die spezifischen Beiträge unterschiedlicher Disziplinen zum Thema deutlich zu machen und diese diskursiv aufeinander zu beziehen.

Zum Auftakt erscheint ein erziehungswissenschaftlicher Blick aufs Thema aus international-europäischer Perspektive sinnvoll, der auch die historische Entwicklung bestimmter fachlicher Positionen aufzeigt. Dieser Eingangsbeitrag steht für den Blick über die fachpolitischen, disziplinären und nationalstaatlichen Grenzen, der auch durch die Zusammensetzung der Autor*innen des gesamten Bandes insgesamt stark betont wird.

Die Publikation beginnt im ersten Teil mit der Verortung von Bildung und Lernen im Alter an den Schnittstellen zur Gerontologie und zur Sozialen Arbeit. Dabei geht es auch um verschiedene Verständniszugänge und die unterschiedliche Verwendung zentraler Begrifflichkeiten und deren Kontextualisierung. Deutlich wird, dass dabei jeweils auf die Anschlussfähigkeit an die jeweiligen Fachdebatten geachtet wird und dass sich die wissenschaftliche Fundierung der Geragogik nicht außerhalb des aktuellen Wissenschaftsdiskurses bewegt.

Im zweiten Teil des Buches, der auf verschiedene Vorgehensweisen in Forschungsprojekten und deren zentrale Ergebnisse fokussiert, werden zum einen ebenfalls gemeinsame Perspektiven und zum anderen auch Unterschiede in der angewandten Forschungsmethodik sowie verschiedene Blickrichtungen deutlich. Hier zeigen sich deutliche Abgrenzungen und unterschiedliche Logiken, die den Eindruck der Multiprofessionalität in der Geragogik eher verstärken. Im Forschungsbereich stechen die Herkunftsdisziplinen am deutlichsten hervor – ein Umstand, der für die Vielfalt der Zugänge und wissenschaftlichen Bezüge innerhalb der Geragogik steht.

Die mittlerweile hohe Diversität unterschiedlicher Orte der Bildung und der fachlichen Konzepte stehen im Zentrum des dritten Teils der Publikation. Dabei wird ein buntes Kaleidoskop von innovativen Ansätzen sichtbar, die die Vielfalt von Zugängen und Wegen im Bereich geragogischer Bildungsarbeit repräsentieren – es zeigt sich eine eindrucksvolle Zusammenschau von Möglichkeiten im Feld von Lernen und Bildung im Alter.

Im abschließenden vierten Teil wird der Blick auf ganz spezifische thematische Fokussierungen sowie auf eher informelle Bildungssettings gelenkt. Auch hier wird durch die Vielfalt der verwendeten Begrifflichkeiten, die nebeneinander stehen, und den Themenreichtum die Diversität der Geragogik sichtbar.

In der Gesamtschau auf alle Beiträge werden aber auch klare Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten deutlich, die sich wie ein roter Faden durch die Publikation ziehen. So scheint in allen Beiträgen das Ringen um eine Verwirklichung von individuellen Entwicklungspotenzialen auf, die über Lern- und Bildungsarrangements gefördert und damit dem alternden Menschen als Ressource zur Verfügung stehen. Die Förderung von sozialer Teilhabe und Selbstbestimmung ist ein zweiter Aspekt, den alle Autor*innen mehr oder weniger explizit thematisieren. Weiter geht es im Sinne einer Gemeinschaftsorientierung insgesamt zudem um die Gestaltung der Lebensphase Alter im Sinne von »Mitverantwortung für ein ›gutes Leben‹ im Alter« (Kruse 2017, 28). »Teilhabe erscheint somit als Ergebnis eines Zusammenwirkens von personalen, sozialen, kulturellen, kommunalen und gesellschaftlichen Einflussfaktoren, wobei Bildung als ein zentraler Mechanismus bei der Schaffung teilhabeförderlicher Strukturen gewertet wird« (ebd., 29).

Gleichzeitig verdeutlichen die Beiträge – einmal mehr – die Heterogenität von Alter und älteren Erwachsenen. Angebote für und Forschungen über »die Älteren« greifen deutlich zu kurz und das kalendarische Alter scheint in Bildungskontexten insgesamt nachrangig zu sein – gerade auch gegenüber anderen eng damit assoziierten Konstrukten, wie Lebensphase oder generationeller Zugehörigkeit. Um der Vielfalt des Alters gerecht zu werden bedarf es spezifischer Zugänge, die die jeweilige Lebenssituation, bildungsbiografische Aspekte, soziale Zugehörigkeit sowie individuelle Interessen der Lernenden oder ihre Expertenschaft für eigene Belange ernst nehmen.

Wenn dieses Buch zu weiterführenden wissenschaftlichen Diskursen und Debatten zum Thema Alter(n) – Lernen – Bildung anregt, haben wir als Herausgeberteam ein wichtiges Ziel erreicht. Wir danken allen Autor*innen und den Mitgliedern des AK Geragogik, die uns in den Sitzungen und Tagungen des Arbeitskreises wichtige Impulse geliefert haben, sowie für Impulse aus der Arbeitsgruppe Altern und Bildung innerhalb der DGfE.

Mit Blick in die Zukunft bleibt festzuhalten: »Langfristiges Ziel ist der Aufbau von Bildungsstrukturen, die die Planungs- und Handlungsspielräume des Lernens im Alter in Richtung auf mehr Selbstbestimmung der Lernenden erweitern und festigen« (Bubolz-Lutz 2017, 30). Dafür ist noch ein deutlicher Bedarf zu konstatieren.

Renate Schramek
Bochum

Cornelia Kricheldorff
Freiburg

Bernhard Schmidt-Hertha
Tübingen

Julia Steinfort-Diedenhofen
Köln

Literatur

Anding, A. (2002): Bildung im Alter. Bildungsinteressen und -aktivitäten älterer Menschen. Beitrag zu einer Bildungstheorie des Alters. Leipzig: Weißenfels.

Bubolz-Lutz, E./Gösken, E./Kricheldorff, C./Schramek, R. (2010): Geragogik. Bildung und Lernen im Prozess des Alterns. Das Lehrbuch. Stuttgart: Kohlhammer.

Bubolz-Lutz, E. (2017): Non-formal selbstbestimmt. Selbstbestimmtes Lernen im Alter am Beispiel des ›Denk-Raum 50 plus‹. In: DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung 4/2017, 30–32.

Evers, R. (1999): Alter – Bildung – Religion. Eine subjekt- und bildungstheoretische Untersuchung. Stuttgart: Kohlhammer.

Kolland, F./Ahmadi, P. (2010): Bildung und aktives Altern. Bewegung im Ruhestand. – Bielefeld: Bertelsmann.

Kruse, A. (2017): Zur Notwendigkeit eines neuen gesellschaftlichen Entwurfs des Alters. Selbst- und Weltgestaltung in ihrer Bedeutung für Teilhabe im Alter: der Beitrag der Bildung. In: DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung 4/2017, 25–29

Leipold, B. (2012): Lebenslanges Lernen und Bildung im Alter. Stuttgart: Kohlhammer.

Lottmann, R (2012): Bildung im Alter – für alle? Altersbilder, Ziele und Strukturen in der nachberuflichen Bildung in Deutschland und den USA. Bielefeld.

Menning, S. (2008): Bildung und Alter. http://www.dza.de/fileadmin/dza/pdf/GeroStat_Report_Altersdaten_Heft_2_2008.pdf [04.12.2017].

Schneider, K. (1993): Alter und Bildung. Eine gerontagogische Studie auf allgemeindidaktischer Grundlage. Bad Heilbrunn, Obb.

Sommer, C./Künemund, H. (1999): Bildung im Alter. Eine Literaturanalyse. Berlin: Forschungsbericht/Freie Universität Berlin, Institut für Soziologie, Forschungsgruppe Altern und Lebenslauf.

Tippelt, R./Schmidt, B./Schnurr, S./Sinner, S./Theisen, C. (Hg.) (2009): Bildung Älterer – Chancen im demografischen Wandel. Bielefeld: Bertelsmann.

Prolog: Theoretische Modelle für die Bildung älterer Erwachsener: eine kritische Analyse aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive

Dominique Kern

In der Bildungs- und Erziehungswissenschaft entwickelte sich im Schatten der Kindheits- und Jugendfokussierung seit den 1950er Jahren eine systematische Forschung über ältere Erwachsene. Im Folgenden zeigt ein kurzer historischer Abriss die Vielfalt und die Komplementarität der Ansätze. Die empirischen und theoretischen Arbeiten – das Kapitel beschränkt sich bei der Analyse auf Beiträge aus dem englischen, deutschen und französischen Sprachraum – ergeben zusammengenommen ein sich ergänzendes Bild über den » state of the art«. Dabei fällt aber auf, dass die meisten Ansätze von einer biologisch-medizinischen Prämisse ausgehen: Das menschliche Leben wird in drei große Phasen unterteilt (Kindheit, Erwachsenenalter und das hohe Alter), wobei den Kategorien für die Bildung bedeutsame Eigenheiten attribuiert werden. Dieser Grundannahme stehen in Bezug auf ältere Menschen Forschungsresultate gegenüber, die andere Faktoren wie z. B. das Bildungsniveau als relevanter als das chronologische Alter ausmachen. Letzterem würde demnach höchstens eine indirekte Bedeutung zukommen.

Für die erziehungswissenschaftliche Forschung drängt sich dadurch die Frage nach der Begründung einer spezifischen Bildung für ältere Menschen auf. Es geht dabei um die Bestimmung nachvollziehbarer abgrenzender Definitionskriterien. Das Kapitel präsentiert Resultate der Analyse von neun Modellen zur Bildung älterer Menschen aus verschiedenen nationalstaatlichen und sprachlichen Kontexten (Deutschland, England, Frankreich, Malta, USA, Canada, Australien-Neuseeland). Die vergleichende, Kulturgrenzen überschreitende Analyse zeigt, dass bei zentralen Elementen Übereinstimmung herrscht. Ältere Menschen werden so zum Beispiel generell als lernfähig gesehen. Gleichzeitig beleuchten und vertiefen die Ansätze aber unterschiedliche Aspekte. Diese sind bis jetzt aber noch nicht in einen kohärenten Zusammenhang gestellt worden. Somit drängt sich der Schluss auf, dass das Forschungsfeld noch nicht über gemeinsame, sowohl theoretisch stringente als auch empirisch überprüfbare, Paradigmen verfügt. Dies legt die Vermutung nahe, dass sich die erziehungswissenschaftliche Diskussion über die Spezifizität der Bildung Älterer in einer vorparadigmatischen Phase befindet. Das heißt, dass unter den Forscher*innen kein breiter Konsens zu elementaren Aspekten des Forschungsgegenstandes besteht. Dies erschwert den Austausch zwischen den Forscher*innen und fördert auch nicht den kritischen Vergleich von Forschungsresultaten. Die Praxis wäre aber auf validierte Resultate angewiesen, um die Qualität der Lern- und Bildungsdienstleistungen zu erhöhen und auch bildungsferne Lernende zu erreichen.

1           Problemstellung und Prämissen: Sind ältere Erwachsene normale Lernende?

Die Erfahrung aus der Lehre zeigt, dass der Wissensstand über die Fähigkeiten älterer Erwachsener in der Bevölkerung sehr unterschiedlich ist. Es erscheint deshalb wichtig, am Anfang dieses Beitrags die den Ausführungen zugrundeliegenden Prämissen deutlich zu formulieren. Dies soll den Leser*innen erleichtern, das Folgende einzuordnen und einer gezielten Kritik zugänglich zu machen.

1.1         Menschen sind und bleiben auch im Alterungsprozess lernende Wesen

Der vorliegende Text geht erstens davon aus, dass Menschen jeden Alters generell lernende Wesen sind und bezieht darin auch alternde Erwachsene ausdrücklich mit ein. Im Rahmen eines normalen Alterungsprozesses – das heißt ohne massive Erkrankungen wie z. B. eine schwere Demenz – bleibt die Lernfähigkeit aus kognitiver Sicht trotz Veränderungen grundsätzlich erhalten.

Die Erziehungswissenschaft wird zweitens als eine akademische Disziplin gesehen, die generell interne und externe Faktoren menschlicher Lern- und Bildungsprozesse erforscht. Arbeiten über ältere Erwachsene sind bis jetzt eher selten und es gibt weltweit auch nur wenig spezialisierte Forscher*innen, die das Thema systematisch und anhaltend erforschen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig und werden hier nicht weiter ausgeführt. Es besteht die Hoffnung, dass sich diese Situation mit der zunehmenden Anerkennung der Bildungs- und Lernfähigkeit dieser neuen Zielgruppe verbessern wird.

Ein weiterer möglicher Faktor für das beschränkte Interesse liegt auch in der mangelhaften theoretischen Modellbildung. Tatsächlich wurde das neue Publikum bis jetzt meist eher als abgegrenzte Zielgruppe definiert denn als Teil der Erwachsenen. Aus soziologischer oder psychologischer Sicht mag diese Abgrenzung sinnvoll sein. Tatsächlich lassen sich sowohl kognitiv, emotiv als auch konativ typische Veränderungen im fortschreitenden Alterungsprozess nachweisen. Zudem existieren altersabhängige Dispositive (z. B. das Altersrentensystem). Inwieweit diese Tatsachen aber unmittelbar relevant sind für das Lernen und die Bildung älterer Erwachsener bleibt zu ergründen.

1.2         Die vermutete Andersartigkeit der älteren Lernenden

Wenn die eingangs formulierte Prämisse, nach der alle Menschen »lernend« sind, als Grundlage genommen wird, stellt sich aus erziehungswissenschaftlicher Sicht die legitime Frage nach den normativen Faktoren die begründen könnten, warum ältere Menschen eine spezifische Zielgruppe sein sollten. Wenn die meisten Modelle dennoch von der Besonderheit der »älteren Menschen« ausgehen, liegt dies daran, dass die bisherigen Arbeiten zur Bildung Älterer oft nicht in einer theoretisch-historischen erziehungswissenschaftlichen Epistemologie fußen. Sie gehen vielmehr vom gerontologischen Postulat aus. Dieses ist weitgehend von der biologisch-medizinischen Prämisse geprägt und unterteilt das menschliche Leben in drei große Phasen: die Kindheit, das Erwachsenenalter und das hohe (Erwachsenen-)Alter. Dabei bleiben die Abgrenzungen aber unscharf. Da die Phasen nicht präzise oder allgemeingültig definierbar sind, entstehen Übergangsphasen (z. B. die Adoleszenz), deren Definition aber auch wieder die Frage der Abgrenzung aufwirft. Das führt schlussendlich zu einer Vielzahl an Phasen wie beispielsweise im Bereich des Alters, wo vom 3., 4. und – teilweise sogar – 5. Alter die Rede ist.

Insgesamt kann auch die implizite Annahme hinterfragt werden, die einen kausalen Zusammenhang herstellt zwischen den drei großen, biologisch definierten Lebensphasen und der Bildung. Letztere wird von unzähligen Faktoren beeinflusst, wobei das chronologische Alter höchstens indirekt eine Rolle spielt. Der alternde Mensch ändert seine Haltung gegenüber der Bildung nicht aufgrund des erreichten Alters, das es ihm erlaubt in Rente zu gehen. Es ist viel mehr der neue Status, z. B. durch das Wegfallen betrieblicher Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, oder die vermehrte Freizeit, die einen Einfluss ausüben. Würde der Eintritt in das Rentenalter um ein paar Monate nach hinten verschoben, wäre die Auswirkung mutmaßlich dieselbe, einfach später und somit nicht abhängig vom chronologischen Alter sondern von der sich verändernden Situation. Selbstverständlich beeinflussen auch externe Faktoren die Bildung. Allerdings sind diese von gesellschaftlichen Vorgaben abhängig und als solche Veränderungen unterworfen. Auch gibt es große Unterschiede zwischen den Gesellschaften oder Kulturen. Geht es nun aber darum die Frage nach einer spezifischen Bildung für ältere Menschen zu klären, die auch über gesellschaftliche und kulturelle Grenzen hinweg Gültigkeit haben soll, kann man einer Definition der Zielgruppe nicht externe Faktoren zugrunde legen, sondern muss den Menschen selbst ins Zentrum setzen.

1.3         Begriffe im internationalen Kontext: Bildung, Lernen oder doch einfach Erziehung?

Wenn die fehlende Definition des Untersuchungsgegenstandes eine erste Hürde für eine systematische Annäherung darstellt, kommen im internationalen Kontext die unterschiedlichen Wissenschaftskulturen hinzu. Bildung als deutschsprachiges Konzept findet kein identisches Synonym in anderen Sprachen. Im Hinblick auf eine international ausgerichtete Diskussion zum Thema Bildung älterer Erwachsener ist es deshalb nötig, den Bildungs- bzw. Lern- bzw. Erziehungsbegriff möglichst einfach und soweit wie möglich sprach- und übersetzungsneutral zu definieren. Um diesen Vorgaben zu entsprechen wird der Bildungsbegriff hier auf die Prozessorientierung eingegrenzt. Es geht also nicht um Bildung haben, oder gebildet sein, sondern um die Aktivität des sich bildens. Im Englischen und im Französischen könnte dafür der Begriff education verwendet werden. Dieser wird dann nicht als erzieherische Einflussnahme eines reifen auf einen unreifen Menschen gesehen (Durkheim 1911), sondern generell als die mehr oder weniger strukturierte Unterstützung eines Lernenden (Kern 2016, 15; 56). Diese Definition hat den Vorteil, dass sie auch Selbstbildung miteinbezieht. In diesem Fall unterstützt der Lernende sich selbst in einem mehr oder weniger strukturierten Prozess.

Diese in den vorangegangenen Abschnitten aufgeführten Überlegungen bilden die Grundlage dieses Kapitels. Im Folgenden geht es darum, die Modelle zur Bildung Älterer historisch nachzuzeichnen und inhaltlich analysierend zu vergleichen.

2           Theoretische Modellbildung für lernende ältere Erwachsene

Wie historische Quellen zeigen (Cicéron -44, VIII 26), gab es Interesse für die Bildung älterer Menschen bereits in der Antike. Eine erste systematische Integration älterer Lernender wurde aber erst im 17. Jahrhundert durch Jan Amos Komensky vorgeschlagen. Dabei handelt es sich um ein die gesamte Lebensspanne umfassendes Lernmodell mit dem Titel » Pampaedia« (Comenius 1656). Die letzten zwei von sieben Stufen betreffen das »Mannesalter« und das »Greisenalter«. Man muss anfügen, dass das Bild älterer Lernender bei Comenius stark defizitär geprägt ist und in diesem Sinne mit den kontemporären ressourcenorientierten Ansätzen wenig gemein hat. Auch die inhaltlich normative und moralisierende Ausrichtung muss aus heutiger Sicht als nicht zeitgemäß angesehen werden.

Dieses erste Modell wird dennoch an prominenter Stelle erwähnt, da es auch ältere Erwachsene vollumfänglich als Lernende integriert und somit ein bedeutender Beitrag zur westlichen erziehungswissenschaftlichen Forschung in diesem Bereich ist. Hervorzuheben ist auch die didaktische Ausrichtung. Comenius empfiehlt für die Erwachsenen weitgehende Eigenverantwortung im Lernprozess (Comenius 1656, 123). Man könnte diesbezüglich von einem Selbstbildungsansatz sprechen der auch modernen Bildungs- und Lernansätzen (nicht nur) für Erwachsene durchaus entspricht. Trotz diesen interessanten Grundlagen wurden die folgenden theoretischen Lernmodelle für ältere Erwachsene aber nur selten explizit in Verbindung mit Comenius gesetzt.

2.1         Neun theoretische Modelle für die Bildung älterer Erwachsener

Eine der zentralen Fragen in der lebensspannenorientierten Bildungsforschung ist jene nach den substanziellen Unterschieden zwischen den Lernenden verschiedener Lebensalter. Die nachstehend präsentierten Bildungsmodelle im Bereich der älteren Erwachsenen gehen mehrheitlich davon aus, dass diese Zielgruppe als bildungsspezifisch angesehen werden muss. Diese Annahme beruht aber nicht auf vergleichenden Untersuchungen von verschiedenen Altersgruppen, sondern auf theoretischen Überlegungen. Die mutmaßlichen Lernbedürfnisse spielen dabei eine Rolle, wie auch die vermutete Andersartigkeit der Menschen einer bestimmten Altersgruppe. Bevor die einzelnen Modelle vertieft werden, wird auf das methodische Vorgehen eingegangen.

Die Auswahl der neun Modelle erfolgte in mehreren Etappen. Die erste beruht auf dem Schneeballprozess. In früheren Publikationen verwendete Texte (Kern 2007, 2008, 2011, 2013a, 2013b, 2014a, 2014b, 2014c) wurden auf weiterführende Quellen analysiert. Durch den Einbezug französisch-, deutsch- und englischsprachiger Dokumente wurde es nötig, das Sampling einzuschränken. Der Fokus richtet sich auf jene Forscher*innen, für die Bildung älterer Menschen – mindestens in einer Zeitspanne ihres Schaffens – ein wichtiger Teil ihrer theoretischen Forschungsarbeit ausmachte. Weiter wurden auch nur die jeweils frühesten Forscher*innen in einem Kulturkreis miteinbezogen. Als Auswahlkriterien galten die Anzahl und Qualität ihrer Publikationen. Als Qualitätskriterien wurden die wissenschaftliche Normierung (standardisierte Referenzen) und die Präsenz einer begründeten Problembeschreibung angewendet. Darüber hinaus mussten die Modelle auch Originale sein: Geringfügig veränderte, aus Arbeiten anderer Forscher*innen zusammengestellte oder aus einem bestehenden Konzept herausgedachte Modelle wurden nicht berücksichtigt. Das Auswahlverfahren erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Es diente nur der Einschränkung der Anzahl der zu analysierenden Modelle. Es wäre durchaus wünschenswert, wenn auch andere Modelle entsprechend analysiert würden.

Die gewählten Texte der neun Autor*innen wurden in Bezug auf deren wissenschaftliche Qualität aufgrund von drei Indikatoren ausgewählt: 1) » peer reviewed« Artikel; 2) Kapitel in wissenschaftlichen Herausgeberbänden; 3) Monografien oder andere Beiträge, wenn sie wissenschaftlichen Kriterien entsprechen. Die verwendeten Texte wurden in PDF-Format gespeichert und systematisch analysiert. Das heißt, Texteinheiten (Sätze), die über eine bestimmte Variable Auskunft geben, werden in »Codes« zusammengefasst (Miles/Huberman 2003, 113). Eine Schwierigkeit bei der Analyse besteht darin, dass die gesuchte Information nicht unbedingt explizit im Text erscheint. Um das Risiko von falscher Interpretation zu reduzieren, wurden die Informationen nur in bestimmten Textteilen erhoben. So wurden zum Beispiel Angaben zur disziplinären Verankerung nur dort gesucht, wo die Autor*in das entsprechende Thema explizit behandelt. Die Textsequenzen wurden mit Hilfe der Abschnittsüberschriften oder der logischen Konstruktion des Texts bestimmt. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen lässt die methodische Vorgehensweise Platz für Interpretationen. Die erhaltenen Ergebnisse können daher nicht per se als definitiv angesehen werden. Allerdings war das Ziel der Analyse auch nicht, unwiderlegbare Beweise zu erbringen, sondern das Verständnis der theoretischen Modelle zur Bildung älterer Erwachsener zu vertiefen.

2.1.1        Zwei gegensätzliche und sich ergänzende Pioniere aus den USA (1950er Jahre) und Deutschland (1960er Jahre)

Nach Comenius musste die westliche Welt fast 300 Jahre warten, bis in den 1950er Jahren Wilma T. Donahue (1900–1993) endlich das Thema systematisch aufnahm. An der University of Michigan entwickelt die promovierte Psychologin eine empirische Grundlage für die Bildungsarbeit mit älteren Erwachsenen. Erfahrungen aus universitären Kursen (Donahue 1951, 50) oder Telekolleg-Angeboten (Donahue 1951, 54) erlaubten es der Amerikanerin, didaktische Grundaspekte der Bildung Älterer zu testen, die bis heute ihre Gültigkeit behalten. Ein Beispiel ist der aktive Miteinbezug der Lernenden (Donahue 1951, 59). Mit ihrer sorgfältigen Arbeitsweise und den qualitativ hochstehenden wissenschaftlichen Publikationen legte sie eine wesentliche epistemologische Grundlage für weitere Arbeiten in diesem Feld.

Man muss annehmen, dass der transatlantische Austausch in der Mitte des 20. Jahrhunderts mehr Zeit benötigte als heute. Es gibt jedenfalls keine Hinweise darauf, dass der deutsche Erziehungswissenschaftler und Anthropologe Otto Friedrich Bollnow (1903–1991) von Donahue’s Arbeiten Kenntnis hatte. Er publiziert in den 1960er Jahren eine theoretische Abhandlungen zur « Lehre von der Erziehung der alten Menschen», der er den Namen Gerontagogik gibt (Bollnow 1962, 385). Betroffen davon sind alte Menschen, die selber » mit dieser Aufgabe nicht mehr fertig werden« (Bollnow 1962, 386). Aufgrund dieser markanten Einschränkung kann man davon ausgehen, dass Bollnow die anderen älteren Erwachsenen grundsätzlich als selbständig Lernende angesehen hat, wie alle anderen Erwachsenen auch.

Donahue und Bollnow sind nicht nur die beiden Pioniere der Bildungsforschung im Bereich der älteren Erwachsenen. Sie decken mit ihren Arbeiten auch einen breiten Teil des Forschungsfeldes ab. Die Amerikanerin benutzt einen empirisch orientierten Ansatz, der auf Lernangebote und Programme abzielte. Der Deutsche vertieft seinerseits theoretisch die epistemologischen Grundlagen für die Bildung Älterer innerhalb der Erziehungswissenschaft. Es erstaunt nicht, dass Donahue ihren Ansatz in der pluridisziplinären Gerontologie verankert, während Bollnow seinen Ansatz von der Erziehungswissenschaft und der Anthropologie her denkt. Die beiden Modelle können je nach Sichtweise als antagonistisch oder ergänzend angesehen werden. Man kann nur bedauern, dass sich die beiden Forscher in ihren Arbeiten nicht auf den jeweils anderen beziehen. Sie wären prädestiniert gewesen, die kritische Diskussion über die erkenntnistheoretischen Aspekte der Bildung Älterer anzuschieben.

2.1.2        Educational Gerontology: Hegemonie, Verbreitung und kritische Weiterentwicklung

Knapp ein Vierteljahrhundert nach Donahue begründet David A. Peterson (1947–2012) das Praxis- und Theoriefeld Educational Gerontology. In einem Artikel in der gleichnamigen Zeitschrift definiert der promovierte Erwachsenenbildner die drei Aspekte seines Modells: 1) Lernbemühungen für die betroffenen Menschen, 2) Bildung der Gesamtbevölkerung zu Altern und Bildung und 3) berufliche (Weiter-)Bildung und Freiwilligenbildung (Peterson 1976, 61). In einer späteren Publikation hat Peterson sein Modell verfeinert (Peterson 1980, 68ff.), ohne aber die Grundkonstruktion zu verändern. Educational Gerontology wurde für die nächsten Jahrzehnte das Hauptmodell im Bereich der Bildung Älterer. Es diente einigen namhaften Forscher*innen als Grundlage für ihre eigenen Arbeiten.

Zu diesen Wissenschaftler*innen gehört der Brite Frank Glendenning (1921–2002). Er trug mit einer detaillierten Übersicht über die amerikanischen und britischen Entwicklungen zur Theorieentwicklung bei und schlug eine Differenzierung zwischen Educational Gerontology (Bildung Älterer) und Gerontological Education (Gerontologie lehren) vor (Glendenning, 1983). Seine Kritik wird vom kanadischen Erziehungswissenschaftler André Lemieux geteilt. Dieser hält fest, dass die gerontologische Bildung bereits von der Pädagogik bzw. der Andragogik abgedeckt wird. Die Bildung Älterer sei dagegen eine neue Thematik, für die er den Namen »Gerontagogik« vorschlägt (Lemieux/Sanchez Martinez, 2000). Er bezieht sich dabei aber nicht auf Bollnow.

Neben Glendenning wählt auch der Australier und Neuseeländer David Battersby die Educational Gerontology als Ausgangspunkt seiner Reflexion. Er entwickelte einen theoretischen Rahmen für eine Gerogogy als Weiterentwicklung des pädagogisch-andragogischen Modells (Battersby 1982, 33; 1987, 7). Mit » Geragogik« wurde ein ähnlicher Begriff in Europa bereits in den 1950er Jahren in einer wissenschaftlichen Publikation erwähnt, ohne dort aber weiter ausgeführt zu werden (Kehrer 1952). Hans Mieskes (1915–2006) nahm den Begriff Anfang der 1970er Jahre auf und definierte ihn. Der Erziehungswissenschaftler und Arzt verbindet in seinen theoretischen Arbeiten die Geragogik sowohl mit der Gerontologie als auch mit der Erziehungswissenschaft (Mieskes 1971, 280; 1993, 71). Er schlägt damit eine ähnliche epistemologische Grundlage vor wie später Peterson und auch Battersby. Der Begriff Geragogik wird in Deutschland von anderen Forscher*innen und Praktiker*innen teilweise im von Mieskes gesteckten theoretisch disziplinären Rahmen und meist mit einer starken Praxisorientierung weiterverwendet (z. B. Bubolz-Lutz/Gösken/Kricheldorff/Schramek 2010; Maderer/Skiba 2006; Petzold 1985; Petzold/Bubolz 1976).

In den frühen 1990er Jahren formulierten Glendenning und Battersby gemeinsame Überlegungen. Sie kritisieren, dass die Educational Gerontology gemeinhin in einem funktionalistischen Paradigma gefangen bleibe (Battersby/Glendenning 1992, 116). Die so entstehende Critical Educational Gerontology (Battersby/Glendenning 1992; Glendenning/Battersby 1990) wird von anderen Forscher*innen einerseits differenziert hinterfragt (Percy 1990), aber auch weiterentwickelt (Formosa 2011). Diese Sequenz (Austausch, gegenseitige Bezugnahme, Weiterentwicklung) ist übrigens beispielhaft für eine fruchtbare internationale Diskussion über die Zusammenführung der beiden Themen »Bildung« und »ältere Menschen«. Man kann hoffen, dass diese auch in Zukunft weitergeführt wird.

Zur Debatte um die Educational Gerontology kann zusammenfassend festgehalten werden, dass die bis jetzt erwähnten Forscher*innen unterschiedliche Begriffe für ihre Modelle vorschlagen und dass auch die disziplinäre Verankerung Unterschiede zeigt. Gemeinsam ist allen Modellen die Grundprämisse der Spezifizität von älteren Lernenden. Obwohl die meisten Forscher*innen auf die Heterogenität des Zielpublikums hinweisen, gehen alle davon aus, dass dieses aber Gemeinsamkeiten hat, die es erziehungsrelevant von anderen unterscheidet. In Bezug auf die Definition des Publikums bleiben die Forscher eher vage. Peterson spricht z. B. von Menschen »mittleren Alters« und »älteren Menschen« (Peterson 1980, 66). Die Ausnahme ist Bollnow, der sein Publikum wie bereits erwähnt als nicht mehr selbstbildungsfähig beschreibt (Bollnow 1966, 48f.). Im folgenden Abschnitt wird ein international bis jetzt wenig bekanntes Modell vorgestellt, das sich in einem wesentlichen Punkt von diesen anderen Modellen unterscheidet.

2.1.3        »Education Permanente Intégrale«: ein inklusiver französischer Ansatz

In Frankreich wurde mit der ersten Seniorenuniversität in Toulouse 1973 eine der weltweit wohl verbreitetsten Institutionen im Bereich der Bildung älterer Erwachsener gegründet (Formosa 2012, 115). Gleichzeitig wurde der französischen erziehungswissenschaftlichen Forschung in diesem Bereich aber kaum Beachtung geschenkt. Philippe Carré wurde in den frühen 1980er Jahren mit einer Doktorarbeit zum Thema »Edukative Projekte von Rentnern« promoviert (Carré 1981b). Entgegen den anglo-amerikanischen Kollegen; von denen er Kenntnis hatte, übernahm Carré nicht die gerontologische Prämisse, sondern integrierte die älteren Erwachsenen in die » Education permanente«. Carré verwendet zur Erklärung auch den englischen Ausdruck » lifespan education« (Carré 1981a, 121). Das der Faktor Alter nicht per se als entscheidend angesehen wird, ist aber keine französische Besonderheit (z. B. Moody 1987; Percy 1990, 236; Withnall 2000). Carré analysiert den Sachverhalt systematisch und stellt fest, dass die meisten als spezifisch altersgerecht angesehenen Maßnahmen auch für jüngere Lernende Vorteile bringen (z. B. angepasste Beleuchtung, Raumtemperatur und Mobiliar; die Beseitigung von externen Störquellen; der Biografiebezug; eine vertrauensvolle Lernatmosphäre; Humor; positive Verstärkung etc.). Einzig die beiden Aspekte »Einzelarbeiten ohne Zeitbeschränkung« und »Fokussierung auf ›stabile‹ intellektuelle Fähigkeiten« können als möglicherweise nicht geeignet für jüngere Lernende angesehen werden. Dies bedeutet, dass gemäß Carré die Altersangepasstheit weniger mit speziellen Methoden oder didaktischen Maßnahmen zu tun hat, sondern mit der ernsthaften und professionellen pädagogischen Organisation der Lernsequenz (Carré 1981a, 114). Der Unterschied liegt seiner Ansicht nach also nicht im Alter des Lernenden, sondern in der Organisation des Lerndispositifs.

Carré würdigt die amerikanische Educational Gerontology und spricht ihr zu, einige spezifische Aspekte der Bildung Älterer hervorgestrichen und damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Feldes beigetragen zu haben. Die Gerontagogik sieht er als mögliche pädagogische Umsetzung davon. Aufgrund seiner Untersuchung relativiert er aber die Bedeutung des chronologischen Alters und hebt stattdessen die Gemeinsamkeiten der Lernsituation Erwachsener aller Altersgruppen hervor. Er plädiert in diesem Sinne für die » Education Permanente Intégrale« (Carré 1981a, 120). Dieser inklusive Ansatz soll gleichzeitig auch die unerwünschte Segregation zwischen älteren und jüngeren Lernenden verhindern helfen.

2.2         Vergleichende Analyse der Modelle

Die neun ausgewählten Modelle wurden in drei Kategorien zusammengefasst. Die erste bilden die Pioniere mit Donahue und Bollnow. Sie haben mit ihren komplementären Arbeiten weite Teile des Problemfeldes umrissen und können ohne weiteres als »Gründermutter und -vater« des Forschungsgegenstandes gesehen werden. Mit der amerikanischen Educational Gerontology entwickelte sich in den 1970er Jahren ein kritisierter, aber auch weiterentwickelter Ansatz, der heute gemeinhin als pragmatische Grundlage für meist praxisorientierte Arbeiten in diesem Bereich gesehen werden kann. Eine dritte Kategorie bildet der inklusive Ansatz von Carré, der die Bildung Älterer nicht als gesondert betrachtet, sondern als Teil der Education Permanente.

Im Folgenden werden die Modelle vergleichend analysiert. Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf drei Aspekte. Ein erster Punkt betrifft die mutmaßlichen Unterschiede, die ältere Lernende von jüngeren unterscheiden und dadurch ein spezifisches Modell rechtfertigen sollen. Weiter werden die von den Forscher*innen gewählten Modellbezeichnungen verglichen. Es geht hier um das Ergründen des möglichen Zusammenhanges zwischen der Bezeichnung und der Ausrichtung des Ansatzes. Als dritter Aspekt werden die Kriterien analysiert, die die Forscher*innen als Grundlage für die epistemologische Ausrichtung ihres Ansatzes genommen haben.

Diese vergleichende Analyse soll der Vertiefung des Verständnisses der Ansätze und ihrer Ausrichtung dienen. Schlussendlich soll dies erlauben, die einzelnen Modelle in ein größeres Ganzes einzuordnen und so für die weiterführende Forschung in diesem Bereich nutzbar zu machen.

2.2.1        Die vermuteten Unterschiede zwischen älteren und anderen Erwachsenen als Lernende

Die analysierten Texte gehen sehr unterschiedlich auf die Frage der Differenzierung ein. In den Texten von Peterson, Glendenning und Formosa konnte keine explizite Argumentation gefunden werden. Die anderen Forscher*innen verwenden verschiedenartige Argumente. Donahue betrachtet die fehlende soziale Rolle älterer Erwachsener als entscheidenden erzieherischen Einflussfaktor (Donahue 1952, 117). Bollnow stellt anthropologische Aspekte in den Vordergrund (Bollnow 1966, 50f.). Er plädiert für eine Definition der Älteren, die sich explizit nicht auf einen Vergleich mit den Jüngeren abstützt (Bollnow 1962, 387). Mieskes geht generell von der Wandlung der intra- und interindividuellen pädagogischen Positionen im Verlaufe des Lebens aus (Mieskes 1971, 279). Carré sieht als einen der Unterschiedsfaktoren die kognitive Entwicklung und insbesondere die verlängerten Reaktionszeiten, ohne daraus aber die Notwendigkeit eines spezifischen Ansatzes abzuleiten (Carré 1981a, 111f.). Battersby stellt nicht die Frage nach den Unterschieden zwischen den Lernenden, sondern jene nach der » philosophischen Kompatibilität« zwischen dem Zweck der Bildung Älterer und den Zielen der Bildung jüngerer Erwachsener (Battersby 1987, 8). Auch Lemieux’s Reflexion zielt auf die mutmaßlichen Unterschiede zwischen den Zielen der Pädagogik, der Andragogik und der Gerontagogik ab (Lemieux/Boutin/Riendeau 2007, 755).

Als Unterscheidungselemente werden persönliche oder soziale Faktoren gesehen sowie die Ziele bzw. der Zweck der Bildung Älterer. Sechs von neun Spezialist*innen erklären die Unterschiede zwischen Jüngeren und Älteren zwar theoretisch, sie unterziehen diese mutmaßlichen Einflussfaktoren auf das Lernen aber keiner empirischen Prüfung. Die vergleichende Analyse der Modelle kann somit über die vermuteten Unterschiede zwischen den Lernenden keine Klärung verschaffen. Die Argumentationen bleiben Hypothesen, die es zu testen gilt.

2.2.2        Die Modellbezeichnungen

Der augenfälligste Unterschied zwischen den Modellen sind die Bezeichnungen. Man kann in Bezug auf die semantische Konstruktion zwei Typen unterscheiden: aus bestehenden Worten konstruierte Bezeichnungen und Wortschöpfungen mit altgriechischen Wortstämmen (image Tab. 1). Formosa kommt in beiden Kategorien vor, da er einerseits den Ausdruck Critical Educational Gerontology als auch Critical Gerogogy verwendet. In der ersten Kolonne (»Bezeichnung mit bestehenden Worten«) fällt auf, dass »Erziehung« als Substantiv oder Adjektiv in allen Bezeichnungen vorkommt. Donahue verwendet umgangssprachliche Worte für ihre beschreibende Bezeichnung. Die vier anderen Modelle verwenden bestehende wissenschaftliche Konzepte (Education permanente, Gerontologie). Die zweite Kategorie umfasst Bezeichnungen, die altgriechische Wortstämme wie » geron« (alter Mann) oder » ger« (hohes Alter) in Verbindung bringen mit dem aus der Pädagogik bereits bekannten » agog« (agogos). Für eine weiterführende Vertiefung der Wortstämme ist hier kein Platz, Informationen dazu finden sich aber in diversen Publikationen (Ferro 1997; Kern 2007, 217ff., 2011, 26, 2016, 24, 222; Lemieux/Sanchez Martinez 2000, 491ff.).

Es ist interessant festzustellen, dass die unterschiedlichen Bezeichnungen nicht unbedingt Rückschlüsse auf die epistemologische Ausrichtung der Ansätze erlauben. Mieskes Geragogik ist z. B. wie Donahue’s Education for older adults oder Peterson’s Educational Gerontology auch in der Gerontologie verankert, aber nur letzterer führt die interdisziplinäre akademische Disziplin im Titel. Die Analyse der Bezeichnungen erlaubt also kein tieferes Verständnis der Unterschiede zwischen den Ansätzen und lässt auch nur sehr bedingte Rückschlüsse auf die epistemologische Verankerung zu.

Tab. 1: Kategorisierung aufgrund der semantischen Konstruktion

Images

Bezeichnung mit bestehenden WortenWortschöpfungen mit altgriechischen Wortstämmen

2.2.3        Kriterien für die Wahl der epistemologischen Ausrichtung

Die Gerontologie beeinflusst die Reflexion über die Bildung Älterer seit den 1950er Jahren. In den meisten Texten erscheint sie als wichtiges Element, ungeachtet der Diskussionen über ihren akademischen Status (Achenbaum/Levin 1989; Alkema/Alley 2006; Bass/Ferraro 2000). Es erscheint durchaus als naheliegend, dass Forscher*innen, die sich für ältere Lernende interessieren, in der Gerontologie und den zu ihr beitragenden Wissenschaften sachdienliche Informationen suchen und finden. Vier der neun analysierten Modelle werden von ihren Autoren explizit in der Gerontologie verankert (Donahue/Mieskes/Peterson/Glendenning). Die zwei nordamerikanischen Forscher fügen als zweites Standbein die Erwachsenenbildung hinzu (Donahue 1952, 115f.; Peterson 1976, 61), während Mieskes die Erziehungswissenschaft favorisiert (Mieskes 1969, 34f., 1971, 281). Die anderen fünf Modelle führen als Wurzeln die »Erziehung« an, zwei davon mit psychologischer (Battersby 1982, 29ff.; Carré 1981a, 121) und eines mit soziologischer (Formosa 2011, 322ff.) Ausrichtung. Nur zwei der fünf Modelle werden hauptsächlich aus der Erziehungswissenschaft heraus argumentiert (Bollnow 1966, 49; Lemieux/Sanchez Martinez 2000, 482).

Die disziplinäre Verankerung der Ansätze lässt sich teilweise von den Doktorats- bzw. Habilitationsdisziplinen der Forscher*innen ableiten. Da in Sachen akademische Disziplinen und Doktoratsstudien in den verschiedenen nationalen und sprachkulturellen Bezügen gewichtige Unterschiede bestehen, müssten diese Zusammenhänge einer vertieften Analyse unterzogen werden, um daraus gesichertes Wissen über Zusammenhänge mit den Wahlkriterien der Forscher*innen generieren zu können. Dessen ungeachtet kann man aber schon jetzt festhalten, dass die verschiedenen Modelle offensichtlich sehr unterschiedlich epistemologisch verankert sind. Es ist somit naheliegend, dass diese nicht als konkurrierende Modelle gesehen werden sollten, sondern viel eher als sich gegenseitig ergänzende.

Dieser Eindruck verfestigt sich bei der Analyse der von den Autor*innen intendierten Ausrichtung bzw. Art des Modells. Es sei hier darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung »Modell« Ausdruck der Vermutung ist, dass die Forscher*innen ihre Vorschläge mit dem Ziel publiziert haben, dass diese als Basis und Beispiel für weitere theoretische Entwicklungen sowie zur Umsetzung in die Praxis dienen. Die Frage ist nun, wie die Forscher*innen ihre Beiträge selbst qualifiziert haben. Die Textanalyse zeigt auf, dass sie ihre Vorschläge sehr unterschiedlich charakterisieren: