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1. Auflage September 2013

© 2013 Nicole Rose

Titelfoto: Claudia Kempf

Autorenfotos: Tim Korbmacher

Printed in Germany ISBN 978-3-9815313-4-3

eISBN 978-3-9815313-9-8

www.nicolerose.de

Zuvor erschienen im Juni 2012 „Das Liebesversprechen”
und im Januar 2013 „Die Liebesverführung”.

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden.

Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

„Und setzet Ihr nicht das Leben ein,
nie wird Euch das Leben gewonnen sein!“

Friedrich von Schiller (1759–1805)

Buch 3

Die Liebesverblendung

Der Reiz des Risikos

Schwarzer Schnee über Schwabing

Der Duft der Teens

Der Meister und seine Hilfshexen

Flucht in den Genuss

Die Liebesrüge

Die Macht der Ohnmacht

Die Rosenrenovierung

The show must go on

Die kaputte Karosse

Metzger an die Macht

Der Trost von Freunden

Liebe verlangt Verzeihung

Gefahr oder Gefangenschaft?

Die nackte Wahrheit

Fliegende Herzen

Rock im Rentnerreich

Tiger im Tanga

Der getrüffelte Drogenbaron

Hirsch vom Homo

Falsche Verführer

Die Kack-Verpackung

Das goldene Kalb & Sushi für die Söhne

Liebe verleiht Flügel

Königin der Küche

Ein rauschendes Fest

Der Bumerang des Lebens

Die perfekte Präsentation

Die Köpfung der Rose

Zuckerbrot & Peitsche

Krabben, Schnecken & der Geist der toten Liebe

Der Star der Modemädchen

Die blümerante Geliebte

Das falsche Spiel

Die Liebesfalle

Kohle im Spitzenslip

Frohlocken in Freiburg

Der Zwang des Seelenkorsetts

Der Segen der Familie

Das Leben ist sauer

Spaghetti con Caviar

London calling

Der Tritt in die Romica-Fresse

Die Spirale des Schicksals

High Voltage

Mister & Misses President

Armada Arlam

Auf und davon

Der Reiz des Risikos

„Zwei Seelen wohnen, ach in meiner Brust.“ Goethe schrieb Wahres. Des Menschen Herz, es ist bewohnt von zwiespältigen Seelen. Das Dilemma: Die wollen selten dasselbe. Allzu oft das grundsätzlich Gegensätzliche. Die Seele des Ängstlichen: Sie hat Sehnsucht nach Sicherheit. Heimweh nach dem Hafen fürs Herz. Geborgenheit. Zuhause. Rausch in der Routine des Alltags. Sie meidet die Veränderung. Im Risiko liegt die Gefahr. Wer sich in Gefahr begibt, der könnte darin umkommen … Die Bleistiftskizze verharrt im sicheren Sein des Hier und Jetzt.

Die Seele des Mutigen: Sie lebt durch Leidenschaft. Nährt sich durch die Veränderung. Blüht durchs Erleben. Birst vor Sehnsucht nach Aufbruch. Eroberung. Abenteuer. Sie meidet die Eintönigkeit und brennt für die Erkenntnis. Ohne sie laboriert sie in Langeweile! Ein Feuerwerk ohne Funken. Ein Gemälde ohne Farbe. Ein Ferrari auf Standgas. Hingabe an die Verführungen des Füllhorns des Lebens ist ihr Schicksal. Sie lässt sich verführen von Liebe und Leben … Doch wer ins Feuer fasst, der kann sich verbrennen.

Feuer oder Feigheit, das ist die Frage! „Is it better to burn out or to fade away?“

Leidenschaft oder Langeweile?

Routine oder Risiko?

Gefangenschaft oder Gefahr?

Ich plädiere für das Risiko! Im Ernst! Haben wir wirklich die Wahl? Auf der Berg- und Talfahrt unseres Lebensweges sind wir mal oben. Mal ganz unten. Abenteurer und Zauderer. Held und Haderer. Gewinner und Verlierer. Täter und Opfer. Engelchen und Teufelchen. Das Gute und das Böse wohnen nah beieinander. Das Universum ist ein Spielkasino. Das Leben eine Schule permanenter Prüfungen! Bedienungsanleitungen gibt es keine. Die Dunkelheit ist da, um uns das Licht zu zeigen. Und wer nicht wagt, der nicht gewinnt …

No risk, no fun. No pain, no gain! Ohne Einsatz kein Gewinn!

Mesdames et Messieurs: Faites vos Jeux …

Schwarzer Schnee über Schwabing

„Pieppieppieppiiiiiiiiiiiieeeeeep!!!!!“ Das äußerst aggressive, sirenenhafte Getöse im Ohr vermochte Tote zum Leben zu erwecken. Die Rose fühlte sich wie ein Zombie. Ihr Kopf hämmerte, als sei ein Zementbohrer in ihm zugange. Der Körper auf der durchfeuchteten Matratze. Er war wie gebadet. Nicht in der Kaiserwanne. Vielmehr: in Schweiß und Tränen. Im Dämmerzustand des Wachwerdens war sie noch gefangen in der schwarzen Schattenwelt des Albtraums. Sie vermeinte, die Fratze des Todes zu sehen. Seine ausgemergelten Arme umklammerten noch immer ihren Körper. Ein Gefängnis aus Knochen. „Pieppieppiep!“ Die unermüdliche Batterie der Nahrungsmaschine schraubte sich geräuschvoll und unnachgiebig in ihr Gehör. Ein Blick aus dem Dachfenster. Die schlafgeblendeten Augen noch von Mister Sandmann verkrustet, starrte die Rose der Realität entgegen. Das Turmfenster glühte mystisch und zog ihren Blick hinaus in den dunkel scheinenden Himmel. Was war das? Schwarze Asche fiel wie feiner Schnee über die Dächer Schwabings. Mitten im September. Das Pieppieppiep-Geräusch, es kam von unermüdlichen Armeen von Kehrmaschinen. Die veranstalteten auf der Klemensstraße einen merkwürdigen Reinigungsmarathon. Es waren mindestens ein Dutzend. Sie manövrierten vor- und rückwärts mit bebenden Besen durch die Gasse. Die Asche mehr aufwirbelnd, denn entsorgend. Gesteuert wurden sie von tatkräftigen kleinen Männchen in Orange. Eifrig wie die Ameisen versuchten sie, die Folgen des unerklärlichen Ascheregens auszumerzen. Was war geschehen? Hatte die Wolke, die Jahre später über Island ausbrechen sollte, Generalprobe gehalten? Die Rose starrte sinnierend in den sanften Vorhang aus schwarzem Schnee … Ein dumpfes Brummen vibrierte irgendwo und überall. Die Rose setzte sich auf. Schwindelig starrte sie in den schwarzen Schnee. Sie schlüpfte aus dem Bett und schlich auf Zehenspitzen die Wendeltreppe hinunter. Das Wohnzimmer war ein Schlachtfeld. Armeen aus Tellern, Töpfen und Gläsern türmten sich in der Idea-Küche. Eine sonderbare Stille erfüllte den Raum. Der Sturm schien vorbei. Eine unerklärliche Erleichterung überkam die Rose. Eine unfassbare, aber deutlich fühlbare Bedrohung schien mit dem Innehalten des schwarzen Schnees aus der Atmosphäre zu weichen. Wie beim Aufwachen nach finsterstem Albtraum spürte die Rose eine glückselige Erleichterung. Hurra, sie lebte noch. Und alles war – fast – wie immer?!?

Es gibt Momente im Leben, da ist die gestrenge Gendarmerie des Gehirns ausgeschaltet. Wir werden frei von Furcht. Begreifen das Wunder unserer Existenz. Lassen uns vom Schicksal einfach nicht mehr piesacken. Legen den Souffleur des Mister Mind ad acta. Zumindest für den Moment … Carpe diem! Das Leben ist zu kurz, um es nicht zu genießen! Sie wusste schließlich, wie grausam und allzu abrupt es enden konnte. Die Fratze des Todes hatte sich in ihre Seele gebrannt. Die dürstete nach Vergessen! Die Rose lächelte. Melancholisch wehmütig und mutig entschlossen zugleich. Das war eindeutig ein Moment für Grand Monsieur Dom Perlgott!!!!!! Beherzt schlich sie zum Gläserschrank. Ritsch. Ratsch. PENG! Eine Explosion aus Scherben regnete auf sie hinunter. Reichte nicht der Regen aus Asche? Nikki duckte sich und ignorierte den seltsamen Ausbruch im Schrank des Anstoßes. Cool zu bleiben, war eine wichtige Überlebensdevise. Sie fieselte vorsichtig eines der heil gebliebenen Gläser aus dem Berg aus zerbrochenem Glas. Zielstrebig öffnete sie die Flasche Dom Perlgott. PLOPP. Der Sound der Erlösung. Dann das Prickeln im Glas. Nachdenklich nahm sie einen Schluck des Gaumenglücks. Untersuchte das Übel im Glasschrank. Eine logische Erklärung tat Not, ihre Nerven zu beruhigen. Et voilà! Sie fand, was sie suchte! Ein schweres Holzregal war durch das Öffnen der Tür locker geworden und auf die teuren Rosenglanz-Gläser gestürzt. Ein Wunder, dass nicht alle Gläser platt waren. Woolfs Umzug des Glasschranks war ein Werk der Zerstörung! Doch kein Kahlschlag. Die Gläser von Rosenglanz waren schön und stabil! Nikki lächelte erleichtert. Genoss das Prickeln in der Kehle, die Belebung des Geistes. Da senkte sich eine heiße Hand auf ihre schöne Schulter. Sie drehte sich um und starrte in eisgraue Augen.

Der Duft der Teens

Der Blick auf die MegaO versprach Rettung. „Liebster. Wie schön, Dich zu sehen. Schon 8 Uhr. Ich muss schnell ins Bad und los zum kreativen Komitee …“ Flüchtig hauchte sie dem Woolf zwei Luftküsse entgegen. Die schmalen grauen Lippen bewusst verfehlend. Er machte ihr Angst. Unbewegt starrte sein kalter Blick in ihre grünen Augen. „Du hast was vergessen!“ Er deutete vorwurfsvoll zur Tür. Da stand der Koffer-Kurier. Mit ihrem überdimensional großen Samson-Light-Reisebegleiter. „War wohl auf dem Transfer von Miami über New York verloren gegangen“, mutmaßte der Bote ironisch. Woolfs Blick wurde zur Antarktis. „MIAMI?“ Seine Stimme hallte hohl durch die verwüstete Wohnung. Nikki zuckte zusammen. Das Rot des Koffers wurde zum Spiegel ihrer Gesichtsfarbe. „Was ist das denn? Rote Koffer und Champagner zum Frühstück?“, ertönte da die rettende Säuselstimme des tadelnden Ewald hinter dem Koffer hervor. Schnell schob er den Boten die Treppe hinunter und hievte Samson Light in die Wohnung. „Frau Rose. WIE SEHEN SIE DENN AUS? HUSCH, HUSCH INS BAD! So können Sie sich im Job nicht sehen lassen! Herr Woolf. Wissen Sie, wofür der Aschenbecher erfunden wurde?“ Die säubernde Schärfe des Putzmanns war wie Strichnin. Sie rettete die Rose. Schnell schwebte sie ins Bade-Refugium und restaurierte sich, rucki, zucki, zurück vom Staubwedel zur Stilikone.

In Aschhausen versammelte sich das kreative Komitee. Brian Brennie, die Augen hinter einer großen, mit Strassovsky-Steinen dekorierten Sonnenbrille stylish verbergend, fragte den Meister der Metzger nach dem großen Schuss. „Und Wolfi, ist das Shooting nicht fantastisch geworden?“ Wolfi Blei blickte unsicher Richtung Beate Bier. Er war der Gott des Verkaufs. Nicht des Geschmacks. Beate Bier, schließlich war sie bei aller Burschikosität ein Weib, sollte sich äußern! Sie repräsentierte die Zielgruppe von Armada! Die hatte sich Nikkis Worte NICHT zu Herzen genommen. „Na ja. Ganz schön schlecht geworden““ Sie lächelte sauertöpfisch mit biestigem Oberbiss. „Vor allem desch Pornobild. Desch erscheint mir nirgendwo!“ Nun nickte Wolfi zustimmend. „Das wird Konsequenzen haben!“ Das Thema war noch nicht gegessen. „Frau Bier. Die New Yorker Kosmopoliten sind hier!“ Frau Sonnenhauschers glockige Stimme kündigte die Parfüm-Schöpfer aus dem großen Apfel an. Das kreative Komitee diente der Kreation des nächsten Armada-Parfüms. Ibiza Yippie. Der Apfel der Versuchung wurde in Aschhausen zusammengebraut …

Die Meister der Parfümmischung betraten den Besprechungsraum des Armada-Vorstands auf leisen Sohlen. Michael Forster. Der aus dem Schwarzwald stammender Kosmopolit war mit der Schöpfung von Davidstoff berühmt für seine sinnliche Nase geworden. Sein Gesicht verriet Lust und Leidenschaft. Sein new yorkerisches Denglisch die Heimat. „I honestly wonder: how does ink smell?“ Nikki kannte Michael noch aus der Zeit von Mystar. Auch für dieses Luxuslabel hatte er den Duft gemischt. Präsenz. Er roch sinnlich und süß. War das der Duft der Tinte? Hinter ihm trat Volker Kleemann in den Raum. Er war für die kreative Vermarktung verantwortlich. Man erkannte es unschwer an dem braunen Popperschnitt mit dem rasanten Seitenscheitel. Er schleppte schwere schwarze Koffer. Die Kreativen waren zu Kofferträgern verkommen. Glanz und Gloria gebührte den Moneten-Machern. Nun holte er diverse Phiolen, Pappen und Flakons aus den Koffern. „Womit wollen wir beginnen?“ „Na, mit dem Juice natürlich!“, schnauzte Michael seinen Kreativknecht an. „Also, wir haben zehn Renner!“ Der Kleemann warf den Popperscheitel zurück und träufelte das erste Gebräu auf Teststäbchen. Die wurden in der Hierarchie des Haifischbeckens herumgereicht. Wolfi Blei. Beate Bier. Brian Brennie. Nikki Rose. Sie schnüffelten wie die Trüffelschweine an den Stäbchen. „Also, Beate, das finde ich famos!“, äußerte sich Wolfi Blei als Ranghöchster. „Duftet nach Party, Pfirsich, Panty.“ „Also ich find’s a bissi billig!“ Beate Bier rümpfte das Riechorgan, das ein klein wenig gen Himmel zeigte. Brian setzte die Sonnenbrille schnell wieder auf. „Also für mich riecht es nach Sex und Bikini. So wie es sollte.“ Nikki blickte tiefsinnig in die Runde. Was duftete im Sinne der 12 bis 14-jährigen Zielgruppe nach Party auf Ibiza? „Also ich finde es gar nicht soooo schlecht“, äußerte sie sich indifferent. Nur rudimentär bemüht, Begeisterung zu verströmen. Dieses Riechwasser roch so billig, wie die Herstellung der artifiziellen Aromen war. Anders als die Klassiker der großen Düfte waren die der Neuzeit falsch und fad! Sie schüttelte sich unmerklich. An ihren Körper kam nur Wasser. Und Shalimar. Nun äußerte sich Maestro Michael: „Des iss der große Wurf! Die Geruchskanone schlechthin. Das wird der Duft der Saison!“ Volker Kleemann nickte wie ein Wackeldackel. Sein Seitenscheitel stimmte mit. „Absolut. DER RENNER! Aber wir wollen Euch die anderen Kandidaten nicht vorenthalten.“ Neun Duftrunden später war der Raum in eine Wolke aus süßem Gestank getaucht. Die Geruchsverblendung war Taktik des Mischmeisters. Niemand roch mehr irgendwas. „Also. Wir sind uns wohl alle einig. Nummer eins ist DAS DING!“ Die Runde nickte betäubt. Der neue Duft war geboren. „Ibiza. Yippie!“ Wolfi Blei klatschte mariniert mit den gepflegten Playboy-Händen. „Gut. Dann kommen wir zum Flakon!“ Den hatte der berühmte Designer-Stern aus Hamburg entworfen. Seit dem grandiosen Erfolg des Bösslein-Parfüms war er der gefragte Guru des guten Flakons. In diesem Fall war das kein großes Kunststück. Die Form des Armada-Saison-Flakons war Gesetz. Leicht herzförmig und kitschig. Mit vergoldetem Verschluss. Nur die Farbgebung änderte sich von Saison zu Saison. Diesmal war ein Verlauf von Gelb zu Pink vorgegeben. Gemäß dem Stoff der Outfits. „Nun die Werbung!“ Volker Kleemann, immer noch aufgeregt den Scheitel schüttelnd, reichte diverse Pappen mit Party feiernden Teenagern in gelben und pinkfarbenen Bikinis in die Runde. Man einigte sich auf die Version „Lolita“.

„Smells like Teen Spirit!“ Nach dem schweren Tag der Duftattacken begleitete sie Nirwana aus dem Niemandsland des Geschmacks in ihr vereinnahmtes Zuhause. Was sie wohl heute dort erwarten würde?

Der Meister & seine Hilfshexen

Krrrrkkkk … Das Türschloss knurrte wie ein warnender Wachhund, als sie den Schlüssel in die Wohnungstür steckte. Vorsichtig betrat sie den schwarzen Flur. Rauchschwaden waberten durch den düsteren Korridor. Dazu kam ein süßlicher Schwefelgeruch, der ihre malträtierte Nase umgehend zum Niesen animierte. Sie klemmte instinktiv die Finger um die Nase. Niesen war unfein. Und: Sie wollte sich nicht verraten. Schließlich war sie in der Wohnung des angehenden King of Rock. Doch wo war selbiger? „Woolf?“, rief sie leise, mit erschöpfter Stimme. Gab es heute endlich das ersehnte Krabbenschon- und Liebesprogramm? Wo blieb ihre filmstarreife Begrüßung? Müde enterte sie das von Ewald rigide gesäuberte Wohnzimmer. Ein Meer aus Kerzen brannte vor sich hin. Keine Menschenseele. Nicht ganz unfroh über die Schonfrist befand sie, es sei höchste Zeit für ein Date mit Monsieur Sauvignon Blanc. Leise, wie ein Dieb im eigenen Refugium, schlich sie auf den Zehenspitzen ihrer High Heels in die Küche. Ritsch. Ratsch. Das gnädige Geräusch des Gläserschranks hieß sie zu Hause willkommen. Die Scherben waren fort. Die Gläser von Rosenglanz standen stramm wie Soldaten im wiederhergestellten Schrank. Allerdings war die Armee aus Glas deutlich ausgedünnt. Ein bisschen Verlust gab es halt immer. Verstohlen öffnete Nikki den Kühlschrank. Was war denn das? Statt der üblichen Flaschen-Armeen an Weißwein, Rosé und Champagner begrüßten sie heute Berge von Bierflaschen, Coca-Cola, Gummibärchen und tafelweise Schokolade. Nikki starrte sprachlos auf die Sünden des Schlaraffenlands. Sie war bekennende Essthätin. Zum Glück fand sich zwischen den Kalorien- und Zuckerbomben auch ein trockener Weißwein. „GlückGlückGlück“, perlte der köstliche hellgelbe Inhalt mit dem Duft nach Pfirsich und Vanille in ihr Rosenglanzglas. Medizin für die malträtierte Nase. Und die feine Seele der Rose. Nachdenklichen Blicks kredenzte sie sich den ersten Schluck am marmornen Küchentisch. Kam endlich an, bei sich. Wertvolle Minuten der Entschleunigung später war sie gewappnet, die Situation zu erkunden. Mit vorsichtigem Schritt schlich sie zurück in den schwarzen Flur.Ob Woolf wohl im Fress-Zimmer war? Die Vermutung war naheliegend. Aber sie fühlte sich wie magnetisch angezogen von ihrem ehemaligen Anzieh-Zimmer. Jetzt das Reich des Rockers. Zunächst jedoch zog es sie zum Ex-Ehegemach. Leise und langsam, wie ein Eindringling im Eigenheim, öffnete sie die weiß lackierte Holztür. Ein Schlag in ihre Magengrube. Anstelle des edlen, generös großen Luxus-Ehebetts mit rosenblattgeformtem Rahmen prangte ein armseliges, kleines und absolut hässliches Holzbett in der Mitte des Raumes. Es sah aus wie ein Arme-Leute-Schlaf-Sarg. Ewalds Lustpritsche, vom Woolf eigenmächtig gegen ihr ehemaliges, prunkvolles Ehebett eingetauscht. „Pieppieppiep!“ Ihr Gewissen vernahm das vorwurfsvolle Geräusch der Versorgungspumpe. Nun roch sie den schwefelig süßen Gestank von Runen und Räucherstäbchen. Das künstliche Aroma von Ibiza Yippie verflog. Nikki erkundete mit von Schwefel verblendeten Augen den Rest des Raums. Sie erblickte ihre malträtierten Schrankgesellen an den vollgestellten Wänden. Sämtliche Schränke des Anziehzimmers waren in den Raum gequetscht worden. Mit Gewalt und ohne Gefühl. Ganze Segmente waren zersplittert. Ein wohl nicht mehr passendes Panel ihres teuersten Lieblingsschranks war gar brutal herausgesägt worden, damit das Möbel noch Platz fand. Ihr Ehegemach war zum Schrankzimmer degradiert worden. Um das armselige Billigbett herum lagen diverse Jeans, Haargels, Modemagazine. Wohl von Leon, dem süßen Sohn? Und: Was war denn das? Die teuren Laufschuhe ihres verstorbenen Gemahls lagen auf dem Bett. Offenbar hielt Leon die Wohnung für einen Selbstbedienungsladen. Die Entweihung ihres Ehegemachs ernüchterte die Rose. Sie wurde müde wie Blei. Desillusioniert verließ sie das entzauberte Zimmer. Was war nur mit ihrer heilen Welt geschehen?

Die bedrohliche Stimme des Gewissens flüsterte fies: „ Nikki Rose. Du kannst es auch wirklich nicht lassen!“ Der Zorn im Ton war scharf wie ein Sushi-Messer. Mit der Energie der Empörung stolzierte die Rose, klackklackklack, nun entschieden zum Reich des Rockers. Beherzt klopfte sie an die heiße Holztür. In Ermangelung einer Erwiderung trat sie ein. Gegenüber der Tür, auf der goldgelben Besucherschlafcouch, posierte Woolf in Guru-Haltung. Mit schlangenhaft verschlungenen Beinen. Spärlich bekleidet nur mit einem seidenen schwarzen Hausmantel. Unter ihm, auf dem Parkettfußboden, hockten Eva, seine hexenhafte Freundin mit der hässlichen Hakennase. Und eine fette Fremde. Eine Frau wie eine Tonne. Der Torso im schwarzen Kaftan verhüllte die weißen Wülste aus Fleisch nur rudimentär. Brandrote Spaghetti-Haare, definitiv nicht al dente, hingen traurig auf die Schultern. Beide starrten Woolf an, als sei er Gott oder vielleicht eher der Satan persönlich. Dieser las entrückten Blickes gewichtig klingende Worte aus einem schweren schwarzen Buch. Düster demagogisch schmetterte er schwere Schwüre in den Raum. Die Hexen erstarrten in paralysierter Faszination. „Hmpm“, räusperte die Rose ihre sanfte Stimme. Vergeblich. Der Meister und seine Hilfshexen ignorierten sie intensiv. Endlich, eine Ewigkeit später, erstarben die finsteren Flüche. Der Woolf klappte das ominöse schwarze Buch zu. Mit einem Ausdruck angewiderter Arroganz blickte er die Rose sekundenkurz an, bevor er seinen Blick den Hilfshexen zuwendete. Die geiferten gierig nach seiner Aufmerksamkeit. Nikki fühlte sich wie eine Ameise auf Audienz beim Nasenbär. Der Woolf bewegte sich keinen Millimeter. Lediglich die bleistifthaften Lippen verzogen sich unmerklich noch weiter nach unten, während die Asche seiner Zigarre auf die teure Schlafcouch regnete. Hämisch höhnte seine metallisch hallende Stimme. Wie es schien aus dem Bauch. Die verdorrten Lippen blieben stumm. „Na, Frau Rose, wieder mal zurück aus der Weltgeschichte, während andere die DRECKSARBEIT machen?“, herrschte er sie herzlos an. Sie traute ihren Ohren nicht. Was war denn mit „Kräbbchen. Ich liebe Dich. Welcome Home. Drin für die Liebe.“ geworden? Dem Liebesversprechen? Das schien so nachhaltig wie das Leben einer Fruchtfliege zu sein. Wer bitte schön sorgte denn mit Disziplin und Durchhaltevermögen für die Existenz seiner Audienz? Bitterböse starrten nun auch die vor Fanatismus triefenden Augen der beiden Hilfshexen auf die zart zitternde Rose. Als wollten sie die mit ihren Blicken ans Kreuz nageln. „Erfreut, Sie kennenzulernen, Nikki Rose“, ging sie beherzt auf die noch unbekannte Spagetthihaar Hexe zu. Mit rot glühendem Gesicht, gleich eines Zündhölzchens, beugte sie sich zu Woolf. Platzierte einen zarten Kuss auf die blutleere Wange. Ein Zeichen der Zärtlichkeit, die sie für diesen explosiven Mann empfand. Trotz der intensiven Irritation, die sich in ihre Seele schlich. Was war denn das für eine miese Magie-Show, die ihr Altrocker hier abzog vor den beiden Schwabing-Schabracken???????

„Schön, wieder zu Hause zu sein! Was macht Ihr denn hier?“, versuchte sie die brenzlige Situation mit den Aphorismen des Alltags zu entschärfen. „Wir vertreiben hier gerade den vergifteten Geist Deines krepierten Alten!“, grollte sein rauchender Schlund. „Hast Du nicht gesehen, dass dieses Arschloch die Asche regnen lässt? Er hat versucht, meine Söhne zu verbrennen! UND MEIN KRÄBBCHEN SCHLÄFT SICH HEIMLICH DURCH MIAMI! DU GEHÖRST MIT IHM AUF DEN SCHEITERHAUFEN! IN INDIEN IST DAS SO ÜBLICH!“ Sein knochiger, nikotingelber Finger zeigte bitterböse auf das Herz der Rose. Das pochte bis zum Himmel. Der Zorn des Woolfs war mächtig. Seine gnadenlose Selbstgerechtigkeit ließ keinen Zweifel daran: Sie war für ihn eine fiese Seele. Der Blick seiner Augen war wie aus Eis. Kalte Abscheu sprach aus ihm. Die tiefen Gräben der Nasolabialfalten ließen sein Gesicht aussehen wie das einer alten Eidechse. Nikki schlug die Augen zu Boden. Ein Blick in Medusas Antlitz könnte verhängnisvoller nicht sein. Von draußen dröhnte der Hagel an die Kassettenfenster. Die Eiszeit war in Schwabing ausgebrochen. „You’re Stonecold. Icecold!“ Ihr Lieblingssong von Regenbogen dröhnte aus den Böse-Boxen. Nikkis Herz bekam eine Gänsehaut. Zitternd stand sie vor dem Gericht des Meisters und seiner Hilfshexen.

Richter Woolf entknotete seine Beine. Die knochigen Füße schimmerten gelb und verbreiteten ein betäubendes Käse-und-Asche-Aroma. Das Näslein des Rösleins hatte heute vielerlei Gestank zu ertragen. „Während Miss Drei-Wetter-Taft sich durch die Welt schläft, gestalte ich unsere Zukunft!“, urteilte er. Hart und nicht ganz gerecht. Der Rosenmund öffnete sich zum Protest. Doch sie blieb stumm. Manchmal war Schweigen Gold. „Ab sofort reist Du nicht mehr alleine!“ Hugh. Er hatte gesprochen. Woolf klopfte mit der aschenden Zigarre dreimal auf das ominöse schwarze Buch. Sein Urteil war verkündet. Die Rose schlug die Augen zum Himmel. Dieser Typ hatte definitiv einen Schuss. Sie war als Sünderin gebrandmarkt. Der Freiheit beraubt. Die Liebe versprach zum Gefängnis zu werden! Einspruch zwecklos …

Der Woolf badete in Selbstgerechtigkeit. Die Hilfshexen applaudierten. Triumph eroberte sein Antlitz. Das sah wieder nach Rockstar aus. Nicht mehr nach Eidechse. „Die Eva wird mir den Steinweg ihres Alten besorgen! IST DAS NICHT SO WAS VON GEIL?!“ Offenbar machte es ihn an. Das große Glied erhob sich unter dem Seidenmantel. Die Hilfshexen blickten bewundernd. Auch die Rose konnte gegen ihren Willen den Blick nicht von seinem Zepter wenden. Ihr Gesicht brannte in einem Cocktail aus Pein und Begehren. „Eva. Sieh zu, dass Dein Alter Flügel und ich meinen Steinweg kriege!“, forderte er forsch. Ein Schatten aus Trauer und Zweifel legte sich über Evas hakennasiges Antlitz. „Woolf. Wir müssen warten, bis mein Vater gestorben ist!“ Die entschuldigenden Worte standen im Raum. Der Woolf wurde wieder wütend. „Dein Alter gehört in die Hölle! Möge er an seinem verfluchten Steinweg verrecken! ICH BIN DER KING OF ROCK UND BRAUCHE MEINEN FLÜGEL!“, schmetterte er Eva entgegen. Die Aussage hatte etwas Apokalyptisches. Rücksicht stand nicht auf dem Speiseplan des Woolfs.

Eva schrumpfte in sich zusammen. Sie sah aus wie die Angst. Das mitfühlende Herz der Rose schmerzte vor Empathie. Wie taktlos der Woolf war. Sie schämte sich für ihn und ihre Liebe. Es wurde noch schlimmer! Der Woolf wurde zum Rumpelstilzchen. Er sprang von der goldgelben Couch und hüpfte von einem Bein aufs andere. Ein Satyr auf Speed. Der Zipfel seines Zapfens hüpfte auf und ab. Befremdet blickte die Rose auf den skurrilen Tanz des Teufels im Woolf. Die Liebesverblendung wich dem klaren Blick ihres Verstands. Sie musste weg hier! In eleganter Gelassenheit drehte sie sich um die eigene Achse. Der Plisseerock schwang schön. Nun nahm sie ihr Herz in die Hand. „Woolf. Du führst Dich auf wie der Irrsinn. Ich gehe nun und hoffe, Du findest Deinen Verstand zurück!“ Entschlossen, aber mit Entsetzen im Herzen floh sie in den finsteren Flur. Das war kein Umgang für sie. Ein durchgeknallter Altrocker ohne Ruhm, der sich aufführte wie der Satan persönlich. Auf ihre Kosten. Für ihre Großzügigkeit erntete sie nicht Dank und Demut. Sondern Hochmut und Hass. Ein Geschmack von Beton legte sich auf ihre Zunge. Das Leben schmeckte manchmal wie Bittersalz. Sie flüchtete. Fühlte sich verfolgt wie vom Teufel persönlich. Schnell durch die Tür und über die Treppe. Hämmernden Herzens stand sie auf der Klemensstraße. Das Dachgeschoss fackelte unheimlich. Die Rose sprintete auf Stilettos durch das nächtliche Schwabing und den Hagelsturm.

Flucht in den Genuss

Schnell sputete sie in die Hoher-Zoll-Straße und enterte die schummerige Behaglichkeit des Café Florian. Endlich, erstmalig seit ihrer Rückkehr aus Miami, entspannte sich die Rose. Das Bistro war ihr zweites Zuhause. Hier gab es viele gute und keine teuflischen Geister. Nachdenklich blickte sie sich um. So schön es hier war, etwas stank zum Himmel! Sie war vertrieben! Aus ihrem eigenen Zuhause. Welcome Home? Sie lachte bittersüß. „A bitter sweet symphony. That’s Life!“ The Verve tönte durch das Bistro. Erleichtert erblickte sie einen leeren Platz und schritt durch das Studentencafé, das seit Jahrzehnten Einkehr gab für denkende und durstige Vagabunden. Ihr Magen knurrte hörbar. Mittlerweile waren es bereits 48 Stunden her, seit dem allzu feurigen Fleisch-Menü, das im Aschenregen endete. Zum Glück gab es hier ein köstliches Caprese. Sie entdeckte den perfekten Platz. Sank auf die Bank an einen wie für sie geschaffenen Tisch. Mit genießerischer Vorfreude orderte sie. „Ein Caprese vom Mozzarella di Bufala. Mit viiiielen Tomaten. Einen Sauvignon Blanc. Ein Mineralwasser.“ Der charmante Kellner lächelte und eilte zur Küche. Minuten später servierte er. Sauvignon Blanc. Perrier. Die weiße Kugel aus Mozzarella di Bufala thronte auf einem Gemälde von sizilianischen Strauchtomaten und frischem Basilikum. So schmeckte das Paradies. Genießerisch ließ die Rose die aromatische Komposition auf der Zunge zergehen. Glücklich blickte sie sich um in dem schönen, von schwatzenden Studenten bevölkerten Stilaltbau.

Gerade hatte sie die letzte Gabel grazil gen Mund gehoben, als ein bekannt aussehender dunkelblonder Bengel auf ihren Tisch zusteuerte. Das war doch??? „Leon?!“ Überrascht überschlug sich ihre Stimme, als sie in dem Jungen das bleistiftskizzenhafte Abbild Woolfs erkannte. „Setz Dich doch und trink einen Wein mit mir!“ Leons wie üblich gelangweilter Visage entsprang ein lustloses Lächeln. Er setzte sich zur Rose. Ihr prüfender Psychologen-Blick erkannte Leid in seinem Blick. „How is life?“ Lächelnd lockte sie ihm die Sorgen von der Seele. „Och. Es geht so …“ „Wie weit bist Du mit der Wohnungsrenovierung?“ Leon schaute hoffnungs- und heimatlos. „Ach, dieses Schmutzloch.“ Die Aussage bezeugte Verachtung. Seine nach unten verzogenen Mundwinkel erinnerten an Woolf. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm … „Leon. Lage ist alles. Die Bude bekommst Du schon schön!“ Nikki hob die Augen gen Himmel. Der Bengel war so arrogant wie sein Erzeuger! „Phhh!“ Ablehnung blitzte aus den altklugen Jungenaugen. „Was phhh. Wo drückt Dein Schuh?“, wollte Nikki wissen. „Das ist doch alles eine Schnapsidee von Woolf“, brach der Ärger aus dem schmalen Mund. „Der kümmert sich doch einen Scheißdreck darum, was ich mit meinem Leben anfange. Ich kenne hier keinen. Meine Freunde und Familie sind alle woanders! Und Woolf hat sowieso nur sich und neuerdings Dich im Kopf.“ Empörung erfüllte das Bubengesicht. Nikki blickte nachdenklich in das Sauvignon-Blanc-Glas. Die Verhältnisse der Familie Barzokka schienen verhängnisvoll! „Leon, lass uns mal gemeinsam mit Deinem Vater reden. Für alles gibt es eine Lösung.“ Sie zahlte die Zeche und schob Leon 50 Euro zu. Mehr Hilfe war heute nicht möglich. Nachdenklich lief sie zurück zur Klemensstraße. Das herbstliche Schwabing wirkte finster. Der Hagel war in strömenden Regen übergegangen. Stets vorbereitet auf Angriffe von oben, fieselte sie einen Minischirm von Knipps aus der Armada-Handtasche. Dann stand sie vor der Nummer 8. Das Haus war dunkel und abweisend. Plötzlich fühlte auch die Rose Einsamkeit. Ein fremder Geist beherrschte ihr Heim. Statt eines Herzmannes wartete ein Unberechenbarer auf sie. Das Leben an der Seite ihres Musikers war zur Achterbahn der Gefühle geworden. Die Leichtigkeit ihrer Liebe war einer bedrohlichen Schwere gewichen. Sie betrat den Hausflur, als sei er ein Minenfeld. Verdrossen schlich sie die Stufen nach oben. Leise und lautlos enterte sie den nach kalter Asche atmenden Flur. Auf leiser Sohle schlich sie ins Wohnzimmer. Dort sank sie müde und betäubt auf die Linia-Rose-Couch. Trost suchend wickelte sie sich, noch gekleidet und geschminkt, in die Felldecke. Dann führte sie Mister Sandmann mit unsichtbarer Zärtlichkeit in traumlosen Schlaf.

Tick. Tack. Tick. Tack. Das leise Klacken der MegaO flüsterte ihr ins Ohr. Die Rose erwachte und wusste nicht, wo. Der volle Mond leuchtete unheimlich durch die Fenster. Nächtliche Schatten enterten den Raum. Silhouetten aus Rauch. Ihr wurde angst und bange. Die von Mister Sandmann verkrusteten Augen starrten durch das Dunkel. Gegenüber, auf der zweiten Couch, vermeinte sie eine Figur zu erkennen. Sie erschien furchtbar vertraut! War das die Gestalt des gestorbenen Geliebten? Sie vermeinte förmlich, das abgemagerte Gerippe erkennen zu können. Die verzerrte Fratze vor sich zu sehen. Die erstarrten Augen. Die sich plötzlich öffnenden, vertrockneten Lippen. Uwe. Seine Stimme von fern. Voll Flehen und Verzweiflung. „Schatzi. Schatzi. Ich bin noch gar nicht tot. Ich werde Dich niemals verlassen!“, hauchte seine hohle Stimme aus den leblosen Lippen … Das Flehen entfernte sich. Gleich des Sounds eines Songs, der zu Ende geht. Auch das Bild des Grauens verschwamm. Wie ein Abbild in einem See, den die Wellen aufwühlen. Nun herrschte Stille. Die Rose öffnete die Augen und erblickte die tröstliche Umgebung des Wohnzimmers. Sie musste böse geträumt haben! Der Schreck saß ihr in den noch gejetlagten Knochen. Träume können realer sein als die Wirklichkeit.

Wenige Stunden später erwachte sie erneut. Die Schatten waren verschwunden. Die Sonne schien durchs Fenster. Ihre warmen Strahlen liebkosten ihre Seele und beruhigten die Gedanken. Die Rose fand ihren Optimismus zurück. SIE WÜRDE DAS RUDER HERUMREISSEN UND AUS WOOLF EINEN RESPEKTABLEN MENSCHEN UND LEBENSGEFÄHRTEN MACHEN. War nicht jeder der Meister seines Lebens, der Herr seines Schicksals, der Gestalter seines Glücks? Durfte man nicht lieben, wen man lieben wollte? Zugegeben: Der Highway ihres Herzens entpuppte sich als Talfahrt in die Hölle. Doch das würde sie umkehren! Sie würde den Reset-Knopf drücken. Die grauen Schatten vertreiben. Den Weg gehen, den ihre Intuition wies! Sie und Woolf würden dem Korsett der Konvention entkommen! Lust, Liebe und Erfolg genießen. Die Stimme des Herzens kannte keine Kompromisse.

Die Liebesrüge

Der Glücksmoment des Morgens währte kurz. Leise Schritte hallten hohl auf dem Granitboden der Idea-Küche. Woolfs graue Gestalt, noch immer im schwarzen Seidenmantel, warf dunkle Schatten auf die Rose. Ungute Vibrationen erfüllten den Raum. Miss Mistreated von Regenbogen dröhnte drohend aus den bösen Boxen. Das strahlende Mir-gehört-die-Welt-Lächeln der Rose erfror. Woolfs Stimme dröhnte drohend und selbstgerecht. Die Sprache, die aus dem Mundstrich strömte, war unangenehm unfein. „Du STÜCK! Wo warst Du? Ficken in Florida, während ich den bösen Geist Deines verreckten Mackers vertrieb?!“ Abscheu beseelte sein Antlitz. Er sah bitter und böse aus. Wo war nur der Rosenkavalier geblieben??? Die Aura der Aggression lähmte die Rose. Ihr Körper erstarrte. Wehrlos lag sie vor Woolf. Ein Liebesopfer für seine Wut gegen die Welt.

Wenn wir Situationen erleben, die allzu unangenehm sind, entfliehen wir ihnen. In mentale Ferien. Die Rose erkannte in dieser Sekunde, dass ihr Ungutes bevorstand. Sie zog sich in sich selbst zurück. Beobachtete die Situation aus der Ferne. Woolf barst vor Wut. Er holte aus. Sein Kräbbchen brauchte eine Liebesrüge! Nie wieder durfte sie ihn verlassen. Das würde sie begreifen lernen müssen! WUUUUUSCH! Eine fies frontale, sinnesbetäubende Ohrfeige entlud sich auf ihr. Sie sah Sterne und vernahm eine beängstigende Stille. Ein Rauschen aus Blut und Angst erfüllte ihre Ohren. Das Rosengesicht schwoll in Sekunden an. Hämatome malten ein Mahnmal auf ihr Antlitz. Es glühte und blühte in den Farben des Regenbogens. Sie war im Innersten erschüttert. Doch Rosen zeigen keine Schwäche! Ihr malträtiertes Antlitz blieb stolz und still. Das musste ein Albtraum sein! Und er war noch nicht zu Ende! Die Fratze des Woolfs wurde grimmig entschlossen. Er kletterte auf sie. Packte ihre Hände und band sie mit seiner blutroten Krawatte zusammen. Die Liebesrüge hatte gerade erst begonnen. Die Rose suchte Schutz im inneren Exil. Sie stellte sich ohnmächtig. Der Woolf blickte ihr mit seelensaugender Suggestivkraft ins Antlitz. „Kräbbchen. Ich bin’s. Der beste Mann der Welt. Und Du verlässt mich nie mehr wieder!“ Seine Gitarrendrahtfinger wanderten zwischen ihre Beine und glitten in sie. Beharrlich berührte er die verletzliche Stelle der Rose. Bis sie allmählich und gegen ihren Willen feucht ward. Nun schälte er sie ungeduldig aus dem schwarzen Cocktailkleid. Der Reißverschluss hakte. Gewaltvoll riss er den Stoff auseinander und warf das zerfetzte Cocktailkleid zu Boden. Seine erregte Männlichkeit rieb sich an der sinnlich duftenden Rose. Er warf den schwarzen Seidenmantel ab und legte sich schwer auf sie. Sie öffnete sich in zaghafter Hingabe. Er drang in sie hinein wie in eine feuchte Höhle der Lust. Füllte sie aus mit seiner herrischen Männlichkeit. Glitt immer tiefer in sie hinein. Wehrlos seiner Leidenschaft ausgeliefert, gab die Rose sich hin. Er umfasste ihre knospenden Brüste und seine Stöße wurden fordernd und hart. Wild vor Verlangen konnte er nicht mehr an sich halten und brach in der Euphorie der Ekstase über ihr zusammen. In einem Feuerwerk der Sinne. Die Rose seufzte süß. Sie wurde zum Mädchen im Liebesrausch. Er blickte in ihre Augen. „Kräbbchen. Du bist MEIN! Verlasse mich nie wieder!“ Zärtlich bestimmend strich er über die vielfarbigen Schwellungen in ihrem Gesicht. Die Liebesrüge hatte gewirkt. Er war sich seines Kräbbchens wieder sicher.

Sie schaute sinnesbetört in die eng stehenden Augen des Geliebten. Ihre Gefühle jagten wie drogenberauschte Schmetterlinge durch ihren Körper. War nicht alles so, wie sie es wünschte? Die Rose und der Rockstar. Seelengefährten und Liebende. Bis ans Ende dieser Welt? Was war schon eine Ohrfeige gegen die Größe ihrer Gefühle? Sie war versucht zu vergeben und zu vergessen. Der Woolf fiel in tiefen Schlaf. Sein Körper schien tonnenschwer. Plötzlich fühlte sich seine Gegenwart wie ein Gefängnis an. Sein trocknendes Sperma verbreitete ein Aroma von fauligem Fisch. Knurrende Schnarchgeräusche entwichen seinem Strichmund. Die Rose fühlte sich nicht mehr wohl unter ihrer Liebeslast. Behutsam zog sie sich zentimeterweise unter seinem Körper hervor. Dann stand sie vor ihm und blickte auf seine graue Gestalt auf der anthrazitfarbenen Couch.

Die Macht der Ohnmacht

Woolf erwachte mit einem Kater im Kopf. Sein Machtrausch war dem lähmenden Gefühl der Ohnmacht gewichen. Vor sich erblickte er den porzellanweißen Rosenkörper. Und die Schandmale, die seine Ohrfeige ihrem schönen Gesicht zugefügt hatte. Sein Herz blieb kalt. Ein schlechtes Gewissen war ihm fremd. Doch langsam, gleich einer Spinne, kroch die Angst in sein Gehirn. „Woolf. Jetzt hast Du Deine große Chance vermasselt!“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Da kamen vielerlei Spinnen aus ihren Verstecken hervor. Sie kletterten seinen Rücken entlang. Mitten ins Zentrum seiner Gedanken. „Alles wie immer!“ „Der Teufel kann sein Gesicht nicht verbergen.“ „Du Loser wirst es niemals schaffen!“ Die Schatten der Vergangenheit erschienen vor seinem geistigen Auge. Viele Frauen. Blonde, Brünette, Rothaarige. Sie alle hatten ihm Einlass in den Garten Eden der Liebe gewährt. Doch er war von allen verstoßen worden. Dabei war er DER BESTE MANN DER WELT! Verdruss verschleierte die Gedanken des Woolfs. Seine Wut verrauchte mit der Asche seiner Zigarette. Sie wurde zu Wehmut. Er kletterte von der Couch und schwankte, die Rose ignorierend, zum I Pool. Musik konnte heilen. Er brauchte einen Seelengefährten. Die weiße Schlange zischte aus den Böse-Boxen. Woolf versank in einer trostvollen Wolke aus Selbstmitleid. Immer waren es die anderen, die sein Leben zerstörten … Die Macht der Ohnmacht fühlte sich tröstlich an. Selbstmitleid lullte den zornigen Woolf in ein selbstgerechtes Zelt aus Eigenliebe. Das Jaulen begann. Der wilde Woolf heulte mit den Böse-Boxen um die Wette.