CAMERON KERR

UND SEINE UNHEIMLICHEN FÄLLE

 

Michael Kruschina

Blutnacht der Wölfe

 

Teil. 1 eines Zweiteilers

 

Der Autor

Michael Kruschina wurde am 21.11.1975 in Esslingen/Neckar geboren und interessiert sich schon seit er lesen kann für alles, was mit Science-Fiction und Horror zu tun hat. Daraus entwickelte sich auch das Schreiben in den genannten Genres. Seine Serien, die er ins Leben gerufen hat, heißen Cameron Kerr (Horror-Serie), Raumschiff Archimedes (SciFi) und Larissa Blackwood (Mystery).

Impressum

 

Mondschein Corona – Verlag

Bei uns fühlen sich alle Genres zu Hause.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

1. Auflage

Erstausgabe August 2017

© 2017 für die Ausgabe Mondschein Corona

Verlag, Plochingen

Alle Rechte vorbehalten

Autor: Michael Kruschina

Lektorat/Korrektorat: Werner Diefenthal

Covergestaltung: Finisia Moschiano

Buchgestaltung: Mike Bold

Umschlaggestaltung: Finisia Moschiano

 

© Die Rechte des Textes liegen beim

Autor und Verlag

 

Mondschein Corona Verlag

Finisia Moschiano und Michael Kruschina GbR

Teckstraße 26

73207 Plochingen

www.mondschein-corona.de

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum

London: Industriegebiet

Lesetipps

 

London: Industriegebiet

 

»So eine verdammte Sauerei!«, schnaubte Chief Inspector James Grey, von der Metropolitan Police London. Wütend, mit den Armen wild gestikulierend, schritt er durch den Tatort, der eher einem Schlachthof glich und das Wort Tatort nur verniedlichte. Angewidert rümpfte Grey die Nase, ein metallisch riechender Duft hing wie eine schwere Wolke an Ort und Stelle - Blutgeruch. Auch im Mund schmeckte er ihn, dort klebte er penetrant.

»Bolton! Können Sie mir vielleicht eine sinnvolle Erklärung für dieses Gemetzel geben?«

Der angesprochene, blonde Assistent des Chiefs schaute ihn aus wässrig glänzenden Augen an, schüttelte dabei langsam seinen Kopf.

Grummelnd wandte der 52-Jährige sich von seinem um 20 Jahre jüngeren Kollegen ab. Er fuhr mit der Hand durch sein dunkles Haar, was oben herum lichter wurde. Einige graue Strähnen mischten sich bereits unter das schwarze Haupthaar.

Um die beiden huschten die Männer der Mordkommission und der Spurensicherung. Alle nur das Nötigste von sich gebend, geschockt von dem Horror, den sie hier erlebten und durchmachten. Das Gesehene würde bei allen für immer ins Gedächtnis eingebrannt sein, unauslöschlich. Es war der negative Höhepunkt in ihrer Laufbahn, als Beamte der Polizei von London. James Grey, dem alten Hasen in der Truppe, erging es keinen Deut anders als den jüngeren Kollegen. Doch gelang es ihm, damit besser umzugehen, seine grummelige Art diente als Ventil.

In dieser abgelegenen und heruntergekommenen Fabrikhalle wurde eine Szene aus den brutalsten, ekligsten Horrorfilmen bittere Realität. Ein wahres Blutbad, durch das die Polizisten wateten. Blut klebte sprichwörtlich in jeder Ecke der Halle, sogar an der Decke bildete es Muster, die sich langsam aufzulösen begannen, in dünnen Fäden nach unten tropften, begleitet von einem klatschenden Laut, als selbige auf den Boden landeten. Wer nicht aufpasste, wurde davon getroffen. Entweder direkt von den fallenden Tropfen oder den Spritzern beim Aufschlag auf den Hallenboden, in eine der zahlreichen Pfützen aus Blut. Der Fußboden war über und über bedeckt damit. Darin schwammen etliche Fleischstücke, sogar ein Auge, erkannte der Chief Inspector darunter, ein kalter Schauer rieselte über dessen Rücken. Umgehend wandte er den Blick ab.

Dieser Horror konnte noch gesteigert werden. Das Blut war nicht das Schlimmste. Überall lagen verstümmelte Leichen, grausam zugerichtet. Mit Bisswunden übersäte, zerfetze Körper ohne Beine, Arme, mit abgerissenen Köpfen, füllten das gesamte Areal aus. Zwischen den Körpern ruhten die abgetrennten Gliedmaßen und Schädel. Jetzt noch konnte man darin den Horror erkennen, den sie kurz vor ihrem Tod erblickt hatten. Verzerrte Gesichter, Münder zum Schrei geöffnet. In den glasigen Augen spiegelte sich die ganze Bandbreite des Schreckens, den sie vor ihrem Tod begegnet waren. Wenn in den Augenhöhlen noch Augäpfel lagen. Vielen Opfern fehlte eines oder beide. Blutige dunkle Löcher, in welche die Beamten starrten. Brutal aus den Höhlen gerissen. Anhand der tiefgehenden Wunden zu erkennen.

Mit versteinerter Miene schritt Grey durch die Reihen der Toten, manche zugedeckt mit Plastikplanen, bei vielen fehlten diese noch, um zu Dr. Baxter zu gelangen, dem leitenden Pathologen. Vereinzelte Blitzlichter von den Kameras der Spurensicherung begleiteten dessen Weg.

Baxter kniete neben einem der Toten, betrachte voller Interesse die tiefe Wunde am Hals. Direkt daneben stand einer der sehr starken Strahler, der alles um ihn herum mit seinem hellen Licht aus der Dunkelheit zerrte. Mit einem Kugelschreiber schob er einen blutigen Hautlappen nach oben, um bessere Sicht zu erhalten. Dabei schmatze es, Blut rann aus der Verletzung. Er sprach währenddessen in ein Aufnahmegerät, welches er immer erst einschaltete, wenn der Pathologe etwas Neues entdeckte.

Er schien ganz in seine Arbeit vertieft, sodass er nicht bemerkte, dass der Chief Inspector mit seinem Assistenten neben ihn trat und auf ihn herabschaute.

Grey räusperte sich ungeduldig, er wollte die Fabrikhalle, so schnell es ging verlassen, um in seine Wohnung zu fahren. Dort würde er als passionierter Single, alleine, einen doppelten Scotch genießen. Den hatte er nach der heutigen Schicht verdient.

Jetzt erst nahm der Pathologe die zwei Männer wahr, die neben ihm standen. Er beendete den Monolog, schaltete das Diktiergerät aus, stand auf, nickte Grey zu und sprach diesen an: »Ah, Chief Inspector Grey, Sie wollen offenkundig meine fachmännische Meinung zu dem Vorfall hier hören!«

Grey knirschte mit den Zähnen. »Einen Vorfall würde ich das Schlachtfest hier nicht nennen, Doktor Baxter!« Sich mühsam beherrschend brachte er die Worte über seine Lippen.

Baxter nahm es gelassen auf, dass der Chief ihn maßregelte. In seinem Beruf kam er jeden Tag mit dem Tod in Berührung. Da schadete es nicht, wenn man eine dicke Haut besaß. Trotz allem verstand er den Chief, darum nahm er sich vor, in dessen Gegenwart etwas pietätvoller zu sein.

»Entschuldigen Sie Chief, es war eine harte Nacht. Sie verstehen?«

Grey entspannte sich, nickte dem Arzt zu. Was gleichzeitig als Aufforderung zu betrachten war, mit dem Bericht fortzufahren, dieses Mal allerdings sachlicher.

»Nun, wie es aussieht, fand hier eine Party statt. Aber das haben Sie bestimmt schon selber herausgefunden.«

»Ja, eine sogenannte Facebook-Party, wir haben einige ausgedruckte Papiere gefunden, die das belegen«, mischte sich zum ersten Mal Bolton ins Gespräch ein. Dabei kramte er einen blutbesudelten Zettel hervor, der in einer Plastiktüte verstaut lag.

Der rothaarige Assistent räumte das Beweisstück wortlos in die Tasche zurück, als er den Blick des Chiefs auf sich spürte, der es nicht gerne mochte, wenn man mit Beweisstücken so arglos umzugehen pflegte.

Kopfschüttelnd wandte sich James Grey dem Pathologen zu.

»Schießen Sie schon los Baxter! Was können Sie zum jetzigen Zeitpunkt zu der Tat sagen? Gibt es Hinweise, die auf den oder eher die Täter hinzeigen? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dies ein Einzelner begangen haben soll!«

Baxter holte tief Luft, ließ diese zischend durch die Nase entweichen.

»Bis jetzt zählen wir 23 Tote, alle weisen dieselben Verletzungen und Verstümmelungen auf. Bei vielen der Opfer fehlen komplette Gliedmaßen oder der Kopf. Was auffällt ist die ungeheure Kraft, die dabei aufgewendet worden sein muss, um einem ausgewachsenen Menschen den Kopf oder ein anderes Körperteil auszureißen,«

Er machte eine Pause.

»Und das bei lebendigem Leibe!«

Schweigend folgten Grey und Bolton den Aussagen des Doktors. Dabei wurden sie noch bleicher, als sie es ohnehin schon waren.

»Sagten Sie komplette Körperteile herausgerissen, oder hab ich was an den Ohren?«

»Sie haben sich nicht verhört Grey, sie wurden mit roher Gewalt abgerissen. Aber das ist noch nicht alles, was die Leichen aufweisen, welches keinesfalls der Norm bei Gewalttaten entspricht. Festhalten meine Herren, es gibt großflächige Bisswunden. Tief ins Fleisch gehend, manche der abgetrennten Teile sind abgebissen bis auf den Knochen, der gleich mit durchgekaut wurde, wenn Sie mir die saloppe Redensart gestatten. Was noch anzumerken wäre, ist, dass große Fleischstücke ausgerissen, und wie es aussieht, diese gegessen oder gefressen wurden.«

»Reden wir jetzt von Kannibalismus? Baxter, die Geschichte wird immer abgedrehter, verrückter! So etwas ist mir in meiner Laufbahn noch nie untergekommen und ich bin bei Leibe kein Anfänger in diesem Geschäft!«

»Ja, wie ich …«

Baxter wurde mitten im Satz durch einen Ruf unterbrochen, der quer durch die Halle schallte, als vielfaches Echo von den Wänden zurückgeworfen.

»Hier lebt noch einer, schnell einen Arzt zu mir!!«

Der Chief Inspector stürmte los, dicht gefolgt von seinem Assi und Baxter. Ihr Ziel lag am anderen Ende der Halle. Dort beugte sich einer der uniformierten Polizisten über eine an der Wand lehnende Gestalt, deren Beine ausgestreckt auf dem Boden lagen. Trotz seines Alters war Grey in Form, immer noch führte er die Gruppe an.

Es trennte sie grob 50 Yards, als mit dem angeblichen Überlebenden, der, außer zerrissenen Fetzen, kaum noch Kleidung trug, eine Verwandlung vor sich ging. Die Metamorphose erfasste den gesamten Körper. Die Beine und Arme dehnten und streckten sich, dabei knackte es, sodass den verdatterten Zuschauern, eine Gänsehaut nach der anderen über die Haut rann. Die Formveränderung wurde begleitet von heftigem Keuchen und furchtbarem Stöhnen. Der Kopf wurde nicht verschont von der Umwandlung, er wurde in die Länge gezogen, nach oben, nach vorne, formte eine Schnauze aus wie bei einem Hund. Haare sprossen auf dem gesamten Körper, bildeten einen dichten dunkelgrauen Pelz. Die Ohren wuchsen und liefen am Ende hin spitz zu. Mit einem schaurigen Geheule, wie bei Wölfen üblich, war die schreckliche Verwandlung abgeschlossen.

Ohne Vorwarnung, unmöglich mit den Augen zu verfolgen, schnellte eine der Tatzen empor, durchbohrte den Bauch eines der nahestehenden Polizeibeamten. Mit einem Ruck richtete sich die Kreatur zu ihrer vollen Größe auf, dabei den bedauernswerten Menschen immer noch festhaltend. Auf der Rückseite hatte sich die mit Klauen bewehrte Pranke ihren Weg ins Freie gebohrt. Blut tropfte herab, Fleischstücke klebten daran. Das Wesen holte mit dem Arm Schwung, warf den Mann in Richtung der anrückenden Polizisten, die vor Grauen und Fassungslosigkeit wie angewurzelt stehen blieben.

Als das menschliche Fluggeschoss auf sie zuraste, wichen Grey und Baxter im letzten Moment aus. Bolton brauchte zu lange, um den Schrecken abzuschütteln, sodass der Körper des Schwerverletzten auf ihn stürzte und zu Boden riss.

Grey fasste sich als Erster, zog seine Dienstwaffe, feuerte auf die Bestie, die sie mit aufgerissenem Rachen anbrüllte, ihnen dabei das furchterregende Raubtiergebiss präsentierend. Über zwei Yards schätze der 52-Jährige die Höhe der Kreatur, die ihn an einen aufrecht gehenden Wolf erinnerte. Gelbe, bösartig dreinschauende Augen musterten die gesamte Umgebung. Auf Grey blieb der Blick ruhen, als der Polizist seine Waffe benutzte, rannte das Untier auf ihn zu, die in ihn einschlagenden Kugeln komplett ignorierend.

Wenn der Chief Inspector nicht geistesgegenwärtig zur Seite gesprungen wäre, hätte in das Biest mitgerissen. So sprintete es quer durch die Halle bis zum Ausgang. Vereinzelt schossen Kollegen von Grey auf das mörderische Ungeheuer, ohne es zu treffen. Mit einem gewaltigen Sprung hechtete es durch das offenstehende Eingangstor, verschwand in der Stille der Nacht, in den Wald, der sich dem Industriegebiet anschloss.

James Grey und einige andere Beamten nahmen umgehend die Verfolgung auf. Sie blieben dem Wesen, das einem Wolf ähnlich sah, auf den Fersen, denn immer wieder hinterließ dieses gewollt oder ungewollt eine vereinzelte Spur. Mit lichtstarken Taschenlampen verfolgten die Polizisten der Metropolitan Police das Unwesen.

Nach einer halben Stunde wurde der Wald lichter, die Bäume spärlicher. Der Grund war eine Absperrung. Der Motorway in Richtung London schälte sich aus der Dunkelheit.

Zu dieser frühen Morgenstunde, es war kurz nach drei Uhr morgens, fuhren nur vereinzelte Fahrzeuge darauf, es herrschte kaum Verkehr zu diesem Zeitpunkt.

Deswegen fiel den Männern der Polizei der, auf der Fahrbahn mit eingeschalteten Scheinwerfern und offenstehender Fahrertür abgestellten Wagen, sofort auf.

Die Abzäunung überwanden die Polizisten rasch, nachdem sie Fellbüschel am Zaun fanden, die eindeutig von der Bestie stammten. Lockte das Untier sie in eine Falle? Jedem der Beamten kam dieser Gedanke.

Langsam betraten sie die asphaltierte Straße, immer nach allen Seiten sichernd, das Wesen konnte in der Nähe lauern. Verborgen in den Schatten der Nacht, die nicht von dem Lichtschein der Laternen erreicht wurden. Grey näherte sich dem Pkw, legte die Hand auf die Kühlerhaube.

«Noch warm«, murmelte er.

Vorsichtig blickte er anschließend in das Wageninnere des Wagens, einem amerikanischen Model aus den Siebzigern Jahren. Aufgemotzt mit Breitreifen. Die Farbe, soweit es die Lichtverhältnisse zu erkennen zuließen, Lila. Das Dach bestand aus einem dunklen oder schwarzen Kunststoff und ließ sich vermutlich abnehmen. Das Heck des Fahrzeuges war höher als der Rest des Autos. Ein Spoiler erstreckte sich über den Kofferraumdeckel.

Im Inneren brannte die kleine Funzel der Wageninnenbeleuchtung. Ihr Licht reichte gerade aus, um das Nötigste zu erkennen. Leicht gebeugt warf Grey einen Blick in den Wagen. Er schaute sich darin um, entdeckte aber keinerlei Auffälligkeiten. Es schien so, als ob der Fahrer nur kurz angehalten hatte und jeden Augenblick mit dessen Rückkehr zu rechnen war. Normalerweise, doch in dieser Nacht war nichts wie sonst. Zumindest für Grey und seine Kollegen. Der Chief Inspector hatte genug gesehen. Schon halb den Kollegen zugewandt, um diesen mitzuteilen, dass nichts und niemand im Wagen befand, hielt ihn ein Knall davon ab. Es klang wie ein Schuss in seinen Ohren.

Dem folgte ein unheimliches Brüllen und Jaulen, bis es verstummte. Stille kehrte ein, wie zuvor.

 

***

 

Die Zeiger der Uhr im Armaturenbrett nährten sich langsam, aber stetig, drei Uhr morgens. Mit müden Augen nahm ich dies zu Kenntnis. Seit einigen Stunden war ich schon unterwegs mit dem neuen fahrbaren Untersatz. Meinem ganzen Stolz, einem aufgemotzten 1970er Plymouth AAR’Cuda. Vor ein paar Tagen erst war er in meinen Besitz gewechselt. Ein guter Freund von mir verpasste ihm noch einige Extras, die den Wagen zu etwas Einmaligem machte. Da zu dieser Zeit wenig Verkehr auf der Straße herrschte, drückte ich das Gaspedal tiefer durch. Der Plymouth vollführte einen Satz nach vorne, der Motor dröhnte lauter mit einem zufrieden klingenden Brummen. Die Nadel des Tachos näherte sich der 120-km/h-Marke. Die Umgebung huschte als verwaschene Schatten an mir vorbei, wenn ich aus dem Fenster der Fahrertür schaute. Bäume, Leitplanken, Hinweisschilder, all dies vermischte zu einem flüchtigen Schemen.

Kurz vor London bremste ich ab, um die Ausfahrt nicht zu verpassen, was im Geschwindigkeitsrausch flugs passierte, wie ich mir grinsend eingestand. Es war ein Traum, mit dem 1970er Plymouth AAR’Cuda zu cruisen.

Jäh riss mich etwas aus dem Hochgefühl des Fahrens. Ein kompakter, immer rascher anwachsender Schatten raste aus dem angrenzenden Wald, der sich an beiden Seiten der Autobahn entlang zog. Reaktionsschnell drückte ich das Bremspedal bis zum Anschlag durch. Der Schatten verwandelte sich in einen riesigen Hund, der rechts am Fahrzeug vorbeihuschte. Ich sah noch aus dem Augenwinkel, dass das Vieh mitten auf der vierspurigen Fahrbahn stehen blieb. Und das der vermeidliche Hund gar keiner war, sondern ein Wolf, ein kolossaler!

Da ich mich darauf konzentrierte, den Wagen möglichst unfallfrei zum stehen zu bringen, entging mir, was mit dem Wesen weiter geschah.

Der Plymouth-AAR’Cuda stand endlich still, mit qualmenden Bremsen und Reifen. Tief durchatmend löste ich den Sicherheitsgurt, öffnete fluchend die Tür und stieg aus dem Fahrzeug. Vor dem Wagen stehend wischte ich mir erst den Schweiß von der Stirn, denn die letzten Sekunden waren doch etwas nervenaufreibend gewesen. Der Geruch verbrannten Gummis wehte mir in die Nase. Auf dem Belag der Straße erkannte ich, im Schein der Lichter, die Bremsspuren. Ein wildes Heulen ließ mich herumfahren! Der Wolf brachte sich mir eindrucksvoll ins Gedächtnis zurück.

Ungefähr 60 Yards trennten uns voneinander. Irgendetwas störte mich an dem Tier, nicht nur dass in der Gegend um London keine Wölfe heimisch waren, außer in den Zoos der Umgebung. Mir war auch unbekannt, dass von dort eines der Tiere ausgebrochen war oder fehlte. Meine inneren Alarmglocken schrillten, das Wort Werwolf schoss mir durch den Kopf. Sollte der Zufall mich schon wieder in einen weiteren Fall befördern?

Zögernd näherte ich mich ihm vorsichtig. Dabei schwirrten mir nur so die Gedanken durch den Kopf, was geschehen würde, wenn ich bei dem Tier ankäme.

Bis mich etwas davon ablenkte, und zwar die zwei Armreife, die sich um meine Handgelenke schmiegten. Beide wurden zart in violettes Licht gebadet, das immer kräftiger strahlte, je näher ich dem Geschöpf kam. Die letzte Bestätigung erhielt ich von Quesmar, dem Wesen oder dem Teil der Ringe, der mit mir telepathisch in Verbindung trat, wenn er es denn wollte.

»Vorsicht, Werwolf voraus!«, zischte es mir durch den Kopf. Mehr hielt Quesmar wohl nicht für notwendig, mir mitteilen. Okay, ich wusste es jetzt, war entsprechend vorbereitet. Abermals erhielt ich eine Bestätigung für mein Bauchgefühl.

Langsam zog ich die mit geweihten Silberkugeln geladene Dienstwaffe und setzte meinen Weg fort, mit der Pistole im Anschlag. Lauernd, mit gefletschten Zähnen, verfolgte der Werwolf, wie ich mich ihm bedächtig näherte. Den gelben Raubtieraugen entging keine meiner Bewegungen. Als uns nur noch 20 oder 25 Yards trennten, richtete sich das Untier zu seiner vollen Größe auf. Über zwei Yards, schätzte ich. Dabei kroch mir eine Gänsehaut den Rücken hinauf. Trotzdem setzte ich den Weg fort. Unter meinen Schuhen knirschten kleine Steine, die auf dem Boden lagen, als ich auf sie trat. Mit gesträubtem Fell fauchte das Ungetüm mich an, mir dabei eine übel riechende Wolke aus seinem Maul schickend. Angewidert hielt ich die Luft an.

Obwohl ich seinen Angriff erwartete, überraschte mich der Wolf doch. Blitzschnell wandte er seine kraftvolle Gestalt, nicht um anzugreifen, nein, er flüchtete! Verdutzt schaute ich ihm nach. Es dauerte einige Sekunden, bis meine Starre verflog und ich ihm hinterher sprintete.

In der kurzen Zeit war der Vorsprung des Werwolfs angewachsen. Fast schon war er an der Absperrung auf der gegenüberliegenden Seite angelangt, welche die Straße vom Wald trennte. Mit einem gewaltigen Satz überwand er spielend dieses Hemmnis. Der Anblick sorgte dafür, dass ich alles aus mir herausholte.