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Ulrich Eggers - HEIMAT - Warum wir wissen müssen, wo wir zu Hause sind

INHALT

Über den Autor

Vorwort

Unterwegs nach Hause
Andrea Adams-Frey

Wieso ich hier keine Heimat finde
Eva-Maria Admiral

Zuhause ist nicht nur ein Ort
Bianka Bleier

Zwischenland
Tamara Boppart

Wie Gott mir Raum schafft
Christina Brudereck

Heimat in 3-D
Michael Diener

Ein widerstandsfähiger Glaube braucht ein gutes Zuhause
Johannes Dyck

Heimat am Rand
Ulrich Eggers

Fremd
Astrid Eichler

Stationen
Klaus Gerth

Gemischte Gefühle und tiefe Prägungen
Uwe Heimowski

Ich wusste (fast) immer, wo ich hingehöre
Reinhard Holmer

Mein Mecklenburg, mein Himmel – geprägt vom Elternhaus
Uwe Holmer

Fremd in der Heimat
Konstantin Mascher

Auf die Heimat kommt es an
Helmut Matthies

Zugehörigkeit erleben und teilen
David Neufeld

Wo ich zu Hause bin
Maria Prean

Abschied nehmen und gewinnen
Eckhard Schaefer

Ein Zaun aus Stiefmütterchen
Manfred Siebald

Drei Kulturen und eine Heimat
Nicola Vollkommer

»Hier riecht’s nach Heimat!«
Jürgen Werth

Von Wurzeln und Flügeln
Marielle Wittwer

Heimat haben, als hätte man sie nicht
Daniel Zindel

ÜBER DEN AUTOR

Ulrich Eggers ist Verleger der SCM Verlagsgruppe, Herausgeber des Magazins AUFATMEN und 1. Vorsitzender von Willow Creek Deutschland.

VORWORT

Nach langen Jahren der Vernachlässigung oder Geringschätzung erlebt der Begriff »Heimat« einen Boom und neue Aufmerksamkeit. Hunderttausende Geflüchtete, deren Not und Verzweiflung so groß waren, dass sie ihre kostbare Heimat verlassen haben, stoßen uns neu auf den Wert dieses Ortes »Heimat«. Und auf all die Themen und Umstände, die daraus folgen, seine Heimat, Sprache und Kultur zu verlassen und entwurzelt zu sein, zwischen den Welten zu leben, sich neu orientieren zu müssen. Wer immer Heimat als sicheren Ort schätzt, der wird mit zupacken und sich engagieren, um Geflüchteten neue Heimat oder sichere Rückkehr zu ermöglichen.

Aber es sind nicht nur die Flüchtlingswellen, die unser Interesse an diesem Thema neu wecken. Es ist auch die Rückseite der unglaublichen Phase der Globalisierung, die uns in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren überschwemmt hat. Wir genießen die enormen Vorteile einer offenen und via Internet schier grenzenlosen Welt, die uns mit globalem Warenverkehr und Reisemöglichkeiten nie da gewesene Chancen bietet. Aber zugleich ist da die wachsende Schattenseite einer Entwurzelung und Verunsicherung im Eigenen: Was ist eigentlich noch Heimat und was macht sie mit uns? Ist Heimat wichtig – und wie finde oder behalte ich sie? Wir können jederzeit in Echtzeit rund um die Welt agieren, kennen Bali besser als Brandenburg – und sind doch in hoher Gefahr, uns in all dieser Offenheit und Vielfalt selbst zu verlieren. Entwurzelt und heimatlos zu werden in der grenzenlos gewordenen Fülle von Angeboten, Orten, Kulturen, Meinungen, Möglichkeiten.

Dabei ist Heimat ja nicht nur Landschaft und Region und ihre Schönheit und Eigenart. Sondern die Gesamtheit unserer Herkunft und Verortung: Kultur, das Verwobensein mit Geschichte, Glaube, Familie, Alltag, Eigenheiten, Prägungen, Sprache. Und was für ein Reichtum ist das! Je älter ich werde, umso mehr – und oft erstmalig richtig – entdecke ich das: die innere Schönheit all dessen, was zu diesem komplexen Begriff »Heimat« gehört, das Gewordensein, die Prägung und Eigenart von Menschen und Dingen. Darin auch einander zu entdecken als Angehörige ganz verschiedener Regionen und Kulturen innerhalb unserer deutschsprachigen Länder samt ihrer vielfältigen Verwobenheiten: Was für ein Reichtum! Dessen man sich überhaupt erst mal als Chance und Besitz bewusst werden muss: Vielfalt und Unterschiedlichkeit ist Schönheit und Ausdruck letztlich der Kreativität unseres Schöpfers! Aber unter Vielfalt, Andersartigkeit und Gegensätzlichem kann man auch leiden. Deswegen ist es so gut, sich mit dem Begriff »Heimat« neu zu befassen, ihn auszuloten und neu zu vermessen. Das beginnt oft damit zu verstehen, dass das Alltägliche und Gegebene in meinem Umfeld immer auch etwas Besonderes ist – ein Besitz, ein Geschenk, ein Segen, eine Gnade. Und dass andere ihr ganz anderes für sich genauso erleben. Und dass daraus miteinander eine Fülle und Schönheit des Lebens entsteht, die uns eine ganz neue Dimension des Staunens, Wahrnehmens und Verstehens bringen kann.

Wer nicht weiß, wie reich und begnadet er ist, der schöpft eine mögliche Tiefe und Weite des Lebens gar nicht aus. Deswegen tut es so gut, sich neu mit diesem Begriff »Heimat« zu befassen – ihn mit dem Herzen zu erfassen, seine funkelnde Vielfalt auch durch die Perspektive und Haltung anderer zu ihm zu erfassen.

Heimat haben. Verwurzelt sein – wie ein alter Baum. Halt haben in einer Heimat, einer Kultur, einem Glauben. Wissen, woher und wohin. Wissen, wie. Zu Hause sein, behaust, geschützt, geborgen. Geworden und geprägt sein durch etwas. Es ist gut, all das aus dem Nebel des Unbewussten herauszuholen und in den Blick zu nehmen. Und es ist gerade heute so wichtig und herzbewegend zu verstehen, was es mit einem macht, wenn man das alles nicht mehr hat, wenn man entwurzelt ist, vertrieben, geflüchtet und innerlich und äußerlich unbehaust und ungeborgen.

Gerade deswegen habe ich für dieses Buch eine große Gruppe völlig unterschiedlicher Menschen eingeladen, ihre Blickwinkel auf den Begriff »Heimat« zu teilen: Männer und Frauen, Heimgekehrte und Einheimische, Grenzüberschreiter und Ortsfeste, Ausgezogene und Pendler zwischen den Welten, Menschen aus Süd, Nord, Ost und West: Was für ein Reichtum an Herkünften allein dort! Mein Wunsch an diese bunte Mischung von Autorinnen und Autoren war, dass sie von ihrer Heimat erzählen, von ihrem Gewordensein und ihrer Beziehung zu diesem Begriff. Lieben sie ihre Heimat – oder wehren sie den Begriff eher ab? Schreiben sie eine Liebeserklärung an ihre Stadt oder Region – oder empfinden sie eher Enge statt Geborgenheit? Fremdeln sie mit dem Begriff oder haben sie ihre Heimat neu entdeckt? Problematisieren sie ihre Haltung dazu oder haben sie eine neue, geläuterte Sicht gefunden? All das, damit wir als Lesende abgleichen und messen können, wie es uns wohl selbst mit unserer Heimat geht – und wo wir vielleicht Nachholbedarf haben oder Entdeckungsterrain finden.

Zugleich war es die Aufgabe meiner Mitschreibenden, den Begriff »Heimat« für sich neu zu durchdenken: Brauchen wir mehr oder weniger Heimatgefühl und regionale Verortung? Gehen Menschen tatsächlich in einer zunehmend globalisierten Welt unter – oder fördert sie gerade eine Neuentdeckung unserer Wurzeln? Und was ist eigentlich mit denen, die keinen Zugang mehr zu ihrer Heimat oder zur Begrifflichkeit finden? Birgt das Reden von Heimat auch eine Gefahr des Rückzugs ins kuschelig Private, dessen Pflege und Aufbau zum eigentlichen Lebensziel wird? Kann man die Heimat lieben und ein Patriot sein, ohne ins Nationalistische und Abgrenzende zu fallen? Und: Welche Einsichten vermittelt an dieser Stelle die jeweilige persönliche Biografie – egal, ob sie heimatverbunden und ortsfest oder wild bewegt vom ständigen Neuaufbruch ist?

Aber auch dies: Ist Heimat überhaupt eine Region, ein Ort – oder eher ein innerer Zustand? Ein Mensch, eine Gruppe, eine Gemeinde? Oder ein Raum, ein Zimmer, ein Sehnsuchtsort? Schließlich: Wie erleben Christen, deren Heimat doch eigentlich im Himmel sein soll, die Spannung zwischen irdischem Eingerichtetsein und himmlischer Zukunft? Und wie sehr zieht uns die Vorstellung, dass unser guter Vater im Himmel dort eine Wohnung für uns bereithält – und als unser Schöpfer ganz offensichtlich viel von der Notwendigkeit von Heimat für uns Menschen weiß?

Wer schon einmal aufmerksam den tief wissenden Blick eines kleinen Babys oder Einjährigen erforscht hat, der weiß: Wir kommen nicht aus dem Nichts – da ist eine Ahnung von himmlischer Heimat verborgen. Und wir gehen nicht ins Nichts – hier ist nur »Heimat auf Zeit«. Aber Heimat ist eine Herzenssehnsucht, eine Notwendigkeit. Verwurzelt sein und offen für Aufbruch. Heimat im Herzen haben, die mit mir geht. Bei der Beschäftigung mit diesem Begriff merke ich: Heimat haben ist viel wichtiger, als mir bisher klar war. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir auch anderen Heimat schaffen – oder Zugang vermitteln zu diesem Begriff und seiner inneren und äußeren Dringlichkeit. Danke an alle Mitautorinnen und -autoren, die uns hier eine Tür in ihre Welt und Heimat öffnen.

Ulrich Eggers

Andrea Adams-Frey

UNTERWEGS NACH HAUSE

Ich sitze gerade unter einem Bambusdach und genieße den wunderschönen Ausblick auf die malerische Bucht einer noch sehr wenig touristischen, ruhigen Insel in der Andamanensee in Thailand. Eine leichte Brise sorgt auch jetzt am Nachmittag für ein angenehmes Klima um die 30 Grad. Zu Hause ist es kalt. Zu Hause friert es. Es ist unter 0 Grad.

Mareike, Susanne und meine Freundin Nadine hüten unseren Hof und die Tiere. So ist es möglich, dass ich gemeinsam mit meinem Mann Albert vier Wochen meinem Fernweh nachgeben kann und hier herumreisen darf.

Und nun schreibe ich in der Fremde über Heimat. Unpassend und passend zugleich, habe ich das Gefühl. Denn sind nicht Fernweh und Heimweh wie zwei Seiten einer Medaille? Für mich war es immer so. Hin und her gerissen zwischen Fernweh und Heimweh trieb ich durch mein Leben, so scheint es mir im Nachhinein.

Mich hat es immer berührt, wenn Menschen offen und ehrlich etwas von sich preisgegeben haben. In Büchern, in Artikeln, im persönlichen Gespräch. Theoretisches Wissen hat mich nie so wirklich interessiert, obwohl das natürlich auch wichtig ist. Ich wollte immer etwas von den Menschen spüren, die mir etwas weitergaben. Deshalb möchte ich auch hier in meinem Beitrag von meiner ganz persönlichen Suche nach Heimat erzählen. So wie ich sie erlebt habe und erlebe. Äußerlich und innerlich. Ich möchte im Schreiben ergründen, was mich gezogen, angetrieben und in Bewegung gebracht hat.

Irgendwann …

Ich bin, wenn ich richtig gerechnet habe, in meinem Leben genau zwanzigmal umgezogen. Viermal davon als Kind mit meinen Eltern und meinen beiden Schwestern. Folglich 16-mal als Erwachsene. Für mich war es nie übermäßig anstrengend oder aufreibend umzuziehen, so wie es für viele andere Menschen wohl ist. Ich habe einfach alles zusammengepackt und bin weitergezogen.

Gut, mittlerweile hat sich einiges angesammelt, das macht es mühsamer! Aber die Zeiträume, die ich an einem Ort sein kann, werden auch immer länger. Seit 2012 leben Albert und ich auf unserem eigenen Hof und haben uns so vor allem meinen Traum erfüllt, dass wir unsere Pferde direkt bei uns am Haus halten können. Schon als 4-jähriges Kleinstadtmädchen habe ich mir immer gewünscht, mit Tieren, vor allem Pferden, auf einem Bauernhof zu leben. Dieser Wunsch war viele Jahre verschüttgegangen und in Vergessenheit geraten. Aber er schlummerte wohl immer still in mir und nährte eine tiefe Sehnsucht. Ist dieser Hof nun aber schon mein Zuhause? Meine Heimat?

Ich liebe Sendungen im Fernsehen, in denen es um Immobilien geht, um »Zuhause-Häuser« oder eben Eigenheime. Albert und ich haben bereits unser drittes Haus gekauft. Natürlich haben wir jeweils das vorige wieder verkauft!

Ich glaube nicht daran, dass man sich bis in alle Ewigkeiten festlegt, wenn man den Schritt wagt, sich ein Eigenheim zu kaufen. Es ist keine bleibende Stadt. Zumindest haben wir es so erlebt.

Ich habe es geliebt, den Hof umzubauen, alles einzurichten und auszusuchen, den Plan für den Stall zu entwerfen, damit sich auch die Pferde so wohl wie möglich fühlen. Klar war es auch anstrengend! Und wie oft waren wir am Beten um richtige Entscheidungen … Aber es war erfüllend für mich.

Mir kam es vor, als würde ich ein Bild malen oder ein Drehbuch für einen neuen Film schreiben, in dem ich dann später irgendwann die Hauptdarstellerin sein sollte. Und genau das war wohl immer mein Problem: später. Irgendwann. Nicht heute, nicht jetzt.

Warum fühle ich mich so hingezogen zu Gebäuden und Einrichtungsgegenständen, Stoffen und Kissen und Kerzen, und warum bin ich so hingerissen von der Schönheit eines Raumes, wenn er heimelig anmutet und mich einlädt zu verweilen? Und warum kann ich das dann oft gar nicht gut: darin verweilen?

Warum schare ich meine Tiere um mich und gerne auch Menschen, die mir nahe sind?

Warum wollte ich unbedingt zurück ins hohenlohische Baden-Württemberg, wo ich Ende der 90er-Jahre eigentlich nur fünf Jahre gelebt hatte? Und wo es auch nichts besonders Spannendes zu erleben gibt?

Wurzeln schlagen und entwurzelt sein

Als Albert und ich 2001 geheiratet haben, bin ich ihm erst einmal gefolgt und mit ihm nach Ravensburg gezogen. Es hat sich auch einfach angeboten. War es doch das, was vordergründig richtig erschien.

Dort war es ja eigentlich auch wunderschön! Nahe am Bodensee gelegen, nahe den Alpen. Mit netten Menschen einer geistlichen Gemeinschaft und Alberts Familie, die mich herzlich aufnahm. Aber ich bin dort innerlich nie richtig angekommen. Fünf Jahre habe ich es versucht.

Heute glaube ich, dass mein Herz nach all der Rumzieherei in meinem Leben bereits woanders Heimat gefunden hatte. Zum ersten Mal. Es hatte Wurzeln geschlagen in einem abgeschiedenen Dorf in Hohenlohe, in einem alten Haus namens »Schlössle«, in einer therapeutischen Einrichtung bei Menschen, die mir das erste Mal in meinem Leben das Gefühl gaben, die Andrea zu sein, die ich wirklich bin. Weil sie daran glaubten, dass Gott mich so gemacht hat und mich genau so wollte!

Ich habe in den fünf Jahren von 1996 bis 2001, in denen ich dort gelebt habe, viel Gutes und Heilendes erlebt – so viel echte Begegnung mit mir selbst, mit Gott, mit Menschen und nicht zuletzt auch mit der Natur, der Landschaft, der fruchtbaren Erde dort –, dass ich verbunden wurde. Ich fand Verbindung. Verbindung mit dem Leben, mit mir und mit Gott. Ich habe das nicht gemacht. Es geschah einfach.

Hat das Gefühl von Beheimatetsein also etwas mit Verbundensein zu tun? Und gibt mir diese Verbundenheit das Gefühl, dorthin zu gehören?

Albert spürte, dass ich in Ravensburg, seiner Heimat, nicht wirklich glücklich war. Nach etwa vier Jahren und nachdem wir viel in das alte Haus seiner Großmutter investiert hatten, um es umzubauen, nahm der Gedanke fortzuziehen immer mehr Raum in uns ein, obwohl es nicht sehr vernünftig erschien. Also überlegten wir, wo ein guter Ort sein könnte, um zusammen neu zu beginnen. Unsere Überlegungen gingen von Cuxhaven bis ins Allgäu, wo wir uns Häuser anschauten. Wir spürten hin, ob an einem dieser Orte eine gemeinsame Heimat entstehen könnte. Aber es zog mich zurück in die Gegend, wo ich das erste Mal in meinem Leben Wurzeln geschlagen hatte.

Tatsächlich fühlte ich mich völlig entwurzelt in der Zeit in Ravensburg. Ich verlor buchstäblich den Boden unter den Füßen, wusste nicht mehr, wer ich bin und wohin ich gehöre. Das wurde zeitweise so schlimm, dass ich nicht mehr alleine einkaufen gehen konnte, weil der Boden unter meinen Füßen schwankte. So verbrachte ich im Jahr 2002 acht Wochen in der Klinik Hohe Mark, um dort innerlich wieder stabil zu werden, was auch gelang.

Wir fingen an, nach Höfen im Hohenloher Land zu suchen. 2006 zogen wir dann tatsächlich dorthin. Wir kauften im Nachbarort der Schlössle-Gemeinschaft ein altes Bauernhaus, bauten auch dort wieder vieles um und das Tonstudio fand seinen Raum oben im Dach. Hier lebten und arbeiteten wir weitere sechs Jahre. Ich spürte innerlich, es ist gut. Auch Albert hatte nun ein ganzes Ja zu diesem Schritt. Ich rechne es ihm bis heute hoch an, dass er für mich seine Heimat verließ und mir diesen Wunsch erfüllte. Und auch er fand einen tieferen Sinn darin, gemeinsam mit mir etwas Neues anzufangen. Denn ging es für mich darum, Wurzeln zu schlagen und zu vertiefen, ging es für ihn doch mehr darum, Altes zu verlassen – »Vater und Mutter zu verlassen« – auch im übertragenen Sinn.

Unsere zwei Pferde, die wir mittlerweile besaßen, stellten wir im Nachbarort in einem Reitstall unter. Und das war noch der Haken an dem Bauernhaus. Wir hatten dort keine Möglichkeit, die Pferde unterzubringen. Ich hatte das eigentlich gehofft, aber es stellte sich heraus, dass wir dort kein Land für eine Weide bekamen.

Noch mal weiterziehen

Ich liebte das alte Haus, das wie im »Auenland« in einem kleinen Weiler, bestehend aus sechs Häusern, stand. Es war schon im 17. Jahrhundert erbaut worden, war schief und krumm, hatte niedrige Decken, bemalte Türen und eine ganz besondere Atmosphäre. Man erzählte uns, dass immer besondere Menschen von diesem Haus angezogen worden waren und es dann besessen hatten. Wir fühlten uns geehrt.

Nach ca. vier Jahren fing ich heimlich wieder an, nach Immobilien zu gucken. Ich trau es mich kaum zu schreiben: Es war einfach immer noch nicht das Richtige. Der Wunsch, die Pferde selber, nach meinen eigenen Vorstellungen zu halten, wurde so groß!

So las ich immer »so ganz nebenbei« die Immobilienanzeigen der Hohenloher Zeitung. Und eines Tages fand ich einen Aussiedlerhof nur 2 km weiter. Ich fuhr dort vorbei. Wollte wissen, wo er lag und wie er auf mich wirkte.

Ich war enttäuscht. Ein hässliches 60er-Jahre-Haus ohne Flair blickte mir kalt entgegen. »Nee, das kann es nicht sein«, dachte ich. Ich verfolgte es noch einige Wochen in der Zeitung. Als es dann aber irgendwann nicht mehr inseriert war, vergaß ich es auch wieder … bis ich es etwa ein Jahr später wieder in der Zeitung fand!

Ich wollte ihm eine zweite Chance geben, rief den Makler an und überredete Albert, es mit mir anzuschauen. Die Lage war eigentlich wunderschön. Alleinlage. Keine direkten Nachbarn. Aber auch nicht mutterseelenallein auf weiter Flur. Ich sah mich schon morgens ohne die Blicke von irgendwelchen Nachbarn im Schlafanzug auf der Terrasse meinen Kaffee trinken … Nur Albert und ich, die Pferde, die Katzen … und Jesus. Für mich eine herrliche Vorstellung!

Eine riesige Scheune barg genügend Platz für die Pferde. Es waren mittlerweile drei eigene und das Pony meiner Freundin. Und für das Haus entwickelte ich augenblicklich Visionen. Ich stellte mir vor, wie wir Wände herausnahmen, um die Räume größer zu machen und es auch äußerlich so zu verändern, dass es an Charme gewann. Albert sprang an auf die Vorstellung, ein Niedrigenergiehaus daraus zu machen. Auch in den höheren Decken entdeckte er einen Pluspunkt.

Es war schon etwas verrückt, ich weiß. Wir legten es Gott hin. Wir fragten lange. Wir hatten auch einige Hindernisse zu überwinden mit Formalitäten der Ämter und der Verkäuferpartei, die aus einer uneinigen Erbengemeinschaft bestand. Und der Verkauf unseres geliebten Bauernhauses erwies sich als ebenfalls nicht so einfach. Aber letztlich bekamen wir den Hof. Und das Bauernhaus bekam eine gläubige Familie, die dort Menschen aufnehmen wollte, die Ruhe suchen oder Hilfe brauchen. Und so blieb es dem Reich Gottes erhalten, was uns sehr gefreut und bestärkt hat. Heute sind es Freunde geworden.

Wir bauten vier Monate alles um. Den Stall und das Haus. Im September 2012 zogen wir ein. Puh.

Heimat finden

Nun konnte ich zur Ruhe kommen. Da sein. Doch kann ich das heute wirklich? Jedenfalls gibt es nichts »Besseres« mehr zu finden. Oder doch?

Ich weiß, dass ich mich hier weiter und endgültig diesem Punkt stellen werde, der mich auch in unguter Weise nicht ankommen lässt in meinem Leben. Etwas, das mich trieb – bisher. Ich bin fest entschlossen hierzubleiben.

Wenn ich zurückdenke an die Rastlosigkeit meiner jungen Jahre, im Außen suchend und nicht nach Hause findend, macht mich das einerseits traurig. Ich hätte mir so vieles ersparen können, wenn ich gewusst hätte, wo ich hingehöre. Anderseits wurde durch diese Not meine tiefe Sehnsucht nach Heimat so groß, dass sie mich letztlich auch »nach Hause« brachte.

Mein Zuhause bei meinen Eltern war kein Ort der Sicherheit und des Angenommenseins. Äußerlich schon. Aber nicht wirklich, nicht für meine Seele. Es ähnelte eher einem Kampfschauplatz, auf dem ich irgendwie meinen Platz behaupten musste. Es galt, auf der Hut zu sein.

Dennoch zog es mich in einer Art Abhängigkeit viele Jahre immer wieder genau dorthin zurück. Es war ja dennoch mein Zuhause. Und es gab auch viel Gutes, wofür ich jetzt im Nachhinein dankbar bin. Ich wurde relativ antiautoritär erzogen, was mir Freiheit gab. Aber ich fühlte mich auch immer irgendwie orientierungslos.

Ich hatte als Kind mal einen Traum, in dem ich zurück nach Hause kommen wollte. Wir wohnten zu dieser Zeit in einem Hochhaus. Ich konnte es in meinem Traum sehen. Aber ich fand den Weg einfach nicht mehr. Ich irrte umher und kam einfach nicht dorthin – ich kam nicht nach Hause. Das war so schlimm für mich, dass ich mich noch heute gut daran erinnere. Es trifft wohl recht gut mein Lebensgefühl, mit dem ich viele Jahre gelebt habe.

Als Jesus mich fand (oder ich ihn) – ich war damals 28 Jahre alt –, wurde das anders. Ich hatte zu dem Zeitpunkt eine Drogen- und Alkoholkarriere hinter mir. Eine ungesunde Beziehung löste die nächste ab, ich konnte nicht bei mir zu Hause sein. Ich brauchte immer irgendetwas oder -jemanden, um ein wenig zur Ruhe zu kommen. Um das Leben irgendwie auszuhalten.

Durch den Glauben kamen Werte, wahre Liebe, Orientierung, Vergebung, Wahrheit und Menschen, die es gut mit mir meinten, in mein Leben. Ich ging einen langen Weg der Wiederherstellung.

Ich fand Heimat in dem dreieinigen Gott. Weil er in seiner unendlichen Liebe und Güte für mich und die ganze Schöpfung der Grund wurde unter meinen Füßen, der mich trägt, egal, wo ich stehe oder gehe. Ich bin nicht mehr alleine. Dessen bin ich mir gewiss.

Mich gibt es gar nicht ohne ihn. Ich gehöre fest zu ihm und er zu mir. Das wird mir gerade jetzt beim Schreiben ganz klar. Weil ich in über zwanzig Jahren, auf vielen Berg- und Talfahrten, lernen durfte, ihm mehr und mehr zu vertrauen und mich ihm mit allem zu überlassen.

Ich weiß heute, dass er bei mir – in mir ist –, ob ich nun in meinem Alltag zu Hause am Werkeln bin oder ob ich das Glück in der Fremde suche. Er ist da. Ich bin nicht mehr allein.

Ich fand einen verwachsenen, steinigen Weg zur Heimat in mir selbst, auf dem ich bis heute Schritt für Schritt weitergehe und Neues entdecke. Weil ich die Verbindung zu mir wiederfand. Weil ich heute viel besser weiß, wer ich bin. Weil ich die kleine Andrea fand, die mich anblickte, traurig, wütend, scheu, ängstlich, zaghaft und auch lachend, schreiend, tanzend, hüpfend, reitend und liebend. Weil ich mich ihr zuwendete und begann, ihr zuzuhören.

Ich fand Heimat bei Menschen, mit denen ich meine schmerzlichsten Momente teilen durfte, die meine Schattenseiten und meine Unsicherheiten sahen und mich dennoch mochten.

Ich fand Heimat in einer fruchtbaren Gegend mit lieblicher Natur, mit Bachläufen und Tälern und unzähligen Obstplantagen, die mir ans Herz gewachsen sind.

Ich fand sie auch bei meinen Pferden, die so feinfühlig und ehrlich sind. Die mir spiegeln, wie ich gerade bin. Die mich herausfordern und beschenken. Und denen auch ich ein Zuhause geben kann.

Und ich fand Heimat bei meinem Mann Albert, der mich so kennt wie kein anderer und erstaunlicherweise wirklich liebt und mit mir zusammen durch dieses Leben geht, um immer noch tiefer zu verstehen, was Gott uns schenken möchte und wer er ist und wer wir sind.

Die Haustür zur inneren Heimat

Ein wichtiger Schlüssel für die Haustür zur inneren Heimat ist mir das Verweilen im »Jetzt«, in der Gegenwart, im Augenblick geworden. Für mich als jemand, der eher von der Fliehkraft bestimmt wird, eine wichtige Lektion. Hier auf unserer thailändischen Insel darf ich das wieder in besonderem Maße erleben. Einfach da sein. Ohne etwas zu wollen, zu müssen, zu verändern, zu bringen. Nicht mal beten müssen, nicht mal beten wollen müssen, denn es betet sowieso in mir.

Das scheint mir eine unsagbar wertvolle und wichtige Übung zu sein in dieser Zeit der Überfülle, der Informationsflut, des Leistungsdenkens und der Turbulenzen. Am Ende bleibt und zählt nur das Jetzt – und das ist jetzt. Dahin zieht es mich. Das möchte ich noch viel mehr lernen und erleben.

Denn nur wenn ich ganz anwesend bin in der Gegenwart und zugleich in meinem Herzen, erlebe ich die tiefe Begegnung mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Und in diesem Moment spüre ich friedvoll: Ich bin heimgekommen.

So bin ich mir heute gewiss, dass ich hier in diesem Leben, auf dieser Erde, für eine gewisse Zeit zu Hause bin. Weil ich mit den Menschen und Tieren, der Schöpfung und dem Schöpfer von alledem verbunden bin. Weil ich liebe und geliebt werde.

Aber ganz tief in mir spüre ich wehmütig die große Sehnsucht nach der ewigen Heimat. Sie lockt und ruft mich immer wieder weg von den Hütten, die ich bauen möchte. Hinein in ein lebendiges Treiben hinauf zu den ewigen Jagdgründen und der unendlichen Liebe.

Nach Hause …

Es lockt ein leises Rufen mich

Kaum dringt es an mein Ohr

Es wartet nicht, es wartet nicht

Es steigt aus meinem Innersten empor

Ich kenne dich, du sanfter Ruf

Du bahnst dir einen Weg

Du kommst von ihm, der mich erschuf

Ich spüre, wie sich Sehnsucht in mir regt

Du rufst mich nach Hause, nach Hause

Du reichst mir Brot und Wein

Nicht gestern, nicht morgen

Du bist jetzt und ich will bei dir sein

Es labt sich meine Seele dort

Wird satt und friedevoll

Ich lausche still auf jedes Wort

Es schweige, was ich sonst noch kann und soll

Ich komme nach Hause, nach Hause

Du reichst mir Brot und Wein

Nicht gestern, nicht morgen

Du bist jetzt und ich will bei dir sein

Nach Hause, wo der Friede auf mich wartet

Nach Hause, wo die Liebe mich erfüllt

Nach Hause, wo die Freude mein Herz springen lässt

Denn du bist hier, du bist hier, du bist hier

Ich komme nach Hause, nach Hause

Du reichst mir Brot und Wein

Nicht gestern, nicht morgen

Du bist jetzt und ich will bei dir sein

T&M: Andrea Adams-Frey
(aus dem Album »Komm zur Quelle«)

Andrea Adams-Frey (geboren 1966) ist Sängerin und Songwriterin. Sie ist verheiratet und lebt zusammen mit ihrem Mann, vier Pferden und drei Katzen im hohenlohischen Forchtenberg. Sie ist pfingstlich-freikirchlich geprägt und evangelisch und Teil einer kleinen elfköpfigen Gemeinschaft aus ehemaligen Teen-Challenge-Mitarbeitern und Gästen.

Eva-Maria Admiral

WIESO ICH HIER KEINE HEIMAT FINDE

Als Schauspielerin und Referentin bin ich beruflich viel unterwegs – fühle mich in Australien so viel oder so wenig »zu Hause« wie in Österreich oder auch Deutschland. Man ist nicht da daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern da, wo man verstanden wird. Ich liebe es, länger fernab von Europa zu arbeiten. Das fühlt sich oft wie eine zweite Geburt an – in der ich mich selber neu zur Welt bringe.

Was Heimat wirklich bedeutet, erfahre ich bei einem dramatischen Erlebnis auf der Intensivstation in Salzburg. Ein Erlebnis, das mein Leben für immer verändern wird.

Auftritt in Basel, Schweiz. Basel ist die letzte Station auf dieser 14-tägigen Tour. Ich spiele »Oskar und die Dame in Rosa« von E.-E. Schmidt, basierend auf einem fantastischen Roman – herausfordernd, sehr nah an meiner persönlichen Geschichte. Es erzählt den Verlauf einer Krebskrankheit bei einem Kind. Das Buch ist voller Humor, mit Tiefgang und Spiritualität geschrieben. Als ich es zum ersten Mal lese, begeistert es mich so sehr, dass ich daraus einen Theaterabend mache.

Seit Monaten spiele ich das Stück immer wieder in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Auch auf Kinderkrebsstationen, in Krankenhäusern, Schulen, Kultureinrichtungen – überall, wo Tod kein Tabu bleiben muss. Diesmal im Kulturhaus Basel. Ich kratze meine letzte Energie zusammen. »Letzte Station Basel, das schaffe ich noch. Und dann ab nach Hause«, denke ich.

Wie immer, wenn mir etwas am Herzen liegt, gebe ich mehr als 100 Prozent auf der Bühne (übrigens zumeist auch im Leben). Danach bekomme ich Standing Ovations. Die Veranstalterin bedankt sich bei mir in der Garderobe: »Wenn ich Ihnen noch einen Tipp für die Zukunft geben darf: Sie geben zu viel. Sie verausgaben sich. Sie sollten Grenzen ziehen, besser auf sich achten, für sich sorgen. Sie geben ja nicht nur Ihre Arbeit, sondern gleich alles. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen, der Beruf könnte Sie kaputtmachen.«

Nach der letzten Vorstellung großer Applaus – ja, man fühlt sich gesehen, wahrgenommen, gehört. Aber es geht an meine Substanz. Hinter der Bühne bin ich nur noch erschöpft. Nach fünf Darmverschlüssen, fünf Darmoperationen ist für mich schon seit 15 Jahren keine Nahrungsaufnahme ohne Schmerzen möglich. Nun ist der Darm so stark aufgebläht, dass man glauben könnte, ich sei im neunten Monat.

Unterwegs nach Hause

Nach der Vorstellung fahre ich die über 500 km zurück »nach Hause«. Ich fühle mich sehr krank und schwach. Das ist soweit nichts Besonderes: Ich bin fast immer nach einer Tour krank. Ich denke mir daher auch diesmal nichts Schlimmes. Zu Hause angekommen, kann ich mich jedoch kaum noch bewegen. Ich ringe mich durch, die praktische Ärztin aufzusuchen. Sie schickt mich mit der Diagnose »schwere Grippe« wieder heim. Dort angekommen, kann ich das rechte Bein und den Kopf nicht mehr bewegen. Es fühlt sich an, als ob ich 40 Grad Fieber hätte.

Meine Assistentin Nelly sieht, dass ich die linke Körperseite nicht mehr bewegen kann und am linken Auge kaum noch sehe. Sie besteht darauf, mich ins Krankenhaus nach Salzburg zu bringen.

Eigentlich hatte ich beschlossen, mich ins Bett zu legen und die nächsten 24 Stunden zu schlafen. Ich möchte nirgendwo mehr hinfahren. Ich möchte nur noch schlafen, schlafen. Es fällt mir schwer, bei Bewusstsein zu bleiben.

Nelly bringt mich gegen meinen Willen ins Krankenhaus. Als wir dort ankommen, kann ich nicht mehr stehen und nicht mehr sprechen. Mit aller Kraft versuche ich, meinen Mund zu öffnen, aber es gelingt mir nicht mehr, auch nur ein Wort zu artikulieren – es kommen nur noch einzelne Laute aus meinem Mund. Hier ergreift mich das erste Mal Panik.

Irgendetwas Schreckliches passiert in meinem Gehirn – als ob es aufgrund des hohen Fiebers anschwillt oder gelähmt wird. Ich verstehe die Fragen noch. Aber als mich die Ambulanzschwester fragt, wie ich heiße, folgt der nächste große Schock: Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nicht mehr, wie ich heiße, wo ich wohne, wo ich bin.

Angestrengt versuche ich mich an meinen Vor- oder Nachnamen zu erinnern – nichts. Ich versuche herauszufinden, aus welcher Stadt, aus welchem Land ich komme – nichts. Ich weiß nichts mehr. Ich weiß nur, dass ich schwer krank bin.

Endlich folgen die ersten Untersuchungen, mein Zustand verschlimmert sich rapide. Ich habe das Gefühl, ich befinde mich in einem Delirium. Jede Minute, die ich ohne Bett, ohne Zudecke verbringen muss, kommt mir wie eine endlose Qual vor. Ich möchte nur noch schlafen, schlafen, schlafen.

Endlich – es kommt mir vor wie eine endlose Untersuchungsodysee – die Diagnose: lebensgefährliche Meningoenzephalitis. Davon bekomme ich natürlich nichts mehr mit – ich bin schon fast weg. Ich weiß nicht, dass ich mich auf der Intensivstation befinde. Ich spüre nichts mehr. Es ist, als ob ich in einen ewigen Schlaf hinübergeglitten wäre. Das Gehirn hämmert noch wie ein überhitzter Kessel in seinen letzten Zügen, kurz bevor alle Sicherungen durchbrennen. Ein letzter Schmerz, ein letzter Versuch. Ich kann nicht mehr. Mein Kopf kann nicht mehr. Aus.

Es ist, als ob mein Gehirn verglüht. Danach fühle ich mich wie in Watte gepackt. Ich sehe mich aus meinem Körper gehen. Ich sehe meinen geschundenen Leib von oben – Schläuche, Maschinen, Geräusche. Dann sehe ich meine Hülle von oben. Ich sehe Schwestern und Ärzte hektisch herumlaufen.

Endlich angekommen

Ich habe es geschafft – ich bin frei, frei von meinem körperlichen Schmerzgefängnis. Da liegt die kleine Hülle, leichenblass, sehr klein. Ich steige sehr schnell gen Himmel. Ich kann mich nicht erinnern, ob da ein Tunnel war oder nicht. Das Erlebnis im Himmel war so einprägsam, dass ich alles andere nicht mehr so genau beschreiben oder nachvollziehen kann.

Ich komme oben an. Das erste Mal seit vielen, vielen Jahren ist mein Körper völlig schmerzfrei. Dazu muss man wissen: Vor etwa dreißig Jahren hatte ich meine erste große Darmoperation. Befund: Verwachsungen im Darm aufgrund der Erlebnisse als Baby. Meine Mutter hatte mich gefüttert, bis der Darm platzte.

Ein knappes Jahr später die nächste Operation. Die neuerlichen Schnitte hatten zu neuen Verwachsungen geführt. Es entwickelte sich ein Teufelskreis: Mein Körper reagiert auf Schnitte mit Verwachsungen. Diese muss man operieren. Je öfter man operiert, desto mehr Verwachsungen entstehen …. Laut Ärzten ist dieser Kreislauf nicht zu durchbrechen, ohne Aussicht auf Heilung. Mit dieser Diagnose und ständigen Schmerzen lebe ich nun schon seit Jahrzehnten. Eine große Herausforderung.

Doch nun: Ich fühle mich so, als ob ich in einer Sekunde vollständig geheilt bin. Da ist keinerlei Schmerz mehr, mein Körper fühlt sich unendlich gut an. Nicht nur schmerzfrei, sondern richtig gut, heil und ganz. Im warmen Licht stehe ich da. Es ist, als ob ich endlich zu Hause angekommen bin.

Zu Hause – ich weiß, wir haben das schon unzählige Male gehört. Wir Christen sagen doch immer, dass wir hier auf Erden keine Heimat haben, sondern im Himmel. Aber was bedeutet das wirklich für uns auf dieser Erde?

Es ist ein unbeschreibliches Glücksgefühl: Ich bin endlich zu Hause. Das war es, wo ich die ganze Zeit hinwollte! Hier ist meine Heimat. Wieso habe ich das vorher nicht gewusst? Wie konnte ich so naiv sein zu glauben, dass ich auf der Erde eine Heimat finden würde? Ich muss über meine Irrwege schmunzeln. Ich bin endlich angekommen. Alle inneren und äußeren Kämpfe sind für immer beendet.

Ich fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben ganz sicher und geborgen. Ich fühle mich zu Hause wie noch nie in meinem Leben. Endlich bin ich in meiner Heimat. Hier habe ich uneingeschränktes Bürgerrecht. Das war es, wonach ich mein ganzes Leben gesucht habe! Das war es, wonach ich mich so schmerzlich gesehnt habe! Im Kopf war mir das natürlich »theologisch« schon vorher klar. Aber jetzt wird es ganz real, erfahrbar, spürbar.

Danach geht »die Türe« auf – nein, es ist mehr, als ob ein Schleier weggezogen würde. Ein Hauch. Ich sehe ganz viele Menschen, die sich unendlich freuen, dass ich da bin. Es ist ein Willkommen wie noch nie in meinem Leben. Noch nie hab ich mich so angenommen gefühlt.

Ich höre wie jemand (Gott? Jesus?) sagt: »Endlich bist du da! Wir warten schon so lange!«

Theologisch weiß ich natürlich, dass Gott nicht warten muss. Aber das waren genau die Worte, die mich so berührt haben. Ich weiß, es ist mehr als absurd, aber stellen Sie sich das einmal vor, dass Gott zu Ihnen sagt: »Endlich bist du da! Wir warten schon so lange!«

Das ist das genaue Gegenteil von meinen Kindheitserfahrungen. Endlich bin ich in meiner Heimat. Endlich bin ich da, wo ich mehr als willkommen bin.

Ich spüre ein helles Licht, ein unendliches Lieben wie noch nie in meinem Leben. Ich kann es nicht beschreiben, deshalb spreche ich so selten darüber. Jedes Wort ist zu schal, glanzlos und matt, um diese Liebe zu beschreiben. Aber man kann es manchmal in meinen Augen sehen, wenn ich daran denke.

Die Last, die dabei von mir abfällt, ist unbeschreiblich. Vor allem all die Lasten, die ich mir selbst aufgeladen habe! Das Joch des »braven, perfekten Christen«, all die Gesetze, die ich mir selbst auferlegt habe – sie verschwinden in einer Sekunde. Mein Perfektionismus, mein innerer Kritiker, mein endloses ewiges Schuldgefühl – meine eigenen Lasten verschwinden.

So ist es, wenn die eigenen Werke vergehen – es ist eine Befreiung, keine Bestrafung, keine Beschämung! Nur ein Gefühl von Liebe, Liebe, Liebe, bedingungsloser Liebe, für die ich keinen Ausdruck, keine Beschreibung finde. Alle Worte klingen hohl, leer, billig, verbraucht im Vergleich zu dieser Liebe. Ich spüre sie bis ins Innerste meiner letzten Faser meines Seins. Ich kann es nicht in Worte fassen.

Gott fragt mich, ob ich zurück möchte. Nein, ich möchte nicht wieder zurück. Ich bin endlich zu Hause. Endlich weiß ich, wo meine Heimat ist – wo ich hingehöre und ich willkommen bin! Unendlich willkommen! Es ist viel mehr als ein Lächeln auf dem Gesicht Gottes.