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EVELYN STEINTHALER

MAG’S IM HIMMEL SEIN,
MAG’S BEIM TEUFEL SEIN

STARS UND DIE LIEBE
UNTER DEM HAKENKREUZ

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INHALT

LIEBE IN ZEITEN DES TERRORS

»DEIN SCHICKSAL IST AUCH MEINS«

Kultur und Politik in der NS-Zeit

»NEIN, DARAN HAB ICH NIEMALS GEZWEIFELT«

Lotte Lenya und Kurt Weill

»DU WEISST, WIR SIND GLÜCKLICH«

Meta Wolff und Joachim Gottschalk

»BRICHT MIR AUCH HEUT’ DAS HERZ ENTZWEI«

Hansi Burg und Hans Albers

»UND WENN DIE GANZE WELT ZUSAMMENFÄLLT«

Maria Bernheim, Hertha Feiler und Heinz Rühmann

WAS IST AUS UNS GEWORDEN?

DANKSAGUNG

QUELLENVERZEICHNIS

PERSONENREGISTER

Und dort sehen wir jene kommen

Denen er ihre Weiber genommen

Jetzt werden sie arisch gepaart.

Da hilft kein Fluchen und Klagen

Sie sind aus der Art geschlagen

Er schlägt sie zurück in die Art.

Bertolt Brecht,

Furcht und Elend des Dritten Reichs

LIEBE IN ZEITEN DES TERRORS

Bruno Balz schrieb den Text für den Schlager »Kann denn Liebe Sünde sein?«, den Zarah Leander 1938 im Film Der Blaufuchs sang. Balz wusste, wie so viele andere in Deutschland ab 1933, nur zu gut um die Sünde, zu der die Liebe in der NS-Zeit geworden war. Selbst bekennend schwul, wurde er in den Jahren des NS-Terrors wiederholt wegen seiner Homosexualität verhaftet. Beim zweiten Mal retteten die Ufa und der Komponist Michael Jary den Texter aus der Haft, da Jary den Behörden eindrücklich erklärte, dass er ohne Balz nicht weiter an dem Zarah Leander-Film Die große Liebe arbeiten könne.

Mit der Auflage innerhalb von 24 Stunden die Texte zu schreiben, wurde Balz aus der Haft entlassen. In diesen Stunden entstanden Texte für die Leander-Lieder »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen« und »Davon geht die Welt nicht unter«.1 Weiß man von den Umständen, unter denen Balz diese Texte schrieb, lassen sie sich nicht alleine auf die Geschicke NS-Deutschlands und die im Film erzählten Geschichten, sondern auch auf Balz’ Schicksal bezogen lesen.

Nazideutschland verlangte gesetzlich nichts außer der Liebe zwischen Mann und Frau, und diese nur zwischen Angehörigen »deutschen Blutes« und »artverwandten Blutgemeinschaften«.2 Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden wurden auf Grundlage der »Nürnberger Gesetze« mit dem Vorwurf der »Rassenschande« ab 1935 gesetzlich verfolgt. Liebesbeziehungen, die von den Nationalsozialisten in ihrem Wahn als »undeutsch« und »rassezersetzend« verstanden wurden, standen im Fokus ihrer rassistischen Politik.

Wie drang diese Ideologie aber so rasch und unerbittlich in die Liebesbeziehungen ein, und was geschah 1933, im Jahr der nationalsozialistischen »Machtergreifung«, mit der Liebe, als Bücher verbrannten und ein Riss durch die deutsche Gesellschaft ging? Und fünf Jahre später, 1938, was geschah in Österreich, als der braune Terror nicht schleichend durch die Hintertür, sondern durch das blumengeschmückte Tor einzog?

Bereits ab 1933 versuchte der deutsche Staat Einfluss auf die Partnerwahl seiner BürgerInnen zu nehmen, spätestens aber mit den sogenannten »Nürnberger Gesetzen« von 1935 waren Liebesbeziehungen zwischen Juden und Nichtjuden verboten.

Begriffe wie »Mischehe« und »Rassenschande« gehörten bald zum gängigen Sprachgebrauch in Deutschland. Die romantische Liebe, die erst im 18. Jahrhundert im Westen annähernd ihre heutige Bedeutung errungen hatte, rückte auf einmal ins Zentrum des Staatsinteresses und sollte vor allem dem Aufbau einer rassisch einwandfreien »Volksgemeinschaft« dienen. Was aber geschah, wenn man sich in Deutschland nach der »Machtergreifung« 1933 in den oder die »Falsche/n« verliebte, wenn man schon längst mit jemandem in einer Liebesbeziehung lebte, der nun zu den vom Staate Geächteten gehörte?

Versuchte der nationalsozialistische Staat, Beziehungen, die auf romantischer Liebe basierten, durch ideologisch genehme Partnerschaften zu ersetzen, und dienten diese tatsächlich nur mehr der Fortpflanzung zum Wohle des Staates?

Veränderten sich Beziehungen, die nicht mehr der gesellschaftlichen Norm entsprachen und unter dem Damoklesschwert der politisch geforderten Trennung weitergelebt wurden?

Welchen Einfluss hatte eine vom Staat getragene Dämonisierung auf die Bevölkerungsgruppe des Partners oder der Partnerin? Und wie lange hielt unter dem politischen Druck der Schwur der unauflöslichen Verbindung, den man sich bei der Vermählung gegeben hatte?

Welchen Schikanen waren Liebespaare in Nazideutschland ausgesetzt, die interkonfessionell, oder, wie es in der NS-Diktion hieß, »gemischtrassig« verheiratet oder liiert waren und im Rampenlicht standen?

Wie hielten es jene, die die Bevölkerung in Propagandafilmen des NS-Regimes unterhielten, vom Kriegsalltag ablenkten, gleichzeitig aber um ihre Liebe kämpften oder diese um der Karriere willen aufgaben?

Mit der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten standen auch die privaten Verbindungen der Stars nicht mehr nur im Fokus der deutschen Klatschpresse. Die neue politische Situation stellte die Möglichkeiten von Liebesbeziehungen zur Diskussion. Mit einem Mal ergab sich die Frage inwieweit es für die Karriere opportun war, in einer Partnerschaft zu verbleiben, die von den neuen Machthabern verfemt wurde. Denn wer wen liebte war mit einem Mal nicht mehr privat. Die Liebe wurde bespitzelt und denunziert.

Ob Juden und Nichtjuden in Lebensgemeinschaften lebten oder miteinander verheiratet waren, war für die braunen Machthaber von großem Interesse, entsprach es doch nicht der von ihnen entworfenen Gesellschaft, wenn Angehörige der »deutschen Volksgemeinschaft« Lebensgemeinschaften mit Juden unterhielten. Bei bloßem Interesse blieb es allerdings nicht: Auf Menschen, die gemäß den »Nürnberger Gesetzen« in sogenannten »Mischehen« lebten, wurde massiv Druck ausgeübt, und nur bedingt konnten interkonfessionelle Ehen für den jüdischen Teil notwendigen Schutz vor Verfolgung bieten.

Ehe für alle?

Seit der reichsweiten Einführung der Zivilehe im Jahr 1875 war es Deutschen unterschiedlichen Glaubens möglich zu heiraten. Man musste Dank der Zivilehe nicht mehr eine gemeinsame Konfession wählen, um den Bund fürs Leben überhaupt schließen zu können.

Unter den Habsburgern war es in der Donaumonarchie aufgrund der Maigesetze bereits ab 1868 möglich, die sogenannte »Notzivilehe« einzugehen, die BürgerInnen des Vielvölkerstaates eine Eheschließung unabhängig von Konfessionen ermöglichte. Damit war ein wichtiger und notwendiger Schritt für konfessionelle Gleichberechtigung innerhalb der jeweiligen Gesellschaft gesetzt. Gerade das jahrhundertelange Bestreben der jüdischen Emanzipation, die den Weg der Juden in Fragen der Religionsausübung, des Rechts und der sozialen Gleichstellung von der diskriminierten Minderheit zu einem anerkannten Teil der christlichdominierten Gesellschaft ebnen sollte, wurde im 19. Jahrhundert mit dem politischen Antisemitismus konfrontiert.

1897 fand in Basel der erste Zionistenkongress unter der Leitung Theodor Herzls statt, bei dem erstmals die Forderung nach einer »Heimstätte für Juden« formuliert wurde.3 Darin sah man Ende des 19. Jahrhunderts vor allem die notwendige Möglichkeit, einen sicheren Ort für verfolgte und unterdrückte Juden zu finden, schließlich waren die Pogrome gegen Juden in Osteuropa kein Geheimnis. So stand für die am Zionistenkongress in Basel teilnehmenden Juden und Jüdinnen fest, dass man sich gegen die Übergriffe organisieren musste. Die zionistische Bewegung erhielt, wenig verwunderlich, als Reaktion auf den stärker werdenden Antisemitismus breiten Zuspruch.

Mit seinem 1879 veröffentlichten Pamphlet Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum prägte der politisch linksstehende Journalist Wilhelm Marr den Begriff des modernen Antisemitismus. Damit wurde dem religiös motivierten Hass auf Juden eine politisch rassistische Feindschaft gegenüber allem Jüdischen zur Seite gestellt.4 Die jedoch, wie Theodor Herzl unterstrich, klar von einander unterschieden werden mussten.5 Der aus Magdeburg stammende Marr gründete ohne nennenswerten Erfolg die »Antisemiten-Liga« und gab deren Zeitschrift Die neue deutsche Wacht heraus. Zeitlich parallel kam es zum sogenannten »Berliner Antisemitismusstreit« zwischen dem jüdischen Historiker Heinrich Graetz und seinem antisemitischen Widerpart, Heinrich von Treitschke.

Zur Diskussion stand die Position der Juden innerhalb der deutschen Kultur. 1882 folgte in Dresden, wo die Stimmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits deutlich völkisch geprägt war, der erste »Internationale Antijüdische Kongress organisierter Antisemiten«.6

Die rasante Entwicklung der massiven antijüdischen Politik war aber nicht auf Deutschland alleine beschränkt: Frankreich wurde in den 1890er-Jahren von der »Affäre Dreyfus«, der Verurteilung des jüdischen Offiziers Alfred Dreyfus wegen vermeintlicher Spionage für Deutschland und dem Freispruch des eigentlich schuldigen Majors Ferdinand Walsin-Esterházy, erschüttert.

Émile Zola, der sich für Dreyfus einsetzte und dessen öffentlicher Brief J’accuse …! über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt wurde, musste das Land verlassen, da ihm mit einer Haftstrafe gedroht wurde.

In Wien wurde Karl Lueger, der eine deutlich antisemitisch geprägte konservative Politik verfolgte, 1897 Bürgermeister der kaiserlichen Metropole, und der antisemitische Agitator Georg von Schönerer, der Hitler ideologisch beeinflussen sollte, kehrte nach einer Haft im gleichen Jahr ins österreichische Parlament zurück.7 Fortan ergänzten sich der moderne rassistische Antisemitismus und der althergebrachte religiöse Judenhass. Daher sahen trotz der gesetzlichen Fortschritte im 19. Jahrhundert viele Juden die christliche Taufe als notwendiges und einzig adäquates Mittel, um tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft anzukommen und den üblichen antisemitischen Repressionen zu entgehen, unabhängig von der Möglichkeit der interkonfessionellen Ehe.

Gegen das Gemeinsame

In Hitlers Deutschland, und damit ab 1938 in der für knapp sieben Jahre existierenden »Ostmark«, sprach man nicht mehr von interkonfessionellen Ehen, sondern von »Mischehen«. Vor dem Gesetz galten ChristInnen mit jüdischen PartnerInnen als »jüdisch versippt«.

Das sogenannte »Gesetz zum Schutz deutschen Blutes und der deutschen Ehre« wurde im Rahmen des Nürnberger Parteitages am 13. September 1935 von Hitler befohlen, innerhalb kürzester Zeit geschaffen8 und trat am 15. September 1935 in Kraft, womit der nationalsozialistische Staat unter anderem Einfluss auf bestehende Ehen zwischen Juden und Nichtjuden nahm und weitere interkonfessionelle Eheschließungen verbot.9

Bereits im September 1933 erstellten die beiden Juristen Hanns Kerrl, als preußischer Justizminister für die Säuberung der Justiz verantwortlich, und Roland Freisler,10 später berüchtigter Präsident des Volksgerichtshofes, eine Denkschrift, die implizierte, dass Ehen und sexuelle Beziehungen ohne Trauschein zwischen »Deutschblütigen« und »Angehörigen fremder Blutsgemeinschaften« als »Verbrechen gegen die Rassenehre« verstanden werden sollten.11

Die Verfolgung jüdischer StaatsbürgerInnen begann also nicht erst mit dem Erlass der »Nürnberger Gesetze«, zu denen übrigens Konrad Adenauers späterer Staatssekretär im Bonner Kanzleramt, Hans Globke, in seiner Funktion als Referent für Staatsangehörigkeitsfragen im Reichsinnenministerium bis 1945 tätig, 1936 einen von vier maßgeblichen Kommentaren verfasste.12

Bereits zwei Jahre vor der Schaffung des rechtlichen Rahmens für die Verfolgung jüdischer MitbürgerInnen wurden Juden und Jüdinnen mit der »Machtergreifung« 1933 zu BürgerInnen zweiter Klasse. Sie verloren ihre Arbeit und durften nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen. Weiter zu arbeiten wie bisher war für »Volljuden« unmöglich. Auch gab es schon 1933 »Halbjuden«, die trotz Fürsprache einflussreicher Personen keinerlei Möglichkeit hatten, weiter in Deutschland tätig zu sein, gerade auch im künstlerischen Bereich.

Der Sänger Richard Tauber, in Linz katholisch getauft, Sohn einer christlichen Mutter und eines getauften jüdischen Vaters, damit den »Nürnberger Gesetzen« entsprechend ein »Mischling ersten Grades«, wurde am 8. März 1933 von der Bühne des Berliner Admiralspalastes gebuht und am gleichen Abend noch von SA-Schergen am Kurfürstendamm niedergeschlagen. Selbst Anbiederungsversuche des Bühnenstars und die Fürsprache des Stardirigenten und Vizepräsidenten der Reichsmusikkammer, Wilhelm Furtwängler, waren erfolglos. Tauber, der »König von Berlin« musste in die Emigration. Die Nationalsozialisten hatten den Tenor schon Ende der 1920er-Jahre auf ihre schwarze Liste gesetzt, von der es kein Entkommen gab.

Trotz der offensichtlichen Willkür, mit der das Regime agierte, waren viele KünstlerInnen davon überzeugt, sich mit der neuen Politik arrangieren oder sich auf die Position des unpolitischen Kunstschaffenden zurückziehen zu können.

Der Schauspieler Bernhard Minetti, der nach 1945 ähnlich Gustaf Gründgens als Sympathisant des NS-Regimes kritisiert wurde, sprach sich auch noch im hohen Alter für das unpolitische Wesen der Kunst aus und entschuldigte damit natürlich nicht nur sein eigenes Handeln in der NS-Zeit, sondern auch das seiner zahlreichen KollegInnen, die sich künstlerisch vor deren Propaganda-Karren spannen ließen und damit alles andere als unpolitisch waren.13

Dass man dadurch das System gestützt hatte, schien nur wenigen KünstlerInnen nach dem Kriegsende verständlich. Der Schauspieler Will Quadflieg, der sich neben seinen Theaterengagements in der NS-Zeit in ein »unpolitisches« Privatleben zurückgezogen hatte, wurde nach 1945 nicht müde, sich selbst als NS-Mitläufer zu bezeichnen und eine Mitschuld und Verantwortung für sich in Anspruch zu nehmen. Er gehörte damit zu einer Minderheit unter den Kunstschaffenden.14

»Es wird schon nicht so schlimm werden«

Wer mochte 1933 nach den vielen Regierungen der Weimarer Republik damit rechnen, dass sich dieses Regime so lange halten würde? Wer konnte dessen Gräueltaten erahnen?

Hoffnungen gab man sich 1938 in Österreich immer noch hin, obwohl schon fünf lange Jahre lang beobachtet werden konnte, was in Deutschland vor sich ging. Vor allem in Wien war es bereits möglich, Erfahrungsberichte von nach Österreich geflüchteten Deutschen zu hören. Die Hoffnung auf eine doch nicht ganz so dunkle Zeit im »Altreich« und in der »Ostmark« teilten vor allem interkonfessionelle Paare, wohl auch, da sie glaubten, ihre Beziehung würde dem jüdischen Teil der Verbindung etwas notwendigen Schutz bieten können. Warnenden Stimmen wurde nur selten Glauben geschenkt.

Bald jedoch sollten Menschen in interkonfessionellen Ehen erkennen, dass lediglich Ehen von »arischen« Männern und jüdischen Frauen privilegiert waren.

»Ehen von jüdischen Männern mit ›Arierinnen‹ waren nicht privilegiert – außer es waren Kinder vorhanden, die getauft waren. Als ›nichtprivilegierte Mischehe‹ wurden kinderlose Ehen mit jüdischen Ehemännern und ›arischen‹ Ehefrauen verstanden, Gemischt-konfessionelle Ehen mit Kindern, die der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten, galten allerdings als nicht privilegiert, egal ob der Mann oder die Frau jüdisch waren. Also auch bei ›Mischehen‹ mit ›arischem‹ Haushaltsvorstand, die ansonsten als privilegiert galten.«, so die Historikerin Michaela Raggam-Blesch, und sie führt weiter aus:

»Gelegentlich beruhte die religiöse Zugehörigkeit von Kindern interkonfessioneller Ehen auf Zufall und folgte einer Praxis, die nach dem Prinzip der 1868 erlassenen ›Maigesetze zur Regelung der interkonfessionellen Verhältnisse von Staatsbürgern‹ ausgerichtet war. War ein Kind weiblich, wurde es dem Religionsbekenntnis der Mutter zugeordnet, war es männlich, dem des Vaters. Dieser ›Zufall‹ hatte jedoch für das weitere Schicksal dieser Familien in der NS-Zeit entscheidende Auswirkungen, da nur Kinder, die nicht der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten, einen Schutz für den jüdischen Teil der Eltern bieten konnten. Diese wurden damit als Angehörige privilegierter ›Mischehen‹ von der Pflicht enthoben, den ›Judenstern‹ zu tragen.«

»Wenn die privilegierten ›Mischehen‹ auch bis zu einem gewissen Grad Schutz versprachen, so war auch auf diese Menschen der politische Druck nicht zu unterschätzen. Im Laufe des Krieges wurden die Lebensumstände für Menschen in diesen Ehen, die es nach der Vorstellung der Nationalsozialisten gar nicht geben durfte, ebenso wenig wie die Kinder aus diesen Ehen, immer prekärer.«, so Raggam-Blesch weiter. Die spätere Schriftstellerin Ilse Aichinger galt als »Mischling« und konnte dadurch bis zu ihrer Volljährigkeit im November 1942 ihre jüdische Mutter Berta Aichinger schützen.15

»Diese Menschen waren im NS-Staat nicht vorgesehen und bereiteten der braunen Elite durchwegs Kopfzerbrechen. Nicht umsonst gab es nach der Wannseekonferenz noch weitere Konferenzen, um für die sogenannten ›Mischehen‹ eine Lösung zu finden.«16 Die Existenz der aus diesen Ehen entstammenden »Mischlinge«, so das Ziel des Regimes, sollte mit den Gesetzen unmöglich werden, erklärt Michaela Raggam-Blesch.17

Menschen, die aus einem jüdisch-nichtjüdischen Elternhaus kamen, erinnerten die Nationalsozialisten durch ihre Existenz an das von ihnen erfundene Vergehen der »Rassenschande«, das sogenannte »deutsche Blut« war durchmischt und eine weitere Infiltration durch »Mischlinge« oder »Halb- und Vierteljuden« widersprach allem, was sich die Nationalsozialisten ausgedacht hatten.

Diese waren eifrig damit beschäftigt, neue Termini in den Sprachgebrauch einzuführen, um die Unterschiede und Abgrenzungen zwischen »Volksgemeinschaft«, politischen GegnerInnen und Juden aufzuzeigen und damit einen Keil in die Gesellschaft zu treiben. Viele dieser Begriffe haben sich über die Jahre des »Dritten Reiches« hinaus in der deutschen Sprache erhalten, wie etwa die NS-Klassifizierungen von »Halbjuden« oder »Vierteljuden«.

Die Nationalsozialisten waren durchaus einfallsreich. So definierten sie die »Rassezugehörigkeit« durch Religionszugehörigkeiten und verwendeten dabei Begriffe wie »arisch« und »semitisch«, die auf sprachlich-ethnische Definierungen zurückgehen, aber keineswegs etwas mit »Rasse« zu tun haben.18

So wurde etwa zwischen »Halb- bzw. Vierteljuden« und »Mischlingen ersten Grades bzw. zweiten Grades« entsprechend der Religionsausübung unterschieden. Wer in eine der jüdischen Kultusgemeinden eingetragen war, galt als »Voll-, Halb-, Vierteljude«. War man Kind interkonfessioneller Eltern, ohne einer jüdischen Glaubensgemeinschaft anzugehören, galt man dem NS-Rassenklassifizierungswahn entsprechend als »Mischling«.

»Rassenschande« als Propagandamittel

Die andauernde Beschäftigung der NS-Führung mit dem Thema »Mischehen« und den daraus entstehenden »Mischlingen« spiegelte sich nicht nur in mehreren Konferenzen zum Thema »Die Endlösung der Judenfrage« im Jänner, März und Oktober 194219 sondern auch im Umgang des Systems mit jenen KünstlerInnen, die sich in diesen vom Staat strikt unerwünschte Partnerschaften befanden und Kinder aus diesen Verbindungen großzogen.

Dieser Teil der KünstlerInnen-Elite ignorierte mit der Existenz ihrer unerwünschten privaten Beziehungen die Norm des NS-Staates, widersprach völlig sichtbar für ganz Deutschland der von der NS-Propaganda geschürten »Rassenschande«, die sich auf antijüdische Zuschreibungen wie grenzenlose sexuelle Gier und manipulierende Einflussnahme durch Sex von Juden gegenüber »Ariern« aufgebaut hatte.

NS-Propagandafilme wie Veit Harlans berüchtigter Jud Süß aus dem Jahr 1940 thematisierten auf perfideste Art das Thema »Rassenschande« und beeinflussten mit der Darstellung antisemitischer Vorurteile auf zersetzende Weise die Einstellung der deutschen Mehrheitsbevölkerung gegenüber ihren jüdischen MitbürgerInnen. Sechs Jahre zuvor war unter der Regie des nach England emigrierten Berliners Lothar Mendes die Jud Süß-Verfilmung in die Kinos außerhalb Deutschlands gekommen, die sich an die Romanvorlage Lion Feuchtwangers hielt und im Gegensatz zu Harlans Film aufzeigte, wie die Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer ohne jeglichen Antisemitismus verfilmt werden konnte. In der britischen Verfilmung übernahm der ebenfalls emigrierte Conrad Veidt die Titelrolle.

Dass Harlans Film hingegen alle antijüdischen Vorurteile und im Besonderen die rassistisch-sexuellen perfekt bediente, zeigte auch die Zufriedenheit Goebbels’, der in Harlans Jud Süß einen genialen Wurf sah. Der Propagandaminister bezeichnete ihn als »einen Film, wie wir ihn uns nur wünschen können«,20 der zu einer nachhaltig verordneten Überdosis an staatlichem Antisemitismus werden sollte.

Goebbels organisierte Filmvorführungen für die SS, alle Wachmannschaften und die Polizei Deutschlands und sorgte so mit Hilfe eines Erlasses des Reichsführers-SS Heinrich Himmler dafür, dass das Machwerk in den folgenden drei Jahren von über 20 Millionen Deutschen gesehen werden sollte,21 weit mehr als jeder andere NS-Propagandafilm.22

Begannen Menschen nichtjüdischen Glaubens in Hitlers Deutschland eine Liebesbeziehung mit Jüdinnen oder Juden ohne Trauschein und wurden deshalb denunziert, geschah es nicht selten, dass sie sich in ihren Ortschaften oder Wohnbezirken mit Tafeln um den Hals wiederfanden, auf denen ihr Vergehen gut sichtbar aufgeschrieben stand und, begleitet von der SA, bloßgestellt wurden.

Gerade bei unverheirateten Paaren war nicht nur die Gefahr für den jüdischen wie für den »arischen« Teil gegeben, unter dem Gespött der Leute an den Pranger gestellt zu werden, sondern auch Zuchthausstrafen wie schweren Kerker auszufassen, in KZs deportiert oder nach kurzen Prozessen hingerichtet zu werden. Auch in »Mischehen« verheiratete Nichtjüdinnen wurden wegen ihrer Liebesbeziehungen in Arbeitserziehungslager inhaftiert.23

Um Menschen derlei zu verleumden, mussten sexuelle Beziehungen tatsächlich gar nicht bestehen. Es genügte völlig, dass man jemandem einfach nur übel mitspielen wollte. Durch die »Nürnberger Gesetze« nahmen derartige Denunziationen deutlich zu, wobei etwa 30 bis 40 Prozent der Anschuldigungen grundlos waren, wie am Beispiel Würzburgs belegt werden kann.24

Erwähnt wird hier stellvertretend für die Verfolgung all jener, die sich der »Rassenschande« schuldig gemacht hatten, der Nürnberger Geschäftsmann Lehmann Katzenberger, ein einflussreiches Mitglied der jüdischen Gemeinde seiner Heimatstadt. Katzenberger wurde nach einem Schauprozess wegen der angeblichen Beziehung zu einer nichtjüdischen jungen Frau 1942 in München hingerichtet.25 Der Prozess erlangte weit über München hinaus Bekanntheit.

Katzenbergers Schicksal wurde 1961 in Stanley Kramers Film Das Urteil von Nürnberg von dessen vermeintlicher Geliebten, gespielt von Judy Garland, nacherzählt.

Der auf juristischer Grundlage institutionalisierte Antisemitismus verbot mit dem sogenannten »Blutschutzgesetz« Liebesbeziehungen zwischen Juden und Nichtjuden und stellte diese unter Strafe.

Die daraus resultierenden Probleme für die vor diesem Gesetz als sogenannte »gemischtrassige Ehen« bezeichneten Partnerschaften, brachten nicht nur die Frauen der Berliner Rosenstraße, die um das Leben ihrer jüdischen Ehemänner kämpften, in lebensbedrohliche Schwierigkeiten, sondern wurden für viele tausende Paare in Nazideutschland und im besetzten Europa zu den zentral bestimmenden: Abertausende »gemischtrassige« Liebesbeziehungen litten unter den unmenschlichen Gesetzen und der Willkür des Regimes.

Dieses Buch spiegelt diese Einschränkungen und Bedrohungen und erzählt dabei von Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden, die KünstlerInnen waren und von deren Konfrontation mit den menschenverachtenden, rassischen Vorgaben des NS-Regimes.

Die hier erzählten Liebesgeschichten stehen exemplarisch für die dunkelste Zeit unserer Geschichte. Mit den Berichten über die Beziehungen von Hans Albers und Hansi Burg, Joachim Gottschalk und Meta Wolff, Lotte Lenya und Kurt Weill und auch von Maria Bernheim, Heinz Rühmann und Hertha Feiler werden unmissverständliche Bilder dieser Zeit heraufbeschworen.

Bilder von jenen, die sich, weil das Leben in Nazideutschland nicht zu ertragen war, von ihren »deutschblütigen« PartnerInnen trennten. Bilder von jenen, die gemeinsam in die Emigration gingen, weil für sie von Beginn an klar war, dass sie in dem politisch so grundlegend veränderten Deutschland nicht leben und arbeiten konnten. Bilder von jenen, die blieben und darauf hofften, es würde nicht so schlimm werden und daran zerbrachen. Und nicht zuletzt Bilder von jenen, die ihrer eigenen Karriere willen das NS-Regime durch ihre Arbeit unterstützten.

Warum werden genau diese Paare in den Mittelpunkt gestellt? Neben ihrer über den Tod hinaus anhaltenden Bekanntheit bilden sie alle typische »gemischtrassige« Beziehungen ab und gehören dabei zur kollektiven Erinnerung der deutschen und österreichischen Gesellschaft.

Auch für Joachim Gottschalk und Meta Wolff, stehen sie doch für jene Menschen, die bewusst vergessen wurden, da sie unbequem das Scheitern des Privaten an der Politik aufzeigten und als beständige Erinnerung an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte nicht taugten.

Mit den hier versammelten Liebesgeschichten prominenter Menschen wird vom höchst willkürlichen Einfluss der Politik auf das Private erzählt, von Egomanie der Herrschenden, von der Bedeutung der Kunst für totalitäre Regime, von Grenzen der Zuneigung durch politisch beeinflusste Karriereplanung, von Kunst im Dienste der Propaganda, von Anpassung, Karrierismus und deren Konsequenzen, von Opportunismus und Opferbereitschaft, von persönlichen Handlungsspielräumen, die trotz allem auch in Diktaturen vorhanden sind, von Solidarität und von selbstverständlicher Liebe, die bereit ist, geografische Entfernungen und zeitliche Distanzen zu überdauern.

Sie berichten von einer Gesellschaft, die sich auf Basis einer Sündenbockpolitik aufbaute, die die Welt ins Chaos des Zweiten Weltkrieges stürzte und letztlich untergehen musste.

Gleichzeitig wird auch der Frage nachgegangen: Welche Stars haben das NS-System enthusiastisch zum eigenen Vorteil mitgetragen? Wer verließ Deutschland aus politischen Gründen? Und wer von den berühmten Ufa-Stars der »Zeit ohne Gnade«, wie sie der österreichische Journalist Rudolf Kalmar nannte, der selbst 1938 mit dem »Prominententransport« am 1. April 1938 ins KZ Dachau deportiert worden war, widerstand dem System trotz aller Maßregelungen und großangelegten Verführungen und arbeitete dagegen – oder wurde von ihm zerstört?

»DEIN SCHICKSAL IST AUCH MEINS«26

Kultur und Politik in der NS-Zeit

Marlene Dietrich, Elisabeth Bergner und Carola Neher gehörten zu jenen Künstlerinnen, die früh verstanden hatten, dass in einem nationalsozialistischen Deutschland keine künstlerisch vielfältige Arbeit mehr möglich war. Dietrich, die Anfang der 1930er-Jahre nach ihrem Welterfolg Der blaue Engel mit dem Regisseur Josef von Sternberg nach Hollywood ging, war nicht gewillt, nach Deutschland zurückzukehren, um lukrative Angebote des Propagandaministers Joseph Goebbels anzunehmen.

Sie entschied sich für Hollywood, wo sie bald emigrierte Filmschaffende aus Deutschland und später auch aus Österreich wiedertreffen sollte und Filmgeschichte schrieb. Nach Deutschland kam die Tochter eines preußischen Polizeileutnants erst als Mitglied der US-Army 1945 zurück. Dass Dietrich die klar antifaschistische Positionierung von vielen Deutschen lange Zeit übelgenommen wurde, ist hinlänglich bekannt.27

Für Bergner war bereits bald klar, dass für sie, den überlebensgroßen Theaterstar Berlins, schon alleine wegen ihrer jüdischen Herkunft eine künstlerische Zukunft im Land ihrer Erfolge ausgeschlossen war. Sie emigrierte gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Regisseur und Autor Paul Czinner, bereits 1933 nach London, wo Bergner eine Fortsetzung ihrer Bühnenkarriere gelang. Auch wenn sie nach 1945 wieder in Deutschland und Österreich arbeitete, sie blieb in London. Für Bergner, wie für viele andere EmigrantInnen wäre es wichtig gewesen, dass die Länder, die sie vertrieben hatten, eine Einladung zur Rückkehr aussprachen. Dazu kam es bei Bergner aber erst in den 1980er-Jahren durch den damaligen österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky. Für die Schauspielerin kam die Einladung zu spät: Sie war bereits schwer erkrankt und starb wenig später. Klaus Mann setzte ihr in seinem Roman Mephisto mit der Figur der Dora Martin ein literarisches Denkmal.28

Carola Neher gehörte zu den großen Schauspielpersönlichkeiten der Weimarer Republik und war über ihr künstlerisches Schaffen hinaus eine Ikone ihrer Zeit. In der G.W. Pabst-Verfilmung der Dreigroschenoper spielte sie die Polly Peachum und war nicht nur wegen ihrer Zusammenarbeit mit Brecht ein Begriff. Ihre Ehe mit dem Lyriker Klabund füllte die Gesellschaftsseiten der Presse. Nach dem frühen Tod des Lyrikers im Jahr 1928 heiratete die hochtalentierte Schauspielerin, die als »schönste Frau der Weimarer Republik« bezeichnet wurde, in zweiter Ehe den rumänischen Kommunisten Anatol Becker.

Carola Neher sah ihre künstlerische Zukunft im Gegensatz zu ihren Kolleginnen nicht im Westen, sondern emigrierte 1934 mit Becker in die Sowjetunion, nachdem sie im Jahr zuvor einen öffentlichen Aufruf der KPD gegen Hitler unterzeichnet hatte. Noch im November des gleichen Jahres wurde Neher und Becker die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Bei den großen Säuberungen Stalins von 1936 wurde das Paar wie auch Zenzl Mühsam, die Witwe Erich Mühsams, nach einer Denunziation durch Gustav von Wangenheim verhaftet.29 Nehers Sohn Georg wurde in ein Kinderheim gesteckt und Becker als Trotzkist hingerichtet. Die Schauspielerin selbst wurde wegen »konterrevolutionärer trotzkistischer Tätigkeit« zu zehn Jahren Haft verurteilt.30 Brecht, der sich für Neher hätte verwenden können, tauschte sich lediglich mit Lion Feuchtwanger über mögliche Hilfe für die Schauspielerin aus. Angebliche Briefe von Brecht nach Moskau oder tatsächliche Versuche von Hilfeleistungen sind nicht belegt.31

Carola Neher starb am 26. Juni 1942 in einem stalinistischen Gulag im russischen Sol-Ilezk.

Einschnitte im Kulturbereich ab 1933

Bergner, Neher und Dietrich wussten also, welche Gefahren das nationalsozialistische Regime mit sich brachte, für sie gab es zu einer Ablehnung Nazideutschlands keinerlei Alternative.

»Von uns hat kein Mensch geglaubt, dass sich das halten würde. Ich glaube, das war die Meinung der überwiegenden Deutschen, die nicht politisch engagiert waren.«32