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Die Autorinnen

Regine Heiland

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Diplom-Psychologin und Gestalttherapeutin. Leitet als eine von drei geschäftsführenden GesellschafterInnen »elbdialog«, eine Beratungsfirma für Coaching, Training und Teamentwicklung (www.elbdialog.com). Seit 1991 Mitglied in dem von Prof. Schulz von Thun gegründeten Arbeitskreis »Kommunikation und Klärungshilfe«. In diesem Kontext als Dozentin am Schulz von Thun-Institut tätig. Leitung von Kommunikationstrainings für ÄrztInnen und andere MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen. Coacht Führungskräfte im Wirtschaftsbereich und ÄrztInnen in Leitungspositionen. Die praktischen Erfahrungen, das theoretische Wissen, die hilfreichen psychologischen Modelle und vor allem praktisch Bewährtes sind in diesem Buch zusammengeflossen – in der Hoffnung, damit ÄrztInnen zu unterstützen, die sich für die Wirkung ihrer Worte sensibilisieren und ihre kommunikative Kompetenz für alle Beteiligten gewinnbringend stärken wollen.

Kerstin Duken

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Texterin und Autorin in Hamburg. Als Co-Autorin strukturelle und redaktionelle Mitarbeit an dem vorliegenden Buch. Während des Entstehens des Buches in Begleitung von Regine Heiland bei Seminaren tätig. Erlebte aufgrund einer schweren Erkrankung aus der Patientenperspektive, was es ausmacht, wenn die Arzt-Patienten-Kommunikation stimmt – oder eben nicht. In Ergänzung zum Buch ist Kerstin Duken Initiatorin der Website www.arzt-patienten-kommunikation.de, die dabei helfen soll, das Verständnis füreinander auf beiden Seiten zu verstärken und der Thematik eine größere Verbreitung zu ermöglichen.

Regine Heiland

Weil Worte wirken

Wie Arzt-Patienten-Kommunikation gelingt

Theorie – Praxis – Übungen Unter Mitarbeit von Kerstin Duken

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Alle Abbildungen des Buchs von Regine Heiland angefertigt.

Print:

ISBN 978-3-17-033459-5

E-Book-Formate:

pdf:     ISBN 978-3-17-033460-1

epub:  ISBN 978-3-17-033461-8

mobi:  ISBN 978-3-17-033462-5

Inhalt

 

 

 

  1. Unter Mitarbeit von
  2. Vorwort
  3. 1 Grundlegendes – Instrumente und Akteure
  4. 1.1 Das Kommunikationsquadrat
  5. Übungen
  6. 1.2 Das Innere Team
  7. Übungen
  8. 1.3 Das Riemann-Thomann-Modell
  9. 1.4 Teufelskreise
  10. 2 Akteure
  11. 2.1 Selbstverständnis des Arztes
  12. Übung – Selbstreflexion
  13. Noch mehr Übungen!
  14. 2.2 Die Situation des Patienten
  15. Übungen
  16. 3 Das Gespräch
  17. 3.1 Der Gesprächsrahmen
  18. 3.2 Eine gute Gesprächsstruktur
  19. 3.3 Gesprächstechniken: Aktives Zuhören
  20. Übungen
  21. 3.4 Aktives Zuhören des Arztes und messbare Effekte: Schweizer Studie
  22. Prof. Dr. Andreas Gutzeit
  23. 3.5 Gesprächstechniken: Motivierende Gesprächsführung
  24. Dr. Georg Kremer und Dr. Christa-Maria Sibum-Kremer
  25. 3.6 Gesprächstechniken: Metakommunikation
  26. Beispiele zum Üben
  27. 3.7 Gesprächstechniken: Informationen verständlich vermitteln
  28. Übungen
  29. 4 Shared Decision Making (SDM) – Partizipative Entscheidungsfindung (PEF)
  30. Übungen
  31. 5 Compliance – Adhärenz
  32. Übungen
  33. 6 Besondere Situationen und Konstellationen: Kontaktgestaltung unter Zeitdruck
  34. 7 Das Überbringen schlechter Nachrichten: Bad News
  35. 8 Vom Umgang mit Gefühlen
  36. Übungen
  37. 9 Das Wort als Instrument
  38. 9.1 Worte und Schmerz
  39. Übungen
  40. 9.2 Worte und Medikamentenwirkung
  41. Übungen
  42. 9.3 Was macht die Metapher in der Medizin?
  43. Kerstin Duken
  44. Übungen
  45. 10 Das Ansprechen verdeckter Themen bzw. Tabus
  46. Übung/Reflexion
  47. 11 Gespräche mit…
  48. 11.1 Gespräche mit »schwierigen« Patienten
  49. Übungen
  50. 11.2 Gespräche mit Angehörigen – die Chance zur Win-win-Situation
  51. Ursula Thaden
  52. Übungen
  53. 11.3 Gespräche mit sterbenden Patienten
  54. Dr. Elisabeth Lübbers-Klare
  55. 11.4 Gespräche mit alten Patienten
  56. Dr. Elisabeth Lübbers-Klare
  57. 12 Wie bleibt der Arzt gesund?
  58. Übung
  59. 13 Sätze, die weiterbringen
  60. Und Sätze, die nicht weiterbringen
  61. 14 Fälle zum Üben
  62. 14.1 Der penible Patient
  63. 14.2 Der aufgebrachte Patient (Aktives Zuhören und Inneres Team)
  64. 14.3 Die Patientin mit Nikotinabhängigkeit
  65. 14.4 Die fürsorgliche Patientin
  66. Danksagung
  67. Literatur
  68. Register

Unter Mitarbeit von

 

 

 

Andreas Gutzeit, Prof. Dr. med.

Facharzt für Radiologie

Zentrum für klinische Forschung

Institut für Radiologie und Nuklearmedizin Klinik St. Anna, Luzern (Schweiz)

Georg Kremer, Dr. PH

Psychologischer Psychotherapeut

Therapeutische Leitung der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bethel im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld

Elisabeth Lübbers-Klare, Dr. med.

Fachärztin für Innere Medizin, Akupunktur

Facharztausbildung Innere Medizin, AK Barmbek, Hamburg, Kardiologie

St. Georges Hospital, London (Großbritannien)

Gemeinschaftspraxis für Innere Medizin, Hamburg

Christa-Maria Sibum-Kremer, Dr. med.

Fachärztin für Innere Medizin

Gemeinschaftspraxis für Innere Medizin, Bielefeld

Ursula Thaden

Fachärztin für Innere Medizin

Facharztausbildung zur Internistin im Vinzenz Palotti Hospital in Bensberg

Gemeinschaftspraxis in Köln

Vorwort

 

 

 

Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Tennisspieler, der niemals den Aufschlag trainiert, Wimbledon gewinnt? Oder auch nur die Vereinsmeisterschaften des TSV Lesum? Man kann es sich ausrechnen.

Kommunikation ist der Aufschlag des Arztes1. Mindestens. Ein paar nüchterne Zahlen machen deutlich, welchen Raum sie im medizinischen Alltag einnimmt:

60–80% seiner täglichen Arbeitszeit verbringt der Arzt im Dialog mit seinen Patienten. Insgesamt sind es im Laufe eines Berufslebens bis zu 200.000 Gespräche. In Deutschland leben zurzeit rund 82 Millionen Menschen, und jeder einzelne ist über kurz oder lang Patient bei einem Arzt – und damit Gesprächsgegenüber.

An dieser Stelle sollte man denken: Dann sind Ärzte ja wohl wahre Kommunikationsprofis, sie praktizieren das doch täglich! Und abgesehen davon: Kommunizieren kann doch jeder einigermaßen vernunftbegabte Mensch!

Ja und nein.

Wir können reden. Aber wir werden deswegen noch lange nicht verstanden. Wir können zuhören. Aber müssen deswegen noch lange nicht verstehen, was der andere uns sagen will. Und: Ein Gespräch mit dem Obsthändler – »Was kostet 1 Kilo Äpfel?«, »Heute nur 1,90!« – ist etwas völlig anderes, als einem verängstigten Patienten eine sein Leben verändernde Diagnose mitzuteilen. Abgesehen davon, dass man es mit mental immer wieder anders gestrickten Persönlichkeiten zu tun hat.

Dass gelungene Kommunikation im medizinischen Alltag eben nichts Selbstverständliches ist, zeigen wieder die Zahlen:

In einer Studie über Anfangsrituale im Konsultationsgespräch wurde festgehalten: Gerade knapp jedem vierten Patienten (23%) wurde Zeit gegeben, die Eröffnungsfragen des Arztes auch zu beantworten. Über zwei Drittel (69%) wurden vom Arzt nach 15 Sekunden unterbrochen (Bucka-Lassen 2005). Ließe man den Patienten übrigens ausreden, würde das im Schnitt nur 64 Sekunden dauern, das zeigt eine Doktorarbeit an der Berliner Charité. Und dann hätte er alles gesagt und könnte sich ganz aufs Zuhören und die daraus resultierende Unterhaltung konzentrieren.

Ärzte überschätzen die Zeit, die sie in ein Gespräch investieren, um das 9-fache. Und in zwei Drittel der Fälle unterschätzen sie das Informationsbedürfnis des Patienten. Ihres Patienten. 50% der Ratsuchenden haben hinterher nicht das Gefühl, der Arzt hätte ihr Anliegen ernstgenommen oder gar nur begriffen. Lediglich 22% aller Patienten haben bei der Entlassung aus dem Krankenhaus exakte Kenntnisse über die Therapie, stolze 70% beurteilen die Medikamente oder deren therapeutische Wirkung falsch (Luban-Plozza et al. 2002). In 54% aller fehlerhaften Behandlungen (von vernachlässig- bis strafbar) waren Kommunikationsprobleme beteiligt.

Man kann diese Statistik der kommunikativen Defizite noch lange weiterführen. Doch schon jetzt wird wohl deutlich: Kommunikation ist ein Herzstück der ärztlichen Kunst. Lebenswichtig, verletzlich, entscheidend. Man kann sich nicht einfach darauf verlassen, dass das Gesagte schon irgendwie ankommt und funktioniert. Genauso, wie man sich fachlich immer wieder bemüht, besser zu werden, von neuen Erkenntnissen zu profitieren oder schlichtweg »am Ball zu bleiben«, so ist es angeraten, das auch bei seinen kommunikativen Fertigkeiten zu tun.

Wer Menschen helfen will, muss reden. Und zuhören. So gut wie möglich.

Und darum ist man ja Arzt und nicht Schuster oder Kfz-Schrauber geworden: Man will Menschen helfen, nicht Dinge reparieren.

In der Ausbildung wird erst seit kurzem verstärkt Wert auf die kommunikativen Fähigkeiten des künftigen Arztes gelegt. Gemessen wurden die Mediziner bis dato nicht an ihrem Geschick im Umgang mit den Patienten, sondern ganz primär am Fachwissen. Die Verbesserung der kommunikativen Kompetenz ist keine Frage von Alter oder Berufserfahrung. Und für keinen ist sie im Vorbeigehen zu machen. Aber es lohnt sich. Missverständnisse, die zu Falschbehandlungen führen, werden vermieden – und damit unnötige Therapieschleifen, die Geld und Zeit, Ihre Zeit, kosten. Die Compliance wird signifikant erhöht (noch eine Zahl: 33% aller Ärzte regen sich am meisten in ihrem Beruf über die Non-Compliance der Patienten auf. Optimierung der Kommunikation wäre da ein naheliegender Ansatzpunkt!). Und nicht nur der Erfolg, sondern auch die Freude am Beruf hängt direkt damit zusammen; dazu gibt es ebenfalls diverse Studien. Gute Kommunikation schafft Vertrauen. Und Vertrauen ist der Schlüssel zu allem, was für einen Arzt – und seinen Patienten – wichtig ist.

In diesem Buch haben wir Ihnen nicht etwa ein Potpourri an Floskeln, mit denen man sich durch den medizinischen Alltag schlagen kann, zusammengestellt. Das funktioniert nämlich nicht. Wir stellen Ihnen vielmehr psychologisch fundierte Kommunikationsmodelle vor, die nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch anwendbar sind. Die nicht nur sprachliche Munition liefern, sondern eine neue Fertigkeit vermitteln, Gesprächssituationen flexibel bzw. individuell zu begegnen (die Varianten des Aufschlags sozusagen…). Wir gehen auf besondere Patienten genauso ein wie auf spezifische Situationen. Wir haben einen kleinen Arztkoffer an Techniken und Tipps zusammengestellt, was man vor, während und nach einem Gespräch gut machen kann. Alles verdeutlicht durch Beispiele aus dem Alltag. Es empfiehlt sich übrigens, das Buch wirklich Kapitel für Kapitel zu lesen, da sonst z. B. Bezüge nicht ganz klar sein könnten oder schlicht Informationen fehlen.

Im Laufe unserer Recherche für dieses Buch haben wir viel gelesen – und viel gesprochen. Mit Ärzten, Pflegepersonal, Wissenschaftlern und natürlich Patienten. Zu Beginn war uns gar nicht klar, wie drängend dieses Thema ist. Jetzt hoffen wir, etwas zusammengestellt zu haben, das Ärzten hilft, ihre »Kernkompetenz Kommunikation« weiter auszubauen. Und da etwas zu lesen leider noch nicht bedeutet, es auch zu beherrschen, gibt es zu fast jedem Kapitel Übungen.

Prinzipiell gilt nämlich ganz klar: Gute Kommunikation kann man lernen. Wenn man es will. Was am Anfang ungewohnt ist, wird bald selbstverständlich. Mehr noch, es wird zu einer neuen Haltung. Und die kommt allen zugute.

Hamburg, im Mai 2018

Regine Heiland

Weitere Informationen zum Thema Arzt-Patienten-Kommunikation finden Sie auf unserer Internetseite: www.arzt-patienten-kommunikation.de

1     Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der Regel die maskuline Form verwendet. Gemeint und angesprochen sind selbstverständlich gleichermaßen Personen männlichen und weiblichen Geschlechts. Wir danken für Ihr Verständnis.

1          Grundlegendes – Instrumente und Akteure

 

 

 

Wir kennen die Skepsis, die gemeinhin Modellen, insbesondere psychologischen Modellen entgegengebracht wird. Nämlich das Gefühl: »Ich kann doch nicht erst zwei Minuten überlegen, wie ich laut Modell jetzt am besten ›ganz spontan‹ reagieren soll! Das ist etwas fürs Papier, aber doch nichts fürs Leben.« Am Anfang verhält es sich ganz sicher so. Modelle muss man einüben, verinnerlichen. Das liegt in der Natur der ausgefeilten Theorie, die eben nichts Automatisches ist. Es gilt: Es einmal riskieren und ausprobieren, trainieren und sehen, wie man immer sicherer wird. Irgendwann sitzt man in einem Gespräch und wendet automatisch die Technik an, mit der man am effektivsten zum Ziel kommt.

Bis dieses Stadium des Automatismus erreicht ist, kann man mit Modellen auf jeden Fall schon sehr gut nachträglich arbeiten. Man sollte es sogar! Also zum Beispiel: Warum ist das Gespräch so gelaufen, wie es gelaufen ist? Habe ich etwas übersehen? Was für ein Typ Mensch war das jetzt eigentlich? Habe ich vielleicht etwas überhört? Irgendwann schiebt sich dieses Nach-Denken dann nach vorne. Und passt genau in die Situation – bereit, um sofort angewendet zu werden.

Nach den Modellen, die wir Ihnen vorstellen wollen, um Sie mit bestem kommunikationspsychologischen Handwerkszeug auszustatten, widmen wir unser Augenmerk den Akteuren, um die es geht. Genauer gesagt: dem Arzt in seinem Selbstverständnis und dem Patienten in seiner Situation, wenn er zum Arzt kommt. So wie sich das Bild des Arztes in der Gesellschaft gewandelt hat, so ist auch der Patient von heute nur noch bedingt mit dem zu vergleichen, der vor fünfzig Jahren zum »Herrn Doktor« ging. Was allerdings geblieben ist: der eine leidet, der andere kann (wahrscheinlich) helfen. Der eine hat Fachwissen und -sprache, der andere will nicht dumm dastehen, sondern heile davonkommen. Beide aber haben die Möglichkeit, sich auf unterschiedlichste Weise zu verhalten und zu kommunizieren. In diesem Kapitel können Sie nicht nur ein klareres Bild davon gewinnen, wie Sie auf den Patienten wirken, sondern schärfen vielleicht auch Ihren Blick dafür, warum sich Patienten manchmal so »seltsam« verhalten, wie sie es unbestreitbar tun. Es sind zudem genau diese Perspektivwechsel, die einen in gedanklicher, emotionaler und eben auch kommunikativer Hinsicht aus den zwar gut eingefahrenen, aber auf die Dauer doch ein wenig eindimensionalen Gleisen ausbrechen lassen. (»Ich könnte mich als Arzt ja auch so wie in dem Beispiel verhalten, wie das wohl wäre?« oder »Mein Gott, wie muss das wohl sein, wenn einem jemand erklärt, dass man sein Leben radikal ändern muss, aber dabei nur jedes vierte Wort der Begründung und des ›Wie‹ versteht!«)

Das Wissen, um wen es geht, zusammen mit dem Wissen, wie es geht, also das Verstehen der Akteure und das Beherrschen der Instrumente, ist die stabile Basis dafür, Ihre Arzt-Patienten-Kommunikation in neues Fahrwasser zu bringen.

Also: sich darauf einlassen – ausprobieren – immer besser werden.

1.1       Das Kommunikationsquadrat

»Kann ich Dir helfen?«, fragte er und lächelte. »Was für ein selbstsüchtiger Mistkerl«, dachte sie und ging.

Kommunikation ist ein raffiniertes Gemisch von Interpretationen, Missverständnissen, Halbwahrheiten und – unverzichtbar.

Was der eine sagt, ist noch lange nicht das, was der andere auch tatsächlich hört. Was der eine hört, muss nichts mit dem zu tun haben, was der andere gemeint hat. Wer Sprechen als Austausch von Sachinformationen begreift, erfasst nur eine von vier Dimensionen und steht genauso verlassen da, wie jemand, der die Sprache nur bruchstückhaft beherrscht. Klingt kompliziert? Ja. Aussichtslos? Ganz sicher nicht.

Friedemann Schulz von Thun hat ein Modell für Kommunikation entwickelt, das zeigt, wie Botschaften aufzuschlüsseln sind. Und zwar sowohl aus der Sicht des Sprechenden als auch aus der Perspektive des Hörenden. Das »Kommunikationsquadrat« hilft, die eigene Wahrnehmung zu schärfen und Äußerungen präziser zu begreifen – also das Gemeinte hinter dem Gesagten zu erkennen. Daraus ergibt sich nahezu automatisch eine Weiterentwicklung der kommunikativen Kompetenz.

Im Folgenden zeigen wir, was das Modell beinhaltet, wie man es anwendet und warum es vor allem für Ärzte im Hinblick auf Gespräche mit Patienten ein ausgesprochen wirkungsvolles Instrument ist.

Schulz von Thun sagt, dass jede Äußerung vier Botschaften gleichzeitig enthält. Ich bin also mit einem Satz vierfach kommunikativ wirksam. Und entsprechend gibt es auch für den Hörenden vier Aspekte, die für ihn im Gesagten stecken.

Die vier Botschaften einer Äußerung sind:

•  eine Sachinformation (worüber ich informiere)

•  eine Selbstkundgabe (was ich von mir zu erkennen gebe)

•  eine Beziehungsbotschaft (was ich von dir halte und wie wir meiner Meinung nach zueinanderstehen)

•  ein Appell (zu welchem Denken, Fühlen oder Tun möchte ich dich bewegen)

Und so sieht das Modell aus:

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(Schulz von Thun 1981)

In ihrer Diplomarbeit, in der sie Ärzte zu ihrem Gesprächsverhalten in Aufklärungsgesprächen beforscht hat, erwähnt Heike Aring-Waldmann (2001) ein Beispiel, das veranschaulicht, wie das Modell konkret greift:

Die Ärztin erläutert der Patientin den Befund mit diesem Satz:

»Wir haben da was in den Knochen gefunden, ABER DIE LUNGE IST FREI!«

Der erste Teil des Satzes wurde eher zögerlich gesprochen, der zweite Teil mit kräftiger Stimme vorgetragen.

Die Patientin reagiert mit: »Dann ist ja gut!«

Die Aussage der Ärztin könnte man jetzt folgendermaßen unter die Lupe des Kommunikationsquadrats legen:

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Wichtig ist: Beim Kommunikationsquadrat handelt es sich erst einmal um ein analytisches Modell, kein normatives. Es schafft ein Bewusstsein für die vier Ebenen, die in der Begegnung eine Rolle spielen. Und dadurch die Chance, Kommunikations- und damit zwischenmenschliche Störungen differenziert zu identifizieren.

Durch die Anwendung des Kommunikationsquadrates verringert sich die Gefahr von Missverständnissen. Das ist ein inhaltlicher und zeitlicher Gewinn.

Die Bedeutung der einzelnen Aspekte in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient

Bei jeder Äußerung »funken« alle vier Seiten des Quadrats. Die Botschaft jeder Seite hat nur dann eine Chance, wenn die anderen drei Seiten keine Störfeuer setzen, indem sie eine Aussage entweder untergehen lassen oder so dominant machen, dass alles andere in den unkenntlichen Hintergrund tritt.

Im Arzt-Patienten-Kontakt geht es zum einen um Informationen, Daten, Fakten, Hintergründe, Zahlen und Werte, Ursache und Wirkung, Problem und Lösung. Also um die Sachebene. Das ist wahrscheinlich in jedem Unternehmen so. Aber noch deutlich mehr als in jeder Firma, die mit Kunden zu tun hat, ist es in der Arztpraxis so, dass die »anderen Dimensionen« auch eine Rolle spielen. Beim Thema Krebs beispielsweise geht es nicht nur um »die Sache«. Das Thema verlangt ein Gespräch, da es sich um ein Schicksal handelt. Hier muss also die medizinisch-sachliche Information von Anteilnahme und Ausdruck des Wissens um die Tragweite dieser Diagnose begleitet sein.

Außerdem: Fühle ich mich von meinem Arzt nicht verstanden (Störung auf der Beziehungsebene), ist meine Aufnahmefähigkeit für Informationen eingeschränkt. »Das ärztliche Informationsverhalten wird nur dann erfolgreich sein, wenn ihm jener Prozess des ›Sich-Einfühlens‹ in die Situation des Patienten […] vorangeht« (Gottschlich 2007). Oder einfach ausgedrückt: Die Informationen von der Sachseite kommen nur an, wenn der Weg ins Hirn des Gegenübers frei ist. Sich dessen vor einem Gespräch bewusst zu sein (oder auch es danach zu reflektieren und gegebenenfalls zu korrigieren), ermöglicht es, Störungen auszuräumen und gemeinsam einen konstruktiven Weg zu gehen.

Dass der Andere hört und versteht, was ich sage – und ich höre und verstehe, was er sagt – ist keine Selbstverständlichkeit. Wie also kann Kommunikation, wie kann Verstehen gelingen?

Das Kommunikationsquadrat und die vier Ebenen im Hinblick auf den Sprechenden

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Die Sachseite

In unserem o. g. Beispiel haben wir: »Es gibt einen suspekten Befund in den Knochen, es gibt Entwarnung, was die Lunge angeht« als die Botschaft auf der Sachseite identifiziert. Das war nicht schwer. Der Satz der Ärztin kommt – gelesen – sehr sachlich daher. Dem Satz war die enthaltene Sachaussage »leicht anzusehen«.

Manchmal sind die Sachbotschaften jedoch nicht explizit, sondern vielmehr implizit vorhanden.

Ein Beispiel für implizite Sachbotschaften

Herr Dr. Lenzen wendet sich an seine Kollegin Frau Dr. Andersen: »Könntest Du bitte dafür sorgen, dass in diesem Jahr die Einladungen zur Weihnachtsfeier rechtzeitig, nämlich Anfang November, rausgehen?« Hier ist der explizite Schwerpunkt der Äußerung nicht auf der Sachseite. Implizit enthalten ist aber: »Wir werden in diesem Jahr eine Weihnachtsfeier haben. Es ist nicht die erste, die bei uns stattfindet. Im letzten Jahr waren die Einladungen erst nach Anfang November rausgeschickt worden.«

Explizit ist der Appell, die Bitte von Herrn Dr. Lenzen. Implizit enthalten ist aber durchaus eine Sachbotschaft: »Wir werden in diesem Jahr eine Weihnachtsfeier haben. Es ist nicht die erste, die bei uns stattfindet. Im letzten Jahr waren die Einladungen erst nach Anfang November rausgeschickt worden.«

Zahlen, Daten, Fakten, all das ordnen wir der Sachseite zu.

Informationen bekommen und Informationen vermitteln sind Grundaufgaben für den Arzt im Patienten-Gespräch. Insofern kommt dem Sachaspekt auf jeden Fall eine große Bedeutung zu.

Eine Hürde ist dabei sicherlich die medizinische Fachsprache. Was für den Arzt eine klare Aussage ist, klingt für den Patienten einfach nur nach Fachchinesisch (mehr dazu image Kap. 3.7).

Ob eine Botschaft ankommt, kann er ebenfalls kaum einschätzen. In einem unserer Interviews sagte ein Arzt: »Ich habe das Gefühl, ich erkläre alles ganz genau – und irgendwann merke ich: Der Patient hat so gut wie nichts verstanden.« Das Dilemma ist, dass der Patient automatisch meist nur das behält, was er auch versteht. Alle anderen Informationen verschwinden sofort in der Ablage »egal«. Soll sich ein Patient dann aber beispielsweise zwischen mehreren möglichen Therapieformen entscheiden, tut er dieses auf Basis bruchstückhafter Informationen. Versteht er eine Therapieoption nur halb, ist das Ergebnis oft ein Totalausfall.

Verständlichkeit und Relevanz der Informationen sind also die Kriterien, auf die der Arzt achten muss. Zudem muss er sich versichern, ob der Patient überhaupt noch aufnahmefähig ist! Denn dieser befindet sich in einer Ausnahmesituation und bekanntlich fressen Angst und Aufgeregtheit situativ Gehirnkapazität.

First things first: Man muss nicht alle Informationen auf einmal geben. Unwichtigere Aspekte lassen sich auch zu einem späteren Zeitpunkt noch ansprechen. Jemanden mit allen Fakten zu überhäufen sorgt nur dafür, dass das Falsche hängenbleibt.

Sätze von überschaubarer Länge werden natürlich besser verstanden. Fremdworte oder Fachtermini mögen vielleicht präziser sein, was aber nichts nützt, wenn mein Gegenüber das nicht versteht.

Sprachliche Bilder und Vergleiche unterstützen die Anschaulichkeit (»Stellen Sie sich das wie bei einem Gartenschlauch vor …«). Zeichnungen und Modelle ebenfalls (image Kap. 3.7).

Denkt man also, die Sachinformation in einem Gespräch sei im Vergleich zu den anderen Ebenen der Kommunikation die »gefahrloseste« und »leichteste«, muss man auch daran denken, dass sie das nur ist, wenn sie in eine patientenfreundliche Sprache gekleidet zum Patienten kommt und man darauf achtet, ob der andere wirklich erreichbar ist.

Schulz von Thun sprach in unserem Interview mit ihm in diesem Zusammenhang von kognitiver Empathie: »… dem Arzt muss bewusst sein, dass er ein Erklärender ist. Viel hängt davon ab, wie er erklärt. Seine kognitive Empathie ist gefragt: Was geht im Kopf des anderen vor, welche Fragen entstehen da jetzt?«

Die Selbstkundgabeseite

Ob ich es will oder nicht: Bei jeder Äußerung gebe ich auch etwas von mir preis.

Unser Beispiel: »Wir haben da etwas in den Knochen gefunden, aber die Lunge ist frei!« zeigt, dass Selbstkundgabe immer mitschwingt, auch wenn es in diesem Fall von der Ärztin kaum beabsichtigt war. Hier verrät die Art, wie der Satz gesprochen wird, etwas über die Verfassung und Einstellung. Den zweiten Teil »aber die Lunge …« vernimmt die Patientin laut und deutlich artikuliert. Die Selbstkundgabe der Ärztin: »Schlechte Botschaften überbringe ich (dir) nicht so gerne.«

In der Arzt-Patienten-Kommunikation wird eine explizite und ausführliche Selbstkundgabe des Arztes eher die Ausnahme sein. Es gehört zur Asymmetrie der Rollen, dass der Patient viel von sich erzählt, der Arzt eher aufnimmt. Dennoch liegt für den Arzt mitunter auch eine Chance darin, ausdrücklich etwas von dem eigenen Erleben, den eigenen Gefühlen mitzuteilen – allerdings eher von solchen, die sich auf das vom Patienten Gehörte beziehen.

Schulz von Thun schildert die Anforderung der Selbstkundgabeseite so: »Es helfen kleine Sätze, die Resonanz ausdrücken: ›Wenn ich das von Ihnen höre, dann vermute ich/dann bin ich erleichtert/dann bin ich besorgt/dann unterstelle ich, dass das und das ist‹ – also, dass der Arzt als Profi und als Mensch erkennbar wird und der Patient eine Resonanz bekommt. Schon Kleinigkeiten machen den Unterschied. Dem Kontakt zwischen Arzt und Patient wird ein Weg geebnet.«

Jeder Patient ist aufmerksam: Kann ich diesem Arzt vertrauen, mich ihm anvertrauen? Mit wem habe ich es zu tun?

Dadurch, dass der Arzt sich zeigt, ist es dem Patienten möglich, sein Gegenüber menschlich einzuordnen.

Selbstverständlich gibt es auch ein Zuviel der Selbstkundgabe auf Seiten des Arztes. Zwischen »Der Halbgott in Weiß gibt nichts von sich preis« und damit einer professionellen Fassade und einer übertriebenen rolleninadäquaten Selbstdarstellung des Arztes gilt es, ein gutes Maß zu finden: eine Mischung aus Zurückhaltung und ›sich zeigen‹. Eine Frage von Empathie und Intuition.

So antwortete im Interview ein Hausarzt auf die Frage, ob er seinen Patienten auch Privates von sich erzähle:

»Ja, aber nicht alles. Aber einfach, um jemandem Mut zu machen. Indem ich zum Beispiel sage: Ich kann Sie gut verstehen in dem Schlamassel, in dem Sie stecken. Ich habe Ähnliches durchgemacht, aber wenn man sich Hilfe holt, dann habe ich erfahren, dass man aus seinem Leben viel machen kann.«

Dieser Arzt hat berichtet, dass es manchen Patienten dann viel leichter fällt, zu erzählen, was sie wirklich bewegt – und Hilfe anzunehmen.

Die Beziehungsseite

Ob man sich als Mensch oder als Nummer behandelt fühlt, spielt eine große Rolle bei der Bewertung eines Krankenhauses oder einer Arztpraxis. Oft kann der Patient den rein medizinischen Wert einer Behandlung gar nicht beurteilen, »behandelt« fühlt sich dagegen jeder. Und jede Äußerung enthält auch einen Beziehungshinweis.

Auf der Beziehungsseite gebe ich zu erkennen, wie ich zum anderen stehe und was ich von ihm halte. Jede Botschaft, die mit »Du bist« beginnt, wird der Beziehungsseite zugeordnet, genauso wie jede Botschaft, die mit »Wir« beginnt und die Beziehung beschreibt.

Die Komponenten sind Formulierung, Mimik, Gestik und Tonfall.

Mit jedem Satz gibt man – auch hier: explizit oder implizit – ebenfalls kund, welche Rechte und Pflichten man im Miteinander sieht, und welches Bild man vom anderen hat.

Zu unserem Beispiel: »Wir haben in den Knochen etwas gefunden, ABER DIE LUNGE IST FREI!«

Welche Beziehungsbotschaft drückt die Sprecherin der Nachricht hier aus? Auf jeden Fall können wir das nicht direkt an dem Satz ablesen. Die Beziehungsbotschaft ist eher implizit enthalten.

Wir können folgende Botschaften auf der Beziehungsseite vermuten:

»Du bist nicht belastbar, deswegen will ich Dich nicht mit einer erschreckenden Wahrheit aus der Bahn werfen.«

Oder auch:

»Du bist mir nicht so wichtig, dass ich bereit bin, Deine emotionale Reaktion auf eine erschreckende Nachricht auszuhalten.«

Oder auch:

»Du musst nicht alles wissen, schließlich entscheide ich.«

Es ist durchaus möglich, dass die Ärztin alle diese Beziehungsbotschaften nicht beabsichtigt hatte, sondern ihr innerer Schwerpunkt eher auf der Selbstkundgabe lag – dennoch kann es sein, dass die Patientin vor allem die potentiell enthaltene Beziehungsbotschaft heraushört.

Der Orthopäde, der auf die Frage: » Was habe ich eigentlich?« antwortet: »Sie müssen keine Angst haben!« und mit wehenden Rockschößen das Untersuchungszimmer verlässt, hat nicht nur die Patientin völlig missverstanden, die gar nicht ängstlich war, sondern er hinterlässt bei der Patientin als Beziehungsbotschaft: »Du hast kein Recht hier etwas zu fordern. Das Wissen ist auf meiner Seite, ich bin kompetent, Du nicht, also bin ich nicht zur Erklärung verpflichtet.«

Manche Ärzte hätten gerne eine möglichst unpersönliche Begegnung. »Die Patienten stören!« ist ein Satz, der im Gespräch mit Beschäftigten aus dem Krankenhaus immer wieder auftaucht. Dieses Gefühl entsteht so gut wie nie aus einer Menschenfeindlichkeit heraus. Wir können diese überschroffe Haltung eher verstehen, wenn wir sie als Schutz interpretieren. Schutz vor zu vielen Emotionen, Schutz davor, mit dem Leid der Patienten mitzuleiden. Und sicher auch Folge einer Ausbildung, die den Arzt oft eher als Reparateur sieht. Nicht zuletzt spielt auch der permanente Zeitdruck, mit dem Ärzte zu tun haben, eine große Rolle.

Befragt man Ärzte, so scheint diese Tendenz der Versachlichung in den letzten Jahren stärker geworden zu sein. So berichtete uns ein Interviewpartner aus der psychiatrischen Abteilung einer Universitätsklinik: »Es gibt eine kolossale Veränderung; das Curriculum der Arztausbildung hat sich sehr verändert. Die jungen neuen Ärzte sind sehr viel biologischer, schulischer orientiert. Sie sind deutlich weniger therapeutisch, sondern an organischen Prozessen, Wirkungsweisen von Medikamenten interessiert; darauf ist dann das Arzt-Patienten-Verhältnis konzentriert. Für den Patienten bedeutet das, der Arzt weiß, welche Pille für mich gut ist, und ich muss gar nicht so viel machen, mit der richtigen Pille geht es mir wieder besser. Früher haben Ärzte viel mehr psychotherapeutisch gearbeitet. Ich glaube, das hat aber auch mit dem Menschenbild zu tun.«

Störungen auf der Beziehungsseite gelten als eine der Hauptursachen für Non-Compliance. Nur vordergründig scheitert die Befolgung ärztlicher Therapievorschläge daran, dass der Patient die Anordnungen (angeblich) nicht verstanden hat. Auch Rosin und Tress (1994) betonen die Bedeutung der Beziehung zwischen Arzt und Patient, wenn sie beschreiben, wie je nach Qualität der Arzt-Patient-Beziehung verschriebene Medikamente quasi als Geschenk oder als eine Strafe, als Wohltat oder Giftanschlag erlebt werden.

In unseren Interviews mit Ärzten haben wir zwei Aussagen immer wieder gehört: »Heilung geht nur mit Vertrauen « und »Das Wichtigste: dem Patienten auf Augenhöhe begegnen. Als Mensch.«

Die Beziehungsseite kann in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden. Sie wird im Kommunikationsquadrat aus gutem Grund unten gezeichnet – denn sie ist die Basis und ausschlaggebend dafür, wie ein Kontakt zwischen zwei Menschen verläuft. Gibt es eine Störung auf der Beziehungsebene, ist die Wahrnehmung der Botschaften auf den anderen Seiten erschwert. Oder um es anders, mit den Worten von Schulz von Thun auszudrücken: »Wo sich das Herz verweigert, hat der Verstand keinen Zutritt.«

Prof. Dr. Ulrich Schwantes von der Berliner Charité erklärt im Interview mit Christian Beneker (2015) die Kriterien einer guten Beziehung zwischen Arzt und Patient:

•  Vertrauen

•  Glaubwürdigkeit

•  Akzeptanz

•  Interesse (Zuhören)

•  Zuverlässigkeit

Zu Vertrauen im Speziellen erwähnt Schwantes: »Vertrauen übrigens ist etwas, was Patienten in der Regel zum Arzt mitbringen. Wir können es aber schnell verspielen durch unbedachte Worte oder durch unsere Haltung dem anderen gegenüber. In der Arzt-Patienten-Beziehung geht es darum, dass ich den anderen akzeptiere, mich ihm zuwende, ihm zuhöre, mich als zuverlässiger Begleiter anbiete. Das gilt gerade auch dann, wenn die rein medizinischen Botschaften nicht so positiv sind.«

Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Akzeptanz, Interesse und Zuverlässigkeit sind Kriterien einer guten Arzt-Patienten-Beziehung. Nähe ist es nicht. Eine gute Beziehung kann distanzierter oder näher sein.

Auch auf der Beziehungsebene spielt die Sprache eine wichtige Rolle. Patientengerechte Sprache sagt: »Du bist wichtig, du zählst, dein Verständnis ist wichtig und du hast ein Recht darauf; ich möchte, dass du mitentscheiden kannst.«

Bei schwer verständlicher medizinischer Fachsprache könnte man folgende Beziehungsbotschaft raushören: »Du bist sowieso nicht in der Lage zu verstehen, worum es hier geht. Sei ruhig und gehorche, ich will gar nicht mit dir reden, ich stelle nur fest. Du bist ein zu reparierendes Objekt. Ich weiß viel und du nichts.«

Eine extreme Variante wurde uns in einem unserer Interviews geschildert: »Es gab damals noch dieses Ritual der einmal wöchentlichen, riesigen Chefarzt-Visite. Ich lag im Bett, 27 Leute um mich herum, so kam es mir zumindest vor. Und da kamen so Formulierungen wie »Herr Kollege, obwohl ich non credo…«, und ich dachte, die reden so über mich weg, als wäre ich ein Tierpräparat. Geschweige denn, dass sich vielleicht jemand Gedanken gemacht hätte, ob ich vielleicht Latein kann…« Wenn nur über den Patienten geredet wird, kann dies vom Patienten nicht als Interesse und vertrauensbildend erlebt werden.

Die Appellseite

Die vierte Seite des Kommunikationsquadrats gehört dem Appell. Äußerungen haben auch die Funktion, auf den Empfänger Einfluss zu nehmen. Gerade Ärzte sind es gewohnt, ihren Patienten regelmäßig Ratschläge zu erteilen.

Wo alles auf schnelles Erkennen und Handeln ausgerichtet ist, ist der Appell die entsprechende Form in der Kommunikation.

Der Arzt will den Patienten mit Appellen in vielerlei Hinsicht beeinflussen:

•  er soll dem Arzt vertrauen

•  er soll dem Arzt alle notwendigen Informationen zur Verfügung stellen

•  er soll die richtigen Medikamente zur richtigen Zeit in der richtigen Dosierung zu sich nehmen

•  er soll evtl. seinen Lebensstil ändern (abnehmen, mehr Sport treiben, mit dem Rauchen aufhören, den Alkoholkonsum reduzieren)

•  er soll angemessen reagieren

•  er soll gegebenenfalls wiederkommen

Aber ein einfacher Appell führt noch lange nicht am besten zum Ziel. »Vertraue mir!« hilft nur selten, »Treibe mehr Sport!« führt im Allgemeinen nicht zu einer Verhaltensänderung.

Der Appell in unserem Beispiel (»…aber die Lunge ist FREI…«) könnte verstanden werden als: »Höre das Positive! Sei nicht schockiert, brich jetzt bloß nicht zusammen! Reagiere tapfer!« Auch wenn der Appell nicht explizit geäußert wurde, kann er sehr wohl wirksam und effektiv sein. Der Beweggrund der Ärztin, so einen Appell zu transportieren, der eher nicht zur Offenheit auf Seiten der Patientin beiträgt, liegt dabei sicherlich nicht im Desinteresse, sondern ist wohl vielmehr einer Hilflosigkeit geschuldet.

Wie gebe ich wirksame Appelle?

1.  Eher sparsam! Wenn Appelle überdosiert sind, provozieren sie beim Gegenüber Abwehr. Psychischer Druck und eine gefühlte Einschränkung der Wahlfreiheit führen zu Reaktanz. Wer möchte gerne fremdbestimmt werden? Wir alle haben ein Bedürfnis, unsere Freiheit zu erhalten, ein Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Autonomie. Mit der Forderung nach Verhaltensänderung engen wir den Handlungsspielraum des Gegenübers ein. So berichtete uns eine Patientin, die zwei bis drei Mal in der Woche Sport trieb, dass sie sofort damit aufgehört hätte, als ihre Ärztin ihr »befahl«, unbedingt Sport zu machen. Sicher ein Extrembeispiel, das aber aufzeigt, wie kontraproduktiv Appelle wirken können.

2.  Keine Appelle an Gefühle! Häufig versuchen Ärzte in bester Absicht, mit Appellen ihren Patienten die Angst zu nehmen. Das klingt dann oft so: »Da brauchen Sie aber wirklich keine Angst zu haben. Beruhigen Sie sich doch!«
»Haben Sie keine Angst!« ist leider ein Satz, der seine (gute) Absicht verfehlt. Am Ausmaß der Angst ändert sich nichts, verstanden hat der Patient aber jetzt, dass a) es wohl die normale Reaktion ist, sofort Angst zu bekommen und b) sein Arzt nicht der richtige Ansprechpartner für solche Themen ist.
Gefühle sind Appellen nicht zugänglich! Nur die Entscheidung darüber, ob ich meine Gefühle ausdrücke, kann durch Appelle befördert werden.

3.  Furchtappelle sind (meist) nicht effektiv. »Hören Sie sofort auf zu rauchen, sonst…!« Die Forschung zeigt, dass die meisten Menschen bei Drohungen ihr Heil in der Flucht suchen, während die größte Verhaltensänderung bei schwachen Appellen auftritt. (Menschen versuchen oft, den unangenehmen Spannungszustand, der sich ergibt, wenn sie sich einerseits einer Gesundheitsgefahr durch ihr eignes Verhalten (wie z. B. Rauchen) und andererseits ihrem Unwillen, das Verhalten aufzugeben, bewusst sind, zu lösen, indem sie die Bedrohung leugnen (»Helmut Schmidt ist auch weit über 90 geworden!«; mehr dazu in Kapitel 5).

4.  Klare und konkrete Appelle haben eine größere Chance, gehört zu werden. Wollen Sie Ihren Patienten zu einer Verhaltensänderung bewegen, ist es sinnvoll, konkret zu werden in der Empfehlung. »Sie sollten besser auf sich achten!« ist ein Appell, der diffus bleibt – und damit bleibt es unklar, wo jemand in der Befolgung erfolgreich ist und wo nicht.
»Sie sollten sich mehr bewegen!« lässt das konkrete Ziel im Vagen. »Gut wäre, wenn Sie sich 2x die Woche 30 Minuten am Stück bewegen, z. B. schnell spazieren gehen oder Fahrrad fahren. Schaffen Sie das?« ist eine Formulierung, die das Ziel konkret macht.

Zusammengefasst

Wunderbar, wenn es gelingt, die Botschaften auf den Seiten des Kommunikationsquadrates so zu gestalten:

Den Inhalt verständlich vermitteln, die Selbstkundgabe authentisch und situationsangemessen gestalten, die Beziehungsbotschaft sollte Respekt und Interesse ausdrücken und die Appelle sollten sparsam, klar und möglichst konkret sein.

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Das Kommunikationsquadrat aus der Sicht des Empfängers

Die Äußerung des Senders mit ihren unterschiedlichen Botschaften auf den vier Seiten des Kommunikationsquadrats trifft auf die »Vier Ohren« des Empfängers. Dieser ist im Prinzip völlig frei, auf welche der vier Botschaften er schwerpunktmäßig hört. Und reagiert.

Welches Ohr gerade »auf Empfang« geschaltet ist, entscheidet wesentlich darüber, welchen Verlauf ein Gespräch nimmt.

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Stellen Sie sich vor, ein Patient sagt beim Betreten des Untersuchungszimmers: »Von dem neuen Schmerzmittel habe ich mich mehrfach übergeben müssen!«

Damit kann er Unterschiedliches gemeint haben – und es ist noch völlig offen, ob sein Arzt den Aspekt herausfiltert, den der Patient schwerpunktmäßig gehört wissen wollte.

Das Sachohr

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Wäre ein Arzt vor allem auf das Sach-Ohr fokussiert, würde er vorwiegend die Fakten, die sein Patient vermittelt, aufnehmen. Für die anderen Aspekte wäre er »kommunikationstaub«.

Auf den oben genannten Satz des Patienten könnte ein »sach-ohriger« Empfänger eventuell reagieren mit: »Wie oft denn?« oder auch mit »Um wie viel Uhr war das genau?« oder ganz schlicht mit »Aha.« Er würde auch vielleicht in ruhigem Ton antworten: »Das ist mir als Nebenwirkung von Ihrem Schmerzmittel unbekannt.«

Gefühle, persönliche Betroffenheit, Empathie, Sensibilität – Fehlanzeige.

Der Patient eines (zum Glück fiktiven) rein sach-ohrigen Arztes würde vielleicht so über ihn sprechen: »Mein Arzt weiß viel, ist immer sachlich – aber als Mensch fühle ich mich nicht gut bei ihm aufgehoben. Der ist immer so kalt – als säße ich einer Maschine gegenüber. Mit meinen Sorgen fühle ich mich allein.«

Die Herausforderung für den Arzt ist zu schauen: Handelt es sich wirklich um eine reine Sachaussage – oder ist das Gemeinte vielleicht etwas ganz anderes?

»Ich nehme die Tabletten schon seit über einem Jahr!« kann sowohl eine Information sein als auch eine Warnmeldung, dass mit Therapietreue in Zukunft nicht mehr zu rechnen ist. Es kann auch ein Appell dahinterstecken, sich doch bitte Gedanken über Alternativen zu machen oder die Beziehungseinschätzung, dass man dem Arzt wohl nicht so wichtig ist.

Reagiert der Arzt also nur auf den sachlichen Teil, geht ein Teil der Botschaft verloren.

Das Sachohr ist unverzichtbar zum Faktensammeln. Es sorgt dafür, dass in der Folge alle Fachfragen beantwortet werden. In welch nahezu absurde Eindimensionalität das abgleiten kann, zeigt ein Beispiel, von dem uns eine Palliativmedizinerin berichtet hat:

Der Hospizbewohner sagt: » Bringen Sie mich um!«

Die Ärztin antwortet: » Wegen der rechtlichen Lage in Deutschland ist das nicht möglich.«

Das kann nicht alles sein… Natürlich weiß der leidende Patient, dass die Ärztin nicht die Spritze holt und »den Auftrag erledigt«. Was die drei nicht auf Empfang gestellten Ohren der Ärztin hätten heraushören können, wäre: »Ich bin völlig rat- und hilflos, mir fällt nichts mehr ein, außer es zu beenden, ich resigniere« (Selbstkundgabe), »Du kannst mir helfen, ich wende mich in meiner Verzweiflung an dich« (Beziehung) und schließlich »Bitte hilf mir!« (Appell).

Zusammengefasst

1.  Das Sachohr ist unverzichtbar wichtig.

2.  Um dem zwischenmenschlichen Geschehen gerecht zu werden, muss es ergänzt werden durch die anderen 3 Empfangskanäle.

Das Selbstkundgabeohr

Dieses Ohr ist grundlegend für eine gute Kommunikation: Ich höre, wie es dem Patienten wirklich geht! Die innere Leitfrage dabei ist: Was sagt mir deine Äußerung über dich?

In dem oben beschriebenen Beispiel nimmt der Arzt wahr, was der Patient zwischen den Zeilen über seine eigene Befindlichkeit aussagt und reagiert evtl. mit »Sie Armer! Sie haben ja im Moment wirklich schon genug auszuhalten!«, vielleicht ergänzt er auch noch: »Sie machen sich auch Sorgen, ob damit die Wirkung der anderen Medikamente beeinträchtigt ist und ob das anhält?«

Wenn der Arzt nur ein gespitztes Selbstkundgabeohr hätte, wäre er das ideale Gegenüber für das Erfassen der Befindlichkeiten des Patienten. Dieser würde sich sicher bestens verstanden – allerdings nicht unbedingt bestens versorgt – fühlen.

Ein Patient, der so einen »ein-ohrigen« Arzt hätte, könnte vielleicht folgendermaßen über ihn sprechen: »Also mein Arzt ist immer verständnisvoll und einfühlsam. Er bringt meine Gedanken und Bedenken auf den Punkt. Herrlich, wenn einen jemand so versteht. Einmal hatte ich ihm gegenüber auch eine kritische Anmerkung, aber da hat er immer nur mit »Aha, das ist Ihnen also wichtig!« reagiert, statt mal Klartext zu reden!«

Hat der Arzt im Gespräch häufig vor allem das Selbstkundgabeohr auf Empfang gestellt, so ist das für beide Seiten ein Gewinn:

Zum einen, wie oben beschrieben, fühlt sich der Patient verstanden – und das zu Recht. Zum anderen ist das offene Selbstkundgabeohr auch gut für den Seelenfrieden des Arztes. Sind wir vor allem auf der Selbstkundgabe-Ebene empfangsbereit, fühlen wir uns nicht so schnell angegriffen oder sind in Not, die Dinge »richtig« zu stellen, sondern hören erst einmal zu und haben alle Antennen auf Empfang, um dahinterzukommen, was mit dem anderen los ist.

Wird das Selbstkundgabeohr übertrieben eingesetzt, kann das allerdings psychologisierend oder auch distanzierend wirken, da der Empfänger vermeidet, selbst Farbe zu bekennen. Wenn der Arzt auf die Beschwerde über die lange Wartezeit reagiert mit: »Ihnen ist es also wichtig, schnell dranzukommen. Wenn Sie lange warten müssen, fühlen Sie sich schnell benachteiligt und haben den Eindruck, Sie kämen zu kurz«, weicht er den Erfordernissen der Situation aus. Es wäre auch gut, wenn er zu dem Vorwurf Stellung nehmen würde.

Zusammengefasst

1.  Mit dem Selbstkundgabeohr versteht man, wie es dem Gegenüber wirklich geht.

2.  Hören mit dem Selbstkundgabeohr ist gut für die innere Gelassenheit.

Das Beziehungsohr

Mit dem Beziehungsohr nimmt man die Botschaft persönlich. Ist das Beziehungsohr groß und übersensibilisiert, hört man schnell aus jeder Äußerung einen Angriff, einen Vorwurf heraus.

Die innere Leitfrage dabei ist: Was sagt mir deine Äußerung über mich, bzw. über deine Sicht deiner Beziehung zu mir?

In dem Satz »Von dem neuen Schmerzmittel habe ich mich mehrfach übergeben müssen!« können verschiedene Beziehungsbotschaften enthalten sein.

Vielleicht hört der Arzt in unserem Beispiel vor allem »Du wirst mir helfen können!« heraus und freut sich über das entgegengebrachte Vertrauen. Dann antwortet er vielleicht mit den Worten »Gut, dass Sie damit zu mir kommen.«

Beim Beziehungsohr gibt es allerdings eine Besonderheit. Menschen, die diesen Empfangskanal überspezialisiert haben, neigen eher dazu, negative Botschaften aus einer Äußerung herauszulesen. Sie sind besonders aufmerksam für Vorwürfe und beziehen schnell alle Aussagen auf sich. Sollte unser Arzt ein in diesem Sinne übergroßes Beziehungsohr haben, hört er den Vorwurf: »Sie haben mir ein falsches Medikament gegeben, Sie haben mich schlecht versorgt!« (Dieses Beispiel wurde uns in einem Interview geschildert. Die Reaktion des Arztes war tatsächlich, als hätte man ihm einen persönlichen Vorwurf gemacht: Er hatte in relativ barschem Ton geantwortet: »Das kann nicht sein!« und sich dann abgewendet.)

Es ist von großer Bedeutung für die professionelle Gelassenheit des Arztes, ob er vor allem die Selbstkundgabe des anderen heraushört – oder eben einen beziehungsseitigen Vorwurf, der ihn in Verteidigungshaltung oder Beschämung gehen lässt.

Ein Klassiker in diesem Zusammenhang ist die Frage des Patienten nach einer Zweitmeinung. So berichtete eine Patientin, dass ihr Arzt so weit ging, sie dann nicht mehr behandeln zu wollen, als sie ankündigte, noch gerne die Meinung eines anderen Arztes zu einer wichtigen Therapiefrage hören zu wollen. Dieser Arzt empfing die Nachricht offenbar mit seinem Beziehungsohr »Ich hole mir eine zweite Meinung, weil ich mit dir nicht zufrieden bin! Vielleicht wissen es andere besser. Du bist nicht gut genug!« statt »Ich hole mir eine zweite Meinung ein, weil mir bewusst ist, dass es verschiedene Wege gibt, und ich möchte im Bewusstsein möglichst vieler Informationen meine Entscheidung treffen.«

Wenn der Arzt (nur) ein gespitztes Beziehungsohr hätte, wäre er sehr aufmerksam für die Schwingungen, die zwischen ihm und anderen entstehen. Allerdings wäre er auch leicht kränkbar, würde viel des Gesagten auf sich beziehen.

Ein Patient, der so einen schwerpunktmäßig auf der Beziehungsseite empfangenden Arzt hätte, könnte vielleicht so über ihn sprechen: »Unglaublich sensibel, der bekommt jedes Zögern auf meiner Seite mit, jede noch so kleine Störung unseres Vertrauensverhältnisses. Allerdings ist mein Arzt immer ein bisschen – empfindlich. Wenn ich an irgendeiner Stelle die Diagnose oder die Therapie hinterfrage, fühlt er sich sofort angegriffen. Ich muss also immer sehr aufpassen, wie ich mit ihm rede.«