VVorwort

Seit gut zwanzig Jahren berate ich in meiner Kanzlei überwiegend Menschen mit Behinderungen, deren Eltern/Angehörige und gesetzliche Betreuer.

Meine Erfahrung ist, dass viele Eltern mit behinderten Kindern nicht ausreichend über ihre Rechte informiert sind. Sie verzichten häufig auf Sozialleistungen, auf die sie oder ihre Kinder eigentlich Anspruch hätten. Teilweise werden ihnen auch Sozialleistungen aufgrund fehlender oder mangelhafter Beratung seitens der staatlichen Stellen vorenthalten.

Die Leistungen und Rechte, die Menschen mit Behinderung und ihren Familien zustehen, sind nicht in einem einzigen übersichtlichen Gesetz, sondern in Rechtsnormen geregelt, die sich über die unterschiedlichsten Rechtsgebiete verteilen und miteinander verzahnt sind. Die Rechtsmaterie des Sozial- und Behindertenrechts ist unübersichtlich und schwer verständlich.

Das Anliegen dieses Elternratgebers ist es daher, Hilfestellung zu geben, damit Menschen mit Behinderung und ihre Eltern und Angehörigen wissen, welche Leistungen ihnen zustehen. Nicht zuletzt soll er ihnen Mut machen, diese Sozialleistungen einzufordern und ihr Recht auch gegen Widerstände durchzusetzen. Der Elternratgeber bietet hierzu einen Querschnitt durch die verschiedenen Lebensphasen und Lebensbereiche.

Im ersten Kapitel des Ratgebers werden in kurzer und prägnanter Form die wichtigsten Fragen zu ausgewählten Lebenssituationen beantwortet, wie z.B. die Geburt eines behinderten Kindes, der Besuch der Schule, der Beginn einer Ausbildung, das Erreichen der Volljährigkeit oder der Auszug in ein Wohnheim. In den anschließenden Kapiteln werden die einzelnen Sozialleistungen, deren Voraussetzungen und die Möglichkeiten zur effektiven Durchsetzung ausführlich dargestellt. Des Weiteren werden die Einzelheiten der gesetzlichen Betreuung besprochen und die Möglichkeiten aufgezeigt, VIdie das deutsche Erbrecht über das sog. „Behindertentestament“ bietet, um Kinder über das Versterben der Eltern hinaus abzusichern.

Seit Erscheinen der 2. Auflage hat sich eine Vielzahl von gesetzlichen Änderungen und Rechtsstreitigkeiten insbesondere in den Bereichen Grundsicherung, Eingliederungshilfe, Hilfsmittel und Pflegeversicherung ergeben. Das stufenweise Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) ab 2017 führt zudem zu erheblichen Änderungen im Rehabilitations- und Teilhaberecht, insbesondere im Recht der Eingliederungshilfe. Die Neuauflage berücksichtigt aktuelle sozial- und verwaltungsgerichtliche Entscheidungen und den Rechtsstand, der am 1.Juni 2018 vor der Drucklegung Gültigkeit hatte.

München, im Juni 2018

Jürgen Greß

XXIAbkürzungsverzeichnis

§

Paragraph

Abs.

Absatz

AGG

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

Alg II

Arbeitslosengeld II

ARGE

Arbeitsgemeinschaft

Art.

Artikel

ASD

Allgemeiner Sozialer Dienst

Az.

Aktenzeichen

BAG

Bundesarbeitsgericht

BayEUG

Bayerisches Erziehungs- und Unterrichtsgesetz

BayKiBiG

Bayerisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz

BBB

Berufsbildungsbereich

BBiG

Berufsbildungsgesetz

BBW

Berufsbildungswerk

BeurkG

Beurkundungsgesetz

BfA

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGG

Behindertengleichstellungsgesetz

BGH

Bundesgerichtshof

BRK

Behindertenrechtskonvention

BSG

Bundessozialgericht

BSHG

Bundessozialhilfegesetz

bspw.

beispielsweise

BTHG

Bundesteilhabegesetz

BvB

Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme

BVG

Bundesversorgungsgesetz

bzw.

beziehungsweise

EStDV

Einkommensteuer-Durchführungsverordnung

EStG

Einkommensteuergesetz

EStH

Einkommensteuer-Hinweise

EU

Europäische Union

EUTB

Ergänzende unabhängige Teilberatung

XXIIf.   

folgende (Seite)

FamFG

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

FED

Familienentlastende Dienste

ff.

fortfolgende (Seiten)

FrühV

Frühförderungsverordnung

GdB

Grad der Behinderung

GG

Grundgesetz

ggf.

gegebenenfalls

GKV-WSG

Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung

GNotKG

Gerichts- und Notarkostengesetz

HeimG

Heimgesetz

HPT

Heilpädagogische Tagesstätte

KfzHV

Kraftfahrzeughilfe-Verordnung

LAG

Landesarbeitsgericht

LSG

Landessozialgericht

LVA

Landesversicherungsanstalt

MDK

Medizinischer Dienst der Krankenversiche- rung

MSD

Mobiler sonderpädagogischer Dienst

NBA

Begutachtungsassessment

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

OBA

Offene Behindertenarbeit

OLG

Oberlandesgericht

PfleWoqG

Pflege- und Wohnqualitätsgesetz

PflegeZG

Pflegezeitgesetz

RVG

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz

S.

Seite

SG

Sozialgericht

SGB I

Sozialgesetzbuch, Erstes Buch – Allgemeiner Teil

SGB II

Sozialgesetzbuch, Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende

SGB III

Sozialgesetzbuch, Drittes Buch – Arbeitsförderung

XXIIISGB IV

Sozialgesetzbuch, Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung

SGB V

Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung

SGB VI

Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung

SGB VII

Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung

SGB VIII

Sozialgesetzbuch, Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe

SGB IX

Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen

SGB X

Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren

SGB XI

Sozialgesetzbuch, Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung

SGB XII

Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch – Sozialhilfe

SGG

Sozialgerichtsgesetz

sog.

sogenannte/s/r

SVE

Schulvorbereitende Einrichtung

u.a.

unter anderem

usw.

und so weiter

vgl.

vergleiche

WBVG

Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz

WfbM

Werkstatt für behinderte Menschen

WVO

Werkstättenverordnung

z.B.

zum Beispiel

zzgl.

zuzüglich

XXVLiteraturhinweise

Zum Behinderten- und Sozialrecht gibt es eine Vielzahl von Gesetzeskommentaren, Fachzeitschriften, Lehrbüchern und Ratgebern. Interessierte Eltern können sich im einschlägigen Buchhandel über das Angebot informieren. Es ist jedoch festzustellen, dass sich gerade die Gesetzeskommentare und angebotenen Lehrbücher weitgehend an Juristen oder juristisch vorgebildete Personen wenden. Ein „Normalsterblicher“ ist mit diesen Fachbüchern in der Regel überfordert und kann wenig damit anfangen.

Für den interessierten Laien gibt es daher verschiedene Rechtsratgeber, u.a. auch die Reihe Beck-Rechtsberater im dtv. Hinzu kommen noch zahlreiche kostenlose Informationsschriften und Broschüren, die von den einzelnen Bundesministerien herausgegeben werden und dort bezogen werden können. Diese Ratgeber und Broschüren richten sich jedoch weitgehend an schwerbehinderte Menschen, die zumindest teilweise noch im Berufsleben stehen und körperbehindert sind. Häufig finden sich die für Eltern von behinderten Kindern erforderlichen Informationen in diesen Ratgebern nur an versteckter Stelle bzw. diese fehlen gänzlich. Für Eltern von behinderten Kindern und deren spezielle rechtliche Schwierigkeiten können diese Ratgeber nur bedingt empfohlen werden.

Für Eltern von behinderten Kindern finden sich jedoch im Internet einige Internetseiten, die ein spezielles Beratungsangebot für diesen Personenkreis bieten.

Im Folgenden wird eine Auswahl empfehlenswerter Publikationen zum Behinderten- und Sozialrecht sowie informativer Internetseiten vorgestellt.

Publikationen/Ratgeber

Kostenlos gibt es vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (www.bmas.de) die Broschüre „Ratgeber für behinderte Menschen“ sowie zahlreiche andere Rechtsratgeber.

XXVIVom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (www.bmfsfj.de) können Merkblätter z.B. zum Kindergeld, zum Eltern- und Erziehungsgeld, zum Kinder- und Jugendhilferecht, zu Hilfen für Familien und zu Hilfen für ältere Menschen bezogen werden.

Das Bundesministerium der Justiz (www.bmvj.de) bietet verschiedene Rechtsratgeber z.B. zum Betreuungsrecht und zur Patientenverfügung an.

Vor allem zum Schwerbehindertenrecht gibt es zahlreiche Broschüren bei den Integrationsämtern (www.integrationsaemter.de).

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von kostenlosem Informationsmaterial von den Sozialversicherungsträgern wie den Krankenkassen und den Rentenversicherungsträgern.

Viele Informationen gerade im Zusammenhang mit dem Schwerbehindertenausweis können über die Versorgungsämter bzw. Arbeitsagentur en bezogen werden. Hier finden sich auch im Internet umfangreiche Informationen. Empfehlenswert ist die Internetseite des Zentrum Bayern Familie und Soziales (www.zbsfs.bayern.de).

Internetseiten

www.gesetzte-im-internet.de: Hier wird nahezu das gesamte aktuelle Bundesrecht kostenlos im Internet bereitgestellt. Die Gesetze und Rechtsverordnungen können in ihrer jeweils geltenden Fassung abgerufen werden.

Auf www.sozialgerichtsbarkeit.de können u.a. die Urteile des Bundessozialgerichts und der Landessozialgerichte kostenlos abgerufen werden.

Die sehr empfehlenswerte Internetseite des Bundesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V. bietet Merkblätter und Rechtsratgeber, wichtige Gerichtsurteile und sogar Musterwidersprüche zu aktuellen Streitfragen: www.bvkm.de

Die Internetseite der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. bietet ebenfalls rechtliche Empfehlungen, Praxishilfen und aktuelle Gerichtsurteile: www.lebenshilfe.de

XXVIIAußerdem:

Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V. (ForseA): www.forsea.de

Bundesverband autismus Deutschland e.V.: www.autismus.de

Sozialverband VdK Deutschland e.V.: www.vdk.de

Aktion Mensch: www.aktion-mensch.de

Kooperation Behinderter im Internet e.V. (Kobinet): www.kobinet-nachrichten.org

Intakt, Internetplattform für Eltern von Kindern mit Behinderung: www.intakt.info

Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Bayern, Gemeinsam Leben – Gemeinsam Lernen e.V.: www.lag-selbsthilfe-bayern.de

Rechtsanwaltskanzlei Hoffmann & Greß, mit aktuellen Fachinformationen für Eltern: www.hoffmann-gress.de

Buchempfehlungen

Holthaus/Pollmächer, Wie geht es weiter? Jugendliche mit einer Behinderung werden erwachsen, Elternratgeber, 2. Auflage 2016

Dieser Ratgeber – geschrieben von Eltern für Eltern – beschreibt die Schwierigkeiten und beantwortet die Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Erwachsenwerden eines Kindes mit Behinderung und dessen Ablösung vom Elternhaus und Einstieg in sein Arbeitsleben stellen.

Pollmächer/Holthaus, Wenn Menschen mit geistiger Behinderung älter werden. Ein Ratgeber für Angehörige, 2013

Der Ratgeber beantwortet einfühlsam und kompetent die Fragen, die sich im Laufe des Älterwerdens von Menschen mit geistiger Behinderung stellen.

1 1. Kapitel
 
Ausgewählte Fragestellungen für bestimmte Lebenssituationen

Aufgrund meiner langjährigen Beratungstätigkeit weiß ich, dass Menschen mit Behinderung und deren Eltern mit einer systematischen Darstellung der Rechtsgrundlagen und der für sie hieraus entstehenden Ansprüche wenig anfangen können. Vielmehr geht es hauptsächlich um die Beantwortung konkreter Fragen, insbesondere, wenn ein neuer Lebensabschnitt des behinderten Kindes ansteht.

Zum Beispiel stellen sich mit dem Eintritt der Volljährigkeit des behinderten Kindes für seine Eltern die Fragen, ob sie für ihr Kind ein Betreuungsverfahren durchführen lassen müssen oder ob die Bestellung eines gesetzlichen Betreuers durch das Betreuungsgericht erforderlich ist und welche Folgen das mit sich bringt. Große Unsicherheit besteht auch, inwieweit der Sozialhilfeträger ab dem 18. Lebensjahr des Kindes auf Einkommen und Vermögen, sowohl des Kindes, als auch der Eltern zugreifen kann.

Ein weiterer wichtiger neuer Lebensabschnitt, der wesentliche Veränderungen mit sich bringt, beginnt mit dem Auszug aus dem Elternhaus und dem Einzug in eine Behinderteneinrichtung. Es kommen immer wieder Eltern in meine Beratung, deren Kind in eine Behinderteneinrichtung umziehen möchte und die Eltern daher wissen möchten, was sich für das Kind bzw. für sie als Eltern in 2finanzieller und rechtlicher Hinsicht ändert. Ähnliches gilt beim Schuleintritt , dem Beginn einer Berufsausbildung oder dem Eintritt in eine Werkstatt für behinderte Menschen.

Das nachfolgende Kapitel soll Menschen mit Behinderung und deren Eltern in kurzer und prägnanter Form wichtige Antworten und Hinweise zu ausgewählten Lebenssituationen liefern, ohne dass sie gleich tief in die jeweilige Rechtsmaterie einsteigen müssen. Ich möchte den Eltern damit helfen, die üblicherweise anstehenden Veränderungen ihrer Lebenssituation zu bewältigen und eventuell erforderliche Schritte zur Absicherung und Versorgung ihres Kindes rechtzeitig angehen zu können.

Für eine ausführliche Beantwortung der aufgeworfenen Fragen wird dann jeweils auf die Darstellung in den übrigen Kapiteln des Ratgebers verwiesen.

A. Unser Kind wurde mit einer Behinderung geboren

Wird ein Kind mit einer Behinderung geboren, ist dies ein besonderer Einschnitt in das Leben der Eltern und der übrigen Familienmitglieder. Die Eltern stehen vor der schwierigen Aufgabe, ihren Lebensplan neu zu überdenken und das Leben mit ihrem behinderten Kind aufzunehmen und anzunehmen.

Aber sie sind nicht auf sich allein gestellt. Es gibt viele Hilfen und Unterstützungen für Familien mit behinderten Kindern. Im Folgenden wird ein Überblick zu den verschiedenen Angeboten gegeben.

I. Frühförderung als erstrangige Hilfe für die Familie

Frühförderung ist der Oberbegriff für die verschiedenen Hilfeangebote. Die Frühförderung wendet sich an Eltern mit Kindern von deren Geburt bis zum Schulalter. Vor allem soll die Frühförderung Unterstützung gewähren, wenn kleine Kinder für ihre Entwicklung Hilfe benötigen. Eltern von behinderten Kindern sollten die Angebote 3der Frühförderung möglichst frühzeitig für das Kind und die gesamte Familie nutzen.

Bei der Frühförderung handelt es sich um ein ganzheitliches Hilfekonzept , in das neben medizinischen, psychologischen, pädagogischen und sozialen Hilfen auch die Familie des Kindes mit einbezogen wird.

Anlauf- und Koordinationsstellen für die Frühförderung sind die Frühförderstelle n. In Zusammenarbeit mit Ärzten, Therapeuten und sozialen Diensten wird gemeinsam mit den Eltern ein Gesamtkonzept entwickelt, das auf die individuellen Möglichkeiten des Kindes und seiner Familie abgestimmt ist. Medizinische Therapieangebote in der Frühförderung sind z. B. Krankengymnastik (Physiotherapie), Beschäftigungstherapie (Ergotherapie ), Mototherapie und Sprach- und Stimmtherapie (Logopädie ). Häufig bieten Frühförderstellen auch Eltern-Kind-Kurse oder Eltern-Kind-Wochenenden an.

II. Allgemeiner Papierkram

Wenn ein Kind mit Behinderung geboren wird, haben die Eltern zunächst den üblichen Papierkram zu erledigen, der auf alle Eltern von Neugeborenen zukommt.

So sind beispielsweise Anträge auf Mutterschaftsgeld , Kindergeld und Elterngeld zu stellen. Des Weiteren ist das Kind beim Standesamt , bei der Krankenkasse, bei der Arbeitsstelle und beim Finanzamt zu melden.

Hinsichtlich der Krankenversicherung des Neugeborenen ist zu beachten, dass bei privaten Krankenversicherungen Kinder des versicherten Elternteils nach deren Geburt einen Anspruch darauf haben, unabhängig von ihrem Gesundheitszustand mitversichert zu werden. Voraussetzung ist jedoch, dass die Anmeldung zur Krankenversicherung innerhalb von zwei Monaten nach der Geburt rückwirkend erfolgt. Anderenfalls kann eine Gesundheitsprüfung des Kindes erforderlich werden. Empfehlenswert ist es auch, das neugeborene Kind zunächst in der privaten Krankenversicherung anzumelden und mitzuversichern, wenn nur ein Elternteil privat oder im öffentlichen Dienst über die Beihilfe versichert und der andere 4Elternteil gesetzlich versichert ist. Anschließend kann in Ruhe geprüft und überlegt werden, ob das Neugeborene günstiger über die Familienversicherung der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 10 SGB V) mitversichert kann und die private Versicherung gegebenenfalls wieder beendet wird.

III. Besonders wichtige und sinnvolle Anträge

1. Anträge auf Leistungen der Pflegeversicherung

Wichtig ist ein frühzeitiger Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung (SGB XI), da Leistungen erst ab dem Zeitpunkt der Antragstellung zustehen.

Über die Pflegeversicherung können die Eltern entsprechend dem jeweiligen Pflege- und Betreuungsaufwand ihres Kindes Pflegegeld erhalten. Hinzu kommt, dass die Pflegeversicherung unter bestimmten Voraussetzungen Rentenversicherungsbeiträge für die Pflegeperson abführt, wodurch eine Aufstockung der Altersrente der Pflegeperson erreicht werden kann. Das Pflegegeld beträgt derzeit zwischen monatlich 316 € und 901 €, je nach Einstufung in einen Pflegegrad . Allerdings können im Kleinkindalter noch besondere Schwierigkeiten bei der Zuerkennung der Pflegebedürftigkeit bestehen, da nur der Pflegemehrbedarf im Vergleich zu einem gleichaltrigen nicht behinderten Kind berücksichtigt wird.

Die Pflegeversicherung gewährt darüber hinaus ab dem Pflegegrad 2 noch weitere Leistungen wie beispielsweise die Verhinderungspflege (Ersatzpflege) zur Abdeckung von Verhinderungs- und Urlaubszeiten der Pflegeperson und Leistungen der Kurzzeitpflege bis zu einem jährlichen Höchstbetrag von jeweils 1.612 €. Wird die Kurzzeitpflege nicht in vollem Umfang genutzt, so kann der Restbetrag bis zu einem Maximalbetrag von 806 € zusätzlich für die Verhinderungspflege genutzt werden. Ab dem Pflegegrad 1 kann zusätzlich ein Entlastungsbetrag von monatlich 125 € zur Unterstützung des Pflegebedürftigen und der pflegenden Angehörigen beansprucht werden, z. B. um eine Betreuung im Alltag sicherzustellen oder zur Unterstützung bei der hauswirtschaftlichen Versorgung oder der Organisation des Pflegealltags.

5Nähere Informationen zur Pflegeversicherung finden sich nachstehend im 2. Kapitel unter B VI, S. 139 ff.

2. Schwerbehindertenausweis

Sinnvoll ist auch die Beantragung eines Schwerbehindertenausweis es für das behinderte Kind. Der Antrag auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises ist bei dem zuständigen Versorgungsamt zu stellen. Sofern das Versorgungsamt einen Grad der Behinderung von mindestens 50 feststellt, erhält das Kind einen Schwerbehindertenausweis, in dem sog. Merkzeichen aufgeführt werden. Bei angeborenen Behinderungen sollte die Feststellung der Schwerbehinderung rückwirkend ab Geburt des Kindes beantragt werden, um keine Steuervorteile zu verschenken.

Entsprechend dem festgestellten Grad der Behinderung (GdB ) können die Eltern erhebliche steuerliche Freibeträge (z. B. den Behinderten-Pauschbetrag ) bei ihrer Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen. Darüber hinaus eröffnen die Merkzeichen (beispielsweise „H“, „B“, „G“, „aG“) weitere wichtige Vergünstigungen, wie die kostenlose Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Parkerleichterungen und weitere steuerliche Vorteile (u. a. den Pflege-Pauschbetrag ). Menschen mit einem Schwerbehindertenausweis haben als Arbeitnehmer einen erhöhten Kündigungsschutz. Nachteile des Schwerbehindertenausweises bzw. der Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft sind dagegen nicht zu befürchten. Nähere Informationen zum Schwerbehindertenausweis finden sich im 2. Kapitel unter D, S. 174 ff.

Die Eltern sollten auch dem Finanzamt die Schwerbehinderung ihres Kindes mitteilen, damit entsprechende Freibeträge bereits in der Lohnsteuerkarte eingetragen und im Voraus bei der Steuerfestsetzung berücksichtigt werden können (siehe 2. Kapitel D IV 1, S. 182 ff.).

6IV. Was ist nicht sinnvoll und sollte unterlassen werden?

Sofern bereits absehbar ist oder die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass das behinderte Kind einmal von Sozialhilfeleistungen abhängig sein könnte, sollten Eltern sehr genau überlegen, ob und welche Versicherungen sie zugunsten des Kindes abschließen. Denn im Falle des späteren Bezuges von Sozialhilfeleistungen könnten eventuelle Versicherungsleistungen wie eine Ausbildungs- oder Lebensversicherung auf in Anspruch genommene Sozialhilfeleistungen angerechnet werden, so dass das Kind von diesen Versicherungsleistungen im Endeffekt keinen oder nur einen geringen Vorteil hätte.

Aus demselben Grund sollte auch vermieden werden, ein größeres Vermögen auf den Namen des Kindes bzw. auf einem eigenen Konto des Kindes anzusparen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, wenn Eltern Vermögen auf das Kind überschreiben, um auf diese Weise hinsichtlich der anfallenden Zinsen den auch dem Kind zustehenden Sparerfreibetrag bei der Einkommensteuer auszunutzen.

B. Unser Kind kommt in den Kindergarten

I. Frühzeitige Suche nach einem geeigneten, eventuell auch einem integrativen Kindergartenplatz

Bei der Suche nach einem geeigneten, eventuell auch integrativen Kindergartenplatz können Eltern die Hilfe der Frühförderstellen in Anspruch nehmen.

In Betracht kommen die Einzelintegration in Regelkindergärten oder Kindertagesstätte n (KITA), inklusive Gruppen in Regelkindergärten, integrative Kindergärten und Förderkindergärten (heilpädagogische Kindergärten), schulvorbereitende Einrichtung en (SVE).

7Aufgrund der regelmäßig hohen Nachfrage nach Plätzen in integrativen und heilpädagogischen Kindertageseinrichtungen sollten sich Eltern persönlich und möglichst frühzeitig mit der ins Auge gefassten Einrichtung in Verbindung setzen. Es empfiehlt sich, ein fachärztliches Gutachten vorzulegen, das belegt, dass das Kind behindert ist und daher den Platz benötigt. Sobald ein Platz zugesagt ist, sollten entsprechende Anträge auf Eingliederungshilfe beim Jugendamt bzw. beim Sozialamt gestellt werden.

Die Einzelintegration in einer Kinderkrippe oder einem Kindergarten ist die am schwierigsten umzusetzende Möglichkeit. Es muss eine Einrichtung gefunden werden, die geeignet und deren Personal bereit ist, ein behindertes Kind aufzunehmen und zu integrieren. Weiter muss die erforderliche heilpädagogische Betreuung sichergestellt werden. Mangels Alternativen kann dieser Weg jedoch der einzig mögliche sein, wenn das Kind integrativ untergebracht werden soll.

II. Sinnvolle Anträge – sofern noch nicht gestellt

C. Unser Kind kommt in die Schule

I. Einschulung

Sofern das Kind aufgrund seiner Behinderung sonderpädagogischen Förderbedarf besitzt, stellt sich die Problematik, ob das Kind noch im Rahmen der schulischen Integration eine Regelschule besuchen kann oder der Besuch einer sog. Sonder- oder Förderschule erforderlich ist.

Empfehlenswert ist es, sich zur Vorbereitung auf den Schuleintritt des Kindes rechtzeitig bei der Frühförderstelle über dessen sonderpädagogischen Förderbedarf und die Möglichkeiten einer schulischen Förderung im Kindergarten bzw. der schulvorbereitenden Einrichtung zu informieren und beraten zu lassen.

Eltern sollten auch bereits einige Monate vor dem Einschulungstermin Kontakt mit der zuständigen Sprengelgrundschule , der staatlichen Schulberatungsstelle oder dem Schulamt aufnehmen und besprechen, welche Schulen in Betracht kommen und geeignet wären. Durch die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland haben Schüler mit Behinderung seit dem Jahr 2012 regelmäßig Anspruch auf eine inklusive Beschulung an einer Regelschule zusammen mit nichtbehinderten Schülern. Die Eltern können jedoch entscheiden, ob ihr Kind eine Regelschule oder eine Förderschule besuchen soll (siehe 2. Kapitel B II 3 d, S. 58 ff.).

9II. Hilfeangebote beim Schulbesuch

Ein besonders wichtiges Hilfeangebot beim Schulbesuch ist die sog. Integrationsassistenz bzw. Schulbegleitung, die dem Kind trotz seiner Behinderung den Schulbesuch ermöglichen soll. Die Kosten für eine Integrationsassistenz können vom Sozialhilfeträger als Leistung der Eingliederungshilfe beansprucht werden (siehe 2. Kapitel B II 3 d ee, S. 63 ff.).

Darüber hinaus gibt es den mobilen sonderpädagogischen Dienst (MSD ), der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zusätzlich zu den Lehrkräfte unterstützt, damit sie erfolgreich integriert werden können und auch bleiben (siehe 2. Kapitel B II 3 d dd, S. 62).

Weiter gibt es Hilfen zur Betreuung am Nachmittag wie integrative Horte, heilpädagogische Tagesstätte n (HPT) oder Horte für Kinder in Förderschule n sowie die Einzelintegration im Hort bzw. Tagesheim. Diese Leistungen sind beim Sozialhilfeträger als Leistungen der Eingliederungshilfe oder beim Jugendamt zu beantragen (siehe 2. Kapitel B II 3 d gg, S. 68).

Beim Jugendamt können auch weitere Fördermaßnahmen wie beispielsweise die Kostenübernahme für Therapien, Sozialtraining, Hilfen zur Erziehung oder für eine heilpädagogische Tagesstätte beantragt werden (siehe 2. Kapitel B II 3 e ff, S. 74).

III. Sinnvolle Anträge – sofern noch nicht gestellt

10D. Das Ende der Schulzeit steht bevor – Möglichkeiten der beruflichen Ausbildung

In den letzten Schuljahren werden die Menschen mit Behinderung auf ein Berufsleben vorbereitet. In der Regel sind daher bei den Schulen für die letzten ein bis zwei Schuljahre sog. Werkstufe n eingeführt worden, die die Aufgabe haben, die Menschen mit Behinderung an eine berufliche Tätigkeit heranzuführen. Im Unterricht der Werkstufen wird daher mehr Gewicht auf die berufspraktischen Tätigkeiten, wie die handwerkliche, kaufmännische oder auch lebenspraktische Schulung gelegt.

Der Eintritt in die Werkstufe ist damit der Zeitpunkt, sich ganz konkret mit den Möglichkeiten einer Berufsausbildung bzw. dem Einstieg in das Arbeitsleben zu beschäftigen und zu informieren. Für eine Berufsausbildung bieten sich grundsätzlich die folgenden Möglichkeiten an:

Die Details der in Frage kommenden Ausbildungsmöglichkeiten sind im 2. Kapitel unter B II 3 h aa, S. 78 ff. ausführlich dargestellt.

Es sollte auch daran gedacht werden, bereits während oder gegen Ende der Schulzeit über verschiedene Schnupper-Praktika oder sonstige Angebote die in Frage kommenden Ausbildungsmöglichkeiten kennen zu lernen. Eine erste und wichtige Anlaufstelle für Informationen im Zusammenhang mit einer Berufsausbildung ist dabei die örtliche Bundesagentur für Arbeit (Arbeitsamt) .

11Die für die berufliche Eingliederung anfallenden Kosten übernehmen im Rahmen der Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben die Arbeitsämter (§ 112 SGB III).

Neben den allgemeinen Leistungen, die auch Menschen ohne eine Behinderung zustehen, sind zusätzlich besondere Leistungen für Menschen mit Behinderung vorgesehen. Diese Leistungen beinhalten etwa die Berufsvorbereitung einschließlich einer etwa wegen der Behinderung erforderlichen Grundausbildung oder die Vermittlung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Die in Frage kommenden Leistungen sind detailliert im 2. Kapitel unter B II 3 h bb, S. 81 ff. dargestellt und beschrieben.

E. Unser Kind wird volljährig

Der Eintritt der Volljährigkeit des Menschen mit Behinderung ist sowohl für ihn selbst als auch für seine Eltern ein wichtiger Zeitpunkt. Mit der Volljährigkeit beginnt ein neuer Lebensabschnitt des Menschen mit Behinderung. Die folgenden Veränderungen kommen auf das Kind und seine Eltern zu:

I. Eltern sind nicht mehr gesetzliche Vertreter ihres Kindes

Konnten bisher die Eltern aufgrund ihrer elterlichen Sorge als gesetzliche Vertreter dem Menschen mit Behinderung sämtliche Entscheidungen abnehmen und über seinen Lebensweg bestimmen, so fallen sie mit Eintritt der Volljährigkeit erst einmal automatisch als gesetzliche Vertreter weg. In rechtlicher Hinsicht haben die Eltern damit keine Möglichkeit mehr, Entscheidungen für ihr Kind zu treffen.

Grundsätzlich wird jeder Mensch mit Eintritt der Volljährigkeit geschäftsfähig und kann und muss Entscheidungen, die seine Person betreffen, selbständig vornehmen. Sofern jedoch eine Behinderung, insbesondere eine geistige oder seelische Behinderung vorliegt, kann es sein, dass mit Eintritt der Volljährigkeit zwar die Eltern als bisherige 12gesetzliche Vertreter wegfallen, der Mensch mit Behinderung jedoch nur eingeschränkt oder unter Umständen gar nicht geschäftsfähig wird.

Sofern Zweifel an der Geschäftsfähigkeit bestehen, kann es sinnvoll sein, beim zuständigen Betreuungsgericht, das regelmäßig beim zuständigen Amtsgericht angesiedelt ist, eine Betreuung für den Menschen mit Behinderung anzuregen.

Eine Pflicht für die Eltern, eine solche Betreuung anzuregen bzw. zu beantragen, besteht nicht. Den Eltern muss jedoch bewusst sein, dass sie ohne ihre Einsetzung als Betreuer durch das Betreuungsgericht ab Eintritt der Volljährigkeit keine verantwortlichen Entscheidungen mehr über ihr Kind oder dessen Vermögen treffen können. So kann es passieren, dass der behandelnde Arzt unter Hinweis auf seine ärztliche Schweigepflicht Eltern, die nicht als Betreuer eingesetzt sind, Auskünfte zum Gesundheitszustand ihres Kindes verweigert. Streng genommen müssten auch Banken Verfügungen der Eltern über eventuelle Bankkonten von volljährigen, nicht geschäftsfähigen Kindern mangels Vertretungsbefugnis zurückweisen. Weitere Informationen zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Betreuung notwendig und sinnvoll ist, finden sich im 3. Kapitel unter B, S. 239 f.

Eltern, die als gesetzliche Betreuer für ihr Kind eingesetzt sind, sollten nicht vergessen, am Ende jeden Jahres bis spätestens zum 31.3. des folgenden Jahres die ihnen zustehende pauschale Aufwandsentschädigung für ihre Tätigkeit als Betreuer in Höhe von 399 € beim Betreuungsgericht zu beantragen.

II. Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im  Alter und bei Erwerbsminderung

Mit Eintritt der Volljährigkeit kann das behinderte Kind regelmäßig Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII beanspruchen. Hierbei handelt es sich um Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalt es einschließlich der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung .

13Voraussetzung hierfür ist, dass der Mensch mit Behinderung aufgrund seiner Behinderung dauerhaft voll erwerbsgemindert ist, also nicht in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten. Das Vorliegen dieser Voraussetzung muss das zuständige Sozialamt bei Antragstellung überprüfen. Unbeachtlich ist dabei, ob das Kind noch die Schule oder den Berufsbildungsbereich einer WfbM besucht.

Weitere Voraussetzung für den Bezug von Leistungen der Grundsicherung ist, dass der Mensch mit Behinderung kein eigenes Einkommen oder Vermögen über dem Vermögensfreibetrag in Höhe von 5.000 € besitzt. Keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung besitzt der Mensch mit Behinderung, wenn einer seiner Eltern jährliche Einkünfte von brutto über 100.000 € hat. Auf das Vermögen der Eltern kommt es dabei nicht an.

Einzelheiten zur Grundsicherung finden sich im 2. Kapitel unter B I 1, S. 33 ff.

III. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft oder Eingliederungshilfe

Aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Kindes können möglicherweise die Freizeitangebote von Hilfen der offenen Behindertenarbeit (OBA) oder familienentlastende Dienste (FED) intensiver genutzt werden. Die Finanzierung erfolgt regelmäßig über Leistungen der Verhinderungspflege und den Entlastungsbetrag der Pflegekasse.

Wenn die Leistungen der Pflegekasse nicht ausreichen, könnten zusätzlich Leistungen der Eingliederungshilfe für eine Freizeitassistenz beim Sozialhilfeträger beantragt werden. Viele Städte und Landkreise geben auch als sog. Mobilitätshilfe beispielsweise Taxischeine aus.

Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass Leistungen der Eingliederungshilfe im Gegensatz zu Leistungen der Pflegekasse nur einkommens- bzw. vermögensabhängig gewährt werden. Darüber hinaus werden solche Leistungen der Eingliederungshilfe in der Regel auch 14sehr zurückhaltend bewilligt, so dass mit einem größeren Begründungsaufwand zu rechnen ist.

IV. Stärkerer Zugriff des Sozialhilfeträgers auf das Einkommen und das Vermögen des Kindes

Mit Eintritt der Volljährigkeit des Menschen mit Behinderung ergeben sich erhebliche Änderungen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen (siehe 2. Kapitel B II 4 b, S. 93 ff.). Zu beachten ist, dass der Mensch mit Behinderung mit Eintritt der Volljährigkeit bei bestimmten Sozialhilfeleistungen sein Einkommen und insbesondere sein Vermögen vorrangig einzusetzen hat.

Für Leistungen zur Deckung des Lebensunterhaltes wie Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gilt ein Vermögensfreibetrag von 5.000 €. Nur für Leistungen der Eingliederungshilfe wie Assistenzleistungen (z. B. Freizeitassistenz oder Studienassistenz) gilt aufgrund der Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) seit 1.1.2017 ein zusätzlicher Vermögensfreibetrag von 25.000 € und damit von insgesamt 30.000 €; ab 2020 von insgesamt ca. 54.800 €.

Diese unterschiedlichen Freibeträge wirken sich auch aus, wenn der Mensch mit Behinderung vollstationär in einer Behinderteneinrichtung lebt. Denn auch der Lebensunterhalt in der Behinderteneinrichtung wird vom Sozialhilfeträger finanziert, da der Bewohner in der Regel keine ausreichenden eigenen Einkünfte hat. Ein Vermögen oberhalb von 5.000 € muss dann zur Deckung des Lebensunterhaltes vorrangig eingesetzt werden. Liegt das Vermögen über dem Freibetrag von 5.000 € und dem zusätzlichen Freibetrag von 25.000 € für die Eingliederungshilfe, also insgesamt über 30.000 €, ist der übersteigende Teil für die Gesamtkosten der Einrichtung vorrangig einzusetzen. Die Gesamtkosten einer Behinderteneinrichtung belaufen sich häufig auf monatliche Beträge von über 4.000 €, so dass auch ein größeres Vermögen in kurzer Zeit bis auf die Vermögensfreibeträge aufgebraucht wäre.

15Für die Kosten einer WfbM oder Förderstätte wird jedoch kein Vermögenseinsatz gefordert.

Es macht daher keinen Sinn, wenn Eltern bis zum Eintritt der Volljährigkeit ihres Kindes Vermögen auf seinen Namen zu seiner späteren Absicherung und Versorgung ansparen. Das Kind sollte im Hinblick auf einen späteren Bezug von Sozialhilfeleistungen möglichst kein Vermögen besitzen. Vorhandenes Vermögen des Kindes sollte frühzeitig vor Eintritt der Volljährigkeit verbraucht werden.

Eltern sollten in diesem Zusammenhang besonders darauf achten, dass keine Ausbildungsversicherungen oder sonstigen Versicherungen zugunsten des Kindes abgeschlossen werden bzw. bestehen. Besitzen die Eltern Lebensversicherungen, sollten sie auch prüfen, dass sie das behinderte Kind nicht als Bezugsberechtigten oder Begünstigten der Lebensversicherung benannt haben. Denn im Falle des späteren Bezuges von Sozialhilfeleistungen würden eventuelle Versicherungsleistungen weitgehend angerechnet, so dass der Mensch mit Behinderung von diesen Versicherungsleistungen kaum profitieren würde.

V. Kostenbeiträge der Eltern für Sozialhilfeleistungen ihres Kindes

Mit Eintritt der Volljährigkeit verändern sich die Zuzahlungspflichten der Eltern für die von ihrem Kind beanspruchten Sozialhilfeleistungen.

Mussten die Eltern für ihr minderjähriges Kind für Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII, wie die Kosten eines Internatsaufenthaltes, in der Regel noch einen Kostenbeitrag in Höhe der sog. „häuslichen Ersparnis “ bezahlen, so reduziert sich ihre Zuzahlungspflicht mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes auf einen monatlichen Pauschalbetrag in Höhe von 32,75 € für ambulante Maßnahmen bzw. auf 57,94 € im Falle des Aufenthaltes ihres Kindes in einer Behinderteneinrichtung (siehe 2. Kapitel B II 4 c, S. 97 ff.).

Zu beachten ist, dass diese geringen Kostenbeiträge nicht gelten, wenn es sich um Leistungen für Kinder mit einer seelischen oder 16psychischen Behinderung nach dem SGB VIII handelt und das Jugendamt der zuständige Kostenträger ist. Das Jugendamt fordert deutlich höhere Kostenbeiträge (siehe 2. Kapitel B II 5 c, S. 109 ff.).

VI. Kindergeld

Hinsichtlich des Bezuges von Kindergeld ergeben sich für die Eltern keine Besonderheiten bei Eintritt der Volljährigkeit des Kindes. Soweit das Kind aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten, kann den Eltern das Kindergeld grundsätzlich in voller Höhe von monatlich 194 € lebenslang zustehen (siehe 2. Kapitel G I, S. 230 ff.).

VII. Vereinzelte rechtliche Schwierigkeiten bei Eintritt der Volljährigkeit

Die Versorgungsämter überprüfen in der Regel bei Kindern mit einer geistigen Behinderung oder mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen wie autistischen Syndromen mit Eintritt der Volljährigkeit das Vorliegen der Voraussetzung für das Merkzeichen „H“ (für hilflos ). Denn erst ab Vollendung des 18. Lebensjahres gelten in diesen Fällen die strengen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „H“. Die Versorgungsämter überprüfen dann, ob die Kinder infolge ihrer Behinderung im Alltag ständige Überwachung benötigen und damit als hilflos gelten. Bei Zweifeln an der Aberkennung des Merkzeichens „H“ sollten sich Betroffene mit einem Widerspruch oder auch einer Klage zur Wehr setzen.

VIII. Zeit des „Loslassens“

Für nicht behinderte Menschen beginnt spätestens mit Eintritt der Volljährigkeit die Lebensphase, in der sie sich von ihrem Elternhaus zu lösen beginnen und eigenständig über ihr Leben entscheiden können. Auch wenn dies für Menschen mit Behinderung nicht ohne weiteres möglich ist, sollte sich die Familie dennoch mit diesen Fragen beschäftigen. Der Eintritt der Volljährigkeit bzw. auch 17das Ende der Schulzeit sind daher Zeitpunkte, zu denen sich die Familie mit den Möglichkeiten eines selbständigen Lebens und Wohnens des behinderten Familienmitgliedes, unter Umständen auch in einer Behinderteneinrichtung, beschäftigen sollte. Angesichts der langen Wartezeiten bzw. Wartelisten ist es empfehlenswert, frühzeitig zu beginnen, sich einen Überblick über die in Frage kommenden Wohnmöglichkeiten zu verschaffen, und das Kind ggf. auch auf Wartelisten von geeigneten Einrichtungen vormerken zu lassen.

F. Unser Kind kommt in eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM)

bzw.bzw.