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Rudi Benzien

Pierre

ISBN 978-3-95655-967-9 (E-Book)

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

Das Buch erschien erstmals 1980 im Verlag Junge Welt, Berlin

 

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Bonjour; mes amies

Ihr müsst nicht lange raten, was das heißen soll: Bonjour, mes amies. Guten Tag, Freunde, heißt das.

Und ich heiße Pierre, Pierre Marchard, und ich lebe in Paris, der Hauptstadt von Frankreich. Eigentlich stimmt das nicht so ganz genau, denn ich wohne in Bobigny. Bobigny, davon werdet ihr noch nie gehört haben. Das ist eine Vorstadt von Paris.

Vom Eiffelturm, der mitten in Paris steht, fährt man zwanzig Minuten mit der Metro bis zur Endstation Eglise de Pantin und dann noch zehn Minuten mit dem Bus bis Bobigny. Unser Bobigny ist eine rote Vorstadt von Paris, die zum „roten Gürtel“ gehört. Was das ist, der rote Gürtel, das muss ich euch sicher erklären:

„Paris ist umgeben von Vorstädten, die fast alle von kommunistischen Bürgermeistern regiert werden. In den Vorstädten wohnen überwiegend Arbeiter, weil im Zentrum der Stadt die Mieten für die Wohnungen so teuer sind, dass kein Arbeiter sie bezahlen kann. Ja, und viele Arbeiter wählen die Kommunisten, deshalb ist Paris umgeben von einem Gürtel roter Vorstädte. So ist das!

Aber nun will ich erst einmal etwas von mir erzählen.

Ich werde bald elf Jahre alt und gehe in die fünfte Klasse. Gerade schlagen wir uns in Geometrie mit den Winkeln herum: rechter Winkel, stumpfer Winkel, spitzer Winkel, gestreckter Winkel …

Na ja, das geht ja noch, aber die Bruchrechnung, daran habe ich ganz schön zu knabbern. Manchmal denke ich, das begreife ich nie. Geschichte macht mir viel mehr Spass. Da sind wir gerade bei den alten Römern: Nero, Cäsar, Spartakus … Wenn ich damals gelebt hätte, dann wäre ich garantiert ein Freund von Spartakus gewesen.

Wisst ihr, dass ich wegen Spartakus gerade ein blaues Auge habe? Als ich meinem Vater erzählte, wie ich zu dem blauen Auge gekommen bin, da hat er gesagt: „Pierre, ich bin stolz auf dich und auf dein blaues Auge auch.“

Komisch findet ihr das?

Na, dann muss ich euch wohl die Geschichte erzählen, wie ich zu meinem blauen Auge kam.

Wie ich Spartakus war und gegen einen Löwen kämpfte

Also das war so:

In unserer Klasse sind nicht nur Kinder von Arbeitern.

Manche Väter sind Kaufleute, andere sind Angestellte. Und Charles’ Vater ist sogar Bauunternehmer, der viele Arbeiter für sich arbeiten lässt, ein dickes Bankkonto hat und an der Mittelmeerküste ein Sommerhaus besitzt, und vier Luxusautos hat er auch und noch ein schnelles Sportauto dazu. Dieser Charles ist ein ungeheurer Angeber und ein richtiger Aufschneider. Jeden Morgen wird er von einem Chauffeur mit einem der Luxusautos zur Schule gefahren, und nachmittags wird er auch wieder abgeholt.

„Zu Hause essen wir mit goldenen Bestecks, und wenn ich will, dann schickt mich mein Vater in den Ferien nach Amerika“, hat Charles neulich in der Pause gesagt. Richtig leiden kann diesen Charles eigentlich niemand in unserer Klasse. Nicht einmal die Kinder, deren Eltern keine Arbeiter sind. Aber wenn es hart auf hart kommt, dann hat er doch eine ganze Menge aus der Klasse auf seiner Seite.

Das ist nicht zu verstehen?

Das hat natürlich einen Grund:

Charles gibt jeden Monat bei sich zu Hause, in der Villa seines Vaters, eine Kinderparty.