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Joana Angelides

Eine Tote zu viel

Fiktion


Alle Personen und die Handlung sind frei erfunden, jedwede Ähnlichkeiten sind rein zufällig.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Die Tote in der Gruft.

 

Die Tote in der Gruft

 

PROLOG

 

In seinem Haus, am Waldrand im Thayatal nördlich von Wien, durchsuchte der Journalist Robert Staller einen Schrank auf der Suche nach einem alten Artikel, als plötzlich von einem Stapel ein paar Blätter zu Boden fielen. Er setzte sich auf den Holzboden um sie wieder einzusammeln und schmökerte sinnend darin. Sie waren aus einem niemals veröffentlichen Artikel vor mehr als dreißig Jahren! Der Artikel wurde damals von oben her verhindert, es gab Nachrichtensperre, sehr zu seinem Ärger. Er hatte die Geschichte damals zu einer Geschichte umformuliert und sich vorgenommen, diese irgendwann als fiktive Erzählung herauszubringen. Es kam niemals dazu! Die Geschichte verstaubte hier in seinem Archiv, wie so Vieles!

 

Er war damals ein junger aufstrebender Journalist, kurz nach dem Journalisten-Studium und Sabine arbeitete als Chemikerin im Labor des Allgemeinen Krankenhauses in Wien.

 

Es war ein grausiges Erlebnis, dass ihnen beiden jahrelang zu Albträumen verhalf, das Sabine niemals wieder im Dunkeln einschlafen ließ und bei ihm ein wenig den Glauben an den freien Journalismus zum Wanken brachte. Dieses Erlebnis war ihnen immer gegenwärtig, besonders, wenn er mit der U-Bahn fuhr! Er sah sie überall, die Ratten der Unterwelt einer Großstadt, wenn er durch Tunnels dabei fuhr und aus dem Fenster in die Dunkelheit starrte. Dann glaubte er wieder im Jahre 1977 zu sein, damals als die U-Bahn in Wien gebaut wurde; sie starrten ihn scheinbar noch immer hasserfüllt an.

 

Wie das Schicksal es eben so will, saß gleichzeitig Kommissar Georg Mahrer im Büro der Mordkommission in Wien an seinem Schreibtisch und hatte keine Ahnung, dass ihm diese Sache in Kürze schlaflose Nächte bereiten und ihn mit hilfloser Wut erfüllen wird. Er hatte schon sehr lange nichts von seinem Cousin Robert Staller gehört und dachte im Moment auch gar nicht an ihn!

 

 

Der schwarze Tod. Yestina pestis.

 

Wenn unter Städten, die Jahrhunderte Geschichtsträchtiges erlebt haben, sich Erdschicht auf Erdschicht gebildet hat, plötzlich mit Baggern und Maschinen eben diese Erdschichten aufgegraben und abgehoben werden, werden Kräfte frei, die sich das menschliche Gehirn gar nicht vorstellen kann und auch gar nicht möchte.

In hochmodernen Bürohäusern werden auf dem Reißbrett Pläne und Skizzen geschaffen, die in die Tiefen dieser niemals toten, nur oberflächlich schlafenden Unterwelt, das Eindringen planen, um Tunnels und U-Bahnen zu bauen.

Die Menschen in der pulsierenden österreichischen Hauptstadt Wien hatten keine Ahnung, welche schrecklichen Kräfte bereit sind, aus den Höhlen und natürlichen Gefängnissen auszubrechen um sich an der Oberfläche auszubreiten und Tod und Verderben zu bringen. Der Bau des U-Bahnnetzes weckte diese lauernden Kräfte und dunklen Geschöpfe jäh aus ihrem Halbschlaf.

 

Unter dem Dom zu St.Stephan verbergen sich Gewölbe aus frühchristlichen Zeiten. Gebeine wurden bei Grabungsarbeiten oder Umbauten immer wieder zu Tage gefördert, sodass sich die Arbeiter aus Aberglauben und Angst oft weigerten noch tiefer in die unübersichtlichen Gänge und Höhlen vorzudringen.

 

Bereits im Jahre 1137 n.Chr. wurde der Dom zu St.Stephan urkundlich erwähnt, doch ergaben spätere Forschungen, dass bereits seit dem Jahre 800. hier eine Kirche bestand, auf deren Grundmauern dann die heutige Kirche zu stehen kam. Die Archive der Kirche sind nicht für jedermann zugänglich und es ist in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder gelungen, stattgefundene, unheimliche Begegnungen oder unerklärliche Ereignisse oder Erscheinungen geheim zu halten.

Manche Menschen vermeinten in mondlosen und stürmischen Nächten Grollen und Brüllen aus den Tiefen der Katakomben gehört zu haben, manche führten sogar Todesfälle auf diese Wahrnehmungen zurück. Es kursieren unzählige, unheimliche und unerklärliche Geschichten und Sagen bis in die heutigen Tage.

 

Niemand hörte jemals auf die mahnenden Stimmen von Wanderpredigern, oder abtrünnigen Mönchen, die behaupteten, dass das Böse schlechthin tief unter den Gassen und alten Häusern hause und immer wieder aus Spalten oder Ritzen entwich. Sie predigten Verdammnis und Tod, Strafe Gottes für gottloses Leben und hielten so die zahlreichen Geschichten im Bewusstsein der Menschen am Leben. Heerscharen von Ratten und der Schmutz in den Strassen der Städte taten ihr Übriges dazu, um das Ausbrechen von allerlei Krankheiten zu fördern.

 

Und so kam es im Jahre 1679 zum Ausbruch der Pest in Wien. Denn das Böse, eine körperlose schwarze Masse mit unendlich verlängerbaren Armen und gierigen Fingern, das sich durch die Erde wühlte, verzweifelt Ausgänge und Schächte nach oben suchte, brach zuerst in der „Leopoldstadt“, einem Vorort der damaligen Stadt Wien aus, infizierte Ratten und Ungeziefer und schickte die todbringenden Boten so an die Oberfläche.

 

Dadurch, dass die Seuche über einen längeren Zeitraum im wahrsten Sinne des Worts, totgeschwiegen wurde, starben rund 100.000 Menschen daran; zuerst die Armen und Schwachen, bis sie dann schließlich auch die Salons und Paläste der Wohlhabenden erreichte und ausgiebige Ernte machte.

 

Ärzte schilderten sie in den Annalen als eine „Heimsuchung der Menschen mit Beulen, Drüsen-Karfunkeln, braunen und schwarzen Flecken, riesigen aufplatzenden Beulen, gefüllt mit stinkendem Eiter und Blut“ Die Menschen in der Stadt waren voll Entsetzen und in Panik. Noch dazu lagen die Leichen todbringend oft tagelang auf den Straßen, denn es fehlte an Siechenknechten und Totengräbern.

Durch die engen Gassen der Altstadt, am Dom vorbei wälzten sich die Menschenmassen, mit Karren voller Leichen und begruben sie in den vor der Stadt vorbereitenden Gruben, die eilig ausgehoben wurden. Die Leichen wurden einfach hinuntergekippt und man eilte davon.

 

Mit gierigen Armen und geifernden Mäulern wurden die Leichen von den bösen Kräften und Gestalten der Unterwelt darin aufgenommen und dienten dem Bösen als Nahrung und zur Vermehrung.

 

In den Nächten, so man sich ins Freie traute, konnte man auf den noch offenen Leichengruben unheimliche, schwarze Gestalten und Schatten mit funkelnden Augen tanzen sehen.

 

Diese Seuche konnte erst eingedämmt werden, als man begann, die Straßen und Häuser zu reinigen, keinen Unrat mehr einfach aus dem Fenster zu werfen.

Da mussten sich diese bösen Kräfte wieder in den Untergrund zurückziehen und auf ihre neue Chance warten.

 

Es vergingen Jahrhunderte, in denen sie als drohende geifernde Gefahr unter unseren Füßen lauerten und auf die Gelegenheit, nach oben zu kommen warteten.

 

Der moderne Mensch verweist diese Dinge natürlich in der Reich der Fabeln und Sagen und setzt sich über alle Warnungen der Wissenden hinweg. Beim Bau der geplanten U-Bahn wurden Baumaschinen, Riesenbagger und Erdbohrer eingesetzt und die Erde unter großem Getöse und intensiven Erschütterungen aufgewühlt. In dem auftretenden Lärm und dem Getöse gingen das Fauchen und Stöhnen dieser unterirdisch lauernden Bewohner der Stadt unter.

 

Im Zuge der Bauarbeiten entstand vor dem Dom ein riesiger Krater von ca. dreißig Metern Tiefe oder mehr. Es wurden Tonnen von Erde nach oben geschafft und mit ihr Extremente der Ratten und anderem Getier und Gewürm. Aus den entstandenen Erdspalten drang Ekel erregender Gestank in diese Luft und wurde von den Männern eingeatmet.

 

Auch als aus einem tiefen Hohlraum ein Heer von Ratten entwich, sich auf die Männer in den Overalls stürzten, wurden sie mit den modernsten Mitteln der Schädlingsbekämpfung getötet oder scheinbar vertrieben. Das Einzige was geholfen hätte, wäre Feuer gewesen, das wurde unterlassen! Rundum gingen die Menschen ahnungslos ihren Geschäften nach, saßen in den Kaffees und plauderten über Belangloses, während über ihnen der Hauch des Todes seine Bahnen zog.

 

 

 

Der Griff aus dem Grauen. Wien, 1977

 

Erschrocken fuhr Sabine in die Höhe. Das Telefon läutete ausdauernd und furchtbar laut.

 

Sie blickte auf die Uhr neben sich. Es war kurz nach zwei Uhr morgens.

Im Halbschlaf griff sie nach dem Telefon.

 

„Ja, wer stört?“

 

„Sabine, hier ist Robert. Ich brauche Deine Hilfe!“

 

„Weißt Du, wie spät es ist? Hat das nicht Zeit bis morgen früh?“

 

„Nein, wir stehen vor einer Katastrophe, tausende Menschen sind gefährdet und es soll vertuscht werden.“

 

Sabine war inzwischen hellwach geworden, hatte das Licht angemacht und saß am Bettrand. Warum überraschte sie dieser Anruf nicht wirklich? Es klang ganz nach Robert, immer dramatisch, immer enthusiastisch und immer übereifrig. Ein engagierter Journalist, der aber auch immer wieder in neue Schwierigkeiten taumelte.

 

„Robert, bist Du schon wieder dabei, etwas aufzudecken? Aber um Gottes Willen, wozu brauchst Du da mich, und noch dazu so mitten in der Nacht?“

 

„Was weißt Du über die Pest?“

 

„Die Pest? Bist Du verrückt, hast Du kein Internet um da nachzusehen?“

„Sabine, wir haben die Pest mitten in Wien, es gibt Tote und Erkrankte und alles soll vertuscht werden!“

 

„Das wäre ja eine Katastrophe, aber ich habe bisher davon nichts gehört und sitze doch einigermaßen mitten im Geschehen.“

 

„Es gab bereits drei Tote, die bereits beerdigt wurden, es waren alles Feuerbestattungen und weitere fünf Erkrankte liegen auf der Isolierstation der Uni-Klinik und werden mit Antibiotika behandelt.“

 

„Und was steht auf den Totenscheinen?“ fragte Sabine.

 

„Diphtherie, einfach Diphtherie. Ich habe keine Ahnung, was sie den Angehörigen über die näheren Umstände gesagt haben, ich finde es nur seltsam, dass alle drei Verstorbenen eine Feuerbestattung bekamen! Das kann doch kein Zufall sein!“

 

Sabine dachte kurz nach.

 

„Wenn das stimmt, dann ist das tatsächlich seltsam. Gibt es denn einen Zusammenhang oder eine Verbindung zwischen den erkrankten Personen?“

 

„Ja, es sind ausschließlich Bauarbeiter und Techniker von der U-Bahn-Baustelle am Stephansplatz, die in derselben Nacht Dienst hatten. Man hat heute Morgen die Arbeiten vorübergehend, mindestens für einige Stunden, ausgesetzt und die Baustelle gesperrt.“ Sagte Robert.

 

„Mit welcher Begründung?“

 

„Technische Probleme und Prüfung. Aber wenn sie Gerede vermeiden wollen, müssen sie sie bis spätestens morgen früh wieder öffnen!“

 

„Robert, ich habe da einen Studienkollegen, der arbeitet im Gesundheitsamt. Den werde ich anrufen, vielleicht weiß er irgendwas. Aber nicht jetzt, mitten in der Nacht, morgen früh! Gute Nacht!“

 

„Das kannst Du Dir sparen, sie mauern! Zieh Dich an, ich hole Dich ab und wir schauen uns das an Ort und Stelle an der Baustelle direkt an“.

 

„Bist Du verrückt? Da gibt es wohl Einiges, das dagegenspricht. Erstens wird die Baustelle sicher bewacht sein, zweitens könnte es für uns ebenfalls gefährlich sein, uns dort irgendwelchen Seuchen, es muss ja nicht gleich die Pest sein, auszusetzen; und drittens riskiere ich meine Anstellung im Labor der Uni-Klinik!“

 

„Also, wenn es doch die Pest sein sollte, dann ist das alles völlig gleichgültig. Du wohnst keine hundert Meter von der Baustelle entfernt, kannst sie sogar sehen, und Du bist sicher bereits infiziert! Wir steigen da einmal hinunter und nachher gehen wir in dein Labor und Du spritzt uns ein Gegengift!“

 

Sabine musste lachen, ja so stellte es sich der kleine Moritz vor!

 

„Sabine, bitte versuche doch einmal, über Deinen eigenen Schatten zu springen, hast Du gar keine Eigeninitiative, keine Abenteuerlust?“

 

„Robert, Du übertreibst wieder einmal maßlos! Aber OK, ich werde mir das mit dir ansehen, wie lange brauchst Du, bis Du hier bist?“

 

„Ich stehe vor deiner Haustüre, ziehe auf jeden Fall Gummistiefel an“, sprach Robert und klickte sich weg.

 

Seufzend erhob sich Sabine, nicht ohne einen sehnsüchtigen Blick auf den Pölstern zu werfen und suchte ihre Jeans und ein T-Shirt mit Jacke zusammen, zog auch die erwähnten Gummistiefel an.

 

Ihre Wohnung lag tatsächlich im Zentrum der City, keine 100 Meter vom Dom entfernt. Nachdenklich blickte sie in den Spiegel beim Stiegenabgang. Sollte tatsächlich aus der Tiefe der Baugrube etwas so Grauenhaftes wie die Pest entwichen sein und einfach einige Menschen befallen haben? War die Pest ein Wesen, hat sich der schwarze Tod hier materialisiert!

 

Als sie vor das Haus trat, löste sich der Schatten Roberts aus dem Torbogen vom gegenüberliegenden Haus. Er war ebenfalls mit einer Jacke mit Kapuze und Gummistiefeln, sowie dem für Robert unvermeidlichen Fotoapparat bestückt.

 

Sie nickten sich stumm zu und Robert ging sofort in Richtung des schwach beleuchteten Platzes vor dem Dom.

 

Es war gespenstig ruhig, niemand war zu sehen. Sabine begann bereits zu bedauern, Robert nachgegeben zu haben. Aber irgendwie reizte das ihre Abenteuerlust und ihre Neugierde doch.

 

Robert gab den Weg vor. Er drückte sich an die Hausmauern gegenüber dem Dom, um an seine Rückseite zu kommen. Dort war es dunkler als an der Vorderseite und dann lief er, geduckt über den kleinen Platz und drückte sich an die Mauer der Kirche.

 

Sabine war stehen geblieben und blickte sich suchend um. Es war niemand zu sehen. Immerhin war es ja inzwischen fast drei Uhr morgens,

 

„Komm herüber“, rief Robert leise und winkte ihr zu.

 

Wie von Geisterhand gestoßen, lief nun auch Sabine geduckt zur Kirche hinüber und drückte sich ebenfalls an die Mauer neben Robert.

 

Sie schlichen sich nun, Robert voran, langsam zur Vorderseite und der Baugrube immer näher.

 

„Hörst Du auch was?“, murmelte Robert

 

Tatsächlich konnte Sabine ein Geräusch wahrnehmen, es war das schwere, mühsame Atmen eines Lebewesens, das anscheinend mit dem Tode ringt.

„Es ist der Hauch des Todes!“, flüsterte Robert.

 

„Sei nicht so kindisch, das wird ein Wind sein“, sagte Sabine, doch es kam auch ihr ein wenig unheimlich vor.

 

 

Sie hatten inzwischen die hölzerne Umrandung der Baugrube erreicht und blickten hinunter. Von hier oben erschien sie sehr tief und eigentlich drohend, musste Sabine zugeben.

 

Robert hatte sich in der Zwischenzeit gebückt und war durch die Absperrung in den inneren Kreis der Baustelle vorgedrungen. Von einer Wache war nichts zu sehen. Nur die Baumaschinen, die am Grund der Grube standen, waren mit Warnleuchten schwach beleuchtet, man konnte kaum ihre Konturen sehen.

 

Ich muss verrückt sein, da mitzumachen! Sabine schüttelte den Kopf über sich selbst, tat es Robert jedoch gleich.

 

„Hier ist eine Leiter, komm und gib Acht, dass Du nicht abstürzt!“ Robert war bereits die Leiter einige Sprossen abwärts geklettert.

 

Dieser dumpfe Ton des schweren Atems verstärkte sich. Es war auch ein leises, gleichmäßiges Klopfen zu hören. `Wie ein Herzschlag`, dachte Sabine nachdenklich, doch es war sicher nur eine Pumpe, die vielleicht irgendwo Wasser abpumpte, beruhigte sie sich gleich selbst.

 

Sie kletterten nun schweigend abwärts, bis sie endlich am Grund der Baugrube standen. Es erschien ihnen alles überwältigend, überdimensioniert.

 

Sabine war nun froh, Roberts Ratschlag gefolgt zu sein und Gummistiefel anzogen zu haben, denn der Boden war feucht, mit Wasserlachen übersät und rutschig.

 

„Merkst Du, dass die Luft hier schwer zu atmen ist und nach Verwesung riecht?“ Robert hatte seine Stimme gesenkt, als wollte er niemand wecken.

 

„Naja, ja irgendwie schon, aber wir sind ja eigentlich unter dem Niveau der Straße und da ist eben alles feucht“, Sabine wiegte den Kopf hin und her.

 

Plötzlich nahmen sie ein seltsames Geräusch wahr. Es war als würde man eine große Menge von Menschen essen und schmatzen hören, als würden tausend Füße in eine Richtung laufen. Und da kamen sie, es mussten Hunderte sein. Es waren große, fast schwarze Ratten, ihre Augen leuchteten in der Dunkelheit. Sie kamen aus Erdlöchern, aus Spalten und hinter den Baumaschinen hervor. Es war, als würden sie nur auf sie gewartet haben. Die spärlichen Lampen der Notbeleuchtung machten, dass ihre Augen glühten.

 

Sabine und Robert ergriffen in ihrer Panik herumliegende Eisenstangen und Holzlatten und schlugen auf die Tiere ein. Sabine sah entsetzt, dass sich eines der

Tiere am Rücken von Robert festgekrallt hatte und schlug mit voll Wucht zu. Sie hätte Robert fast zu Fall gebracht, doch das Biest ließ doch los und sprang nach unten.

 

„Wir sollten schleunigst nach oben verschwinden“, rief Sabine. Doch die Ratten hatten sich nun am Rande der Grube zurückgezogen und blockierten den Weg zur einzigen Leiter, die aus der Baugrube nach oben führte.

 

Sie hatten sich gegenüber mit dem Rücken zur Wand gestellt und hielten ihre einzigen Waffen, die Eisenstangen und Holzlatten drohend erhoben in den Händen hoch.

 

„Sie sind klug, sie beobachten uns und warten auf ihre Chance!“, flüsterte Robert.

Das dumpfe schwere Atmen verstärkte sich kontinuierlich und drang von überall herbei, es kam aus den Wänden und Rissen und Spalten des sie umgebenden brüchigen Erdwalles. Aus verschiedenen Ritzen drang eine schwarze zähflüssige Masse, die sich am Boden formierte und langsam in ihre Richtung kroch.

 

„Was ist das?“, die Stimme Sabines war nun schrill und man hörte, dass sie Angst bekam.

 

„Ich weiß es nicht, doch es stinkt schrecklich und scheint intelligent zu sein, es versucht, uns einzuschließen, uns hier festzunageln!“. Auch Robert spürte, wie Panik und Kälte langsam von seinen Zehen beginnend, seine Beine aufwärts krochen. Nun begannen die Ratten wieder diese schmatzenden Geräusche zu machen und es kam Bewegung in die homogene Masse der Tierleiber. Sie formierten sich wieder zum Angriff.

 

„Sie kommen, oh Gott, sie kommen wieder!“ Robert verlor nun ebenfalls völlig die Fassung und versuchte in seiner Angst die feuchte, abbröckelnde Wand der Baugrube zu erklimmen.

 

„Wir haben nur eine Chance, wenn wir vielleicht die Baumaschinen erreichen und uns in einer der Kabinen einschließen könnten“, Sabine versuchte ruhig zu bleiben, „ich verstehe das nicht, Du wolltest ja da runter und erforschen, was da lost ist und jetzt hast Du Angst?“

 

„Ja, Du hast ja recht, aber ich erwartete nicht, so frontal damit konfrontiert zu werden. In den Baumaschinen sind wir nicht sicher, die sind nach unten hin offen. Sag, wenn uns diese Biester beißen und infizieren, gibt es da ein Gegengift?“

 

„Ja, ja beruhige Dich doch, sollten sich die ersten Anzeichen von Pest zeigen. Husten und Bläschen im Mund, wird Antibiotika verabreicht und Du kommst in Quarantäne. Unbehandelt ist es sicher tödlich. Wahrscheinlich ging es den drei Toten aus irgendeinem Grund so und sie wurden Tage vorher schon von den Ratten gebissen. Man kann nur hoffen, dass sie niemand infiziert haben! Aber die, die in der Intensivstation liegen, werden sicher wieder gesund.“

 

Das wirkte beruhigend auf Robert.

 

Sie hatten inzwischen den großen Tunnel, der ins Erdinnere führte erreicht und drückten sich dort wieder an die Wand. Aus der Finsternis formierte sich plötzlich ein schwarzer Schatten, der sich nach oben hin verbreiterte und nun drohend über ihnen, wie der berühmte Geist aus der Flasche, schwebte.

 

„Da vorne Sabine, siehst Du das?“ flüsterte Robert.

 

„Ja, ich sehe einen Schatten, wie er sich vorwärtsbewegt. Im Lichte der Taschenlampen verändert er seine Gestalt dauernd“, flüsterte Sabine zurück.

 

„Oh nein, es ist nicht das Licht, der Schatten verändert wirklich seine Gestalt. Manchmal ist er hoch aufgerichtet, dann wieder zerfließen die Konturen und sein unteres Ende bewegt sich am Boden dahin. Es sieht aus, als wäre es eine homogene Masse, die sich so fortbewegt“. Robert richtete den Strahl der Lampe wieder nach vorne. Keuchend machte er einen Schritt zurück und die Lampe entglitt seiner Hand. Diese schwarze homogene Masse hielt inne, drehte sich um und aus der dunklen Masse starrte ihnen ein Totenkopf aus leeren Augenhöhlen mit aufgerissenem Mund entgegen. Aus dem Mund kam grauer Schleim heraus, der Hauch der Pestilenz lag in der Luft.

 

Die Arme des Schattens wurden dünner, aber dafür länger und wuchsen ihnen entgegen, als würde er nach ihnen greifen wollen. Am Boden breitete sich diese dunkle teerähnliche Masse immer mehr aus und erreichte fast ihre Beine. Sie schrieen und wichen zurück, vergessend, dass draußen in der Baugrube die Ratten auf sie warteten.

 

Sie tasteten sich langsam weiter und fanden plötzlich den Eingang in einen längeren Nebengang, in dem sie einbogen, von dem bedrohlichen Schatten sich fortbewegend.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Binnen kurzer Zeit waren dann einige Polizeiautos und ein Rettungswagen da.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Noch im Morgengrauen konnten Sabine und Robert durch die zugezogenen Gardinen die anrückende Feuerwehr sehen, konnten beobachten wie eine größere Mannschaft in die Baugrube stieg. Sie warfen zusätzliche Strickleitern hinab. Die Männer waren mit schwarzen Schutzanzügen bekleidet, hatten Sauerstoff-Flaschen am Rücken und Flammenwerfer in den Händen. Der Graben, die Kärntnerstraße und die Singerstraße, Seitengassen des Platzes, wurden abgesperrt, um sämtliche Neugierigen fern zu halten.

Sie bekämpften offenbar die Ratten, die zweifellos vorhandenen dunklen Schatten und die sich ausbreiten wollenden, unheimlichen schwarzen Massen mit Feuer.

 

 

Auf Seite drei, als fast unscheinbare Nachricht, konnten sie Folgendes lesen:

„Aufgrund von Wasser- und Schlammeinbrüchen bei der U-Bahn-Baustelle am Stephansplatz, wurde diese für zwei Tage gesperrt. Immer wieder dringen Erdmassen und Wasser nach. So werden die Wände nun mit Beton und Bitumen ausgekleidet. Durch Unachtsamkeit ist auch ein kleiner Brandherd entstanden, der jedoch von der Feuerwehr sofort unter Kontrolle gebracht werden konnte.“

Sabine stocherte in ihrem Essen herum, sie hatte plötzlich keinen Appetit mehr.