Rote Welle. Kein anderes Phänomen schafft es, jemanden so aus der Ruhe zu bringen wie rote Ampeln in Zeiten allergrößter Eile. Ich habe eine ungefähre Vorstellung davon, wie ich zur HoferEvents-Agentur komme - doch der Weg dorthin ist - ebenso wie diese Stadt - völlig neu für mich.
Ich bin erst seit knapp einer Woche in Hamburg. Ich höre meine Mutter schon meckern … Wieso bist du die Strecke nicht vorher schon mal abgefahren? Nur um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein! Warum nur bist du immer so unorganisiert? Also von mir hast du das nicht …
Ja, ja, meine Mutter. Die ich so sehr liebe - aber am innigsten, wenn sie kilometerweit von mir entfernt ist. Das habe ich ja hiermit erreicht. Mit dem Sprung vom tiefsten Ruhrgebiet nach Hamburg. Ein Blick auf die Digitaluhr neben meinem Tacho zeigt, dass ich noch 10 Minuten habe - 10 Minuten, um anzukommen, einen Parkplatz zu finden und meinen Job zu beginnen.
Mein neuer Job. Ich bin ordentlich nervös und klopfe mit den Fingern auf meinem Lenkrad herum, als würde die Ampel dadurch schneller von Rot auf Grün wechseln.
Die vergangene Woche habe ich damit verbracht, meinen Kram in meine neue kleine Wohnung nach Hamburg zu schaffen, nur um dann schließlich doch in Selbstmitleid zu zerfließen.
Jetzt beginnt also das Selbstmitleid. Und das ist das allerschlimmste Gefühl nach einer gescheiterten Beziehung.
Frei nach dem Motto: Wieso bin ich eigentlich immer die Blöde? Herrlich! Immerhin hat Tim doch mich belogen und betrogen, dass sich die Balken biegen.
Und er hat zum guten Ende noch mal alle Register gezogen, um mich doch noch von sich zu überzeugen. Er hat vor meiner Tür gesessen, hat mir Blumen geschickt, Dutzende Male angerufen. Immer wieder ein neuer Versuch, mich mürbe zu bekommen.
Ich nahm Tims Anrufe nicht mehr entgegen, zog die letzten Tage vor meinem eigentlichen Umzug nach Hamburg noch in Tamaras Haus, besorgte mir eine neue SIM-Karte für mein Handy.
Er hat sogar damit begonnen, mir Briefe zu schreiben.
Mit Tinte. Schick.
Noch mehr salbungsvolle Worte, nur eben handschriftlich. Oh ja, da ist ein Poet an ihm verloren gegangen … Glaube mir, wir schlafen schon lange nicht mehr miteinander … Ich habe vor, sie zu verlassen, es gab nur noch nicht den richtigen Zeitpunkt … Sie kann dir nicht annähernd das Wasser reichen … Du musst mir einfach glauben, ich liebe nur dich. Verzeih mir …
Nein, ich verzeihe ihm nicht. Mein Umzug nach Hamburg macht die Sache komplett - rücken Sie vor bis auf LOS.
Es gibt Zeiten im Leben einer Frau, da muss man alles auf eine Karte setzen. Heute werde ich ja erfahren, was mein Pokerface wert ist. Von der Werbeagentur in eine Eventagentur? Das wird schon schiefgehen.
Mein neues Arbeitgebergebäude verfügt zu meinem ganz persönlichen Glück über direkte Parkplätze vor dem Haus. Ein letzter Blick in den Rückspiegel, um noch schnell meinen Pony in die richtige Position zurückzufrisieren und meine praktischen Autofahrer-Ballerinas mit diesen unglaublich scharfen und tiefroten zehn Zentimeter hohen Peeptoes zu tauschen, die ich mir gestern in einem Anflug von Größenwahn gekauft habe.
Frustkäufe helfen manchmal dabei, schmerzende Wunden zu lecken, und zudem beruhigt sinnloses Geldausgeben beizeiten auch noch die Nerven. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass ich es ohne peinliche Zwischenfälle in die Chefetage schaffe. Denn so sexy diese Schuhe auch aussehen, im Sitzen sind sie definitiv bequemer. Aber welche Wahl habe ich? Ich werde vermutlich zu spät erscheinen, also bleibt mir nur der Weg, über meine Schuhe Eindruck zu schinden.
Meinen eigentlichen Chef habe ich nämlich noch gar nicht kennengelernt.
Mein offizielles Vorstellungsgespräch hatte ich während einer Messeveranstaltung - mit eben der Mitarbeiterin, die ich nun für mindestens zwei Jahre vertreten soll. Alexander Hofers Agentur hatte dort ein Event ausgerichtet und so traf es sich, dass ich auch direkt einen Einblick in mein neues Tätigkeitsfeld erhalten habe. Besagte Mitarbeiterin würde in drei Monaten in Elternzeit gehen und mich bis dahin einarbeiten. Und wie ich Paula verstanden habe, lässt er seinen Angestellten gerne freie Hand, daher war auch sie es, die ihre Mutterschaftsvertretung selbst auswählen durfte.
Ich würde vielleicht gar nicht so eng mit ihm zusammenarbeiten. Hauptsache, ich kann meinen letzten Job und den dazugehörenden Chef hinter mir lassen und muss nicht mehr so oft darüber nachdenken, dass Männer allesamt das Letzte sind, was Frauen brauchen, um glücklich zu sein.
Und für den Rest gibt es - Gott sei gepriesen - Vibratoren und Batterien.
Der Eingangsbereich des mehrstöckigen Bürogebäudes ist großzügig und hell. Deckenhohe Fenster fluten die Lobby mit Licht und Luft. Eine bequeme Sitzgruppe aus weißem Leder beherrscht den hinteren Teil des Foyers. Ein Zeitungsständer mit tagfrischen Neuigkeiten lädt die Wartenden zum Sitzen und Schmökern ein. Mehrere Firmen- und Hinweisschilder weisen dem unwissenden Besucher den Weg durch dieses Gebäude. Vom Arzt bis zum Rechtsanwalt. In diesem Haus werde ich wahrscheinlich alles finden, um in Hamburg zu überleben.
Meine Schuhe klackern über die schwarzen, auf Hochglanz polierten Marmorfliesen. Ich würde hier nicht putzen wollen, wenn das Wetter umschlägt, geht es mir irrsinnigerweise durch den Kopf.
Die Dame hinter dem tipptop aufgeräumten, in irgendeinem dunklen Edelholz gehaltenen Empfang schmettert wichtig und geräuschvoll in die Tasten ihres PCs und nimmt mich erst zur Kenntnis, als ich unmittelbar vor ihrem Tresen stehen bleibe.
„Bitte? Was kann ich für Sie tun?“ Sie dreht sich in meine Richtung und schürzt ihre knallroten Lippen, während sie ihre perfekt manikürten Finger über der Tastatur schweben lässt, die sie eben noch malträtiert hat.
Ihr perfekt gestylter Bob lässt mich wünschen, dass sie nur mal ein Auge auf meine sündigen Schuhe werfen könnte. Unter ihren ultralangen Wimpern wirft sie mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann.
Wow, diese Wimpern sind niemals echt. Ganz bestimmt nicht …
Fast wünsche ich mir, ich hätte mir mit meinem eigenen Make-up mehr Mühe gegeben. Aber leider zählt das nicht zu meinen Stärken. Ich gehöre nicht zu der Sorte Frau, die sich Hochglanzmagazine kauft, nur um an die neuesten Schminktipps zu kommen und diese mithilfe der Uservideos von Youtube direkt an sich selbst auszuprobieren. Ich bin einfach nicht ausgeglichen genug, um mich mit solchen Dingen zu beschäftigen.
Ich bemerke, wie ihr Blick auf mir festfriert.
Ich habe sie wohl angestarrt.
„Bestimmt können Sie mir sagen, in welcher Etage ich die HoferEvents-Agentur finden kann?“ Ich zeige ihr mein schönstes Lächeln. Es gibt Momente, da bin ich meiner Mutter äußerst dankbar, dass sie auf das Tragen einer Zahnspange bestanden hat und sich nicht durch mein pubertäres Gezänk hat beeindrucken lassen.
„Wenn Sie mir Ihren Namen verraten wollen, könnte ich Sie sogar dort anmelden.“ Überheblich verzieht sie ihre Lippen.
Ich wünsche ihr wirklich nicht, dass sie sich den Lippenstift verschmiert.
Mit diesem anmaßenden Gesichtsausdruck, den sich Empfangsdamen zu Eigen machen, wenn sie dir nicht direkt sagen können, dass du die Regeln nicht wirklich verstanden hast, mustert sie mich abwartend.
Ich passe meinen Gesichtsausdruck dem ihren an. Sie scheint noch nicht zu ahnen, dass sie mich ab heute jeden Morgen zu Gesicht bekommen wird.
„Aber natürlich. Sommer. Pia Sommer. Ich bin eine neue Mitarbeiterin.“
Sie zieht eine ihrer perfekt geformten Augenbrauen hoch.
Oh, da ist es mir wohl gelungen, sie zu überraschen.
Mein Lächeln wird eindeutig breiter.
Nur einen Sekundenbruchteil später tippen ihre perfekt manikürten und lackierten Fingernägel eine Nummer in eines dieser unzähligen Telefone.
Ich gestehe, ich habe ein wenig Ehrfurcht. Dass man es schaffen kann, jedes einzelne dieser Geräte seinem Zweck zuzuordnen, verlangt mir Respekt ab.
Und dann kann ich mich nur immer wieder wundern, dass man mit solchen Fingernägeln überhaupt noch etwas anderes tun kann, außer sich damit durch die Haare zu kämmen.
Gut, aber auch das ist wahrscheinlich alles eine Frage der Übung.
Etwas zu herablassend mustert sie mich aus dem Augenwinkel, während sie darauf wartet, dass sich jemand am anderen Ende der Leitung meldet.
Als wenn ich das nicht mitbekommen würde. Alte Schnepfe.
Ich entspreche wohl nicht ganz ihrem Ideal.
Dann presst sie sich ihr Headset fester ins Ohr, „Paula? Hier unten steht eine Pia Sommer und behauptet, sie sei eine neue Mitarbeiterin? … Ja? … Ja, ist gut. Ich schicke sie zu dir hoch.“
Sie beendet das Gespräch und sendet mir wieder dieses Empfangsdamen-Lächeln über den Tresen.
„Frau Jansen erwartet Sie. Bitte in die 4. Etage“, näselt sie mir entgegen.
„Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Hilfe.“ Mein Lächeln verursacht mir langsam Gesichtskrämpfe.
Auf dem Weg zu den Aufzügen hoffe ich, dass sie doch noch einen Blick auf meine Schuhe wirft. Schaden kann es nicht.
Innerlich bete ich, dass die Damen des Hauses hier nicht alle so blasiert daherkommen. Ich verspüre nicht die geringste Lust auf Zickenterror.
Der Lift ist innen verspiegelt, sodass ich auf dem Weg in die 4. Etage noch einmal schnell mein Aussehen kontrollieren kann. Mein graues Etuikleid wirkt nicht zu sportlich und nicht zu aufgesetzt. Das Wetter hat mich auf eine dickere Jacke verzichten lassen. Und die Schuhe …, jaha, die Schuhe sind der absolute Wahnsinn.
Der Einfachheit halber habe ich meine Haare zu einem tiefen Chignon gebunden.
Vielleicht hätte ich doch noch zum Frisör gehen sollen? Aber mein Pony zeigt sich ausnahmsweise mal kooperativ und liegt wie vorgesehen brav und ordentlich auf meiner Stirn. Mit den Händen massiere ich mein verkrampftes Gesicht. Ich hätte das mit dem Lächeln nicht so übertreiben sollen.
Zur Feier des Tages habe ich sogar versucht, all mein Hab und Gut in eine Handtasche zu quetschen, und bete inständig zum lieben Gott, dass ich das Ding heute nicht öffnen muss. Als Chaotin, welche ich ja nun mal bin, fürchte ich den Springteufeleffekt, sollte sich heute irgendwer zu nah an sie heranwagen. Ich könnte es mir wirklich nicht verzeihen, wenn gleich an meinem ersten Arbeitstag jemand sein Augenlicht verliert, nur weil zum Beispiel meine Bürste einen nicht vorhergesehenen Weg aus meiner Tasche findet.
Die aufsteigende Nervosität versuche ich wegzuatmen, als der stählerne Fahrstuhl mit einem Pling seine Türen öffnet.
Okay, mehr, als mich direkt wieder zu feuern, können sie auch nicht.
Wie versprochen steht Paula Jansen bereit, um mich in Empfang zu nehmen. Sie hat seit unserem letzten Treffen ein wenig zugelegt, was ich aber ihrer fortschreitenden Schwangerschaft zuspreche. Ihr rötliches, schulterlanges Haar trägt sie offen und ihr minimalistisches Make-up macht sie in meinen Augen noch sympathischer, als ich sie sowieso schon finde.
Sie trägt eine dunkelblaue Chino zu einer cremefarbenen Seidenbluse und strahlt mich an. Trotz meiner Gesichtskrämpfe strahle ich zurück.
„Hallo Pia, ich bin froh, dass Sie da sind.“ Vertraulich hakt sie sich bei mir unter und zieht mich in den ausladenden Flur der Agentur. Gleich bei unserem ersten Treffen haben wir uns auf Anhieb gut verstanden und sind direkt zum Vornamen-Gesieze übergegangen.
„Danke, ich freue mich auch, dass ich endlich hier bin.“ Mein Blick wandert neugierig umher. Der Eingangsbereich der HoferEvents-Agentur ist weiträumig und hell. Alles leuchtet in strahlendem Weiß mit Akzenten aus Chrom und Licht.
Kühle Eleganz.
An den Wänden hängen separat beleuchtete Schwarz-Weiß-Fotografien der Hamburger Speicherstadt. Große Besprechungszimmer liegen direkt neben einem Empfangstresen und die einzelnen Büros der Mitarbeiter gehen von dem langen Flur ab, der sich nach links und rechts vom Aufzug erstreckt. Paula gibt mir einen Moment Zeit, die Eindrücke auf mich wirken zu lassen.
Hier werde ich also ab sofort arbeiten. Ein zufriedenes Gefühl macht sich in mir breit. Der erste Eindruck ist ja bekanntlich der wichtigste. Zumindest, wenn man der Allgemeinheit Glauben schenken möchte. Und ich bin vorerst überzeugt von diesem ersten Eindruck.
Aus einem der unzähligen Büros kommt eine junge Frau in meinem Alter und geht lächelnd auf uns zu, als sie uns im Flur erblickt.
Ihre kurzen blonden Haare wirken völlig durcheinandergeraten, ganz so, als wäre sie soeben erst aus dem Bett gekrochen. Die rote Haremshose schmeichelt ihrer schlanken Figur und ein silbernes Fußkettchen bimmelt bei jedem ihrer Schritte. Mutig, aber ihr steht es. Paula winkt sie zu uns und stellt mich vor. „Hanna, das ist Pia Sommer. Sie wird mich während meiner Elternzeit vertreten. Und Pia, das ist Hanna Seiler. Sie kümmert sich hier unter anderem um die Buchhaltung.“ Sie lässt das Gesagte bei uns ankommen, ehe sie an mich gerichtet weiterspricht: „Wenn Sie irgendetwas brauchen sollten oder eine Frage haben, dann ist Hanna genau die richtige Ansprechperson für Sie.“
Wir reichen uns die Hände zur Begrüßung.
„Hallo, Frau Sommer, ich hoffe, es gefällt Ihnen bei uns.“ Ich bin positiv überrascht über ihren festen Händedruck. „Frau Sommer ist meine Mutter. Bitte nennen Sie mich Pia. Und ja“, ich mache eine allumfassende Armbewegung, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, „es gefällt mir bis jetzt ausgesprochen gut hier.“
„Das höre ich gerne, Pia.“ Sie zwinkert mir aufmunternd zu, und ich schließe auch sie augenblicklich in mein Herz. „Und ich bin Hanna. Wir sehen uns bestimmt später mal in der Kaffeeküche.“ Damit verschwindet sie hinter einer der vielen noch namenlosen Türen auf diesem Flur.
Paula führt mich noch durch einen Teil der Büros und stellt mich allen vor. Ich kann mir die Namen und jeweiligen Funktionen natürlich nicht sofort merken, gehe aber davon aus, dass das nur eine Frage der Zeit sein wird.
Neben der Buchhaltung gibt es noch die Kreativen, die IT-Nerds und eine Aushilfe, die sich um die eingehende und ausgehende Post kümmert. Auch besagte Kaffeeküche bekomme ich zu sehen.
„Hier sind unsere Getränke - vom Wasser bis zum Tee. Bitte bedienen Sie sich an allem, wonach Ihnen der Sinn steht. Den Kühlschrank können Sie auch gerne als Zwischenlager benutzen - nur bitte alles namentlich markieren, wenn Sie es später wirklich noch vorfinden möchten.“
Paula öffnet die Tür der riesigen Gefrier- und Kühlschrankkombination mit integriertem Eiswürfelbereiter.
Ganz großes Kino!
Es herrscht ein herrliches Durcheinander an Plastikdosen, Joghurtbechern und Getränkeflaschen - alles fein säuberlich gespickt mit gelben Post-its, versehen mit dem Namen des jeweiligen Eigentümers. Ich muss lachen bei diesem Anblick. Es erinnert mich doch sehr an den Kühlschrank einer Wohngemeinschaft.
Meine neue Kollegin schließt die Tür wieder und grinst. „Für alles, was keinen Namen trägt, findet sich hier in jedem Fall ein Abnehmer. Aber das werden Sie schon noch merken!“, ergänzt sie verschwörerisch.
Ich drehe mich langsam einmal um mich selbst. Diese Küche ist, wie auch alles andere hier, auf dem neuesten Stand der Technik und topmodern. Die dunkelgraue Front in Hochglanz, der Herd mit Vier-Platten-Induktionsfeld und zwei Gaskochfeldern, sowie ein Einbaubackofen in bequemer Höhe.
Bloß kein Neid, Pia!
Genauso eine Küche wünscht sich wohl jedes Mädchen, wenn es mal groß ist. Sie soll uns einfach nur glücklich machen mit all diesem schicken Schnickschnack. Insgeheim frage ich mich, ob schon jemals irgendjemand an diesem Traum von Herd den Kochlöffel geschwungen hat.
Ein Kaffeevollautomat mit unzähligen Knöpfen und Kaffeevariationen beherrscht einen Großteil der Arbeitsfläche dieser traumhaften Küchenzeile.
„Brauche ich eine Bedienungsanleitung für diese Kaffeemaschine oder gibt es eine Barista?“ Ich versuche meine Verwunderung mit Albernheit zu überspielen. Bei Neuhaus hatten wir den Luxus einer Kaffeepadmaschine. Mit diesem Ding hier vor mir werde ich garantiert überfordert sein. Ich schwöre …
Paula sieht mich einen Augenblick konsterniert an, als zweifele sie an meinem Verstand. Dann bemerkt sie lediglich meine Verblüffung über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und beginnt zu kichern.
„Daran gewöhnt man sich. Der Chef legt Wert auf diese Dinge. Wir kämen wahrscheinlich auch mit weniger zurecht, aber er ist der Meinung, je zufriedener wir sind, desto besser verdienen wir sein Geld.“ Sie zuckt mit den Schultern.
„Das ergibt natürlich Sinn“, pflichte ich ihr bei. „Dann will ich mal hoffen, dass ich es nicht sofort in der ersten Woche schaffe, aus dem Kaffeeautomaten eine Mikrowelle zu machen.“
Paula schmunzelt. „Das wäre wirklich dumm, zumal wir hier bereits eine davon haben.“ Sie zeigt auf die Einbaumikrowelle neben dem eingebauten Backofen.
Natürlich hat diese Küche auch eine Mikrowelle.
Sie führt mich zurück über den Flur zu unserem gemeinsamen Büro.
Es gibt zwei Arbeitsplätze sowie diverse Regale, die vollgestopft sind mit Ordnern. Wie im Eingangsbereich sind auch hier Wände und Möbel in Weiß gehalten. Der Parkettboden hat eine dunkle Maserung und verströmt den leichten Duft von Bohnerwachs oder einem Putzmittel, das doch sehr an den Geruch von Bohnerwachs erinnert. An der Wand hinter meinem Schreibtisch hängt eine riesige Pinnwand voller Schnappschüsse und Ansichtskarten diverser Kollegen und zufriedenen Kunden des Hauses.
Es gibt gerahmte Werbeplakate verschiedener Events wie Filmfestspiele, Konzertveranstaltungen oder auch Messen in ganz Deutschland. Bei näherem Betrachten findet man in der Fußnote eines jeden Plakates die HoferEvents-Agentur als Mitorganisator. Die unzähligen Plakate sind mir in den anderen Büros und in der Küche bereits aufgefallen.
Beruhigt lasse ich mich in den mir zugewiesenen Stuhl plumpsen und atme tief durch. Bis hierhin hat ja alles schon mal super geklappt. Paula macht mich sofort mit dem Betriebssystem vertraut, nennt mir die wichtigsten Kunden und erklärt mir die Ablage der verschiedenen Ordner. Ehe ich mich versehe, ist der Vormittag vorbei und meine Nervosität wie verflogen. Langsam beginne ich mich zu entspannen und als Hanna in der Bürotür erscheint und fragt, ob ich auch Lust auf chinesisches Essen in der Mittagspause habe, fühle ich mich fast schon heimisch.
Ich bin mir sicher, dass ich mit meinem Aufbruch nach Hamburg die für mich einzig richtige Entscheidung getroffen habe.