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Für Josephine

Es war für dich, es ist für dich und es wird immer für dich sein, weil du meine Idee schon geliebt hast, bevor ich es tat.

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Der Gegenwind saust mir um die Ohren. Ein dumpfer Aufprall. Schmerzen, überall Schmerzen. Es ist dunkel. Ich spüre meinen Körper nicht mehr, als wäre ein schweres Gewicht von meiner Seele genommen worden. Ich muss meine Augen öffnen, ich weiß es und doch frage ich mich, ob es nicht schöner wäre, einfach in diesem Zustand zu bleiben. So schwerelos, frei und unbekümmert.

Okay, Eve, sei keine Memme, öffne jetzt die verdammten Augen und sieh dir an, in welchem Schlamassel du vermutlich wieder gelandet bist.

Gleißendes Licht blendet mich und nur langsam kann ich mich daran gewöhnen. Es ist viel zu grell! Merkwürdigerweise stehe ich aufrecht. Ich muss meine Hand heben, um meine Augen vor dem Licht zu schützen. Ich erkenne nur Weiß. Ein seltsamer feiner Nebel hüllt meine Beine ein und steigt vom Boden auf. Der Himmel scheint nicht mehr blau zu sein, sondern in ein reines Weiß getaucht. Leider ist es zu hell, um meine Umgebung richtig erfassen zu können. Mein Verstand kann noch nicht begreifen, was geschehen ist. Meine Erinnerung, wie ich hierhergekommen bin, ist wie verschleiert. Hinter einem Vorhang verborgen, an dem ich einfach nicht vorbeischauen kann, obwohl ich genau weiß, dass die Antwort dahinter liegt. Das dumpfe Pochen in meinem Kopf, das ich bereits die ganze Zeit über spüre, nimmt langsam ab. Testweise balle ich meine Hand und öffne sie wieder. Gut, Körperfunktionen sind noch aktiv.

»Uff, was ist denn hier los?« Anscheinend bin ich nicht allein hier gelandet.

Ich blinzle gegen die Helligkeit und erkenne Aidan, meinen besten Freund, der neben mir steht. Wenigstens habe ich Gesellschaft an diesem schrägen Ort. Seine warme helle Stimme macht die Situation gleich weniger gruselig.

»Ich würde ja auf Irrenanstalt tippen, aber sicher bin ich mir nicht«, antworte ich und berühre dabei mit einem Finger meine Wange.

Aidans Kopf schnellt zu mir herum. In seinen blauen Augen sehe ich deutliche Überraschung, doch kurz darauf verzieht er seine Lippen zu einem schelmischen Grinsen. »Wenigstens wurde ich dann nicht allein eingewiesen.«

»Wann bist du schon mal allein?«, ziehe ich ihn belustigt auf.

Aidan ist niemals allein. Mit seinem blonden Wuschelkopf, den hellen blauen Augen und diesem Lachen im Gesicht ist er ein wandelndes Klischee eines Surferboys. Der obligatorische Dreitagebart darf natürlich ebenfalls nicht fehlen. Selten kann sich jemand seinem Charme entziehen.

Auf meine Bemerkung verdreht er nur die Augen und schaut sich bedacht um. »Ein bisschen steril hier.«

»Fast wie bei dir zu Hause.«

»Haha, Eve, sehr witzig«, gibt er trocken zurück.

Meine Augen haben sich endlich einigermaßen an die Helligkeit gewöhnt, sodass ich etwas von unserer Umgebung erkennen kann. Oder eben nicht.

Wir befinden uns in einem großen Nichts, vor uns nichts, hinter uns nichts und selbstverständlich auch links und rechts nur weiße Weiten. Der Boden unter meinen Füßen fühlt sich irgendwie fluffig an.

Sicherheitshalber wippe ich ein wenig auf und ab. »Definitiv fluffig.«

»Wie bitte?« Aidan mustert mich aufmerksam und folgt meinem Blick nach unten.

»Der Boden ist fluffig.«

Aidan lacht auf. »Lass uns mal schauen, wo wir hier sind.«

»Gar keine Angst?«

»Du bist doch bei mir, was soll schon passieren, wenn ich den berühmten Drachen an meiner Seite habe?«

Da hat er auch wieder recht, selbst wenn er mich nur aufziehen will. Aidan und ich sind schon seit Ewigkeiten Freunde – die besten Freunde. Auch wenn mir das immer keiner glauben mag und die Leute darauf herumhacken, wie gewöhnlich ich mit meinen braunen Haaren und braunen Augen bin, ganz im Gegensatz zu Aidan. Irgendwann hat jemand mal das Wort »Drache« fallen lassen, weil ich so sehr auf Aidan achtgebe und immer um ihn herumschleiche. Als müsste ich ihn vor Frauen beschützen. Aber man sagt ja, in solchen Aussagen steckt immer ein Fünkchen Wahrheit. Aidan ist mein einziger richtiger Freund, daher war ich selbstverständlich immer in seiner Nähe. Und auch wenn ihre Aussage dennoch völlig übertrieben gewesen ist, gefiel uns dieser Insider.

Vorsichtig und bedacht setzen wir einen Fuß vor den anderen, aber es gibt kein Hindernis auf unserem Weg, weshalb wir fast schon durch die Weiten schlendern. Das Pochen in meinem Kopf ist fast vollständig verschwunden und ich fühle mich regelrecht beschwingt. Wo auch immer wir sind, Angst spüre ich nicht. Ich bin auch nicht in Eile, was ungewöhnlich für mich ist. Meistens lege ich ein schnelles Tempo an den Tag. Wenn ich ein Ziel vor Augen habe, dann möchte ich dort auch so schnell wie möglich ankommen und nicht meine Zeit verschwenden. Doch hier ist es anders. Obwohl mich dieses Nichts langsam ein wenig nervt. Aidan und ich schweigen einvernehmlich, es ist nicht bedrückend oder dergleichen, sondern angenehm. So wie es schon immer zwischen uns ist.

Plötzlich erscheint vor uns ein riesiges Pult. Ich fasse mir vor Schreck an mein Herz. Normalerweise würde mein Puls rasen, doch ich spüre ihn nicht. Vielleicht bin ich aber auch zu sehr von der Frau hinter dem Pult abgelenkt. Zwar sehe ich nur einen Teil ihres Kopfes, aber ich höre ihr Gemurmel und das Rascheln einiger Blätter, die sie vermutlich gerade sortiert. Hin und wieder erklingt das Geräusch eines Tackers, mit dem sie wohl Papier zusammenheftet. Sogar Aidan mit seinen ein Meter zweiundneunzig muss sich recken, um über den Rand des Pultes sehen zu können. Ich habe eh keine Chance, einen genaueren Blick auf sie zu erhaschen, also versuche ich es gar nicht erst.

»Name?«, schallt es hinter dem Pult hervor.

Die Frau schiebt ihren Kopf über den Rand und sieht genervt auf uns herab. So sehen engagierte Mitarbeiter in Behörden auch immer aus. Sie muss sich kurz vor den Fünfzigern befinden, jedenfalls den grauen Strähnen in ihrem braunen Haar und den Falten auf der Stirn nach zu urteilen.

»Name?!«, wiederholt sie, nachdem wir einen Augenblick verblüfft geschwiegen haben. Jop, auch auf den zweiten Blick ist sie genervt. Ich verschränke die Arme vor der Brust. Nur fürs Protokoll, man kann durchaus netter mit uns umgehen! Wir haben keine Ahnung, wo wir sind, was wir hier machen und was gerade passiert ist. Aber von Erklärung keine Spur, stattdessen werden wir so überaus freundlich begrüßt.

»Eve und Aidan«, stellt mein Freund uns bei der Fröhlichkeit in Person vor und versprüht dabei seinen üblichen Charme.

Überrascht blickt die Frau uns an, ihre Augen werden groß, als sie uns mustert, und ihr Pult schrumpft wie von Zauberhand auf unsere Augenhöhe herunter. Was zum Teufel? Wie hat sie das gemacht?

Wie besessen wühlt sie in ihren Unterlagen und wirkt dabei noch genervter als zuvor. »Das darf doch nicht wahr sein. Ihr steht nicht auf meiner Liste!«, brüllt sie, als hätten wir ihr gerade den Tag so richtig versaut. Besorgt schaue ich zu Aidan auf, da ich gut zwanzig Zentimeter kleiner bin. Ungeduldig tippe ich mit dem Fuß auf den Boden.

»Was soll das hier werden, Lady? Wo zum Teufel sind wir?«

Aidan legt mir beschwichtigend einen Arm auf die Schulter, den ich sofort wieder abschüttele. Leise höre ich sein Seufzen, als hätte er mit meiner Reaktion bereits gerechnet.

»Ihr seid tot«, sagt sie nebenbei, als wäre das doch völlig logisch. Noch immer durchsucht sie ihre Papierstapel. Ihre Worte hallen in meinem Kopf wider und versuchen einen Platz zum Verarbeiten zu finden. Ein kleines Männchen hängt ein Schild auf: Wegen Überforderung geschlossen.

»Tot?« Meine Stimme überschlägt sich und wird schrill. Fassungslos schaue ich zu ihr auf. »Sie scherzen!«

Aidan nimmt eine grüblerische Haltung ein und schaut sich um, während unsere Empfangsdame es aufgegeben hat, unsere Namen auf irgendeiner Liste zu finden.

Tot … Ich kann nicht tot sein! Das hier muss eine Art TV-Show sein. Wo sind die versteckten Kameras?

Die Frau rückt ihre Brille zurecht und streicht sich über ihre braunen Haare, die in einem strengen Dutt stecken. Als dürfte kein Härchen es sich erlauben, nicht an seinem Platz zu sitzen.

»Jetzt muss ich auch noch Unterlagen selbst erstellen«, murmelt sie frustriert, als wäre dies die schwerste Last, die sie heute zu tragen hätte. Sie sollte mich mal fragen, was heute meine schwierigste Aufgabe war. Vielleicht nicht in Panik geraten, weil mir eine alte Schabracke gerade auf so freundliche Art und Weise mitteilt, dass ich tot sei? Aber was weiß ich denn schon? »Also, Eve und Aidan, ihr seid tot, herzlichen Glückwunsch.« Ja, schmeißt das Konfetti! Wo sind die Partyhütchen? Auch wenn ihre Wortwahl eine ausgelassene Stimmung vermuten lässt, klingt ihre Stimme neutral und zeugt kein bisschen von Aufregung oder dergleichen. »Da offensichtlich nicht über euch gerichtet wurde, ist es ein spontaner Tod. Wir haben noch einen Platz in der Hölle und einen im Himmel. Wer will wohin?« Abwartend sieht sie uns an, während sie zwei Blätter vor sich hinlegt. Spontaner Tod? Nicht gerichtet? Was zur Hölle läuft hier denn gerade schief?

»Alles klar, wir haben es verstanden! Guter Witz!« Ich lache künstlich auf und schaue mich besorgt um. Irgendwo müssen versteckte Kameras sein. Aidan schaut die Frau ebenfalls mit großen Augen an und beginnt neben mir fassungslos den Kopf zu schütteln.

Plötzlich rasen Bilder durch meine Gedanken. Zuerst kann ich sie nicht erfassen, so schnell sausen sie an mir vorbei, doch langsam setzt sich das Puzzle zusammen. Ich keuche auf, als ich mich erinnere. Anklagend hebe ich einen Finger und deute auf Aidan. »Du!«, entfährt es mir laut.

Anscheinend ist ihm auch gerade eingefallen, was passiert ist, denn er hebt abwehrend die Hände und macht einen Schritt rückwärts.

Doch ich bin noch nicht fertig und verstelle meine Stimme, um ihn nachzuahmen. »Von wegen: Eve, lass uns vor dem neuen Collegejahr noch etwas erleben! Komm schon, Eve, Bungee-Jumping hört sich lustig an. Eve, das ist totaaaaaaaal ungefährlich! Du musst das LEBEN spüren, Eve!« Ich stampfe wütend mit dem Fuß auf den Boden auf, der ein Stück nachgibt. Meine Augen verenge ich zu Schlitzen. »Und wie ich den Scheiß hier spüre, wir sind tot!«

Ich schubse ihn kräftig. Meine gesamte Wut stecke ich in den Stoß und er muss einen zweiten Schritt zurücktaumeln. »Wir sind tot, weil du unbedingt noch etwas erleben wolltest! Scheiße!« Wieder verschränke ich die Arme vor der Brust. Okay, versuchen wir, nicht durchzudrehen. »AHH!« Mit diesem animalischen Schrei stürze ich mich auf Aidan und trommele auf seinen Oberkörper ein. »Du bist schuld!« Beherrschung war schon immer meine Stärke.

Er lässt es komplett über sich ergehen und versucht noch nicht einmal mir auszuweichen, während er sagt: »Es tut mir ja leid. Wirklich, Eve, ich habe das nicht gewollt! Wir sollten doch nur noch etwas gemeinsam erleben.«

»Dein ›Tut mir leid‹ kannst du dir sonst wohin stecken. Wir sind tot!« Auch wenn ich es noch sooft wiederhole, die Information will noch nicht vollständig bei mir ankommen.

Mir steigen die Tränen in die Augen. Ich bin noch keine einundzwanzig Jahre alt und konnte nicht einmal legal Alkohol kaufen oder eine riesige Party machen. Gut, es wäre keine riesige Party gewesen, aber ich hätte eine machen können. Wenn genug Leute gekommen wären. Und meine Familie. Mein Vater, er wird es nicht verkraften, seine einzige Tochter verloren zu haben. Es schnürt mir die Kehle zu, wenn ich daran denke, dass meine Eltern ihr Kind beerdigen müssen. Ich ertrage die Vorstellung nicht, wie mein Vater daran zerbrechen wird. Und meine Mutter. Sie ist so eine liebevolle Frau, dass sich mein Magen bei dem Gedanken an ihre Tränen meldet. Es dreht sich in meinem Kopf. Mir wird übel und ich muss mich an Aidan festhalten, um nicht umzukippen. Instinktiv schlingt er sofort die Arme um mich und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. »Wir schaffen das, Eve. Es wird alles wieder gut. Wenigstens sind wir noch zusammen.« Können Tote einen Nervenzusammenbruch erleiden? Fühlt sich gerade so an, als hätte ich einen.

Die Frau räuspert sich einmal kräftig.

»Was denn?«, fauche ich, immer noch mit Tränen in den Augen. Kann sie mir nicht noch ein paar Minuten geben, um damit klarzukommen?

»Offensichtlich muss ich es entscheiden. Aidan, du siehst mit deinen blonden Haaren schon fast engelsgleich aus.«

Wird sie gerade ernsthaft rot im Gesicht? Sogar tot scheint Aidans Charme seinen Glanz nicht verloren zu haben. Aber ich bin verloren. Hier geht es anscheinend nach Lust und Laune Richtung Himmel oder Hölle. Warum zum Teufel?

»Mit so einem markanten Gesicht darfst du auf keinen Fall in die Hölle.« Aber ich oder wie?

Aidan löst sich von mir, macht den Mund auf, um etwas zu sagen, doch die Frau knallt einen blauen Stempel auf eines der Blätter. Ich spüre die Wut über die Ungerechtigkeit in meinem Bauch aufflammen. Wie ein heißer Stein liegt sie mir schwer im Magen und das Gefühl ist mir bereits sehr vertraut. Noch nie konnte ich es leiden, wenn irgendjemand ungerecht behandelt wurde. Und um jetzt ein klein wenig egoistisch zu sein, auch bei mir finde ich das nicht prickelnd.

»Aber …«, beginnt Aidan und will anscheinend protestieren, doch die Frau am Pult unterbricht ihn mit einer schnellen Geste. In die Hölle? Was habe ich so Schlimmes in meinem Leben verbrochen, dass ich es verdient habe, in die Hölle zu kommen?

»Es tut mir leid, Eve, aber da du nun einmal nur Durchschnitt bist, fällt die Entscheidung ganz klar auf Aidan.«

Durchschnitt … Sogar im Totenreich verfolgt mich dieses Wort. Die Frau drückt einen zweiten, dieses Mal roten, Stempel auf das andere Blatt und damit ist mein Schicksal besiegelt.

Wütend funkle ich Aidan an, der mich bei den Schultern packt und mich eindringlich ansieht. »Eve, das wollte ich nicht. Ich schwöre es!«

Ich wische mir die Tränen weg, die erneut über meine Wangen rollen, aber es kommen immer neue. Natürlich ist mir bewusst, dass Aidan unseren Tod nicht wollte. Es ändert aber nichts an dieser verqueren Tatsache, dass wir hier stehen und ich gerade in die Hölle verbannt wurde.

»So schlimm bin ich doch gar nicht. Jedenfalls nicht schlimm genug für die Hölle«, wimmere ich leise und beiße mir selbst auf die Zunge.

»Nein, du bist ein ganz wundervoller Mensch«, sagt Aidan und gibt mir erneut einen Kuss auf die Stirn. Das tut er schon, seit wir kleine Kinder waren. Um mich zu trösten oder zu beruhigen, drückte er seine Lippen auf meine Wange. Als er dann größer war als ich, küsste er immer meine Stirn. Dieses Ritual beruhigte mich augenblicklich. Doch nicht in diesem Moment, wo wir getrennt werden sollen und ich meinen besten Freund verliere. »Ohne dich hätte ich das alles zu Hause nicht ausgehalten«, sagt er und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus meinem Zopf gelöst hat. Die Empfangsdame verdreht die Augen. »Genug davon. Ab mit euch.«

Sie drückt auf einen großen Buzzer und in dieser Sekunde reißt es mir den Boden unter den Füßen weg. Aidan versucht nach mir zu greifen, doch ich entgleite ihm und falle. Ich sehe noch seinen gequälten Gesichtsausdruck, höre, wie er nach mir ruft, doch viel zu schnell entfernt er sich. Erneut spüre ich den freien Fall und dieses Mal finde ich es abscheulich. Es wird dunkel um mich herum und mit Schmerzen in meiner Brust tauche ich in die Finsternis ab. »Verdammt …«, entfleucht es mir noch, während ich weiter in die Tiefe falle.

Der einzige Vorteil: Dieses Mal kann ich wohl nicht mehr sterben.

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Hart komme ich auf dem Boden auf. Meine Beine knicken weg und ich falle wie ein Sack Reis einfach um. Für ein paar Sekunden bleibe ich mutlos liegen. Ich bin also tot und in der Hölle. Oben hielt ich das hier noch für einen absurden Traum, aber spätestens nach dem Aufprall weiß ich, dass ich nicht aufwachen werde. Schließlich schreckt man immer während eines langen Falls auf oder spätestens, wenn man unten ankommt.

Am liebsten würde ich mich gerade in Selbstmitleid suhlen, aber weiterbringen wird mich das auch nicht. Überraschend, dass ich überhaupt noch lebe nach diesem Fall – ach ja richtig, so viel zum Leben.

Merkwürdig, denn Schmerzen spüre ich keine. Nur dass mein Rücken seltsam juckt. Langsam hebe ich den Kopf und richte meinen Blick nach oben. Jop, ich hatte eindeutig recht. Der Fall fühlte sich nicht nur lang an, sondern er war es auch. Ich bin in einer Art riesigen Tropfsteinhöhle gelandet. Von der Decke, die bestimmt Hunderte Meter entfernt ist, hängen spitze Säulen herab. Direkt über mir befindet sich ein riesiges Loch, aus dem ich gerade gefallen bin. Ich kann kein Ende des Lochs erkennen, nur schwarze Finsternis verhöhnt mich. Bedacht schaue ich mich um. Auch der Rest meiner Umgebung hat Ähnlichkeit mit einer trockenen Tropfsteinhöhle. Überall ragen diese Säulen aus dem Boden empor, mal laufen sie spitz zu, mal enden sie in einer Plattform. Der Boden fühlt sich angenehm warm unter meinen Händen an – wenigstens werde ich in der Hölle nicht frieren. Alles ist in dunklen Rot- und Brauntönen gehalten. Verdorrte Sträucher erinnern mich an die Vulkanlandschaft von Lanzarote. Mein Bruder Manu hat eine gewisse Leidenschaft für Europa entwickelt und uns jede Woche einen anderen Vortrag über die verschiedenen Teile des Kontinents gehalten. Und als liebende Familie haben wir es natürlich über uns ergehen lassen. Die sieben Kanarischen Inseln waren ein Bestandteil davon. Sofort bildet sich ein Kloß in meinem Hals, als mir bewusst wird, dass ich diese Chaoten niemals wiedersehen werde. Ich bin gestorben und konnte mich nicht verabschieden.

»Du musst die Neue sein!«, quietscht auf einmal eine Stimme neben mir. Ich erschrecke mich zu Tode – ha! Heute bin ich richtig gut in Wortwitzen – und rutsche einen Meter über den Boden zurück. Staub wirbelt auf und vor Schreck verschwindet das flaue Gefühl in meiner Magengegend.

»Was zum Henker?«, frage ich und entdecke eine kleine Fee, die vor mir schwebt. Es gibt hier unten Feen? Ich hätte ja mit allem gerechnet, Satan persönlich meinetwegen, aber eine Fee?

Sie ist so groß wie meine Handfläche und hat einen rotbraunen Lockenkopf, aus dem zwei kleine rote Hörner hervortreten. Ihre Flügel hingegen sehen aus wie die von Tinkerbell. Da hat Walt Disney ganze Arbeit geleistet. Anscheinend ist er hier unten mal zu Besuch gewesen, wenn er das Original wiedergeben konnte.

»Ich habe schon Ewigkeiten auf dich gewartet. Hallo, ich bin Ginger«, stellt sie sich mit einer fiepsigen Stimme vor, bei der ich mir sicher bin, dass sie mir irgendwann auf die Nerven fallen wird.

»Hallo«, erwidere ich wenig geistreich. Der Sturz muss noch tiefer gewesen sein als gedacht, wenn ich schon so schlagfertig reagiere.

»Komm, auf, auf, wir haben keine Zeit zu verlieren, Eve.«

»Okay, warum weißt du, wie ich heiße? Und womit keine Zeit verlieren? Wenn ich mir bei einem sicher bin, dann dabei, dass Tote ja wohl genug Zeit haben.«

»Steht alles auf dem Dokument.« Ginger hält mir das Blatt von der genervten Lady vor die Nase.

»Name: Eve, Nummer: 10.048, Tod durch: Bungee-Jumping«, lese ich laut vor. »Das war nicht meine Schuld!«, protestiere ich und will weiterlesen, doch Ginger, die nur halb so groß wie das gesamte Blatt ist, faltet es wie von Zauberhand auf ihre Körpermaße.

»Also, Eve, können wir?«

Ungeduldig sieht sie mich an. Ich kämpfe mich widerwillig auf die Beine und wische den Staub von meinen Händen an meiner weiten, gemütlichen Boyfriendjeans ab.

»Okay und wohin?« Ich kann an der Situation im Moment nichts ändern, also füge ich mich den Anweisungen von dieser Tinkerbell.

Ich möchte nicht sagen, dass ich ein wenig überfordert bin, aber ein kleines Männchen rennt in meinem Oberstübchen gerade schreiend im Kreis, nur um dann in Ohnmacht zu fallen.

»Folge mir einfach«, flötet sie unbekümmert und fliegt voraus. Noch etwas wacklig auf den Beinen hefte ich mich an ihre Fersen.

Wir laufen ein Stück geradeaus. Dann biegen wir bei ein paar eng beieinanderstehenden Säulen ab und ich erkenne ein kleines Hüttendorf, auf das wir zusteuern. Es ist schlicht, aber es passt an diesen Ort. Bisher konnte ich noch nicht so viel Höllenartiges entdecken. Jede Strohhütte ist individuell gestaltet und als wir näher kommen, kann ich zwei andere Menschen am Rand des Dorfes ausmachen, die in einer der Hütten verschwinden. Glaube ich jedenfalls … Haben die Flügel auf dem Rücken?

»Es ist so schön, dass ich endlich einen Partner bekomme. Ich warte schon Jahrzehnte auf jemanden, aber es wollte niemand Geeignetes sterben. Und da stürzt du dich einfach von einem Hotel herunter. Wunderbar!«, plappert Ginger.

Ich ziehe meine Augenbraue in die Höhe. »Ja, total wunderbar. Nur fürs Protokoll, das war nicht meine Idee und ich hatte ein Seil um den Bauch.«

»Hat dir ja viel gebracht«, sagt eine dunkle Stimme von links. Ich zucke zusammen und mein Kopf schnellt in die Richtung. Ein verdammt gut aussehender Kerl sitzt auf einer kleineren Säule und lässt über seiner Handfläche drei Steinbrocken im Kreis schweben. Mich überrascht hier gar nichts mehr.

»Yeah! Ein Klugscheißer hier unten.« Ich werfe übertrieben die Hände in die Höhe.

Der Typ lacht düster auf und lässt mir einen Schauer über den Rücken jagen. Seine braunen Haare sehen verstrubbelt aus und die Bikerklamotten unterstreichen seinen Look perfekt. Durch die offene Lederjacke sieht man deutlich, wie trainiert der Herr ist, denn sein Shirt schmiegt sich an seine Muskeln. Das Einzige, was mich stutzen lässt, sind seine Flügel auf dem Rücken. Schwarze Schwingen, die sich an seinen Rücken schmiegen und knapp über seinem Kopf hervorschauen.

Also so schlimm finde ich die Hölle nun auch wieder nicht.

»Bist du fertig mit Sabbern?«, fragt er und lässt seine Steine auf den Boden knallen, um dann auf mich zuzukommen.

»Ich sabbere nicht, ich habe nur Durst.« Wie gesagt, der Sturz muss wirklich tief gewesen sein, so geistreich war ich lange nicht.

»Lass sie in Ruhe, Ethan! Sie ist noch neu hier und braucht sicher keine dummen Sprüche von dir«, fiepst es neben mir und Ginger wirft sich heroisch zwischen mich und diesen Teufel.

»Aber dich, kleine Todeselfe?« Spöttisch zieht er eine Braue in die Höhe und mustert meine Begleiterin von oben bis unten. Also doch keine Fee, sondern eine Elfe – Todeselfe.

»Also genau genommen brauche ich niemanden«, wende ich ein, doch werde einfach überhört.

Ginger fliegt nach unten zu meiner Hand, um mich wegzuzerren oder es zumindest zu versuchen.

»Komm, Eve, Walther wartet nicht gern.«

Ethan grinst mich an und hebt zum Abschied eine Hand. »War nett, dich kennenzulernen.«

Ich lasse mich von Ginger wegziehen, die sogleich zu meckern beginnt. »Dem solltest du nicht zu nah kommen, er bedeutet Ärger.«

»So sieht er auch aus«, seufze ich und kann es mir nicht verkneifen, noch einmal zurückzuschauen. Ethans Blick verfolgt mich ebenfalls noch und als sich unsere Augen treffen, verzieht sich sein Mund zu einem überheblichen Grinsen. Das beschert ihm sofort weitere Minuspunkte und ich drehe mich wieder nach vorn. Mit Machos konnte ich noch nie etwas anfangen, auch wenn einige ganz hübsch anzusehen sind.

Ginger verdreht die Augen, ehe neue Energie in sie zu strömen scheint. »Also, wir gehen jetzt zu Walther, der wird dir alles erklären, dir eine Hütte geben und natürlich deinen Dienstplan.«

»Meinen Dienstplan?« Das wird ja immer schöner hier.

»Ja, hier unten gilt das Motto: Wer zu blöd zum Leben ist, kann auch arbeiten.«

»Was?!« Ich bin fassungslos. Das darf doch nicht wahr sein.

Zuerst werde ich von meiner Familie getrennt, weil ich gestorben bin, dann schickt mich diese Schrulle weg von meinem besten Freund direkt in die Hölle, wo sich eine Todeselfe an mich heftet, und jetzt soll ich auch noch arbeiten?

Völlig mit der Situation überfordert schluchze ich auf, auch wenn ich versuche die Tränen zurückzuhalten. Aber das alles hier ist zu viel, um es einfach so zu verkraften. Ich will nicht tot sein, ich will leben!

Ginger führt mich in die größte Hütte von allen und dreht sich schließlich zu mir um. Sie fliegt zu meinen Wangen empor und fängt mit ihren Händen ein paar Tränen auf.

»Nicht weinen, Eve, das wird alles schon. Bitte, du wirst bestimmt eine tolle Dämonin.«

Dämonin? Ach, ihr könnt mich mal alle!

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»Ein Frischling«, stellt der ältere Mann um die fünfzig fest, der mit seiner monotonen Stimme bestimmt auch die aufgedrehtesten Babys in Sekundenschnelle zum Einschlafen bewegen würde. Er trägt einen faltenfreien Anzug mit Krawatte, die grauen Haare sind ordentlich gekämmt. Seine gesamte Erscheinung ist sehr penibel herausgeputzt und die Hütte, in der ich mich befinde, ist spartanisch eingerichtet, nichts ist überflüssig und alles scheint seinen Platz zu haben. So etwas wie Deko gibt es nicht, aber wenn ich ehrlich bin, mochte ich solchen Kram noch nie. Und im Moment interessiert es mich auch herzlich wenig, was der komische Kauz mir zu sagen hat. Ich will mich irgendwo verkriechen und in Ruhe heulen. Danach können wir meinetwegen diese ganze Situation besprechen, aber nicht jetzt.

»Tut mir leid, Walther, anscheinend hat sie Ethan überfordert«, sagt Ginger und versucht meine Tränen mit ihren Händen aufzuhalten.

»Es war sicher nicht Ethan, der mich überfordert hat«, erwidere ich schniefend und wische mir die salzige Flüssigkeit aus dem Gesicht.

»Nein, da hast du recht, bei ihm hast du eher gesabbert.«

»Ich habe nicht gesabbert, Ginger.« So schafft sie es wenigstens doch noch, dass meine Tränen stoppen.

Walther mustert mich von oben bis unten. »Purer Durchschnitt.«

Ist das sein Ernst? Als hätte ich mir das nicht schon früher anhören dürfen.

»Was dagegen?«, blaffe ich daher zurück und verschränke schützend die Arme vor meiner Brust.

»Nein, wir können jeden hier unten gebrauchen. Unsere Arbeit ist höllisch schwer.« Kurz zucken seine Mundwinkel bei seinem Wortspiel, bevor seine Mimik wieder versteinert wirkt. Faszinierender Mann. »Zuerst nur das Wichtigste, wir wollen dich nicht noch mehr überfordern.«

Kurz werfe ich einen Blick zu Ginger, die entschuldigend mit ihren kleinen Schultern zuckt.

»Also zu den Fakten: Du bist in der Hölle, du bist eine Dämonin und du musst arbeiten«, fährt Walther fort.

Ich will nicht erneut durchdrehen, weshalb ich tief ein- und ausatme, wie meine Mutter es mir beigebracht hat. Oh, gar nicht gut, keine weiteren Gedanken an meine Familie, bis ich endlich allein bin. Ich spüre schon wieder Tränen aufsteigen, aber schaffe es, sie zu unterdrücken.

Walther räuspert sich kurz. »Gut, ich denke, ich kann dir erst einmal deine Hütte zeigen. Wir haben nicht den Luxus wie die im Himmel, aber wir arbeiten höllisch hart«, wieder ein Zucken der Mundwinkel, so witzig kann er das doch nicht finden, »und es lässt sich bis zur Rente gut aushalten. Du hast dich mit«, er schaut kurz in seine Unterlagen, »zwanzig Jahren in den Tod gestürzt und wirst bei uns bis zur Rente schuften.« Mir ist die Lust vergangen, zu betonen, dass es nicht meine Schuld war. Ich muss mich sowieso mit dieser absurden Situation arrangieren, also werde ich jetzt gleich in die merkwürdige Hütte marschieren und schlafen.

Ich nicke Walther also einfach nur zu und versuche mich wieder zu fangen. »Dann zeig mir mal mein Luxusappartement.« Mit einem Witz konnte ich schon immer die Stimmung retten.

Verwirrt schaut er mich an. »Ich sagte doch gerade, die im Himmel haben Luxus, wir nur das Nötigste.«

Der Mann hat einen völlig anderen Humor als ich.

Wir verlassen sein Zuhause und gehen aus der Mitte des Dorfes heraus, das aus kreisförmig angeordneten Hütten besteht. Weit und breit sehe ich keine anderen Menschen, Dämonen, was auch immer. Auch die zwei von vorhin sind verschwunden und die Hütten stehen leer.

»Wo sind denn die anderen?«, frage ich.

Walther dreht sich im Laufen zu mir um. »Arbeiten.«

»Was arbeiten wir denn?«

»Wir sorgen für das Gleichgewicht zwischen guten und bösen Taten. Wir bestrafen Vergehen.«

»Wir sind das Karma!«, quiekt Ginger aufgeregt neben mir.

Das Karma … Auf eine verdrehte Art und Weise ergibt es sogar Sinn.

Ich denke kurz an Aidan, der jetzt wahrscheinlich im Luxus auf Wolke sieben schwebt. Sauer balle ich die Hände zu Fäusten. Er ist nicht nur schuld an meiner Lage, sondern wird dafür auch noch belohnt. Gleichzeitig bin ich aber auch traurig, dass wir getrennt sind. Seit dem Kindergarten verging nie mehr als eine Woche, wo wir uns nicht sehen konnten, und hier fühlt es sich so endgültig an. Dabei brauche ich doch gerade jetzt meinen besten Freund an meiner Seite. Er kennt mich in- und auswendig und erträgt meine manchmal pessimistische Einstellung, ohne mit der Wimper zu zucken. Genauso weiß ich alles von Aidan und kann mit Leichtigkeit seine strahlende Maske durchschauen, die er immer in der Schule und Uni aufgesetzt hat. Dort galt er bei manchen als der strahlende Prinz, während sie mich aufgrund meiner Durchschnittlichkeit verspotteten. Ihre Worte trafen mich, aber Aidan sagte immer, es solle mir egal sein, was fremde Menschen von mir denken, solange die wichtigen wissen, wer ich wirklich bin. Manchmal hatte ich das Gefühl, er sprach mehr zu sich selbst als zu mir. Durchschnitt … Kurz seufze ich auf und folge Ginger und Walther zu einer kleinen und beschaulichen, runden Hütte, die im Außenbereich der Siedlung liegt. Sie ist in einem dunklen Blau gehalten und hebt sich damit deutlich vom Untergrund ab. Neugierig betrete ich sie.

Es ist wirklich kein Luxus zu erkennen, aber dennoch sieht es gemütlich aus.

Ich bin nun stolze Besitzerin eines Sofas, eines Couchtischs und eines leeren Regals und damit ist der Raum auch schon gut gefüllt. Die gesamte Hütte ist in etwa so groß wie das Wohnzimmer meiner Familie. Eine Tür an der Seite führt in ein sauberes kleines Badezimmer, wo ich gleich einen Blick hineinwerfe. Keine Badewanne – schade – und kein Klo.

»Okay, sieht doch nett aus und wo schlafe ich?«

»Gar nicht.«

Ungläubig sehe ich Walther an. »Gar nicht?«

Ginger schaltet sich ein und taucht vor meinem Gesicht auf.

»Dämonen schlafen nicht, Eve, ihr braucht nichts Menschliches mehr. Kein Essen, kein Trinken, keinen Schlaf. Glaub mir, das wird dir superduper gefallen«, ruft Ginger, die dabei laut aufjubelt und sogar einen Salto in der Luft macht.

Hat diesem Zwerg irgendwer etwas verabreicht?

»Das erklärt wenigstens, warum das Klo fehlt.«

»Hier.« Walther drückt mir eine Uhr in die Hand.

»Danke, aber ich habe eine Uhr«, sage ich und deute auf mein Handgelenk.

»Die wird hier nicht funktionieren. Nimm sie. Sonst kommst du zu spät.« Damit dreht er sich um und zieht von dannen. Einfach so.

»Uff.« Geräuschvoll lasse ich die Luft entweichen und setze mich auf die Couch. Sie ist recht bequem, zwar nicht so fluffig wie der Boden oben, aber dennoch gemütlich. Ich lege meine alte silberne Uhr nicht ab, sie war ein Geschenk meiner Eltern zum Schulabschluss. Die andere von Walther ist eine schlichte schwarze Uhr. Ihr Ziffernblatt ist in zwei Hälften unterteilt. Die eine Seite ist in Rot gehalten und die andere in Grün. Die Ziffern gehen pro Seite nur bis sechs und es gibt nur einen Zeiger. Gerade steht dieser auf der Drei von der grünen Seite. Ich binde sie mir direkt neben der Silbernen um mein Handgelenk.

Ginger fliegt zum Bücherregal und erst jetzt fällt mir auf: So leer ist das gar nicht. Die Elfe hat eine Ecke des Regals in Beschlag genommen und dort ein kleines Bett, einen Nachttisch und eine Kommode für sich platziert. »Du lebst hier mit mir?«, frage ich, als sie sich auf die winzige Schlafstätte setzt.

»Klar, wir sind jetzt Partner. Ich bin rund um die Uhr bei dir, zeige dir alles und zusammen bringen wir das Karma in Ordnung.«

»Warum hast du ein Bett? Musst du als Todeselfe schlafen?«

»Nein, aber es ist bequemer als eine Couch. Und ich kuschel mich gern ein.« Sie wippt mehrmals auf der Matratze, die unter ihr nachgibt.

»Du hast ein bisschen deine Bestimmung verfehlt, oder? Ich meine, so höllisch finde ich es hier gar nicht. Aber dennoch wirkst du fröhlich.«

»Ach, Eve, es kommt immer drauf an, was man aus seiner Existenz macht. Ich könnte genauso muffelig wie du sein oder aber mein Dasein genießen.«

Ich bemerke, wie sie das Wort Leben umschifft. Der Drang nachzuhaken, ist stark. Was genau ist sie? Warum ist sie bei mir? Aber ich habe für heute genug Informationen erhalten.

»Moment. Wenn wir nicht schlafen, bedeutet das, es gibt hier auch so etwas wie Tag und Nacht gar nicht?«

»Nein, gibt es nicht, stattdessen haben wir Arbeitszeit und Freizeit.«

»Aha«, antworte ich knapp. Ich muss das alles erst einmal verarbeiten. Noch immer schwirrt mir der Kopf, ein bisschen Zeit für mich dürfte mir guttun.

»Ich gehe eine Runde spazieren. Gibst du mir einen Augenblick?«, frage ich.

Ginger schaut mich zwar verständnislos an, aber hält mich nicht auf, als ich durch die Tür wieder nach draußen trete. Zuerst schaue ich mir meine Hütte an und präge mir den Standort ein. Dann mache ich mich auf, um das Dorf ein bisschen zu erkunden. Noch immer prasseln diese vielen, vielen Informationen auf mich ein während ich gleichzeitig eine große Leere in mir spüre, als könnte ich in diesem Augenblick nichts fühlen, weil ich sonst drohe zusammenzubrechen.

Ich gehe ein Stück durch das Dorf. Da die Hütten alle ein wenig unterschiedlich aussehen, fällt es mir leichter, mich zurechtzufinden. Das Bedürfnis, mich zu setzen und meine Gedanken zu sortieren, ist stark, und nach einer Weile entdecke ich eine kleine Säule, gegen die ich mich lehnen könnte. Gemächlich steuere ich auf sie zu, als ich ein lautes Rufen höre. Ein anderer Dämon schreit und tritt um sich, kämpft gegen eine unsichtbare Macht an, die ihn am Hemdkragen gepackt hat. Er wird nicht weit von mir entfernt über den Boden geschleift, es sind vielleicht gerade einmal zwanzig Schritte. Fassungslos beobachte ich dieses Schauspiel, unfähig etwas zu tun. Dann sehe ich Walther, der den Dämonen anscheinend zu sich heranzieht. Es wirkt jedenfalls so, auch wenn ich keine Regung von ihm wahrnehmen kann. Er steht einfach nur teilnahmslos da, während der Mann immer näher zu ihm heran gezerrt wird. Als ich genauer hinsehe, erkenne ich, dass Walther zwei Finger ausgestreckt hält und sie immer wieder zu sich heranzieht. »Bitte, bitte nicht! Ich kann das nicht noch mal. Bitte, tu mir das nicht an«, fleht der andere Dämon und sieht dabei so verzweifelt aus, dass ich schlucken muss.

Walther mustert ihn immer noch mit ausdrucksloser Miene, als würde nichts geschehen, als würde ein erwachsener Mann gerade nicht flehen und betteln. »Alles, nur nicht wieder da runter. Ich ertrage es nicht! Niemand kommt beim zweiten Mal zurück.«

Walther hebt nur eine Augenbraue, wendet den Kopf, starrt mich an und dreht sich auf dem Absatz um. Er geht auf eine hölzerne Falltür zu, die in den Boden eingelassen ist, und der Mann wird weiterhin hinter ihm hergeschleift. Der Mann versucht sich am Boden festzukrallen, das Unvermeidliche aufzuhalten, doch er hat keine Chance. Seine Finger finden auf dem staubigen Untergrund keinen Halt. Er greift immer wieder ins Leere, schlägt auf den Boden, als könnte er Löcher hineingraben. »Du da! Hilf mir, bitte!«, kreischt der Mann und deutet auf mich. Doch ich weiß nicht wie, ich kann ihm nicht helfen. Ich kann noch nicht einmal weiter hinsehen. Ich weiß nicht, was vorgefallen ist, daher kann ich doch auch nicht handeln, oder? Die Ausrede schmeckt bitter auf meiner Zunge, doch ich kann keinen Muskel rühren.

Wo bin ich hier gelandet? Es ist doch die Hölle. Wie konnte ich mich blenden lassen? Die Erkenntnis trifft mich so hart, dass mir schlecht und schwindlig wird. Ich taumle und kann nicht mehr geradeaus schauen. Es dreht sich alles. Doch ich kann vor diesen kalten gleichgültigen Augen von Walther keinen Zusammenbruch erleiden. Der Drang, sofort von hier zu verschwinden, ist so stark, dass ich meine Beine wieder bewegen kann, sie mich geradezu anflehen so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Ich lasse mich nicht lange bitten und renne sofort los zu der Hütte. Lasse die verzweifelten Schreie des Mannes hinter mir. Dort angekommen, eile ich in das angrenzende Bad und schließe die hölzerne Tür, ehe ich mich gegen sie lehne. Gingers überraschtes Quieken ignoriere ich.

Langsam rutsche ich an dem Holz herunter und bleibe auf dem Boden sitzen. Ich habe ihm nicht geholfen. Dabei hätte ich ihm helfen müssen. Sonst spucke ich doch so große Töne, dass ich Ungerechtigkeit nicht ertragen kann, aber habe ich gehandelt? Nein. Ich war zu sehr damit beschäftigt zu realisieren, dass es wahr sein könnte. Dass mein Leben vorbei ist.

Ich versuche tief durchzuatmen, um das Gedankenchaos in meinem Kopf zu beruhigen, aber ich kann nicht atmen. Die Vorstellung, dass ich tot bin, schnürt mir die Kehle zu. Ich starre vor mich hin, schlucke und kämpfe gegen den Drang an, wieder zu heulen. Es ist, als würde mich die Erkenntnis, dass ich tot bin, auf den Boden drücken. Sie erstickt mich. Ich kann mich nicht dazu durchringen, es endlich laut auszusprechen, aber ich habe das Gefühl, wenn ich es nicht tue, kann ich es niemals realisieren, um weiterzumachen.

Ich bin tot.

Ich denke es, ich denke es immer wieder. Ich denke daran, dass ich meine Familie nie wiedersehen werde, dass ich all diese Pläne, die ich hatte, meine gesamte Zukunft einfach nicht mehr existiert. Alles, was ich noch machen wollte, worüber ich dachte es später noch erleben zu können, ist mir nicht mehr möglich. Alles, von dem ich gehofft habe, dass es eines Tages passieren würde, wird nicht mehr passieren. Ich sitze jetzt hier auf dem Höllenboden, eingesperrt in ein kleines Badezimmer und weiß nicht weiter. Tränen laufen mir die Wange hinunter und ich fühle mich so hilflos wie nie zuvor. Ich bin tot.

Ich muss es endlich sagen, doch ich kann nicht. Ich will nicht. Ich will leben. Ich will zurück in mein Leben, in mein durchschnittliches Leben, zurück zu meiner Familie, die mich liebt. Zu meiner Mutter, die immer versucht hat das Auge im Sturm zu sein, zu meinem Vater, der mich wie eine Prinzessin behandelte, zu meinen Brüdern, die mich immer aufgezogen haben, und zu Lucy. Meine kleine Lucy. Meine Nichte, die ich aufwachsen sehen wollte. Ich wollte ihr ein Vorbild sein, ihr helfen und die Stütze im Leben sein, die jeder braucht. Doch jetzt ist meine Zukunft einfach vor meinen Augen zerbrochen. Und zurück bleibt ein Scherbenmeer, in dem ich immer noch sitze und immer noch heule, da ich das Bedürfnis zu weinen nicht unterdrücken konnte. Wie ein kleines Häufchen Elend.

Ich weiß nicht, wie lange ich dasitze und versuche mich zu beruhigen. Irgendwann werden die Tränen weniger. Ich fühle mich ein bisschen wie die Frau in dem Film Er steht einfach nicht auf dich, die ausrastet, weil ihr Mann Zigaretten geraucht hat. Wütend schmeißt sie einen Spiegel auf den Boden, der in tausend Stücke zerspringt. Nachdem sie ein paar Sekunden auf die Scherbengestarrt hat, holt sie einen Besen und kehrt sie wieder zusammen, um sie wegzuschmeißen. Und genauso fühle ich mich auch. Als müsste ich das Zerbrochene aufsammeln und weitermachen.

Diese Situation ist scheiße, aber vielleicht hat Ginger recht und ich sollte das Beste an dieser Lage suchen und mich daran festhalten. Langsam stehe ich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder auf und sperre die Bilder des Dämons in die hinterste Ecke meines Bewusstseins. Ich brauche etwas kaltes Wasser, das ich mir ins Gesicht spritzen kann. Wo wir auch schon beim nächsten Problem hier unten wären. Ich drehe den Wasserhahn auf und versuche die Temperatur zu ändern. Aber es bleibt heiß. Großartig, dann hat diese Behausung doch ein paar Nachteile. Mir ist klar, dass vor mir ein Spiegel hängt, doch ich weiß schon, was mich erwarten wird. Walther hat mich nicht ohne Grund Durchschnitt genannt. Meine braunen Haare und braunen Augen haben nichts Auffälliges an sich. Auch in meinem Gesicht gibt es nichts, was sich bei jemandem ins Gedächtnis brennen würde. Genervt und ermüdet schaue ich dennoch auf und betrachte mich im Spiegel, vielleicht muss ich meinen Pferdeschwanz noch einmal neu binden. Mit Erleichterung stelle ich fest, dass ich mir nicht noch einmal die Mühe machen muss, da er noch gut sitzt.

Ich öffne bereits die Tür und will hinausgehen, als ein Schrei meine Kehle verlässt.

»O mein Gott! Was ist das?«

Ginger kommt sofort hereingeflattert. »Eve! Was ist passiert?«

»Ich habe … Sind das Flügel?« Okay, das ist dann definitiv kein Durchschnitt mehr.

»Ach so«, sie legt sich eine Hand an ihre Brust und lächelt, »ich dachte schon, es ist sonst was passiert. Übrigens sagen wir hier nicht ›O mein Gott‹. Du bist jetzt eine Dämonin. Das schickt sich nicht.«

Ich kann mir jetzt keine Gedanken darüber machen, was mein Dasein als Dämonin mit Gott zu tun hat. Aus meinem Rücken ragen Flügel!

Doch plötzlich erhellt ein Gedanke meine Laune. »Ich kann fliegen?«, jauchze ich auf und stürme sofort aus meiner Hütte nach draußen. Das ist doch das Positive, nach dem ich gerade im Badezimmer gesucht habe.

Ginger folgt natürlich auf dem Fuße.

»Ginger! Zeig mir bitte, wie man fliegt«, fordere ich aufgeregt und muss übermütig lachen.

»Ist ja gut. Hätte ich das gewusst, hätte ich dir die Flügel schon am Anfang gezeigt.«

Sie setzt sich auf die Eingangstür unserer Hütte.

»Also eigentlich ist das ganz einfach, die Flügel sind ein Teil von dir, wie auch Arme und Beine. Du weißt schon instinktiv, wie man sie benutzt. Das ist wie Laufen.«

»Aber Laufen haben mir doch auch meine Eltern beigebracht«, werfe ich ein.

Ginger grinst breit. »Ja, schon, aber du musst es einfach nur wollen. Wenn du zum Beispiel nach etwas greifen willst, dann bewegt sich auch deine Hand.«

Wagemutig versuche ich es. Ich will diese Dinger auf meinem Rücken bewegen.

Plötzlich breitet sich der eine Flügel aus. Er fühlt sich nicht schwer an, eher leicht. So ein dunkles Rot habe ich lange nicht gesehen, es sieht verrucht aus und passt gut zu meinem braunen Haar, das ich immer in einem Zopf trage. Die Form der Schwinge erinnert an eine Fledermaus. Zur Probe schlage ich einmal mit diesem Flügel und lande prompt an der Wand der nächsten Hütte.

»Verdammt.«

Ginger lacht schallend auf und ich strafe sie mit einem bösen Blick. Der scheint sie jedoch überhaupt nicht zu interessieren. Richtig, ich vergaß schon wieder, wo ich bin.

»Du musst schon mit beiden Flügeln fliegen.«

»Anscheinend ist Ethan nicht der einzige Klugscheißer hier unten«, murmle ich. Aber ich habe sie schließlich um Hilfe gebeten. Ich rappele mich wieder auf, klopfe mir den Dreck von meiner Jeans und meinem weiten schwarzen Tanktop. Ist das überhaupt heil geblieben, wo mir plötzlich etwas aus dem Rücken ragt? Egal, eins nach dem anderen. Ich breite beide Flügel aus. Ginger hatten recht, sie fühlen sich wie ein Teil von mir an.

Probeweise schlage ich mit beiden und schieße sofort in die Luft. »Shit! Ginger!«

»Schon da, Eve«, jauchzt sie fröhlich und fliegt vor meiner Nase. »Wir kriegen dich schon hin.«

***

Laut meiner Uhr sind bereits zwei Höllentiefen vergangen. Anscheinend wird die Zeit hier nicht in Stunden gemessen, sondern daran, wie lange man vom Himmel in die Hölle fällt. Genau mein Humor.

Ginger meint, mein erster Sturz sei mir wahrscheinlich nicht so lange vorgekommen, weil ich zwischendurch ohnmächtig geworden sei. Sonst hätte ich auch die Schmerzen gespürt, als meine Flügel gewachsen sind. Wenigstens etwas Gutes, denn beim Aufprall blieb nur das Jucken zurück.

»Und eine Höllentiefe sind in etwa wie viele Minuten?«

Ginger sieht mich anklagend an.

»Du musst aufhören in menschlichen Dimensionen zu messen. Eine Höllentiefe ist eine Höllentiefe.«

Ich bin mir sicher, Ginger meint das absolut lieb, aber ich bin gerade erst gestorben.

»Jetzt kommen wir zum spannenden Teil«, doziert sie weiter und langsam bekomme ich das Gefühl, sie hat ihre Berufung verfehlt. Sicher hätte sie auch gern unterrichtet. »Die Rangliste. Die anderen kehren gleich zurück und Walther wird das Ergebnis verkünden.«

»Was zur Hölle?«, frage ich erstaunt und wieder stemmt Ginger ihre kleinen Ärmchen in die schmalen Hüften.

»Eve! Deine Erdensprache.«

»Kein ›O mein Gott ‹, kein ›Was zur Hölle ‹ … Was sagt ihr überhaupt hier unten?«, mosere ich und folge ihr schließlich kopfschüttelnd und zu Fuß. Das Fliegen macht unfassbar viel Spaß, aber ich habe bereits zwei Hausdächer zerstört, weshalb ich in der Siedlung lieber laufe.

Ginger führt mich aus der Häusergruppierung heraus in Richtung Höhle, nicht weit von dem Punkt entfernt, wo ich heute, nennen wir es, angekommen bin. Wie ein Stein vom Himmel gebrettert, klingt so negativ, laut Ginger.

Dass ich fliegen kann, macht die Hölle ein wenig attraktiver, als ich zunächst gedacht hätte. Auch wenn mir das Bild von dem schreienden Mann nicht aus dem Kopf will. Und es ist schön warm hier unten. Eventuell gewöhne ich mich sogar daran. Wenn es nicht mehr so sehr in meiner Brust schmerzt, dass ich Aidan und meine Familie nie wiedersehe. Vor allem die verpasste Chance, Lucy aufwachsen zu sehen, tut mir in der Seele weh.

Ich sehe zu der riesigen Felswand hinüber, vor der sich Walther positioniert hat. Vor ihm steht eine Meute an Dämonen, um die fünfhundert dürften es sein, gut erkennbar an ihren Flügeln, wie ich jetzt auch endlich verstanden habe. Die Frage ist nur, warum trägt Walther keine?

Ginger und ich stehen abseits auf einer Säule und betrachten das Schauspiel von oben.

»Dämonen, ob eure Arbeit auch heute wieder höllisch gut war, wird gleich der Punktestand verraten. Der Dämon, der unter der Linie steht, muss zu Warren.«

»Zu Warren?«, wispere ich Ginger zu, die plötzlich leichenblass wird. Okay, ich sollte wirklich aufhören solche Wortspiele in meinem Kopf witzig zu finden.

Doch sie ist nicht die Einzige. Die Menge vor mir wird mucksmäuschenstill. Beängstigend, wenn man bedenkt, wie viele es sind.

Habe ich den zweiten großen Haken an der Hölle gefunden?

Walther holt tief Luft, wahrscheinlich um seinen nächsten Worten mehr Ausdruck zu verleihen. »Warren hat ein paar neue Seelendienste für euch.«

Hilfe suchend schaue ich zu Ginger. Sie schluckt einmal kräftig. »Seelendienst ist schrecklich, wirklich schrecklich. Einige Dämonen sind nie davon zurückgekehrt und wir wissen nicht, was da unten passiert. Diejenigen, die es zurückschaffen, schweigen darüber und verkriechen sich in ihren Hütten«, erklärt sie.

Ich habe eindeutig den Haken gefunden.

Walther hebt einen Arm und plötzlich lodert hinter ihm eine meterhohe Liste auf. In Flammen geschrieben stehen an der Wand unfassbar viele Namen mit Punkten dahinter. »Das war eure heutige Leistung. Derjenige unter der Linie weiß, was passiert, und Fliehen ist zwecklos.« Dieser Mann da vorn spricht ohne Gefühl in der Stimme. Es scheint ihm absolut egal zu sein, wie es den Dämonen vor ihm ergeht.

Ein Dämon schreit auf, als sich die Linie über einem – ich nehme an, seinem – Namen entlangzieht.

»Kommen wir zur Hauptliste.«

Wieder hebt er den Arm und macht eine wischende Bewegung, als würde er das Feuer nach seinem Willen formen. Die Namen verschwinden und nur noch zwanzig bleiben in riesiger Schrift zurück.

Ganz oben thront der Name Ethan mit der Zahl 8.758. Ich sehe mich um und erkenne, wie er sich etwas abseits der Menge mit verschränkten Armen gegen eine Säule lehnt. Neben ihm scheint eine kleine Gestalt zu schweben, doch auf die Entfernung kann ich nichts Genaueres ausmachen. Ethan sieht gelassen aus. Alle anderen waren bei meiner Ankunft arbeiten, nur er befand sich bereits hier. Was auch immer sie dort in Punkten messen, er scheint der Beste zu sein.

»Damit ist Ethan der Wiedergeburt wieder ein Stückchen näher gekommen«, sagt Walther und erneut geht ein ehrfürchtiges Raunen durch die Menge. Dann jubeln die Dämonen auf einmal laut und feiern Ethan wie einen Helden.

»Wiedergeburt?«, wiederhole ich wie ein Papagei. Langsam glaube ich wirklich, dass ich meinen gesamten Intellekt an der Höllenpforte abgegeben habe.

»Ethan wird diese Chance sowieso wieder ausschlagen und das Spiel beginnt erneut«, meint Ginger, lacht trocken auf und fliegt neben mir auf und ab.

»Gibt es hier wirklich die Chance auf eine Wiedergeburt?«, frage ich noch einmal nachdrücklich.

Ginger zuckt mit den Schultern. »Ja, die gibt es, aber es gewinnt immer Ethan. Und jedes Mal lehnt er ab.«

»Dann muss man doch nur Ethan schlagen.«

»Klar, versuch mal ruhig Ethan zu schlagen.«

Dabei belächelt sie mich, als wäre ich ein dummes kleines Mädchen.

Vielleicht hat es nur noch niemand richtig versucht? Vielleicht hatten sie nicht die notwendige Motivation?

Plötzlich höre ich ein lautes Geräusch, woraufhin der Boden leicht vibriert, als wäre ein Fels von oben heruntergefallen. Alle Köpfe drehen sich nach hinten um, wo ich vor ein paar Höllentiefen gelandet bin. Die Dämonen werden unruhig. An derselben Stelle liegt ein Felsbrocken aus purem Gold. Da ich am nächsten stehe, klettere ich von meiner Säule hinunter und renne sofort auf ihn los.

Bei dem Anblick des Brockens schießen mir erneut Tränen in die Augen. Mein Herz zieht sich vor Freude zusammen und ich schaue sofort hinauf in das dunkle Loch, durch das ich hierhergekommen bin.

In den Steingeritzt sind eine Krone und eine Flamme. Prinz und Drache. Aidan und ich.