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© 2019 Verlag Anton Pustet
5020 Salzburg, Bergstraße 12
Sämtliche Rechte vorbehalten.
Lektorat: Beatrix Binder
Layout, Grafik und Produktion: Nadine Kaschnig-Löbel
Coverillustration: Nadia Grapes/shutterstock.com
eISBN 978-3-7025-8057-5
auch als Hardcover erhältlich:
ISBN 978-3-7025-0922-4
www.pustet.at
Geschichten und Bräuche
rund um Ostern
VORWORT
DAS LANGE FASTEN VOR DEM FEST
Kehr um!
Frutti di Mare oder Fastenbreze?
Flüssiges bricht Fasten nicht
Es ging um die Wurst
Schwarzmacher und Eierbettler
Der Engel spendet Trost
Fasnacht in der Fastenzeit!
Im hellen Schein der Chienbäse
Am Hungertuch nagen
Familienfasttag für die Dritte Welt
Das Fest der Trachten und der Lebkuchen
Sommer gegen Winter
König Gropp
Die Leidensgeschichte als Theater im Kleinen
PURPURROT UND VIOLETT
Hosanna!
Palmkätzchen und kirchturmhohe Palmlatten
Von Palmstöcken und vom Kreuzlstecken
Wenn Ministranten auf Eseln reiten
Tausende singen fromme Lieder
Gesalbt mit Chrisam
DAS TRIDUUM SACRUM
Wenn Glocken auf Reisen gehen
Ratschenbuam, Klebberbuwe, Klapperjungen
Im Laufschritt vor dem Tod davon
Antlaßeier – das Gelbe vom Osterei
Die Leidensgeschichte Punkt für Punkt
Golfspielen ausgerechnet am Karfreitag?
Die Karfreitagsprozession in Lohr
Reden mit Figuren, Schweigen beim Kreuzziachn
Oberammergau in ganz Europa
Das Leiden im Bild
In der Todesstunde Christi
Jesus ruht im Garten Gethsemane
Wer bewacht den toten Jesus?
Geweihtes Feuer für den häuslichen Herd
Zu Ostern gibt’s Weihfleisch
CHRIST IST ERSTANDEN
Pessach und Ostern
Frühlingsgrüße von Ostara?
Lumen Christi
Gute Osterfeuer und das böse Judasverbrennnen
Mächtige Osterräder rollen ins Tal
Keine Angst vor Osterprügeln!
In Kärnten wird lange gefackelt
Ostersänger kommen auch mitten in der Nacht
Die Hallenberger Krachnacht
Böllern mit der Milchkanne
Zwei Reiterzüge machen sich auf den Weg
Das Osterkreuz-Hoaz’n
VOM OSTERHASEN UND SEINEN EIERN
Batik, Grawirlach und vieles mehr
Der Big Bang für Ostereiermärkte
Viele Osterhasen sind des Osterfuchses Tod
Sein Name ist Hase, und er ist Postmeister
Die Paten kommen mit dem Godnküpfi
Rote Eier, Schnaps – und nette junge Damen
Rund ums Ei geht’s rund
Oascheiben, Zwänzgerle, Waleien
Fast 12 000 handbemalte Eier
NACH EMMAUS UND IN DIE FELDER
Mit allen (Oster-)Wassern gewaschen
Gones, Gones Kikeriki
Osterspaziergang, biblisch oder weinselig
Almkäse als Osterspende
Auf Steckenpferden rund um die Kirche
Beiern zu den heiligen Zeiten
Der Frühling ist rot und säbelbewehrt
Vom Oaradln und Osterziehen
SIEBEN WOCHEN OSTERFREUDE
Acht Tage lang in Alben
Auf zur Schweinshaxen-Versteigerung
Opfer gegen die Pest
Drache tot, Ritter und Pferd höchst lebendig
Die Beschützer all unserer Tiere
Georgi – ein wichtiger Tag im Jahreslauf
Drei Nägel, vier Berge, null Sünden
Was jetzt not tut ist der Wettersegen
Arbeiter und Nährvater
Feuer, Wasser, Kälte
AM ENDE DES OSTERFESTKREISES
Hinauf zum Vater – am deutschen Vatertag
Himmelfahrt durchs Auffahrtsloch
Der Auffahrtsumritt
Wo liegen die Grenzsteine?
Segen vom Blutreiter
Tauben, Brotvögel und Suppenbrunzer
Fressen wie ein Firmling
Wintervertreiben im Frühsommer?
Der Pfingstsprützlig und seine grünen Kollegen
Maien, Pfingsttänze und ein Dreckschweinfest
D’ Wasservögl soll ma giaßn
Das große Schau-Fest der katholischen Kirche
Ehrengarden fürs Allerheiligste
Wenn die Schokohasen schon seit Wochen Schlange stehen in den Regalen der Supermärkte, dann ist Ostern nicht mehr weit. Palmweihe und Eierfärben sind angesagt, Osternester werden in den Gärten versteckt.
Doch war’s das schon mit den Osterbräuchen? War da nicht noch etwas mit Jesus, Passion und Auferstehung? Nicht nur in großen Städten ist der Anteil der Christen an der Bevölkerung deutlich zurückgegangen, in manchen Stadtvierteln schon auf unter fünfzig Prozent gesunken. Da schadet es nicht, daran zu erinnern, dass Ostern eigentlich nicht das Fest der bunten Eier ist.
In den Büchern „Tannenbaum und Bohnenkönig“ und „Borstenvieh und Donauwalzer“ wurde den Bräuchen und gesellschaftlichen Ritualen rund um Weihnachten und den Jahreswechsel nachgespürt. Nun sind die Fastenzeit und der Osterfestkreis dran. Im Blick ist wieder der deutsche Sprachraum. Auch in dieser Zeit im Jahr gibt es eine Überfülle von Bräuchen. Lokal, regional und überregional. Bei Katholiken und Protestanten. Es sind auch Leute dabei, die mit der Kirche gar nichts am Hut haben.
Man muss nur genau genug schauen, um zu erkennen: Weltliche und religiöse Bräuche werden nicht bloß halbherzig weitergeführt, sondern aufs Neue und mit neuer Leidenschaft gepflegt. Ist solch lebendiges Brauchleben nicht paradox in einer Zeit, in der vielen Menschen der tiefere Sinn der (christlichen) Religionen allmählich abhanden zu kommen scheint? Ungebrochen scheint jedenfalls die Sehnsucht nach verbindenden Ritualen. Wir alle brauchen Bräuche: Die gemeinsame Wortwurzel kommt nicht von ungefähr.
Wir haben also wieder beobachtet, beschrieben, nachgefragt und nachgelesen. Und wieder haben wir erfahren: Bräuche sind kein gestriges Kulturgut, das irgendwo ein geschütztes Dasein fristet wie Museumsstücke in Vitrinen. Es geht unmittelbar um uns selber. Im Brauch spiegelt sich unsere Lebenssituation. Und es blitzt immer auch ein gutes Stück heile Welt durch. Das muss auch sein, für die Seele. Menschen erleben in den Bräuchen Gemeinschaft – und nicht zuletzt macht ihnen das gemeinsame Tun unbändige Freude. Dieses pralle Leben teilt sich, so hoffen wir, auch in diesem Buch mit.
Reinhard Kriechbaum
Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten.
Du aber salbe dein Haar, wenn du fastest, und wasche dein Gesicht, damit die Leute nicht merken, dass du fastest, sondern nur dein Vater, der auch das Verborgene sieht; und dein Vater, der das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.
Diese Bibelstelle aus dem Matthäusevangelium (Mt 6,16-18) eröffnet die Fastenzeit, sie wird im Gottesdienst am Aschermittwoch gelesen. Auch andere sinnvolle Anweisungen gibt es da: Wer Almosen gibt, möge dieses nicht vor sich her posaunen, sondern gefälligst so wenig Wind wie möglich drum machen. „Tu Gutes und rede darüber“ – dieser zeitgeistige Spruch läuft der Bibel-Weisheit also krass entgegen.
Vor dem Osterfest steht das Fasten, und das ist gut so, nicht nur, weil in unserer Überflussgesellschaft der Körper auch regelmäßig entschlackt gehört. Soll man etwa, wenn zum Abendessen groß aufgekocht wird, sich schon zu Mittag der Völlerei hingeben? Das Leben soll nicht immer gleich dahingehen, zum Genuss gehört das Sich-Bescheiden im Vorfeld. Das ist die sinnvolle Grundidee einer Vorbereitungszeit.
Hausfrauen, die umständlich mit Asche hantieren, anstatt zu handlichen Waschmittel-Tabs zu greifen, gibt es ja nicht mehr – es sei denn, sie frönen der Nostalgie und haben ein altes Hausrezept ausgegraben. Asche ist jedenfalls nicht nur ein Symbol für Vergänglichkeit, sie ist auch ein probates Mittel zur Reinigung. Sie macht das Wasser basisch, die Lauge greift die Textilfasern an und hilft, Öl zu zersetzen – so die Ultrakurz-Erklärung.
Auf beide Bedeutungen, Vergänglichkeit und Reinigung, verweist der Ritus, der dem Aschermittwoch den Namen gegeben hat: Das Aschenkreuz wird den Gläubigen am Tag nach dem Faschingsdienstag, wenn Schluss ist mit lustig, ist, auf die Stirn gezeichnet. Diesen Ritus hat Papst Urban II. bei der Synode von Benevent im Jahr 1091 eingeführt. Schon im 12. Jahrhundert wurde festgelegt, dass diese Asche durch Verbrennen der Palmzweige vom Vorjahr gewonnen werden soll. Trotzdem wird auch die Asche nochmal gesegnet.
„Kehre um und glaube an das Evangelium“, mahnt der Priester, während er das Aschenkreuz verteilt. Die alttestamentarische Mahnung „Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst“ ist zu dem Anlass kaum noch zu hören. Die (katholische) Kirche spricht auch nicht mehr von „Fastenzeit“, sondern von „österlicher Bußzeit“.
Das lateinische Wort quadragiens heißt „vierzig Mal“. Deshalb heißt die Fastenzeit in der lateinischen Sprache der Liturgie Quadragesima. Die vierzig Tage kommen nicht von ungefähr: Angeblich dauerte die Sintflut genau diese Zeitspanne und die Israeliten waren so lange in der Wüste unterwegs. Mose hielt sich vierzig Tage lang auf dem Berg Sinai auf und der Prophet Elija pilgerte auch so lange auf den Berg Horeb, auf der Suche nach einer Begegnung mit Gott. Vierzig Tage lang fasteten die Bewohner von Ninive auf Anraten des Propheten Jona – und entgingen so der Zerstörung ihrer Stadt. Schließlich fastete auch Jesu selbst vierzig Tage in der Wüste.
Eine symbolhaft aufgeladene Zahl also – aber warum dauert es dann tatsächlich mehr als vierzig Tage vom Aschermittwoch bis Karsamstag? Die Sonntage werden nicht mitgezählt, denn der Tag des Herrn erinnert an die Auferstehung, gilt also als Freudentag. Der Gründonnerstag, der Tag des letzten Abendmahls, rechnet auch nicht zur Fastenzeit.
Dass man sich vorbereitet auf ein Fest, ist eigentlich eine logische Sache. Wie lange, darüber hat man sich in der Kirche erst einig werden müssen. Schon im 3. Jahrhundert kannte man in Syrien und Ägypten eine einwöchige Vorbereitungszeit, also so etwas wie die Karwoche. In der ganz frühen Kirche hielt man’s generell kürzer, aber Athanasius von Alexandrien schrieb 334 als Erster von einer 40-tägigen Vorbereitungszeit auf Ostern hin. Kirchlicherseits ist nur noch an zwei Tagen strenges Fasten angesagt, am Aschermittwoch und am Karfreitag. Derzeit sind die Gesundheitsapostel also deutlich päpstlicher als der Papst: Gerade am Beginn der Fastenzeit sind die Zeitungsseiten voll mit Anleitungen, wie man sich wenigstens die kommenden paar Wochen Geist, Seele und Körper zuliebe ein wenig ausklinken soll aus der Überflussgesellschaft.
Man darf sich schon auf nichts freuen: Wenn schon, dann Forelle, Saibling oder Karpfen aus heimischem Süßwasser, empfiehlt der World Wildlife Fund (WWF) im Hinblick darauf, dass die Meere hoffnungslos überfischt sind. Und sowieso gilt: Ein Fischbuffet mit Shrimps und dergleichen verträgt sich nur schwerlich mit der christlichen Idee des Fastens.
Der Heringsschmaus ist vor allem in Österreich unterdessen sozusagen institutionalisiert, er wurde quasi zum neuen Brauch in einer post-religiösen Gesellschaft. Vielen Leuten, denen Kirchgang, Aschenkreuz, Besinnung aufs Osterfest hin wenig bedeuten, pilgern zum Heringsschmaus, sei es im privaten Kreis oder im Restaurant. Für den Volkskundler eine allemal interessante Brauch-Wandlung. Altes, nicht mehr Verstandenes wird ad acta gelegt, und neue Bräuche kommen auf.
Der Heringsschmaus ist freilich keine neue Erfindung: Carne vale, „Fleisch ade“, heißt es – einst waren auch Milchprodukte, Eier und Schmalz verpönt. Dafür galt alles, was unter Wasser lebte, als erlaubt. Fisch fand sich also auf den klösterlichen Speiseplänen, aber findige Mönche haben im Mittelalter kurzerhand auch am Wasser sich aufhaltende Tiere zu Wassertieren erklärt: Gänse landeten auf der Fastentafel, und im Konstanzer Konzil von 1414/18 hat man sogar Biber und Otter als fischig genug eingestuft, sodass sie in der Fastenzeit gegessen werden durften. Lust auf Fleisch macht erfinderisch.
Fasten mit Listen und Finten: Den Mönchen im schwäbischen Kloster Maulbronn wird nachgesagt, sie hätten ein großes Stück Fleisch fein zerteilt und in Teigtaschen versteckt. Der Herrgott würde es schon nicht merken. Eine Sanktion von ganz oben gegen die Maulbronner Zisterzienser ist nicht dokumentiert, aber jedenfalls ist’s eine nette Legende zur Entstehung der schwäbischen Maultaschen.
Heringe galten früher als Arme-Leute-Essen, Heringsschmaus ist in diesem Sinn eigentlich eine ziemlich beschönigende Formulierung. Aber wenn Frutti di Mare serviert werden …
Die Krapfenzeit ist mit dem Aschermittwoch vorbei, es kommt die Zeit der Fastenbrezen. Die sind zwar nicht weniger vom Aussterben bedroht als manche Fischart – aber regional gibt es sie doch noch: Im nördlichen Salzburg zum Beispiel und im Rupertiwinkel, der ans Bundesland Salzburg unmittelbar angrenzenden Region Bayerns. Im Salzburger Lungau sind die Fastenbrezen nicht überkreuzt, sondern ringförmig. Sie seien „zum Überden-Tag-Essen“ gedacht, sagt der Tamsweger Bäcker und Konditor Hochleitner, sonst würden sie hart werden.
Fastengebäck hat es früher auch in Deutschland in katholischen Gegenden gegeben. 1598 wird die Biberacher Fastenbrezel erstmals urkundlich erwähnt. Heute liegt dieses Jahreszeitengebäck in vertrauter Brezelform wieder auf vielen Bäcker-Verkaufstischen in Biberach an der Riß. Ihre charakteristische weiße Farbe erhalten die „Faschdabrezga“, weil sie vor dem Backen nicht in Lauge, sondern in heißem Wasser gekocht werden. Auch das „Blaue Ländchen“, eine Gegend im rheinland-pfälzischen Taunus, ist für seine noch wache Fastenbrezen-Tradition bekannt.
Im Salzkammergut sagt man zur Brezensuppe auch Beichtsuppe. Dahinter steckt der Usus, dass jeder im Hause, auch die Dienstboten auf dem Land, während der Fastenzeit zur Beichte gehen mussten. Der Hausvater kontrollierte das Beichtbildchen mit Jahreszahl, das man bei dieser Gelegenheit bekam. Der Gang zur Beichte war jedenfalls ein freier Tag für die Mägde und Knechte, „der einzige gute Tag in der Fastenzeit“. Nach Hause zurückgekehrt, gab es für sie stärkende Brezensuppe. Im Salzburger Pinzgau hat die Hausfrau zu dem Anlass sogar Honigkrapfen gebacken.
Sonst freilich war’s um die Krapfen vorerst schlecht bestellt: Jene Krapfen, die vom Fasching übrig geblieben waren, wurden auf Schnüre gefädelt und getrocknet. Am Ostersonntag nahm man sie als Suppeneinlage her.
Da müssen wir schon eine Anekdote erzählen, die aber wohl nicht wahr ist: Bayerische Mönche sollen angesichts ihres köstlichen Gebräus Zweifel bekommen haben, ob’s nicht doch eine Sünde ist, solche Köstlichkeit in der Fastenzeit zu konsumieren. Also schickten sie ein Fass davon nach Rom, auf dass der Papst selbst koste und entscheide. Ein solcher Transport über die Alpen dauerte Wochen. Solange war Bier damals nicht haltbar. Den Heiligen Vater erreichte ein recht ekeliges Gesöff. „Nachdem er probiert hatte, lobte der Papst die Leidensfähigkeit seiner bayerischen Brüder und gab das Starkbier als Fastentrunk frei.“ So das Seele und Leber erquickende bayerische Narrativ zur Causa Fastenbier.
Wieso aber überhaupt Starkbier, wieso gerade in der Fastenzeit, und wieso auch „Bockbier“? Mit dem gehörnten Tier hat’s gar nichts zu tun, es könnte genausogut Pichler-Bier heißen. Elias Pichler nämlich hieß jener Braumeister, den man 1614 aus der damaligen niedersächsischen Hansestadt Einbeck nach München ans Hofbräuhaus holte, seiner Expertise wegen. Das „Ainpöckisch Bier“ nämlich war erstens stärkend – eine doppelte Portion flüssiges Brot sozusagen. Zweitens wurde das obergärige Bier aus Einbeck weit gehandelt. Um die Haltbarkeit zu erhöhen, haben die Einbecker mit hohem Stammwürzegehalt gebraut. Das „Ainpöckisch Bier“ wurde zum Bockbier verballhornt.
Ein Starkbier oder Bockbier ist ein Bier, dessen Stammwürzegehalt über 16 % liegt. Sein Alkoholgehalt ist damit 6,5 % oder höher. Ein Doppelbock ist ein Starkbier mit einem eingebrauten Stammwürzegehalt von mehr als 18 % und einem Alkoholgehalt bis zu 12 %. Alle bayerischen Fastenstarkbiere sind Doppelbockbiere.
Wenn wir schon beim Trinken und beim gleichzeitigen Fasten sind: Die Klosterregel „Flüssiges bricht das Fasten nicht“ gilt seit dem 16. Jahrhundert. Und sie galt sogar für Trinkschokolade. Im Jahre 1569 soll nämlich Papst Pius V. auf die Frage eines Gesandten der mexikanischen Bischöfe, ob ein neuartiges Getränk namens „Xocoatl“ in der Fastenzeit getrunken werden dürfe, befunden haben, dass man auch mit (Trink-)Schokolade das Fasten nicht breche. Das Wort des Papstes war damals allerdings nicht das letzte. Die Jesuiten, die über ihre Südamerika-Missionen mit dem Genussmittel Kakao Handel betrieben, waren logischerweise für dessen Konsum, die Dominikaner aber strikt dagegen. Man stritt noch eine Weile um die Schokolade.
Übers Bier wurde nie ernsthaft diskutiert. Als flüssiges Grundnahrungsmittel war es gerade in der Fastenzeit, als tierische Produkte inklusive Fett verboten waren, für Mönche wie für die Bevölkerung als Kalorienspender unverzichtbar.
Eigentlich ist es ganz erstaunlich: Mit dem „Zürcher Wurstessen“ im Jahr 1522, der Initialzündung für die Kirchenspaltung in der Lesart des Schweizer Reformators Ulrich Zwingli (1484–1531), gäbe es einen historisch gesicherten Anlass, auf dass eine Stadt, ein halbes Land sich zu einem Fastenbrechen-Brauch zusammengefunden habe. Dem ist erstaunlicherweise nicht so. Nicht mal der Tourismus hat marketingmäßig auf dieses Pferd, pardon, diese Wurst gesetzt. Aber im Gedächtnisjahr 2018 im Zeichen von 500 Jahren Reformation hat es doch Wurstessen in manchen reformierten Kirchengemeinden gegeben, und das eigentliche Jubiläum kommt ja erst 2022 …
Zum Zürcher Wurstessen: Dazu kamen 1522 im Hause des Buchdruckers Christoph Froschauer einige Bürger zusammen. Sie verstießen damit provokant gegen das geltende Fastengebot der katholischen Kirche. Zwingli und Konsorten hatten ein anderes Fastenverständnis: „Willst du fasten, tue es; willst du lieber kein Fleisch essen, iss es nicht, lass aber dabei den Christenmenschen ihre Freiheit.“ Das war Zwinglis Ansicht, und wie Luther im fernen Wittenberg argumentierte er in einer viel beachteten Predigt zwei Wochen später („Von erkiesen und fryheit der spysen“), das man aus der Bibel keine Speisevorschriften ableiten könne, es also keine Sünde und nicht kirchlich zu ahnden sei, wenn jemand das Fastengebot breche. Fasten sei Privatsache. Nach heftigen Auseinandersetzungen zwischen katholischer Kirche, aufsässigen Erneuerern und der Zürcher Regierung – sogar zu Wirtshausschlägereien soll es ob des theologischen Disputs gekommen sein –, ging nach einem Jahr Zwingli als Sieger hervor. Christoph Froschauer, ebenfalls ein Wurst-Esser, druckte wenige Jahre später die erste vollständige Reformationsbibel.
Wie halten es die evangelischen Kirchen heute mit dem Fasten? Im Gegensatz zur katholischen oder orthodoxen Kirche empfehlen sie zwar Verzicht, haben aber keine verbindlichen Fastenzeiten oder allgemeingültige Fastengebote. Martin Luther lehnte die Vorstellung ab, dass Verzicht und Askese als gute Werke vor der Hölle bewahren. Für ihn war das Fasten – ein Punkt, in dem er sich mit Zwingli einig war – eine individuelle Frömmigkeitsübung. Diese individuelle Reflexion ist auch Ziel der von den deutschen evangelischen Kirchen – und unterdessen auch in Österreich proklamierten – Aktion „Sieben Wochen ohne“.
Aber nochmal zurück zum Zürcher Wurstessen: Tatsächlich produziert der Turbenthaler Metzgermeister Georg Brunner „Zwingli-Wurst“ nach uraltem Rezept – und er war nicht wenig erstaunt, als er erfuhr: Die Landeskirche hat den Namen längst mit einer Trademark geschützt, ebenso wie Zwingli-Bier und Zwingli-Wein. Es soll nämlich Zwingli nicht so ergehen wie Luther, mit dessen Namen merkantiler Schindluder getrieben wird. Aber die „Zwingli-Wurst“ hat man durchgehen lassen. Ein Teil der Einkünfte geht an die Kirchengemeinde.
Das Ziel: „Pschuuret“, also schwarz angemalt, sollen zuletzt möglichst viele unverheiratete Frauen, Kinder und Jugendliche sein. Am Nachmittag des Aschermittwoch – den man hier auch „Pschuurimittwucha“ nennt – sind in der Graubündner Gemeinde Splügen die Pschuurirolli unterwegs. In alte Kleider und in Felle gehüllt ziehen sie durchs Dorf. Sie tragen ein Säcklein mit der gefürchteten Schmiere aus Kohle, Fett und Schuhwichse mit sich. Gut, dass die Pschuurirolli Schellen um die Hüften gebunden haben, man hört sie also und kann davonlaufen. Klappt das nicht, gibt es eine Abreibung mit der Paste, deren genaue Rezeptur so etwas wie ein Betriebsgeheimnis der Pschuurirolli ist.
Wirklich ein archaisches Fruchtbarkeitsritual, das die heiratsfähige Jugend aneinanderbinden soll? Den Kontakt zwischen den Geschlechtern fördert es allemal. Brauchträger ist die Jungmannschaft, eine Vereinigung der Jugend im Lebensabschnitt zwischen dem Schulabgang und Eheschließung.
Zu Sonnenuntergang scheint das Gegeneinander der Geschlechter zu Ende und es bilden sich Paare. Aber „Männli“ wie „Wibli“ sind verkleidete Burschen, die mit einem Korb unterwegs sind, um Eier zu erbetteln. Sie bleiben so lange maskiert und verstellen die Stimme, bis die Hausleute die Besucher erkennen. Nicht selten kommen diese aber auch unerkannt davon. Am Ende werden jedenfalls die wirklichen Mädchen von den Burschen zum abendlichen Fest eingeladen. In einer Hotelküche werden Eiersalat und das traditionelle Getränk „Resimäda“, Rotwein vermischt mit Eiern und Zucker, zubereitet, der Schmaus beginnt nach Mitternacht.
Schon am Vormittag des Aschermittwochs ziehen Vorschulkinder mit umgehängten Tragkörben, den „Tschifferli“, als „Pschuuribättler“ in Gruppen von Haus zu Haus und bitten um Gaben mit dem Spruch „Pschuuri, Pschuuri Mittwuchä, äs Eischi oder äs Meitschi“. Irgendwie Fasnacht über den Faschingsdienstag hinaus.
Splügen ist der Hauptort des Rheinwalds, südlich von Chur nahe der Grenze zu Italien.
www.viamala.ch
Nur eines habe sich im Laufe der Jahre beim Ölbergspiel geändert, so die Franziskaner vom Kloster Dietfurt an der Altmühl: „Früher sangen die Mönche, heute singt der Kirchenchor.“ Ein Mann leiht dem Christus die Singstimme, denn der selbst kann nicht singen: Es ist eine holzgeschnitzte Figur.
An den Donnerstagen der Fastenzeit werden die Fenster der Franziskanerkirche mit schwarzen Tüchern verhängt. Das Bild ist vom Hochaltar entfernt, dort sieht man jetzt eine Kulissenlandschaft mit der Ölbergszene, dem Garten Getsemani. Die – ebenfalls gemalten – Apostel schlafen, Christus kniet allein da. Solist und Kirchenchor beschreiben singend die Ängste des Gottessohns in dieser düsteren Stunde. Langsam senkt sich ein Kreuz auf ihn, die bewegliche Figur sinkt zu Boden. Doch da greifen die Helfer im Hintergrund zur Kurbel, und von oben schwebt ein Engel herab, auf Wolken und im güldenen Strahlenkranz. Es muss ein Kind sein, denn das Gewicht eines Erwachsenen würde der alte Mechanismus nicht verkraften. Der Engel singt Jesus Mut zu und reicht ihm einen Kelch.
Das Dietfurter Ölbergspiel, seit 1680 beurkundet, beginnt mit einem Rosenkranz der Gläubigen. Nach jeder der drei Spielszenen gibt es Schriftlesungen. Zur Predigt am „Fastenpfista“, so ein alter Name für die Donnerstage der Fastenzeit, werden namhafte geistliche und Theologen eingeladen.
Mit der Aufhebung des Klosters in der napoleonischen Zeit war es auch mit der Ölbergandacht vorbei, aber mit der Wiedererrichtung des Klosters 1827 hat man auch das „Heilige Spiel von der Agonie Christi“ wieder eingeführt. Nicht einmal in der NS-Zeit hat man auf diese volkstümliche vorösterliche Glaubenspraxis verzichtet. „Die uns Heutigen etwas antiquiert anmutenden Liedertexte wurden bewusst belassen“, heißt es.
Eine noch viel längere, aber auch bewegte Geschichte hat das ebenfalls an den Donnerstagen der Fastenzeit stattfindende Ölbergspiel in der Lorenzkirche im nahen Berching. Dort wird auch Christus von einem Menschen gespielt. 1516, also vor über fünfhundert Jahren, hat ein gewisser Leonhard Griessel die „Angst“ – wie diese theatralische Andacht kurz genannt wurde – gestiftet. 1881 wurde das geistliche Spiel durch ein Glasgemälde zum Thema ersetzt, aber die Bevölkerung erinnerte sich noch über Jahrzehnte an das lieb gewordene Spiel. Ab 1929 hat es wieder stattgefunden, 1942 wurde es von den Nationalsozialisten verboten, 1951 wieder eingeführt und 1967 mit der Auflösung der franziskanischen Niederlassung aufgegeben. Seit 1982 gibt es das Ölbergspiel in der St. Lorenzkirche wieder.
Dietfurt und Berching liegen 25 bis 30 km westlich von Regensburg im Altmühltal.
www.dietfurt.de
www.berching.de