Johannes Wilkes


Abgestürzt








Franken-Krimi






Prolibris Verlag




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Titelbild: © Johannes Wilkes
Schriften: Linux Libertine
E-Book: Prolibris Verlag
ISBN E-Book: 978-3-95475-196-9
Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.
ISBN: 978-3-95475-187-7

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Handlung und Figuren dieses Romans entspringen der Fantasie des Autors. Eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Nicht erfunden sind bekannte (historische) Persönlichkeiten, Institutionen, Straßen und Schauplätze in Franken.



Eine Gerichtsverhandlung im legendären Saal 600 des Nürnberger Schwurgerichts bildet die Rahmenhandlung für diesen Kriminalroman, der den Leser in die Städte Nürnberg und Erlangen, aber auch nach Afghanistan führt.
Der Autor
Johannes Wilkes ist Autor zahlreicher Krimis, aber auch unblutiger Bücher. Sein erster Kriminalroman aus dem Jahr 2013, "Der Tod der Meerjungfrau", spielt auf Spiekeroog, ihm folgten bisher noch drei weitere Inselkrimis.
Seine Kenntnisse über Franken, Erlangen und Nürnberg bewies er in drei Landschafts- und Städteportraits. "Abgestürzt" ist sein vierter Kriminalroman, der in Franken spielt.






»Ich spürte keinen Hass, nur Ekel.«
Arno Hamburger
1
Fersal Jedden saß sichtlich angespannt auf der Anklagebank. Den Oberkörper leicht nach vorne geneigt, ließ er seinen Blick immer wieder hastig über die Zuschauerbänke schweifen. Manche Besucher sagten später, er habe Angst vor der drohenden Verurteilung gehabt, andere meinten, die Ursache seiner Nervosität sei wohl eher die Furcht vor dem Prozess an sich gewesen. Jedenfalls arbeiteten die Kaumuskeln des jungen Mannes unentwegt, und seine braunen Füße, die ohne Socken in hellen Slippers steckten, rutschten unruhig hin und her.
Wie auch bei allen folgenden Verhandlungstagen trug Fersal Jedden ein einfaches weißes T-Shirt und verwaschene Jeans. Die schwarzen Haare hatte er sich nach der aktuellen Mode bis zu den Schläfen hinauf ausrasieren lassen, umso voller wellten sich die Locken entlang des Scheitels. Sein Körperbau war schlank, aber nicht schlaksig, sein glattes, bartloses Gesicht hatte eine zartbronzene Tönung, seine Augen waren von einem solch tiefen Braun, dass es sich kaum vom Schwarz seiner Pupillen unterscheiden ließ.
Als die Anklageschrift verlesen wurde, schien er zu erstarren, nur gelegentlich schüttelte er leise den Kopf.
Der Saal 600 war voll besetzt, jener Saal, der als Ort der Nürnberger Prozesse Justizgeschichte geschrieben hatte. Viele Zuschauer waren gekommen, weil sie Cornelius Fischer gekannt hatten, der nun in Erlangen auf dem Neustädter Kirchhof lag und eine junge Ehefrau hinterließ. Es herrschte eine ernste, ja fast feierliche Stimmung bei den Besuchern, vielleicht weil man dem Schwurgerichtssaal auch siebzig Jahre nach den Nürnberger Prozessen noch seine historische Bedeutung anmerkte. Hier hatten nach dem Zweiten Weltkrieg die alliierten Richter über die nationalsozialistischen Verbrecher und ihre Schergen zu Gericht gesessen.
Der Saal befand sich im östlichen Teil des großen Nürnberger Justizkomplexes, der mit eindrucksvoller Monumentalität die Fürther Straße beherrschte, jene frühere Prachtchaussee, die auf eine Initiative des großen preußischen Staatsmannes Karl August von Hardenberg zurückging und auf der 1835 der Adler, die erste deutsche Eisenbahn, entlanggedampft war. Es gab inzwischen konkrete Pläne, künftige Prozesse in einen Anbau zu verlegen, um diesen historischen Saal, den manche als Kreißsaal des Völkerstrafrechts bezeichneten, in das vielbesuchte »Memorium Nürnberger Prozesse« miteinzugliedern. Noch aber diente er als Gerichtssaal für besondere Mordprozesse. Und dieser Prozess zählte zweifellos zu den außergewöhnlichen, darin waren sich alle einig, egal wie sie zu dem Angeklagten standen.
Gerd Diehl, der betagte Gerichtsdiener, hatte auf Wunsch von Richter Brüggemann, der den Vorsitz des Schwurgerichts führte, die Heizung kräftig aufgedreht, worauf sich die Luft mit einer schwülen Feuchtigkeit sättigte, denn die Kleidung der Besucher war vom Regen durchnässt. Der Gerichtsdiener, der aus dem nahen Fürth stammte, eine Tatsache, die unter seinen Nürnberger Kollegen immer wieder für scherzhafte Sprüche sorgte, arbeitete seit über vierzig Jahren im Haus, keiner kannte den Justizpalast besser. Er hätte dem Richter sagen können, dass es sinnvoller gewesen wäre, bei diesem Wetter nur moderat zu heizen. Doch welcher Richter hört schon auf einen Gerichtsdiener?
Es regnete seit Tagen. Fahl nur drang das Licht des trüben Novembertags durch die hohen Fenster des Gerichtssaals, immer wieder ließen Windböen Regenschauer gegen die Scheiben prasseln, die langsam zu beschlagen begannen. Selbst die Ältesten unter den Besuchern konnten sich nicht erinnern, wann es zuletzt derart geregnet hatte. Im Nürnberger Umland schwollen die herbstlichen Rinnsale zu lebhaften Bächen an, von den Höhen der Fränkischen Schweiz, vom Hersbrucker Land und aus dem Nürnberger Süden führten sie der Pegnitz viel Wasser zu. Ihre lehmbraune Brühe strömte beim Tratzenzwinger in die Stadt hinein, passierte unruhig brodelnd die alten Brücken, um beim Hellertörlein die Altstadt wieder zu verlassen. Ihr Pegel stieg stetig, die Gefahr einer Überschwemmung aber bestünde im Stadtgebiet nicht, darauf wiesen die Behörden hin, ein ausgeklügeltes System an Rückhaltebecken und verborgenen Hochwasserstollen sorge für Sicherheit. Dennoch ging mancher Blick sorgenvoll zu den Fenstern, wenn der Wind die Tropfen an die Scheiben peitschte.
Der Einzige, den das Wetter nicht zu kümmern schien, war der Angeklagte. Achtundsiebzig Tage hatte er in Untersuchungshaft sitzen müssen, in einer acht Quadratmeter großen Zelle, die nur ein winziges vergittertes Fenster besaß. Alles war besser als das Leben in dieser Zelle. Das Prasseln des Regens, bewies es ihm nicht, dass das Leben nicht stillstand? Dass es weiterging, trotz seiner misslichen Lage?
Etwas abseits von den Zuschauerbänken saßen die Zeitungsleute. Um den zahlreichen interessierten Journalisten die Teilnahme zu ermöglichen, hatte man zusätzliche Plätze geschaffen. Ganz außen, dicht am Fenster, saß der Reporter der Nürnberger Nachrichten. Während sich seine Kollegen von den überregionalen Blättern zu kennen schienen, miteinander flachsten und sich auf kleinen Zetteln Notizen zusteckten, hatte Dirk Zimmermann, bewusst oder unbewusst, seinen Stuhl ein Stück abgerückt. Er empfand es als unpassend, mit welcher Routine und mit wie wenig Betroffenheit seine Kollegen dem Prozess folgten. Gewiss, es waren alte Hasen, die schon von überall berichtet hatten, aus allen großen Metropolen, von den unsagbarsten Verbrechen, den spektakulärsten Mordprozessen. Dennoch hielt Dirk Zimmermann es mit der Würde des Gerichts nicht für vereinbar, sich während einer Verhandlung zu geben, als berichte man von einem Fußballspiel. Auch fühlte er sich von seinen Kollegen nicht richtig ernst genommen, so dass er sich überlegte, ob er sich nicht besser zu den Zuschauern setzen sollte.
Dirk Zimmermann war einunddreißig Jahre alt und mit fast zwei Metern von auffallender Größe. Er wohnte in der Nürnberger Südstadt am Aufseßplatz, einer Gegend, die nicht zu den bevorzugten Wohnlagen gehörte. Vor vier Jahren, im Frühjahr 2012, hatte sich der Reserveoffizier freiwillig für den Einsatz in Afghanistan beworben. Das hatte ihm ein gutes Jahr später seinen linken Arm gekostet. Wieder daheim hatte er nach einer quälend langen Zeit der Rehabilitation und einer Phase tiefer Depressionen an der Erlanger Universität das unterbrochene Studium der Literaturwissenschaften wiederaufgenommen, sich dann jedoch für die Ausbildung zum Redakteur entschieden. Die Armprothese, die man ihm im Bundeswehrkrankenhaus Koblenz angepasst hatte, hatte er zu Hause in den Kleiderschrank geworfen. Er kam mit dem Ding nicht zurecht und stopfte stattdessen lieber den schlaffen linken Ärmel seines Hemdes in die vordere Hosentasche.
Um kurz nach acht, unmittelbar vor Prozessbeginn, hatte Dirk Zimmermann auf dem Gerichtsflur die Ehefrau des Todesopfers getroffen, Maria Fischer. Die junge Frau hatte auf einer der langen Holzbänke gesessen, dicht beim Treppenhaus, und ihren Blick auf die Fliesen geheftet.
»Alles gut, Maria?«, hatte er sie gefragt, sie jedoch hatte ihren Kopf nur schweigend von ihm weggedreht. »Komm schon«, hatte er gesagt, »komm schon, Maria!«
Der Anblick der auf der Holzbank sitzenden Witwe sollte ihn während des ganzen Prozesses begleiten: ihr blondes Haar, das sie sonst offen trug, nun aber straff nach hinten gebunden hatte; die Art, wie sie ihre Finger verknotete; und dann, endlich, der kurze Moment, in dem sich ihre Augen begegneten.
»Lass mich«, flüsterte sie, nüchtern, ohne Ablehnung in der Stimme, doch mit unverkennbarer Deutlichkeit.
Was nur lag in ihrem Blick? Dirk Zimmermann wurde nicht schlau aus ihr. War es Verzweiflung oder Enttäuschung? Und hätte das einen Unterschied gemacht? Er hatte lange darüber nachdenken müssen, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen.
»Mensch, Maria, komm«, sagte Dirk noch einmal.
»Lass mich«, erwiderte sie erneut.
»Maria!«, versuchte er es nun fast flehentlich.
»Lass mich«, sagte sie und hatte den Blick wieder auf den Boden geheftet.

Er würde sich nach der Pause einen Platz unter den Zuschauern suchen, jetzt war er sich sicher, auch wenn es dort wesentlich enger war. Neben den anderen Reportern fühlte er sich fehl am Platz. Noch aber saß er unter den hohen Fenstern, gegen die der Regen klatschte. Mochte es nur immer weiter regnen, dachte er sich, mochte es nie wieder damit aufhören. Fast war es ihm, als fürchtete er sich vor dem Augenblick, an dem die Sonne den Wolkenvorhang zerriss.
10
Der Regen hatte nachgelassen. Im Gerichtssaal aber blieb die Luft geschwängert von den Ausdünstungen der nur langsam trocknenden Mäntel und Jacken. Zwar hatte Gerd Diehl auf Geheiß des Vorsitzenden alle Heizkörper wieder aufgedreht, die sich steigernde Wärme verstärkte jedoch den feuchten Dunst noch weiter, so dass eine fast tropisch zu nennende Schwüle die Menschen zum Schwitzen brachte. Der Gerichtsdiener kippte die Oberlichter der hohen Fenster, die er auf Richter Brüggemanns Anweisung hatte schließen müssen, heimlich wieder auf, wodurch die Geräusche der Fürther Straße in den Gerichtssaal drangen. Etwas melancholisch wurde der betagte Justizbeamte, wenn er an die Geschichte dieser Straße dachte. Über seinem Sofa hing eine kolorierte Ansicht von der Jungfernfahrt des »Adler«, die er von seinen Kollegen zum fünfundzwanzigsten Dienstjubiläum geschenkt bekommen hatte. Einst war die Fürther Straße eine prächtige Chaussee gewesen. Heute stellte der einstige Boulevard nur noch eine unansehnliche Verkehrsachse dar, die Nürnberg mit Fürth verband. Alle Versuche, ihre ehemalige Pracht wiederherzustellen, waren gescheitert. Nostalgiker und clevere Touristikmanager hätten am liebsten die alte Eisenbahnstrecke wiedererrichtet und den »Adler« erneut losdampfen lassen, ein Ereignis, das sicherlich zu einem Publikumsmagneten geworden wäre. Doch hierzu hätten sich die Nürnberger und Fürther einigen müssen, was traditionell ein schwieriges Unterfangen war.

Nach der Befragung des Lokomotivführers rief der Richter die Witwe des Opfers in den Zeugenstand, augenblicklich verstummten im Saal alle Gespräche. Maria Fischer trug kein Schwarz, sondern helle Bluejeans und einen beigefarbigen Strickpullover. Mit festen Schritten trat sie nach vorne, fest war auch ihre Stimme, wenngleich Menschen, die sie zu kennen vorgaben, später die Meinung äußerten, man habe ihr durchaus eine gewisse Nervosität anmerken können. Dirk Zimmermann war nicht dieser Ansicht. Nervös erschien ihm Maria nicht und dennoch war sie nicht sie selbst.

Es war reiner Zufall gewesen, dass er Maria wiedergetroffen hatte. Nach dem Abitur hatte er sich bei der Bundeswehr verpflichtet, eher aus finanziellen Erwägungen heraus, denn aus Begeisterung für den Militärdienst. Als Halbwaise verfügte er nur über geringe Mittel, auch wollte er keinesfalls seine Mutter um Unterstützung für ein Studium bitten, sie hatte bereits die teuren Internatskosten getragen. Hinzu kam, dass er zum damaligen Zeitpunkt nicht gewusst hatte, was er hätte studieren sollen. Zwar hatte er schon früh eine Neigung zum Journalismus verspürt, die Leistung und das Ansehen seines Vaters aber hatten ihn zu sehr eingeschüchtert. Unvorstellbar war es für ihn, es zu ähnlichen Ehren bringen zu können, die väterlichen Fußstapfen waren ihm wie die Abdrücke eines Riesen erschienen. Wie oft hatte er sich anhören müssen, was für ein mutiger Mann sein Vater gewesen war, was für ein glänzender Journalist. Das Lob für den Vater hätte ihn anstacheln sollen, das Gegenteil jedoch war der Fall gewesen. Eine zunehmende Zaghaftigkeit hatte sich in sein Gemüt geschlichen. Durch den Dienst bei der Bundeswehr hatte er sich auch eine Stärkung seines Charakters erhofft, eine Vermännlichung seines Wesens, das er selbst als zu weich empfand.
Neben Stationierungen in der Pfalz und in der Rhön, war er die meiste Zeit im flachen Norden eingesetzt worden, in einer Kaserne in der Lüneburger Heide. Mit dem Abitur in der Tasche hatte er die Offizierslaufbahn eingeschlagen und es bis zum Oberstleutnant gebracht, sich nach einigen Jahren aber dann doch für ein Germanistikstudium entschieden. Beim abschließenden Gelage im Offizierskasino hatte er so manches Feixen ertragen müssen. Er sei wahrscheinlich der einzige Reserveoffizier, der mit einem Buch statt einer Waffe in den Krieg ziehen würde. Welcher Soldat studiere schon Literaturwissenschaften? »Auf unseren Goethe!«, hatten die Kameraden gerufen und lachend auf ihn angestoßen. Am nächsten Tag hatte er seine Sachen gepackt und war zurück nach Franken, nach Erlangen, wo er in einem Wohnheim am Schwabachufer eine günstige Unterkunft gefunden hatte. Und dann war ihm Maria wiederbegegnet.
November 2010, ein letzter schöner Herbsttag. Seit einigen Wochen studierte er nun in Erlangen und hatte sich an einem Samstagnachmittag auf die Gartenterrasse des Cafés Mengin gesetzt, um die Erlanger Nachrichten durchzublättern. Als er den Erlanger Lokalteil aufschlug, durchfuhr es ihn wie ein Blitz. Maria! Das war sie, das war Maria! Zwar standen keine Namen unter dem Foto, die junge Frau aber, die zweite von links, konnte nur Maria sein. Ihr Lächeln hatte sich nicht verändert, nicht die Art, wie sie den Kopf leicht zur Seite neigte. Auch wenn sie erst dreizehn gewesen war, als er sie zuletzt gesehen hatte, in jenem zunächst so glücklichen und dann so unglücklichen Sommer 1999, als sein Vater verstorben war und er Weißenohe hatte verlassen müssen, hatte er sie sofort wiedererkannt. Elf Jahre war das jetzt her. Gebannt betrachtete Dirk das Foto. Kein Zweifel, das war Maria!
Er hatte sie nicht vergessen können. Auch wenn er hin und wieder mit anderen Frauen geflirtet, für kurze Zeit sogar eine feste Freundin gehabt hatte, nie war ihm Maria aus dem Kopf gegangen. Manchmal, in einsamen Kasernennächten, hatte er nach ihr gegoogelt. Doch nie war es ihm gelungen, einen Treffer unter ihrem Namen zu landen. Selbst bei Facebook hatte er sich angemeldet, obwohl er kein Typ für solche Netzwerke war. Aber auch bei Facebook hatte er Maria nicht gefunden. Natürlich hätte er versuchen können, ihren Aufenthaltsort über ihre Eltern zu erfragen, vielleicht wohnte sie ja immer noch in Weißenohe, in dem Spitzgiebelhaus mit dem verwunschenen Garten.
Er hätte ihr einfach nur einen Brief schreiben müssen und hatte es nicht getan. Auch war er, seitdem er nun in Erlangen studierte, nicht nach Weißenohe hinausgefahren. Mit dem Rad wäre er problemlos in einer Stunde dort gewesen, doch er hatte es nicht einmal ernsthaft erwogen. Mein Gott, wer fuhr los, um ein Mädchen wiederzusehen, in das er sich als Kind verliebt hatte. Nach fast einem Dutzend Jahren! Das war doch völlig verrückt.
Und nun das Foto hier in der Zeitung. Maria stand mit fünf anderen Studenten im Halbkreis um einen Tisch, an dem drei junge Asylanten saßen. In dem kurzen Bericht hieß es, die Studenten seien Mitglieder von EFIE, einer Erlanger Organisation, die sich um neu angekommene Geflüchtete kümmere. Hastig hatte Dirk die Seite aus der Zeitung gerissen und in seine Cordjacke geschoben. Das erste Foto von Maria seit so vielen Jahren! Er musste das Bild von Maria, wie er sie in seinen Erinnerungen behalten hatte, kaum anpassen, sie war immer noch dieselbe geblieben, älter natürlich, reifer, aber dennoch von einer unbekümmerten Mädchenhaftigkeit.
Dirk zahlte und ließ seinen Cappuccino unberührt stehen. Er war viel zu aufgeregt, um am Tisch sitzen zu bleiben. Mit schnellen Schritten ging er im angrenzenden Schlossgarten spazieren, immerfort im Karree, während die Gedanken in seinem Kopf wirbelten und einen Gefühlssturm in ihm entfachten. Er hätte jubeln können und zugleich weinen, so sehr hatte ihn das Foto aufgewühlt. Es war, als hätte sich ein geheimer Knoten in seiner Brust gelöst, als wäre mit einem Knall eine Kette gesprengt worden, die ihm sein Herz eingeschnürt hatte, all die langen Jahre. Nun plötzlich wusste er, was er wollte, mit einem Schlag war ihm klargeworden, was ihm gefehlt hatte. Nie hatte er bei einer anderen Frau das empfunden, was er für Maria empfand. Er hatte sich das nur eingeredet, hatte geglaubt, das Glück auch woanders finden zu können. Was für ein Trugschluss! Jetzt gab es nur eines: Er musste sie wiedersehen, so schnell wie möglich. Doch wie sollte er das anstellen?
Als er an dem Denkmal vorbeikam, auf dem ein verstümmelter Dickwanst ritt, verlangsamte er seine Schritte, zog sein Smartphone hervor und googelte nach EFIE. Auf Anhieb leuchtete die Web-Seite auf. Er las von Zielen und Aktivitäten, die auch Sprachkurse und eine mögliche Rechtsberatung umfassten, und die Aufforderung, sich EFIE anzuschließen. Man brauche weitere Helferinnen und Helfer, jeder sei willkommen. Nun wusste Dirk, wie er es anstellen musste. Er würde ebenfalls Mitglied bei den Flüchtlingshelfern werden. Mit freudigem Herzen wollte er sich engagieren und würde so Maria wiedertreffen.

Das nächste Treffen der Helfergruppe war erst für den kommenden Mittwoch angekündigt, vier grausam lange Tage sollte es noch dauern, bis er Maria wiedersah. Schlaflose Nächte bereitete ihm die Vorstellung, Maria könnte ihn vergessen haben. Und was, wenn sie einen anderen hatte? Vielleicht, ja ganz bestimmt war sie längst vergeben. Es war kaum vorstellbar, dass eine hübsche Frau allein durchs Leben lief. Sie war ein Jahr jünger als er, musste also jetzt vierundzwanzig sein. In dem Alter hatten die meisten Frauen doch schon lange einen Freund, warum sollte es bei Maria anders sein? Mit solchen Gedanken quälte er sich, sah sie im Geiste lachend im Arm eines anderen liegen, einen anderen ihre Lippen küssen.
Ihre Lippen würde er nicht vergessen. Ein einziger Moment hatte gereicht, sein Leben für immer zu bestimmen.
Hektisch faltete er die Zeitungsseite wieder auf. Der Typ rechts neben ihr, hatte der nicht seine Hand auf ihre Schulter gelegt? Solche Angstfantasien wechselten sich ab mit Phasen süßer Hoffnungsträume. Vielleicht traf er sie ja schon zufällig vorher in der Stadt. Obwohl das sicher ein großer Zufall sein musste, lebten doch vierzigtausend Studenten in Erlangen. Was würde er überhaupt machen, wenn er ihr zufällig begegnete? Und wie würde er sie beim Treffen von EFIE begrüßen? Sollte er ihr die Hand reichen? Sollte er sie umarmen, wie das unter Studenten der Brauch zu sein schien? Durch die lange Soldatenzeit war er etwas linkisch im Umgang mit dem anderen Geschlecht geworden. Zwar gab es auch Frauen bei der Bundeswehr, jeder Kontakt mit ihnen war jedoch militärisch korrekt. Was, wenn sie ihn nicht erkannte? Manche sagten, er hätte sich verändert. Die Bundeswehr hatte ihn tatsächlich härter gemacht, nicht seelisch, das hatte der Militärdienst nicht geschafft, aber vom Äußeren her. Zwar trug er nach wie vor keinen Bart, doch das regelmäßige körperliche Training hatte ihn männlicher gemacht, markanter waren seine ehemals so weichen Gesichtszüge geworden. Natürlich hoffte er, dass ihn Maria wiedererkannte, zugleich fürchtete er sich heimlich davor.
Besonders fürchtete er sich vor dem ersten Blick, dem Moment, an dem sich ihre Augen wieder begegnen würden. So brennend er ihn herbeisehnte, so schrecklich flau wurde ihm doch zumute, wenn er daran dachte. Dieser erste Blick, von ihm würde alles abhängen. Trat kein Lächeln in ihre Augen, sein Leben wäre verloren. Dessen war er sich bewusst. Vielleicht hatte er aus eben diesem Grund nicht die letzte Energie darauf verwendet, Maria wiederzusehen. Weil er nicht stabil genug gewesen war, weil er sich wie ein Angsthase, wie ein Zauderer vorgekommen war. Jetzt aber würde alles anders werden. Jetzt würde er die Dinge, die wichtig waren, mutig ins Auge fassen. Jetzt war er bereit, Maria wiederzusehen.
All die Jahre hatte er sich gefühlt, wie ein Mann, der über ein schwankendes Seil gehen musste, um einen Schatz zu gewinnen, der über einem hohen Abgrund hing. War es nicht besser, auf sicherem Grund zu bleiben und sich mit dem zu begnügen, was man hatte? Mit dieser Haltung hatte er sein Leben gelebt, in der Hoffnung, die Dinge würden sich ändern. Doch diese Hoffnung hatte getrogen. Keines der Mädchen, auf das er sich eingelassen hatte, hatte seine Sehnsucht stillen können, diese verteufelte Sehnsucht, die nur einen Namen kannte. Jedes Abenteuer hatte nur ein schales Gefühl zurückgelassen und sein Unglück noch vergrößert. Jetzt war er sicher: Er durfte sich nicht länger feige drücken. Nur mutig voran! Hinauf auf das schwankende Seil, es gab keinen anderen Weg zum Glück.

Am Mittwoch traf er pünktlich um sieben im Bürgertreff an der Isarstraße in der Erlanger Südstadt ein. An einer Tür stand auf einem handgeschriebenen Zettel »EFIE«. Sich selbst Mut zuredend drückte Dirk die Klinke. In dem Raum, der einem Klassenzimmer ähnelte, saßen bereits ein knappes Dutzend Studentinnen an den Tischen, auch zwei Männer waren darunter. Alle schienen sich zu kennen, unterhielten sich angeregt miteinander. Enttäuscht stellte Dirk fest, dass Maria nicht darunter war. Eine junge Frau mit dunklem Zopf sah zur Tür, erhob sich, kam auf ihn zu und begrüßte ihn.
»Ich bin Ekatarina, bist du neu bei uns?«
Er hatte sich gerade vorgestellt, da öffnete sich die Tür hinter ihm und eine junge Frau trat ein. Ekatarina lief auf sie zu und umarmte sie herzlich. Dann sagte sie: »Darf ich bekanntmachen? Maria, das ist Dirk.«
Der erste Blick. Die erste Begegnung ihrer Augen. Was für ein Stein fiel von seiner Seele, als Maria ihn lachend ansah, den Kopf schüttelte und immer wieder sagte: »Das gibt es doch nicht, das gibt es doch nicht!« Voller Erleichterung stimmte er in ihr Lachen ein, so dass die anderen erstaunt zu ihnen hinüberschauten. Dann legte Maria ihren Arm um seine Schulter und rief: »Alle mal herhören! Hier kommt der beste Baumhausbauer der Welt!«

Und nun stand sie vorne im Zeugenstand, stand vor dem Richter und sollte Auskunft geben, um mitzuhelfen, den Tod ihres Mannes zu klären. In diesem Moment verfluchte sich Dirk. Warum hatte er nicht Nein gesagt, als ihn der Chef gefragt hatte, ob er den Prozess als Reporter begleite? Er hätte gute Gründe dafür gehabt, hätte sich für befangen erklären können, ja für befangen erklären müssen. Auch für einen Journalisten galt diese Regel. Berichte niemals von einer Sache, bei der du nicht objektiv sein kannst. Das lernte man im allerersten Semester auf der Journalistenschule. Was für ein Vollidiot war er doch! Wie sollte er Marias Auftritt vor Gericht dem Leser schildern? Sollte er schreiben, da steht die Frau, die ich liebe, mit jeder Faser meines Herzens leide ich mit ihr, schlimmer noch aber leide ich, weil sie mich ignoriert? Sollte er voller Mitleid über sie schreiben, voller Empathie, oder sollte er sie verfluchen, als die grausamste Frau, die er je kennengelernt hatte? Oder sollte er erkalten, sie mit dem nüchternen Blick des Reporters betrachten, sie professionell sezieren und präsentieren? Nein, niemals! Selbst wenn er gewollt hätte, das würde er nicht fertigbringen. Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte, an dieser Aufgabe würde er scheitern. Und genau das hätte er vorhersehen müssen. Warum nur hatte er den Job übernommen? Es konnte nur einen einzigen Grund dafür geben, gestand er sich leise ein. Keinen Satz aber, nicht einmal ein Wort, drückte er in die Tasten.

»Frau Fischer?«, fragte der Richter mit der Routine eines Mannes, der es sich längst abgewöhnt hatte, Empathie zu heucheln. Im Laufe all der vielen Dienstjahre, im Kontakt mit den abgebrühtesten Gestalten, den abscheulichsten Mordtaten, hatte er jedes Mitgefühl verloren. Immerhin war er nicht zum Zyniker geworden, was keine Selbstverständlichkeit war.
»Frau Fischer, bitte erzählen Sie uns, wie der letzte Tag Ihres Mannes verlaufen ist.«
Maria Fischer straffte ihre Haltung. »Wir haben zusammen gefrühstückt, wie jeden Tag, nichts Großes, Tee und jeder ein Bamberger Hörnchen. Dann ist Cornelius zur Kinderklinik, wo er vor ein paar Jahren seine Facharztausbildung begonnen hat und inzwischen als Oberarzt arbeitete. Er musste an diesem Tag etwas früher los. Weil sein Fahrrad gerade in der Reparatur war, hat er den Bus genommen, der braucht länger. Mittags hat er mir eine WhatsApp aus der Kantine geschickt. Das machte er gerne. Fotografierte sein Essen und versah es mit einem witzigen Kommentar.« Maria stockte, bevor sie fortfuhr. »Am Abend hat er mir dann noch eine weitere WhatsApp geschickt, er käme heute später. Das war das Letzte, was ich von ihm gehört habe.«
Sie blickte zur Seite, hinüber zu den hohen Fenstern, an denen die Feuchtigkeit zu Tropfen kondensierte, die die Scheiben in trübem Zickzack hinunterzurinnen begannen. Musste sie gegen die Tränen ankämpfen oder täuschte Dirk sich? Seine tapfere Maria! Es hätte ihn fast zerrissen. Wie gerne wäre er jetzt zu ihr geeilt, wie gern hätte er sie in den Arm genommen! Warum tat das denn niemand anderes? Wie konnte man so grausam sein, die Arme so ganz allein dort stehen zu lassen und mit Fragen zu quälen? Ungerührt machte der Richter weiter.
»Frau Fischer, hat Ihr Mann geschrieben, warum er später kommen würde?«
Maria schüttelte den Kopf. »In der Klinik passiert so was häufiger, ein Notfall, eine plötzlich angesetzte Dienstbesprechung. Kein Tag verläuft dort, wie der andere.«
»Hatten Sie keinen Verdacht, dass sich Ihr Mann aus einem anderen Grund verspäten würde?«
»Aus was für einem anderen Grund denn?«
»Aus dem Grund, der ihn tatsächlich am Abend aufgehalten hat.«
Erneut drehte Maria den Kopf zu den Fenstern. Plötzlich wirkte sie so zerbrechlich, seine immer so taffe, so energiegeladene Maria ließ die Schultern hängen, sah aus, als bedürfe es nur eines kleinen Windstoßes, um sie umzupusten. Dirk klappte seinen Laptop schamhaft zusammen. Er kam sich unglaublich unnütz vor, unnütz und deplatziert, ja, schlimmer noch, er kam sich vor wie ein Voyeur. Kein Wunder, dass Maria ihn ignorierte. Er hatte es nicht anders verdient. Wie sollte sie ihn auch begrüßen? »Hallo Dirk! Schön, dass du von Connys Mordprozess berichtest. Viel Spaß dabei!« Dirk schauderte es. Warum riss man die Fenster nicht auf, warum ließ man sie in dieser Sauna ersticken? Der Regen begann wieder zu prasseln, neue, heftige Schauer schlugen gegen die Scheiben. Der Gerichtsdiener schaute besorgt, ob durch die geöffneten Oberlichter auch kein Wasser drang. Er war nun beinahe sechzig Jahre alt, davon hatte er fast vierzig im Justizdienst zugebracht, hatte immer in Fürth gelebt, keine zwei Kilometer vom Justizpalast entfernt. Er hatte alles schon erlebt, an ein solches Wetter aber konnte er sich nicht erinnern.
11
Der Stumpf seines Armes begann wieder zu jucken. Dirk zwang sich, sich nicht zu kratzen. Es nutzte ohnehin nicht, der Juckreiz an seinem Armstumpf war durch nichts zu besiegen. Er musste warten, bis er von allein verschwand, aber das konnte dauern. Der Neurologe des Bundeswehrkrankenhauses Koblenz hatte ihm das Phänomen erklärt. So wie es einen Phantomschmerz gab, so gab es auch einen Phantomjuckreiz. Das heißt, eigentlich existierte der Juckreiz gar nicht, zumindest nicht als Juckreiz. Irgendein durchtrennter Nerv gaukelte ihm das Jucken nur vor. Daher konnte alles Kratzen nicht helfen.
Es hatte Zeiten gegeben, da hatte ihn das Jucken fast wahnsinnig gemacht, da hatte er alle Erklärungen des Arztes ignoriert und sich wie verrückt gekratzt, so heftig, bis sich der Stumpf entzündet hatte. Medikamente gegen das Phantomjucken gab es nicht. Das einzige, was helfen sollte, sei Cannabis, hatte ihm ein Mitpatient verraten, dem eine Tretmine beide Beine weggerissen hatte. Dirk aber hatte den Kopf geschüttelt. Auch wenn es noch so quälend juckte, zum Kiffer würde er nicht werden.

Nach dem EFIE-Treffen war er mit Maria zu einem Italiener gegangen. Sie hatte sofort freudig zugestimmt, als er ihr den Vorschlag gemacht hatte. In einer Nische unter einer kitschigen Venedigansicht redeten sie über alles Mögliche, oft wild durcheinander, sprangen zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her, erinnerten sich gegenseitig an ihre Kinderzeit. »Weißt du noch, wie wir Äste gesammelt und zu einem Staudamm aufgeschichtet haben?« – »Weißt du noch, wie wir die Eidechsen und Blindschleichen gefangen und für sie ein Terrarium gebaut haben?« – »Weißt du noch unser Baumhaus?« – »Weißt du noch, weißt du noch, weißt du noch …« Auch wie es dann mit ihnen weitergegangen war, erzählten sie sich. Maria hatte es nach dem Abitur in die Welt hinausgezogen. Sie hatte in Australien auf einer Bananenplantage gearbeitet und danach ein Freiwilliges Soziales Jahr als Entwicklungshelferin gemacht, in einem Waisenheim im Süden Indiens, hatte sich zugleich für verarmte indische Frauen eingesetzt, die sich mit kleinen Töpfereien selbstständig machen wollten.
So lebendig Maria erzählte, so amüsant sie todernste Dinge mit lustigen Anekdoten abzumildern wusste, so angespannt blieb Dirk lange Zeit. Bei aller Freude über ihre lebhaften Erzählungen fürchtete er sich doch zugleich vor dem Moment, an dem Maria vom Ich zum Wir überging, zu einem Wir, das ihn ausschloss, weil es einem anderen galt. Und hatte er nicht Grund für seinen Argwohn? Was hatte der silberne Ring an ihrem Finger zu bedeuten? War das nicht der Beweis, dass Maria in festen Händen war? Von sich aus hätte er das Thema niemals angesprochen, dazu hatte er viel zu große Angst. Auch fehlte ihm der Mut, Maria zu erzählen, wie es um ihn und sein Herz stand, dass er es nur einmal verschenkt hatte und es immer noch ihr gehörte, ihr allein. Er spürte, dass es unklug war, mit der Tür ins Haus zu fallen. So vertraut sie von der ersten Minute des Wiedersehens wieder miteinander waren, so sehr war doch zugleich die Macht der langen Zeit zu spüren, in der sie sich nicht gesehen hatten. Am liebsten hätte er ihr vorgeschlagen, gleich morgen zusammen ins Lillachtal zu fahren, aber auch das musste er sich verkneifen. Nur nichts überstürzen!
Maria war nach Erlangen gezogen, um Buchwissenschaften zu studieren. Sie wohnte, was bei Dirk große Erleichterung auslöste, mit zwei Freundinnen in einer WG am Lorlebergplatz. Sichtlich verwundert zeigte sich Maria, als Dirk ihr von seiner Bundeswehrzeit erzählte.
»Im Nachhinein bin ich darüber genauso erstaunt wie du.«
»Literaturwissenschaften passen viel besser zu dir. Weißt du noch, wie du mir aus Harry Potter vorgelesen hast?«
»Na klar! Die Stelle, an der sich das Gesicht von Voldemort aus dem Turban wickelte, musste ich dir bestimmt dreimal vorlesen.«
»Stimmt. Danach hab ich mich drei Wochen nicht mehr in unseren Keller getraut.«
Verabschiedet hatten sie sich vor der Pizzeria. Es war spät geworden. Unbeholfen hatte er ihr einen Wangenkuss gegeben. Dann war sie auf ihr Rad gestiegen, ein weißgestrichenes Rad, das mit Kunstblumen umwunden war. Beim Wegfahren hatte sie ihm zugewinkt, allerdings ohne sich umzudrehen. Er hatte ihr hinterhergeschaut, bis ihr Rücklicht in der Nacht verschwand, und tief durchgeatmet. Nichts hatte sich an seinen Gefühlen verändert, immer noch liebte er sie. Doch was war mit ihr? In manchen Momenten, wenn sie zusammen gelacht hatten, hatte sein Herz vor Freude gehüpft. Zwischendurch jedoch war die zaghaft aufkeimende Zuversicht wieder in sich zusammengefallen. Sah sie in ihm nicht mehr als einen alten Kumpel aus längst vergangenen Kinderzeiten?