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INHALT

Worte zur Neuauflage

Peter Kubelka: Vorwort

DAS MASS IM KOCHEN

EINLEITUNG

Zielsetzung

QUELLEN

Forschungsstand

Quellenauswahl

Auswahlkriterien

DAS REZEPT

Definition

Methodik

Lesbarkeit

Zur Kochbuchsprache

A. MASS, FORM UND ZEIT

I. DER MENSCH

1. DIE SINNE

1.1 Der Sehsinn – die Farbe

1.2 Tast- und Spürsinn

1.3 Hörsinn

1.4 Geruchssinn

1.5 Geschmackssinn – Das Probieren

1.6 Das Zusammenspiel aller Sinne

1.7 Zeiterfahrung über die Sinne

2. DER KÖRPER UND SEINE GLIEDMASSEN

3. DIE KÖRPERSPRACHE UND GESTIK

4. DER KÖRPER ALS BENENNUNGSVORBILD EINER SPEISE

5. DER INTELLEKT

5.1 Die Zahl

5.2 Modul und Raster

5.2.1 Die Person

5.2.2 Die Schüssel

5.2.3 Das Ei

5.3 Das rechte Maß

5.3.1 Proportionen und Verhältnisse

5.3.2 Maßsätze

5.4 Maßsysteme

6. DER MENSCH UND DIE ZEIT

6.1 Zeiterfahrung und Zeitmessung

II. DAS NAHRUNGSMITTEL

1. TIERISCHE UND PFLANZLICHE NAHRUNGSSTOFFE

2. ZUM ZEITPUNKT DES TÖTENS

3. DIE GEWÜRZE

III. DIE GEFÄSSE, GERÄTE UND HEIZQUELLEN

1. GEFÄSSE, TÖPFE UND NATÜRLICHE BEHÄLTER

2. DER LÖFFEL UND ANDERE GERÄTE

3. KOCHSTÄTTEN, HERDE UND ANDERE HEIZQUELLEN

IV. DAS HISTORISCHE UMFELD UNTER BERÜCKSICHTIGUNG DER SOZIALEN UND WIRTSCHAFTLICHEN BEDINGUNGEN SOWIE DER RELIGIÖSEN UND DIÄTETISCHEN VORSCHRIFTEN

1. DAS UMFELD

2. TECHNOLOGIE UND WIRTSCHAFT

3. MEDIZIN

4. WETTER/JAHRESZEITEN

B. MASS UND MESSPRAXIS IM UNTERSUCHTEN REZEPTMATERIAL

DIE ANTIKE

Das Gastmahl der Gelehrten von Athenaeus

Aristophanes

Horaz

Columella

Das Kochbuch des Apicius

DAS MITTELALTER

Die Klosterküche

Die Regel des heiligen Benedikt

Die monastische Medizin

Hildegard von Bingen

Das mittelalterliche Saucen-Buch von Maino de Maineri

DIE FRÜHEN HANDSCHRIFTEN

Zwei anglo-normannische Handschriften

Daz buoch von guoter spîse

Das Mondseer Kochbuch

Das Wiener Kochbuch

„Du fait de cuisine“ von Meister Chiquart

DIE ITALIENISCHEN HANDSCHRIFTEN

LVII Ricette d’un Libro di Cucina del buon secolo della lingua

Das „Libro della cocina“ des Anonimo Toscano

Das „Libro per Cuoco“ des Anonimo Veneziano

Das „Libro de arte coquinaria“ des Maestro Martino

DIE ERSTEN GEDRUCKTEN KOCHBÜCHER

„De honesta voluptate et valetudine“ des Bartolomeo Platina

Die Kuchenmeysterey

Ein new Kochbuch von Marx Rumpolt

DAS KOCHBUCH DER PHILIPPINE WELSER

DAS 17. JAHRHUNDERT IN FRANKREICH

La Varenne

Pierre de Lune

DIE DEUTSCHEN KOCHBÜCHER DES 17. UND 18. JAHRHUNDERTS

Vollständiges Nürnbergisches Koch-Buch

Unveröffentlichte Handschriften aus Innsbruck

Die Bludenzer Kochbücher aus dem Kloster St. Peter

Der Freywillig aufgesprungene Granat-Apffel

DIE KOCHBUCHLITERATUR NACH DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION

Marie-Antoine Carême

Jules Gouffé

„NICHT MEHR ALS 6 SCHÜSSELN“ VON F. G. ZENKER

ZUSAMMENFASSUNG

ANHANG

BEMERKUNGEN ZUR ÜBERTRAGUNGSPRAXIS

ORIGINALREZEPTE DER FREMDSPRACHIGEN VORLAGEN

BIBLIOGRAPHIE

GLOSSAR

WORTE ZUR NEUAUFLAGE

1999 ist im Haymon Verlag das Ergebnis meiner kunsthistorischen Auseinandersetzung mit Kochrezepten erschienen. Dank einer steten Nachfrage wird nun, nach 20 Jahren, „Das Maß im Kochen“ im Löwenzahn Verlag neu aufgelegt – im Inhalt unverändert und der Erstauflage verpflichtet.

Die Sammlung von Aussagen und Methoden aus 2000 Jahren abendländischer Kochkultur hat an Signifikanz nichts verloren. Messpraktiken, wie sie über Jahrhunderte die Welt des Kochens, des Denkens und Fühlens bereicherten, sind – richtig interpretiert – auch im 21. Jahrhundert relevant. Es geht weder um Ernährungsweisen, noch um Ideologien. Sowohl Veganer als auch Vegetarier, sowohl Fleischliebhaber als auch Anhänger einer 5-Elemente-Küche – alle können eine neue Beziehung zum Kochen finden, solange sie sich ihren sinnlichen Erfahrungen nicht verschließen, im Denken und im Tun.

In den vergangenen 20 Jahren erlebte das Kochen eine regelrechte Renaissance. Führten nach Gutenberg die Bibel und die Kochbücher die Bestsellerlisten an, so sind die heutigen Quotenbringer die Kochshows und Kochduelle der privaten Fernsehsender. Eine passive Lust bedienend, wird dabei das in audiovisuellen Vorführungen steckende Potential nur wenig ausgeschöpft. Jeder kochbegeisterte Zuseher kennt den unvermeidlichen Kameraschwenk, der immer just in jenem Moment erfolgt, wenn es wirklich zur Sache geht. Nur wenigen TV-Köchen gelingt es so, eine direkte Nähe zum Kochgut herzustellen und die Menschen wieder selbst an den Herd zu bringen. „Und machs nach deinem Belieben“ oder „ist köstlich“, „so ist es recht“ – so lauten die ermunternden Nachsätze in historischen Kochrezepten. Die Sprache suggeriert Spielraum und Wahlfreiheit, ohne unverbindlich zu sein. Das Lesen ist vergnüglich und lehrreich zugleich. Kommuniziert werden Ideen, angeregt wird ein Vorstellungsvermögen, wie es zu Beginn eines jeden kreativen Aktes steht. Die sinnlich-anschaulichen Beschreibungen in der Handhabung von Zutaten und zeitlichen Abläufen schaffen eine körperliche Nähe, die uns mehr und mehr abhanden zu kommen scheint. Messen mit allen Sinnen heißt, in jedem Vorgang eine Wahl zu treffen. Technische Geräte mögen für sich genommen genauer sein, der Mensch aber ist zutreffender in der Verbindung, im Prozess des Zusammenführens.

Im Sinne eines direkten Einlassens auf Materialien, Zustände und Umstände plädiere ich für das einfache Kochen im Alltag. Lassen Sie sich dabei nicht durch ein Zuviel verleiten, konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche und lassen Sie sich von der Haltung der Urahnen inspirieren. Sowohl aus der Sicht der Ästhetik als auch jener der Bekömmlichkeit haben sie etwas zu sagen. Wie mein großer Mentor, der Philosoph, Filmemacher und Koch Peter Kubelka, in seinem Vorwort sagt: „Eine Menschheit, die nur ernährt wird, aber keine steuernde Weltanschauung besitzt, kann sicherlich nicht überleben. Deswegen ist die Kunst unverzichtbar und deswegen ist die Botschaft der Speisen unverzichtbar.“

Ihm und der von mir ebenso geschätzten Fotografin Franziska Wächtler möchte ich danken, für ihre Worte und Bilder, für ihre Unterstützung. Seit Jahren verfolgen wir dieselben Anliegen, jeder auf seinem Gebiet. Das Wissen und die Freude am Kochen eint uns.

Dem Verlag danke ich für die Möglichkeit, das Buch Lesern und Leserinnen in neuem Gewand wieder zugänglich zu machen.

Ich wünsche Ihnen allen viel Vergnügen und Erkenntnis, bei der Lektüre und beim Kochen.

Renate Breuß

PETER KUBELKA: VORWORT

Als die archaische Köchin über eine eßbare Welt herrschte, die aus Wald und Weide bestand, gebar sie die Speise HIMBEEREN IN DER MILCH – eine Darstellung ihres Machtbereiches. BEIDE Komponenten, Himbeeren und Milch, in EINEM Bissen, ZUGLEICH, im Mund zur Kenntnis genommen, gelesen, verkündeten dem triumphierenden Esser: „Oh Mensch, der du bist Gebieter des Waldes mit seinen eßbaren Beeren und Gebieter deiner milchgebenden Kühe: Es ist Sommer!“ Die neolithische Köchin machte aus diesem Gericht HIMBEEREN MIT OBERS (verdichtete Milch). Als sich zu Wald und Weide noch der Getreideacker gesellte, wurde die Waldfrucht mit staubfein zerriebener Feldfrucht über gezähmtem Feuer verbunden: HIMBEERKOCH MIT OBERS. Im Barock wird der Frucht mit Zucker übernatürliche Süße verliehen und darüber schwebt, durch virtuose Schläge in die Luft getrieben, die verdichtete Muttermilch der Kuh als federleicht weiße Wolke: ROTE GRÜTZE MIT SCHLAGOBERS.

Von Menschen bereitete Speisen bestanden seit Anbeginn aus mindestens ZWEI Komponenten. Kochen bedeutete immer Speisen bauen, zusammensetzen, komponieren. ZWISCHEN den Komponenten artikuliert sich die Aussage als ESSBARE METAPHER. Im Mund wird sie lesbar.

Speisen enthalten immer und unvermeidbar eine Mitteilung im künstlerischen Sinn, genauso wie Architektur, Dichtung, Malerei, Skulptur, Tanz oder Musik. Das WELTBILD des Herstellers wird zum Ausdruck gebracht. Weltbilder erzeugen WELTANSCHAUUNG. Weltanschauungen lenken die Geschicke der Menschen.

Das Dunkel in der Geschichte der kulturellen Evolution aufzuhellen ist heute ein immer dringender werdendes Anliegen. Wir müssen unseren Weg zurückverfolgen, um zu verstehen, wohin es nun immer schneller geht. Archäologie, Ethnologie und eng mit ihnen verbunden die Kunstgeschichte, versuchen unser Herkommen zu verstehen. Nicht mehr die virtuosen, professionellen Großleistungen des neueren Kunstgeschehens sind aufschlußreich, sondern Erscheinungen aus jener Zeit, in der die Kunst als WERKZEUG von jedermann zum Erreichen eines Zweckes benutzt wurde. Das Honiglied der Pygmäen wird nicht vor oder nach dem Honigsammeln gesungen, sondern während dieser Tätigkeit. Es steuert die Aktionen der Teilnehmer und ist vom Gesamtvorgang nicht zu trennen. Ohne Gesang kann man nicht Honigsammeln. Ohne Honigsammeln hat das Lied keinen Sinn. Die Holzplastiken der westafrikanischen Lobi werden nicht von professionellen Bildhauern, sondern in jeder Familie selbst erzeugt. Sie sind Gerät einer zeremoniellen Arbeit zur Einflußnahme auf die Zukunft. Wenn sie nicht gebraucht werden, teilen sie den Abstellraum mit Haue und Speer. Musik und Skulptur sind wie alle anderen Künste als notwendige Werkzeuge für einen bestimmten Zweck entstanden.

Im heutigen Kunstbetrieb wird das Nützliche in der Kunst als Belastung und als abträglich gesehen – ein bedauerlicher Irrtum. Die zeitgenössische Kunst dient wie eh und je der Lebensbewältigung, aber sie entsteht aus Spezialisten für Spezialisten. Sie bedarf der Interpretation für den Nichtfachmann, genauso wie die Grundlagenforschung in der Wissenschaft und Technik. Kochen, die älteste bildende Kunstgattung der Menschheit, kann ihre Nützlichkeit gar nicht ablegen, weil man die Speisen essen muß, um sie lesen zu können. Auch die nächstälteste Kunst, die Architektur, kann nur benützend verstanden werden.

Die Wissenschaft betrachtet das Essen als rein physiologisch-chemischen Vorgang, der die fehlerfreie Energiezufuhr für die MASCHINE Mensch gewährleisten soll. Die Ethnologen zeichnen bei ihrer Feldforschung täglichen und jährlichen Kalorienverbrauch ihres Anschauungsmaterials auf, sie berichten, daß die Männer bei den Aborigines auf die Jagd gehen, um den „Proteinanteil an der Diät zu verbessern“, während die Frauen mit dem Grabstock „für Kohlehydrate sorgen“.

Und keiner interessiert sich für den Speisenbau. Niemand zeichnet Kochpartituren auf. Niemand erlernt sorgfältig die tänzerischen Gesten, die zur Herstellung der wohltemperierten Skulpturen notwendig sind. Kein Ethnograph interessiert sich dafür, daß die eigene Großmutter für jeden Rollknödel, genau wie der japanische Sushimacher für seinen Reisquader, eine immer gleiche, minimale Anzahl von Griffen anwendet, daß jedes Werkstück die gleiche, richtige Größe haben muß, daß die Herstellungszeit, immer gleich, genau festgelegt ist, daß ZWISCHEN den Bauelementen der Speisen festgelegte MASSVERHÄLTNISSE bestehen.

Ein Gleichschwerkuchen besteht aus GLEICH Ei, GLEICH Butter, GLEICH Mehl, GLEICH Zucker. 1 : 1 : 1 : 1. Der allerheiligste innerste Raum des alten Tempels in Jerusalem war GLEICH hoch, GLEICH breit, GLEICH lang.

Es ist an der Zeit, das Kochen als Kunstgattung neu zu untersuchen. DAS MASS IM KOCHEN untersucht den jüngsten Teil der Speisengeschichte, nämlich die schriftlich festgehaltenen Rezepte. Beim Studium dieser Kochpartituren muß man beachten, daß historische Notationen nur das festhielten, was NICHT selbstverständlich war. Zum Beispiel ist die Klangform der griechischen Musik aus ihrer alten Notation nicht rekonstruierbar, die Neumenschrift der Gregorianik gibt keine Auskunft über die rhythmischen Werte der Töne, die älteren Formen der ägyptischen oder chinesischen Bildschriften geben keine Auskunft über den Sprachklang. Für die Rekonstruktion der vormittelalterlichen Speisen wird man ähnlich aufwendig verfahren müssen wie bei der Rekonstruktion alter Musiken: Studium der tatsächlichen Überlieferung in der Küche der Hausfrauen aller noch existierenden Ethnien und Kulturstufen, Rekonstruktion der Werkzeuge, Gefäße, Feuerstellen, Herstellungsmethoden, Konservierungsmethoden, aber auch der Eßereignisse selbst – soweit uns dies heute möglich und erlaubt ist.

Bewußtes Messen von Proportionen gab es von allen Kunstarten zuerst beim Kochen. Das Kochen ist jene Kunst, bei der ein einziger Fehler lebensbedrohend sein kann, jede Maßlosigkeit sofort erkennbar ist. „Mach es recht!“ ist die archaische Anweisung. Die Allegorie der Gerechtigkeit, die JUSTITIA, wird immer mit einer Küchenwaage in der Hand dargestellt. Ihr Vorbild ist die KÖCHIN, die kennt das RICHTIGE MASS.

Eine Menschheit, die nur ernährt wird, aber keine steuernde Weltanschauung besitzt, kann sicherlich nicht überleben. Deswegen ist die Kunst unverzichtbar und deswegen ist die Botschaft der Speisen unverzichtbar.

Für alle, die das Kochen als Kunstgattung betrachten wollen, schuf Renate Breuß ein Standardwerk.

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EINLEITUNG

Kochen zählt zu den ältesten Tätigkeiten der Menschheit. Lebte der Urmensch als Sammler und Jäger noch von der Hand in den Mund, so führte erst die Aufbewahrung und Konservierung von Nahrungsmitteln zur Seßhaftigkeit und ließ eine Urbanisierung zu. Die Bereitung von Speisen steht somit an den Anfängen der Kultur überhaupt und zieht das Bauen von Häusern, Formen und Bilden von Figuren oder das Malen von Bildern erst nach. Über die Jahrtausende und Jahrhunderte hat sich ebenso wie in anderen Kunstgattungen auch im Kochen und Essen ein steter Wandel vollzogen, überliefert in unterschiedlichsten Quellen, die entwicklungsgeschichtlich einer behutsamen und sorgfältigen Interpretation bedürfen. Die Bereitung von Speisen stellt bekanntlich eine vergängliche Kunstform dar, als Forschungsgegenstand verbleiben lediglich die entsprechenden Anweisungen in den Rezepten oder anderen Aufzeichnungen. Über die grundsätzliche Schwierigkeit, Kochkunst verbal zu erklären, debattierten schon die Griechen: „Schriftliche Anweisungen sind schlimmer als unbrauchbar. Nein, die Kunst des Kochens läßt sich nicht erklären.“1 Trotzdem sind in den Kochbüchern als „Büchern des Lebens“ all jene Ideen und Botschaften gerettet, die ohne Zweifel Auskunft über den Entwicklungsstand eines Menschen und eine bestimmte kulturelle Epoche geben.

Nach Peter Kubelka ist ein Kriterium für Kunst, „daß die Kunst Kulturen auszudrücken imstande ist: Barock, Gotik, französische Renaissance, italienische Renaissance, genau das kann das Kochen auch. (…) Kulturepochen drücken sich durch das Kochen aus. Aber auch Individuen, vergleichbar am Unterschied zwischen Bach und Händel oder zwischen Rembrandt und Jan Steen. Genauso ist es beim Kochen.“2

Kochen als Gegenstandsbereich der Kunstgeschichte zu betrachten ist nach Paul v. Naredi-Rainer, Vorstand am Institut für Kunstgeschichte in Innsbruck, in etwa so umstritten wie im Mittelalter bzw. der angehenden Neuzeit die Zurechnung der um Nobilitierung bemühten bildenden Künste zu den artes liberales. Spätestens seit den Experimenten zahlreicher Künstler aus unserem Jahrhundert und der Etablierung eines Lehrstuhls für Film und Kochen als Kunstgattung im Jahre 1980 durch Peter Kubelka an der Städel-Kunsthochschule in Frankfurt scheint diese Zuordnung für die zeitgenössische Kunstszene außer Frage zu stehen.3

Allein aus der Verbindung kochender Maler, Musiker und Architekten4 oder der Verknüpfung schöner Bilder und Rezepte in kostspieligen Büchern möchte ich die Anerkennung von Kochen als eigener Kunstgattung nicht herleiten. Das Kochen folgt wie jede andere schöpferische Tätigkeit eigenen Gesetzlichkeiten, deren Grundlage im Wechselspiel zwischen dem historisch gegebenen Ausgangspunkt und einer kochimmanenten Entwicklung liegt. Die künstlerische Gestaltung folgt einer polaren Vorstellungswelt, wo Gegensatzpaare von fest und flüssig, trokken und naß, jung und alt, kalt und warm gegenübergestellt sind. Die formale Ordnung trifft auf formloses Chaos, welches den Ausgangspunkt der allgemeinen und individuellen Kreativität darstellt. In der Wechselwirkung des materialimmanenten Triebs im Stoff begegnet dieser im künstlerischen Tun dem Trieb zur Form und gestaltet so den Prozeß. Dabei vermittelt der Stofftrieb die Tendenz des Lebendigen, wo der Formtrieb strukturieren möchte. Der Komposition liegt die Vorstellung vom Ganzen, die Idee zugrunde, die es in der Folge zu kultivieren gilt. So wie der bildende Künstler wählt die Köchin oder der Koch aus den zur Verfügung stehenden Materialien aus, stellt sie zusammen und bringt sie in eine bestimmte Anordnung oder Reihenfolge. Die Mischung und die Menge, ebenso wie die Größe und die Form der Zutaten werden festgelegt, der zeitliche Ablauf überlegt, das nötige Werkzeug und andere Prozeduren vorbereitet. Hierin, in derVorbereitung, liegt bereits jener Moment, welcher der Inspiration wichtige Impulse verleiht und das Schöpferische einleitet. Eine solche Vorgangsweise entspringt dem Willen, die äußerste Präzision des Ausdrucksmittels auszubeuten, das Zusammentreffen der Zutaten zu strukturieren und somit eine Speise zu artikulieren. Zum Thema Kochen als Kunstgattung hat sich Prof. Kubelka, langjähriger Leiter einer Kochklasse am Städel in Frankfurt, eingehend geäußert, auf seine diesbezüglichen Vorträge und Seminare möchte ich in diesem Zusammenhang verweisen.5

In den achtziger und neunziger Jahren ist eine vermehrte theoretische Auseinandersetzung mit kulinarischen Themen zu verzeichnen6, die Diskussion über „Kunst und Küche“ ist im Vormarsch. Damit einhergehend ist eine fortschreitende Vernachlässigung des handwerklichen Kochens in der Praxis zu beobachten, einer ehemals tagtäglich in jedem Haushalt ausgeführten Tätigkeit. Mein Interesse an diesem Wissensgebiet läßt sich nicht zuletzt auch auf diese Entwicklung zurückführen, verbunden mit dem Bedürfnis, Antworten darauf zu finden. Das stete Verlangen, die aus den alten Rezepten aufgenommenen Anregungen auch praktisch umzusetzen, hat letzten Endes zu einer mehrere Jahre dauernden Beschäftigung mit diesem Thema geführt.

Allen, die an der Realisierung dieses Buches mitgewirkt haben, möchte ich an dieser Stelle danken, ganz besonders meiner Familie und meinen Freunden. Prof. Peter Kubelka bin ich als Mentor und Auslöser dieser Arbeit zu besonderem Dank verpflichtet, ebenso Prof. Paul Naredi-Rainer, der sich in einer fächerübergreifenden Betreuung meiner Sache angenommen hat. Der Fotografin Franziska Wächtler und dem Grafiker Benno Peter danke ich für die Berücksichtigung der vielen Wünsche und die kooperative Zusammenarbeit. Für wertvolle Hinweise, anregende Einwände und die freundliche Hilfe bei der Beschaffung von Quellen danke ich Christoph Bertsch, Hellmut Bruch, Birgit Humpeler, Elisabeth Meyer-Renschhausen, Alois Niederstätter, Katharina Pfleger-Siess, Harry Schraemli, Franziska Schulz, Max Siller, Stefan Sonderegger, Renate Sparr, Hugo Tiefenthaler, Alice Vollenweider, Claudia Wedekind und Andreas Winkler.

Zielsetzung

Ich habe mir in dieser Arbeit die Aufgabe gestellt, auf die in alten Rezepten steckenden und bislang wenig notierten Maßangaben hinzuweisen, deren Lesbarkeit durch die Auseinandersetzung mit diesem nicht zu unterschätzenden Teilaspekt, dem Maß im Kochen, zu erleichtern. Bei der Untersuchung des Maßes in den uns über die Jahrhunderte im Abendland erhaltenen Rezepten lag neben der Erfassung quantitativer Angaben das Hauptaugenmerk auf der Auseinandersetzung mit deren qualitativem Gehalt. Eine gegebene Quantität im Kochen ist dann von Interesse und Bedeutung, wenn sie gleichzeitig eine Qualität ausdrückt. Dabei treten die in der Vergangenheit an Maße oder Messungen gebundenen Überzeugungen, ein am Menschen orientiertes und nicht vom Gegenstand abstrahiertes Messen ebenso wie die den Maßen innewohnenden Eigenschaften als Träger von Macht und Prestige, zutage. Es geht neben den in konkreten Zahlen ausgedrückten Quantitäten und den über die Sinne wahrgenommenen Größen auch um die Gestalt und Form der Zutaten, um die Berücksichtigung eines Maßes, das von der Qualität des Objektes hergeleitet auch einen sozialen Gehalt, der sich hinter der Heterogenität der Angaben verbirgt, zum Vorschein bringt.

Die in der Fachliteratur häufig anzutreffende Behauptung, daß in mittelalterlichen Rezepten jegliche Mengen- oder Zeitangaben fehlten, fußend auf einer rein quantitativen Beurteilung in Zahlen ohne Rücksicht auf die über die Sinne gesteuerten Messungen, sollte in diesem Zusammenhang einer Klärung oder zumindest einem besseren Verständnis zugeführt werden. Nicht immer sind die vorgefundenen Maße sofort nachvollziehbar, erst die genauere Kenntnis des quantitativen Denkens, der religiösen oder diätetischen Auffassungen, des sozialen Umfeldes und der wirtschaftlichen Bedingungen läßt eine Systematik oder Struktur erkennen. Auch ist aus dem Fehlen einer Angabe nicht voreilig auf deren Bedeutungslosigkeit oder gar auf eine Unfähigkeit im Umgang mit Mengen zu schließen, es kann das Gegenteil der Fall sein. Allgemein bekanntes und weit verbreitetes Grundwissen einer Zubereitung, beispielsweise Brot oder Gemüse, bedurfte keiner schriftlichen Erwähnung, und entsprechend rar sind die Rezepte dafür. Die über Jahrzehnte gültige Auffassung völlig überwürzter Speisen im Mittelalter, die der angeblichen Übertünchung eines verdorbenen Fleischgeschmackes oder ausschließlich dem Zwecke der Konservierung gedient haben sollen, stand neben dem schlechten Ruf einer ausschweifenden römischen Küche, die sich mit Vorliebe und ausschließlich dem Luxus und der Exotik hingab.7 Fehleinschätzungen dieser Art entstanden nicht zuletzt aus dem mangelnden Verständnis für Mengen- und Maßangaben, interpretiert aus der heutigen Sicht. Wichtig ist das Erkennen von Maßen, die sich zwar einer heutigen Umrechnung großteils entziehen (eine Umrechnung auf ihr metrisches Äquivalent ist problematisch, läßt sich in der Praxis meist gar nicht durchführen), deshalb aber nicht eines Maßes im Sinne einer Proportionierung oder eines bestimmten Verhältnisses entbehren. Diese Vorgangsweise verlangte in den meisten Fällen die Bearbeitung der Primärliteratur, da Fehler in Übersetzungen und Übertragungen geradezu in den die Maße betreffenden Angaben besonders häufig auftraten und dadurch das Erkennen einer ursprünglichen Proportionierung verlorenging. Es war aus diesen Gründen keineswegs eine Entwicklungsgeschichte des Maßes im Kochen angestrebt, es läßt sich aber anhand der angestellten Untersuchungen in Schlüsselwerken der Kochbuchliteratur, schwerpunktmäßig mit der sich wandelnden Kompetenz nach Ländern und Regionen erfaßt, eine Entwikklungslinie ziehen, die bestimmte Maßstränge oder Zäsuren sichtbar macht.

Bei den methodischen Überlegungen gehe ich von einer Kunstgeschichte als einer Sozial-, Kultur- und Geistesgeschichte aus, welche einer Erweiterung des Kunstbegriffs nicht entgegenwirkt und das Aufgreifen eines über die Disziplin Kunstgeschichte hinausreichenden Themas gestattet.

QUELLEN

Forschungsstand

Ich bewege mich auf ungesichertem Terrain, die Forschung hat diesen Gegenstand bislang vernachlässigt. Kochbücher sind als Primärquellen von der Kultur- und Geistesgeschichte bisher kaum aufgearbeitet. Im Fach Kunstgeschichte ist mir lediglich eine diesbezügliche Untersuchung bekannt, wo Sabina Leßmann in von Frauen verfaßten Kochbüchern und Stickereibüchern des 17. und 18. Jahrhunderts die Einführungen auf das Selbstverständnis von Köchinnen und Künstlerinnen prüft.8

Einerseits ist eine teils inkompetente und meist unsachgemäße historistische Veröffentlichung von Rezepten im Gange (dies steht in einer langen Tradition, schon seit Beginn des Buchdrucks gehören Kochbücher neben der Bibel zu den beliebtesten Buchtiteln), die im Zuge einer Mode, nämlich historisch oder kaiserlich/monarchisch oder künstlerisch/literarisch angehaucht zu kochen, erscheinen. Von der Erfassung des Geistes der Kochkunst einer bestimmten Epoche ist wenig zu spüren, die Abkoppelung der Form vom eigentlichen Inhalt meist das Ergebnis. Daneben lassen sich jedoch auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft für die vergangenen Jahre zahlreiche Forschungen festmachen, die in Frankreich und Italien ihren Ausgang nahmen.9 Auf dem Gebiet der Quellenforschung der deutschen Sprach- und Literaturgeschichte liegen hervorragende Wiedergaben von Kochbuchtexten vor. Aus dem nordamerikanischen Raum sind eingehende Bearbeitungen früher französischer Quellen bekannt, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Kochkunst des Mittelalters scheint dort im allgemeinen besondere Aufmerksamkeit zu erfahren.10 Auffallend ist dabei die Verbindung von praktischer und theoretischer Annäherung. In dieser Hinsicht bahnbrechend ist die erstmals 1936 publizierte englische Apicius-Übersetzung von J. D. Vehling, Koch und Philologe in einer Person.11 Die einhergehende Beschäftigung mit Sekundärquellen oder übertragenen Kochbüchern machte besonders deutlich, wie wichtig die gastronomische Kompetenz für die Übertragung oder Interpretation solcher Dokumente ist. Heute entstehen die meisten einschlägigen Publikationen12 unter Mitarbeit von Köchinnen, dennoch ist schon bei der Rezeptauswahl diese Kompetenz auch vom Historiker gefordert. Besonders wertvoll erweisen sich die von den SprachwissenschaftlerInnen zugänglich gemachten wort- und buchstabengetreuen Wiedergaben. Brauchbare deutsche Übersetzungen von frühen italienischen oder französischen Quellen sind nur in Auszügen vorhanden, weder Taillevent, Chiquart, Martino noch Platina fanden bisher eine vollständige deutsche Übertragung.13

Quellenauswahl

Meine Quellen sind neben den Kochbüchern, wobei ich mich auf Schlüsselwerke konzentrierte, auch bildnerische Darstellungen und literarische Quellen, die als Hilfsmittel herangezogen wurden. Zudem wird mündlich überliefertes Wissen, das sich der schriftlichen Festsetzung gerne verweigert, aus der ständigen Befragung von Personen, die tagtäglich mit Lebensmitteln zu tun haben, sei es in der Herstellung, im Handel oder im Kochen, mit einbezogen.

Mein Forschungsschwerpunkt lag in der Erfassung der frühesten Kochbücher, im besonderen der italienischen an der Schwelle zur Neuzeit, da der italienischen Küche (wie schon nach Rumohr und Vollenweider14) auch heute noch der Rang einer Lehrmeisterin für die späteren Entwicklungen zugesprochen werden kann. Um diese mittelalterliche Küche zu verstehen, bedurfte es der Auseinandersetzung mit der römischen Küche, welche wiederum die griechischen Einflüsse nicht außer acht lassen kann. Dazu habe ich die englische Übersetzung des Athenaeus von Gulick15 herangezogen sowie von den zahlreichen Apicius-Übertragungen die von gastronomischer Kompetenz charakterisierte englische Übersetzung „Cookery and dining in Imperial Rome“ von Vehling16 ausgewählt. Die portugiesischen und spanischen Quellen, die über den Hof von Neapel in die italienischen einfließen und ihrerseits das über die Araber erhaltene Wissen der Griechen mit einbeziehen, konnte ich im Rahmen dieser Arbeit aufgrund der wenigen Vorarbeiten auf diesem Gebiet nicht berücksichtigen. Bei den Franzosen habe ich einen Chiquart dem Viandier vorgezogen, da er offensichtlich bezüglich der Mengen und Garprozesse besondere Sensibilität zeigte. Die frühesten deutschsprachigen handschriftlichen Quellen sind meist klösterlich geprägt und aus dieser Hinsicht sehr wertvoll, so das „Würzburger Kochbuch“, vermutlich für die Sammlung eines wohlhabenden Klerikers verfaßt.17 Auch die beiden bisher nur in Auszügen veröffentlichten Handschriften aus der Nationalbibliothek in Wien, das „Mondseer Kochbuch“ und das „Wiener Kochbuch“ (Dorotheenkloster), stammen aus klösterlichen Bibliotheken. Eine diätetische Behandlung erfahren die Speisen im Kochbuch des Meister Eberhard von Landshut, Koch von Herzog Heinrich dem Reichen, Herzog von Bayern-Landshut, zu datieren in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Unter den für das wohlhabende Bürgertum gedruckten Kochbüchern ist die „Kuchenmeysterey“ als ältestes gedrucktes deutsches Kochbuch im Vergleich mit einer 100 Jahre später von Meister Sebastian vor allem in Hinblick auf die Sprache und Maße veränderten Version besonders aussagekräftig. Das „Libro de arte coquinaria“ vom Maestro Martino ist als ein Werk des Kochs des Patriarchen von Aquileia bereits im humanistischen Umfeld anzusiedeln. Noch ausgeprägter kommt dieser Zug bei Bartolomeo Sacchi, genannt il Platina, zum Ausdruck, der Martinos Rezepte zum Großteil seinem „De honesta voluptate et valetudine“ einverleibte. Platina steht mit seinem Werk in einer Tradition und darf als wichtiger Vertreter des frühen Renaissance-Epikureismus gelten. Die Berücksichtigung antiker Dokumente ist hier von Bedeutung. Dieser Entwicklung folgen mit Messisbugo und Bartolomeo Scappi, Leibkoch mehrerer Päpste, Standardwerke der italienischen Kochkunst (Raggionamenti, Ratgeber für Hofhaltung, Tranchierkunst) und sind ein Spiegelbild damaliger höfischer Bankette und Tischsitten. Mit Katharina von Medici gelangen Elemente nach Frankreich, wo im 17. Jahrhundert die Franzosen mit La Varenne und dem weniger bekannten Pierre de Lune eine führende Position übernehmen, die ihren Höhepunkt in den großen Küchenmeistern Carême und Escoffier im 19. Jahrhundert findet. Im deutschsprachigen Raum stehen die Aufzeichnungen von Marx Rumpolt gegen Ende des 16. Jahrhunderts exemplarisch für eine nördlich der Alpen gepflegte Hofküche, die sich um eine standesgemäße Abhaltung von Banketten der „KeyserlichenMaiestat/ der Königen/ Churfürsten/ Ertzhertzogen/ Graffen/ Edelleut/ Burger vnd Bauwren“ bemühte. Für das in den kulinarischen Reisebeschreibungen des 18. Jahrhunderts so gut beurteilte Österreich habe ich von den ersten hier entstandenen Kochbüchern die aufeinander aufbauenden „Wienerisch bewährten Kochbücher“ von Ignaz Gartler und Barbara Hikmann sowie „Nicht mehr als sechs Schüsseln“ von A. Zenker herangezogen. Aus dem böhmischsüddeutschen Einflußbereich fiel die Auswahl auf das Kochbuch der Patriziertochter Philippine Welser aus Augsburg (Mitte 16. Jh.) und das „Vollständige Nürnbergische Kochbuch“ von 1691, die sich beide durch ihre fachliche Kompetenz auszeichnen. Dieser Faden wird von Katharina von Prato im 19. Jahrhundert in der überaus weitverbreiteten „Süddeutschen Küche“ weitergeführt. Der „Granatapfel“ der Eleonora von Liechtenstein, Hertzogin zu Troppau und Jägerndorff, erstmals 1697 in Wien herausgegeben, beherrschte nahezu über zwei Jahrhunderte als populärmedizinisches Werk die Koch- und Arzneikunst im deutschen Sprachraum und diente als Vorlage für viele Kochbücher, wenn auch die Kochkompetenz stellenweise zu wünschen übrigläßt.

Eine mit den Studien der Schlüsselwerke einhergehende Lektüre exemplarischer Handschriften aus dem deutschen Sprachraum des 17. und 18. Jahrhunderts (Bludenzer Kochbuch St. Peter, Nürnberger Handschrift 1609, Apothekerkochbücher aus Innsbruck) versucht die im Alltag vorherrschende Küchenpraxis privater Haushalte punktuell mit einzubeziehen. Sprachlich meist holperiger als ihre höfischen Pendants, vermittelt der persönliche Charakter handgeschriebener Kochbücher anschauliche Küchenpraxis, die sich kaum an großen Leserkreisen oder ökonomischen Interessen, umso mehr aber an der Sache selbst orientiert.

Auswahlkriterien

Nach Möglichkeit wurde die Primärquelle herangezogen, was im besonderen für die deutschen, italienischen und französischen Kochbücher gilt. Bei den griechischen und lateinischen Quellen berufe ich mich auf diverse Übersetzungen unter Vergleich der unterschiedlichen Übertragungen. Fallweise wurden auch „schlechte“ Beispiele als Vergleich herangezogen, um eine falsche Umrechnung oder andere Übertragungsfehler aufzuzeigen. Ein weiteres Kriterium bildete die klare sprachliche Formulierung sowie der Stellenwert eines Rezepts im Entstehungsgebiet und zur Entstehungszeit. Im ersten Teil (A) der Arbeit über das Maß, die Form und die Zeit wurden punktuell entsprechende Beispiele aus verschiedensten Rezepten herangezogen, im zweiten Teil (B) werden großteils vollständige Rezepte aus den wichtigsten Werken chronologisch wiedergegeben.

DAS REZEPT

Definition

Bei einem Rezept handelt es sich im Optimalfall um das schriftliche Festhalten oder die mündliche Mitteilung einer Komposition, die von der Vorstellung eines bestimmten Kochs oder einer bestimmten Köchin über die Auswahl eßbarer Materialien, in einer gewünschten und einzuhaltenden Reihenfolge zusammengestellt, berichtet. Diese Aufeinanderfolge von Zutaten, ihre Art und Weise des Zusammentreffens ist hinsichtlich ihrer Gestik, Größe und Proportionierung von einem Maß bestimmt, das sich im Rezept bloß quantitativ nicht benennen läßt. Festgehalten oder dokumentiert ist die Wirklichkeit eines Kochs für einen anderen Koch, heute auch für Anfänger und andere Interessierte. Diese Vorstellung von einer Speise erscheint in diesem Stadium noch nicht in präziser Form. Für den Leser gilt es, diese erst zu kultivieren, eine inspirative Anleitung oder Handlungsanweisung schöpferisch umzusetzen. Voraussetzung dabei ist, daß das Rezept klar und kompetent formuliert sowie die Absicht des Autors, seine Auffassung von einer Speise anschaulich vermittelt sind. Die Möglichkeiten sind unzählig, oft kann ein sehr kurz und knapp gehaltenes Rezept diese Idee, die Inspiration, durch ein richtiges Wort an der richtigen Stelle unvermittelt auslösen. Zu viele Worte wiederum können auch ein Hindernis sein, den kreativen Prozeß nicht einleiten oder diesen von vornherein zu sehr bestimmen und somit einengen. Eine detaillierte und die genauen Mengen vorschreibende Anweisung ist demnach für die Erfassung dieser Idee noch lange kein Garant oder gar Voraussetzung. Sachkenntnis und eigene Erfahrungswerte treten hinzu. Wer die Grundregeln des Kochens nicht beherrscht, wird mit dem besten Rezept kein brauchbares Ergebnis erzielen. In älterer Zeit waren Kochbücher „keineswegs Lehrbücher, in denen Anfängern das Kochen beigebracht wird“, schreibt Peter Kubelka im Vorwort des Riegersburger Kochbuchs. Es handelte sich vielmehr um „Partituren, in denen von MeisterIn zu Meisterin, so wie von Musiker zu Musiker, nur dasjenige mitgeteilt wird, was nicht selbstverständlich ist.“18 Die untersuchten Beispiele wenden sich auch meist, wie aus den Vorworten hervorgeht, an Berufsgenossen oder an den Nachwuchs und erst mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmend auch an Anfängerinnen. Auch nicht mitgeteilte Selbstverständlichkeiten gilt es zu erfassen.

Methodik

Es stellt sich die Frage, wie gehe ich an die Rezepte und die darin enthaltenen Maßangaben heran? Um eine Speise oder deren Konstellation über ein Rezept zu lesen, bedarf es zunächst einer formalen Beschreibung des Gegenstandes. In der Frage nach seiner Bedeutung ist die Kenntnis bestimmter kultureller Erscheinungsformen, ihrer unterschiedlichen regionalen Prägungen, unerläßlich. Ein Rezept und in der Folge auch die Kochkunst lassen sich nur aus der Zeit ihres Entstehens interpretieren. Die Fragen sind somit nach den gestaltenden Absichten des Kochs, etwaigen Vorlieben oder gemachten Auflagen durch den Rezipienten, nach dem weiteren Kontext, Umfeld und Wirkungsbereich zu stellen. Stellt der Gegenstand dieser Untersuchung auch nur einen Teilaspekt im Rezept dar, nämlich die primäre Darstellung der quantitativ faßbaren Mengen und Garzeiten, so gilt es diese in ihrem qualitativen Zusammenhang zu erfassen und daher im Rezept nicht isoliert zu betrachten. Um eine ganzheitliche Interpretation einer Speise über das Rezept zu ermöglichen, kann die Herausarbeitung der Maß- und Meßgewohnheiten, etwaiger zugrundeliegender Maßsysteme erst aus der Synthese einer formalen Analyse mit der Suche nach dem eigentlichen Gehalt hervorgehen.

Ich möchte im folgenden die ikonographischikonologische Methode von E. Panofsky auf ein Rezept, im weiteren Sinn auf die Speise selbst umsetzbar, übertragen.

1. In der vorikonographischen Beschreibung findet die Identifikation der in den Rezepten beschriebenen reinen Formen statt. Die dargebotenen Zutaten werden als Fleisch, Fisch, Gemüse, Früchte usw. hinsichtlich ihrer Tatsächlichkeit und als süß, salzig, bitter oder sauer in ihrem emotionalen Ausdruck erfaßt. Ihre formalen Beziehungen werden als Träger eines Themas untersucht und erkannt. Dazu benötigt der Interpret praktische Erfahrung, d. h. Vertrautheit mit den Lebensmitteln oder Materialien, den technischen Geräten, den mechanischen Prozessen und den Geschmäckern. Er weiß also, was süß oder sauer ist oder welche Zutaten in welcher Verbindung diesen oder jenen Geschmack erzeugen. (So wie er in der Malerei einen lachenden Engel von einem weinenden zu unterscheiden weiß.)

2. In der ikonographischen Analyse wird das, was er als primäres oder natürliches Sujet festgestellt hat, nun einer näheren Untersuchung unterzogen. Die Kenntnis aller Gegebenheiten, Vorlagen und Richtlinien für den Koch läßt Grundprinzipien der Kochkunst in der betreffenden Zeit hervortreten, die Auswahl und Zusammenstellung der Zutaten, die Mengenverteilung sowie der Einsatz bestimmter Würz- und Nahrungsmittel den Machtbereich des Kochs oder seines Auftraggebers erkennen. Auch die regional unterschiedliche Benennung einer Speise kann in dieser zweiten Stufe die mit einer Speise ausgedrückte Vorstellung enthüllen und reflektiert somit auch eine zeitgenössische Auffassung (z. B. Forelle Müllerin – Romantik; Kartoffelpüree, üppige Füllungen, Süßspeisen, Wiederholungen – Barock; monumentale Verhältnisse – Renaissance; musikalische Verhältnisse – Hellenismus; Fastenspeisen – Kirchengebote; Zuckerarchitektur, Aufbauten – Rokoko, Carême; Suppen – 19. Jahrhundert usf).

3. In der ikonologischen Interpretation läßt es sich jenseits der bloßen ikonographischen Benennung weiterfragen und versuchen, sich dem eigentlichen Sinn, dem Wesen des Werkes zu nähern und auch auf geistige Zusammenhänge hinzuweisen. Im Vergleich zur zweiten Stufe wirft diese dritte Stufe eine andere Perspektive auf das Gericht. Die Interpretation zeigt nun auch noch die zeitliche Differenz, die zum Interpreten gegeben ist. Der eigentliche Gehalt einer Speise, überliefert durch das Rezept, dessen Stellenwert dem Koch selbst nicht immer bewußt ist, soll jetzt, im nachhinein sichtbar gemacht werden. In dieser methodischen Herangehensweise an ein Rezept, im Verfügbarmachen desselben als authentisch ausgewiesenes Dokument einer historischen Epoche, einer bestimmten Region und eines Individuums im sozialen Kontext mache ich die grundsätzlich mögliche Annäherung an dieses Sachgebiet deutlich.

Lesbarkeit

Hinsichtlich der Maße stellt sich die Frage, inwieweit diese die Lesbarkeit eines Rezeptes beeinflussen und ob diese Einfachheit möglicherweise mit der Umstellung auf ein metrisches Maß, welches den Menschen und das Lebensmittel als Bezugsgröße außer acht läßt, verlorengegangen ist. Die Frage nach der absoluten Größe einer Maßeinheit in den alten Rezepten hat im Versuch einer äquivalenten Übertragung in metrische Maße die Transparenz vorhandener Strukturen eines funktionierenden Maßsystems oft zunichte gemacht oder verdeckt und somit der besseren Lesbarkeit eines Rezeptes mehr geschadet als gedient. Als Beispiel sei das Apiciusrezept, Nr. 136 bei Vehling19, Nr. 9 bei Maier20, genannt. Hier passieren gleich mehrere Fehler: „Patina de rosis“ als Titel des Rezeptes wird bei Maier zu Patina decoris: ein Schaugericht. Die ursprünglichen Angaben in „Gläser“ werden von Lister, Gollmer (S. 70), Maier (S. 51) allesamt in metrische Hohlmaße umgerechnet, was für eineinhalb Gläser bei Maier 0,068 l ergibt, nahezu verdoppelt bei Gollmer, der einen halben Cyathus daraus macht und zu 0,1 l umrechnet. Vehling bleibt bei einem Glas voll für alle Angaben der Flüssigkeiten (1 : 1 : 1) und gibt kein Äquivalent. Nachdem es sich um einen Auflauf oder Pudding handelt, wird wohl die Konsistenz für die Menge der Flüssigkeit in ihrer Beziehung zu den Eiern bestimmend sein. Letztere sind in Zahl angegeben. Hier gilt es, auch die anderen Rezepte in diesem Kapitel, das unter dem Kapitel „Verschiedenes“ hauptsächlich die Bereitung von Aufläufen abhandelt, zu berücksichtigen. Immer wieder stoßen wir auf die Beschreibung der gewünschten Konsistenz, läßt z. B. das Garen im Wasserbad auf eine auflaufartige lockere Konsistenz, die nicht zu heiß und fest werden darf, schließen. Es gilt stets zu bedenken, daß uns zwar die Bezeichnungen für Größen erhalten geblieben sind, aber in den seltensten Fällen die tatsächlichen Größen. Umrechnungen in heutige Maße können daher nur äußerst vorsichtig, am besten auf eigener Erfahrung fußend, unter Einbeziehung der im Rezept vermittelten Vorstellung durchgeführt werden. Diesen Spielraum und ein Vorstellungsvermögen zu schaffen, ist meist wichtiger als das Festmachen über detaillierte Maßangaben. Zur besseren Verständlichkeit der speziellen Küchentermini und Maßbegriffe befindet sich im Anhang ein Glossar mit speziellen Begriffen der Küchensprache.

Zur Kochbuchsprache21

Spielraum und Wahlfreiheit können über das Verb (mögen, dürfen), die Anredeform und den Schreibfluß ohne Berücksichtigung der Rechtschreibfehler ausgedrückt werden. Für spätmittelalterliche Rezepte ist die Herstellung einer Gesprächssituation zwischen Autor und Rezipient, häufig im Imperativ der 2. Person singular, typisch. Erst im 19. Jahrhundert treten Sprecher und Rezipient in den Hintergrund, liegt im Rezept, welches den Infinitiv mit Aufforderungscharakter bevorzugt, der Akzent nur mehr auf der Handlung. Die zuvor häufig am Ende eines Rezepts gemachten Aussagen „so ist es recht“ oder „ist köstlich“ verschwinden und damit auch ein indirekt vermittelter Anreiz zum Nachkochen.22 Nicht selten wirken sich fremdsprachliche Hörfehler auf die Benennung einer Speise aus oder sind etymologische Aspekte zu berücksichtigen. Im Wort verdichtet ist ein Merkmal, eine Charakteristik ausgedrückt, die eine sachliche Beschreibung erübrigen kann, ja vielleicht in dieser Form gar nicht möglich wäre. Auffallend sind hier die im Dialekt erhaltenen Speisebenennungen (Pflutta, Riebel, Knöpfle)23, aber auch die größere Vielfalt an Begriffen in den alten Rezepten, wo heute geradezu eine Verarmung an solchen Termini eingetreten ist. Die Vielfalt von Verben, die, richtig eingesetzt, stets auch Hinweise zu Mengen, Temperaturen und Garzeiten bergen, ist im Vergleich zu den heutigen Standardverben – machen, nehmen, geben – verblüffend. Oft ist allein die Benennung eines Rezepts verdichteter Ausdruck des Hauptmerkmals eines Gerichts, hergeleitet von seiner Zubereitung. Dies drückt in erster Linie die Form aus, bietet unter Umständen auch einen Hinweis auf die Garzeit (Paternosterringel, die Teigwaren Ave Maria und Paternoster), auf die Essenszeit (Gebetswürstel) oder wird von ihrer Entstehungsgeschichte (symbolisch oder mythisch) Mitteilung machen (Capelli d’angelo). Die Benennung eines Rezeptes kann aber auch Auskunft über die Herkunft der Speise, die Autorenschaft, die schriftliche Quelle oder den speziellen Bestimmungszweck und die Persönlichkeit, für welche die Speise gedacht ist, geben.24

Illustration

 

 

Jede Art von Messen bedeutet ein Vergleichen zwischen einer bestimmten und einer zu bestimmenden Größe. Dieser Vergleich kann mathematisch oder empirisch durchgeführt werden. Im Kochen ist dieser Vorgang des Messens und Abschätzens unerläßlich und stützt sich primär auf die bloße Empirie. Mathematische Proportionen sind jenen Maßen nachgefolgt, die der Mensch zuvor von seinem Körper, den Nahrungsmitteln und den Gegenständen, die ihn täglich umgaben, herleitete. Maßgebend für das Hervorbringen einer Speise sind somit der Mensch, das Nahrungsmittel, die Gefäße, Geräte und Heizquellen sowie das historische Umfeld, die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen ebenso wie geltende religiöse oder diätetische Vorschriften. Diese qualitativen Aspekte in ihrer Auswirkung auf Maß und Form einer Speise habe ich im zeitlichen Ablauf zu erfassen versucht.

I. DER MENSCH

Über die Sinne, die Glieder des menschlichen Körpers sowie die Körpersprache nimmt der Mensch maßgeblichen Einfluß auf Gestaltungsprinzipien im Kochen. Nebst Form und Größe der Zutaten kann der Mensch mit seinem Körper über die Wahrnehmung von Konsistenzen und Farben auf Mengen und Garzeiten kontrollierend einwirken und diese gestisch und rhythmisch strukturieren. Über die anschauliche Wahrnehmung hinaus steuert er Messungen intellektuell, indem er sich in der quantitativen Erfassung der Zahl bedient, die es auch in ihrer qualitativen Größe zu erfassen gilt.

1. DIE SINNE

Über die Sinnesorgane25 subjektiv erfaßte Meldungen werden im Gehirn augenblicklich in bewußte Wahrnehmungen umgesetzt. „Im selben Augenblick, in dem wir das Gesicht eines berühmten Schauspielers erblicken, den Duft einer Lieblingsspeise einziehen oder die Stimme eines Freundes hören, haben wir das Wahrgenommene auch schon erkannt. Nur Sekundenbruchteile nach der Reizung von Augen, Nase, Ohren, Zunge oder Haut wissen wir, daß es sich um vertraute Dinge handelt, und sind uns klar darüber, ob sie angenehm oder gefährlich sind.“26 An diese Fragen, wie das Gehirn dabei die Sinneswahrnehmungen mit früheren oder erwarteten Eindrücken verbindet und so den Reiz und seine Bedeutung für die jeweilige Person oder Sache erkennt, tastet sich die Forschung erst langsam heran. Erste Ergebnisse deuten auf ein chaotisches System, dessen Aktivität sich „aber nur erkennen, messen und erklären läßt, wenn man dem mikroskopischen Ansatz eine makroskopische Betrachtungsweise an die Seite stellt.“27 In früheren Rezepten stoßen wir oft auf Informationen oder Angaben, die versuchen, den reichen Schatz von Sinneserfahrungen wiederzugeben. In neueren Rezepten, wo Mengen- oder Zeitangaben überwiegend in Verbindung mit Zahlen gebracht werden, sozusagen der Impetus eines Rezeptes auf der Erfassung exakter Mengen liegt, gehen die anschaulichen Angaben unter Einbeziehung der Sinne meist ganz unter. In den älteren Rezepten, die sich an den erfahrenen Koch, sozusagen den Berufsgenossen richteten, war diese Art von Angaben besonders ausgeprägt. Im Gegensatz dazu sind abstrakt ausgedrückte Mengen- oder Zeitangaben rar oder fehlen zur Gänze. Vielfach sind erstere auch nur für denjenigen verständlich, der mit dem Rezept als Anregung oder Ideenspender mehr denn als Gebrauchsanleitung arbeitet. Andererseits können sie aber einem experimentierfreudigen Anfänger sehr wohl auch hilfreich und fundiert zur Seite stehen.

Was kann nun mit den Augen, Ohren, Händen, der Nase und der Zunge im Kochen quantitativ erfaßt werden?

Messen über sinnliche Erfahrung, was weniger einen Meßvorgang als eine Fähigkeit, Größen räumlich, haptisch, olfaktorisch oder akustisch zu vergleichen, darstellt, läßt auch das Erkennen von Proportionen oder Verhältnissen zu, ohne diese in Zahlen auszudrücken. Dazu müßten erst die Analogien geschaffen werden. Ein dünnes Blatt Papier kann von der Zunge oder den Fingern sehr wohl rein sensorisch von einem dickeren und festeren unterschieden werden, ohne den Unterschied in Gramm zu kennen. Wird das Gewicht sowohl für das dünne als auch für das dickere Papier in Zahlen erfaßt und bekanntgemacht, läßt es sich auch entsprechend einordnen. Wahrgenommen werden die feinsten Unterschiede aber auch ohne Kenntnis der Zahl. In dieses Reich zurückzuführen ist ein Anliegen dieser Arbeit und nicht den Fundus an einmal vorhandenen Bezügen noch weiter zu abstrahieren, indem man versucht, diese vorhandene Gesetzmäßigkeit mittels mathematischer, in Zahlen ausgedrückten Analogien herzustellen. Messen über die Sinne bedeutet auch, auf kein Hilfsgerät angewiesen zu sein, also unmittelbar und schnell reagieren und handeln zu können.

1.1 Der Sehsinn – die Farbe

Über den Sehsinn können beim Kochen visuelle Attribute wie Farbe, Form und Bewegung analysiert werden. Die Farben geben uns Auskunft über die Menge eines Gewürzes. Die gewünschte Menge Zimt im Zimtzucker, die nötige Menge Kräuter für eine Kräuterbutter kann ich am Grad der Farbe ablesen: „Ziemlich viel Zimt, so daß es die Farbe von Zimt annimmt, …“28. Oder bei Rumpolt: „… thu auch nit zu viel daran/ daß man es nicht sihet/ daß dürre Kräuter darunter seindt“29– soviel, daß man es noch nicht sieht!

Im Mittelalter bestand eine Hauptaufgabe des Kochs darin, einer Speise Farbe zu verleihen. Saucen waren nach ihrem Hauptbestandteil, ausgedrückt über die Farbe, benannt. In der anglo-normannischen Rezeptsammlung findet sich am Ende eines Saucen-Rezepts stets die Farbangabe: „die Farbe gelb“ oder „die Farbe blau“. Die Bedeutung der Saucen ist primär aus medizinischer Sicht zu beurteilen. So gesehen lag in der Farbe der Kürzel für die richtige Begleitung zu Braten, Huhn, Fisch oder Wild aus medizinischer Sicht, in der Farbe war sozusagen eine Ernährungsvorschrift enthalten.

Dem Farbwert kommt oft auch symbolische Bedeutung zu, so nimmt die Farbe Gold, ausgedrückt auch durch intensives Gelb, einen hohen Rang in der Küche ein. Einerseits verweist die goldene Farbe auf eine typische medizinische Vorgangsweise30 jener Zeit, kann aber auch als „Symbol der Allmacht Gottes oder als Zeichen für die göttliche Offenbarung“31