Liebe per App

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Crazy Love

Eva Kah

OBO e-Books

Inhalt

Hinweis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Über den Autor

Über OBO e-Books

Für Mama. Vielen Dank für’s Immer-an-mich-Glauben und vor allem das aufreibende Babysitting! Ich hoffe, die Kurzweil beim Lesen polstert dein Nervenkostüm wieder ein bisschen auf.

Auch für meinen Mann, der sich für meine Recherche extra einen Quadrocopter gekauft hat.

Und für alle Krankenschwestern dieser Welt. Ihr seid Gold wert. Mindestens. Wenn nicht sogar Platin... Lasst Euch nichts anderes erzählen!


Ich danke meinem rücksichtslos lesewütigen Testleseteam:

Angela, Barbara, Carola, Kathrin, Luci, Marei, Nadine. Und Till, der als einziger Mann einen sehr wichtigen Außenseiter-Standpunkt vertrat.

Merci!

Hinweis

Das vorliegende Werk ist fiktional und entspringt allein der Fantasie der Autorin. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Institutionen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Das im Roman geschilderte Geschehen zum Thema Stalking ist fiktiv und dessen Beurteilung beruht nicht auf der tatsächlichen Rechtslage.

Auch die Arbeitsbedingungen und -zeiten der auftretenden Krankenschwestern und Pfleger sind so gehalten, dass sie sich der Geschichte anpassen. In Wirklichkeit geht es in Kliniken selbstverständlich ganz anders ab.

1

Schluss machen für Anfänger

Meine letzte Sechs-Tage-Schicht im Mai endete mit einem Heiratsantrag. Leider erhielt ich ihn nicht von meinem Freund Max, mit dem ich zu diesem Zeitpunkt fast genau elf Jahre lang zusammen war, sondern von einem Scheich.

Einem richtigen saudi-arabischen Scheich, mit allen Finessen. Tausend Quadratkilometer heißer Wüstensand, Oasen, Paläste, Wasserpfeifen, Rennkamele und goldener Nippes, wohin man blickt. Zugegeben, eigentlich machte mir nicht der Scheich selbst den Antrag, sondern seine Mutter, aber das ändert ja nichts an den Kamelen und dem ganzen Kram.

Die Frau El-Fayyad, also die Mutter vom Scheich, war wegen einer doppelten Fußgelenksfraktur schon seit zwei Wochen bei uns auf der Station. In Abu Dhabi traute man sich so eine knifflige Sache wohl nicht recht zu, und unsere kleine orthopädische Privatklinik im Norden Münchens genießt international einen hervorragenden Ruf. Außerdem musste die Frau El-Fayyad ja nicht alleine so weit reisen. Ein Großteil ihrer Familie nutzte den Klinikaufenthalt als willkommene Entschuldigung für wochenlange Shoppingexzesse auf den Münchner Prachtmeilen. Angeblich hatten sie drei Etagen des Bayerischen Hofs komplett gebucht. Der Familienzusammenhalt bei Scheichs erwies sich als sehr eng: Täglich gegen fünfzehn Uhr hielt ein großer SUV im absoluten Halteverbot vor der Klinik, und dann stürmte ein Grüppchen voll verschleierter junger Damen mit goldenen Gesichtsmasken das Einzelzimmer der Patientin. Sie fuchtelten mit Dutzenden von Chanel- und Prada-Einkaufstüten herum, behandelten uns Krankenschwestern wie Dienerinnen, bestellten Unmengen Cappuccino und kreischten am laufenden Band, als wären sie auf einer Show der Chippendales. Draußen im Flur saß währenddessen ein gelangweilt dreinblickender Herr in dunklem Anzug und Sonnenbrille, um auf die Frauen zu warten. Oder sie zu bewachen, man weiß es nicht. Eventuell war er auch nur der Fahrer des SUV und versteckte sich im Krankenhaus vor der Politesse, die ihm verlässlich jeden Tag einen weiteren Strafzettel hinter den Scheibenwischer klemmte.

Leider konnte ich nie sehen, wie die Mädels den ganzen Cappuccino durch die Gesichtsmasken kriegten. Vielleicht mit eingebauten Strohhalmen? Sie tranken nie in meiner Anwesenheit. Ich nehme an, es handelte sich um die Töchter der Frau Scheich. Die ließ sich den sündteuren Inhalt der vielen Tütchen zeigen, bewunderte ihn gebührend und kreischte ein wenig mit, aber längst nicht so viel wie die Besucherinnen. Ich hatte den Eindruck, sie wäre hinterher immer etwas erschöpft, aber das kann auch daran liegen, dass sie die Einzige war, deren Gesicht ich zu sehen bekam. Sie trug nämlich zu ihren hochgeschlossenen Seidenkaftanen nur ein Hermés-Kopftuch, und auch das legte sie nur für selbstverständlich vorher angemeldete männliche Ärzte an.

Wenn gerade keine fünf bis sieben schwarz verschleierten Kichererbsen um sie herum saßen und bei mir in herrischem Tonfall Kaffee bestellten, konnte die Frau El-Fayyad aber ganz nett sein. So wie an diesem Nachmittag, als ich meinen Kontrollgang machte und sie in meinem besten Englisch fragte, ob sie Schmerzen habe oder noch etwas Tee wünsche.

Statt einer Antwort schenkte sie mir einen langen, huldvollen Blick, winkte mich näher an ihr Bett und bat mich auf einen Besucherstuhl.

„What is your name, my dear?“

„Äh, Angélique, Madam.”

„Angélique! What a lovely, lovely name! And you are such a lovely girl. A lovely, lovely girl, really. And you work so hard. All day long I see you work. Work, work, only work! A lovely girl like you should not have to work so hard. If I may ask you another question: How old are you, dear Angélique?”

„I am twenty-seven, Madam.”

Die El-Fayyad verstummte für einen Moment und kratzte sich am Kinn. „You are not a child any more, that is for sure. When I was twenty-seven, I had five kids already.” Sie seufzte, doch dann machte sie eine wegwerfende Geste und lachte. „But then I got eight more kids, so what? Twenty-seven is not too old for anything!”

Bis dahin fühlte ich mich noch irgendwie geschmeichelt und nickte lächelnd, aber dann rückte sie schnell mit ihren wahren Absichten heraus. „You have so beautiful hair and so beautiful blue eyes, you know?”

„Äh, yes, thank you very much, Madam.”

„I would really love to have grandchildren with blue eyes. Many of them. And with those broad hips you make good children!”, rief sie enthusiastisch.

Mir fiel die Kinnlade herunter vor Empörung, aber nur innerlich. Aaah! Breite Hüften! Sie meinte das ganz offenbar als Kompliment. Und es war leider auch nicht komplett an den Haaren herbei gezogen. Aber musste sie deshalb gleich darauf herumreiten? Die Hüften waren nun mal wirklich mein wunder Punkt! Mit den folgenden Sätzen machte meine orientalische Möchtegern-Schwiegermutter sich immerhin ein klein wenig beliebter bei mir.

„A lovely girl like you should get a nice husband, and then the nice husband would make you some babies and buy you nice clothes and nice shoes and all. This is what a lovely girl should do. Not working hard. Go shopping and have nice little babies, eh?”

Die Begeisterung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ihre schwungvoll nachgezeichneten Augenbrauen zuckten, als sie zum Abschluss ihrer Rede kam.

„Dear Angélique, you really should marry a nice man like my son Mahmud. My Mahmud does need a lovely little wife like you, and he is a very nice man!”

Oh. Aha. Ein sehr netter Mann. „So nett wie die anderen Männer, die die Kohle für eure lustige Mädelsrunde ranschaffen?“, wollte ich sagen. „Klar, ich hätte auch gerne mal einen Dingsbums-Schuh mit Diamanten oder eine Handtasche, die doppelt so teuer wie mein Auto ist. Wenn ich überhaupt eines hätte. Aber wissen Sie, so viel könnte ich bei Chanel gar nicht einkaufen, um mich dafür den Rest meines Lebens in so ein Zelt wickeln zu lassen!“

Natürlich sagte ich das nicht. Dafür ist erstens mein Englisch nicht gut genug, und zweitens sollen wir Krankenschwestern die Patienten nicht vor den Kopf stoßen, schon gar nicht die Privatpatienten mit den Einzelzimmern. Ich sagte stattdessen: „Oh, äh, I have a man already. I mean, I have a boyfriend. I am quite sure your son, äh, Mahmud is a very nice man, but I am sorry, I don’t think I can marry him, really…”

Am liebsten hätte ich dabei die Augen fest geschlossen, weil ich gerade dabei war, die lukrativste Patientin in der Geschichte unserer Klinik zu beleidigen. Erst gestern hatte es uns der Oberchef auf der Personalversammlung wieder vorgebetet: Was auch immer ihr tut – bloß nicht der El-Fayyad auf den Schwanz treten! Noch ein paar Wochen, und die hat unsere Finanzen quasi im Alleingang saniert. Und das im Rollstuhl, hehe. Die Frau ist die sprichwörtliche Ölquelle für uns! Ich hoffte, er hatte mit „nicht auf den Schwanz treten“ nicht das Ablehnen von Heiratsanträgen gemeint.

Die Scheichmutter war aber gar nicht so wahnsinnig beleidigt, wie ich befürchtet hatte. Sie guckte verständnisvoll und strich mir mit ihrer feisten, goldberingten Hand übers Haar. Sie kramte sogar ihr riesengroßes Smartphone hervor und zeigte mir gefühlte vierhundert Fotos von den zahllosen Besitztümern, in die ich hinein heiraten könnte, wenn ich es mir denn in näherer Zukunft noch einmal anders überlegen sollte.

Die mindestens acht verschiedenen Pools, perfekt getrimmten Parkflächen und turnhallengroßen Wohnzimmer voller unendlicher Sofalandschaften hätten mich fast auf ihre Seite gekriegt. Auf die Schnelle konnte ich nicht sagen, ob es sich um einen einzigen Palast von den Ausmaßen einer Kleinstadt handelte oder ob Scheichs abwechselnd in mehreren, leicht unterschiedlichen Anwesen residierten. Die Gebäude waren jedenfalls alle goldgelb gestrichen und erinnerten stark an Disneys Version von Schloss Neuschwanstein. Im Hintergrund tummelten sich glänzende schwarze Rennpferde mit wehenden Mähnen, fleißige Gärtner oder schneeweiße Kamele, je nach Situation. Stark geschminkte Frauen in sehr knappen Designerklamotten (so sahen die also aus, wenn sie gerade kein Zelt tragen mussten) tranken Champagner neben Flachbildschirmen, die man zur Not auch als Esstisch für Ali Baba und die vierzig Räuber verwenden konnte. Auf den Fotos war immer prächtiges Wetter. Alle lachten glücklich, sogar die weiß gekleideten Dienstmädchen, deren Uniform frappierend an unsere Schwesternkittel erinnerte. Zwischen Palmen und Golf spielenden Kindern ging spektakulär die Sonne unter.

Heiliger heißer Wüstensand! Das hätte auch meinem Hamster bestimmt gut gefallen, angeblich kommen doch Hamster da her. Mich machte nur misstrauisch, dass mir die Gute kein einziges Foto von ihrem Sohn zeigte. Es hatte wohl seine Gründe, dass der „sehr nette Mann“ in seinem Heimatland noch keine abgekriegt hatte.

Als ich mich von der El-Fayyad verabschiedet hatte und in der Umkleide meinen Kittel auszog, war ich immer noch ganz verzaubert. Goldene Wasserhähne schwirrten mir durch den Kopf, hundert Paar Manolo-Blahnik-Schuhe und ein turnhallengroßes Freilauf-Paradies für meinen Hamster. Aber erstens dürfen wir Schwestern mit Patienten nichts Privates anfangen, und außerdem hätte ich das alles lieber noch einmal aus einem ganz anderen Mund gehört. Aus dem Mund meines Dauerfreundes Max. You are such a lovely girl, we should marry. I want you to be my lovely little wife. Go shopping. Let’s have some nice little babies, eh?

Max Emanuel Herzog, mit dem ich seit der zehnten Klasse zusammen bin und den ich in Momenten von ausgeprägtem Ego – seinem ausgeprägten Ego – scherzhaft „Max der Erste“ nenne, ist Schauspieler. Kein wahnsinnig erfolgreicher bisher, aber trotzdem Schauspieler mit Herz und Seele. Im Alltagsleben merkt man das an seiner Vorliebe für das Überdramatisieren ganz undramatischer Situationen („Schatz, hast du etwa schon wieder meine neuen schwarzen Socken bei sechzig Grad gewaschen?! Du weißt doch, dann werden die so schnell anthrazitfarben!!! Guck doch, das ist jetzt gar kein richtig echtes Schwarz mehr! Nein, das sieht jeder Idiot, das bilde ich mir nicht ein! Ich STERBE, wenn ich morgen nicht in richtig echt schwarzen Socken zu diesem Casting gehen kann!! Ich werde keinen Ton herausbringen. Keinen einzigen. Ja, ich bin ein NICHTS in anthrazitfarbenen Socken, da fehlt die ganze Essenz und Tiefe des menschlichen Daseins. Ich werde versagen, versagen, versagen in diesen Socken. Untergehen. Und DU bist schuld!“).

Wie vermutlich alle Schauspieler liebt Max Worte. Jedenfalls, wenn sie aus seinem Mund kommen. Auf Höflichkeitsfloskeln erstreckt sich diese Liebe allerdings nicht. Als ich die Wohnungstür aufsperrte, erschallte auf mein fröhliches „Hallo Max, ich bin wieder da!“ – nichts. Wie immer. Allerhöchstens erhalte ich mal ein Brummen zur Antwort. Aber ich bin das gewohnt. Stattdessen freute ich mich einfach, wieder zuhause zu sein. Nach sechs arbeitsintensiven Frühschichten hintereinander lagen nun vier freie Tage vor mir, und das würde diesmal besonders schön werden. Erstens waren die vier Tage genau an einem Wochenende und zweitens würde Max am Sonntag Geburtstag haben, wozu ich ihn mit einer dicken Party überraschen wollte.

Vorher allerdings knurrte mein Magen, und ich wollte nicht hungrig in das schöne verlängerte Wochenende starten. Ich guckte in Igor, den Kühlschrank – ich nenne ihn Igor, weil das ein Name ist, der aus der Kälte kommt – nichts außer einem halben Glas Essiggurken und einer uralten Flasche Barbecuesauce, die wir noch nicht wegzuwerfen gewagt hatten.

Ich beging den Fehler laut festzustellen, dass da wohl mal wieder jemand das Einkaufen vergessen hätte. Nicht unfreundlich sagte ich das, nur laut genug für Max. Es war sowieso erstaunlich, dass er mich hörte, weil er mal wieder seine superstylishen neongrünen Kopfhörer trug und im Wohnzimmer Tanzschritte übte. Gerade versuchte er erfolglos, sein linkes Bein um das rechte herumzuwickeln. Zumindest sah es für mich so aus. Seit er von einem Bekannten gehört hatte, irgendein großer Produzent wolle demnächst eine amerikanische Street Dance-Reihe auf Deutsch neu verfilmen, war er besessen von der Idee, seine Karrierechancen mit Breakdance- und Hip-Hop-Elementen immens beflügeln zu können.

Max hörte auf, seinen linken Fuß schwungvoll um die rechte Wade schlingen zu wollen. Dann nahm er die Kopfhörer ab und schüttelte sein wildes Blondhaar, das er alle sechs Wochen beim zweitteuersten Friseur der Stadt machen lässt. Er murrte: „Bin ich hier nur der Hausmann oder was? Hab’ Besseres zu tun als Einkaufen.“

Nicht Hallo, Schatz oder Willkommen in unserem schönen Wochenende oder gar Entschuldigung, dass ich dir alles weggemampft habe. Ich seufzte. Dass ich zwei Stunden vorher einen Heiratsantrag aus Saudi-Arabien erhalten hatte, verschwieg ich. Ich bin kein Angeber-Typ. Diesen kleinen Triumph wollte ich für mich behalten.

„Ich geh ja schon. Hätte halt nur gerne eine Kleinigkeit gegessen, bevor ich wieder losziehe. Nicht mal mein Lieblingsmüsli hast du mir übrig gelassen. Du warst übrigens wirklich schon sehr lange nicht mehr einkaufen.“

„Du mit deinem nachtragenden Elefantengedächtnis. Mein Leben gehört der Kunst. Ich hab keine Zeit für so einen Kleinscheiß, Icki!“

Da packte mich nun doch ein klein wenig die Wut. Ich hatte einen – tierisch schlauchenden – Vollzeitjob, zahlte unsere Miete praktisch alleine und erledigte nebenher den kompletten Haushalt für ihn mit, und dafür musste ich mich noch doof anmachen lassen, wenn ich mich geschafft zurück in unsere Höhle geschleppt hatte?! Work, only work, kam mir wieder in den Sinn. A lovely girl like you should not have to work so hard.

Klar, dass meine folgenden paar Sätze alles andere als überfreundlich ausfielen. So ähnlich wie Und wegen deiner Kunst soll ich von Luft und Wasser leben? und Für dich ist es vielleicht Kleinscheiß, für mich ist es ein Haushalt, und auch Künstler müssen doch mal was essen, verdammt! Aber seine Antwortsätze übertrumpften mich noch. Vermutlich hatte er wieder irgendwelche Tabletten eingeworfen, doch das war keine Entschuldigung.

„Weißt du, Icki, es gibt Luftmenschen und Erdmenschen. Frag mal, zu welcher Sorte ich gehöre. Und mit deinem Hintern und deinen Waschfrauenhänden eignest du dich halt besser zum Arbeiten als ich, was willst du denn.“

Max kann eben manchmal ein ganz schönes Egomonster sein. Nichts gegen Schauspieler; aber seitdem ich einige seiner „Freunde“ kenne, nehme ich an, die meisten Schauspieler sind so. Ich verstehe das auch. Um psychisch labile Typen spielen zu können, muss man wohl selbst ein bisschen neben der Spur stehen. Sonst kann man sich ja nicht richtig hinein fühlen in all seine möglichen Rollen. Schon mal was von Klaus Kinski gehört? Genau. Voll einen an der Waffel gehabt, allen Leuten in seinem Umfeld übelst mitgespielt, aber ein genialer Künstler gewesen. Max ist zwar noch nicht ganz auf der Ebene von Kinski angelangt, aber nur was den Erfolg betrifft.

Ich war richtig beleidigt von dem Kommentar mit den Waschfrauenhänden. Wer sich täglich zwanzig Mal die Pfoten desinfizieren muss, kann halt keine zehn Zentimeter langen Acrylnägel mit French Manicure haben! Aber das sagte ich auch nicht. Wenn ich so richtig beleidigt bin, sage ich eigentlich nie was. Am Ende verschlimmert das die Situation noch. Lieber gehe ich raus und drehe eine Runde auf meinem totgeliebten, rostigen alten Vehikel von einem Fahrrad, das ich Susi nenne.

„Dann geh halt ich einkaufen“, murmelte ich und schlüpfte schnell aus der Wohnung, bevor Max meine feuchten Augen sehen konnte.

Als ich zurückkam, probierten wir es mit Versöhnungssex. Das heißt, ich probierte es, denn was Max da eigentlich für eine Nummer abzog, weiß der Teufel. Das war zwar Sex, keine Frage, aber zur Versöhnung nicht besonders gut geeignet.

Max lungerte in der Küche herum, als wisse er selbst nicht so ganz, was er eigentlich wollte. Er musterte mich von oben bis unten; meine nachlässig zusammengebundenen Haare, meine Bluse mit dem hübschen Muster, die ausgewaschenen Jeans, meine roten Chucks. Ich schwieg und vermied es, ihn anzusehen. Etwas Lauerndes, Animalisches lag in der Luft, als ob ich ein Reh auf der Lichtung wäre und Max der hungrige Wolf. Noch bevor ich Igor mit meinen paar Einkäufen gefüllt hatte, sprang er mich richtiggehend an. Gerade, als ich mich über den Brotkasten beugte, schlang er von hinten die Arme um meine Taille und zog mich an sich. Er presste die Lippen auf meinen Hals und biss mich leicht in den Nacken. Das sollte wohl das Vorspiel sein, denn gleich danach spürte ich, wie er meine Jeans öffnete und sie mir mitsamt Slip nach unten zerrte.

„He“, hielt ich schwach dagegen. „Was soll das denn werden, ich hab’ doch noch gar nicht geduscht!“

„Egal, ich will das jetzt“, knurrte er, drückte mich über die Küchenarbeitsplatte und knetete kurz meinen nackten Hintern. Ein Schauder durchlief mich. Ich hörte seine Gürtelschnalle klicken und seine Hose rascheln, dann hielt er mich mit einer Hand fest und führte mit der anderen seinen Ständer an meine Öffnung. Er presste seine Hüften gegen meine, stieß ein paar Mal zu und war ganz in mir. Schnörkellos, wie ein Duracell-Häschen ging er zur Sache. Es ruckelte und wackelte, die Haut über meinen Beckenknochen scheuerte gegen die Kante der Arbeitsplatte, und ich versuchte mich mit den Händen irgendwo abzustützen, ohne die Gewürzgläschen auf den Boden zu schubsen. Ich wusste gar nicht so recht, wie mir geschah.

Meine Stirn schlug neben der Espressomaschine an die Wand, als es ihm kam und er verhalten grunzend in mich abspritzte. Obwohl mich das grobe Geruckel und Gewackel nicht ganz unbeeindruckt ließ und ich währenddessen doch immer feuchter wurde, war ich natürlich Lichtjahre davon entfernt, ebenfalls zu kommen. Max ließ sich nicht einmal die Zeit, in mir weich zu werden. Nach seinem Orgasmus zog er sich mit einem befriedigten Seufzer sofort aus mir zurück. Angesichts des ganzen Spermas und der blauen Flecken auf meinen Hüftknochen fühlte ich mich zwar ziemlich gründlich durchgefickt, aber bei Licht betrachtet war die ganze Sache schon eher enttäuschend.

Man mag es kaum für möglich halten, aber hinterher enttäuschte mich Max noch mehr. Statt sich zu mir zu kuscheln und unseren Streit auszudiskutieren, zog er sich die Hose hoch und schlenderte in sein Zimmer. Wir schlafen zwar in meinem großen Kingsize-Bett, Max besteht aber auf seinem eigenen Reich, ohne das er sich nicht konzentrieren könne. Dort packte er leise vor sich hin pfeifend ein paar Klamotten in seine Sporttasche. Als er mich im Türrahmen lehnen sah, schenkte er mir einen langen Blick, den man nur als verächtlich beschreiben kann. Er stand auf, warf sich die Tasche über die Schulter und ging an mir vorbei in den Flur, wobei er diese fiesen zwei Sätze sagte:

„Weißt du, mit dir macht’s halt einfach keinen Spaß, Icki. Du bist und bleibst eine pingelige, langweilige Kuh!“

Und dann war er weg. Die plötzliche Stille meiner Wohnung, so ganz ohne Breakdance und Vorwürfe, umhüllte mich wie eine Wand aus Watte.

Selbstverständlich bezog ich seine letzten Worte irgendwie auf meine sexuellen Fähigkeiten. Max war gegangen, weil er mich nicht nur im Alltag, sondern leider auch noch im Bett pingelig und langweilig fand.

Dabei hatte ich den Sex mit Max immer genossen. Nicht, dass ich da viele Vergleichsmöglichkeiten gehabt hätte. Max war der erste und bisher einzige Mann, der es jemals bis unter meinen Slip geschafft hatte. Okay, sein Schwanz war wohl nicht der allergrößte, aber das störte mich nicht. Dafür wusste er mit seinen Fingern und seiner Zunge so allerhand anzustellen – wenn er wollte. Bei unserem ersten Mal, als entsetzlich aufgeregte Sechzehnjährige, war ich sogar erleichtert über sein mittelprächtiges Format gewesen. Vor so etwas musste man sich wirklich nicht fürchten… Dementsprechend verlief unser erstes Mal völlig untraumatisch und eigentlich ganz nett, was man von all meinen Freundinnen nicht behaupten konnte.

Und jetzt saß ich auf dem hässlichen Sofa und sah mich mit dem ganz neuen Gefühl konfrontiert, beim Heulen zu erröten. Max’ völlig entspanntes Gesicht nach dem Orgasmus, seine von mir wild verstrubbelten Surferhaare. Der nackte Max mit dem Bettlaken als Umhang, wie er mir Hamlet vorspielte. Sein fieses Grinsen, wenn er sich vorbeugte, um meinen Hals zu küssen, weil er genau wusste, wie hilflos ausgeliefert ich dann war. Wie seine Schultermuskeln hervortraten, wenn er in mich eindrang. Sonntage, an denen man das Bett nur verließ, um Kaffee zu kochen und Croissants zu holen, die man in den Bauchnabel des anderen krümeln konnte.

An seiner Stelle standen nun diese drei Vorwürfe im Raum wie Ausrufezeichen: kein Spaß, pingelig, langweilig. Und als ob das nicht ausreichend gewesen wäre, hatte er mich als Ergänzung oder Gratiszugabe auch noch eine Kuh genannt. Zum ersten Mal in unserer Beziehung übrigens, mit meinem nachtragenden Elefantengedächtnis merke ich mir so etwas.

Nachdem Max gegangen war, saß ich lange auf unserem hässlichen Sofa und dachte nach. In meinem Kopf drehte sich ein Karussell. Kein Wunder – Max war mein allererster Freund, dementsprechend war ich gerade zum allerersten Mal verlassen worden. Das Thema „Schluss machen“ war mir neu. Ich weinte nicht. Ich verspürte nicht das Bedürfnis, den Couchtisch zu treten oder Max’ Unterhosen aus dem Fenster zu werfen (das kam dann ein paar Tage später). Ich war sogar zu perplex, um mir einen Kaffee zu kochen oder gleich einen Schnaps zu holen. Ich betrachtete einfach nur meine Hände, wie sie auf meinen Knien lagen und ein ganz klein wenig zitterten. Ehrlich gesagt wunderte ich mich, wie wenig sie zitterten. Dabei zog das Kennenlernen von Max und mir an meinem inneren Auge vorbei. Unsere glorreichen Anfänge…

Es war die inoffizielle Abiturfeier des Nachbar-Gymnasiums, auf der wir zusammen kamen.

„Hey, du bist doch die Icki?“

„Äh, ja?! Warum fragst du?“

„Na ja, weil…“ – gezielt eingesetztes, unwiderstehliches Sonnyboylächeln – „ich gerne weiß, wie das Mädel heißt, das ich heute Abend mit nach Hause nehme.“

Meine Reaktion auf diese unverschämte Anmache war nichts als purer Stolz gewesen. Ich wurde rot vor Glück. Dann grinste ich debil und nickte eilfertig, um mich gegen die Litfaßsäule drücken und küssen zu lassen. Ja, so war das damals mit sechzehn. Keine Ahnung von nichts, aber scharf darauf, dass etwas passiert in der großen weiten Welt, die einem doch angeblich sperrangelweit offen steht.

Nachdem ich eine ganze Weile wie gelähmt dagesessen hatte, begannen die Gedanken langsam wieder Form anzunehmen. Zuallererst überlegte ich, ob Max wohl auch das hässliche Sofa mitnehmen wollte, wenn er eine neue Wohnung gefunden hatte. Wir hatten es erst vor ein paar Wochen gekauft. Der komische grün-graue Farbton hatte mir schon im Laden nicht gefallen, aber Max bestand darauf. Das sei eine absolut zeitlose Farbe, elegant, ein Designklassiker. Für mich sah das Grüngrau eher nach schimmligem Brot aus, aber ich hatte ja keine Ahnung, ich hatte ja nicht studiert, und deshalb gab ich klein bei. Was wissen Krankenschwestern schon von Designklassikern?

Jetzt saß ich allein auf dem Designklassiker, sah meinen Händen beim Zittern zu und ärgerte mich umso mehr, dass ich mich bei der Auswahl nicht durchgesetzt hatte. Immerhin war das Sofa zum Großteil von meinem Geld bezahlt, wie so vieles in unserer Wohnung. Wie die Wohnung selbst auch. Ich war die alleinige Hauptmieterin. Weil natürlich jeder Münchner Vermieter, der seine sieben Sinne zusammen hat, lieber an eine fest angestellte Krankenschwester vermietet als an eine fest angestellte Krankenschwester UND ihren erfolglosen Schauspieler-Freund. Was sich jetzt schon sehr bald rächen würde, weil ich die Miete unmöglich dauerhaft allein aufbringen konnte. Den kleinen Zuschuss von Max’ wohlhabenden Eltern könnte ich natürlich auch vergessen, wenn ihr Sohn nicht mehr hier wohnte. Ausziehen wollte ich aber auf keinen Fall. Ich liebte diese kleine verschrammelte Bude in Haidhausen, schließlich war sie seit beinahe acht Jahren unser Liebesnest gewesen… oh Gott. Vermutlich müsste ich mir einen neuen Mitbewohner suchen. Ogottogott. Ein Eindringling in mein Reich, meine Rückzugshöhle, in der jedes Kissen seinen wohlüberlegten Platz hatte und die Dinge Namen besaßen! Ich gebe den Gegenständen, ohne die ich nicht könnte, nämlich gerne Namen. Mein Kühlschrank heißt Igor, meine alte Schrottmühle von einem Fahrrad Susi und meine Kaffeemaschine Wolfgang. Das ist individuell und leichter zu merken, finde ich. Besser als eine so kalte Buchstabenfolge wie „Espressokocher mit Siebträger“.

Mein zweiter Gedanke war, ob Max irgendwie Recht hatte mit seinen letzten Worten. War ich vielleicht tatsächlich eine Spaßbremse, eine pingelige, langweilige?

Langweilig. Pah! Wer es langweilig findet, eine Vollzeit berufstätige Frau an seiner Seite zu haben und sich von ihr aushalten zu lassen, dem ist nicht mehr zu helfen. Klar, ich war zuletzt vor vielen Jahren mit ihm auf einem seiner Filmfestivals gewesen, und wann ich mit ihm auf einer Party durchgemacht hatte, verschwamm völlig im Nebel der Erinnerung. Ich hätte nicht einmal die Jahreszahl nennen können. Aber das lag einfach daran, dass Max’ Filmrollen so rar gesät waren. Und daran, dass ich in Schichten arbeite. Wer Sonntag um vier Uhr morgens auf der orthopädischen Station mit dem Bettenwechseln beginnt, der geht eben nicht Samstag um halb zwölf noch tanzen. Oder jedenfalls nicht oft.

„Das ist nicht langweilig, das ist Schichtdienst!“, hatte ich Max noch nachgerufen. Aber er hörte es nicht mehr. Wollte es auch gar nicht hören. Wie so vieles in den letzten zehn Jahren.

Oder bezog sich das „langweilig“ gar nicht auf die Art und Weise, wie ich meine Freizeit verbrachte, sondern etwa auf mein Äußeres? Wäre ja noch schlimmer. Klar, ich trage lieber Jeans mit Chucks als Ledermini mit Plateau-Sandaletten. Und figurmäßig bin ich eher der Birnen-Typ. Keine supersaftige Birne, aber eindeutig auch keine Gurke oder Rübe. Aber hey, ich tusche mir täglich die Wimpern, notfalls auch schon um drei Uhr morgens. Außerdem habe ich eine super Haut und „die Haare schön“. Letzteres höre ich jedenfalls häufig in der U-Bahn, sogar von jungen Mädchen. Die sich wahrscheinlich nur mit mir anlegen wollen. Aber egal, es stimmt ja, ich habe schönes Haar. Kastanienbraune, glänzende Wellen bis zum Po. Ich hatte also jeden Anlass, mich in meiner Haut ganz wohl zu fühlen.

Bis Max ging.

Dass er richtig echt gegangen war, also für immer, war mir in dem Moment noch nicht so richtig klar. Mit mir hatte noch nie zuvor jemand Schluss gemacht. Daher wusste ich überhaupt nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Ich hatte überhaupt keine Strategie. Vorausgesetzt, dass Max tatsächlich nicht in einer Stunde reumütig wieder aufkreuzen würde, was sollte ich tun?

Wie man am besten mit Liebeskummer umgeht, musste ich jetzt im zarten Alter von siebenundzwanzig irgendwie selbst herausfinden. Laut Metal hören, drei Schachteln Zigaretten rauchen und zwei Wochen nichts essen wie die Mädchen damals in der Schule? Vierhundert SMS an den Typen schreiben und ihn und alle seine Facebook-Kumpels entfreunden?

Vermutlich wäre ich nach einer halben Stunde Gedanken-Ordnen auf dem hässlichen Sofa trotzdem aufgestanden, um mir einen Drink zu machen und meine beste Freundin Freddy anzurufenjedoch kam mir das Klingeln des Paketboten zuvor. Mit einem kompakten, aber sehr schweren Karton schleppte er sich die Stufen zu unserer Wohnung im zweiten Stock hoch. Ich rätselte kurz, bis ich begriff, um was es sich handelte: zwölf Flaschen Prosecco. Nicht irgendeiner, sondern ein ziemlich teurer, direkt aus Italien importierter. Das, was die Filmkumpels von Max gerne tranken. Max hatte wie schon erwähnt Sonntag Geburtstag, und ich hatte ihn und seine Kumpels überraschen wollen. Daraus wurde jetzt wohl eher nichts.

Keuchend setzte der Bote das Paket vor mir ab. Es klirrte ganz leise.

„Grüß Gott“, sagte ich, weil er mit seinem Schnurrbart und dem viereckigen Gesicht sehr bayerisch aussah und ich nicht recht wusste, was man sonst zu einem Paketboten sagen soll. Glücklicherweise hatte ich richtig geraten.

„Grüß Gott. San Sie de Frau Angélique Krüger?“

Er hatte Schwierigkeiten, meinen Vornamen richtig auszusprechen. Auf Anhieb schafft das eigentlich niemand, es sei denn, er ist Franzose oder sehr gebildet. Der Paketbote schaffte es nicht so richtig. So wie er es mit seinem bayerischen Dialekt aussprach, klang es ein bisschen wie „Oarschleckn“, also Arschlecken. Toll. Ich bin gebürtige Bayerin. Bis heute weiß ich nicht, was sich meine Eltern dabei gedacht haben. „Wir fanden das eben schön und so ungewöhnlich!“, sagten sie immer nur. „Würdest du lieber Steffi heißen?“

Meine Eltern. Ich liebe sie, aber sie haben mich vermutlich schon vor meiner Zeugung genervt. Es ist gut, dass sie immerhin eine Viertelstunde von München entfernt wohnen, meine Mutter nach ihrer Grauer-Star-Operation nicht mehr Auto fahren mag und mein Vater als ehemaliger Trucker aus Prinzip in keine S-Bahn steigt. Wer sein Kind Angélique nennt, obwohl er noch nicht einmal selbst Französisch spricht, muss das arme Ding, also mich, dann nicht auch noch jedes Wochenende quälen. Dass es in den Fünfzigern eine schlüpfrige Romanreihe namens „Angélique“ gegeben hatte, ist keine Entschuldigung. Die in den Sechzigern daraus entstandenen Softerotik-Filme, denen mein Papa wahrscheinlich seine sexuelle Erweckung verdankte (Igitt!), ebenfalls nicht.

Ich konnte es ja nicht einmal selbst aussprechen. Scheinbar reagierte ich schon als Kleinkind mit ablehnender Komplettverweigerung. Deshalb auch die Abkürzung, unter der mich seither alle kennen: „Icki“, das war das Einzige, was eine nuschelnde deutsche Zweijährige aus dem großen Namen machen konnte. Oder wollte.

„Das bin ich“, erwiderte ich dem Paketboten.

„Sie miassadn mir trotzdem Eahnaran Ausweis zoang“, seufzte der Mann. „Des is leider so mit dem Alkohol.“

Dann händigte er mir den Karton aus und ging wieder. Da stand ich nun mit zwölf Flaschen feinstem Prosecco für die Geburtstagssause des Mannes, der mich gerade verlassen hatte.

Für ein paar Minuten war ich kurz davor, zu meiner Lieblingsparkbank im Ostpark zu flüchten. Ich hatte die Turnschuhe schon geschnürt, den Mantel übergeworfen und den Fahrradschlüssel und eine Flasche Erdbeerlimes in meine Handtasche gepackt. Nicht, dass ich ständig Erdbeerlimes tränke, ganz im Gegenteil. Das dickflüssige Teufelszeug war von meiner Geburtstagsparty übrig geblieben – manche meiner Kolleginnen bestehen darauf – und ich war in dem Moment noch zu stolz, um Max’ Prosecco anzutasten. Doch als ich nach der Wohnungstür griff, rutschte mir der Henkel meiner Handtasche von der Schulter. Die Tasche schlug gegen den Türrahmen. Es gab einen dumpf knackenden Aufprall, der mir verriet, dass ich soeben meine teuerste Handtasche mit 0,7 Liter Erdbeerlimes geflutet hatte.

Grund genug, zuhause zu bleiben, beim Versuch des Taschenwaschens in der Badewanne doch noch einen Heulkrampf zu kriegen (Echtleder!) und hinterher mit einer Flasche Geburtstags-Prosecco im Wohnzimmer einzuschlafen während des Wartens auf eine SMS von Max.


Ich träumte davon, wie anders die letzten zehn Jahre hätten verlaufen können, wenn Max und ich damals auf der Abifeier nicht zusammen gekommen wären.

„Hey, du bist doch die Icki?“

„Äh, ja?! Warum fragst du?“

„Na ja, weil…“ – gezielt eingesetztes, unwiderstehliches Sonnyboylächeln – „ich gerne weiß, wie das Mädel heißt, das ich heute Abend mit nach Hause nehme.“

In meinem Traum wurde ich nicht rot vor Glück. Ich grinste auch nicht debil und nickte eilfertig, um mich gegen die Litfaßsäule drücken und küssen zu lassen. Ich ging nicht sofort mit zu ihm nach Hause, trank nicht den ersten Prosecco meines Lebens mit ihm und machte kein Petting. Ich unterzog mich nicht der gründlichsten Haarentfernung, die je ein Teenager gemacht hatte, und ich schlief nicht eine Woche später im eleganten Designerbett seines Jugendzimmers zum ersten Mal mit ihm.

In meinem Traum lächelte ich breit und zähnestarrend zurück, bevor ich weit ausholte und Max mit meiner kräftigen rechten Waschfrauenhand so richtig eine zementierte.