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Jan Christophersen

Schneetage

Roman

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Für M., die weiß, warum

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2009 by mareverlag, Hamburg

Covergestaltung Simone Hoschack, Berlin / Petra Koßmann, mareverlag, Hamburg

Abbildung © Josef Hoflehner

Typografie (Hardcover) Farnschläder & Mahlstedt, Hamburg

Datenkonvertierung E-Book Bookwire

ISBN E-Book: 978-3-86648-375-0

ISBN Hardcover-Ausgabe: 978-3-86648-106-0

www.mare.de

Inhalt

Schnee

Okarina

Schnee

Unterwegs

Schnee

Ebbe und Flut

Schnee

Schnee

Nicht sie hatten sich gemeldet, sondern er rief eines Nachmittags bei ihnen an. Ein Donnerstag war es, der letzte in diesem kalten Jahr. Schnee war vorausgesagt worden, der bislang allerdings auf sich warten ließ. Draußen wie üblich Regen über der gekräuselten Wasserfläche des Tiefs. Die Stimme im Radio dagegen hatte von einem skandinavischen Hochdruckkeil geredet, der sich zügig nach Süden verlagere und mit seiner Kaltluft, sozusagen über unseren Köpfen, auf eine wärmere Tiefdruckrinne stoße, was zu ergiebigen Niederschlägen führe, genauer zu Schnee; obendrein würden die Temperaturen weiter absinken, Nachtfröste seien zu erwarten und Sturm, Stärke soundso, aus Nordost.

»Schöne Aussichten sind das«, hatte Paul gesagt und das Radio ausgeschaltet.

Anschließend war er vom Küchentisch aufgestanden, nach nebenan hinter den Tresen gegangen, wo das Telefon stand, und nachdem er eine Nummer gewählt hatte, die er auswendig wusste, ließ er sich zunächst einmal bestätigen, dass er da richtig verbunden war, mit Schleswig.

In der Küche sollten unterdessen die Vorbereitungen für die Geburtstagsfeier in Angriff genommen werden, die uns für den Abend ins Haus stand, ein Achtzigster. Wir hatten unsere Arbeit lediglich für einen schnellen Kaffee unterbrochen, der so gut wie getrunken war, und die Chefin nutzte die Gelegenheit, allen zum wiederholten Mal einzuschärfen, wie wichtig die heutige Feier für uns, das heißt für den Grenzkrug war. Knapp fünfundvierzig Leute sind angesagt, die, bitte schön, ordentlich bewirtet werden sollen. Delffs hat schließlich Kinder und Enkelkinder, nicht wenige sogar, die allesamt kommen und bestimmt auch mal was zu feiern haben werden. Deswegen muss das klappen diesmal. Keine Patzer, wenn’s denn möglich ist. In unserer Lage können wir uns das nicht erlauben. So sieht es aus, leider.

»Verstanden?«, fragte sie.

Wir nickten. Natürlich. Wir hatten verstanden.

»Denn los«, sagte sie und klatschte in die Hände, und noch bevor wir unsere Becher ganz geleert hatten, war sie bereits aufgestanden, zog ihre Schürze zurecht und warf einen Blick zu den doppelten Schwingtüren, hinter denen Pauls heisere Stimme zu hören war. Sie wollte das eigentlich nicht, konnte aber nicht anders: Genau wie wir bemühte auch sie sich, etwas von dem Gespräch mitzubekommen, das er mit denen in Schleswig führte.

Das war keine Selbstverständlichkeit für sie. Immerhin hatte sie erst wenige Wochen zuvor Paul zur Rede gestellt und vor allen bekannt gegeben, dass es so, wie er sich das vorstellt, nicht weitergeht. »Ich werde wohl die alleinige Verantwortung hier übernehmen müssen«, hatte sie zu Paul gesagt. »Und was du daneben treibst, interessiert mich nicht. Ganz allein dein Kram ist das. Ich kann mich nicht auch noch darum kümmern.« Was sie nicht gesagt hatte, war: »Lange mache ich das nicht mehr mit.« Aber genau das war zu hören gewesen.

Gedämpft drangen Pauls Worte zu uns in die Küche, während die Chefin sich am alten Herd zu schaffen machte, in der Glut rührte, darin herumstocherte, alles jedoch auf eine Art, als vermeide sie es, allzu viele Geräusche zu verursachen, um trotz allem mitzubekommen, was nebenan gesprochen wurde. Erst als der Hörer aufgelegt wurde, gab sie plötzlich und ohne ihre Arbeit zu unterbrechen den weiteren Ablauf des Tages bekannt: »Nane und Tacke Küche, Paul Saal, Jannis Obergeschoss.«

Und dann, auf einmal, stand Paul in der Tür. So wie er da stand, schien er selbst zu merken, wie seltsam das wirken musste. Er lehnte am Türrahmen, sein Mund formte ein Grinsen, das misslang und auf halber Strecke hängen blieb. Der Boden unter seinen Füßen knarrte. Ich war der Einzige, der zu ihm hinsah, und unsere Blicke trafen sich.

Kann schon sein, dass er wusste, wie das Bild, das er in diesem Moment abgab, von einem anderen überlagert wurde, das lange zurücklag, mehr als dreißig Jahre, meine Güte; vielleicht wusste er das: Paul in der Tür …

»Ich will nichts hören«, sagte die Chefin. »Kannst du alles für dich behalten.«

Erneut knarrte der Boden, als Paul seine Stellung veränderte und sich vom Türrahmen abstieß. Er stand nun ganz gerade dort. »Kommst mal eben mit mir mit, Jannis?«

Ohne zu zögern, ging ich zu ihm und folgte ihm aus der Küche.

»Der Saal«, rief die Chefin uns hinterher, »denkst du daran? Und die Getränke?«

»Selbstverständlich«, sagte Paul, allerdings wohl zu leise, als dass die Chefin es in der Küche hätte mitbekommen können.

Wir hörten sie fluchen. Danach ein Scheppern. Wasser rauschte auf den Boden. Ihre Worte, die sie mit zischender Stimme ausstieß, waren für uns unverständlich. Aber wir verstanden Tacke, der sich entschuldigte, mehrmals, ihm musste da ein Missgeschick passiert sein. Schon den ganzen Vormittag über war er unkonzentriert und fahrig gewesen, denn heute war sein drittletzter Tag bei uns, und Silvester 1978 würde, leider, leider, sein letzter Arbeitstag im Grenzkrug sein; nicht nur er bedauerte das.

»Undskyld«, sagte er, und noch einmal: »Undskyld.«

Dann war es still in der Küche.

Paul ging vor mir um den Tresen herum, und wie immer in den letzten Monaten, wenn ich ihn so direkt vor mir sah, hatte ich den Eindruck, er sei geschrumpft. Dabei hielt er sich aufrecht wie eh und je, nichts Eingefallenes, Schiefes war in seiner Statur. Dennoch nahm man ihm die Kraft und Stärke, die er ausstrahlte, nicht ab. Man spürte einfach die Anstrengung, die es ihm abverlangte, wie immer zu wirken; zumindest ich spürte sie.

Er grüßte zum Tisch in der Ecke der Gaststube, wo im selben Moment ein Arm in die Höhe schnellte. Es war Heiner Bonatz, der dort im Halbdunkel saß, gleich neben dem Weihnachtsbaum, und dort wie üblich sein allzu spätes Frühstück zu sich nahm. Als er mich hinter Paul erspähte, drehte er die zum Gruß erhobene Hand ein und kniff die Augen leicht zusammen; eine fragende Geste sollte das wohl darstellen. Ich wollte schon abwehren, später, Herr Bonatz, geht gerade schlecht, als Paul vor mir sagte: »Du kommst dann gleich nach?« Er ging weiter, und ich verfolgte jeden seiner Schritte, bis er die Gaststube verlassen hatte.

Heiner Bonatz war unser treuester Stammgast. Mehrmals im Jahr kam er von irgendwo im Süden Deutschlands hier herauf in den Norden gezogen, um sich gleich für mehrere Wochen bei uns in Vidtoft einzumieten, drüben in der Ferienwohnung im Anbau, mit freier Sicht auf den Deich des Tiefs und die Grenze nach Dänemark. Er war Kunstmaler von Beruf, ein zurückhaltender, schmaler Mann, und in all den Jahren hatte ich ihn noch nie feste Nahrung zu sich nehmen sehen. Auch jetzt hatte er den Korb mit Brötchen, die ich wie immer frühmorgens aus Nørreby besorgt hatte, den Teller mit Aufschnitt und die Schälchen mit Honig und Marmelade weit von sich geschoben. Stattdessen hielt er sich an das Kännchen Tee, das auf einem ovalen Tablett vor ihm stand und in dem er mit einer seiner übergroßen Hände beständig zwei Teebeutel auf- und abtauchen ließ. Den Kandis hatte er offenbar bereits aus dem Schälchen direkt in die Teekanne geschüttet.

»Wie geht es Ihnen?«, fragte ich, weil er nichts sagte, als ich an den Tisch herantrat.

»Geht so, geht so«, sagte er. »Die Arbeit halt.«

Ich nickte.

Mit der freien Hand führte er die Tasse zum Mund, in der eine ölig schimmernde Flüssigkeit schwappte. Schlürfend nahm er einen Schluck, als wollte er sichergehen, sich die Lippen nicht zu verbrennen, obgleich der Tee kalt zu sein schien.

»Vielleicht«, sagte er dann, die Tasse noch vorm Mund, »ich meine, wenn es sich einrichten ließe, könnte mir etwas Anschauungsunterricht heute sicher nicht schaden. Was denken Sie, Jannis? Tun Sie mir den Gefallen und begleiten mich? Ich wollte gleich zum Schöpfwerk gehen. Dabei könnte ich Ihren Blick gebrauchen, Ihre Worte. Das wäre mir eine große Hilfe. Wissen Sie ja. Ginge das? Bevor es draußen dunkel wird?«

Ich hatte befürchtet, dass er mich das fragen würde. Jedes Mal, wenn er nach Vidtoft kam, bat er mich nach wenigen Tagen, ihn auf einen seiner Spaziergänge zu begleiten, um sich von mir beschreiben zu lassen, was ich sah. Er wollte hören, wie ich die Umgebung wahrnahm. Wie sich die Wolken über dem Horizont stapelten beispielsweise. Wie das Schilf im Wind wogte. So was wollte er von mir hören, damit er es malen konnte. Vor Jahren hatte das angefangen, und eigentlich mochte ich es, wenn er meinen Beschreibungen zuhörte, Skizzenblock und Bleistift in der Hand, Kohle und Radiergummi in der Jackentasche.

Aber diesmal war es anders. Alles war anders. Er konnte das nicht wissen. So ganz genau wusste nicht einmal ich das.

»Heute geht es leider nicht«, sagte ich.

»Nicht?« Er stellte die Tasse ab.

»Wegen der Geburtstagsfeier nachher.«

»Ach so.«

»Außerdem regnet es. Und Schnee ist angesagt.«

»Regen«, sagte er, »genau.« Und es schien beinahe so, als bedeutete ihm dieser Regen irgendetwas.

»Vielleicht in den nächsten Tagen?«, fragte ich.

»Ja, vielleicht.«

Er blickte in seine Tasse und sah ratlos aus. Das aber war für ihn nicht weiter ungewöhnlich.

Von Paul war nichts zu sehen. Als ich die Stube betrat, verriet nur ein Geräusch, das wie ein gehemmtes Atemholen klang, dass er tatsächlich im Raum war und auf mich wartete. Er musste in seinem Sessel sitzen, der mit der Rückenlehne zur Tür ausgerichtet stand, und dieser Gedanke alarmierte mich. Die Lehne des Sessels war niedrig, sie reichte ihm normalerweise höchstens bis zu den Schultern, sodass jeder, der die Stube vom Flur aus betrat, sofort seinen Hinterkopf bemerken musste, wenn er dort saß.

Gleich nach dem ersten Schritt, den ich in die Stube hinein machte, zögerte ich. Seitlich am Sessel vorbei erblickte ich ein ausgestrecktes Bein, das flach über den Boden gegen den Stubentisch gestemmt war, ein anderes angewinkelt und verdreht daruntergeschoben. Schleichend näherte ich mich von hinten. Ich wollte Paul nicht unnötig aufregen, indem ich ihm meine Aufregung zeigte. Sein Kopf war gegen die Rückenlehne gepresst. Ein Arm, den er auf die Seitenlehne gestützt hatte, sorgte für den nötigen Ausgleich, um trotz der verqueren Körperhaltung nicht ganz auf den Boden zu rutschen. Eine Hand, zur Faust geballt, drückte auf den Brustkorb. Die Augen offen und klar.

»Da bist du ja«, sagte er. Die Stimme so gepresst, dass ich sie kaum als seine erkannte.

»Ja.«

Die Muskeln in seinem Arm zitterten, als unternähme er den Versuch, sich im Sessel aufzurichten, aber er schaffte es nicht, sich auch nur irgendwie zu rühren, und so schwer es mir fiel, ich half ihm nicht. Ich unternahm nichts, um ihm seine Lage zu erleichtern, und gab mir alle Mühe, ruhig zu wirken. Mir war klar, dass er genau das von mir erwartete.

So war es bisher immer gewesen, wenn er einen seiner Aussetzer bekam, wie er das nannte. Wenn er auf unseren Fahrten mit einem Mal in die Knie ging, ihm alle Sachen aus den Händen rutschten – das Notizbuch, der Stift, das Maßband, alles –, er zusammengekrümmt in der Hocke kauerte und darauf wartete, dass die Schmerzen in seiner Brust abklangen, dann stand ich neben ihm, die Füße im warmen Watt, ganz in der Nähe die Hallig und unser Boot, und machte dort weiter, wo wir gerade unterbrochen worden waren, genau so, wie er es beim ersten Mal von mir verlangt hatte.

»Weitermachen«, hatte er gesagt. »Mach weiter.«

Und das tat ich. Ich zählte Messdaten zusammen, rechnete aus und verkündete Ergebnisse, als wäre alles in bester Ordnung. Ich machte Fotos von der Umgebung der Hallig, filmte, tütete Funde ein und redete gegen die Stille an. Er hockte zu meinen Füßen und gab keinen Laut von sich. Manchmal dauerte es nur eine halbe Minute, bis er wieder auf die Beine kam, manchmal länger; es gab keine Regel, nur die eine, dass wir währenddessen und vor allem danach weitermachen mussten, als wäre nichts geschehen. Und selbstverständlich waren diese Aussetzer etwas, das wir für uns behielten.

In ein, zwei Metern Entfernung blieb ich neben dem Sessel stehen. Pauls Augen waren weiterhin geöffnet. Abgesehen von der verkrampften Haltung, in der er dort mehr hing als lag, hätte man meinen können, er sei müde und kurz davor einzuschlafen. Ich lauschte auf seinen Atem, jeden Moment bereit, zu ihm zu gehen und zu helfen. Doch er schien sich zu entspannen und unterließ alle Bemühungen, seine Position zu verändern.

»Die meinen das nicht so in der Küche«, sagte ich, nur um endlich etwas zu sagen. »Auch die Chefin nicht.«

»Ich weiß«, sagte er.

»Als du telefoniert hast, haben alle zugehört. Alle.«

»Dachte ich mir.«

»Sie haben heute einfach keine Zeit dafür.«

»Ist schon gut«, sagte er. »Ich weiß, dass sie es nicht böse meinen. Außerdem brauchst du sie nicht in Schutz zu nehmen. Das wird schon alles wieder. Keine Sorge.«

Er hustete, schloss für wenige Sekunden die Augen, krampfte sich zusammen, und im Schrecken darüber trat ich näher an ihn heran; wenn ich nun einen Arm vorstreckte, konnte ich ihn berühren. Als er die Augen aufschlug, schien es zu dauern, bis er mich erneut wahrnahm. Sein Blick wanderte hinüber zum Weihnachtsbaum, zu dem kleinen, privaten, der in der Ecke stand, geschmückt noch, paar Silberkugeln, bisschen Lametta, leer gebrannte Kerzenhalter, dann zu mir, und ich glaubte, verfolgen zu können, wie sich seine geweiteten Pupillen darauf einstellten, dass ich mich mit einem Mal direkt neben ihm befand. Das dünne graue Haar an seinen Schläfen war nass.

»Ich habe mit einem gewissen Metzing gesprochen«, sagte er so leise, dass ich mich gerne zu ihm hinuntergebeugt hätte. »Kennst du den?«

»Noch nie von ihm gehört.«

»Ich auch nicht. Liepert war nicht im Amt und auch sonst niemand, der für uns zuständig sein könnte. Nach Weihnachten sind da natürlich alle im Urlaub.«

»Klar«, sagte ich in der Erwartung, dass er weitersprechen würde, aber er schwieg. Schnell fügte ich hinzu: »Wusste er denn Bescheid?«

»Kann man nicht gerade behaupten. Nur so ganz allgemein.«

»Und?«, fragte ich, um keine Pause entstehen zu lassen. »Was hat er gesagt?«

»Er hat gesagt, er meine, dass die Ergebnisse der Untersuchung schon zu uns unterwegs sein müssten.« Sein Atem stockte, und ich sah, wie er die Faust fester auf seinen Brustkorb drückte. »Er wollte das noch mal nachprüfen.« Erneut schloss er die Augen, nur einen Moment lang. Und dann grinste er, was ihm schwerzufallen schien, denn das Grinsen verlor sich sogleich wieder. »Er wusste nichts, gar nichts. Hatte noch nie von unserer Scherbe gehört.«

Ich schwieg.

»Ich verstehe das nicht. Wenn es so ist, wie ich denke, dann müsste er etwas gehört haben. Rungholts Kirchenglocke. Ich meine, wer danach nicht schon alles gesucht hat. Wenn unsere Scherbe tatsächlich ein Teil davon ist, dann hätte sich das doch herumgesprochen im Amt.«

»Wahrscheinlich ja«, sagte ich und legte meine Hand auf seine Schulter.

»Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als auf die Post zu warten«, sagte er. »Dann wissen wir Bescheid.« Er blickte mich an, aber er schien mich nicht wahrzunehmen.

»Ja«, sagte ich, drückte seine Schulter und sagte: »Ich hole jetzt Hilfe.«

Sie bemerkten mich nicht. Nane stand über den Ausguss gebeugt und putzte Gemüse, die Chefin wühlte neben ihr im Besteckkasten, suchte dort etwas, fand es nicht und drehte sich unwillig zur offen stehenden Vorratskellertür. Dumpf war von unten Tacke zu hören, wie er eifrige Laute von sich gab. Er schob wohl Konserven hin und her, ließ einen Kartoffelsack polternd umfallen. Leise Musik kam aus dem Radio, jemand sang von Liebe, die in der Luft hängt.

»Wird das heute noch was?«, rief die Chefin Richtung Kellertür, und das war der Moment, in dem sie mich wahrnahm.

Sie verstand sofort. Mein Anblick genügte, um eine Besorgnis auf ihrem Gesicht hervorzurufen, die mir so vorkam, als wäre sie im Grunde schon immer darauf zu sehen gewesen. Als hätte dieser Ausdruck von jeher zu ihr gehört. Aber warum wusste sie Bescheid? Von mir hatte sie nie etwas erfahren. Nichts hatte ich ihr erzählt, auch nicht, wenn wir von unseren Fahrten zurückgekehrt waren und sie mich mit diesem wundersamen Interesse ausgefragt hatte. Wie war’s? Gut, interessant, hat Spaß gemacht. Na, wie schön. Mehr hatte sie nie von mir zu hören bekommen, und ich war sicher, dass auch Paul ihr nichts von seinen Aussetzern erzählt hatte. Trotzdem wusste sie davon, daran bestand kein Zweifel. Zu schnell kam ihre Reaktion, zu vorbereitet.

»Wo ist er?«, fragte sie.

»In der Stube. In seinem Sessel.«

Ohne ein weiteres Wort eilte sie an mir vorbei.

Nane begriff zunächst nicht, was vor sich ging. Sie sah von ihrer Arbeit auf, und ihr Blick war nichts als eine Frage.

»Paul«, sagte ich, »es geht ihm nicht gut.«

»Nicht gut?« Auch in ihren Worten schwang etwas mit, eine Angst, die abrufbereit in ihr gesteckt haben musste.

»Ja.«

Sie ließ das Messer ins Wasser gleiten und wischte sich die Hände an der Schürze ab.

Kein Wort auf dem Weg durch die Gaststube. Als wir auf den Flur traten, stand die Stubentür offen und ich konnte die Chefin sehen. Sie kniete neben dem Sessel, hielt Pauls Hand und sprach auf ihn ein, eindringlich, fordernd. Nane ging sofort zu ihnen, und ich blieb auf dem Flur stehen und traute mich nicht, ihr ins Zimmer zu folgen. Wie angewurzelt fühlte ich mich. Ich konnte nur zuschauen, wie die Chefin und Nane neben dem Sessel kniend beratschlagten, was zu tun war. Beide waren aufgebracht und benötigten dennoch nur wenige Augenblicke, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Ein Krankenwagen musste her, das war klar, und zwar so schnell wie möglich. Los, Nane, mach.

Als Nane zurück auf den Flur kam und ich in ihr Blickfeld geriet, verengten sich ihre Augen zu Schlitzen. Ich musste beiseitetreten, damit sie an mir vorbei in die Gaststube gehen konnte. Von dort aus würde sie den Notarzt rufen, und ihr schien nicht eine Sekunde lang der Gedanke zu kommen, dass ich das hätte erledigen können. Im Vorbeigehen fixierte sie mich. Es war nicht nötig auszusprechen, was sie dachte.

Ich hätte etwas sagen können, etwas wie: »Was denn? Ich kann doch auch nichts dafür.« Aber ich ließ es bleiben. Sie hätte mir sowieso nicht geglaubt.

In der Stube bemühte die Chefin sich, Paul in seinem Sessel aufzurichten. Sie hatte sich schräg hinter ihn gestellt, ihre Arme unter seine Achseln geschoben und zog an ihm, so gut sie das eben konnte. Paul bäumte sich auf und stöhnte. Ein Laut kam aus ihm, der mir in die Knochen fuhr. Kein Schreien war das, eher ein Röhren. Die Chefin kniete sofort wieder neben ihm. Sie sprach nicht mehr, streichelte und tätschelte nur immer schneller seine Hand, den Arm, die Wange. Eine ganze Weile war es her, dass ich sie und Paul so eng beieinander gesehen hatte.

Es war rührend und scheußlich zugleich. Pauls schlaffer Arm. Die Hilflosigkeit der Chefin. Ihr leeres Streicheln. Dann ihre Tränen.

Das alles war nicht zu ertragen. Und ich dachte: Im Moment kannst du hier nichts ausrichten. Sie brauchen dich nicht. Sie wissen genau, was zu tun ist. Das dachte ich und glaubte mir selber nicht. Trotzdem half es. Es war die einzige Überlegung, die es mir erlaubte, mich davonzumachen. Denn genau das musste ich. Ich musste hier raus.

Also ging ich zur Tür, öffnete sie und verließ das Haus.

Der Regen kam von der Seite, stürmte durch die Alte Eiche, fegte eiskalt über den Vorplatz und klatschte frontal gegen den Anbau. Im schräg einfallenden Licht wirkte es beinahe so, als stemmte sich das Gebäude gegen diesen Ansturm. Ein Fenster war erleuchtet, oben unterm Dach, in der Gaube: Pauls Fenster. Er musste vergessen haben, das Licht auszuschalten, als er am Vormittag noch drüben gewesen war. Vor einigen Stunden hatte ich durchs Stubenfenster beobachtet, wie er aus dem Anbau getreten und über den Vorplatz zurückgegangen war, langsam, schwer, irgendwie bewegt. Er hatte mich ebenfalls bemerkt. »Geschafft«, hatten seine Lippen gesagt, und: »Endlich«. Wir hatten beide genickt. »Toll«, hatte ich gegen die Fensterscheibe gesagt.

Geduckt lief ich zum Anbau, und schon die wenigen Schritte genügten, dass ich durch und durch nass war. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass es mit jeder verstreichenden Sekunde kälter wurde. Als ich die Tür hinter mir zudrückte, trommelte es von außen dagegen, und ich konnte verfolgen, wie das eben noch hinabrinnende Regenwasser in Wellen an der Scheibe gefror, die in die Tür eingelassen war. Es klang, als prasselten Eiskristalle gegen das Glas.

Geradeaus befand sich die Ferienwohnung, und links, hinter einem Filzvorhang, lag die schmale Treppe, die im Bogen nach oben führte. Nach den ersten Stufen erblickte ich den keilförmigen Lichtschein auf dem Absatz. Die Tür war nur angelehnt, Licht brannte dahinter, der Schlüssel steckte von außen – fast so, als wäre Paul in dem Zimmer, als säße er an seinem Schreibtisch und würde mir, wenn ich die verlässlich knarrende drittletzte Stufe erreichte, sein Kommruhigrein entgegenrufen. Meine Kehle trocknete aus, als ich daran dachte, wo Paul in diesem Moment tatsächlich war. Ich schluckte gegen das Gefühl an, schob die Tür auf und betrat sein Zimmer.

Etwas war anders. Ich spürte das sofort, obgleich ich nicht zu sagen gewusst hätte, woran es festzumachen war. In den Schränken und auf den Borden lag anscheinend alles an seinem gewohnten Platz, die Bücher und Aktenordner, die Ferngläser und Maßbänder, das Nivelliergerät, die Zeichenutensilien, und soweit ich es sehen konnte, waren auch die Funde, die wir aus dem Watt geborgen und mit hierher gebracht hatten, nicht verschoben oder verrückt worden. Die beschrifteten, in der Mitte gefalteten Kärtchen, die Paul vor Jahren aufgestellt hatte, um sich umständliche Erklärungen zu ersparen, wenn er Gäste hier hereinführte und ihnen die von uns zusammengetragene Hinterlassenschaft Rungholts zeigte, standen vor den entsprechenden Stücken. Einiges war da mit den Jahren zusammengekommen, jede Menge Tongefäße, glasierte Keramikscherben, Wandteile aus Lehm, Holzwerkzeug, Münzen, Bernstein, poliert wie unpoliert, Ziegelsteine im Klosterformat, zwei pockenbesetzte Schwerter, ein Menschenschädel mit kompliziertem Kieferbruch – es war mehr da, als man auf die Schnelle überblicken konnte, und doch war ich sicher, dass nichts verändert worden war. Meine Augen suchten die Borde ab, die Bücher, Lexika, die grau-grünen Rücken der Zeitschrift Die Heimat, Pauls Leib-und-Magen-Lektüre, die er seit Jahren abonniert hatte, obwohl er sich regelmäßig über die Artikel darin ärgerte; ein paar seiner Texte waren in der Zeitschrift abgedruckt worden. Anschließend wanderte mein Blick über die Kartons hinweg, die gestapelt an der Wand lehnten und die Dinge enthielten, die noch nicht untersucht, kategorisiert und bestimmt waren oder keinen Raum auf den Borden gefunden hatten. Alles war so, wie es sein sollte. An den Balken, die unter der Decke verliefen, pinnten die Karten, die Paul gezeichnet hatte, Fundorte waren darauf eingetragen, Deichverläufe, die schrumpfende Hallig. Die Zwischenräume füllten Fotos, auf denen frei gespülte Brunnen im Wattboden zu sehen waren, Warftreste oder die Abbruchkante der Hallig. Aus dem gerahmten, original großen Foto an der Wand neben dem Schreibtisch starrten mich wie üblich die leeren Augenhöhlen des Auerochsenschädels an, den wir zufällig im Watt entdeckt hatten; der Zeitungsartikel, der von diesem Fund berichtete, befand sich, ebenfalls eingerahmt, daneben. Und unter beidem, unscheinbar zwar, aber wichtig, hing Pauls Rungholtschein, wie er ihn nannte, jenes Schreiben aus Schleswig, in dem ihm die offizielle Erlaubnis erteilt wurde, im Watt vor der Hallig archäologische Untersuchungen zu betreiben. Ich erinnerte mich noch an den Tag, an dem er den Schein per Post erhalten hatte. Wie einen Ritterschlag hatte er es empfunden. Minutenlang schweifte mein Blick umher: dort auf dem Tisch die Schreibmaschine, davor der Stuhl, das kleine Sofa in der Ecke. Ich suchte nach Abweichungen und fand alles unverändert. Nichts schien zu fehlen. Nein, nichts fehlte. Und dennoch war etwas anders. Das Gefühl ließ sich nicht vertreiben. Eine Stimmung haftete an allem, etwas wie Abschied.

Auf einmal glomm das Fenster über dem Schreibtisch blau auf, nur einen Moment lang, verdunkelte sich dann für kurze Zeit, bis es erneut aufleuchtete. Obwohl ein Rauschen das Gebäude überzog, ein stürmisches Sirren, konnte ich das Bremsen eines Wagens ausmachen und wenig später Türenschlagen. Der Notarzt war angekommen. Ich hatte nicht erwartet, dass es so schnell gehen würde, trat an den Schreibtisch heran, um hinauszublicken, aber durch die Eisschicht, die sich auch hier auf der Fensterscheibe gebildet hatte, war lediglich das Blaulicht über einem schemenhaften Wagen zu erkennen. Ich meinte, Stimmen wahrzunehmen, aber wahrscheinlich irrte ich mich. Genauso gut konnten es Böen sein, die auf das Reetdach trafen.

Erst jetzt fielen mir die zwei Papierstapel hinter der Schreibmaschine auf. Steine beschwerten sie, damit nichts durcheinanderkam. Und zwischen den Stapeln lag, klein und rund, die Okarina. Sie sah nicht so aus, als läge sie zufällig da. Ich nahm sie in die Hand, und der graue Ton, aus dem die Flöte gemacht war, strömte seine übliche Kälte aus. Ich wog sie in der Hand und betrachtete den Schreibtisch. Die zwei Papierstapel bestanden aus jeweils vielleicht fünfzehn bis zwanzig Seiten, und die Deckblätter waren bis auf ein Detail identisch. In Schreibmaschinenschrift stand auf beiden in der Mitte: Die Scherbe im Watt. Rungholts Kirchenglocke – einer Legende auf der Spur. Von Paul Tamm. Nur ein Wort, das in Pauls kritzeliger Handschrift links oben auf beiden Blättern notiert war, unterschied sie voneinander. Doppelt unterstrichen waren diese Wörter und so klein geschrieben, dass ich Schwierigkeiten hatte, sie zu entziffern. Ich beugte mich über die Schreibmaschine und kniff die Augen etwas zusammen. Auf dem einen Blatt stand Entweder, auf dem anderen Oder, und weil ich damit nichts anzufangen wusste, las ich mir beides noch einmal laut vor: »Entweder. Oder.«

Ich begriff nicht, was das sollte. Das musste der Text sein, den Paul am Vormittag beendet hatte, sein Aufsatz für die Heimat. Warum aber lagen hier zwei Aufsätze? Und warum dieser Aufbau mit der Okarina? Gerade wollte ich die Texte aufblättern, um zu überprüfen, ob und wie sie sich unterschieden, als ich wieder Stimmen hörte. Diesmal war ich sicher. Jemand rief etwas draußen auf dem Vorplatz. Ganz ruhig. Nach Niebüll, richtig. Wir melden uns. Machen Sie sich keine Sorgen. Jedes Wort konnte ich verstehen. Jetzt also würden sie Paul wegbringen. Und auf einmal kam mir ein Gedanke: Paul hatte die Sachen hier bereitgelegt. Als hätte er gewusst, was passieren würde.

Ich fuhr mir mit der Hand über den Mund und schaute durchs blau erleuchtete Fenster. Ich atmete ein und wieder aus, sah mich um. Pauls Zimmer. All seine Sachen. Draußen wurden Türen zugeschlagen, und der Motor wurde gestartet.

Hastig verließ ich das Zimmer, löschte das Licht und schloss die Tür ab. Ich eilte die Treppe hinunter, öffnete die Tür zum Vorplatz und spähte hinaus. Niemand war mehr da. Der Rettungswagen bereits abgefahren. Regen pladderte mir ins Gesicht, lief mir in die Augen. Es tat weh, und ich trat einen Schritt zurück, schob den Filzvorhang beiseite und setzte mich auf die unterste Treppenstufe.

Ich blickte auf meine Hand, sah den grauen Ton der Okarina und fuhr die feinen Risse in der Oberfläche mit den Fingern nach.

Immer war sie dabei gewesen. Von Anfang an.

Ein Windstoß schlug die Tür auf. Regen fegte auf den Flur, und die ersten Schneeflocken mischten sich darunter.

Okarina

Keiner hat ihn kommen sehen, aber da steht er nun, eingefasst vom Rahmen der Küchentür und wie bestellt für ein Erinnerungsbild. So als erwarte er schon eine kleine Ewigkeit, dass wir ihn bemerken, steht er da und sieht uns an, doch wir müssen uns erst einmal an den Anblick gewöhnen, bevor wir verstehen, was vor sich geht.

Ein Mann in zerschlissener Uniform steht also bei uns in der Küche. Von Ohr zu Ohr verläuft über sein Gesicht ein grieseliger Bart, hinter dem der Mann grinst und schmatzt, denn er ist aufgeregt wie wir. Über einer Schulter hält er einen Stock, daran baumelt ein graues Tuch, in dem er seine Sachen mit sich führt; es können nicht viele sein. Mit überkreuzten Beinen hat er sich gegen den Türrahmen gelehnt und stützt den freien Arm in die Seite. Ein Stiefel klopft mit der Spitze auf den Boden, gleichmäßig und immer wieder, tock, tock.

Das ist Paul Tamm, er muss es sein. Die ganze Zeit über haben wir auf ihn gewartet, ohne zu wissen, wann er zurückkehren würde. Jetzt ist er zurückgekehrt. Und er wird auch dableiben. Die Chefin hat es versprochen.

»Wenn Paul wieder da ist«, hat sie gesagt, »dann lassen wir ihn nicht mehr gehen.«

Ob er denn überhaupt wieder wegwill, haben wir sie gefragt.

Und ihre Antwort war: »Nein, nein. Und selbst wenn, dann halten wir ihn einfach fest. Alle gemeinsam. Versprochen.«

Paul ist da. Paul ist zurück.

Angestrengt bemühen wir uns, diesen Gedanken zu denken, aber keinem von uns fällt es leicht. Schließlich hat das große Ereignis, dem wir in diesem Moment beiwohnen, bis vor ein paar Minuten noch in ungewisser Ferne gelegen. Bis dahin haben Nils und ich nach dem Essen hinausgehen wollen, runter zum Tief. Der Nieselregen, der seit dem frühen Morgen niedergegangen ist, hat die Uferkante in ein sapschendes Feld verwandelt, und unser Vorhaben war es, mit nackten Füßen und hochgekrempelten Hosenbeinen darüber hinwegzutoben, wie wir es manchmal tun. Die Aufgabe hätte darin bestanden, nicht auszurutschen und hinzufallen, weil der, der fällt, verloren hat und dem anderen zur Strafe die Füße säubern muss.

Jetzt aber, niemand hat damit gerechnet, steht plötzlich Paul Tamm in der Küchentür, und all unsere Vorhaben sind von einer auf die andere Sekunde wie weggewischt.

Paul hat Schmutz ins Haus gebracht. Je öfter sein Stiefel auf den Boden trifft, desto mehr feuchte Sandklumpen brechen von der Sohle ab. Das bedeutet, er ist nicht über die Straße und den Vorplatz gekommen. Zuvor muss er unten am Tief gewesen sein. Hat er sich dort vielleicht, ehe er zu uns ins Haus gekommen ist, allein aufgebaut und seinen Blick über die weite, platte Umgebung des Dorfes wandern lassen? Hat er sich, am Ufer stehend, einen Moment der Einkehr gegönnt und sich, wenn auch nur kurz, von der Tatsache überwältigen lassen, die ihm vermutlich erst hier, den Wind im Gesicht, wirklich bewusst geworden ist? Da bin ich wieder. Man glaubt es fast nicht. Sind das seine Gedanken gewesen, dort unten am Tief?

Nein, bestimmt nicht. Angeschlichen hat er sich von dorther, ist durch die Hintertür ins Haus gekommen, um uns Ahnungslose in der Küche mit seiner Rückkehr zu überrumpeln. Das ist ihm geglückt.

Paul ist da, denke ich. Paul ist zurück.

Und wir sehen, wie er sich vom Türrahmen abstößt und gerade hinstellt. Den Stock legt er vorsichtig beiseite und breitet feierlich die Arme aus.

Seinetwegen, meint er, können wir ihn jetzt ruhig mal begrüßen.

Das Glück weiß ich noch, tiefes, warmes Glück, und wie es in mir aufstieg beim Anblick dieses Mannes, von dem man mir gesagt hatte, dass ich ihm vieles verdankte, wenn nicht alles. Und die Neugier weiß ich, die sich nur kurz darauf einstellte, denn dieser Mann, der an einem trüb-nassen Tag auf einmal in der Küche stand, der aus der Gefangenschaft entlassen worden und nach Hause zurückgekehrt war, er, Paul Tamm, würde mir all die Fragen beantworten, auf die sonst mit wortkarger Verlegenheit reagiert wurde. Was mit mir geschehen war? Wo ich eigentlich herkam? Und weshalb man mich in diese Familie gegeben hatte, die nicht meine war?

»Warte nur, bis Paul da ist«, hatte es stets geheißen. »Er wird dir alles erklären, Jannis. Auf jede deiner Fragen gibt es eine Antwort. Bestimmt.«

Woran ich mich beim besten Willen nicht erinnere, ist Jubel, überschäumende Freude, die sich, wer weiß, in einem überraschten Kreischen Luft macht, einem fassungslosen Ausruf oder Schluckauf meinetwegen. Zurückhaltend und voller Zweifel lief die Begrüßung ab, und nur Nils erlaubte sich ungewollt einen Ausbruch, als er vom Tisch aufsprang und in der Bewegung eine Tasse umfegte. Sie fiel zu Boden, schlug auf, zerbrach jedoch nicht.

»Guck mal, Mama«, sagte er, nachdem er sich gefangen hatte. Und er ging auf Paul zu, der sich hingehockt hatte, um seinem Sohn besser in die Augen schauen zu können. Sie sahen einander an, einen langen Moment. Dann drehte Nils sich zum Tisch um und sagte, so als könne er selbst nicht glauben, was er erkannt zu haben meinte: »Er hat einen Bart, aber er ist es trotzdem. Sie haben Papa entlassen.« Dabei schlossen sich Pauls Arme von hinten um seinen Bauch, und gemeinsam blickten sie zur Chefin, die noch immer am Tisch saß.

»Du bist wieder da?«, fragte sie endlich und erhob sich nun auch von ihrem Platz am Kopfende des Tisches.

»Jawohl.« Paul richtete sich ebenfalls auf, jetzt befanden sich ihre Gesichter auf gleicher Höhe.

»Sie haben dich entlassen?«

»So ist es.« Er grinste breit und schmatzte.

»Heute schon?«

»Am Morgen, ja. Danach hat man mich hier rausgefahren, freundlicherweise.«

»Wir haben dich noch gar nicht erwartet«, sagte die Chefin. Und mehr fiel ihr offenbar nicht ein.

Sie war enttäuscht. In ihrer Vorstellung hatte das alles ganz anders ausgesehen, wenn ihr Paul nach Hause kam, und wir wussten auch, wie: Die Familie steht einträchtig versammelt draußen vor dem Eingang und schaut dem Pritschenwagen entgegen, der sich auf der Betonstraße in Zeitlupe heranarbeitet, um nach unerträglich langen Minuten hier in Vidtoft, in diesem kleinen Dorf an der deutsch-dänischen Grenze, genauer gesagt im Grenzkrug seine letzte Fracht abzuliefern, nämlich den entlassenen Kriegsgefangenen Paul Tamm. In den Journalen, die die Chefin monatlich verschlang und aus denen sie uns gelegentlich vorlas, gab es jede Menge derartiger Geschichten. Glücklich lächelnde Soldaten kehrten darin in den Schoß ihrer Familie zurück, es wurde gelacht und sich ausgiebig umarmt, während auf dem Stubentisch bereits die erste Tasse dampfender Kaffee, echter Kaffee, im guten Porzellan auf den Heimkehrer wartete. Der echte Kaffee war deshalb wichtig, weil er dem Soldaten den Schritt zurück nach vielen schweren Jahren erleichterte, und wir hatten herausgefunden, dass in einer der Dosen im Küchenschrank ebensolcher Kaffee bereitstand.

Aber das war nicht der einzige Grund, warum die Chefin mit ihrer Begrüßung zögerte. Da war noch etwas.

Sie erkannte Paul nicht wieder. Diese schlotternde Uniform, in der sich sein kantiger Körper verlor. Diese Falten, die sich über seine Stirn zogen. Die tief umränderten Augen. Das zentimeterkurz geschorene Haar. Alt war dieser Paul geworden, und es fiel ihr offensichtlich schwer, ihn mit dem in Übereinstimmung zu bringen, den sie in ihrer Erinnerung vor sich gehabt und auf den sie gewartet hatte.

Es lag mehr zwischen ihnen als nur die vergangene Zeit.

Von ihrem Gesicht konnte denn auch alles Mögliche abgelesen werden, aber nicht unbedingt das, was die Worte ausdrückten, die sie sich extra für diesen Anlass zurechtgelegt hatte: »Ich meine natürlich, wir freuen uns. Willkommen zurück, Paul.« Sie lächelte. Schüchtern wirkte das, beinahe verschämt.

Der Kuss danach misslang auf ganzer Linie. Schon die Annäherung ihrer Gesichter verwackelte, weil sie sich nicht einigen konnten, wer in welche Richtung wie den Kopf neigen sollte. Die Chefin ließ ihren leicht nach links einknicken, hielt die Augen geschlossen. Währenddessen hatte Paul seinen, ebenfalls bei geschlossenen Lidern, nach rechts gelegt, sodass sie unweigerlich mit den Nasen aufeinandergeprallt wären, wenn nicht Paul in weiser Voraussicht noch einmal die Augen geöffnet und seinen Kopf in die zur Chefin passende Position gebracht hätte. Das also war fürs Erste geschafft. Ihre Lippen trafen sich, wie es sich für einen Kuss gehört. Aber die Chefin zuckte zurück und presste eine Hand auf ihren Mund. Es war der Bart, den sie nicht gewöhnt war. Paul strich ihr über die Wange.

»Anscheinend müssen wir das alles erst wieder üben«, sagte er.

Dann, endlich, bin ich an der Reihe. Darauf habe ich nur gewartet, und ich stehe von der Küchenbank auf, als mich Pauls Blick trifft.

»Wie ich sehe, ist mein Überraschungspaket heil eingetroffen«, sagt er und kommt auf mich zu. »Jannis Hamkens – lange nicht gesehen.«

Wie gebannt stehe ich neben dem Tisch, und auf einmal kann ich ihn riechen oder vielmehr das, was aus seiner Kleidung herausströmt, ein Geruch ist das, unfassbar. Ich bemühe mich, nicht weiter darauf zu achten, was nicht einfach ist, und erschrocken merke ich, dass ich zu weinen anfangen werde, wenn ich irgendetwas anderes tue, als stocksteif dazustehen. Paul ist da, kann ich nur denken. Paul ist zurück.

»Schön, dich hier zu sehen«, sagt er und reicht mir die Hand.

»Guten Tag, Herr Tamm.«

»Was soll das denn bitte schön werden? Bin ich etwa nicht mehr Paul für dich? Dein Freund Paul?«

»Doch.«

»Dann sag es mal. Ich würde es gerne hören.«

»Hallo Paul«, sage ich, und er ist glücklich.

Da erst begreife ich, dass dieses Gefühl, welches mich kerzengerade vor ihm stehen lässt, nichts anderes als Freude sein kann. Weil es eben stimmt, was sie über ihn gesagt haben. Er weiß alles über mich. Er wird für mich da sein. Ohne dass er ein weiteres Wort zu sagen braucht, bin ich mir sicher. Gleichzeitig aber bin ich ratlos und auch voller Erwartung. Und das alles ist so schön, dass ich mir wünsche, es möge für immer genau so bleiben.

Wir sehen uns an, lange, lange. Endlose Sekunden, in denen wir nur dastehen und uns anschauen. Bis Paul erneut zu sprechen beginnt. Da wären wir alle beisammen. Sogar mit Zuwachs, sozusagen. Wer hätte das gedacht. Kaum zu glauben, nicht. Und auf einmal muss ich lachen. Und ich kann gar nicht mehr aufhören, weil auch Paul zu lachen anfängt. Und die Chefin lacht. Und Nils lacht. Alle gemeinsam stehen wir da in der Küche und lachen.

Nach und nach erst wird klar, was gerade geschieht: Etwas geht zu Ende, und etwas anderes beginnt.

Es begann damit, dass wir uns umschauten. Paul war lange nicht hier gewesen, deshalb waren die Dinge, die uns umgaben, alle neu und besonders für ihn. Er konnte sich über alles freuen. Über den Tisch an der Seite zum Beispiel, auf dem unsere leer gegessenen Teller vom Mittag standen. Über den Herd mit dem lauwarmen Suppentopf darauf. Über die offenen Schränke mit dem Geschirr. Oder auch über die Kupferkessel an der Wand, die nie in Gebrauch gewesen waren.

»Schön hier«, sagte er mehrmals. »Sehr schön, das alles.«

Danach nahm er Nils und mich an seine Seite. Zur Chefin sagte er, er sollte wohl schleunigst seine Klamotten loswerden und dann gleich mal bei den Alten vorbeischauen oder was sie dazu meint, und die Chefin antwortete: »Ohne mich.«

»Ganz wie du willst.«

Also brachen wir zu dritt auf. Durch die Schwingtüren gelangten wir hinter den Tresen, auf dem das aufgeschlagene Fremdenbuch lag, in das sich lange niemand eingetragen hatte; daneben das Sammelschiffchen der Seenotretter. Wir gingen weiter zum Saal, der vollgestellt war mit Tischen und Stühlen, aber auch Koffer lagen da herum, beschriftete Taschen und in Leinen eingeschlagene Päckchen, außerdem das Geweih eines Zwölfenders, ein leerer Vogelbauer, mehrere aufgerollte Teppiche und eben all die Sachen, die die Flüchtlinge mitgeschleppt hatten, die es aus dem Osten hierher nach Vidtoft verschlagen hatte und die, fürs Erste zumindest, bei uns untergekommen waren, in den Zimmern im Obergeschoss.

Paul lauschte nach oben, ja, da war was zu hören. »Aha«, sagte er, und weiter ging’s.

Durch die Gaststube kamen wir auf den Flur und von dort durch die Tür mit der Aufschrift Privat in unsere Stube. Sofa, Sessel, Tisch, Kommode gab es hier, nichts hatte sich verändert, alles war noch an seinem Platz, wie Paul zufrieden feststellte, auch die Fotos an der Wand, die er betrachtete, bevor er das Schlafzimmer der Chefin betrat, das nun auch wieder zu seinem wurde. Während Nils und ich in der Tür warteten, riss er sich neben dem Bett die Kleidung vom Leib, schmiss die Uniform in die Ecke, Hemd, Unterhose, Socken hinterher, und stand bald nackt und klapprig vor uns.

»Ich weiß, ich weiß. Sieht grausig aus.«

»Gar nicht«, sagte Nils.

»Finde ich auch nicht«, sagte ich und starrte wie gebannt auf die roten Stellen, die seinen ganzen Körper bedeckten, Insektenbisse waren das, Quaddeln, Ausschlag, Wunden.

Er legte den Kopf schief, sah uns tief in die Augen, bis wir zu lachen anfingen.

»Und stinken tust du auch«, sagte Nils.

»Was macht man denn dagegen?«, fragte er.

»Sich waschen«, sagte ich.

»Ach so.« Er machte den Eindruck, als hörte er das zum ersten Mal. »Sollte ich ausprobieren.«

Über dem Becken an der Wand drehte er den Wasserhahn auf und fuhr sich mit tropfnassem Lappen über Gesicht, Hals und Oberkörper, schrubbte unter den Achseln, rubbelte sich zügig weiter nach unten vor und erzählte dabei etwas von Entlausung und einem Zeug, das dafür verwendet worden war, drei Buchstaben, stinkend und giftig. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, schnappte er sich aus dem geöffneten Schrank wahllos einige Sachen, schlüpfte hinein, alles zu groß, zu weit, und verkündete: »Fast schon wieder ein Mensch, was?«

»Ja, fast«, sagte Nils.

»Dann wollen wir uns mal weiter die Welt begucken«, sagte er, und wir folgten ihm durch die Stube auf den Flur, traten hinter ihm aus der Eingangstür auf die Terrasse und blieben nach wenigen Schritten gemeinsam in der Mitte des Vorplatzes stehen.

Wind zog um die Häuserecke, kam kalt vom Tief herauf, aber wenigstens der Nieselregen hatte inzwischen aufgehört. Nur vom Reetdach des Hauses und von der Alten Eiche, die eigentlich eine Buche war, fielen weiterhin einzelne Tropfen zur Erde. Der Alte des Alten oder noch einer davor hatte den Baum an dieser Stelle gepflanzt, zur Erinnerung an irgendwas: einen gewonnenen Krieg oder einen verlorenen, den Durchzug eines Königs – so genau wusste das niemand mehr.

Wie Paul ließen wir unsere Blicke schweifen, und weil wir das auf diese Art noch nie gemacht hatten und weil es das Erste war, was wir mit ihm gemeinsam taten, sahen wir mehr, als wir erwartet hatten. Zuallererst waren da die Häuser des Dorfes, die sich wie auf eine Wäscheleine gereiht am flachen Deich des Tiefs entlangzogen und sich in dessen Schutz zu ducken schienen. Selbstverständlich kannten wir sie alle, wir hätten von jedem sagen können, wer darin wohnte, aber es war lange her, dass sie uns irgendwie aufgefallen waren. Hinterm Vorplatz begann die Dorfstraße, die bis zum Schöpfwerk verlief, durch das alle Entwässerungsgräben des ebenen Marschlandes mit dem Tief verbunden waren und das den Wasserdurchlass regelte. Dahinter dann die Betonstraße, die sich durch die Gegend zog und die wir wie Paul mit unseren Augen abliefen, so weit wir das konnten, vorbei an verstreuten Höfen, einsamen Katen und Schafherden, die geduldig den Deich bearbeiteten und so zur Festigung der Grasnarbe beitrugen. Hier und da einige Sträucher und Büsche als Windschutz. Selten versperrte ein Baum die Sicht. Alles sahen wir mit verändertem Blick, und es gefiel uns, was wir da sahen. Sogar den Himmel, der sich nach dem Nieselregen in einem hellen Grau zeigte und die Landschaft platt zu drücken schien, mochten wir, nicht weil er an diesem Tag besonders schön oder beeindruckend war, sondern weil er zum Bild dazugehörte und wir ihn erkannten, wie man womöglich einen alten Freund erkennt, den man nach Jahren wiedertrifft. Man konnte darüber ins Schwärmen geraten.

Was wir nicht wissen konnten, war, dass Paul, während er mit uns auf dem Vorplatz stand und sich umsah, einen Entschluss fasste. Wie wir schaute er als Letztes zum Holzhäuschen in der Straßenmitte neben dem Krug, vor dem der Grenzer Harro Knutzen stand und seinen Dienst tat – oder aber es war Lorenz Tidick, der zweite Grenzer Vidtofts, das ist nicht wichtig. Im Holzhäuschen saßen zwei Soldaten in kackbrauner Uniform, die Kaugummi kauten und Karten droschen. Sie kümmerten sich nicht darum, als Harro Knutzen – oder Lorenz Tidick – zu uns herübergrüßte und auf Pauls erwiderndes Nicken ratlos die Schultern hob und senkte. So verständigten sich die beiden, die vor Jahren einmal etwas wie Kollegen gewesen waren, mehr war dafür nicht nötig. Es war ja offensichtlich: Der Schlagbaum war heruntergelassen, sodass niemand die Grenze in Vidtoft passieren konnte, und am Fahnenmast über dem Häuschen flatterte eine neue Flagge im Wind, die keine Fragen offenließ, blau und rot und weiß war sie. Die Engländer waren da und hatten hier nun das Sagen. Ihr Jeep parkte auf unserem Vorplatz. So war das eben.

Paul jedoch sah mehr als das. Jahre später würde er es mir erzählen und gestehen, dass er bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst hatte, was er tun sollte.

In seinen Gedanken, würde er erzählen, fährt noch einmal der Treck mausgrauer Armeefahrzeuge über die Dorfstraße, es ist früher Morgen, und im Osten will gerade die Sonne aufgehen. Bevor der Treck die Grenze überschreitet und damit Dänemark zu besetzen beginnt, steigt ein einzelner Soldat von einem der Fahrzeuge ab und befestigt am Holzhäuschen und am Eingang des Grenzkrugs ein Plakat, demzufolge mit dem Einmarsch und der Besetzung lediglich die Nordflanke des Reiches gegen einen unmittelbar bevorstehenden englischen Angriff gesichert werde, mehr nicht. Gerade will der Soldat sich umwenden und zurück aufs Fahrzeug steigen, als sich eine junge Frau noch im Nachthemd am Fenster zeigt, es öffnet und ihm einen Zettel herausreicht, auf den sie zuvor in aller Eile ihre Anschrift gekritzelt hat: Kirsten Steensen, Grenzkrug, Vidtoft. Damit der Soldat ihr schreiben kann von dort, wo er jetzt hinfährt. Heimatkontakt. Und der Soldat verspricht es.

Damit hatte überhaupt erst alles angefangen, denn der Soldat, das war Paul gewesen, und dies das erste Mal, dass er und die Chefin sich begegneten.

Gleich darauf zog etwas Zweites an Pauls innerem Auge vorbei, und auch davon würde ich erst später erfahren. Über dem Holzhäuschen – dem in seinem Kopf – weht die alte Flagge, die die Engländer auf der Dorfstraße verbrannt haben, als sie nach Vidtoft kamen. Ein knappes Jahr ist vergangen, seit Paul zum ersten Mal durch Vidtoft gekommen ist, Briefe, Postkarten sind in der Zwischenzeit geschrieben worden, manches ist passiert, es ist zum Beispiel geheiratet worden, und diesmal steht Paul selbst in Wehrmachtsuniform neben dem Schlagbaum und bewacht eine Grenze, die im Grunde keine mehr ist; sie stellt genau besehen nicht viel mehr dar als einen Kontrollpunkt zum besetzten Dänemark. Hierher hat er sich auf eigenen Wunsch versetzen lassen, um seiner Frau und dem Kind nahe zu sein, das vor wenigen Wochen geboren worden ist. Nils ist dieses Kind. Allerdings wird Paul nicht lange bleiben dürfen. Bald schon, allzu bald wird er verlegt. Er wird woanders gebraucht.

Niemals wieder wollte Paul diesen Abschied erleben müssen. Das beschloss er, als er mit uns auf dem Vorplatz stand.

Davon konnten wir nichts wissen, es musste uns erst noch erzählt werden. Dennoch merkten wir, dass etwas mit ihm geschehen war. Plötzlich ergriff er unsere Hände und war voller Tatendrang. Er wollte, dass wir ihm alles zeigten, was sich während seiner Abwesenheit getan hatte. Er wollte, dass wir ihm genau berichteten, was wir erlebt hatten. Und zwar alles.

»Worauf wartet ihr noch? Erzählt, erzählt.«

Überraschend piekste er uns dazu in die Seiten, sodass wir zusammenzuckten und nicht wussten, was er vorhatte. Dann liefen wir los, und er rannte uns nach und klatschte dabei in die Hände, als scheuchte er eine Horde wild gewordener Tiere vor sich her.

Das war es gewesen, worauf wir all die Zeit gewartet hatten, genau das.

»Ach nee, der Paul ist zurück …«

Es war der Olle Steensen, der das sagte. In seine beige Flatterhose gekleidet, die von Hosenträgern oberhalb des Bauchnabels fixiert wurde, in verwaschenem Feinripp, mit nackten Armen und der Pfeife im Mund: So stand er dort vor der Tür des Anbaus, wer weiß, wie lange schon, und beobachtete uns, wie wir auf die Bootsbank im Garten zugingen.