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Cronology

Part 1: 1998-2011

von

Marc Gore

Cronology

Part 1: 1998-2011

Logo Verlag Torsten Low

Marc Gore

© 2019 by Edition Nachtfalter,
Verlag Torsten Low,
Rössle-Ring 22
86405 Meitingen/Erlingen

Besuchen Sie uns im Internet:
www.verlag-torsten-low.de

Alle Rechte vorbehalten.

Foto Cover:
Sonja Bender

Cover-Gestaltung:
Chris Schlicht

Herausgeber:
M. Sonntag

Lektorat und Korrektorat:
M. Sonntag, T. Low

eBook-Produktion:
Cumedio Publishing Services – www.cumedio.de

ISBN (Buch): 978-3-940036-54-4
ISBN (mobi): 978-3-96629-101-9
ISBN (ePub): 978-3-96629-100-2

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Inhalt

Vorwort

Wer kann sich noch an die guten alten Bahnhofskinos erinnern?

Ja; simples Händeheben ist vollkommen ausreichend … keine falsche Bescheidenheit … nur zu …

Fein. Ich auch nicht. Oder zumindest nur rudimentär.

Nein, das hat rein gar nichts mit meinem Alter zu tun. Oder – schon. Dafür war ich nämlich schlichtweg zu jung. Indirekt erlebte ich den Niedergang des sogenannten »Aktualitätenkinos«. Ist man ein fünf- oder sechsjähriger Dreikäsehoch, dann hat man von derlei Ereignissen selbstverständlich keinen blassen Schimmer. Man staunt einfach, fürchtet sich. Ich fürchtete mich stets staunend, damals am Frankfurter Bahnhof, wenn wir auf die Ankunft des Zuges warteten, der die Verwandtschaft von »drüben« brachte. Für alle nach 1990 Geborenen: »drüben« war ein simplifizierter Ausdruck für die einstige Deutsche Demokratische Republik; vergleichbar mit »Rigips« als Universalsynonym für Trockenbauwände aller Arten. Trockenbau- wände sind diese Gipskartonplatten, die unter anderem James Bond in Casino Royale … Gut jetzt. Rückkehr in die frühen 1980er, zu den Aushängen, die ein kleiner Junge eigentlich nicht sehen durfte, aber weil er sich konstant den wachsamen Augen seiner Eltern entzog, zu sehen bekam …

Lang isses es her. Meine visuellen Erinnerungen sind maximal verwaschen, die Emotionen, die damals ausgelöst wurden, nicht. Es gibt Gründe, warum die Akis (das Kürzel von »Aktualitätenkino«) einen miesen Ruf intus hatten. Mit den leider auch immer ausdünnenden Programmkinos der Gegenwart teilten sie nicht unbedingt viel Gemeinsames. Außer man akzeptiert Schmuddelfilmchen (Liebesgrüße aus der Lederhose), logikfreie Actionkracher mit Mario Adorf und hammerharte, gorige Horrorkracher aus vorwiegend italienischen Filmschmieden als Konzept.

Sekündchen: gorig? Gore? Now we‘re talking.

Ich wage zu behaupten, dass Marc Gore, wie ich, nicht aktiv zugegen war, als das Bremer Aki in der Sögestraße Romeros Dawn of the Dead oder Joe D‘Amatos Absurd präsentierte; immerhin ist er gerade mal zwei Jährchen älter als meine Wenigkeit. Falls er mit jenem (oder einem anderen) Aki nicht in Berührung gekommen ist, dann garantiert mit den Postern und Plakaten, den Aufstellern und Aushängen in irgendeiner gut sortierten Videothek (noch eine aussterbende Gattung), mitsamt den Verlockungen, die dich hinter jener schlichten Tür erwarteten, auf die der gelangweilte Typ hinter dem Tresen irgendwann mal ein DIN A4-Blatt mit den Edding-Worten ZUTRITT NUR FÜR ERWACHSENE angeklebt hat. Womöglich gab es auch den Kumpel eines Freundes vom Cousin der Freundin des Bruders, der tatsächlich im Besitz einer Kopie von der Kopie von der überspielten Fassung der Schweizer Version von Sam Raimis Tanz der Teufel war, die es auf wundersame Weise in den analogen Video 2000- oder Betamax-Videokassettenrekorder geschafft hatte und man trotz allerstrengster Ermahnungen bezeugten durfte, wie ein sehr pausbäckiger Bruce Campbell dämonischen Kräften zeigt, wo der Fisch die Locken hat oder George Eastman alias Luigi Montefiori Heißhunger auf sich selbst bekommt. Nachhaltiger Eindruck und so.

Nun kann man diese, zumeist bis heute indizierten, Machwerke als billig titulieren, auch als Schund, niveaulos, widerwärtig. Doch besitzt jede Münze zwei Seiten. Mögen diese Werke mit Misanthropie, Stümperhaftigkeit und Reißerischem jongliert haben, so war es jene darin verborgene, gewiss auch von einer ordentlichen Portion Altruismus geprägte Subversion gewesen, die bis heute nachhaltig Eindruck schindet. Anders formuliert: trotz ihrer klaren Selbstbedienung bei den großen Hollywoodvorbildern und dem schamlosen Übertreiben – es waren mutige Filme.

Auftritt Marc Gore.

Freilich heißt der Gute nicht so (und er hält seinen tatsächlichen (Nach-) Namen unter Verschluss), aber insbesondere der Nachname seines Pseudonyms weist auf, womit bei ihm zu rechnen ist – und weshalb ich Bahnhofskinos und diese im Grunde überall gleichen Videothekennebenzimmer mit ihm assoziiere. Der Letzte wird dies nach Beendigung dieses Bandes nachvollziehen, eventuell sogar früher. Marc will keine bis dahin ungekannte Konsequenz der menschlichen Wahrnehmung á la Proust aufdröseln (oder seitenlang ein Gebäckteilchen über den Klee loben), ebenso wenig steht ihm der Sinn nach einem zweiten Krieg und Frieden. Vorwiegend geht es ihm darum, jene Geschichten zu erzählen, die er gerne mal als krisselige VHS-Raubkopie genossen und ihn aus den Latschen gekippt hätte.

Geradlinig? Ja.

Überschaubar. Sicher.

Unterhaltsam?

Gewiss.

Brutal?

As fuck.

Billig?

MITNICHTEN.

»Trash«, dieser neudeutsche Sammelbegriff, für so quasi alles, was den Moder der Minderwertigkeit verteilt, sollte man mit Glacéhandschuhen anfassen – auch in Marcs Fall. Zwischen Trash und Trash verläuft ein tückisch schmaler Grat. Sicher, Marcs oftmals und bewusst gewählte Holzhammermethoden, dieser Aderlass von Brachialität und Ekel assoziiert unbewusst diese noch plumpere Schaulustigkeiten, die exemplarisch Prominentenzickenkriege im australischen Dschungel oder kameraüberwachte Peinlichkeiten abgehalfterter Schlagerbarden in einer Pseudo-Wohngemeinschaft erwirken und den Begriff »Fremdschämen« in die Charts hievten. Was vielen indes bei Marcs Geschichten entgeht, sind zwei Dinge, die weder insolvente Ex-Bundesligaprofis noch ungekrönte Doku-Soup-Königinnen je ihr Eigen nannten oder nennen können: Mut und Integrität. Anbiedern gibt‘s bei Marc nicht. Darum der schmale Grat. Marcs Trash ist eigentlich keiner. Es ist eine sehnsuchts- wie respektvolle Verneigung vor einer Ära, in der im Grunde jeder, der mal als Komparse durch eine Filmkulisse latschte, abendfüllende Spielfilme inszenieren durfte; vor einer Zeit, in der man sich nicht genierte, den schwülstigen Softporno durch ein paar schmackige Hardcoresexszenen aufzupeppeln, vor einem Abschnitt, in der mitunter hemmungslos auf die Kacke gedroschen wurde – als die Filmindustrie (okay, vorwiegend die europäische) unerschrocken war und gewissermaßen gleichfalls sich selbst treu blieb.

Ganz wie Marc. Er steht dazu und zu sich und auch dafür ringt er mir Bewunderung ab. Diese sehr spezielle Liebe zu einem verschmäht-verschütteten Subgenre kann man in jeder seiner Geschichten, Erzählungen und Hommagen kosten, die es nicht grundlos in so manch preisgekrönte Anthologie schafften, da Marc schreiben respektive erzählen kann. Es heißt, dass der Mensch erst wirklich tot ist, wenn man nicht mehr an ihn denkt. Ich stelle mir einen von Marcs Lesern vor; eine oder zwei Generationen jünger. Der von Marcs Offensivität nicht bloß begeistert, sondern beeinflusst wird, dessen Neugier erwacht ist: rauszufinden, wer denn dieser Fulci ist, was es mit diesen Bikern und Kannibalen auf sich hat, weshalb Peter Jacksons Braindead womöglich noch kultischer gehuldigt wird als diese eine Fantasy-Trilogie.

Ein Leser, der im Anschluss seinen Laptop aufklappt, anfängt, seine eigene Story zu verfassen.

Der dankbar den Staffelstab angenommen hat und sich furchtlos dem nächsten Etappenabschnitt entgegenstellt.

Das fehlende Kettenglied zwischen Bahnhofskino und Netflix.

Dafür kann man dir nicht genug danken, Marc.

 

Torsten Scheib,

Ludwigshafen, den 12.05.2018

 

P.S.: Heute Abend ist großes Porno-Bingo-Halbfinale. Austragungsort: Werner‘s Videoworld, die FSK-18-Sektion. Zeitgenossen mit langen Mänteln ist der Eintritt verwehrt.

Kakerlakenfraß

Ach ja, diese Geschichte war eher so etwas wie ein Schulaufsatz, der während meiner Zeit an einer Abendrealschule entstand. Im Laufe 1998. War mehr gängigem Gothic Horror entlehnt, wobei weder die Zeit, noch das Land oder die Stadt, in dem das alles passiert, von Bedeutung ist. Das kann sich jeder Leser selbst zudenken. Wichtig war der Friedhof als klassische Genre-Location. Vielleicht hatte ich zu der Zeit, als ich das schrieb, auch gerade eine Überdosis der alten britischen Hammer-Filme intus. Here we go:

 

Bleich schien der volle Mond am Himmel und tauchte den alten Friedhof in ein gespenstisches Licht. Das Zirpen vieler hundert Grillen war zu hören, in der Ferne schrie ein Käuzchen. Die Grabsteine ergänzten perfekt die schaurig-schöne Szene.

Keuchend schritt der alte Friedhofswärter über den Platz, die Schaufel in der rechten Hand. Zielstrebig steuerte er das neue Grab an, in welchem an diesem Morgen die junge Frau beigesetzt worden war. An dem spartanisch geschmückten Grab angekommen ließ er die Schaufel sinken, fischte die Schnapsflasche aus seiner Jackentasche und nahm einen tiefen Schluck. Nach einem kurzen Rülpsen ließ er das Getränk wieder verschwinden und ergriff die Schaufel fester. Er stieß das Werkzeug in die weiche Erde und begann, zu graben. Immer tiefer wurde das Loch, der Mann ächzte und stöhnte vor Anstrengung, aber er gönnte sich keine Ruhepause. Nach schier endlos langer Zeit stieß er auf etwas Hartes. Endlich! Er befand sich auf dem Sargdeckel. Gierig schaufelte der Wärter die letzten störenden Sandreste von der Kiste, dann endlich hatte er sein Ziel erreicht. Die Vorhängeschlösser am Deckel waren mit Leichtigkeit zu knacken! Ein paar Schläge mit der Schaufel genügten, und sie waren gebrochen. Jetzt konnte der Alte endlich den Deckel heben und ihn nach oben stemmen, so dass er polternd neben dem Grabstein landete. Breitbeinig, auf die Ränder des Eichensarges gestützt, blickte er minutenlang auf die Mädchenleiche hernieder.

Wie friedlich sie dalag! Um ihren schlanken Körper war ein schneeweißes Leichenhemd geschlungen. Die Hände lagen gefaltet über dem Unterleib, zwischen den Fingern lag eine Rose. Ihr kreidebleiches Gesicht blickte wohlig entspannt unter der langen schwarzen Haartracht hervor. Ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen.

Nein, man sah ihr überhaupt nicht an, unter welchen Umständen sie den Tod gefunden hatte. Schon seit Jahren hatte sie sich mit Okkultismus beschäftigt, sich so weit vorgewagt in die Welt der schwarzen Magie und der Dämonen, bis sie sich förmlich verirrte und nicht mehr den Weg zurück in die »normale« Welt fand. Immer wieder hatte sie Seancen durchgeführt, hatte sie Kontakt zu den finsteren Mächten aufgenommen – und ihre Mühe wurde auch belohnt! Es gab einen Dämon, der sie an seiner Seite haben wollte. In einer kalten Februarnacht war sie seinem Ruf gefolgt. Mit ausgebreiteten Armen sprang sie vom Dach des fünfzehnstöckigen Hochhauses. Während sie heruntersauste, hatte sie euphorisch »Ich komme!« geschrien. Bei dem harten Aufprall war ihr junger Körper regelrecht zerfetzt worden. Doch die Bestatter hatten keine Mühen gescheut, ihren Leib wieder zusammen zu nähen. Nun lag sie ganz friedlich zu den Füßen des Friedhofswärters, die Leichenkleidung bedeckte die unzähligen Narben an ihrem Körper. Der alte Mann nahm die Schaufel und setzte die Klinge an den Hals der toten Frau. Nun tat er das, was er schon mit vielen Frauenleichen zuvor gemacht hatte: Mit dem rechten Fuß rammte er die Schaufel durch ihre Kehle und trennte mit einem knirschenden Geräusch den Kopf vom Rumpf. An den Haaren hielt er den Schädel hoch und stieß ein höhnisches Gelächter aus. Dann warf er Schaufel und Kopf wie den Sargdeckel zuvor aus dem geöffneten Grab neben den Grabstein. Sofort kletterte er ebenfalls aus dem Loch. Er nahm den Sargdeckel und warf ihn wenig achtsam zurück ins Grab. Er schnappte die Schaufel und füllte das Loch wieder mit Erde auf. Er war froh, als das Grab wieder zugeschaufelt war. Nun nahm er den mitgebrachten Plastiksack, ließ den Kopf der Leiche darin verschwinden und schnürte ihn zu, so fest es ging. Mit Schaufel und Sack verließ er die Grabstätte und ging zurück zum kleinen Haus am Rand des Friedhofs, in dem er wohnte. Als er sich in seiner Wohnstube befand, öffnete er den Sack und holte den Frauenkopf heraus. Er ließ sich auf seinen Schaukelstuhl fallen und bettete den Schädel auf seinem Schoß.

»Du bist in meiner Gewalt«, lachte er zufrieden, »du wirst mir nicht mehr entwischen, genau so wenig wie all die Anderen …«

Er wusste genau, was er da sagte, wobei er seinen Blick über die lange Zimmerwand schweifen ließ. An der Wand hingen noch dreiundzwanzig weitere Köpfe. Sie alle stammten von Frauen und Mädchen verschiedenen Alters, der jüngste gehörte einmal zu einem achtjährigen Kind. Der Friedhofswärter hatte all diese Leichen wenige Stunden nach ihrer Beisetzung heimgesucht und sie geköpft, um sie zu Schrumpfköpfen zu verarbeiten. In diesem Zustand konnten ihm die Frauen nicht mehr entwischen, ihm, den buckligen alten Friedhofswärter, der schon seit frühester Kindheit nur schlechte Erfahrungen mit Mädchen gemacht hatte. »Glöckner von Notre Dame« und »Buckliges Schwein« waren nur einige der Spottwörter, die ihm bereits in der Schule vornehmlich von den weiblichen Schülern zugerufen wurden. In seiner Jugendzeit ging es dem Missgestalteten auch nicht besser. Frauen hatten immer nur Verachtung und Ablehnung für ihn übrig. Das alles hatte ihn zum verbitterten Misogynen werden lassen. Im Alter von siebenundzwanzig Jahren hatte er dann auch zwei Frauen überfallen und vergewaltigt. Nach seiner Entlassung aus der jahrelangen Haft hatte er den Job als Friedhofswärter bekommen. Aber sein Drang, Frauen zu erniedrigen, war geblieben. Jetzt war er vierundsechzig Jahre alt, seine Rückgradsverkrümmung hatte sich noch stärker ausgeprägt. Seine Lippen waren ebenfalls immer wulstiger geworden und seine Hasenscharte war nicht zu übersehen. Diese Körperbehinderung erlaubte es ihm nicht mehr, Frauen oder Mädchen zu belästigen, wie er es immer wieder heimlich gemacht hatte, oder sie gar zu überfallen. Also kam er auf die Idee, sich an toten Frauen zu vergreifen! Seit einigen Jahren sammelte er nun diese Schrumpfköpfe, die hier in seinem Wohnraum hingen. Er pflegte mit den Schrumpfköpfen zu reden, sie zu verhöhnen. Gemütlich saß er im Schaukelstuhl und grinste den neuen Schädel auf seinem Schoß hämisch an.

»Morgen kommt Nummer Vierundzwanzig an meine Wand«, murmelte er voller Vorfreude, der Speichel rann ihm über die gummiartigen Lippen, »Du wirst eine neue Zierde in meiner Kollektion, wie alle deine verdorbenen Geschlechtsgenossinnen hier.«

Anfangs hatte er vor, dem frischen Kopf noch in dieser Nacht das Gehirn abzusaugen, aber er war zu müde. Seine Augenlider klappten einfach zu. Er blieb im Stuhl sitzen und fiel in tiefen Schlaf. Den Kopf der Frau ließ er auf seinem Schoß liegen.

 

Der Mann hatte höchstens zwei Stunden geschlafen, als er durch ein schabendes Geräusch geweckt wurde und zusammenzuckte. Ein eisiger Schreck durchfuhr ihn: Der Kopf lag nicht mehr auf seinem Schoß! Er schnellte blitzartig in die Höhe und bemerkte, dass alle Schrumpfköpfe von der Wand verschwunden waren! Er schritt suchend durchs Zimmer. Plötzlich hörte er hinter sich ein Geräusch. Hastig drehte er sich um – und erschrak erneut! Die dreiundzwanzig Schrumpfköpfe schwebten vor ihm, an der Spitze der von der »Neuen«. Im Gegensatz zu den Schrumpfköpfen, die ihn mit versteinerten Gesichtern anblickten, wiesen ihre Züge Emotionen auf. Emotionen aus purem Hass! Jetzt wurde dem buckligen Mann bewusst, was für einen Fehler er gemacht hatte: Er hätte sich nicht an einer Frauenleiche vergreifen sollen, deren Geist ein untotes Leben im Reich eines Dämons genoss! Dank ihrer magischen Fähigkeiten war sie zurück auf die Erde gelangt und hatte sich ihres fleischlichen Überrestes, ihres Kopfes, bemächtigt. Durch ihre Hilfe waren auch die Geister der anderen Frauen und Mädchen aus dem Jenseits zurückgekehrt und in die jeweiligen Schrumpfköpfe gefahren. Der Mann erstarrte vor Angst, keinen Ton brachte er über die Lippen. Der einst entspannte und nun grimmig verzerrte Gesichtsausdruck der Dämonenjüngerin sprach Bände: Sie und die anderen Geister waren gekommen, um sich für ihre Schändung zu rächen! Die kleinen Schrumpfköpfe an ihrer Seite setzten sich in Bewegung. Zielsicher schwebten sie auf den Buckligen zu.

»Das … das kann nicht wahr sein …«, stammelte dieser und drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand.

Als die kleinen Köpfe ihn erreicht hatten, passierte es auch schon: einer der geschrumpften Frauenköpfe schnellte vor, schlug seinen unwahrscheinlich harten Kiefer in die linke Schulter des Mannes und nagte in Sekundenbruchteilen das Fleisch von seinen Knochen. Schreiend ging der Frauenschänder in die Knie. Zwei weitere Schrumpfköpfe rückten nach und bohrten ihre Zähne in seine beiden Waden, sie bissen seine pulsierenden Adern und Muskelsehnen aus seinen Beinen. Als der alte Mann merkte, dass er seine Beine nicht mehr bewegen konnte, schrie er aus Leibeskräften. Weitere Schrumpfköpfe schwebten heran und fraßen blutige Wunden in seinen Körper. Das Einzige, was der Alte spürte, waren diese infernalischen Schmerzen. Das Blut schoss aus seinem Körper, und schließlich wurde ihm schwarz vor Augen. Eine gnädige Bewusstlosigkeit erlöste ihn von seinen Schmerzen.

 

Der alte Friedhofswärter erwachte. Sein Schädel dröhnte. Er spürte stechende Schmerzen an seinen Gliedmaßen und an seinem Bauch. Er lag auf dem Rücken. Dolchartige Haken waren in seinen Armen und Bauch gebohrt. Diese Haken waren an langen Stahlketten befestigt, die irgendwo im Nichts endeten. Der Mann wusste irgendwie, dass er sich im Keller seines Hauses befand. Die Ketten, zwischen denen er sich befand, erlaubten ihm keine Regung. Sie waren so straff gespannt, dass sich die Haken, die sich an ihren Enden befanden, bei jeder Arm- oder Beinbewegung seinerseits tiefer in sein Fleisch bohren würden. So lag er bewegungsunfähig zwischen den soliden Stahlketten. Nachdem er sich über die Ausweglosigkeit seiner Lage bewusst geworden war, spürte er auf einmal kriechende Bewegungen und beißende Schmerzen an seinem Bauch. Bisher hatte er es noch nicht gewagt, an sich herunter zu blicken. Jetzt neigte er sein Kinn zur Brust und brüllte voller Panik auf. Dass er splitternackt war, hätte ihn nicht weiter erschreckt, aber sein Körper war bedeckt von unnatürlich großen Kakerlaken, die gefräßig über seinen Bauch, seine Arme und Beine krabbelten! Die Kauwerkzeuge der Käfer wühlten sich durch die Wunden des Mannes und rissen das Fleisch in Fetzen heraus. Schmerzgepeinigt neigte der Alte seinen Kopf – und wieder packte ihn das Grauen! Alle Leichen, die er in all den Jahren geköpft hatte, befanden sich im Raum! Die teilweise verwesten, mit Graberde beschmutzten Leiber waren ebenfalls aus den Gräbern gekrochen und standen wild durcheinandergewürfelt um den von Kakerlaken Befallenen herum. Auf den Rümpfen der Frauenleichen thronten die dazugehörigen Schrumpfköpfe. Das sah ebenso unheimlich wie grotesk aus: die fauligen Körper, auf denen die jetzt viel zu kleinen Köpfe saßen! In greifbarer Nähe stand ein Corpus, den er vor acht Monaten geschändet hatte. Die Kleidung der toten Frau war zerfetzt und größtenteils ausgefasert. Nur wenige faulige Fleischreste bedeckten ihre bleichen Knochen. Maden krochen über die freiliegenden Rippenknochen. Die einst wohlig festen Brüste der Frau waren spurlos verwest. Nur der starre Schrumpfkopf auf ihrem Hals sah noch formvollendet aus. Direkt neben ihr stand der Körper des achtjährigen Mädchens, das jüngste Opfer des Friedhofswärters, deren Schädel sich seit nunmehr vier Monaten in seinem Besitz befand. Auch dieser Kinderleib wies schon deutliche Spuren der Verwesung und Fäulnis auf. Auch bei ihr war das Fleisch weitgehend abgetragen, die Maden hatten ganze Arbeit geleistet. Nur der Schrumpfkopf auf ihren Schultern wollte so gar nicht zu dem verfallenen Zustand des restlichen Körpers passen. Von den Leichen der Frauen, an denen der alte Mann seine ersten Fleddereien vorgenommen hatte, waren nur noch blanke Skelette verblieben, die mit den tadellos enthaltenden Schrumpfköpfen ein beinahe lächerliches Bild abgaben. Die Leichen im Verwesungsstadium verströmten einen so üblen Gestank, dass dem Friedhofswärter der Magensaft auf die Zähne trat. Auf einmal lichtete sich die Reihe der Frauenrümpfe und die Anführerin trat an den nackten, von Ungeziefer geschundenen Mann heran. Sie war die einzige – weil frischeste – als solche erkennbare Frauengestalt im Zimmer. Der Schädel passte noch einwandfrei auf ihren Torso. Sie neigte ihren durch magische Kräfte mit dem Körper verbundenen Kopf nach unten und blickte süffisant lächelnd auf den wehrlosen, splitternackten Mann, der bereits dem Wahnsinn nahe war.

»Du … du Hure …«, keuchte der Alte schwach, dann bemerkte er, wie sich eine der Kakerlaken seinem Gesicht näherte.

Starr vor Entsetzen und mit weit aufgerissenen Augen glotzte er auf das übergroße Kerbtier, welches auf seinen Mund, der weit aufgesperrt war, zukrabbelte. Er wollte seinen Mund schließen, aber es war zu spät! Die Schabe kroch ihm in den Rachen und fiel über sein Zahnfleisch her. Vor Panik und Ekel schrie der Mann und schüttelte den Kopf, versuchte, das Insekt auszuspeien, doch es half nichts. Er spürte die Kakerlakenbeine auf seiner Zunge, sein Mageninhalt gelangte in seine Speiseröhre und er drohte zu ersticken. Aus lauter Verzweiflung biss der Alte nun seine Zähne zusammen und zermalmte den Chitinpanzer des Käfers zwischen seinen Kiefern. Die Lebensflüssigkeit der Schabe trat aus und floss ihm in die Kehle. Vergeblich rang der Gemarterte nach Sauerstoff, aber ihm wurde die Luft knapp. Schwarze Blitze tanzten vor seinen Augen, die Lebenskraft entwich aus seinem Körper. Als die untoten Frauen bemerkten, dass ihr ehemaliger Peiniger seinen letzten Atemzug getan hatte, rückten sie wieder enger zusammen. Ihre Anführerin klatschte in die Hände und aktivierte dadurch die Ketten. Diese wurden jetzt straffer, zogen sich auseinander. Die Gliedmaßen des Mannes wurden gespannt. Jetzt faltete die Dämonenjüngerin noch einmal ihre Hände, und dann passierte es: Der Körper des Toten konnte den Haken der Ketten nicht mehr standhalten. Er platzte auf und gleich einer Fontäne sprudelten Blut und Innereien heraus. Mit lautem Krachen trennten sich die Extremitäten vom Torso und die austretenden Körperflüssigkeiten und Eingeweide bildeten in Kombination mit den ebenfalls umherwirbelnden Knochensplittern schaurige Muster an Wänden, Decke und Fußboden. Nachdem die Ketten den Leib auseinandergerissen hatten, verschwanden sie wieder im Nichts – ebenso die Kakerlaken. Auch bei den wandelnden Frauenrümpfen tat sich was: Haltlos sackten sie in sich zusammen. Die Köpfe fielen von den Hälsen und kullerten über den Boden. Die geschändeten Toten hatten ihre Rache bekommen, die Geister der Frauen wichen aus den leblosen Hüllen und verschwanden wieder im Jenseits. Der zerstückelte Leichnam des alten Friedhofswärters verblieb als stummer Zeuge des dramatischen Geschehens.

 

(1998)

Blutrache der Geschändeten

Ach ja, der gute alte Teenie-Highschool-Horror … BLUTRACHE DER GESCHÄNDETEN ist mit Sicherheit eher der Kategorie C-Movie-Trash zuzuordnen, aber auch diese Gattung hat bekanntlich einen gewissen Reiz. Filme dieser Art, also schwarzhumorig, betont schleimig-blutig und trashig, sind ja besonders ein Markenzeichen der guten alten Firma Troma, deren Filme wie etwa TOXIC AVENGER ich reihenweise verschlungen habe, als es darum ging, diese Story zu verfassen. Als die Geschichte 1999 entstand, ging ich ganz unbekümmert und locker an die Sache heran. Sicherlich etwas naiv, denn großartige Gedanken machte ich mir nicht. Alles entstand sehr spontan in wenigen Stunden am damals recht klapprigen PC. Zickenterror hoch Zehn an einer Highschool in einer besseren Gegend der südlichen USA. Größere Sorgen als ihre schlanke Linie und richtig sitzendes Make Up und viele, sehr viele Boys zum Fummeln haben die Girls nicht, aber eben diese Probleme so ausgeprägt, dass eine von ihnen sogar die Dienste einer bösartigen Voodoo-Hexe in Anspruch nimmt, um ihre Rivalin so richtig schön hässlich zu machen. Vollkommen logisch, dass das Ganze außer Kontrolle gerät und aus einem hübschen Mädchen recht schnell ein nicht nur hässliches Mauerblümchen wird, von dem sich jeder Junge mit Grausen abwendet, sondern ein garstiges Ungeheuer mit unbändiger Mordlust. Unsere böse alte Hexe macht eben keine halben Sachen! Sehr zur Freude aller Freunde blutig schöner Metzelei …

Vorhang auf, here you are:

 

Susan Hensley war die wohl erotischste Schülerin an ihrer High School. Die attraktive Achtzehnjährige mit den schulterlangen kastanienbraunen Haaren stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit an der gesamten Schule. Jeder Schüler riss sich förmlich darum, ihr Auserwählter zu sein, und das wusste die Schöne nur allzu genau. An diesem schwül-heißen Tag im Freibad stellte sie das einmal mehr unter Beweis. Als sie sich gerade in ihrer Sonnenliege räkelte, trat einer ihrer zahlreichen Verehrer, der sich zufälligerweise ebenfalls im Freibad aufhielt, an sie heran.

»Hi Süße, kann ich dir ein bisschen Gesellschaft leisten?«

»Jimmy? Du auch hier?«, fragte sie und hob die Sonnenbrille an. »Warum sollte ich auf dieses Angebot eingehen?«

»Nun … äh … ich könnte dir zum Beispiel den Rücken eincremen …«

»Oh, ich glaube nicht, dass ich dich dafür brauche …«

»Wieso nicht? Warum lässt du’s nicht einfach auf einen Versuch ankommen?«

»Weil ich da hinten den einzigen Mann meiner schlaflosen Nächte sehe: George Ashley.«

Noch bevor der ihr gegenüber hockende Junge etwas erwidern konnte, schwang Susan sich aus ihrer Liege und schritt zum Eisstand, wo sich ihr Freund George ebenfalls aufhielt.

»Hallo, du auch hier?«, rief sie freudig erregt und fiel ihm um den Hals.

»Seit einer Viertelstunde. Sag mal, hat dieser Hänfling versucht, dich anzumachen?«, fragte George und deutete auf Jimmy, der die beiden aus der Ferne beobachtete.

»Mach’ dir um den keine Gedanken. Nicht mein Typ!«

Beide lachten spöttisch. Beschämt schlich Jim von dannen.

 

Ja, Susan wusste haargenau, wie begehrt sie war – und das genoss sie unheimlich. Sie hatte die besten Chancen, Ballkönigin der diesjährigen Abschlussfeier zu werden. Sie fieberte dem Ende des Schuljahres entgegen, doch eines Tages sollte sich die Situation schlagartig ändern! Denn in ihrer Parallelklasse tauchte eine neue Schülerin auf, die für Susan zur ernsten Konkurrenz wurde: Angela White. Susan bekam einen rechten Schock, als sie die Neue, eine rassige Blondine zum ersten Mal auf dem Schulhof erblickte.

»Was will denn dieses aufgedonnerte Flittchen hier?«, dachte sie entsetzt und registrierte zornig, dass ihre neue Nebenbuhlerin bereits eine Menge bewundernde Blicke auf sich gezogen hatte.

Kaum zu Hause angekommen, ergriff sie sofort den Telefonhörer und rief George an, um sich in dieser für sie katastrophalen Lage bei ihm auszuweinen.

»Ja, Hensley hier«, meldete er sich.

»Hier ist Susan! Kann ich gleich vorbeikommen? Ich brauche jetzt so dringend Beistand!«

»Nein, das ist momentan ganz schlecht, weil … äh … weil …«

»Ja? Weil was?«

»Du weißt, die Neue, Angela. Ich bin nachher mit ihr verabredet, um ihr die Stadt zu zeigen. Sie ist doch neu hier, und …«

Ohne ihn weiterreden zu lassen, knallte Susan erbost den Hörer auf die Gabel.

Zornig lief sie in ihrem Zimmer auf und ab. Sie wünschte ihrer Konkurrentin die Pest an den Hals. Da fiel ihr Blick auf eine fettgedruckte Kleinanzeige in der Zeitung, die etwas zerknüllt auf ihrem Bett lag.

»Eine Hexe bietet Zauberdienste an …«, murmelte Susan vor sich hin, »… gegen günstige Bezahlung.« Jetzt umspielte ein böses Lächeln ihre Lippen. Sollte sie das glauben oder nicht? Sollte sie der Hexe Geld in den Rachen stecken? Das war natürlich ein Risiko. Nach langem Hin und Her entschied sie sich schließlich, die in der Zeitung abgedruckte Adresse aufzusuchen.

 

Susan war nicht besonders wohl zumute, als sie vor dem heruntergekommenen Haus stand.

»Pamela Hill« stand auf dem Namensschild. Susan zögerte noch einmal kurz, dann schaffte sie es, sich zu überwinden und drückte auf die Klingel. Erst beim vierten Klingeln vernahm sie schlurfende Schritte hinter der Tür. Eine verschlafene, mürrische Stimme gellte ihr zu:

»Ja? Wassis los?«

Susan räusperte sich kurz dann antwortete sie: »Ich … ich komme wegen Ihrer Zeitungsannonce …«

Die Tür wurde so ruckartig aufgerissen, dass Susan erschrak. Die Frau, die in der Tür stand, war mindestens neunzig Jahre alt, faltig, grau und bucklig und verwahrlost. Unzählige Flicken bedeckten ihr ausgefasertes Kleid. Strähnig hing ihr das schneeweiße Haar übers runzelige Gesicht. Aus halb geschlossenen Schweineaugen glotzte sie ihre Besucherin an.

»Was gibt’s?«, bellte die Alte.

Susan verzog das Gesicht, als ihr die Schnapsfahne entgegenschlug und nach einem kurzen Räuspern antwortete sie: »Sie können tatsächlich zaubern? Zum Beispiel einen Menschen mit einem Fluch belegen, der ihn … naja … unansehnlich … äh … hässlich macht?«

»Hässlich?«, wiederholte die alte Vettel, dabei umspielte ein fieses Grinsen ihre dicken Lippen. »Komm erst mal rein, Schätzchen, dann können wir uns genauer unterhalten.«

Susan überwand ihre Abneigung und schritt an der Alten vorbei in die Diele. Knurrend warf die Hexe die Haustür ins Schloss und führte Susan ins Wohnzimmer. Das Zimmer war genauso heruntergekommen wie die Alte selbst. Das Wohnzimmerfenster war beschmiert mit Fliegendreck und Staub. Die löchrigen Vorhänge waren regelrecht vergilbt und rochen alt und modrig. Gleiches galt auch für das zerzauste, altersschwache Sofa, auf dem die Greisin Platz nahm. Die wenigen Möbel waren alt und zerkratzt. Missmutig blickte Susan sich um. Ihr Blick fiel auf zahlreiche Totenschädel und weitere Knochen, die sowohl von Tieren als auch Menschen stammen konnten und überall an den Wänden hingen oder im Schrank lagen. Auf dem schmutzigen Teppich lag eine pechschwarze Katze, die Susan aus blutroten, glasigen Augen böse anfunkelte. Das Mädchen fröstelte. Die garstige, unangenehm schrille Stimme der Alten riss sie aus ihren Gedanken.

»Also, du Früchtchen, was ist jetzt? Was willst du von mir?«

»Wie ich schon sagte: Ich will, dass Sie eine Rivalin von mir mit einem Fluch …«

»Dafür brauche ich etwas Persönliches von dieser Person!«, fiel die Hexe ihr ins Wort.

Susan zuckte erschrocken zusammen, fasste sich aber sofort wieder und antwortete: »Ja natürlich … Sowas habe ich mir schon gedacht … Moment …«

Von einer Freundin, die in Angelas Klasse ging, hatte Susan ein Foto von ihrer Konkurrentin ergattert. Sie angelte das Bild aus ihrer Handtasche und reichte es zu der Alten hinüber. Als die Hexe das Bild ergriff, berührten ihre zweigartigen Finger die von Susan, die ihre Hand blitzschnell zurückzog. Ihr graute vor der unheimlichen Vettel. Kichernd betrachtete die Hexe das Foto.

»Wirklich beeindruckend, diese Schönheit«, murmelte sie.

In Susan kochte die Wut hoch. »Lassen Sie das!«, keuchte sie. »Können Sie dieses Weib so richtig hässlich machen?«

Die Alte erhob sich.

»Selbstverständlich«, knirschte sie. »Von mir aus können wir gleich anfangen.«

»Das wäre mir auch recht«, sagte Susan. In ihr keimte die Vorfreude.

»Dann kommen wir zuerst zum wichtigsten Teil des Geschäftes«, sagte die Alte mit lauerndem Unterton in ihrer Stimme.

»Dem wichtigsten Teil?«

»Das Geld, Kindchen. Macht exakt fünfhundert Dollar.«

»Ja, natürlich. Warten Sie …«

Susan hatte schon mit einem Betrag in ungefähr dieser Richtung gerechnet. Nervös angelte sie einige Einhundert-Dollar-Scheine aus ihrer Handtasche. Grinsend nahm die Hexe die Scheine in Empfang. Nachdem sie das Geld in einer Schublade verstaut hatte, nahm sie einen tiefen Schluck aus einer Schnapspulle. Susan setzte sich auf einen morschen Stuhl und sah der Alten zu. Die Hexe zog das Rollo am Fenster herunter und warf die Vorhänge vor die dunklen Scheiben. Sie schlurfte im abgedunkelten Zimmer auf und ab und murmelte wirres Zeug. Sie stellte ein metallenes Tablett auf den klobigen Tisch. Auf das Tablett stellte sie eine lange, schwarze Kerze und zündete sie mit einem Streichholz an.

»Wie heißt dieses Weib?«, fragte die Hexe.

»Angela …«, antwortete Susan, »Angela White.«

Mit einer kleinen Pinzette hielt die Alte das Bild über die Kerzenflamme. Ihr Blick war unheimlich und leer. Sie schien sich auf einmal ganz weit weg zu befinden. Mit ihren Gedanken war sie bei der ahnungslosen Angela White.

»Angela White!«, murmelte die Vettel eindringlich. Sie sagte den Namen immer wieder, immer lauter, als würde das fotografierte Mädchen in voller Lebensgröße im Zimmer stehen. Die Augen der Hexe weiteten sich. Mit einem Mal begann sie zu weinen, doch es waren keine Tränen, die über ihre Wangen rollten.

Es war Blut. Die Hexe weinte Blut! Susan lief bei diesem Anblick kreidebleich an.

»Angela White!«, schrie die Greisin nunmehr aus Leibeskräften, dabei heulte sie furchterregend und immer mehr Blut floss aus ihren Augen und plötzlich auch aus ihren Nasenlöchern! Die schwarze Katze, die das Geschehen bisher lethargisch beobachtet hatte, erhob sich auf einmal, fauchte laut, sprang auf den Tisch und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Kerze, als würde sie ihre Herrin bei ihrer Zeremonie unterstützen wollen. Susan hing in ihrem Stuhl wie ein Häufchen Elend. Wenn es nur endlich vorbei wäre, dachte sie immer wieder. Das zuckende Kerzenlicht verzerrte das runzelige Gesicht der Hexe und ließ es einfach noch furchterregender aussehen. Auch die Katze, die in ihrem Buckel erstarrt zu sein schien, ergänzte das schaurige Bild. Schlagartig hörte die Alte auf zu kreischen. Wie zu Stein erstarrt hockte sie auf dem Sofa und starrte auf die Kerze. Ihre Augen blinzelten nicht einmal. Der Blutstrom aus ihren Augen und Nasenlöchern klebte wie rote Farbe im verwilderten Gesicht. Susan registrierte entsetzt, dass sich das Gesicht der alten Frau veränderte. Es wurde auf einmal noch älter, als es ohnehin schon war. Steinalt! Es wurde richtig mumienhaft, eine Art Totenmaske. Die Haut wurde grau, die Falten tiefer und die Augen lagen erschreckend dunkel und leblos in den Höhlen. Nach einigen Sekunden glommen kleine weinrote Funken in diesen Augen auf. Die Funken wurden rasch größer, und die Augen der Hexe glühten. Sie leuchteten wie rote Scheinwerfer und die zwei Lichtkegel erfassten die blasse Susan voll. Die Vettel atmete schwer. Das Ritual kostete sie sichtlich Kraft. Das Gesicht verformte sich weiter. Es nahm eine dreieckige Form an. Die Augen warfen jetzt keine Lichtkegel mehr, dafür leuchteten sie sadistisch. Susan wollte schreien, aber sie brachte keinen Ton über die Lippen. Sie war wie gelähmt! Sie hatte Angst, dass die monströse Alte über sie herfallen würde. Plötzlich senkte die Hexe den Arm und hielt das Foto an der Pinzette direkt in die Flamme der Kerze. Der ganze Rest ihres Körpers blieb dabei völlig unbewegt, wie bei einem Roboter. Nur die Lippen zuckten. Die Frau hauchte unverständliche Worte. Zauberworte! Dann begann sie wieder zu schreien.

»Ich verfluche Angela White!« Und wieder: »Ich verfluche Angela White! Die Menschen sollen sich fortan mit Grausen von ihr abwenden!«

Die Asche vom verbrannten Foto fiel auf das Tablett unter der Kerze. Die Hexe zitterte am ganzen Körper und begann zu jaulen und zu schluchzen.

»Angela White ist verflucht!«, kreischte sie aus voller Kehle und neue Blutstropfen quollen ihr aus Augen und Nase.

Die Hexe musste während ihrer Zeremonie selbst Höllenqualen erleiden. Sie fing an, auf dem Sofa hin und her zu hüpfen. Sie wand sich in unbeschreiblichen Schmerzen! Unaufhaltsam spritzte Blut aus ihrem Gesicht, nun auch aus ihrem Mund. Ihre Kleidung war blutbesudelt, sie fuchtelte wild mit den Armen und brüllte wie ein tollwütiges Tier. Die Katze schrie auf, sauste vom Tisch und jagte aus dem Wohnzimmer. Das war selbst ihr jetzt doch zu viel. Susan blieb zusammengekauert auf ihrem Stuhl sitzen und betrachtete schockiert das schaurige Geschehen. Auf einmal sackte die Greisin in sich zusammen. Ein erschöpftes Stöhnen drang aus ihrem Mund. Sie erholte sich allmählich wieder. Aus der Fratze formte sich wieder das menschliche Antlitz. Nur die Blutbäche blieben auf ihrem Gesicht und dem Kleid zurück. Ihr Blick wanderte über die Kerze hinweg in Richtung Susan.

»Es ist vollbracht«, keuchte die Alte und wischte sich mit den Händen das Blut aus dem Gesicht.

Susan erhob sich vom Stuhl. Sie hatte ganz weiche Knie, die ihr nicht sofort gehorchten. Sie musste stark kämpfen, um nicht ihr Gleichgewicht zu verlieren.

Sie hatte Mühe, artikuliert zu sprechen. »Sie meinen, die Schlampe steht mir jetzt nicht mehr im Weg? Sie wird mir nie wieder einen Kerl ausspannen?«

»Darauf kannst du dich verlassen. Die Männer werden sich fortan mit Grausen von ihr abwenden.«

»Gut. Gute Arbeit.«

Susan verschwand aus dem Haus, so schnell sie konnte.

 

Am nächsten Tag traf Susan George Ashley auf dem Schulhof.

»Hallo mein Held«, begrüßte sie ihn stürmisch, »Wie geht’s so?«

»Sehr gut, Süße. Aber sag’ mal, hast du Angela hier irgendwo gesehen?«

»Nein, wieso?«

»Ich glaube, sie ist heute gar nicht in der Schule.«

»Na und? Was interessiert dich dieses Flittchen? Du hast doch mich!«

»Laß’ das jetzt. Ich bin nach der Schule mit ihr verabredet.«

Gedankenverloren drehte George sich um und ließ Susan zurück.

»Na warte, mein Bester«, dachte Susan, »wenn der Zauber der Hexe tatsächlich gewirkt hat, wirst du schon merken, was du an mir hast.«

 

Am nächsten Tag sah Susan ihren Freund wieder. Er stand in einer Telefonzelle vor der Schule und versuchte vergeblich, ein Telefonat zu führen. Susan musste bei diesem Anblick schmunzeln. Sie konnte sich nur allzu gut denken, wen George da gerade versuchte, zu erreichen. Als er die Telefonzelle verließ, sprach sie ihn gleich an.

»Na, was ist los mit dir? Versuchst du jemanden Bestimmtes zu erreichen?«

»Angela. Ich verstehe das nicht. Ich habe in jeder Pause versucht, sie zu sprechen. Immer, wenn ich meinen Namen nenne, legt sie auf.«

»Och, das ist aber gar nicht nett …«

Susan musste sich beherrschen, nicht laut los zu lachen. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Wenn sich ihre Konkurrentin nicht mehr unter die Menschen wagte, musste dies ja wohl einen bestimmten Grund haben.

»Hör mal, George«, ergriff sie wieder das Wort, »ich weiß von einer Freundin, wo Angela wohnt. Wollen wir vielleicht mal bei ihr vorbeifahren?«

»Du … Du willst mir wirklich weiterhelfen?

»Wieso nicht? Ich würde der Guten auch gerne mal einen Besuch abstatten.«

»Wie du meinst …«

George war fassungslos. Er ahnte ja nicht, aus welchem Grund Susan ihm so behilflich sein wollte …

Gedankenverloren steuerte George seine rote Corvette in die Richtung, in die ihn Susan, die auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, dirigierte.

»Stopp! Hier wohnt sie«, rief Susan.

George trat auf die Bremse und parkte den Wagen vor einem Hochhaus.

»Da drin hat sie eine Wohnung«, erzählte Susan, während sie das Auto verließ.

»Nun gut«, sagte George, »dann lass uns reingehen.«

Sie betraten das Gebäude, stiegen in den Fahrstuhl und fuhren in das besagte Stockwerk.

Als sie vor der Wohnungstür standen, an deren Namensschild Angela White stand, zögerte George noch einmal kurz.

»Sag mir doch noch einmal, wieso du mir hilfst, Angela zu finden. Sie ist doch deine Rivalin, oder nicht? Ich denke, du hasst sie dafür, dass ich mich für sie interessiere.«

»Och«, entgegnete Susan, »ich will mich nur gerne mit ihr aussprechen. Es war ein fairer Wettkampf zwischen uns, den sie halt gewonnen hat. Ich bin nicht so nachtragend.«

Das sagte sie mit dem treuesten Hundeblick, und George ließ es gut sein. Aufgeregt drückte er die Türklingel. Keine Reaktion. Er versuchte es noch einmal. Wieder war hinter der Tür nichts zu vernehmen.

»Sie ist wohl nicht daheim«, sagte George enttäuscht.

»Laß mich mal versuchen«, erwiderte Susan, »Vielleicht hat sie Angst, aufzumachen, die Ärmste. Aber guck mal, hier ist ein ganz normaler Türgriff, kein Knauf. Vielleicht haben wir Glück, und es ist nicht abgeschlossen.«

Schon drückte sie die Klinke nach unten. Tatsächlich, es war nicht abgeschlossen! Knarrend öffnete sich die Tür. Susan und George betraten den Korridor. Es war dunkel in der Wohnung, sie mussten das Licht anknipsen.

»Angela?«, fragte George etwas zaghaft.

Ein leichtes Schaben und Kratzen war die Antwort. Sie folgten dem Geräusch.

»Angela, wo bist du denn?«, jauchzte Susan vergnügt, »George möchte sich so gern deinen neuen Look ansehen …«

Während sie das sagte, betraten sie das Wohnzimmer, aus dem das Geräusch gekommen war. Auch hier betätigten sie den Lichtschalter und blieben wie angewurzelt stehen – mit diesem Anblick hatten beide nicht gerechnet! Das Zimmer war vollkommen verdreckt. Am Wohnzimmerfenster waren die Rollläden heruntergezogen, zudem waren zwei riesige Gardinen vorgezogen. Und hinter diesen Gardinen bewegte sich etwas.

»Du … Du weißt von meinem Unglück?«, krächzte eine schwache, brüchige Stimme.

Die Gardinen wurden von innen her zurück gezogen. George und sogar Susan waren entsetzt über die bizarre Gestalt, die sich ihnen zeigte. George, der überhaupt nicht mit etwas Bösem gerechnet hatte, stieß einen Schrei aus. Aber auch Susan stand da wie zu Stein erstarrt. Der Fluch der Hexe hatte in der Tat Wirkung gezeigt, aber weitaus verheerender, als Susan es beabsichtigt hatte. Die Gestalt, die langsam und schwerfällig auf die Beiden zu humpelte, war nicht einmal mehr mit der Bemerkung »hässlicher Mensch« zu beschreiben.

Dieses Wesen hatte kaum noch etwas Menschliches! Das vor drei Tagen noch so rassige Mädchen hatte sich innerhalb kürzester Zeit in ein ausgezehrtes Monstrum verwandelt. Der Kopf war fast auf die doppelte Größe angeschwollen. Sie trug ein verschmutztes Nachthemd, das zerfetzt von ihrem Körper herabhing. Das Nachthemd war zerrissen, weil der unförmige, geschwollene Körper es gesprengt hatte. Man konnte schon sagen, dass Angela eigentlich nackt im Raum stand. Die Arme hingen wie aufgeblasene Ballons an ihrem Körper herab. Die Hände waren nunmehr klobige Pranken. Von der blonden Haarpracht war nicht mehr viel übriggeblieben – ein paar splissige Strähnen bedeckten den unförmigen Schädel. Die Haut war durch und durch übersät von faustgroßen Fleischbällen und eitrigen Pickeln. Bei ihrem von Metastasen überwuchertem Gesicht kam Susan der lächerliche Vergleich mit einem Streuselkuchen in den Sinn. Das Gesicht war eine unidentifizierbare Masse. Hinter den wulstigen Lippen fehlten einige Zähne. Nur das linke Auge war noch vorhanden. Da, wo das andere Auge normalerweise hätte sitzen müssen, befand sich ein tiefes, klaffendes Loch. Der ganze Körper war überzogen von Blutergüssen.

»Ja, seht mich an«, krächzte die Schauergestalt. Sie hatte sichtlich Mühe, einigermaßen verständlich zu sprechen mit den wenigen Zähnen in ihrem Maul.

»Irgendwelche dunklen Mächte haben mich heimgesucht und mir das angetan. Nur einer oder eine konnte wissen, was mit mir los ist. Nur der, der mir das angetan hat. Nur du, Susan!«

Die Angesprochene zuckte erschrocken zusammen.

Das Ungetüm sprach weiter: »Mein Körper verfällt immer mehr. Er ist eine einzige Krankheit. Wisst ihr, was es für ein Gefühl ist, wenn man seine Nahrung kaum mehr bei sich behalten kann? Wenn einem die Exkremente unkontrolliert aus dem Gesäß rutschen?«

Jetzt fiel auch Susan und George der beißende Geruch in der Wohnung auf, wie in einem Viehstall. Angewidert verzogen sie das Gesicht.

Das Monster kannte keine Gnade und erzählte weiter: »In den Spiegel wage ich gar nicht reinzuschauen. Ich verfaule bei lebendigem Leibe. Es ist, als hätte ich Lepra. Heute morgen ist mir ein Auge ausgefallen, die anderen Körperteile folgen bestimmt noch. Meine Haut reißt schon an so vielen Stellen auf … Und wisst ihr, wem ich das alles zu verdanken habe? Dir, Susan! Woher solltest du denn wohl sonst wissen, was mit mir passiert? Aber du wirst die Früchte deiner Schandtat nicht länger genießen. Meine Rache wird furchtbar sein!«

Es schien, als hätte Angela ihre gesamten Kraftreserven für diesen Moment aufbewahrt, denn jetzt kam plötzlich Leben in ihren geschundenen Körper. Das deformierte Mädchen stieß einen gellenden Schrei aus und stürzte sich auf die mit dem Rücken zur Wand stehende Susan. Angela schlug Susans Hinterkopf viermal gegen die Wand. Die Attackierte jammerte und wand sich in den riesigen Pranken der tobenden Furie, die übermenschliche Kräfte entwickelte.

»George!«, schrie Susan, »George! Hilf mir!«

Der Angesprochene war zu keiner Reaktion fähig. Seine weichen Knie konnten ihn nicht mehr tragen, so dass er sich rücklings an der Wand heruntergleiten ließ und mit ausdruckslosem, blassem Gesicht in den Raum starrte.

»Wenn ich mit dir fertig bin, können sich die Männer nur noch an deiner verunstalteten Leiche befriedigen«, grunzte Angela Susan entgegen.

Das Ungetüm fing an, Susan ins Gesicht zu beißen. Susan kreischte schrill in ihren Qualen, Angela biss große Hautfetzen aus ihrem Kopf, zerkaute diese und schluckte sie. Susan fehlten bereits Oberlippe und Nasenspitze, als das Monster seine wenigen, aber sehr harten Zähne in ihre rechte Wange grub und Fleisch und Blut heraus nagte. Susan zappelte in wilder Panik, doch sie konnte sich nicht aus Angelas Pranken, die ihren Hals erbarmungslos umklammerten, lösen. Verzweifelt griff Susan mit beiden Händen in Angelas Gesicht, versuchte, den Kopf der Angreiferin zurückzustoßen. Angelas Kopfhaut fühlte sich an wie weicher Brotteig. Und die Haut war sehr nachgiebig! Knirschend löste sie sich von den Knochen und ein blutverschmierter Totenschädel grinste Susan entgegen, so dass diese in blankem Entsetzen aufschrie. Angela ließ endlich von Susan ab und tastete nach dem, was von ihrem Gesicht übriggeblieben war.

»Du verdammte Nutte«, geiferte Angela in grenzenlosem Hass.

Susan fiel zu Boden und kroch auf allen Vieren Richtung Zimmertür. Angela stürzte sich erneut auf sie und riss ihr den Minirock mitsamt Schlüpfer vom Leibe. Die Furie fraß der quengelnden Susan das Hinterteil auf, Fleischbrocken und Sehnen wurden herausgezogen und gegessen. Leblos sackte Susan in sich zusammen. Sie hatte ausgelitten.

»George?«, fragte Angela, während sie noch ein Stück Fleisch zerkaute.

Der Angesprochene erhob sich schwerfällig und betrachtete Susans Leiche, die in einer tiefen Blutlache vor seinen Füßen lag. Die Analgegend seiner ehemaligen Freundin war komplett aufgerissen und gab den Blick auf ihre zerfetzten Gedärme frei, die gemeinsam mit Knochensplittern, Blut und Fäkalien immer weiter herausquollen.

»George!«, rief Angela nochmal.

»Ja …«, entgegnete George fröstelnd.

»Ich habe mich so nach dir gesehnt«, murmelte Angela. »Komm, lass uns kuscheln.«

Entsetzt zuckte George zusammen.

»Niemals! Äh … Laß mich gehen!«

»Du stößt mich zurück? Du bist auch nicht besser als diese Schlampe hier!«

Aus dem blutbesudelten Totenkopf auf Angelas Hals drang ein markerschütterndes Pfeifen, dann setzte sich die Halbskelettierte in Bewegung und schritt drohend auf George zu.

»Dafür werde ich dich auch fertigmachen …«, schmatzte sie.

»Angela, bleib stehen!«