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MIRIAM WIEGELE

DIE KRAFT
DER WURZELN

Heilwirkung und Anwendung

MIT ILLUSTRATIONEN VON VERONIKA HALMBACHER

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INHALT

HEILENDE WURZELKRÄFTE AUS GARTEN UND WIESE

ALMWURZELN

WURZELN FÜR DIE ERNÄHRUNG

WÜRZIGE WURZELN

EXOTISCHE WURZELSCHÄTZE

MAGISCHE WURZELN

ALPHABETISCHES VERZEICHNIS

WAS SIND WURZELN?

Wurzeln spielen in der Natur seit jeher eine zentrale Rolle – sie sind die Vorratskammer aller Gewächse: Über sie nehmen die Pflanzen alles, was sie zum Leben brauchen, aus der Erde auf. Sie erhalten Wasser, wichtige Mineralstoffe und andere Nährstoffe aus dem Boden und geben sie je nach Bedarf wieder an die Oberflächenteile der Pflanze ab.

Neben Sprossachse und Blättern ist die Wurzel, Radix genannt, eines der Hauptorgane der Pflanze. Ihr Aufbau ist äußerst komplex und sie besteht aus einer Vielzahl einzelner Schichten.

Die Wurzel kann sowohl in die Länge wachsen als auch in die Breite. Die Gesamtoberfläche des Wurzelsystems ist bei gut angewachsenen Pflanzen häufig um ein Vielfaches größer als die des oberirdisch wachsenden Sprosssystems.

Treibt eine Pflanze aus, bildet sich zunächst die Keimwurzel und erst danach die Sprossachse. Verzweigungen der Wurzeln entstehen immer aus ihrem Inneren heraus, außerdem tragen Wurzeln niemals Blätter. Sie bewegen sich während ihres Wachstums in Richtung des Erdmittelpunktes, während die Sprossachse in die entgegengesetzte Richtung wächst, damit die Pflanze eine aufrechte Position einnehmen kann.

AUFBAU DER WURZEL

Die Wurzel gliedert sich in folgende Teile: Hauptwurzel, Nebenwurzeln, Wurzelspitze, Wurzelhaube, Wurzelhals und Wurzelhärchen.

Über den Wurzelhals ist sie mit dem oberirdischen Teil der Pflanze, der Sprossachse verbunden. Der Wurzelhals liegt also im Übergangsbereich zwischen unter und über der Erde. Die Hauptwurzel verzweigt sich über die Nebenwurzeln. An jeder Verästelung der Wurzeln und Nebenwurzeln sitzen Wurzelspitzen. Im vordersten Bereich sitzt die Wurzelhaube. Sie schützt die Wurzel beim Wachsen durch das Erdreich. Dahinter liegt der Bereich des Streckenwachstums. Hier wächst und streckt sich die Wurzel durch das Streckenwachstum der Zellen und bohrt sich weiter durch die Erde.

Durch ihre feine Verästelung erreichen die Wurzeln eine sehr große Gesamtoberfläche, was besonders wichtig für die Aufnahme von ausreichend Wasser und Nährsalzen ist. Nach außen wird die Wurzel durch die kurzlebige Epidermis (griech. Überhaut) abgeschirmt.

DIE BESTE ERNTEZEIT FÜR WURZELN

In der Regel beginnt die Erntezeit der Wurzeln im Spätsommer, wenn die Inhaltsstoffe der Pflanzen als Nährstoffspeicher in die Wurzel wandern. Das Chlorophyll aus den Blättern wird in den Speicherorganen der Pflanzen eingelagert, um im nächsten Jahr für das neuerliche Wachstum zur Verfügung zu stehen.

Wenn die oberirdischen Pflanzenteile abzusterben beginnen, das heißt vertrocknet sind, beginnt die beste Zeit, um die Wurzeln zu ernten. Das erfordert etwas Arbeit, da diese ausgegraben werden müssen. Um dicke Wurzeln aus dem Boden zu holen, heißt es graben – einfach nur ziehen wird selten zum Erfolg führen. Mit Wurzelstecher, Handschaufel oder Grabgabel muss man den Wurzeln nachspüren. Generell sollte man vor dem Ausgraben bedenken, ob es sich um Pfahl- oder Tiefwurzler handelt – je nachdem muss man entweder oberflächlich in die Breite graben oder sehr tief nach unten.

Um die Pflanzen für die Weiterkultur zu erhalten, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Manche, wie der Eibisch, entwickeln am oberen Teil der Wurzeln Schösslinge, die über den Winter in Sand eingeschlagen und im Frühjahr gepflanzt werden können. Von anderen Wurzeln, vor allem Rhizomen (Wurzelstöcken) kann man einige der Wurzelausläufer zur Vermehrung nutzen.

Wurzeln sollte man besser nicht ernten, wenn es vorher geregnet hat, da sie dann schwer zu reinigen sind. Der beste Zeitpunkt ist der späte Nachmittag, da dann die Konzentration der Wirkstoffe in der Wurzel am höchsten ist. Wenn es sich mit den Witterungsbedingungen vereinbaren lässt, wäre die Ernte während des absteigenden (nicht abnehmenden!) Mondes am besten. Nach dem Ausgraben werden die Wurzeln unter fließendem Wasser gespült und eventuell mit einer Bürste gereinigt. Dann werden sie je nach Wurzelform zerkleinert: Pfahlwurzeln sollte man in Scheiben schneiden, Rhizome halbieren.

TROCKNEN DER WURZELN

Entweder werden die Wurzeln an einem Faden aufgefädelt und in einem warmen Raum zum Trocknen aufgehängt, oder man legt sie auf einen Gitterrost und trocknet sie im Backofen bei niedrigster Stufe.

Das Trocknen dauert je nach Wurzel unterschiedlich lange, schleimstoffhaltige Wurzeln wie Eibisch und Beinwell brauchen beispielsweise etwas länger. Trocken sind sie, wenn sich die Wurzelstücke brechen lassen. Danach sollte man sie in trockenen Gläsern aufbewahren und beschriften!

HEILENDE WURZELKRÄFTE AUS GARTEN UND WIESE

ALANT

(Inula helenium)

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Vermutlich aus Asien stammend, ziert der Alant schon seit langem die Bauerngärten. Auffällig an diesem Korbblütler ist, dass er sich primär im Blattbereich auslebt bzw. ausbreitet. Aus dem ästigen Wurzelstock erhebt sich ein teilweise bis zu 1,8 Meter hoher, kräftiger Stängel, umgeben von langen, breiten Blättern, die in einem rhythmischen Aufbau nach oben hin immer kleiner werden und dann im Hochsommer von kleinen Sonnen gleichenden, goldgelben Blüten bekränzt werden.

Schon der kräuterkundige Arzt Dioskorides (60 n. Chr.) empfahl den Alant als Mittel gegen Husten und Paracelsus setzte ihn gegen viele Lungenleiden ein. Ebenso beschrieb ihn auch Hildegard von Bingen: »Und wer in der Lunge Schmerzen hat, der trinke ihn (den Alantwein) täglich vor dem Essen.«

– ANWENDUNG –

Der Alant produziert ätherische Öle, die stark antibakteriell und krampflösend wirken – nicht nur, wie sonst üblich, in Blättern und Blüten, sondern auch in der Wurzel. Der Alant ist also dazu imstande, die Sonnenkraft bis in die Wurzeln zu leiten. Alantwurzeltee ist besonders älteren Menschen zu empfehlen, die unter chronischen Bronchialkatarrhen leiden. Das wirksame ätherische Öl enthält unter anderem Alantkampfer, der stark antibakteriell wirkt, weshalb Alant auch gegen Tuberkulose empfohlen wurde. Auch eine krampflösende und auswurffördernde Wirkung kann ihm zugeschrieben werden, weshalb die Alantwurzel in Kombination mit den tonisierenden Bitterstoffen als Heilmittel bei chronischen Atemwegsproblemen empfohlen wird. In diesem Fall kann das regelmäßige Trinken des Alantwurzeltees die Linderung der Beschwerden begünstigen.

VERARBEITUNG

– ALANTWEIN –

Eine Handvoll frisch geschnittener Wurzeln in einem Liter Weißwein ansetzen, 1–2 Wochen stehen lassen, abfiltern und mit Honig süßen. Vor der Mahlzeit ein kleines Glas trinken.

– ALANTLIKÖR –

ca. 50 g Alantwurzeln, Orangenschalen (biologische) und etwas Tausendgüldenkraut in 0,5 Liter 40%-Alkohol ansetzen; 10 Tropfen gegen Magenschwäche, verschleimte Atemwege und allgemeines Schwächegefühl oder während der Rekonvaleszenz und nach Operationen.

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BALDRIAN

(Valeriana officinalis)

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Der Baldrian wächst auf Lichtungen im Wald, auf feuchten Wiesen, in Auen oder ganz nahe am Fluss, er liebt also eine feuchte Umgebung. Am Baldrian ist nichts Schweres, Dunkles – luftig und leicht lebt er ganz zum Licht hin. Daher sahen die alten Germanen die Kräfte des Lichtgottes Baldur in ihm gebündelt. Den botanischen Namen hat er allerdings vom lateinischen Wort valere, sich wohlbefinden, erhalten.

Die Wurzel des Baldrians hat eine besondere Form – am Rhizom hängen unzählige lange, dünne Wurzeln, die die Pflanze stark im Boden verankern. Der Baldrian hilft daher besonders den Menschen, die Gefahr laufen, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die Wissenschaft bezweifelte lange die von der Volksmedizin beschriebene Heilwirkung des Baldrians bei Schlaflosigkeit und nervösen Unruhezuständen, da als Inhaltsstoffe nur die ätherischen Öle bekannt waren. Doch durch die Entdeckung der Valepotriate (die charakteristischen Inhaltsstoffe einiger Valerianacae-Gattungen) konnten die alten Erkenntnisse bestätigt werden.

– ANWENDUNG –

Die Baldrianwurzel ist eines der bekanntesten pflanzlichen Beruhigungsmittel. Nachgesagt wird ihr vor allem eine Wirksamkeit bei Unruhe- und Angstzuständen, Schlafstörungen oder nervositätsbedingten Herzbeschwerden.

Baldrian ist aber kein Mittel, das sofort schlaffördernd wirkt, sondern versetzt den Menschen in einen entspannten Zustand und erhöht damit die natürliche Einschlafbereitschaft.

Der Baldriantee hilft daher auch bei Gedankenflucht. Außerdem entspannt er vor Prüfungen. Das Besondere an Baldrian ist, dass er anregend wirkt, wenn man erschöpft ist, und entspannend, wenn man überreizt ist.

VERARBEITUNG

– FRISCHPFLANZENTINKTUR –

In einem dunklen Raum einen Monat ausziehen lassen. Zur Dosierung gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die Wissenschaft meint, dass erst ab 30 Tropfen eine Wirkung zu erwarten ist. Naturheilkundlich orientierte Therapeuten empfehlen dagegen, vor dem Schlafengehen höchstens 3–7 Tropfen und bei Nervosität 1–3 x täglich 2–5 Tropfen einzunehmen. Die Baldriantinktur ist zudem auch in der Apotheke erhältlich.

– BALDRIANWEIN –

Gefäß zu einem Drittel mit den zerkleinerten Wurzeln füllen, 1 EL zerkleinerte, ungespritzte Orangenschalen dazugeben, mit trockenem Weißwein auffüllen, zwei Wochen dunkel ziehen lassen, vor dem Schlafengehen ein Likörglas davon genießen.

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BEINWELL

(Symphytum officinale)

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Der Beinwell ist eine in feuchten Gräben und Wiesen häufig vorkommende Pflanze. Es ist also nicht schwer, den von grau-weiß bis lila blühenden Beinwell zu finden.

Der Name dieses Rauhaargewächses weist schon auf die Wirkung hin: Bein, also Knochen; well: wallen. Auch der botanische Name Symphytum drückt dies aus: griech. Symphein, zusammenwachsen. Beinwell wurde schon seit der Antike bei Knochenbrüchen eingesetzt. Auch Hildegard von Bingen, die Beinwell unter dem Namen Consolida beschrieb, und Paracelsus benutzten ihn zur Heilung von Knochenbrüchen und anderen Verletzungen. Obwohl die positive Wirkung auf die Knochen von vielen Ärzten bestätigt wurde, ist Beinwell bei der Wissenschaft in Ungnade gefallen, weil man in geringsten Spuren pyrrolizidine Alkaloide vorfand. Von der Anwendung der Wurzel als Tee ist daher durchaus abzuraten. Die positive Wirkung des Beinwells ist aber in vielen Studien belegt worden, weshalb er zur äußeren Anwendung als Salbe empfohlen werden kann.

– ANWENDUNG –

Aufgrund der Fülle an Wirkstoffen wie Kieselsäure, verschiedenen Gerb- und Schleimstoffen sowie vor allem dem Allantoin kann Beinwell aber mehr als nur »Knochen wachsen lassen« und wird vor allem in der Sportmedizin sehr geschätzt. Bei entzündlichen Erkrankungen wie Sehnenscheidenentzündung oder Achillessehnenproblemen und bei Zerrungen, Stauchungen oder Prellungen hilft eine Anwendung ebenso wie bei schlecht heilenden chronischen Geschwüren. Um eventuellen Gefahren durch Nebenwirkungen vorzubeugen, sollte die Anwendung bei Ulcus cruris (offene Beine/Unterschenkelgeschwüre) auf kurze Zeit beschränkt werden. Das Allantoin löst Wundsekrete auf und regt das Gewebe zur Gewebeneubildung an. Keine andere Pflanze enthält so viel Allantoin wie der Beinwell.

GROSSE BIBERNELLE

(Pimpinella major)

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Ihr botanischer Name Pimpinella könnte dazu führen, dass die Bibernelle mit einer Pflanze verwechselt wird, die auch Pimpinelle genannt wird. Der lateinische Name der Bibernelle kann da schon zu Verwirrungen führen. So liest man in einem Kräuterbuch: Die Bibernelle eignet sich gut für einen Hustentee – soweit richtig – und die Blätter duften nach Gurken und können als Salatgewürz verwendet werden – soweit falsch.

Der Wiesenknopf, der auch Pimpinelle genannt wird, ist die Pflanze, bei der die Blätter nach Gurke und Nuss riechen und die als Würzkraut für Salate, Saucen und Kräuteraufstriche verwendet wird. Diese beiden Pflanzen sollten also auf keinen Fall verwechselt werden. Für Kräutersammler ist die Gefahr der Verwechslung nicht groß, die Beiden sehen ohnehin durchaus verschieden aus: Die Bibernelle ist ein Doldenblütler und der Wiesenknopf ein Rosengewächs, sie haben also ganz andere Blüten. Schon eher kann man die Bibernelle mit der Pastinake verwechseln. Aber für Kräutersammler empfiehlt es sich ohnehin, nur mit genauer Kenntnis der Pflanzen sammeln zu gehen.

Die Bibernelle ist vor allem eine Heilpflanze, die in früheren Zeiten sehr geschätzt wurde. So meint etwa ein altes Sprichwort: »Esst Kranewitt und Bibernell, dann kommt die Pest nit so schnell.« Überhaupt galt die Bibernelle als Zauberpflanze, die Unheil abwehren und Fruchtbarkeit bringen sollte. In der Volksmedizin genoss die Bibernelle großes Ansehen als Mittel gegen Husten. Aufgrund der ätherischen Öle, die neben verschiedenen Saponinen in der Wurzel zu finden sind, scheint diese Anwendung nicht einmal so unwahrscheinlich, denn eine starke antibakterielle Wirkung kann man der Bibernellwurzel sicher zusprechen. Sie wirkt zudem auswurffördernd bei Husten mit Verschleimung und Bronchitis sowie unterstützend bei einer Lungenentzündung. Die ätherischen Öle des milden Bibernellwurzeltees wirken schleimlösend und fördern gleichzeitig das Abhusten des Schleims.

VERARBEITUNG

– HEILWIRKUNG –

Da nicht alle Tees für Säuglinge und Kleinkinder zu empfehlen sind, bietet sich für den festsitzenden Husten in diesem Fall der Bibernellwurzeltee an. Natürlich können auch Erwachsene den Tee trinken – vor allem dort, wo man bei chronischer Bronchitis einen Tee sucht, der auch über längere Zeit zu sich genommen werden kann. Durch die Gerbstoffe eignet sich Bibernellwurzeltee auch zum Gurgeln bei Halsentzündungen und Heiserkeit.

– ANWENDUNG –

Aufkochen (1–2 EL Droge mit einer Tasse Wasser kalt ansetzen, einmal aufkochen) oder auch im Aufguss (5–10 Minuten ziehen lassen), bei Bedarf mit Honig süßen.

– AUCH ALS TINKTUR –

Tinctura Pimpinellae, zweimal täglich 20 Tropfen.

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BLUTWURZ

(Potentilla erecta)

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Die Blutwurz ist in Europa heimisch. Sie wächst bevorzugt auf mageren Wiesen und in Mischwäldern, auch in Niedermooren kann man sie finden. Auf den ersten Blick wirkt sie mit ihren kleinen gelben Blüten eher unscheinbar und lässt nicht erkennen, was für starke heilende Kräfte in der Wurzel dieses Rosengewächses wohnen.

Den Namen hat die Pflanze, genauer gesagt die Wurzel der Pflanze, von ihrer Heilkraft, Blutungen zu stillen. Blutwurz als Heilpflanze wurde schon von Hippokrates erwähnt und auch im Altertum war die blutstillende Wirkung der Pflanze bekannt. Eine Zeitlang wurde Blutwurz als universelles Heilmittel gehandelt. Der bereits seit dem Mittelalter gebräuchliche Apothekername Tormentill leitet sich von lat. tormentum, Leibschmerzen, Kolik ab. Die Blutwurz wurde aber nicht nur gegen Koliken verwendet, sie sollte sogar gegen die Pest helfen. Folgender Spruch verdeutlicht das: »Äßt Durmedill und Bibernell, sterbt nit so schnell.«

Man erkannte also die Kräfte dieses unscheinbaren Rosengewächses und nannte es Potentilla (lat. potentia