Tempting

Tempting

Verführerische Liebe

Crystal Kaswell

Inhalt

1. Brendon

2. Kaylee

3. Kaylee

4. Brendon

5. Brendon

6. Kaylee

7. Kaylee

8. Brendon

9. Brendon

10. Brendon

11. Kaylee

12. Kaylee

13. Brendon

14. Kaylee

15. Brendon

16. Kaylee

17. Kaylee

18. Brendon

19. Kaylee

20. Kaylee

21. Brendon

22. Brendon

23. Brendon

24. Kaylee

25. Brendon

26. Kaylee

27. Kaylee

28. Brendon

29. Brendon

30. Brendon

31. Kaylee

32. Kaylee

33. Brendon

34. Kaylee

35. Kaylee

36. Kaylee

37. Brendon

38. Brendon

39. Kaylee

40. Kaylee

41. Kaylee

42. Brendon

43. Brendon

44. Kaylee

45. Kaylee

46. Kaylee

47. Brendon

48. Kaylee

49. Kaylee

50. Brendon

51. Kaylee

52. Brendon

53. Kaylee

54. Kaylee

55. Kaylee

Epilog

Epilog

Die Autorin

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1

Brendon

Kaylee legt ihre Handflächen auf die Tischplatte. In ihrem Gesicht ein breites Grinsen. Ihre Wangen färben sich rosa. Dann rot. Sie lacht so sehr, dass ihre Titten wackeln.

Verdammt, in diesem engen blauen Kleid, das den gleichen Farbton wie ihre Brille hat, sieht sie umwerfend aus – wie der süße, unschuldige Engel, der sie eigentlich ist, aber gleichzeitig auch wie die Sexgöttin, die ich unbedingt in ihr entfesseln will.

Trotzdem hasse ich dieses Stück Stoff mit jeder Faser meines Körpers.

Ich hasse jede Unze Luft zwischen uns.

Jeden Holzsplitter in diesem Tisch.

Jeder Kerl hier sieht sie so an, wie ich es tue.

Scheiße, wenn ich mich nicht beherrsche, breche ich mir die Arme. Und vielleicht meine Hand. Und ich kann Alex' Rückentattoo, morgen um neun Uhr nicht mit gebrochenen Fingern beenden.

Em legt ihre Arme um Kaylee.

Kaylee lacht, schiebt ihr langes blondes Haar hinter die Ohren und fasst es an einer Seite zusammen.

Ihr Blick huscht durch den Raum.

Trifft auf meinen.

Der Ausdruck in ihren Augen schreit: Ich wünsche mir, dass du mich gleich mit auf dein Zimmer nimmst.

Oder vielleicht ist das nur in meinem Kopf.

Heute ist der Tag.

Sie ist keine Versuchung mehr, die mich ins Gefängnis bringen kann. Nur eine Versuchung, die alles einreißen kann, was mir wichtig ist.

Em lehnt sich an sie und flüstert ihr etwas ins Ohr. Ich kenne meine Schwester. Ich weiß genau, was sie sagt. Ich wünsche mir, dass dich heute Abend jemand fickt.

Das wird nicht passieren.

Nicht, solange ich hier bin.

Ich hasse es, ein Spielverderber zu sein, wirklich, das tue ich, aber ich werde nicht zulassen, dass Kaylee jemanden mit nach Hause nimmt. Nicht, solange ich auf sie aufpasse.

Ich habe keine Ahnung, wie sie es geschafft hat, so lange Single zu bleiben.

Sie ist wunderschön. Schlau. Lustig. Nett. Und unschuldig … Scheiße, wie ihre Wangen rot werden.

Wie sie sich über den Tisch beugt, ihre Augen leicht schließt, ihre Lippen öffnet …

Ich könnte ihr so viele Dinge beibringen.

Ich könnte ihr alles beibringen.

Aber ich kann nicht.

Sie ist die beste Freundin meiner Schwester.

Und auch wenn Em eine freche Göre ist, sie ist alles, was ich an Familie noch habe.

Diese beiden sind die wichtigsten Menschen in meinem Leben.

Mein Schwanz wird sich damit abfinden müssen.

Er kommt nicht in die Nähe von Kaylee.

Ich liege auf dem grünen Liegestuhl, unter der alten Lampe, deren Glühbirne ein grelles, gelbes Licht verbreitet.

Obwohl wir in einer der überfülltesten Städte Südkaliforniens leben, ist der Strand leer. Immer noch. Die Stimmen, die ich höre, und das Lachen kommen aus dem Haus. Die Geräusche des Ozeans reichen nicht aus, um den Lärm der Party zu übertönen.

Ich sollte reingehen und Emmas Freunde rauswerfen. Darauf bestehen, Kaylee zu ihrer Wohnung zu fahren und beiden einen Vortrag zum Thema „Übermäßiges Trinken“ halten.

Aber ich bin heute nicht in der Stimmung, Dad zu spielen. Ich bin es leid, Dad zu spielen, Punkt. Emma und ich haben uns nie verstanden, nicht so richtig, aber wir hatten eine Abmachung. Wir waren ein Team. Ein „Du bist nervig, aber nicht ganz so nervig wie Mom und Dad“-Team, aber wir waren immer noch ein verdammtes Team.

Jetzt besteht die meiste Zeit meiner Beziehung zu ihr darin, sie zu belehren und etwas wie „Geh auf dein Zimmer“ zu schreien.

Und sie schreit zurück: „Du bist nicht mein Vater.“

Ich zwinge mich, auf den Ozean zu schauen.

Es ist wunderschön hier. Dunkles Wasser. Weicher Sand. Sterne, die hell genug sind, um den schwarzen Himmel zu erleuchten, aber dennoch von der Lichtverschmutzung gedämpft werden.

Nichts davon lenkt mich ab.

Nichts von den acht Millionen Dingen in meinem Leben lenkt mich ab.

Ich brauche einen Weg, um Kaylee aus meinem Kopf zu bekommen. Ich habe alles versucht, Arbeit, Spiel, andere Frauen, mich selbst befriedigen, mich nicht selbst befriedigen.

Nichts hilft.

Ich ziehe mein Skizzenbuch heraus und skizziere ein paar Linien mit dem Kugelschreiber. Dann ein paar mehr. Meine Aufwärmskizze hat eine chaotische, abstrakte Form. Sie bedeutet etwas, da bin ich mir sicher, aber ich habe keine Ahnung, was das sein soll.

Ich blättere um. Umreiße den Tintenfisch, den ich morgen Nachmittag auf Wills Bizeps tätowieren werde. Versuche die Schattierung auszufüllen.

Die Details kommen nicht. Das einzige Bild in meinem Kopf ist Kaylee. Die Helligkeit in ihren grünen Augen, das Lächeln, das sich über ihre rosa Lippen ausbreitet, die schüchterne Art, wie sie ihre Hüften bewegt. Als ob sie wüsste, wie sehr ich meine Hände auf diesen Hüften haben will.

Als ob sie ihr Kleid über ihre Schenkel zieht, ihre Handflächen auf den Tisch legt und mich mit einem „Bitte fick mich jetzt“-Blick anschmachtet.

Ich brauche kein Tattoo-Modell.

Ich brauche sie nackt in meinem Bett.

„Hey.“ Die Seitentür öffnet sich und Kaylee tritt nach draußen. Ihre Schritte sind nicht so leise, wie sie normalerweise sind.

Sie sind chaotisch. Schnell.

Ihre Augen sind heller als sonst.

Mutiger.

Sie macht es sich auf dem Sessel neben mir bequem. Ihr Oberschenkel drückt gegen meinen. Ihre Finger überfliegen die Ränder meines Skizzenbuchs.

Sie lehnt sich über meine Schulter, drückt ihre Brust gegen meinen Arm und sieht mich mit diesen Rehaugen an. „Darf ich mal sehen?“

Nicht das Skizzenbuch. Die Scheiße, die ich von ihr hier drin habe, würde sie erschrecken. Kaylee ist süß. Unschuldig. Ich habe nicht gefragt, aber ich wette, sie ist eine Jungfrau.

Mein Schwanz erwacht bei dem Gedanken, der Erste in ihr zu sein. Scheiße, meine Lippen, meine Zunge, meine Finger – jeder Teil von mir will ihr Erster sein.

Das wird nicht passieren.

„Suchst du ein nautisches Tattoo?“, schieße ich zurück.

Ihr Lächeln breitet sich über ihre Wangen aus. „Vielleicht, was schlägst du vor?“

Ich ziehe meine Fingerspitzen über ihre Schulter und zeichne die Form, die am besten zu ihr passen würde. Es ist eine schlechte Idee, sie so zu berühren. Es tut mir, verdammt noch mal, gar nicht gut.

Und so wie sie ihre Augenlider zusammenpresst und ihre Lippen mit einem Seufzer öffnet, bin ich mir ziemlich sicher, dass es ihr, verdammt noch mal, auch nicht guttut.

Scheiße, ich brauche tausend kalte Duschen.

Selbst wenn Kaylee nicht Ems beste Freundin wäre, ist sie ein süßes Mädchen. Jemand, der einen netten Kerl verdient. Einen Typen, der ihr ein normales Leben bieten kann. Kein Arschloch, das alles zerstört, was es anfasst.

Trotzdem verfolge ich den Umriss einer Möchtegern-Tätowierung bis zur Schulterspitze. „Eine Meerjungfrau.“

„Das hört sich gut an.“

„Ich weiß. Du hast Die kleine Meerjungfrau tausendmal gesehen.“

„Mindestens zweitausendmal.“ Sie sieht zu mir auf. „Was meinst du? Jetzt gleich? Ich bin endlich alt genug, um das Formular zu unterschreiben.“

„Okay.“ Ich nehme ihre Hand und ziehe sie auf die Füße. „Gehen wir zum Studio. Eine oben ohne Meerjungfrau.“

Ihre Augen weiten sich. Sie stottert, drückt ihre Füße zusammen. Das Plastik ihrer Absätze klickt. Ihre Zähne sinken in ihre Lippe. „Ich, äh …“

„Du hasst es wohl, wenn dein Bluff auffliegt?“

„Nein, ich will nur … Ich muss noch ein wenig darüber nachdenken.“

„Blödsinn.“ Ich kann nicht anders, als zu lächeln. Sie ist hinreißend nervös.

„Nein … ähm … deshalb bin ich nicht hergekommen.“

Ich ziehe eine Augenbraue nach oben.

Sie rückt näher. Es ist eine winzige Bewegung. Sie entspricht der Kaylee, die ich kenne. Der nüchternen.

„Nun, es ist mein Geburtstag.“ Ihre Finger umschließen mein Handgelenk. „Und ich will einen Geburtstagskuss.“

Wie wär's mit einem Geburtstagsfick? Wie wäre es mit einem Geburtstag, der auf meinem Gesicht gefeiert wird, bis meine Lippen taub sind?

„Bei mir gibt es nur einen Klaps zum Geburtstag.“ Meine Stimme ist ruhig, obwohl mein Herz wie wild in meiner Brust schlägt. Scheiße, der Gedanke, Kaylee über den Tisch zu beugen und …

„Okay.“ Sie presst ihre Lippen zusammen. „Lass es uns machen. Genau hier, genau jetzt.“

„Glaubst du, du bekommst das hin mit deinen 18 Jahren?“

Sie nickt.

Das würde sie nicht, aber die Vorstellung ist trotzdem verlockend.

„Gehen wir, Brendon.“ Sie nimmt meine Hand und legt sie auf ihre Hüfte. Ihr Blick trifft meinen. Bohrt sich in meinen. So als wollte sie jeden Gedanken in meinem Kopf lesen. Oder zumindest all die, die sich damit beschäftigen, wie ich sie nackt ausziehe. „Oder habe ich jetzt deinen Bluff aufgedeckt?“

„Beug dich vor und leg deine Hände auf den Glastisch, wenn du es herausfinden willst.“ Sie glaubt ich bluffe. Dann werde ich ihr jetzt zeigen …

Nur dieses eine Mal.

Meine Schwester rettet mich vor meinen schmutzigen Gedanken. Sie stürmt aus der Tür und wirft ihre Arme um Kaylee. „Hör auf, dich vor den Typen auf der Party zu verstecken.“

„Dein Bruder ist auch ein Typ.“

Emma rümpft die Nase. Es betont ihre dunklen Augen – das gleiche tiefe Braun wie meine. Sie fährt sich mit den Fingern durch ihr violettes Haar und kann sich kaum zurückhalten, mit den Augen zu rollen.

Kaylees Finger streichen über meinen Handrücken, als sie sich Emma zuwendet. „Tut mir leid, Em, aber es ist unbestreitbar. Sieh ihn dir an.“

Emma streckt ihre Zunge raus und verzieht ihr Gesicht. „Mr. Schau, was für ein tiefgründiger Bad Boy ich bin wird morgen auch noch da sein.“ Sie packt Kaylees Hand und zieht sie zur Tür. „Diese anderen Jungs nicht.“ Emma schaut zu mir. „Du musst nicht bleiben und uns beaufsichtigen.“

„Netter Versuch“, sage ich.

Emma lacht. Sie wirft mir eine Kusshand zu und dreht sich zu ihrer besten Freundin. „Warte nicht auf mich.“

Kaylees Augen treffen auf meine. „War das dein Ernst?“

Ein Teil von mir hat es tatsächlich so gemeint. Der Rest von mir weiß es besser. Ich mache einen auf zurückhaltend und zucke mit den Schultern.

„Ich werde mir den Klaps schon noch holen.“

„Nur an Geburtstagen.“

„Trotzdem.“

Ich beobachte ihre wiegenden Hüften, als sie geht.

Scheiße, das Kleid …

Fuck.

Wie zum Teufel soll ich dieses Mädchen aus meinem Kopf bekommen?

2

Kaylee

Ich trinke nie wieder.

Nie wieder.

Die stechenden Kopfschmerzen, der trockene Mund und der rebellierende Magen sind Grund genug.

Und keine Hemmungen mehr zu haben.

Nein. Danke.

Ich krieche aus Emmas Bett – sie trägt immer noch ihr glänzendes, silbernes Cocktailkleid und das meiste von ihrem Make-up – und schleiche mich ins Badezimmer auf der anderen Seite des Flurs.

Unten ist es laut. Ich höre das Blubbern einer Kaffeemaschine. Das Kratzen eines Kochlöffels. Die Schritte eines Mannes, dem ich nie wieder in die Augen sehen kann.

Nicht nach letzter Nacht.

Ich will einen Geburtstagskuss.

Ugh.

Hemmungen werden unterschätzt. Kriminell unterschätzt. Sie halten dich davon ab, dich zum Narren zu machen.

Sie halten dich davon ab, aus der Reihe zu tanzen.

Sie beschützen dich, Punkt.

Ohne meine Hemmungen würde jeder wissen, dass ich auf dem Weg bin, eine starke, unabhängige Frau zu werden. Niemand würde mich so ansehen, wie sie es jetzt tun.

Ich pinkle. Dusche. Putze mir die Zähne. Schnappe mir meine pastellrosa Schminktasche – die ich mit Liedtexten verziert habe – und wähle das aus, was ich brauche.

Emma ist diejenige, die mich dazu gebracht hat, mich zu schminken, aber wir gehen es komplett anders an. Ihr macht es Spaß. Es ist ihre Art, sich auszudrücken, zu experimentieren.

Für mich ist es ein weiterer notwendiger Bestandteil meines Schutzschildes. Niemand fragt, ob es dir gutgeht, wenn du hergerichtet bist und wach aussiehst. Niemand versucht hinter die Fassade zu blicken. Was bedeutet, dass niemand näher kommt, als er sollte.

Nachdem ich ein paar verschüttete Tropfen der Grundierung vom Waschbecken gewischt und mein Haar getrocknet habe, gehe ich zurück in Emmas Zimmer.

Sie schläft noch immer tief und fest. Ihre Schuhe, ihre Tasche und ihr Schmuck sind im Raum verteilt. Ich nehme mir einen Moment Zeit, um alles wegzuräumen – ihre und meine Sachen.

Ich wohne praktisch hier. Deshalb ist ihr Zimmer so ordentlich, wie es ist.

Ich liebe Emma. Sie ist meine beste Freundin, die einzige Person, der ich vertraue. Nun, abgesehen von Oma.

Und das sage ich mit Liebe.

Trotzdem ist sie eine Schlampe. Und sie ist stolz darauf. Sie besteht darauf, dass sie ihr Zimmer lieber unordentlich hat. Angeblich inspiriert es ihre Kreativität.

Mir ist es egal.

Ich halte das nicht aus.

Wir streiten uns ständig um meine Aufräumbemühungen. Normalerweise habe ich Brendon auf meiner Seite. Normalerweise liefert er einen “Mir egal, ob du theoretisch gesehen ein Erwachsener bist, mein Haus, meine Regeln“-Dad-Spruch.

Aber im Moment …

Ich bin mir nicht sicher, wie ich ihm nach der letzten Nacht gegenübertreten soll.

Ich überprüfe mein Telefon. Keine SMS von meinen Eltern, nicht seit der „Wir sehen uns morgen nach der Arbeit, Schätzchen“-Nachricht, die ich gestern Abend bekommen habe. Mein Facebook überflutet mich immer noch mit Happy-Birthday-Benachrichtigungen von Leuten, mit denen ich seit der Mittelstufe nicht mehr gesprochen habe.

Es ist irgendwie schön, sich beliebt zu fühlen. Auch wenn es offensichtlich ein Fake ist. Ich weiß das. Ich bin mit vielen Leuten befreundet. Die meisten Leute, die ich kenne – abgesehen von den Reportern der Schulzeitung, die sich über meine hohen Ansprüche beschwerten – denken, dass ich süß, nett und locker bin. Und sie haben recht. Irgendwie zumindest.

Aber sie sind nicht meine Freunde.

Sie kennen mich nicht. Sie kennen nur die hübsche, aufpolierte Kaylee, die ein perfektes Kundenservicelächeln hinbekommt, egal wie lächerlich die Beschwerde ist.

Mein Magen knurrt, als der Geruch von Speck durch den Raum zieht. Dann aber geht er zu Essen, nein danke über.

Bacon wird es heute nicht geben.

Aber ich sollte etwas essen.

Ich sollte diese Folter hinter mich bringen.

Brendon ist der ältere Bruder meiner besten Freundin. Ich kann ihm nicht ewig ausweichen.

Ich packe meine Tasche, ziehe meine Arbeitskleidung an und schleiche mich nach unten.

Das helle Licht des Morgens fällt in den großzügig geschnittenen Raum. Es taucht Brendon in ein engelsgleiches Licht – natürlich nicht wirklich, aber irgendwie doch.

Gott, diese dunklen Augen, diese schwarzen Haare, diese ausgeprägten Gesichtszüge …

Ich will jeden Zentimeter von ihm aufsaugen.

Und ich schaue noch nicht mal auf seinen wie aus Stein gemeißelten Oberkörper oder seine Tätowierung.

Er verlässt seinen Platz in der Küche hinter dem Ofen und dreht sich zu mir um. „Hey.“

„Hey“, sage ich betont gelassen. Lässig. Als ob ich ihn nicht gebeten hätte, mich zu küssen. Als ob er mir nicht angeboten hätte, mir einen Klaps auf den Hintern zu geben. Als würde ich verstehen, dass er mich nur necken wollte, dass es ihm nichts bedeutet hat, und als hätte ich nicht die ganze Nacht damit verbracht, mir vorzustellen, er würde mich auf seinen Schoß ziehen.

„Du siehst furchtbar aus, Kay.“

„Hey.“ Ich streife meine Haare auf die rechte Seite. „Es ist nicht meine Schuld, dass Emma ihren Fön weggeworfen hat, damit sie ihr Haar nicht weiter verschmort.“

Seine Lippen breiten sich zu einem Lächeln aus, das seine dunklen Augen erhellt.

Meine Knie werden weich.

Das ist alles, was ich brauche, um dahinzuschmelzen: sein Lächeln.

Aber – Gott – es ist ein wunderschönes Lächeln.

War es schon immer so schwer, in Brendons Nähe zu atmen? Ich schäme mich nicht, zu sagen, dass ich mich gleich am ersten Tag, als ich ihn auf dieser Couch sah, in ihn verknallt habe.

Aber das war vor fast einem Jahrzehnt.

Es gab andere Typen. Verabredungen. Freunde. Billiges Rumgemache auf Partys.

Und diese lange Phase im letzten Jahr, als ich niemanden und überhaupt nichts wollte.

„Du siehst immer gut aus.“ Er macht eine Geste zum Tisch, die mir bedeutet, dass ich mich setzen soll. „Es ist dein Gesichtsausdruck.“

„Ja?“ Ich will keine Befehle von ihm annehmen – na ja, nicht wenn wir beide angezogen sind –, aber mit dem Kater und der Lust, die sich vermischen, ist Sitzen alles, was ich momentan auf die Reihe bringe.

Ich setze mich, überkreuze meine Beine und ziehe mein Oberteil zurecht. Das Restaurant hat vor sechs Monaten auf schwarze Blusen umgestellt. Auf denen sieht man Flecken nicht so, aber sie saugen auch die ganze Energie im Raum auf.

„Möchtest du Tee?“, fragt er.

„Ich kann mir selber einen machen.“

„Ich weiß.“

„Ich will mir selber einen machen.“

Er wirft mir einen strengen Blick zu. „Welchen?“

Ich presse meine Lippen zusammen. Ich habe ein Dutzend Schachteln mit verschiedenen Tees hier. „Den Eiserne Göttin der Barmherzigkeit.“

Er lacht. „Passt zu dir.“

„Das hast du schon einmal gesagt.“

„Passt aber immer noch zu dir.“

Mein Lachen löst die Spannung in meiner Brust. Ich bin noch weit davon entfernt, dass diese Bezeichnung zu mir passen könnte, aber es gibt Wege, um sie passend zu machen.

Brendon stellt den Wasserkocher an und schnappt sich einen Becher und eine Dose Tee aus dem oberen Schrank.

Ich versuche nicht zu sehr darüber nachzudenken, wie sein T-Shirt seine breiten Schultern betont. „Du bist früh aufgestanden.“

„Du auch.“

„Ich konnte nicht schlafen.“

„Hmm.“

„Was bedeutet hmm?“

Hmm bedeutet nichts.“

„Irgendetwas ist doch.“

Der Kessel dampft. Er gießt mit seinen starken, ruhigen Händen Wasser in den Becher. Es ist nicht nur, dass ich darüber nachdenke, wie sich seine Hände auf meinem Körper anfühlen würden.

Das tue ich, aber ich sehe ihm auch gerne bei der Arbeit zu.

Es ist pure Kunst, wenn Brendon etwas auf Papier oder auf der Haut von jemandem zeichnet. Okay, alles, was er tut, ist eine Art Kunst. Aber wenn er an einem Tattoo arbeitet, bekommt er diesen Blick in die Augen.

Als gäbe es nichts anderes auf der Welt.

Als wäre er genau da, wo er hingehört.

Ich möchte das auch. Wissen, was ich tun soll, wo ich sein soll.

Es gibt nur zwei Momente, in denen ich mich richtig wohl fühle: beim Lesen und beim Schreiben.

Aber keines davon ist ein Beruf.

Ich kann nicht das Schreiben von Fanfiction über Die Tribute von Panem als Vollzeitjob betreiben.

Es wäre mir peinlich, es jemandem zu zeigen – außer Oma.

„Ich werde dich nicht über die Tücken des Alkohols belehren.“ Er durchquert den Raum, stellt meine Tasse auf dem Tisch ab und schaut mir tief in die Augen. „Ich bin nur froh, dass du dich so beschissen fühlst.“

„Du bist grausam.“

„Wird dir das erst jetzt klar?“

Ein Lächeln breitet sich in meinem Gesicht aus, während ich den Kopf schüttle. „Warum bist du so früh auf?“

„Was denkst du?“

„Ein Tattoo.“

Er nickt.

„Öffnet der Laden nicht erst um zehn?“

„Ja, aber dieser Typ ist ein alter Freund.“

„Du meinst, es ist ein interessantes Tattoo.“

Er schmunzelt, als er die Eier auf die Teller schaufelt. Zwei Teller. „Du kennst mich zu gut.“

„Darf ich mal sehen?“ Ich liebe es, seine Arbeit zu sehen, aber er tut immer so geheimnisvoll mit seinem verblassten schwarzen Skizzenbuch. Wenn er nicht liest oder fernsieht, zeichnet er Tattoos in das Buch.

„Nur wenn du isst.“

Meine Schultern sind total angespannt.

Wer zum Teufel glaubt er, wer er ist, mir zu sagen, wann ich essen soll?

Ich bin die einzige Person, die entscheidet, was ich mit meinem Körper mache.

Aber ich sollte essen.

Und ich will dieses Skizzenbuch sehen.

Wenn Brendon glauben will, er könne mich bestechen, ist das okay für mich.

Ich nicke ihm zu. In Ordnung.

Brendon stellt unsere Teller auf den Tisch. Er setzt sich mir gegenüber und verfeinert seinen Kaffee mit einem Schuss Milch und einem Hauch von Zucker.

Er hebt seinen Becher an die Lippen und nimmt einen langen Schluck.

Ich mache dasselbe mit meinem Tee. Mmm, süßes, süßes Koffein. Nussig. Herrlicher, heißer Oolong.

„Also, wo ist das Tattoo-Mockup?“

Er schnappt sich sein abgenutztes schwarzes Skizzenbuch vom Nebenstuhl und blättert durch die Seiten.

Wie an einem ganz normalen Morgen.

Als wäre letzte Nacht nichts passiert.

Als wären wir noch Freunde. Nur Freunde.

Und so sehr ich es auch hasse, dass wir nur Freunde sind, ist es doch besser als alles andere, was wir sein könnten.

Meine Frühschicht dauert ewig. Es ist ein Freitagmorgen, an dem nicht viel los ist, aber mein Manager Jake überredet mich, länger zu bleiben, um für jemanden einzuspringen, der sich krankgemeldet hat.

Em beschimpft mich, weil ich ein Schwächling bin, aber so ist es nicht. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich es nicht tue, wird es niemand tun.

Außerdem brauche ich das Trinkgeld.

Ich komme hundert Dollar reicher nach Hause – und da ist der kalifornische Mindestlohn noch nicht mit eingerechnet, der mit meinem Gehaltsscheck kommt.

Ich wohne bei meinen Eltern, in einer Wohnung in Santa Monica. Es ist ein schönes Wohngebiet ein Dutzend Blocks vom Strand entfernt.

Das Apartment ist klein, aber es gehört uns.

Und es ist ruhig. Sehr ruhig. Besonders am Freitagnachmittag.

Aber das ist nicht das Problem.

Meine Eltern sind nicht bei der Arbeit.

Sie sitzen am Küchentisch und sehen mich traurig an.

Mom steht auf und setzt sich auf den Platz gegenüber. „Kaylee, Schätzchen. Willst du dich nicht setzen? Wir müssen reden.“

3

Kaylee

Mein Magen dreht sich. Es liegt nicht am Kater, den spüre ich nur noch als dumpfen Schmerz.

Es ist die Furcht in Moms grünen Augen.

Das Stirnrunzeln in Dads Gesicht.

Er trägt noch seinen Anzug. Er ist gerade von der Arbeit gekommen. Und Mama ist in ihr übliches trendiges Outfit gekleidet – sie arbeitet als Friseuse in einem schönen Salon in der Nähe vom Strand. Und sie arbeitet normalerweise freitags. Sie arbeitet normalerweise von Mittwoch bis Samstag.

Keiner von beiden sollte zu Hause sein.

Obwohl ich kaum noch stehen kann, bewege ich mich nicht. „Ich stehe lieber.“

„Bitte, Schatz.“ Mom deutet auf einen der Esszimmerstühle. „Wie wär's, wenn ich etwas Tee mache?“

Sie ist nervös, hat Angst. Was bedeutet, dass es schlimm ist.

Ich will es ihr nicht noch schwerer machen.

Aber meine Füße weigern sich, auf den Tisch zuzugehen.

Ich bin nicht bereit für einen Schicksalsschlag. Egal welche Art von Schicksalsschlag. Es läuft endlich gut für mich. Das College beginnt in ein paar Wochen. Ich habe meinen Stundenplan und meinen Arbeitsplan unter einen Hut gebracht und eine Stange Geld auf meinem Sparkonto.

Außerdem bin ich gesund genug, um nicht alle drei Minuten daran denken zu müssen, wie gesund ich bin.

Mama geht in die Küche und stellt den Wasserkocher an. Sie ist die Person, die mich zum Teetrinken gebracht hat. Wir verbringen die Nachmittage immer noch gemeinsam in Teeläden, reden über Bücher und Filme, über Kleidung und Jungs.

Beziehungsweise haben wir das getan. Bis letztes Jahr.

Meine Eltern wissen nicht viel, wirklich. Nur, dass ich zum Seelenklempner wollte. Aber das genügt ihnen als Grund, um mich jetzt anders zu behandeln. Als ob ich vorsichtig behandelt werden müsste.

Wie jetzt gerade.

Mama füllt das Teesieb mit vier Kugeln schwarzem Vanilletee. Mein Favorit. Brendon hat mich nie vergessen lassen, dass mein Favorit Vanille ist.

Papa sieht mich mit einem traurigen Lächeln an. Seine haselnussbraunen Augen sind genauso voller Reue wie die von Mama.

Irgendetwas Schreckliches muss passiert sein.

Ich presse meine Fußzehen zusammen. Dann meine Absätze. Meine rutschfesten Schuhe sind eine billige Converse-Kopie. Man könnte sie fast schon modisch nennen.

Sie sind besser anzuschauen als der Ausdruck auf den Gesichtern meiner Eltern.

Ich starre weiterhin auf meine verkratzten schwarzen Schuhe.

Mama gießt den Tee in zwei Tassen und bringt beide zum Tisch. Mit einem tiefen Seufzer setzt sie sich.

Wieder deutet sie auf den Stuhl, der ihrem gegenübersteht.

Dieses Mal setze ich mich.

Ich presse meine Knie zusammen.

Meine Zehen. Die Innenseite meiner Füße. Meine Absätze.

„Kaylee, Oma geht es nicht gut. Mike – ich meine, dein Vater – hat die Chance, befördert zu werden. Die neue Stelle ist in New Jersey.“ Mamas Stimme ist ruhig, als würde sie über den Geschmack des Tees reden und nicht über unser Leben. „Er nimmt sie an.“

Ich starre weiterhin auf meine Schuhe.

„Wir haben mit den Kanes gesprochen.“

Sieht sie Brendon wirklich als einen Elternteil an, sodass sie ihn bei seinem Nachnamen nennt? Als wir hierhergezogen sind und Emma und ich sofort Freunde wurden, beschwerte sie sich über seinen schlechten Einfluss. Das war vor dem Unfall. Bevor er nicht mehr nur Emmas Bruder war, sondern auch zu ihrem Vater wurde.

Trotzdem ist er erst Sechsundzwanzig.

Das ist ziemlich jung.

Zumindest sage ich mir das. Ein Altersunterschied von acht Jahren bedeutet nichts. Es besteht die Chance, dass er mich als etwas anderes als ein naives Kind betrachtet.

„Wir waren uns einig. Es ist das Beste, wenn du hierbleibst.“ Mama legt ihre Hände in den Schoß und richtet sich auf. Ihre Haltung ist steif. Es ist ihre „Das ist unsere Entscheidung und du hast nichts zu sagen“-Haltung.

„Was, wenn ich mit Oma zusammen sein will?“ Es gibt kein Wenn. Natürlich will ich mit Oma zusammen sein. Sie hat bei uns gelebt, bis wir hierhergezogen sind. Sie war meine erste Freundin, meine beste Freundin, und das ist sie immer noch. Wir reden immer noch über Days of Our Lives und Harry Potter. Sie sagt mir immer noch, dass jede Geschichte meiner Fan-Fiction gut ist. „Was, wenn ich den ganzen Nachmittag Seifenopern mit ihr sehen will und ihr zuhören will, wie sie sich über die schreckliche Reality-Show beschwert, die sie die ganze Nacht schaut?“

„Ich weiß, es ist schwer, Honey. Es bringt mich fast um, an meine Mutter zu denken, daran, dass sie ganz alleine ist, besonders jetzt, da sie krank ist. Aber du weißt, das ist es, was sie wollen würde. Sie will dich auf dem College sehen. Sie ist so stolz auf dich.“ Mamas Lächeln ist ernst. Süß.

Sie hat recht. Oma hat immer davon gesprochen, wie wichtig Schule ist. Sie ist immer die Erste, die sich freut, wenn ich gute Noten nach Hause bringe – und ich bringe immer gute Noten nach Hause.

„Brendon hat ein großzügiges Angebot gemacht“, springt Dad ein. „Er sagte, du kannst bei ihm und Emma wohnen.“

Was? Meine Lippen pressen sich zusammen. Wann zum Teufel hat er das gesagt? Er hat sich heute Morgen noch ganz normal verhalten. Und letzte Nacht …

„Er ist nicht meine erste Wahl, Honey, aber es ist das Beste. Besonders bei allem, was letztes Jahr passiert ist. Großmutters Pflege wird teuer. Wir müssen die Wohnung untervermieten. Wir können versuchen, die Dinge so zu arrangieren, dass du hierbleiben kannst. Aber ein Zimmer müssen wir vermieten. Und wir dachten, du lebst lieber bei deiner Freundin als mit einem Fremden.“ Ich sehe, wie Mamas Kehle zittert; damit verrät sie sich.

Sie können nichts arrangieren.

Sie können es sich nicht leisten, mich finanziell zu unterstützen.

Und ich kann es mir nicht leisten, die Hälfte der Miete hier zu bezahlen. Ich werde viel Zeit brauchen, um meine Kurse zu bestehen.

Es ist eine naheliegende Lösung.

Eine clevere Lösung.

Aber scheiß auf sie, weil sie mich nicht in diese Entscheidung mit einbezogen haben.

Weil sie mich gezwungen haben, hier aufs College zu gehen, statt bei meiner Oma zu sein.

Weil sie mich wie ein Kind behandeln.

Ich stehe auf. „Wann fahrt ihr?“

„Wir fliegen am Sonntag“, sagt Papa. „Wir müssen bis Ende des Monats die Wohnung räumen.“

„Das sind noch anderthalb Wochen.“ Das ist Scheiße.

Das ist alles Scheiße.

Trotzdem nicke ich ein „Ich verstehe“.

Ruhigen Schrittes gehe ich auf mein Zimmer und verschließe die Tür.

Ich lege mich auf mein Bett.

Dann verstecke ich mich unter meinen Kopfhörern, lass mich von meiner besten Anti-Angst-Playlist volldröhnen, ziehe die Bettdecke über meinen Kopf und versuche, mich wohlzufühlen. Es gelingt mir nicht.

Irgendwann habe ich es satt, mir die Tränen von den Wangen zu wischen; ich schnappe mir meinen E-Book-Reader und versuche, mich in der ganzen Scheiße zu verlieren, die in Katniss Everdeens Leben passiert.

Normalerweise fühle ich mich dann sofort besser – ich habe die Serie jetzt mindestens zwei Dutzend Mal gelesen –, aber heute bringt selbst das nichts.

4

Brendon

„Du verdammtes Arschloch!“ Ein Kissen prallt gegen meine Schlafzimmertür.

Es ist kein Ziegelstein.

Oder ein Messer. Oder Emmas Faust.

Immerhin.

Ich drücke auf Pause, um die Musik zu stoppen. Der rhythmische Beat von The Clash wird von Emmas abgehacktem Luftholen abgelöst.

Es ist witzig. Meine Schwester ist eine überzeugte Punkrockerin. Es ist ihr scheißegal, was andere von ihr denken. Sie tritt für ihre Freunde ein, egal unter welchen Umständen. Sie färbt ihre Haare selbst und fast alles, was sie trägt, ist selbst genäht.

Sie ist genau so, wie ich mit sechzehn sein wollte.

Wohingegen ich nicht unbedingt ein Spießer bin. Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt einen spießigen Tätowierer gibt. Aber ich habe eine Hypothek, die ich abzahle, mein Auto ist scheckheftgepflegt, und ich bin ein Starbucks-Kunde und aufrechtes Mitglied der Gesellschaft.

Mehr oder weniger.

Wenn Mama mich jetzt sehen könnte …

Sie würde mich immer noch für einen Versager halten.

Aber sie müsste zugeben, dass ich mein Leben im Griff habe.

„Warum zum Teufel höre ich das von Mrs. Hart und nicht von dir?“ Sie schlägt mit der Faust an meine Tür. „Brendon. Sei kein Feigling. Sieh mir ins Gesicht und gib zu, dass du das Leben meiner besten Freundin ruinierst.“

Mein Magen verkrampft sich.

Em ist sauer.

Sie hat das Recht, angepisst zu sein.

Und das Einzige, was ich tun kann, ist, darauf zu bestehen, dass ich hier der Erwachsene bin.

Dass ich ihr Erziehungsberechtigter bin. Ich wusste, was mir blühte, als ich mich entschloss, ihr gesetzlicher Vormund zu werden.

Aber das heißt nicht, dass ich es mag.

Dass Kaylee von jetzt an bei uns wohnt, macht Sinn. Sie ist ein intelligentes Mädchen und hat eine große Zukunft vor sich. Sie sollte aufs College gehen. Selbst wenn es sie umbringen wird, nicht bei ihrer Familie sein zu können.

„Brendon!“ Emmas Faust kracht wieder gegen die Tür. „Ich gebe dir 20 Sekunden, um mir das zu erklären, bevor ich … Ich weiß nicht. Irgendetwas tue, um dich zu verletzen.“

„Die Tür ist offen.“

„Ich weiß. Aber …“

Wir haben eine strikte „Frage, bevor du das Zimmer des anderen betrittst“-Regel. Das erspart uns beiden einige Peinlichkeiten.

Ich schließe mein Skizzenbuch. „Komm rein.“

Sie betritt mein Zimmer. Sie ist wütend. Ihr Gesicht ist rot. Ihre Augen sind geschwollen, ihre Hände zu Fäusten geballt. „Und?“

„Ihre Eltern ziehen zurück nach Jersey.“

Emma runzelt die Stirn. Und?

„Sie denken, sie sollte hierbleiben. Weiterhin hier zum College gehen.“

„Und du bist ihrer Meinung?“

„Denk darüber nach, Em.“ Es ist nicht so, dass ich Kaylee hier haben will. Ich traue mir selbst nicht genug, um sie direkt im Zimmer neben mir zu wissen. Vor nicht allzu langer Zeit war Kaylee nur Emmas Freundin. Ein Mädchen, mit dem man sich gut über Bücher und Filme unterhalten konnte.

Aber eines Tages änderte sich das. Sie war nicht mehr nur Emmas Freundin. Sie war kein Mädchen mehr.

Sie war eine Frau.

Sie war immer noch bezaubernd.

Aber auf eine verdammt berauschende Art und Weise.

Ich denke seit Monaten nur an sie.

Es ist jedes Mal eine Qual, wenn sie die Nacht bei uns verbringt. Jedes Mal, wenn ich sie auf der Couch in diesen winzigen Shorts sehe, ihre Knie an die Brust gezogen, während sie ein Buch liest und die Welt um sich herum vergisst.

Es grenzt an Folter, sie nicht anfassen zu dürfen.

Und es wird nur noch schwerer werden.

Ich bin ein kranker Wichser, der sich nach dem Mädchen sehnt, das er beschützen soll.

Einem Mädchen, das jünger ist als meine kleine Schwester.

Aber dieses Wissen verlangsamt meinen Puls nicht, wenn Kay in der Nähe ist.

„Okay. Möglicherweise ist es besser für Kay, auf die UCLA zu gehen, als wieder nach New Jersey zu ziehen. Aber du hast dich mit ihren Eltern gegen sie verschworen.“ Emma verschränkt ihre Arme vor der Brust. „Hast du sie überhaupt gefragt, was sie denkt?“

Ich weiß, was Kaylee denkt. Wenn ich meine Augen schließe, kann ich sehen, wie sie sich unglücklich und einsam hinter ihrem Reader versteckt, so wie sie es immer tut. Ich sehe sie, wie sie versucht, sich nichts anmerken zu lassen, als könne nichts sie jemals verärgern.

„Ich bin dein gesetzlicher Vormund.“ Auch wenn das jetzt, da Emma achtzehn ist, keine Rolle mehr spielt. „Das ist eine elterliche Entscheidung.“

Emma blickt mich finster an. „Das ist ein Nein.“

„Es ist die beste Option, Em.“

„Vielleicht. Aber du hättest sie fragen sollen. Und mich auch.“

„Willst du sie nicht hier haben?“

„Darum geht es nicht.“ Sie dreht sich um. „Du hättest mich fragen sollen. Punkt.“ Sie bleibt im Türrahmen stehen. „Wann kommt sie zu uns?“

„So bald wie möglich. Ihre Eltern ziehen Ende des Monats um.“

„Dann solltest du das da besser in ein Zimmer für sie verwandeln.“ Emma nickt zu meinem Büro hinüber. „Und zwar sofort.“

„Das werde ich.“

„Und gib ihr einen Schlüssel.“ Emmas Stimme wird leiser. „Und auch sonst alles, was sie braucht. Wenn du schon ihr Leben ruinierst, kannst du es ihr wenigstens so angenehm wie möglich machen.“

„Denkst du, ich würde sie auf dem Boden schlafen lassen?“

„Ich hätte nicht gedacht, dass du dich mit ihren Eltern gegen sie verschwören würdest. Woher soll ich wissen, was du planst?“

„Komm morgen ins Studio. Ich gebe dir dann ihren Schlüssel.“

„Ich werde es ihr sagen.“

„Ich werde mit ihr reden.“

Emma grinst. „Oh, sie wird nicht mit dir reden wollen.“

„Wir werden sehen.“

„Ja. Das werden wir.“ Sie knallt die Tür beim Rausgehen zu.

Das Büro ist ein karger Raum – ein Schreibtisch, ein Bücherregal, ein paar gerahmte Drucke an der Wand. Kay kann das meiste davon benutzen. Aber die Einrichtung passt nicht zu ihr. Alles ist kalt. Wütend. Laut.

Sie ist weich. Ruhig. Subtil.

Sie braucht Monet, nicht Lichtenstein.

Das war so ziemlich die einzige Schulstunde, in der ich aufgepasst habe. Der einzige Kurs, den ich nicht hätte besuchen sollen.

Erfolgreiche Typen wissen nichts über Kunst.

Und schon gar nicht über Tätowierungen.

Ich bringe alles außer dem Schreibtisch in mein Zimmer.

Da. Die schwarze Workstation ist zu dunkel für Kaylee, aber sie wird ohnehin nicht lange schwarz bleiben. Innerhalb einer Woche wird sie mit einer Mischung aus Texten, mit einem silbernen Filzstift gekritzelt, Zeitungsausschnitten und Bandaufklebern bedeckt sein.

Wir streiten ständig über die Vorzüge von Pop-Rock und Pop-Punk. Punk. Manchmal gebe ich zu, dass ich Blink 182 wirklich mag. Andere Male necke ich sie wegen ihrer Angewohnheit, sich immer in den Bad Boy zu verlieben. Danach denke ich noch stundenlang über unser Gespräch nach, wiederhole die Worte in meinem Kopf, besessen davon, wie ihre grünen Augen jedes Mal aufleuchten, wenn sie mich ohne Hemd sieht.

Was viel häufiger geschieht, als es sollte.

Scheiße, ich denke schon wieder an Kay. Wie sie in einem neuen Outfit für Em modelt und dabei langsam und grazil auf und ab geht, so als wäre sie auf einem Laufsteg. Die Art und Weise, wie sie die Songs aus Emmas Lieblings-Disney-Filmen singt – voller Emotionen. Die Art, wie diese blaue Brille ihre Augen umrahmt.

Ich lasse mich auf das große Bett in meinem Zimmer fallen. Dieses Ding hat in den vergangenen Jahren einiges mitmachen müssen. Aber nicht in letzter Zeit. In letzter Zeit fühle ich mich jedes Mal schlecht, wenn eine Frau nur meinen Arm berührt.

Als würde ich Kay betrügen.

Aber das tue ich nicht.

Wir können nicht zusammen sein.

Niemals.

Ich bin eine Million Jahre älter als sie.

Ich bin ihr Vormund.

Der Typ, bei dem sie wohnt, weil ihre Eltern mir vertrauen.

Und – fuck – so sehr ich auch sagen möchte, dass Mom sich geirrt hat, sie hat sich nicht geirrt. Ich bin nicht der Typ, der ein süßes, kluges Mädchen mit nach Hause nimmt. Es sei denn, die Kleine wollte ihren Daddy verärgern.

Aber jetzt kann ich Kaylee nicht mehr ausweichen.

Was bedeutet, dass ich mir etwas anderes überlegen muss. Eine Strategie, ihr zu widerstehen, ohne mich in meinem Zimmer einzuschließen, wenn sie in der Nähe ist.

Ich starre aus dem Fenster und sehe zu, wie die Wellen an den Strand branden. Derselbe dunkle Himmel. Derselbe silberne Mond. Es ist beruhigend, aber ich kann trotzdem nicht klarer denken.

Ich will Kaylee.

Aber ich kann sie nicht haben.

Willenskraft ist immer noch meine einzige Waffe, um ihr zu widerstehen.

Ein Teil von mir hofft, dass sie mich für die Absprache mit ihren Eltern hassen wird.

Es wird einfacher sein, ihr fernzubleiben, wenn sie mich nicht mit diesen süßen grünen Augen ansieht, kichert, ihren Kopf auf meine Schulter legt und „Wie kann man Actionfilme mögen, wenn man Mainstream-Musik hasst? Ist irgendetwas vorhersehbarer als eine weitere Die-Hard-Fortsetzung?“, sagt.


Okay, ich muss das hinter mich bringen.

Ich ziehe mein Handy raus und schreibe eine SMS an Kaylee.


Brendon: Geht es dir gut?

Kaylee: Es geht so.

Brendon: Ich lasse einen Schlüssel für dich anfertigen. Ich hinterlege ihn an der Rezeption. Du kannst ihn dir jederzeit abholen.

Kaylee: Danke. Ich komme vor der Arbeit vorbei.

Brendon: Willst du darüber reden?

Kaylee: Was gibt es da zu sagen? Meine Eltern ziehen ans andere Ende der Welt und fragen nicht einmal, was ich davon halte. Ich habe das schon gehasst, als ich zehn war, und ich hasse es immer noch. Wenigstens haben sie mich damals mitgenommen.

Brendon: Wärst du mit ihnen umgezogen, wenn sie dich gefragt hätten?

Kaylee: Das ist jetzt auch nicht mehr wichtig.

Brendon: Geht es deiner Oma gut?

Kaylee: Nein. Aber ich weiß nicht viel. Ich habe keine Ahnung, ob sie noch ein paar Wochen oder ein paar Jahre hat.

Brendon: Es tut mir leid, dass sie krank ist.

Kaylee: Danke. Das ist nicht deine Schuld. Dein Angebot war sehr großzügig. Und ich weiß das zu schätzen. Wirklich, Brendon. Das tue ich.

Brendon: Das ist doch nichts.

Kaylee: Es ist eine Menge. Ich habe nur …

Brendon: Du wärst lieber nach deiner Meinung gefragt worden?

Kaylee: Ich wünschte, all das wäre nicht passiert. Ja, und ich wäre gerne gefragt worden. Aber jetzt bin ich müde. Ich gehe ins Bett. Wir sehen uns morgen.

Brendon: Süße Träume, Kay.

Kaylee: Dir auch.